Samstag, 31. Juli 2010

Zeit wozu...? (Texte im Museum 87)


Ausstellung "Hofer Wanted", Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 2009. Für alle mit der Tiroler Landesmythologie Unvertraute: Die Worte Andreas Hofers "Mander, s´ischt Zeit" gilt als sein Kampfaufruf von Andreas anläßlich der Berg-Isel-Schlacht.

Chancen der Restitution

Der Wiener Rechtsanwalt Alfred Noll, der Mandanten gegen die Leopold-Stiftung vertritt und sich immer wieder in der Restitutionsdebatte mit ebenso interessanten wie grundsätzlichen und konstruktiven Beiträgen zu Wort gemeldet hat, sieht in der aktuellen Ausgabe von DIE ZEIT (der Artikel ist online) - wie andere auch -, die Chance auf eine Ende der Diskussion um das Leopold-Museum.
Der vom Sohn des kürzlich verstorbenen Sammlers angebotene Kompromiss, ein weiteres imkriminiertes Schiele bild zu versteigern und den Erlös zwischen Museum und Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer zu teilen, bewertet Noll - anders als die Israelitische Kultusgemeinde -, als Chance.
Seiner Meinung nach würde die Konfrontation der beiden extrem entgegensetzten Positionen von Ausjudizierung einerseits und Verschleppung und Verweigerung von Ansprüchen andrerseit in der Regel zu einer Patt-Situation führen. Denn, so Noll, eine Tilgung der Verbrechen könne es letztlich nicht geben, sehr wohl aber eine Anerkennung einerseits der Interessen und Ansprüche der Geschädigten u n d der, durchaus nicht befriedigenden Rechtslage, die eher den Besitz beschützt als Ansprüche, mögen sie noch so berechtigt sein.
"So entschieden man sich also politisch und moralisch auf den Standpunkt stellen sollte, dass Gestohlenes an die Bestohlenen zurückzugeben ist, so offen sollte man dafür eintreten, dass heute jede Auseinandersetzung um Rückgabe und Entschädigung auf die tatsächliche Rechtsposition der gegenwärtigen Inhaber derartigen Diebesgutes Rücksicht zu nehmen hat. Wer diesen Grundsatz nicht achtet, hat nur die Wahl zwischen rechtsfernem, moralisierendem Protest oder historisch und politisch ignoranter Rechtsgläubigkeit. Beides ist der Sachlage nicht angemessen und führt nicht zu Versöhnung und Akzeptanz, sondern zu irrationaler Verhärtung, zu dauerhaftem Unverständnis und zu unwürdiger Herabsetzung einzelner Personen."
Deshalb ist das Aushandeln einer Regelung unter den Beteiligten eine Chance beide Positionen so weit es möglich ist, miteinender zu versöhnen und der "Entweder-Oder"-Dichotomie zu entkommen.
Noll: "Erst eine derartige, von selbstgewisser Souveränität und geschichtsbewusster Verhandlungsbereitschaft getragene Haltung lässt in den Opfern jenes Gefühl entstehen, das sie in diesem Land seit vielen Jahren vermissen müssen: das der Anerkennung."
Ich denke, daß sich die Verhandlungsbereitschaft nicht ausschließlich auf finanzielle und rechtliche Aspekte beschränken muß. Zeigt nicht gerade die einfache Entscheidung, das Bildnis Wally, ehe es nach Österreich zurückkehrt, im Museum of Jewish Heritage in New York auszustellen, zeigen nicht die Reaktionen, die das auslöst, daß auch mit den Möglichkeiten des Museums selbst Kompromisse gestaltet und die Anerkennung symbolisch vertieft werden kann?

Freitag, 30. Juli 2010

Gut gemeint (Texte im Museum 86)


Oberösterreichisches Landesmuseums

Mikroausstellung "Gipfelsieg"

Edward Compton: Fahnenfeier auf dem Berggipfel des Großen Priel (1914). Alpineum Hinterstoder. Zu Kriegsbeginn stieg eine Gruppe zum Gipfel hoch, um die Fahnen des militärischen Bündnisses zu hissen: die türkische Fahne, die Fahne der Habsburgermonarchie, die preussische Fahne.

OJ.J. Frey, 1842: Auf der Spitze der Cheopspyramide. Von l.n.r.:l. Mühlheisen (lower left); Richard Lepsius (leader); Isenberg (diplomat); Franke (moulder); Max Weidenbach (behind flagpole); Ernst Weidenbach ; Georg Erbkam (architect); James Wild (architect); Joseph Bonomi (sculptor); Johan Jacob Frey (lower right)

Authentizität (Texte im Museum 85)




Heeresgeschichtliches Museum Wien

Fundsache: "Die ganze Nofretete"

"United Nefertiti"


           

Donnerstag, 29. Juli 2010

Zur freien Entnahme (Texte im Museum 84)


Heimatmuseum Absam / Tirol (2010)

Lazarisation (Museumsphysiognomien 8)


Der Zug der Tiere im Pariser Muséum d' Histoire naturelle gehört zu den einprägsamsten 'Bildern', die die jüngere Museumsgestaltung zu bieten hat. Es gab zwei wesentliche Inszenierungsformen der Fauna in Naturmuseen: die Aufstellung nach Spezies und Arten, der wissenschaftlichen Klassifikation folgend. Ein Beispiel sind bestimmte weitgehend original erhaltene Säle des Naturhistorischen Museums in Wien. Und eine ambientale Aufstellung, bei der die natürliche Umgebung der jeweiligen Tierarten simuliert wurde. Das konnte im kleinen Maßstab einer angedeuteten Szene ebenso geschehen wie in enorm aufwendigen und kunstfertigen Dioramen, für die die im New Yorker Naturmuseum das berühmteste Beispiel sind.
In Paris ging man einen dritten Weg (nicht zufällig war ein Filmregisseur Autor der Installation) und gruppierte die sorgfältig präparierten Tiere als Zug, der sich im großen Bogen durch die riesige, zentrale Halle des Museums bewegt. Alles was tapsen, schleichen, trampeln, kriechen, staksen kann, bewegt sich in eine Richtung. Die großen Tiere vorne (wie immer), die Elefanten.
Das Bild ist paradox, weil sie den toten Tieren Lebendigkeit zurückgibt, Bewegung, Aufbruch. Sie stehen uns nicht gegenüber als vitrinifizierte Exempla, sondern als vergesellschaftete Individuen, die gemeinsam eine Aufgabe haben.
Eine Aufgabe? Ja - jeder (jeder?) erkennt, daß es sich um das 'Bild', die 'Metapher' der Arche Noah handelt. Also um jene Tiere, die, zusammen mit dem Menschen, das Überleben der Gattung wie der Welt sicherten. In gewisser Weise beansprucht ja auch das Museum, so etwas zu sein. Ein Hort der Dinge, deren 'Überleben' gesichert wird, auf lange, unbestimmte (?) Dauer. Mit dem Museum der Moderne kommt dann - mit dem Begriff der 'Geschichte' und dem der 'Gattung Mensch' -, tatsächlich die Denkfigur dazu, daß alles Einzelne, Individuelle im Gattungszusammenhang gleichsam aufgehoben ist und bleibt, und sei es 'nur' als Erinnerung. Es mag untergehen, verschwinden, sterben, geopfert werden - immer bleibt es in das Ganze der Gattung eingeschrieben.
Das Bild der Arche Noah wird auf das Sammeln seit dem 16. Jahrhundert und später auf das Museum angewendet. Die Tradescants verstanden ihr Haus und ihre Tätigkeit ganz im Sinn des rettenden Tradierens und des Weitergebens, ganz praktisch, wenn es um exotische Pflanzen ging, die man in England erfolgreich ansiedelte und vermehrte.
Im modernen Museum fungiert das Bild der Arche, und so ist es wohl in Paris in erster Linie gemeint, als Metapher für das Museum als Ort der dauerhaften Bewahrung bis in die Zukunft hinein. Indes besitzt diese Vorstellung eine prekäre Ambivalenz. Denn generell kommen 'die Dinge' nur ins Museum, um den Preis ihres Funktions- und meistens auch des Bedeutungsverlustes (um dort mit anderen, neuen Bedeutungen ausgestattet zu werden). In diesem Sinn ist das Museum nicht nur Arche sondern Mausoleum, eine Grabstätte der toten Dinge, bzw. der Dinge, deren Tod die Bedingung für ihre 'Museumswürdigkeit' ist.
Nur wenige Schritte vom Muséum d' Histoire naturelle kann man einen alten und authentisch erhaltenen Teil des Museums besichtigen, die Galerie de paléontologie et d’anatomie comparée (hier, in diesem Blog), deren Versammlung der Skelette einem diese Tatsache unverblümt, vielleicht auch erschreckend zu Bewußtsein bringt. Auch das ist ein Zug, aber nun unzweideutig einer der toten oder gar der ausgestorbenen Lebewesen und sie bilden einen Leichenzug. Man kann den aber auch anders lesen, nämlich so, wie man eigentlich den neuen im Haupthaus lesen soll, nämlich als Galerie d' Evolution. Denn an der Spitze des Zuges befindet sich der Mensch, als, wie man so sagt, Krone der Schöpfung, mit dem Rücken zu den Totenwesen, die ihm folgen…
Das will uns das neue Bild im Haupthaus nicht zumuten. Wie in einem Wiedererweckunsakt, einer durch Wunder bewirkten lazarisation, kommen sie hier noch mal auf die Beine, all die Tiere, auch wenn sie überwiegend aus Plastik, Gips, Draht, Stoff bestehen und kaum noch aus - einst lebendiger - organischer Materie.
Ein wenig ist das auch eine Legitimation der Institution: wir bewahren - und deswegen sind wir auch ein 'lebendes Museum'. Eine schöne museologische Notlüge (weitverbreitet).
Nur. Wohin ziehen all diese Tiere? Nun, aus dem Museum raus.
Nur dort scheint es 'Überleben', wenn nicht 'Erlsösung' zu geben…

Normal / Abnormal (Texte im Museum 83)


Het Dollhuis, Den Haag

Mittwoch, 28. Juli 2010

Fundsache: "Ein Herrenabend"

Große Berliner Kunstausstellung 1924

Schön langweilig (Texte im Museum 82)


Besucherbuch Albertinum Dresden

Causeries du lundi

Und es gibt sie doch! Die ‚österreichische Museumskritik‘!
Man könnte ja manchmal verzweifeln, wie stark die Massenmedien auf einige wenige Modi der Museumsberichterstattung fixiert sind. Skandalisierung – sowieso. Personalisierung – ein Volkssport. Fixierung auf die Wiener Museen – eh klar. Verzicht auf gründliche Recherche und analytische Auseinandersetzung – im atemlosen Tagesgeschäft kaum anders denkbar.
Eine rühmliche Ausnahme war und ist die Stadtzeitung FALTER, wo Matthias Dusini nicht nur über Ereignisse berichtete oder Debatten nachzeichnete, sondern selbst welche anstieß. So z.B. bei der Benin-Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum, wo er seine Beiträge mit Einladung an diverse Experten zum Forum erweiterte und eine Diskussion intiierte.
Besonders vermissen ich und viele meiner Freunde, wie wenig Ausstellungskritik es gibt. Sie erschöpft sich meist im (Künstler)Biografischen oder in einer Art Nacherzählung, sehr selten werden mediale, performative und museologische Aspekte referiert. Davon hängt aber letztlich die Qualität von Ausstellungen ab. Noch mehr gilt das für Museen und ihre Dauerausstellungen. Bei Neugründungen von Museen kann man Wetten abschließen, daß überwiegend die Architektur berichtet wird, allenfalls über die Sammlung, aber kaum über das „wie“. Also über die Art und Weise, wie etwas gestaltet, erzählt wurde, mit welchem Ziel und welchen Interessen, an wen man sich adressiert und was daran mehr oder eben auch weniger gelungen erscheint.
Man muß nur mal den Stand der Filmkritik mit dem der Museumskritik vergleichen…
Erst kürzlich wurde ich auf Texte und Glossen aufmerksam, die sich kurzweilig und pfiffig ins Tagesgemenge einmischen und im essayistischen Zugriff auf strukturelle Fragen eingehen. Causeries du Lundi werden von Vitus H. Weh und Walter Fritz zu Ausflügen in die Kultur- und Museumswelt genutzt. Da geht’s schon auch mal gegen Personen. „Nun ist der stilbewusste Noever sicher kein Rechter, wohl eher eine Art Freigeistanarcho mit generations- und genderbedingtem Hang zu Kampfrhetorik, dem es gelingt, in seinen wechselnden kulturpolitischen Gegenübern die Sehnsucht nach dem wilden, ungestümen Künstler hervorzurufen.“ (M. Fritz) Aber eben nicht nur.
Da wird aus dem Stutzen vor einer ‚Selbstverständlichkeit‘ eine mäandernde, anregende Überlegung zum Museum. „Ist von einem Museum der Moderne oder einer Galerie der Gegenwart die Rede, so meint man damit nicht ein Haus für eine bestimmte Epoche, auch nicht eines für die aktuelle Ethik, Politik oder Alltagskultur einer Gesellschaft, und auch nicht für die neuesten Technikentwicklungen. Das alles wäre zwar nahe liegend, gemeint ist aber immer ein Haus für die bildende Kunst. Erstaunlicherweise werden die gegenwärtigen Zeugnisse der bildenden Kunst also pars pro toto für die ganze Gesellschaft gesetzt. Praktiziert wird diese übertragende Bedeutung bereits seit einigen Jahrzehnten und ich finde sie tatsächlich äußerst merkwürdig.“ (V. Weh)
Hier findet sich eine Auseinandersetzung mit einer reichlich spröden und unerquicklichen Diskussion zur ‚Museumsordnung‘ und zu einem no-go-Thema, das überhaupt nur hier auftaucht, Arbeits- und Entlohnungsverhältnisse an Kulturinstitutionen: „Punktuelle Einblicke. Verdienen im Museum“.
Am Beispiel des Folkwang Museums wird historisch vertieft über die Musealisierung der Moderne sinniert, oder mal ein überraschendes Lob auf Privatsammler angestimmt.
Causerie ist eine unterhaltsame, gebildete Plauderei in literarischer oder geselliger Gestalt. Das sagt Wikipedia. Die müssen Fritz & Weh meinen. Causeries du lundi sind indes eine Essay-Sammlung Charles-Augustin Sainte-Beuves (1804-1869). In 28 Bänden erschien die noch zu Lebzeiten des Autors. Sie brachte ihm eine Professur ein, die Ernennung zum Senator und bleibende Berühmtheit. Mögen die beiden Autoren mit ähnlichen Segnungen davonkommen!
Die Causeries sind ein fixer Bestandteil einer umfangreichen Webseite ARTMAGAZINE , wo sich nicht nur viele nützliche Nachrichten aus der Kunst-, Ausstellungs- und Museumswelt finden, sondern weitere kritische Stimmen, z.B. eben zur Wiedereröffnung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf  oder, weit weniger brav, zur Aktualität der Frage der Guerilla-Girls , „Do women have to be naked to get into the Met Museum?“ aus Anlass der Werbelinie der Kunsthalle Krems.
PS.: Übrigens - falls Sie einen aus Marmor gefertigten Hund aus dem späten 2. Jhd. n. Chr. brauchen und 218.400 Pfund haben, auch da hilft ARTMAGIZENE. Mit Sammlertipps.

Dienstag, 27. Juli 2010

Lichtschrift an der Wand (Texte im Museum 81)


BA Kunstforum Wien

Conciergerie - Ort zweier Gedächtnisse

Vermutlich verirren sich nur wenige Pariser Museumstouristen hierher: in die Conciergerie, eine unübersichtliche Raumflucht im Palais de la Cite an der Seine. Hier befinden sich - ansehnliche - Reste der Königsburg des 14. Jahrhunderts und einer der ersten Eindrücke nach dem Betreten dieses 'Museums', das eher ein Gedächtnisort ist, ist eine riesige, eindrucksvolle mittelalterliche Pfeilerhalle - Salle des Gens d'Armes.
1391 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet (was es bis 1914 blieb), und die Conciergerie erlangte eine spezielle Berühmtheit, als in der Französischen Revolution hier das Revolutionstribunal tagte und die zum Tode verurteilten in den Gefängniszellen festgehalten wurden - 'Vorzimmer der Guillotine' nannte man sie.
Marie Antoinette verbrachte hier die Zeit vor Ihrer Hinrichtung und so wurde der Ort zu einer der königstreuen Verehrung. Wie in Meyerling das Zimmer des Selbstmordes abgebrochen und durch eine Kapelle ersetzt wurde, so scheint man auch hier in einer Löschung aller materiellen Spuren den einzigen Ausweg aus einer nachhallenden Traumatisierung gesehen zu haben. An der Stelle der Gefängniszelle Marie Antoinettes wurde eine Kapelle errichtet, ein Gedächtnisort der königlichen Familie und des Königtums überhaupt.
Nur durch verwinkelte Treppen und Zimmer getrennt gibt es hier indes auch die Erinnerung an die Revolution und Revolutionäre, vor allem an die, die ebenfalls hier als Verurteilte auf ihre Guillotinierung warteten, wie z.B. Georges Danton.
Auf merkwürdige Weise durchkreuzen sich hier zwei Erinnerungsmilieus, zwei ideologisierte Erinnerungsströme, dies zudem in den verschiedenartigsten Modi der Musealisierung. Marie Antoinettes Zelle ist zum Verschwinden gebracht, eindrucksvolle Porträts der Revolutionäre lassen die zentralen Persönlichkeiten der Revolution in einem ganz anderen Authentizitätsgrad erscheinen, während die tatsächlich einigermaßen originalen Zellen, wie in einem Panoptikum mit Figurinen und 'Ausstattung' wie in eine cinematografische Illusionistik getauchen werden.
Weltgeschichte kommt auf einen hier als Panoptikum, Dokumentation, lieu de memoire, Leerstelle, 'Museum' zu, in ebenso verdichteter wie labyrinthischer Form. Nationales Gedächtnis als Palimpsest miteinander verklebter Seiten…und die gegnerischen Parteien wie in in einem Remix, versöhnt-unversöhnt, unentschieden in ihrer verqueren Nachbarschaft.

Sonntag, 25. Juli 2010

Warum gerade hier? (Texte im Museum 80)


Dresden, Stadtmuseum 2010

Orientalische Pracht in Zeiten der Islamophobie (Dresdner Fragmente 2)

"Orientalische Pracht".
Die wohl meistverwendete Formel in den Reaktionen der  Tagespresse auf die Eröffnung der Türckischen Cammer

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hofft mit der neuen Ausstellung auf intensivere Beziehungen zur Türkei. „Ich bin sicher, dass dank der Türckischen Cammer neue Kontakte zwischen Sachsen und der Türkei geknüpft werden, die über die Kultur hinausgehen“, sagte er. Die
sächsische Kunstministerin Sabine von Schorlemer(parteilos) nannte die Schau „ein Zeichen von Weltoffenheit Dresdens und Sachsens“.

Dresden hatte im letzten Jahr mehrfach unter einem negatives Presseecho zu leiden, nicht zuletzt wegen dem rassitsiche und islamfeindlichen Mord an der Muslima Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht durch einen deutschen Spätaussiedler.

Die neue Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen ist mit ihren rund 600 Stücken des 15.bis 19. Jahrhunderts auf 750 Quadratmetern die umfangreichste Sammlung osmanischer Kunst Deutschlands. Sie soll auch Einblicke in historische deutsch-türkische Verbindungen bieten.
islam.de 25.07.2010 http://islam.de/15446.php


Die Eröffnung der "Türckischen Cammer" vollzieht sich in der Logik der Entwicklung der Dresdner Staatlichen Museen: so weit es möglich ist, die barocken Sammlungen in ihrer ursprünglichen Zusammengehörigkeit und Identität zu rekonstruieren. Daß das museologisch gesehen ein 'Rückschritt' ist, hinter moderne Möglichkeiten musealer Präsentation und Neudeutung, wird in Kauf genommen und ist angesichts des Überlieferungsstatus mancher Sammlungen plausibel wie wegen der Fülle historisch und ästhetisch hochwertiger Objekte verständlich. Daß der inzwischen komplett veränderte Kontext, in dem diese Sammlungen gezeigt und gesehen werden, nicht vernachlässigbar ist, zeigt sich an der "Türckischen Cammer".
Abb.: v.l.n.r.: Martin Roth, Generaldirektor Dresdner Staatliche Museen, der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle und der Chef des Gruenen Gewölbes, Dirk Syndram.
Die Pressereaktionen nahmen dankbar die vom Museumsmarketing vorgegebene Legitimation auf: hier handle es sich kaum um Beute, nicht um prunkvolle Entfaltung militärisch-politischer Überlegenheit, sondern um einen Austausch der Kulturen, in der 'der Andere', der 'Feind' und 'Fremde' in der Übernahme von Versatzstücken seiner Kultur anerkannt wurde.
In diesem Sinn sprach mit einer aufwändigen Campagne potentielle Besucher an, mit, wie das heute so dezent heißt', 'Migrationshintergrund'. Und einer Tageszeitung entnehme ich, daß jemand 4,5 Millionen mit Ausstellungswerbung bedruckte Döner-Tüten herstellen ließ.
Was man zu sehen bekommt, ist eine Sammlung, Teil der Rüstkammer, deren früheste Stücke aus dem 16. Jahrhundert stammen, eine Sammlung, von der man betont, daß sie überwiegend durch Schenkung und Kauf und kaum durch Beutemachen zusammenkam.
Daß man einerseits den alten Begriff "Türkische Cammer" als offizielle Benennung wählte, was schon durch die Schreibweise auf historische Distanz verweist, andrerseits Döner-Tüten drucken lässt, um den Anschein zu erwecken, es ginge hier auch um multikulturelles Engagement, lässt den Spagat sichtbar werden, den man hier macht.
In schwarzen Räumen inszenierte, durch Lichtregie auratisch aufgeladene und übercodierte Objekte mit karger Beschriftung vermitteln zuallererst eins: eine fürstliche Prunksammlung, die der Repräsentation der Macht diente. Nicht nur die Stücke, die aus den Türkenkriegen, z.B. der Belagerung Wiens stammen, vermitteln das, sondern auch die Souveränität, mit der man nach der endgültigen Überwindung der 'Türkengefahr' die Kultur der Osmanen assimilieren konnte.
Wenn man durch die (wenige Räume umfassende) Sammlung geht, ist man hin- und hergerissen zwischen der Bewunderung der Dinge (die durch die Inszenierung forciert wird) und dem Befremden über die Anmutung, sie auch als dialektische Auseinandersetzung und Anerkennung des 'Anderen' gebrauchen zu sollen. Ohne den anderen einzubeziehen, in welcher Form auch immer (ich meine nicht die buchstäbliche Partizipation, sondern z.B. osmanische Sichtweisen auf die Europäer), geht das nun mal nicht.
Auch das was man Türkenmode nennt (hier ein Video mit einem kurzen Statement des Leiters, Dirk Syndram), ist Mimesis des Feindes, aber hier immer nur denkbar und vorausgesetzt als besiegter.
Die rekonstruktive Haltung scheint nicht zuzulassen, die Geschlossenheit des Ensembles und seiner Präsentation mit Verweisen auf die Geschichtlichkeit der Musealisierung zu 'stören'. Die kriegsbedingte Auslagerung und der folgende 'Beutestatus' - die Verlagerung in die Sowjetunion und die Rückgabe Ende der 50er-Jahre - werden, wenn ich es nicht übersehen habe, nicht thematisiert. Über die Kosten und den Aufwand der auch dadurch bedingten Restaurierung spricht man wie von einer selbstverständlich den 'Dingen geschuldeten' Sorg- und Aufmerksamkeit; aber wie das ganze Projekt, tendiert auch das Kolportieren solchen finanziellen, technischen und handwerklichen Aufwandes dazu, das was sich 'dahinter' befindet unsichtbar zu machen.
Staunen? ja, gerne! Aber Blindmachen? Nein danke.

Samstag, 24. Juli 2010

Bedienungsanleitung für das Grüne Gewölbe (Texte im Museum 79)

"Die Idee des Museums ist in der Krise." Ein weiterer großer Direktor spricht...

"Wir vermieten unseren Prunksaal nicht für Pornos". Die Wucht dieses Satzes überzeugt uns auf der Stelle von der hohen Moralität des Herrn Direktors. Wenns ums Geld geht, kann mans ja auch woanders herbekommen: "Man muss für jede Unterstützung dankbar sein. Die Sammlung von Emil Georg Bührle, der mit dem Rüstungsbetrieb Oerlikon sein Geld gemacht hat, ist auch ein Fall, bei dem es immer wieder Debatten gegeben hat. Jetzt erhält die Kollektion beim Kunsthaus Zürich ein eigenes Gebäude." Das überzeugt. Man führt einfach das Aufgeben moralischer Maßstäbe als Beweis dafür an, daß das Aufgeben moralischer Maßstäbe richtig ist. Herr Direktor nimmt den Namen Batliner nicht in den Mund.
Am Geld liegts also nicht. Die Krise liegt am Touristen. Und zwar dem Sacher-Touristen: "Die Touristen bleiben aus. Wer am Wiener Flughafen oder im Hotel Sacher nicht ankommt, kann auch nicht in die Albertina gehen."
Aber, so Direktor S., die Museumskrise ist "nicht unbedingt nur eine Finanzkrise. Die gibt es ja in anderen Branchen auch. Die Idee des Museums ist in der Krise."
Wie sein Kollege Generaldirektor in Dresden entdeckt S. da etwas: die Museen selbst sind (mit)schuld an der Krise. "Das Museum der Gründerzeiten des 18. Jahrhundert und der Blütezeit des 19. Jahrhunderts ist an ein Ende gekommen. (,,,)Das Publikum will (…) entschieden konzipierte Ausstellungen. (…). Das Museum als Identifikationsmedium einer Pseudoelite ist im 21. Jahrhundert nicht mehr lebensfähig."
Während wir darüber nachdenken, was das denn nun eigentlich heißen soll und ob das stimmt, halbwahr oder bloß so dahingesagt ist, greifen wir zum nächsten Strohhalm, den uns Direktor S. zur Lösung der Frage Museumskrise, aber welche? hinhält: "Die Kunsthallen und Kunstvereine sind dabei, vollkommen zu verschwinden. Wenn sie Gerhard Richter oder einen Jonathan Meese fragen, ob er lieber im Baden-Württembergischen Kunstverein ausstellt oder in der Staatsgalerie, wird er sofort das Museum wählen."
So sehen wir uns betroffen und alle Fragen sind - offen. Das ganze Gespräch, das Paul Jandl mit Klaus Albrecht Schröder geführt hat, finden sie in der WELT vom 10. Juli 2010

Inventare imaginär (Texte im Museum 78)



450 Jahre Zukunft. Jubiläumsausstellung der Staatlichen Dresdner Kunstsammlungen. Historische und aktuelle Inventare in Wandprojektion. jangled nerves

"450 Jahre Zukunft". Dresdner Fragmente (1)

450 Jahre Zukunft. Unter diesem Motto feiern die Staatlichen Dresdner Kunstsammlungen ein Jubiläum. Gestützt auf eine einzige archivalische Angabe rechnet man sich 450 Jahre Sammlungsgeschichte an und damit eine distinktionsmächtige Institutionenkontinuität.
Gezeigt wird die Ausstellung in nicht restaurierten Räumen des Dresdner Schlosses, das nach und nach restauriert wird und in dem nach und nach Teilsammlungen rekonstruiert oder neu formiert aufgestellt werden: das berühmte Grüne Gewölbe, das so genannte Neue Grüne Gewölbe, die Türkische Kammer und andere.
Die Ausstellung spiegelt das Selbstverständnis des Dresdner Museumsverbundes als eine aus den fürstlichen Sammlungen hervorgegangene bedeutendste und älteste Kunstsammlung Europas.
Die Kuratorin der Ausstellung hat Objekte aus den Dresdner Sammlungen und Leihgaben um fünf Themen gruppiert, Schöpfung, Verlangen, Wissbegierde, Konfrontation, Ausstrahlung. In jeder dieser Gruppierungen werden Wissensbereiche, Kunstgattungen und Epochen gemischt und miteinander konfrontiert. In jedem Raum werden die Objekte auf einer 'Insel' aus Podesten mit Vitrinen und Wänden präsentiert, wobei die Synergien zwischen den Objekten von der Vereinzelung der Objekte - oft steht Einzelobjekt-Vitrine neben Vitrine - konterkariert wird.
Es gibt nur karge Objektbeschriftung, keinerlei anderen Text. Ich hatte das Vergnügen mit der Kuratorin durch die Ausstellung gehen und von Ihrem Wissen und auch von ihrer eindrucksvollen Identifizierung mit ihrer Arbeit profitieren zu können. Hier erschlossen sich mir mühelos Bezüge im Mikrogefüge der Rauminstallationen wie über Räume und Themenbereiche hinweg. Der Normalbesucher ist aber auf einen Audioguide angewiesen oder den Katalog, der aber als Ausstellungsführer nicht besonders praktikabel ist. Ich habe bislang keine Ausstellung gesehen, die so stark auf die mediale Vermittlung setzt.
Die Ausstellungsgestaltung (HG Merz) bedient sich einer konventionellen Präsentation, die die Aura des individuellen Objektes unterstreicht. Jeweils ein zentrales Podest taucht aus dem Dunkel der unrestaurierten Räume auf und hebt durch Platzierung und Lichtregie das Einzelne hervor. Staunen, ästhetischer Genuss, Bewunderung sind die angebotenen Modi der Wahrnehmung. So ist die Schau doch allererst eine Sammlungspräsentation, die ihren Reichtum und die Vielfalt grundsätzlich affirmativ zur Geltung bringt. Es ist ein kunsthistorischer Blick, der hier waltet und den man teilen soll.
Auch ohne Erläuterung entdeckt man viele Exponate, die Aufschlüsse über praktische, symbolische, politische usw. Bedeutungen vermitteln, doch ist der Preis für die ästhetisierende Präsentation aller Objekte als 'Kunstwerke' hoch. Motive, Zwecke, Wandlungen, Ansprüche des Sammelns kommen nur punktuell zum Vorschein. Selbst das suggestive leitende Motto verliert man schnell aus den Augen: was da immer auch schon an Zukunft in das Sammeln eingebaut war, wird einem für die lange Dauer der Sammlungsgeschichte nicht wirklich klar und schon gar nicht für die 'kommende Zukunft' der Sammlungen. Ein Einlassen auf sammlungspolitische und -geschichtliche Fragen hätte wohl den gewünschten Eindruck von Kontinuität und Kohärenz empfindlich gestört.
Die Ausstellung ermöglicht immer wieder den Blick nach draußen, aber sie lässt das Draußen kaum an einer Stelle herein. Die offensichtliche Fragmentiertheit, Brüchigkeit, Lückenhaftigkeit der Stadt, die sie trotz aller Aufbau- und Rekonstruktion-Bemühungen auszeichnet, hat keinen Widerhall in der Schau. Die schrundigen Räume sind ein Gefäß, nicht mehr, ohne die Bedeutung der Dinge tangieren zu dürfen. Bezeichnend ist, daß nirgendwo eine Interaktion von Bau und Schau versucht wurde. Die Rohheit der im Weltkrieg zerstörten, nur notdürftig praktikabel gemachten Räume, verweist auf doch einen von mehreren Brüchen in der Geschichte Dresdens. 
Ich möchte das Staunen, das die Ausstellung auslöst, nicht denunzieren und ich unterschätze nicht, wie sehr es Auslöser nachhallender Fragen sein kann. Aber ich habe mich hier und in anderen Sammlungen, die ich in Dresden gesehen habe, gefragt, in welchem Spannungsverhältnis die rekonstruktive und affirmative Haltung der Museen zur Wirklichkeit der Stadt steht. Anders gesagt: was es bedeutet oder was es bewirkt, wenn der fürstliche Glanz der barocken Stadt wiederhergestellt wird, wenn die tiefen Spuren des Weltkrieges, der DDR-Zeit, des bürgerlichen Historismus, des Wiederaufbaues nach der so genannten Wiedervereinigung nirgendwo gespiegelt werden.
Wie die Ausstellung rekonstruiert auch die aktuelle Museumsentwicklung die Sammlungen im Status, den sie als fürstliche, repräsentative 'Kammern' hatten. Das erscheint insofern legitim, als die Überlieferung der Objekte das zulässt. Wie wohl an keinem anderen Ort, kann hier der Glanz, der Reichtum, die handwerkliche und ästhetische Qualität der einzelnen Sammlungen, wenn auch manchmal nur fragmentiert und in neuer architektonischer Umgebung 'wiederhergestellt' werden.
Bei der Ausstellung wie bei der sukzessiven Wiedereröffnung der Sammlungen nimmt man offenbar gerne in Kauf, daß damit auch ein Stück fürstlicher, überwiegend barocker Repräsentation, im Vordergrund steht. Was sich mehr oder minder nahtlos in das Selbstbild Dresdens als glanzvoller historischer Metropole (das Bild, das auch dem Touristen nahegelegt wird) fügt. Dresden entwickelt sich, schien mir, gleichsam 'rückwärts' und wenn man durch die Stadt schlendert kann man zwischen historischen restaurierten und absolut moderne historisierenden und rekonstruierten Bauten gar nicht mehr unterscheiden. Neu wie am Tag ihrer Fertigstellung ist aber dieses Wiederhergestellte nagelneu, weil - vorläufig - ohne jede Altersspur. Die Lücken, die die Geschichte hinterließ, für viele Dresdner noch 'Wunden', werden aber durch die architektonische Mimikry nicht geheilt, sondern unsichtbar gemacht. Das schien mir auch an der Ausstellung problematisch.
Es sind paradoxe Wege, die man als Besucher durch Dresden nimmt. Das Schloss, teilweise noch beschädigt und geschwärzt von der Kriegszerstörung, fügt sich wie nahtlos in die Vedute des Altstadtkerns, wiewohl seine Architektur von bescheidener Qualität und zu ihrer Entstehungszeit ganz schön 'retro' war. Währen die Brachen mit ihren vergilbten Wiesen Leerstellen bilden, von denen man nicht sagen kann, aus welcher Zeitschicht sie eigentlich stammen: planierte Ruinenfelder, Bauerwartungsland heutiger Investoren, Überreste sozialistischer unvollendeter Stadtplanung.
In der Ausstellung werden zwar (mit höchst unterschiedlicher Gewichtung), die historischen Landmarks berücksichtigt, aber auch zu einer Kontinuität dort zusammengefügt, wo keine nachweisbar ist.
Das gilt auch für den Kern der Ausstellung: die 450 Jahre Sammlungsgeschichte als Legitimationsfigur für den heutigen Museumscluster, bilden mitnichten einen großen Entwicklungsbogen. Die Differenzierung von Sammlung und Museum (um nur eine grobe Unterscheidung zu machen) findet schon erst mal gar nicht statt, also auch nicht der Bruch zwischen fürstlich repräsentativem Sammeln und moderner Museumsidee.
Wollte man dem weder sozial- oder ideengeschichtlich nachspüren, so hätte man doch bemerken müssen, daß es sammlungsgeschichtlich auch nicht zusammenpasst. Spätestens 1832 war es definitiv vorbei mit dem enzyklopädischen Sammeln und neue Sammlungs- und Präsentationsparadigmen hatten sich auch in Dresden durchgesetzt. Wie auch anderswo verschwanden die alten Formgelegenheiten, die Kammern, Kabinette und Galerien ebenso wie die alten Typologien. Objekte und Sammlungsbereiche wurden neue aufgeteilt, neu gegliedert, neu arrangiert. Vieles wurde verkauft, verschenkt oder an andere Museen weitergegeben.
 So ist das erste Objekt, das man in der Ausstellung sieht, die Drahtziehbank Kurfürst August von Sachsens genau das nicht, wofür sie hier steht. Sie ist kein 'erstes' Objekt einer kontinuierlichen Sammlungsgeschichte, kein 'Gründungsobjekt' einer 450-jährigen Geschichte. Es ist eines der Objekte, die weggegeben wurden und nun als Leihgabe eines französischen Museums auf Zeit gezeigt wird. Es ist das Gegenteil dessen, was es in der Ausstellung ist - eben kein Objekt der Kontinuität, sondern, als Leihgabe, eines der Diskontinuität.

Freitag, 23. Juli 2010

Ordnung muß sein! (Texte im Museum 77)


Besucherordnung der Staatlichen Museen Dresden (2010)

Das Museum kann viel mehr! Aus der Reihe "Große Direktoren sprechen (nicht) über die Museumskrise."

"Was leistet das Museum heute für die gesellschaftliche Debatte?
Die offizielle Meinung dazu ist: Wir sind eine Institution, die sammelt, forscht und bewahrt. Aber die Wahrheit ist doch: Das Museum kann viel mehr! Im Museum sieht man nur die schönen Seiten des Lebens, da stimmt doch irgendwas nicht. Das Museum ist eine soziale Kohäsionseinrichtung. Wenn die Museen mal den Mut hätten, sich richtig auf die Bevölkerung mit all ihren Sorgen einzulassen, die Leute wirklich dort abzuholen, wo sie stehen, keine Angst mehr hätten, sich mit Alltagsthemen auch in die Niederungen zu begeben! Wir haben hier so viel Material, um Welten zu erklären, politische Zusammenhänge herzustellen - und trauen uns nicht ran. Das Museum als zutiefst soziale Einrichtung, das nimmt heute keiner ernst. Asche auf mein Haupt."
So spricht der Generaldirektor der Staatlichen Museen in Dresden, Martin Roth, in ART, 4/2010, dem eine Sonderbeilage zu 450 Jahre staatliche Kunstsammlungen Dresden beigefügt ist. Recht hat er. Warum beschäftigt sich kaum ein Museum mit der Gegenwart, mit dem Alltag, mit den aktuellen, drängenden, umkämpften Fragen. Und ja, das Museum hätte 'Material' für solche Debatten und auch Methoden jenseits des nur Ausstellens, Debatten anzustoßen, zu führen, mit seinen genuinen Mitteln zu visaulisieren und argumentieren. Und abermals ja, das Museum ist eine soziale Einrichtung, eine deren Qualität sich aber nicht darin erschöpft, Publikum anzuwerben und zu zählen, sondern die im und mit der dem Museum impliziten zivilisatorischen und öffentlichen Funktion arbeiten müsste. Und noch einmal ein großes Ja, traut Euch was! Wieso ist das Museum so kleinlaut, so irrelevant im öffentlichen Diskurs, an dem sich doch alle anderen kulturellen Einrichtungen beteiligen? Und auch ja: da stimmt was nicht! Aber was? Und auch ja: Asche aufs Haupt, Herr Roth, denn ihre Museumspolitik ist vom Gegenteil dessen gekennzeichnet, was Sie verkünden.

Abb.: Wolfgang Mattheuer: Sisyphos behaut den Stein. 1974. Derzeit zu sehen in der Jubiläumsausstellung der Staatlichen Museen Dresden Zukunft seit 1560

Warum...? (Texte im Museum 76)



Stadtmuseum Dresden (2010 Foto:GF)

Wally zurück! Alles gut?

Die Leopold Stiftung hat einen 'Vergleich' geschlossen. Sie zahlt viel Geld und behält das Bild. Neunzehn Millionen Dollar. Für das Bild, das in New York beschlagnahmt wurde, weil man es für Raubkunst hielt. Das Bild "Wally".

In 1911, Schiele met the seventeen-year-old Valerie (Wally) Neuzil, who lived with him in Vienna and served as model for some of his most striking paintings. Very little is known of her, except that she had previously modelled for Gustav Klimt and might have been one of his mistresses.The year 1915 marked a turning-point in Schiele's life. Some time in the previous year he had met two middleclass girls who lived opposite his studio. Edith and Adéle harms were the daughters of a master locksmith. Schiele was attracted to both of them, but eventually fixed his sights on Edith; by April 1915 he was engaged to her, and Wally Neuzil was rather cold-bloodedly dismissed. Schiele's last meeting with Wally took place at their 'local', the Café Eichberger, where he played billiards nearly every day. He handed her a letter in which he proposed that, despite their parting, they take a holiday together every summer - without Edith. Not surprisingly, Wally refused. She joined the Red Cross as a nurse and died of scarlet fever in a military hospital near Split in Dalmatia just before Christmas 1917. 
(Bild & Zitat hier)

Wie die FAZ berichtet, soll das Bild "vor seiner Rückführung nach Wien im New Yorker „Jewish Heritage Museum“ als „Erinnerung an Standhaftigkeit und Wille von Opfern und Überlebenden des Holocaust“ kurz ausgestellt werden. Auch auf seine Herkunft muss fortan in Wien hingewiesen werden: „Die wahre Geschichte des Bildes“, so die Anwälte, „wird nun kommenden Generationen erzählt.“
Schon zuvor wurden die ersten Beschlüsse der "Leopold Rückgabe Kommission" bekannt (hier im Wortlaut). Das ist erst der Beginn einer Aufarbeitung der Sammlung. Sie wird sich wohl zügiger vollziehen und schneller praktische Ergebnisse bewirken, seit der Sohn des Sammlers Leopold in einem Gespräch im ORF eine Haltungsänderung hat erkennen lassen.
Wie wenig damit, nicht nur in Bezug auf die Sammlung Leopold, "erledigt" ist, wird an einem Artikel in der heutigen NZZ deutlich, der eine kaum beachtete Entwicklung thematisiert. Die "Privatisierung der Restitution". Stephan Tempel (hier) macht auf eine Doppelgleisigkeit der Aufarbeitung aufmerksam, auf das Nebeneinander von staatlicher Aufarbeitung und - kostspieliger - privater.
Sein Kernsatz: "Dieser Konflikt zwischen öffentlichem Engagement und privatem Profit kennzeichnet weite Teile der Rückstellungswirklichkeit. Da gibt es auf der einen Seite die meist nur mit sogenannten Werkverträgen ausgestatteten Rechercheure, die systematisch und präzise die öffentlichen Sammlungen durchforsten. Die Auffindung von Rückstellungsberechtigten betreibt der Staat jedoch nicht selbst. Diese Arbeit überlässt er Genealogen und Anwälten, die sich vertraglich exorbitante Erfolgshonorare bei erfolgter Rückstellung sichern. Das ist jedoch nach österreichischem Recht verboten, denn hier ist das Anwaltshonorar über eine genaue Tarifordnung geregelt."
In diesem Sinn kritisiert die Israelitische Kultusgemeinde (hier), die Fortsetzung einer Praxis des Vergleichs und der Absprachen: "Restitution" sei "- auch im Sinne des Kunstrückgabegesetzes - die entgeltfreie Rückgabe von Kunstwerken bedenklicher Provenienz und kein 'dealmaking'".

Samstag, 17. Juli 2010

Bilanz (Texte im Museum 75)





Ganghofer-Museum Leutasch

Fundsache: "Hat Saussure den Gipfel des Mont Blanc nicht nur bestiegen, sondern auch geklaut?"









Man kann es drehen und wenden wie man will, was da auf dem Kärtchen mit der Objektbeschriftung steht, kann man nicht anders übersetzen als: Gipfelchen (topje ist das Diminutiv von top = Gipfel, und kann auch mit Zipfelchen übersetzt werden), vom Mont blanc 1787 abgehackt (oder: abgebrochen) von De Saussure.
Und dann sieht dieser im Teylers Museum in Haarlem ausgestellte Stein auch noch so aus, als wäre er die Spitze...
Der Schweizer Naturforscher Horace Bénédicte de Saussure hatte, im Alter von 20 Jahren, 1760 einen Preis für die erste Besteigung des höchsten Berges der Alpen, des Mont Blanc, ausgesetzt. Mit 47, nach mehreren vergeblichen Versuchen, wird er selbst auf dem Gipfel des Mont Blanc stehen, nur ein Jahr, nachdem der Berg erstmals erstiegen wurde. Es war dies die erst dritte dokumentierte Ersteigung des Gipfels.

Das Teylers Museum (hier gehts zur wunderschönen Webseite dieses wunderbaren Museums) hatte eine eignene Mont-Blanc Sammlung mit einem 1799 erworbenen Relief des Gebirges. 1802 erwarb man von Saussures Sohn diesen Stein. Saussure hatte angenommen, daß auf dem höchsten Berg auch das älteste Gestein zu finden sein müsse und deshalb brach er ein Stück - tja - vom Gipfel ab.

 

Freitag, 16. Juli 2010

Das Museum gegen das Vergessen... (Texte im Museum 74)


Ganghofer-Museum, Leutasch (Tirol)

Haus der Kunst? Haus der Geschichte?

Vor kurzem wurde ein architektonisches Projekt zur Erweiterung des Künstlerhauses in Wien vorgestellt. Diesem Projekt liegt eine paradoxe Situation zugrunde: um das Haus betriebswirtschaftlich rentabel erhalten zu können, soll es erweitert werden. Erst unter diesen Bedingungen kann es der Eigentümer, die Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, weiter betreiben. Nur gibt es keine konkrete Idee, was dort auf Dauer ausgestellt werden soll. Für das nahe WienMuseum, das das Künstlerhaus des öfteren für Ausstellungen genutzt hat, kommt es offenbar nicht in Frage.
Obwohl diese Nutzung durch den Verein ausgeschlossen wird, kommt in einem Bericht des Standard auch das Haus der Geschichte (Republikmuseum) vor. Dort wird die Vermutung mit dem Hinweis garniert, daß seit März 2009 eine Konzept-Studie vorliegt, die aber nicht veröffentlicht wurde.
Man kann annehmen, daß das für die Bundesmuseen zuständigen Ministerium deswegen nicht initiativ wird, weil ohnehin kaum die Mittel vorhanden sind, um die notwendigsten Maßnahmen in den vorhandenen Museen zu finanzieren.
Vielleicht ahnt man aber auch, daß bei Veröffentlichung des Konzepts erneut eine Kontroverse um Standort und Inhalt losbricht, die das Projekt schon bisher paralysiert hat. Denn anders als die Auftraggeber möglicherweise glauben, löst die Vergabe einer Studie an eine Expertin nicht das Problem, sondern verschiebt es auf den Zeitpunkt der ihrer Veröffentlichung. Denn Experte oder Expertin wofür? Der Stoff des Museums, die österreichische Zeitgeschichte, ist kontrovers. Es gibt keine Expertise, die von einem Punkt 'außerhalb' eine Entscheidung treffen kann. Das ist auch gar nicht wünschenswert. Es liegt in der Sache, daß sie kontrovers ist und weiter kontrovers debattiert werden muß.
Für eine antagonistische Debatte ist aber ein Museum an sich ohnehin der denkbar schlechteste Ort und deshalb hat die Idee, ein Haus der Geschichte oder ein Republikmuseum einzurichten, von Anfang an einen Webfehler.

Andacht. Nicht Kunst (Texte im Museum 73)



Tiroler Kaiserjägermuseum, Innsbruck (Bergisel)

Sonntag, 11. Juli 2010

Das Museum: eine europäische Idee mit globalem Echo (Was ist ein Museum? 08)

Die Behauptung (im letzten Post zu "Was ist ein Museum?"), die Museumsgründungen der Französischen Revolution hätten eine tiefgreifende Bedeutungsänderung dessen bewirkt hat, was das Wort Museum ab dieser Zeit bezeichnet, ist in dieser Zuspitzung eine sehr persönliche Sicht der Dinge. Mit der stehe ich aber nicht alleine da und in  der sehr langen Beschäftigung mit dem Thema ist meine Überzeugung gewachsen und haben sich die Argumente vermehrt, die die Jahre 1792 bis 1794 als tatsächliche Zäsur erscheinen lassen.

Aber die Museumsgeschichtsschreibung bevorzugt, namentlich die des Louvre, eher eine Darstellung als Kontinuität. Demnach wären die Jahre, in denen der Französische König, auf Druck der Öffentlichkeit, einen Teil seiner Gemäldesammlung zeigte, der erste Baustein zum Museum im Louvre gewesen, aus dem sich die spätere Gründung eines Museums im Louvre gleichsam zwingend und organisch entwickelt hätte. Wer die große historische Ausstellung zur Geschichte im Louvre selbst besucht, die dem Bau und dem Museum gewidmet ist, der wird kaum erkennen, daß da so etwas wie eine Revolution überhaupt stattgefunden hat und auch nicht, wie sehr sie die Museumsgründung im Louvre und die Idee des Museums generell beeinflusst hat.
Gerade weil es keine kontinuierliche und zielstrebige königliche Politik zur Etablierung eines öffentlichen Museums gab, und Paris keine anderen europäischen Metropolen vergleichbare Institution besaß, wurde die Museumsgründung vom 10. August 1793 (dem Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien) zum revolutionären politischen Akt und das Gegenteil einer bloßen Weiterführung königlicher Initiative. Ganz im Gegenteil: es war ein der vielen symbolischen Akte, die zur Gründung der Republik gehörten und wer die Galerie d'Apollon betritt, findet über dem Eingang die Inschrift, die die Museumsgründung als Initiative des Parlaments des Jahres II würdigt.

Das Neue und Bahnbrechende der Gründung spiegelt sich unter anderem in einer paradoxen Reaktion auf den Bilderraub der Revolution. Die militärische Expansion der Französischen Armee wurde von Experten begleitet, die aus bedeutenden Sammlungen wertvollste Kunstwerke nach Paris bringen ließen. Eine der unglaublichsten Aktionen war wohl die Demontage der antiken Quadriga von San Marco in Venedig und ihr Transport nach Paris. Während dieses einzigartige Objekt bald wieder restituiert wurde, blieben viele andere Werke (bis heute) in den Sammlungen des Louvre. Dennoch war der Louvre sofort ein Magnet für die Bildungsschicht vieler europäischer Staaten, die dieses neuartige Museum bewunderten und seinen Ruhm literarisch verbreiteten. Wie rasch das ging, und wie bedeutend man das und andere Pariser Museen einschätzte, kann man z.B. an ungewöhnlich umfangreichen Lexikonartikeln ablesen, die bald nach der Gründung des Musée Napoleon im Louvre ediert wurden. Lexika, mit denen ein Wissen ja kanonisiert und verbindlich wird, waren aber natürlich das einzige Echo. Von Wilhelm von Humboldt sind erstaunte und analytische Zeilen z.B. zum Musée des Monuments Française erhalten. Daß beim Museum, das für die Königliche Sammlung in Berlin errichtet wurde (1830 eröffnet; heute: Altes Museum), Erfahrungen der Französischen Gründungen verarbeitet wurden, ist evident. Vorsitzender der Kommission, die das Konzept entwickelte war - Wilhelm von Humboldt.

Doch der Einfluss auf die europäische Entwicklung war auch sehr direkt. In den von Frankreich annektierten Gebieten wurden nicht einfach nur Galerien und Sammlungen geplündert, um damit den Louvre zu bereichern, sondern es wurden auch Museen gegründet und entwickelt, bzw. unmittelbar - von der politischen Entwicklung getragen - beeinflusst und inspiriert. Darunter sind illustre Museen, wie der (als Naturmuseum errichtete) Prado in Madrid, die Accademia in Venedig, die Brera in Mailand, das Rijksmuseum in Amsterdam, das Kunstmuseum in Brüssel. Gelegentlich ging der Bildtransfer auch den entgegengesetzten Weg. 36 Gemälde, die aus dem Louvre nach Mainz geschickt wurden, bildeten 1803 den Grundstock für eine Museumsgründung.

Noch breiter war der indirekte Einfluss. Daß Museen so etwas wie einen Staatsnutzen haben können - etwa in der Förderung der verschiedenen Wissenschaften -, das galt schon für vereinzelte Gründungen aufgeklärter Fürsten, aber das Hinzutreten einer kollektiven identifikatorischen Aufgabe, im Sinne der Stiftung eines Landes- oder gar Nationalbewusstseins, das ist neu. Neu ist auch, die Sphäre der Öffentlichkeit, die den Resonanzraum des Museums bildete, idealerweise als nicht begrenzt anzusehen. Mit anderen Worten: Die Nutzung des Museums als Recht für jedermann zu deklarieren. Das war aber nicht das Ziel des Museums, sondern die Bedingung, sich als Staatsbürger zu bilden, nicht zuletzt im Interesse des Staates selbst. Dieses Ziel stand im Zentrum der Konzeption, des 1830 eröffneten Museums am Lustgarten in Berlin. Der Anlass zu seiner Entstehung war die feierliche Rückführung der in der napoleonischen Zeit geraubten Kunstwerke von Paris nach Berlin. Das lässt Museumsprojekt einerseits als so etwas wie ein gegenrevolutionäres Projekt erscheinen, aber andrerseits ist es als Ort der Humanisierung der Nation vermittels der Humanisierung seiner Bürger (Hermann Lübbe) tief den Pariser Gründungen verpflichtet.

Das Museum ist in dieser Hinsicht ein europäisches Modell. In der Zeit zwischen etwa 1770 bis 1830 setzt sich eine moderne Idee des Museums durch, die nicht nur bis heute (oft subkutan, fragmentarisch, mißverstanden, entstellt, aber doch nachhaltig) unsere Vorstellung vom Museum bestimmt, sondern die auch eine weltweite Erfolgsgeschichte wird. Dieses Modell unterscheidet sich von allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns und Hortens, Ausstellend und Schaustellens. Keine andere Kultur hat je die - durchaus merkwürdige - Vorstellung ausgebildet, Objekte auf unbestimmte Dauer zum Zweck der Betrachtung aufzuheben und auszustellen.
Aber in dieser Idee bleibt - und das macht das Museum der Moderne noch einmal zu einem genuin europäischen Projekt - eine Idee lebendig, die damals als ebenfalls einzigartig, die antike griechische Kultur im 8. Jahrhundert vor Christus hervorgebracht hat: die Idee einer kollektiven Erinnerungs- und Erzählinstanz - die Musen und das Museion.

Die Verbreitung dieser Idee in der Französischen Revolution erfolgt 'sofort' in allen Weltgegenden noch in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Unser "neuntältestes Museum" in Kalkutta gehört hierher ebenso wie die Gründungen der unabhängigen Staaten von Amerika, die ersten Museum in Australien, Südamerika und Afrika. Daß es dabei eine quantitative Differenz der Entwicklung gibt ist evident. Sie hat aber weniger geografische oder kulturelle Gründe, sondern der wichtigste Indikator für den quantitativen Entwicklungsstand und die spezifische nationale Bedeutung von Museen, hängt eng mit dem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen. Das gilt für unterschiedliche Museumstypen unterschiedlich stark und ist - dazu existieren gute Statistiken -, am extremsten bei Museen moderner bzw. zeitgenössischer Kunst. Sie wurden und überwiegend in den hochentwickeltsten Regionen industriell potenter Staaten errichtet, Kanada, Japan, USA, Europa. Zur Illustration dieser Behauptung kann man auf den eben anlaufenden Boom von Museumsgründungen in China verweisen, der ganz offenbar mit der wirtschaftlichen Entwicklung eng zusammenhängt. 1000 Museen sollen in nur 10 Jahren errichtet werden!

Wenn ich die Rolle der Museumsgründungen in der Französischen Revolution so nachdrücklich betont habe, dann bedeutet das nicht, das damit ein umfassender Bruch vollzogen worden wäre und ab dieser Zeit nur ein einziges Modell Geltung hätte. Auch hier gibt es eine Dialektik von Kontinuität und Bruch. Einerseits gibt es Elemente früherer Entwicklungen, die im neuen Museumsmodell tradiert werden, umgeformt, neu codiert, in neuen Konfigurationen neue Bedeutung erhaltend. Andrerseits existieren ältere Formen des Sammelns, Ausstellend weiter, und das Nebeneinander sehr heterogener Formen, das gilt bis heute. Die strikt private, extrem exklusive Sammlung steht neben dem öffentlichen Schaumuseum, das Wissenschaftsmuseum mit seinen Forschungsobjekten neben der fürstlich-repräsentativen Sammlung (z.B. des englischen Königshauses), das Vereinsmuseum neben der Kunsthalle des Großkonzerns.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Sieh! (Museumsphysiognomien 7)



Ein trüber Tag am Bodensee, eine rotige Eisenplatte mit rechteckigem Ausschnitt, ein Text. Schau! Sieh! Aber was? Die Platte ist ein Wahrnehmungspaasepartout, wohin sie den Blick lenkt, ob sie überhaupt einen bestimmten Punkt anvisiert, ist unklar. Es geht wohl eher um den Bodensee. Er ist das Gemeinsame der Identität. Wessen? Der Bodenseeländer. Hm.
Sehenswürdigkeit entsteht mit dem Massentourismus. Das bahnbrechende englische Reiseunternehmen Thomas Cook erfand die Standardisierung der Reise, ihrer Ziele, der aufgesuchten Orte, der Monumente, der Wege und der Zeit. Was würdig ist, angesehen zu werden, besichtigt zu werden, unterliegt nicht mehr individueller Neigung, Zufall, Ratschlägen, sondern einer vorgängigen Festlegung, die die Notwendigeit der Würdigung und den Wert der Sache schon stillschweigend voraussetzt.
Das kann auch in ebenso standardisierten Bildern, den Drei Zinnen, dem Niagarfall, dem schiefen Turm von Pisa, reproduziert, erwartbar und wiederholbar gemacht werden.
Auch der Blick auf den Bodensee ist vorgestanzt, in Eisen. Aber da es nicht wirklich etwas Erkennbares zu sehen gibt, die Wasserfläche, ein Stück Uferlinie, geht es hier um Performanz. Der Bodensee stiftet Identität. Das sollst Du 'sehen', eine Behauptung, anonym und autoritär, aber es ist Dein Blick.
Es geht hier zu wie im Museum: was Du siehst ist a) wahr b) beständig c) wert, gesehen zu werden. Soviel steht fest. Darüber musst Du nicht mehr nachdenken. So etwas nennt man auch: Musealisierung.
Der (die) Autor(en) des Textes sind sich der Überzeugungskraft seiner Performativität nicht sicher gewesen; wie wäre anders das unsinnige "gemeinsame" vor die "Identität" geraten. Also obacht, vor allen, die das Wort Identität als Beschwörungsformel in den Mund nehmen!

Die nicht gewürdigten Verdienste des Rudolf Leopold

Die Nachrufe auf den Sammler Rudolf Leopold in den österreichischen Zeitungen und in der internationalen Presse halten sich an das Gesetz, über Tote nichts Schlechtes zu sagen. Kritik wird in Watte verpackt, zwischen den Zeilen versteckt. Im übrigen bedient man sich meist der von den Nachrichtenagenturen vorgestanzten Textbausteine. Wirklich Neues oder Überraschendes liest man nirgends.
Zwei 'Verdienste' Rudolf Leopolds habe ich nirgends erwähnt gefunden. Es sind Verdienste, die er nicht absichtsvoll erworben hat, sondern die Effekte seiner Interessen und Handlungen waren.

Da ist zum einen das sogenannte "Museumsquartier". Der dazu seinerzeit ausgeschriebene Wettbewerb brachte ein Siegerprojekt hervor, das allgemein sehr wohlwollend, wenn nicht enthusiastisch begrüßt wurde. Städtebaulich wurde es als offensive und sebstbewußte Auseinandersetzung mit der historischen monumentalen Bebauung der Nachbarschaft gewürdigt, architektonisch als Ensemble kontrastierender Module, die flexibel nutzbare öffentliche Räume definierte, inhaltlich als Aufbruch in eine nicht mehr herkömmlicher Musealität gehorchender Repräsentanz aller modernen Künste und Medien.
Der Widerstand der Kronen-Zeitung, die Mobilisierung von Ressentiments gegen moderne Architektur und moderne Kunst hatte zur Folge, daß es eine langes und unerfreuliches Gezerre um die Bebauung gab und der preisgekrönte Plan mehrfach verändert wurde.
Der definitive Bruch in der Konzeption des Ganzen war nicht die medial sehr stark wahrgenommene Verhinderung der Errichtung des Bibliotheksturmes, sondern die Entscheidung des damals zuständigen Ministers Erhard Busek, die Sammlung Leopold anzukaufen und dem Privatsammler auf Staatskosten ein Museum im Museumsquartier zu errichten. Wer erinnert sich noch an die austro-patriotische Rechtfertigung dieser überraschenden Wende durch Minister Busek? Wer erinnert sich noch an die unsägliche Begutachtung der Sammlung? Wer erinnert sich noch daran, daß der Ankauf erfolgte, ohne daß die Öffentlichkeit erfuhr, woraus diese Sammlung eigentlich bestand? Und vor allem, wer erinnert sich noch daran, daß aus dem großen avantgardistischen Museumsprojekt ein nur noch in Maßen modernes, zaghaftes Pasticcio eher zufällig und nach und nach gefundener und nachgebesserter Funktionen und Inhalte wurde? Es war Erhard Busek, der der Einrichtung einer Stiftung zustimmte und - mit großen Konsequenzen -, die Einsetzung des Sammlers als Direktor des Museums auf Lebenszeit ermöglichte. Ohne diese Regelung, auf deren Fragwürdigkeit als einzige Zeitung bisher - heute - die Neue Zürcher Zeitung hinweist, gäbe es kein Restitutionsproblem Leopold-Museum.

Aber der Satz, "ohne Rudolf Leopold gäbe es kein Restitutionsproblem", hat noch eine zweite Bedeutung. Die Beschlagnahme zweier Gemälde der Sammlung Leopold in New York, brachte eine Lawine ins Rollen. Erst dadurch wurde einer breiten Öffentlichkeit bewusst, daß in Museen (nicht nur in Österreichischen) hunderte, tausende von Objekten als rechtmäßiger Besitz ausgestellt oder deponiert waren (und sind), die im Zuge der 'Arisierung' der NS-Zeit oder durch andere rechtsbrüchige oder sittenwidrige Umstände in Museumsbesitz gelangt waren. Ohne diese Beschlagnahme in New York hätten sich Öffentlichkeit, Medien, Wissenschafter und Politik nicht mit der Tatsache konfrontiert gesehen, daß nach 1945 mit der widerrechtlichen Aneignung von jüdischem Besitz neuerlich jenseits oder am Rande der Legalität umgegangen worden war, die Interessen und Ansprüche der Beraubten missachtet oder negiert wurden und das museale kulturelle Erbe der Museen in nicht unwesentlichen Teilen - etwa Teile der Klimt-Sammlung des Belvedere -, 'Raubkunst' war.
Wenn die beiden in der Ausstellung Egon Schiele. The Leopold Collection Vienna im Museum of Modern Art New York, Wally und Tote Stadt III, nicht 1998 beschlagnahmt worden wären, wäre in Österreich nie eine Raubkunstdebatte entstanden, die weit über diesen einzelnen Fall und weit über die umstrittene Ankaufspolitik von Rudolf Leopold hinaus zur Beschäftigung mit der ganzen und komplexen Geschichte der Kunstpolitik der NS-Zeit, auch über Österreich hinaus, führte. Ohne die durch einen Artikel der New York Times ausgelösten Beschlagnahme, hätte es kein Restitutionsgesetz in Österreich gegeben, keine Provenienzforschung und auch keine dann vorbildliche Restitutionspolitik einzelner Museen.

So viel zu den 'Verdiensten' von Rudolf Leopold.

PS.: Die Medien rühmen besonders ein Verdienst Rudolf Leopolds: daß er die Bedeutung der Kunst Egon Schieles als erster erkannt hat. Das Argument wird oft mit dem Hinweis auf die Wertsteigerung von Schiele-Werken verknüpft. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß einige der Schiele-Werke in der Sammlung Leopold im Verdacht stehen unrechtmäßig jüdischen Besitzern geraubt oder abgepresst worden zu sein, Sammler, die offenbar die Werke Schieles lange vor Leopold sehr geschätzt haben.


Die Abbildungen stammen von einer Protestaktion der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von 2008