Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich Hier: https://www.blogger.com/blog/post/edit/936424358107584429/7007908751721792738
Am Ende. Das Museum
Krszysztof Pomian, Historiker und Museumswissenschafter, hat kürzlich in einem Vortrag (Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? Abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.11.2020, S.12) dem Museum eine überaus düstere Zukunft vorhergesagt. Seine Argumentation ist übersichtlich und scheint zwingend.
Es sind zwei Entwicklungen, die er die Existenz des Museums bedrohend nennt. Die Coronavirus-Pandemie und den Klimawandel.
Für die Entwicklung der Pandemie sieht er drei Szenarien. Selbst wenn die günstigste und, so Pomian, unwahrscheinlichste eintritt, die „Pandemie als Unfall ohne Langzeitfolgen“, also eine Einhegung und Zurückdrängung durch medizinischen Fortschritt, werden die ökonomischen Folgekosten zu einem dramatischen Einbruch der Kultursubventionen führen.
Egal ob es sich um steuerfinanzierte öffentliche Museen (wie in Europa) handelt oder um von Privaten gestützte (das Modell das in den USA weit verbreitet ist, im Land mit den meisten Museen, etwa 30.000), es würden im Falle erwartbarer wirtschaftlicher Rückschläge weniger Gelder zur Verfügung stehen, Personal entlassen werden müssen und das Programm verschlankt werden. Museen würden in einen „Überlebensmodus“ versetzt.
Wie sich der Klimawandel entwickeln wird, kann niemand vorhersehen. Aber es scheint inzwischen breiteste Übereinstimmung über seine Dramatik und die Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen zu geben. Pomian scheint nicht viel Hoffnung in die Möglichkeit einer Lösung zu setzen und er gibt dem Museum im Fall katastrophischer sozialer und politischer Entwicklungen keine Chance.
Was die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie betrifft, so könnte man Pomian entgegnen, daß die großen, von der öffentlichen Hand getragenen Museen kaum so schnell einfach preisgegeben würden. Das gilt vor allem für die national und regional bedeutsamen Häuser. Und gegen den bedrohlichen Entfall privater Gelder spricht, daß große Vermögen im Augenblick noch wenig betroffen sind. Man hört auch noch nichts (zumindest in Österreich) von Museumsschließungen. Allerdings werden Haushalte von Kommunen und Ländern gekürzt und damit meist auch die Kulturetats. Entlassungen hat es schon gegeben und auch die Streichung von Ausstellungen. Und Großbritannien bietet, mit seiner lange vor Corona einsetzenden neoliberalen Politik ein Beispiel, wie einschneidend sich Einsparungen auf Museen auswirken.
Niemand kann die Dynamik der Pandemie und ihrer Auswirkung auf die Wirtschaft vorhersagen und dasselbe gilt in noch höherem Maß für die Effekte des Klimawandels. Da ist es längst nicht mehr die Frage, ob es zu einer massiven oder katastrophischen Krise kommt, sondern wie schnell und wie vehement sie eintreten wird. Es ist also schwer, Pomians Pessimismus etwas entgegenzusetzen.
Vor vielen Jahren hat schon einmal ein versierter Museumsleiter und Museologe die Frage nach dem „Museum at the end of the time“ gefragt (Dieser Text ist mit zwei weiteren unter dem Übertitel To Help Think about Museums More Intensely als warm-up exercises in der Zeitschrift Museums News, November – December 1996 erschienen, sowie in: Stephen Weil: Making Museums Matter. Washington, Smithsonian Institution, 2002 ). Stephen Weil stellte uns mit seinem Text aber nicht vor alternativlose pessimistische Prognosen. Er skizziert, ironisch und gewissermaßen mit pädagogischer Absicht, wie sich MitarbeiterInnen von Museen je nach ihrer Aufgabe, die sie in der Organisation haben, auf das „Ende der Welt“ einrichten. Der Kurator, der Finanzverantwortliche, der Sicherheitsexperte usw.- wie reagieren sie? Nun, pragmatisch und befangen in ihrer jeweils speziellen, engen und professionellen Sichtweise, aber nie das Ganze des Museums im Auge behaltend. Weils Text ist also auch pessimistisch: Das Museum würde sich zu keiner wirklich nachvollziehbaren, alle Kompetenzen des Museums integrierend Haltung aufraffen können.
Der Große Unterschied zu Pomians Text ist aber der, daß Weil dem Museum zumindest das Potential von Handlungsmöglichkeit einräumt. Mag die Meinungsbildung innerhalb der Organisation angesichts beruflicher Befangenheit auch zersplittern, das Museum könnte und müsste eine Haltung gegenüber der Zukunft auch angesichts ihrer Hoffnungslosigkeit entwickeln. Und Weil fordert uns und die Verantwortlichen an Museen mit seinem Text dazu auf, darüber more intensely nachzudenken.
Pomian erwähnt so eine Möglichkeit einer aktiven Reaktion nicht einmal. Und das hat mit seinem selten einseitigen Museumsbegriff zu tun. Er sieht im Museum eine Art von ewigem Archiv, dessen wichtigste Aufgabe es ist, die ihm anvertrauten Dinge ohne erkennbaren zeitlichen Horizont zu bewahren. Für ihn liegt die „Bestimmung“ des Museums darin, „ihren Sammlungen eine unbegrenzte Zukunft zu sichern“. Daß die konservatorische Aufgabe des Museums nur Sinn macht, wenn mit den aufbewahrten, den deponierten Dingen in Ausstellungen sinnhaft und narrativ kommuniziert wird, interessiert ihn in diesem seinen Text nur allgemein und andeutungsweise. Er bleibt deskriptiv, wenn er die musealisierten kulturellen Güter „als Zeugnisse der menschlichen Innovationskraft“ sieht, wobei er einräumt, daß sie Zeugnisse sowohl der „Wohltaten“ wie der „Verbrechen“ seien.
Leider kann man Stephen Weils Sicht aber ebensowenig praktische Perspektiven abgewinnen. Museen scheinen solchen Herausforderungen, wie er sie an die Wand malt nicht gewachsen. Dabei durfte er sich noch spielerisch, in einer wie an einen Sci-Fi-Film erinnernden Szenario, bewegen. Alle annahmen waren fiktive. Jetzt droht aber ganz real, was damals bei ihm noch konstruiert war. Und es zeigt sich ja auch wirklich, wie überfordert die Museen aktuell sind, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion glaubhaft zu vertreten sollen.
Der zur Zeit, in der Stephen Weil seinen Text verfasste, nicht denkbare Ernstfall ist eingetreten und wird bei Pomian eindrucksvoll detailliert als Zusammenbruch der Zivilisation beschrieben. Wo es keine Zukunft mehr zu geben scheint, wird das zukunftsorientierte Museum (das es, ich meine: wiederum widersprüchlich und einseitig, für Pomian ist) überflüssig. Ja mehr als das: das was einmal Fortschritt war und positiv besetzt war, ist nun völlig kontaminiert insofern er nur schädliche und „irreversible Veränderungen“ hervorgebracht habe.
Die Zukunft werde deshalb nicht bloß gleichgültig gegenüber den Museen sein, sondern ihnen feindselig und wohl auch destruktiv gegenüberstehen. „Die Überreste der Vergangenheit, seien es Werke der Kunst oder der Technik oder historische Relikte, verdienen es nicht, bewahrt zu werden, außer vielleicht als Beispiele, wie man es nicht machen sollte. Da die Zukunft eine Serie von Katastrophen sein wird, werden die Menschen, die sie durchleben müssen, auf jeden Fall andere Sorgen haben, als sich für die Überreste einer Vergangenheit zu interessieren, die Schuld an ihrer unheilbaren Notlage ist.“ Die „radikale Ökologie“ ist „ein radikaler Antihumanismus. Als solcher verweigert sie den Museen jegliche positive Bedeutung, sie kann sie nur als Tempel eines Glaubens ansehen, der bekämpft und beseitigt werden muß. Ihr Sieg sollte er je eintreten, würde das Ende der Existenz von Museen bedeuten.“
Pomian bringt aber noch ein weiteres, ein drittes Krisenszenario zur Sprache. Er bleibt dabei ganz allgemein und knapp und wendet sich den großen politischen Spannungen zu. Er beläßt es bei einem einzigen Hinweis, auf die Rivalität im Dreieck USA, China und Russland und deutet eine „Verdüsterung“ an, die in der Veränderung „grundlegender Überzeugungen unserer Gesellschaft“ auswirken, „wie sie auch in den Museen zum Ausdruck kommen.“ Er läßt aber offen, was er darunter versteht. Etwa die zunehmende Kommerzialisierung der Museen, ihre Eventisierung (das Museum als Schwimmbad, als Ort kindlicher Geburtstagsfeiern, als Datingagentur)? Kommt der Kanon der „Werte“ ins rutschen oder schmilzt das das Museum tragende Bildungsbürgertum wie das arktische Eis?
Hier müsste doch die Frage nach der Verantwortung gefragt werden, die die Museen selbst haben, die Frage nach ihrer Reaktion auf die von Pomian beschriebenen Entwicklungen. Welche Reflexion kam aus den Museen selbst, welche Fragen haben sie an sich selbst gerichtet? Die Reaktionen auf die Coronakrise bietet da reichlich Stoff, sich dazu ein Bild zu machen. Sowohl nach der sogenannten „ersten Welle“ und eben jetzt, bei Beginn der zweiten, wehren sich Museen und Museumsverbände gegen die Unterschätzung der Museen als nicht „systemrelevant“ und gegen die Einstufung als „Freizeitorte". Kurzum - sie stellen genau die essentielle Frage, aber, ängstlich, nur indirekt und nicht offen: wer braucht uns noch und wer wird uns künftig noch brauchen und warum? Aber geben die Museen dazu Antworten?
Es gibt in ihren Reaktionen elitistische Arroganz, die sich wenig um solidarisches Verhalten schert und fürs Museum per se kulturelle und besondere Hochachtung fordert. Es gibt den Rückzug auf die mantraartig immer gerne wiedergekäute ICOM Definition, als ob die eine Antwort böte. Es gibt die Beschwörung eines vagen Bildungsbegriff, der nie auf den Punkt gebracht wird und nebulös bleibt. Es gibt die Behauptung, nicht weniger als den Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewirken, so als ob eine solche identitätspolitische Funktion je durchdacht und in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit je eine dieser Behauptung angemessene Museumspraxis hervorgebracht hätte. Und es gibt die Flucht in die Kommerzialisierung, von der Pomian befürchtet, daß sie sich angesichts der doppelten Bedrohung der Museen noch verstärken wird.
Museen haben es im Konkurrenzkampf um ihren Status und um Quoten, den sie mit andern kulturellen Institutionen und Events austragen, verlernt, sich sowohl historisch in der Geschichte ihrer Institution fundiert zu definieren noch als aktuell gesellschaftspolitische Akteure zu positionieren. Sie konnten sich auf breiter Anerkennung ausruhen, die weder der Marktlogik unterworfen schien noch der Ökonomie der Aufmerksamkeit: Museen schien in ihrem „Wert“ unantastbar. Da gab es nichts mehr zu begründen oder zu rechtfertigen. So überrascht es nicht, wenn die derzeitige zentrale Forderung der Museen lautet: Lasst uns wieder aufsperren, damit wir weitermache können wie bisher.
Allerdings: Was der eben verstorbene Berliner Philosoph Klaus Heinrich der Universität bescheinigt hat (Selbstaufklärung und Verdrängung. Der Gesellschaft ein Bewusstsein ihrer selbst gebe. Interview. Deutschlandfunk Kultur 5.11.2017 https://www.deutschlandfunkkultur.de/selbstaufklaerung-und-verdraengung-der-gesellschaft-ein.2162.de.html?dram:article_id=399906), kann man auch für das Museum behaupten: beide Institutionen haben ihre aufklärerische Bedeutung verloren. Hier wird nicht nur nicht mehr die Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst angesichts drohender Katastrophen betrieben. Hier haben die Institutionen auch verlernt, diese Aufgabe überhaupt als ihre essentielle wahrzunehmen. Der Museumsbetrieb ist blind geworden gegenüber den Bedingungen und Herausforderungen, aus denen diese einzigartige, merkwürdige und widersprüchliche Institution einmal entstand. Heute ist unklarer denn je, was die Res Publika denn vom Museum eigentlich zu erwarten hat. Der Pessimismus ist begründet, aber er kommt nicht allein aus einer Entwicklung, die die Museen nicht beeinflussen können, sondern er kommt aus ihrer Schwäche, es erst gar nicht versuchen und als ihre dringendste Aufgabe sehen zu wollen.