Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach. Erwin Wurm. Kunsthaus Graz 2017 |
Sonntag, 26. März 2017
Samstag, 18. März 2017
Wahl (Sokratische Frage Nr.20)
Außerirdische landen in der Stadt K.
Sie befehlen: Wählt! Eine dieser Institutionen müssen geschlossen werden:
Das Kino
Der Sportplatz
Das Freibad
Das Museum
Das Gasthaus
Welche Wahl treffen die Bewohner der Stadt K.?
Mittwoch, 15. März 2017
Gerührt
Dienstag, 14. März 2017
Kleine Geschichte des Museums. Teil vier. Die Musen und ihr Museion
Was bisher geschah: Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und daraus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes geben. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte einerseits und andrerseits daß es verschiedene kulturelle Praktiken gibt, die mit diesem Wort bezeichnet werden. Aber auch daß dieses Wort "Museum" Sachverhalte bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, wenig oder nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der Errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, nämlich Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten ist. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin gerade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine Einsicht, die man auch heute nicht anders formulieren könnte. Aber dennoch hielt man in Berlin an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.
Ich vermute, daß man die wörtliche Bedeutung meinte und diese aktualisierte: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen.
Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne und des Zeus sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis.
Die Musen erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann: Das Museion. Eine Wiese, ein Hain. Ein vage bezeichneter und ebenso vage lokalisierbarer Platz.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Wenn man in Berlin "Museum" mit "Ruheort" übersetzt, könnte man das als Historisierung der Kunst verstehen. Im Rückgriff auf den Gedächtnisort des Museion und des Gedächtnismediums Musen wäre dann im Museum Kunst ein Gedächtnismedium, erst einmal eines ihrer eigenen Geschichte, die ab nun - chronologisch-kanonisch - das Sujet, der "Gegenstand", der Inhalt des Museums wäre.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos, den er in der Antike durchmacht, hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierte - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text. Da wurde schon eine für unsere Ohren ganz zeitgenössisch klingende Debatte geführt, ob die Aufzeichnungsmedien nicht das lebendige Gedächtnis zerstörten. Und das taucht ja auch tatsächlich in der Museologie als Frage auf: zerstört Musealisierung von Dingen nicht genau jene Erinnerung (mit den Funktionen), die einmal mit Objekten verknüpft waren? Ist das Aufbewahren von Objekten im Interesse der Erinnerungsfähigkeit nicht eine Zerstörung alles dessen, was einmal mit ihnen an Wissen, Emotionen, Handhabungen usw. verknüpft war. Also im Grunde ein Vergessen?
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
Das Wissen von den Musen verdanken wir gerade diesen Aufzeichnern und Aufschreibern, wie der Schilderung Hesiods in seiner Theogonie, wo er - etwas dreist - den Musen begegnet sein will, die ihn gleichsam beauftragt hätten, ihr Werk weiterzuführen. Da findet eine folgenreiche Übertragung der Wissens- und Erinnerungsmacht auf säkulare und irdische Instanzen statt, die auch die Funktion des "Museion" verändert.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eines Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert. Was man davon weiß ist wenig, daß es eine große, enorm wertvolle Bibliothek war, die in einem Brand unterging.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Allerdings, wie wir sehen, kommt die antike Vorstellung Aber noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung aus, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen, weil sie völlig "unantik" war.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben. Bis heute. Museen vor allem als Sammlungen zu sehen und ihre Existenz in der Bewahrung von Objekten (welcher Art auch immer), löst diesen Konflikt nicht sondern entscheidet ihn zu Gunsten von Verdinglichung und Fetischsierung. Die Aufgabe der Vermittlung, des Erinnerns verblaßt in diesem Verständnis vom Museum.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums. Und sie entzündet sich sofort auch an dem beschriebenen Dilemma.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht, eine Kritik am Bildersturm der Revolution, den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:
Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris
Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland!
Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.
Fortsetzung folgt.
Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. - Mosaik mit Darstellung der platonischen Akademie in Athen. Pompeji, um 50 v.Chr. Museo Nazionale Napoli. Antikes Wikipedia: Wahrscheinlich Platon deutet mit einem Stab auf einen drehbaren Himmelsglobus am Boden. Im Hintergrund die Stadtmauer von Athen. An der Säule eine Sonnenuhr und links vier Öllampen zur abendlichen Beleuchtung. Der Rahmen des Mosaiks ist besonders relevant zum Verständnis der Darstellung. Es handelt sich bei den Köpfen um typische antike Theatermasken mit offenem Mund zur besseren Hörbarbeit der Schauspieler. Das Mosaik ist daher nicht der Akademie selbst, sondern einem unbekannten Theaterstück über die Akademie gewidmet.- Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der Errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, nämlich Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten ist. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin gerade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine Einsicht, die man auch heute nicht anders formulieren könnte. Aber dennoch hielt man in Berlin an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.
Ich vermute, daß man die wörtliche Bedeutung meinte und diese aktualisierte: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen.
Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne und des Zeus sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis.
Die Musen erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann: Das Museion. Eine Wiese, ein Hain. Ein vage bezeichneter und ebenso vage lokalisierbarer Platz.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Wenn man in Berlin "Museum" mit "Ruheort" übersetzt, könnte man das als Historisierung der Kunst verstehen. Im Rückgriff auf den Gedächtnisort des Museion und des Gedächtnismediums Musen wäre dann im Museum Kunst ein Gedächtnismedium, erst einmal eines ihrer eigenen Geschichte, die ab nun - chronologisch-kanonisch - das Sujet, der "Gegenstand", der Inhalt des Museums wäre.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos, den er in der Antike durchmacht, hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierte - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text. Da wurde schon eine für unsere Ohren ganz zeitgenössisch klingende Debatte geführt, ob die Aufzeichnungsmedien nicht das lebendige Gedächtnis zerstörten. Und das taucht ja auch tatsächlich in der Museologie als Frage auf: zerstört Musealisierung von Dingen nicht genau jene Erinnerung (mit den Funktionen), die einmal mit Objekten verknüpft waren? Ist das Aufbewahren von Objekten im Interesse der Erinnerungsfähigkeit nicht eine Zerstörung alles dessen, was einmal mit ihnen an Wissen, Emotionen, Handhabungen usw. verknüpft war. Also im Grunde ein Vergessen?
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
Das Wissen von den Musen verdanken wir gerade diesen Aufzeichnern und Aufschreibern, wie der Schilderung Hesiods in seiner Theogonie, wo er - etwas dreist - den Musen begegnet sein will, die ihn gleichsam beauftragt hätten, ihr Werk weiterzuführen. Da findet eine folgenreiche Übertragung der Wissens- und Erinnerungsmacht auf säkulare und irdische Instanzen statt, die auch die Funktion des "Museion" verändert.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eines Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert. Was man davon weiß ist wenig, daß es eine große, enorm wertvolle Bibliothek war, die in einem Brand unterging.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Allerdings, wie wir sehen, kommt die antike Vorstellung Aber noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung aus, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen, weil sie völlig "unantik" war.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben. Bis heute. Museen vor allem als Sammlungen zu sehen und ihre Existenz in der Bewahrung von Objekten (welcher Art auch immer), löst diesen Konflikt nicht sondern entscheidet ihn zu Gunsten von Verdinglichung und Fetischsierung. Die Aufgabe der Vermittlung, des Erinnerns verblaßt in diesem Verständnis vom Museum.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums. Und sie entzündet sich sofort auch an dem beschriebenen Dilemma.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht, eine Kritik am Bildersturm der Revolution, den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:
Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris
Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland!
Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.
Fortsetzung folgt.
Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. - Mosaik mit Darstellung der platonischen Akademie in Athen. Pompeji, um 50 v.Chr. Museo Nazionale Napoli. Antikes Wikipedia: Wahrscheinlich Platon deutet mit einem Stab auf einen drehbaren Himmelsglobus am Boden. Im Hintergrund die Stadtmauer von Athen. An der Säule eine Sonnenuhr und links vier Öllampen zur abendlichen Beleuchtung. Der Rahmen des Mosaiks ist besonders relevant zum Verständnis der Darstellung. Es handelt sich bei den Köpfen um typische antike Theatermasken mit offenem Mund zur besseren Hörbarbeit der Schauspieler. Das Mosaik ist daher nicht der Akademie selbst, sondern einem unbekannten Theaterstück über die Akademie gewidmet.- Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris
Montag, 13. März 2017
Kleine Geschichte des Museums. Teil drei. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum
Die selbstbewußte Feststellung
des Indian Museum in Kalkutta,
das neuntälteste Museum der
Welt zu sein, hat uns zu der
Frage geführt, welches denn das
erste wäre und in der Folge zu
einer kleinen Studiensammlung
von ‚Ersten Museen’. Was
wiederum schnell gezeigt hat,
daß das Wort ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens bezeichnet.
Und das seit der Mitte des 16.Jahrhunderts, also über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Und in all der Zeit soll sich die Wortbedeutung nicht verändert haben? Ein einziges Wort soll genügen, um die vielen Phänomene zu bezeichnen - vom humanistischen Wissensraum bis hin zum nationalen Sammlungsmuseum und den dem Entertainment gewidmeten Schaumuseen der Gegenwart?
Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch Dinge bezeichnet, die
kaum oder jedenfalls nicht auf den ersten Blick etwas mit dem zu tun haben, was wir heute
mit „Museum“ verbinden. Das Wort Museum kann mythologische, religiöse, wissenschaftliche
oder zum Beispiel auch literarische Bedeutungen an sich ziehen. In der museologischen
Forschung wird das Problem des Wortgebrauchs meist ignoriert. Da soll Museum drinnen sein, wo Museum drauf steht.
Interessanter als Selbstverständlichkeit oder Denkträgheit sind jene Momente, wo das Wort
plötzlich problematisch wird. Das ist am Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall, also zu dem Zeitpunkt wo sich ein neues Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt. Es ist der historische Moment, wo das Wort jene Bedeutungen
erhält, die wir mit ihm heute verbinden. (Ich komme darauf in einem weiteren Folge zurück).
Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München am Beginn des
19.Jahrhunderts verzichtet man auf „Museum“ und entscheidet sich stattdessen für das
Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen
Museum in Berlin (heute: Altes Museum) fragt man sich während der Entwicklung des
Konzeptes, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem
entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen.
Die Gruppe von Gelehrten, die unter der Leitung von Wilhelm von Humboldt an den
Grundlagen der neuen Institution arbeitet, kann sich nicht einigen. Es kommt zu einem
kurzen gelehrten Disput, in die schließlich die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird.
Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das
dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und für jedermann zugänglich ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals, heißt es in einer entscheidenden Passage des Gutachtens. Aus diesem Grund hatte man ja in München das
Wort Museum schließlich vermieden.
Hier aber entscheidet man sich - gegen gute, valide Argumente -, dennoch für ‚Museum’,
um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine sogenannte ‚ältere’ Bedeutung des
griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese ‚ältere’ Bedeutung zu erläutern.
Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon
vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung staatlicher Sammlungen und nationaler Museen bereits der Weg geebnet.
Aber in Berlin geht man noch einmal bis zur Etymologie des Wortes zurück und zu seiner griechisch-antiken Bedeutung. Ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, wichtig für die ab nun usuelle Bezeichnung war, für die Durchsetzung des Wortes Museum für eine eigentümliche moderne institution. Und zwar nicht allein aber auch, weil es sich um den ersten Museumsbau (Architekt: Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedeutenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
Aber was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum?
Warum fiel die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum
übersetzte man dieses Wort - entgegen der Wortbedeutung - so ins Deutsche: Ruheort
(nämlich der Kunst)?
Die Rotunde des Alten Museums mit den Götter- und Heroenstatuen |
„Ruheort“ deckt sich nicht nur mit der antiken Bedeutung von „museion“ als Versammlungsort und Tanzplatz der Musen nicht, er ist auch museologisch wie geschichtsphilosophisch heikel.
Denn wieso kommt im Museum die Kunst „zur Ruhe“? Weil sie ihren Sitz im Leben verliert und ihre Entwicklung zum Stillstand kommt? Weil sie allein noch als Gegenstand der Anschauung als dauerhaft gültiger kultureller Wert behandelt wird? Als ein Triumph der Musealisierung über ihr lebendiges Wirken in der gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft?
Bedingungen, unter denen eine überdurchschnittliche (Dauer)Ausstellung zustande kommt
Richtige Entscheidungen trifft man auf Grund von Erfahrungen.
Erfahrungen macht man auf Grund falscher Entscheidungen.
Steve Jobs
Bedingungen, unter denen eine überdurchschnittliche (Dauer)Ausstellung zustande kommt
1
Es braucht eine klare Zielvorstellung.
Die wird im Projektteam ganz am Beginn erarbeitet und knapp schriftlich formuliert sowie im Konsens zur Grundlage aller weiterer Planungen und Arbeitsschritte gemacht.
Das Team formuliert in den Zielvorstellungen, was es erreichen, bewirken will. Es deklariert klar seine Autorschaft.
Die Zielvorstellung ist das erste, was formuliert wird; von ihr werden alle anderen Entscheidungen abgeleitet.
Die Zielvorstellung ist verbindlich kann aber im Entwicklungsprozeß sinnvollerweise innerhalb gewisser Grenzen modifiziert werden.
Für eine Zielvorstellung genügt meiner Erfahrung nach ein kurzer Text der wenig Zeitaufwand erfordert. Etwa eine Manuskriptseite kann schon ausreichen.
Um Befangenheit in Routinen und Gewohntem zu vermeiden, dem „Eingesperrtsein im Eigenen“, ist es sinnvoll zur Moderation der Diskussion der Zielvorstellung jemanden ‚von Außen‘ hinzuziehen.
Ziele werden in der Museumspraxis meist mit Inhalten verwechselt und durch Inhalte „ersetzt“. Ziele sind aber weder Inhalte, noch Medien oder Methoden. In vielen Projekten bleibt genau das unklar und Ziele finden sich nur implizit, gewissermaßen zwischen den Zeilen.
Die Formulierung einer Zielvorstellung enthält auch Nicht-Ziele, etwas, was nicht angestrebt wird.
Eine Zielvorstellung ist kein Mission statement. Letzteres artikuliert die Haltung des Museums öffentlich gegenüber seinem Publikum (seinem Auftraggebern, Stakeholder usw.), während eine Zielvorstellung Grundlage der Planung eines Projekts ist und zur Integration des Projektteams dient.
Als Hilfe, was überhaupt ein Ziel sein könnte, kann man sich etwa diese Frage stellen: Wie lautet die Frage, die wir, das Team, in unserer Ausstellung beantworten wollen? oder Wie lautet die Frage von Besuchern, auf die unsere Ausstellung eine Antwort bietet?
Ein Beispiel aus einer Zielformulierung: „Wir möchten unserm Publikum das GRAZMUSEUM als einen Ort angenehmen, unterhaltenden und informativen Aufenthalts anbieten, um hier und von hier aus die Stadt Graz und ihre Geschichte kennenzulernen. Wer stellen unsere Ausstellungen (als Ort) zur Verfügung, wo man sich mit der Gesellschaftsform des Städtischen lernend, konsumierend aber auch aktiv und partizipierend beschäftigen kann und wo man Lust bekommt, die Stadt neu zu sehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.“ (Aus dem Konzeptpapier für eine Dauerausstellung des Graz Museum; unveröff.Ms.)
2
Die Zielvorstellung muß reflexiv sein.
Das heißt:
Erstens muß aus der Zielvorstellung jene gesellschaftliche Verantwortung herauslesbar sein, die in der Institution Museum als wohlfahrtsstaatlicher Einrichtung allgemein begründet werden sollte. Museen sind von der öffentlichen Hand (Staat, Land, Stadt) treuhänderisch im gesellschaftlichen Interesse erhaltene und verwaltete Einrichtungen. Öffentlich sind sie nicht deswegen, weil sie (in der Regel uneingeschränkt) zugänglich sind, sondern weil sie (wie auch Schulen, Verkehrseinrichtungen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Universitäten, Theater usw.) zur allgemeinen Wohlfahrt, das heißt ganz allgemein zum Wohlergehen aller beitragen. Inwieweit sich eine Zielvorstellung in einen gesellschaftlichen „Auftrag“ einfügt, muß erkennbar sein.
Zweitens kann man sich fragen, ob das Museum, für das man das Projekt entwirft, eine besondere geschichtliche oder institutionelle Identität besitzt - etwa in der Sammlungspolitik, in der Rolle, die es traditionell in einer Stadt einnimmt, in der Art und Weise, wie es Communities miteinbeziehen uam. Bei der Formulierung einer Zielvorstellung muß klar sein, ob diese Identität bewahrt oder auch gestärkt oder im Gegenteil abgestreift, transformiert werden soll.
Als Beispiel dazu habe ich die von lebhafter und aktiver Entfaltung bürgerlicher Öffentlichkeit gekennzeichneten Gründungsjahrzehnte des Steiermärkischen Landesmuseum Joanneum im Kopf, in der es um den Aufbau, die Konstruktion eines Landesbewußtseins geht. Die Umbenennung von Steuermärkischem Landesmuseum Joanneum inin Universalmuseum und die Forcierung des Museums als professionell beworbener ‚Marke‘ kann man als Bruch mit der Vergangenheit deuten kann.
Drittens haben Museen eine Reihe von strukturellen Eigenschaften, zu denen man sich verhalten muß. Sie neigen zu Verdinglichigung und Objektzentrierung, zur Deklarierung von Werten und Erzählweisen mit hohem Anspruch auf - fast nie begründeter und ausgewiesener - Autorität, zur von der Gegenwart trennenden, abschließenden Darstellung von Vergangenheit, zur scheinbar unumstößlicher Wahrhaftigkeit und allgemeiner Verbindlichkeit, zur hegemonialen Verallgemeinerung partikularer Werte und Wertvorstellung als für jedermann verbindlich und anerkennungspflichtig.
Diese Andeutungen mögen genügen um verständlich zu machen, daß in einer Zielvorstellung das Bild, das man vom Museum hat, die Haltung, die man einnimmt, deklariert werden muß. Der Spielraum, der einem zur Verfügung steht ist andeutungsweise vielleicht so zu beschreiben: den einen Pol bildet ein affirmatives, auf Vermittlung anerkannter Werte beruhendes Selbstbild, den andren eines, das auf Veränderung von Verhältnissen zielt. Die erstgenannte Haltung zementiert den (weit verbreiteten) Staus Quo des Museum, die andere den Wunsch nach Veränderung einschließlich der Transformation der Institution selbst.
Ein Beispiel: Das Australische Nationalmuseum in Canberra hatte in seinem Mission statement mal den Satz formuliert „What does it mean to be an Australian?“ (Inzwischen ist der Satz aus dem auf der Webseite des Museums veröffentlichten Mission statement verschwunden). Er könnte auch programmatisch am Beginn einer Zielvorgabe nahezu jeden Museum stehen. Es ist eine Frage, die sich sowohl das Museum stellt als auch an das Publikum und an eine allgemeine Öffentlichkeit gerichtet ist. Sie zielt auf ein zentrale ‚Sujet’ des Museums: Kollektive Identität (jedenfalls auf das, was dem Museum meist zugeschrieben und abverlangt wird: Identität zu „stiften“ bzw. repräsentieren.
Als Frage formuliert, legt die des Museums in Canberra es nahe, daß sie unabschließbar, nicht endgültig beantwortbar sein könnte, weil es eben viele Vorstellung von, Wünsche an, Projektionen von Identität gibt. In der Formulierung wird nicht von der Feststellbarkeit von Identität ausgegangen (etwa in der Formulierung Worin besteht die australische Identität?), sondern davon, worin sie (für jeden Einzelnen, bestimmten Gruppen, die nationalstaatlich verfasste Gesellschaft als ganzer…) bestehen könnte. Nicht das Museum setzt autoritativ eine bestimmte Bedeutung (hier: von nationaler Identität), sondern überlasst die Bedeutungszuweisung seinem Publikum und der Öffentlichkeit: „What does it mean…?
Im vorarlberg museum gibt es - um ein weiteres Beispiel zu nennen, einen Abschnitt in der historischen Ausstellung, die den Titel „Making of“ trägt, in der über Zugehörigkeit und insofern Identität gesprochen wird - und das ausschließlich strukturiert von Fragen, die auf die verschiedenen Weisen zielen, wie Zugehörigkeit an wen unter welchen Bedingungen und von wem zugewiesen wird.
Meine Auffassung von Zielen, die man Museen zuschreiben kann, ist geprägt von der Beschäftigung mit der (Entstehungs)Geschichte des Museums und dem daraus abgeleiteten Bild vom Museum als Ort der deutenden Selbstauslegung von Gemeinschaften und eines zivilisierenden Ritual - vom Museum als Werkzeug der Selbstdeutung, der Sozialisation und Bildung im umfassenden Sinn.
Deshalb liegt es mir, Zielvorstellungen bei Projekten immer in einem gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten, wie weit oder eng gesteckt dieses Ziel auch sein mag. Ich denke, daß es freilich nicht um meine persönliche Auffassung geht. Musen sind von der öffentlichen Hand getragene, aus Steuergeldern finanzierte Einrichtungen, deren Sammlungen häufig auch allen gehören und die als öffentliche Einrichtung immer schon, wenn auch nur implizit und selten ausformuliert, gesellschaftliche Aufgaben haben und gesellschaftliche Interessen artikulieren.
Wenn man das in einer Zielvorstellung abbildet, landet man sehr schnell bei sehr anspruchsvollen und allgemeinen und insofern hinsichtlich ihrer Realisierung entmutigend hochgesteckten Zielsetzungen. Doch solche Zielsetzungen funktionieren wie der Fluchtpunkt in einer Zeichnung. Obwohl er sie strukturiert, wird wird er am Schluß unsichtbar sein dürfen.
Ein Beispiel: Bei Beginn der Arbeit an der Ausstellung Berge. Eine unverständliche Leidenschaft stand rasch das die Ausstellung strukturierende Thema fest. Aus den vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten (Geschichte des Alpinismus; Natur- und Kulturgeschichte der Alpen; Sozial- und Alltagsgeschichte der Alpenbewohner usw.) wurde die körperliche Erfahrung des Bergsteigens ausgesucht. Komplementär dazu entwickelte sich ebenso rasch, die Idee, über Ursachen, Motive des Bergsteigens zu sprechen und damit ein Stück Deutung und Reflexion über das anzubieten, was man ja meist nur macht, ohne sich über die Beweggründe Rechenschaft abzulegen. Dies, ein kleines Stückchen Aufklärung, adressiert an die Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft von Besuchern, das war das Ziel. Die ‚Leiberfahrung‘ war das Thema, der Inhalt.
Aus einer Zielsetzung lassen sich im Idealfall alle anderen Entscheidungen ableiten. Die vier wesentlichen Felder, auf denen Entscheidungen so oder so immer getroffen werden, stehen eben nicht gleichwertig nebeneinander (was die bekannte ICOM-Museums-Definition nahelegt, die von den Museumsaufgaben Bewahren, Sammeln, Erforschen und Vermitteln wie von gleichwertig nebeneinander existierenden spricht).
Diese (schematisch benannten) Felder betreffen die Wahl des Inhalts (was wird gezeigt), die Wahl von Methoden (wie wird etwas vermittelt), die Wahl der Medien, (womit wird etwas dargestellt). Die vernünftigen, die bewußt getroffenen Entscheidungen fallen aber nur dann, wenn sie von Zielsetzungen regiert werden (wozu will ich etwas vermitteln).
3
Das Projektteam braucht eine klare organisatorische Struktur.
Die Rollen, selbstverständlich einschließlich der Leitungs-, Verantwortungsposition, müssen klar sein. Es muß klargestellt sein, wie das Verhältnis von Museums- (Ausstellungs-)leitung zur Projektleitung aussieht. Es braucht einen präzisen Zeitplan und jemanden, der die Autorität verliehen bekommen hat, diesen Zeitplan zu kontrollieren und nötigenfalls durchzusetzen.
Es scheint mir sinnvoll - in welcher Form lasse ich offen - Personen von außen hinzuziehen, vor allem um die Richtung des Denkens gelegentlich zu wechseln, und sei es in Form eines Probehandelns und des Alternativen-Suchens. Es soll damit eine andere Expertise ins Spiel kommen, eine, die im Team nicht vorhanden ist.
Grundsätzlicher ist das Problem, daß sich Anforderung in einer Projektentwicklung nur teilweise mit der in Museen meist üblichen fachlich-kuratorialen Kompetenz überschneidet. Die Expertise von Kuratoren stammt meist aus akademischer Ausbildung, die sich aber im Managen von Projekten als sowohl sachlich als auch organisatorisch unzureichend erweisen kann.
Deshalb sind meiner Erfahrung nach Teams mit flacher Hierarchie erfolgreicher, nicht nur weil das Machtgefälle gering ist, sondern weil in solchen Teams die Rollen und Sichtweisen gewissermaßen getauscht werden können. Im Idealfall kann jeder in die Rolle/Aufgabe des anderen hineinschlüpfen und jeder kann das zulassen, daß, auf Zeit, jemand mit seinem Kopf denkt.
Arbeit in solchen Teams schätze ich persönlich sehr und bin skeptisch gegenüber einer (unter Umständen extrem arbeitsteiligen, wenngleich auch hochprofessionellen) Funktionsaufteilung in strikt abgegrenzte Zuständigkeiten wie es etwa in großen Ausstellungsbüros der Fall ist.
Wenig höre ich so oft aus Museen, wie die Klage, daß keine Zeit zum reflektierenden Innehalten da ist, daß Projekte auch nach ihrem Abschluss nicht mehr besprochen, diskutiert werden. Daß immer alle im Zeit- und Arbeitsdruck eingespannt sind, die jedes Nachdenken be- oder verhindert. Also, gerade dann, wenn der Zeitdruck unerträglich zu werden beginnt, sollte man paradox intervenieren und Innehalten und sich eine Runde Reflexion gönnen.
Es ist ohnehin eine regelmäßige Kontrolle in der Entwicklung des Projektes nötig. Es muß immer wieder überprüft werden, ob das Projekt inhaltlich - gemessen an den Zielvorstellungen -, zeitlich und finanziell „im Rahmen“ ist.
An einem deutschen Museum habe ich kürzlich eine professionelle Evaluation (im Rahmen einer vom Museum veranstalteten fachlichen Tagung) nur drei Monate nach der Eröffnung erlebt. War überraschend für mich, aber auch plausibel als Form der Bilanzierung und als Anregung allfälliger Adaptionen.
Samstag, 11. März 2017
Mittwoch, 8. März 2017
Kleine Geschichte des Museums. Teil zwei: Wenn es ein neuntältestes Museum gibt, muß es auch ein ältestes geben.
Wenn es ein neuntältestes Museum der Welt gibt (vgl. den ersten Teil der "kleinen Museumsgeschichte), dann muß es auch ein ältestes geben.
1759 wird dort angegeben, das Jahr der Gründung ist aber 1753, das Jahr, in dem der Parlamentsbeschluß zur Übernahme der Sammlung Hans Sloane und die Gründung des British Museum beschlossen wurde.
Verwirrenderweise gibt es aber viele „älteste Museen“. Ich besitze eine kleine Sammlung von
ihnen, das heißt von Museen, die in der museologischen Literatur oder in Lexika als „erste“
genannt werden.
genannt werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: in keinem Fall hat sich der Autor die Mühe gemacht, seine
Kriterien zu nennen. Es wird forsch drauflos behauptet: „A Côme, le premier musée d’histoire… “ schreibt wie mit Rufzeichen Roland Schaer 1993 in seiner kleinen Museumsgeschichte, oder Donald Preziosi, ebenfalls 2003, „…the original Ashmolean, the
first public museum in Europe…“.
Wenn man "erste Museen" sammelt, hat man bald eine sehr bunte Mischung zusammen und Nennungen, die einen enormen Zeitraum abdecken..
Bei den beiden genannten "Museen" wären wir einmal im 16. und einmal im 18. Jahrhundert.
Das Britische Museum meldet sich sozusagen selbst zu Wort: The British Museum has the distinction of being the first national, public and secular museum in the world. Sagt Marjorie
Caygill in The Story of the British Museum. (London 1981). 1753 ist das Gründungsdatum.
Immerhin ein Beschluß des Parlaments, eine Privatsammlung unter staatliche Obhut zu
nehmen. Rein rechtlich ist das neu, bislang haben das nur Kommunen getan, z.B. Basel
oder Venedig. Noch nie ein Staat.
Wir sind bei Museen angelangt, die sich selbst zum ‚Sieger’ ausrufen, damit erweitert sich
das Spektrum "erster Museen" schlagartig. Da findet man dann ein sehr bescheidenes
fürstliches Naturalienkabinett in Braunschweig neben den Kapitolinischen Museen in Rom,
die sich auf eine päpstliche Denkmalstiftung berufen: „...decretando l’istituzione del più antico museo pubblico del mondo: la Lupa, posta sulla facciata del Palazzo die Conservatori, diventa il
simbolo della città...“. (Musei capitolini. Roma 2000).
Da sind wir dann sogar schon im 15. Jahrhundert. Geht es noch früher. Ja, klar. Man kann mesopotamische Fundstücke als Privatsammlung einer Prinzessin interpretieren und kleine beschriftete Objekte als "Labels" und schon hat man ein "Museum", hunderte Jahre vor
unserer Zeitrechnung...
Als meistgenanntes ‚erstes’ ‚Museum’ könnte das Alexandrinische Museion gelten. Der
Brockhaus von 1815: „Museum, eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände
aus dem ganzen Umkreise der Naturgeschichte und Künste, und in Zimmern und Gebäuden
zur Ansicht der Kenner und Liebhaber entweder auf Kosten einer Privatperson oder einer
Regierung aufgestellt. Zuerst wurde diese Benennung, die eine Musengrotte, oder einen Musentempel bezeichnet, dem Theile des königlichen Palastes in Alexandrien gegeben,
welchen Ptolemäus Philadelphus für die Gelehrten und die Bibliothek bestimmte.“
Doch was gab es dort, das man mit Recht ein "Museum" nennen könnte. Man weiß nicht
sehr viel über diese Bibliothek, die im 3.Jh. v.Chr. gegründet wurde, jedenfalls nichts, was
auf eine Sammlung oder Ausstellung und allgemeine Nutzung schließen ließe.
Bleiben wir gleich einmal bei dem letzten Beispiel. Der Brockhaus legt uns nahe, daß wir die Beschreibung – eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände usw. – mit dem Wort Museum gleichsetzen, das in Alexandria erstmals („zuerst’...) angewendet worden
sei. Das sehr wenige, was man nämlich über das museion von Alexandria weiß, ist, daß es
eine Priester-Gelehrtengemeinschaft unter dem Protektorat eines Fürsten war, eine große
und legendäre – sowie vermutlich durch Brandstiftung untergangegangene – Bibliothek.
Museion bedeutet seit der Gründung der Platonischen Akademie (Abbildung) einen
Wissensort, genauer gesagt den kultischen Mittelpunkt, der Akademie als Ort, an dem alle
Künste und Wissenschaften vereint sind. In dieser Tradition des Wortgebrauchs steht auch
noch das museion in Alexandria.
Und die kapitolinische Museen? Die Stiftung einiger bedeutender historischer Objekte durch
den Papst 1471 an die Stadt Rom ist nicht mal eine Sammlung, sondern ein Ensemble von Objekten, die aus politischer Raison der Stadt zum Zweck denkmalhafter Aufstellung (im
Freien) geschenkt werden, darunter die berühmte Wölfin mit Romulus und Remus. Dennoch
gab das Gründungsdatum den Kapitolinischen Museen den Anlass, 1971 eine einmalige fünfhundertjährige Institutionengeschichte zu feiern. Die begann aber erst sehr viel später,
um 1800, wenngleich inzwischen die Sammlung am Kapitol erheblich vermehrt worden war
und an Bedeutung gewonnen hatte.
Die Villa des Gelehrten und Bischofs Paolo Giovio am Comer See enthielt einen Raum, der gelehrten Studien gewidmet war, dessen Ausstattung auf die antiken Musen - die ja solche
Studien "beschirmten" -,anspielte und eine Galerie von Porträts ‚bedeutender Männer’.
Interessant ist dieser Ort als ein frühes Beispiel für die Belebung des antiken Musenmythos,
der im Mittelalter fast untergegangen war.
Aber museion bedeutet hier, Mitte des 16.Jahrhunderts, wie in Alexandria, ehr noch den
Wissensort und nicht so sehr den Ort der Sammlung, geschweige denn der öffentlichen Ausstellung. Sammeln ist eher ein Sich-Sammeln, nämlich die Versammlung der porträtierten großen Männer um den gelehrten Besitzer der Villa am Comersee.
Mit dem British Museum scheint es eindeutig zu sein. Staatliche Trägerschaft, also auch
staatliche Obsorge für eine Sammlung ohne definierten Zeithorizont der Bewahrung und
öffentliche Zugänglichkeit – das ist doch ‚unser’ Museum. Bei genauerem Hinsehen, erweist
sich aber der ‚nationale’ Charakter der Gründung als unter Museologen und Historikern
umstritten und die tatsächliche Einrichtung des Museums in einer kleinen, von Gärten
umgebenen Vorstadtvilla, muß viele Jahrzehnte eher einer jener überlebten
‚Raritätenkammern’ geglichen haben, wie es sie damals noch viele gab. (Abbildung: Das Treppenhaus mit den ausgestopften Giraffen) Über die
Unzulänglichkeit der Aufstellung gibt es aufschlussreiche zeitgenössische Quellen. Die
Kritik betraf aber vor allem die extrem restriktiv gehandhabte Zugänglichkeit. Lange im
Voraus notwendige Anmeldungen, Zulassung nur kleiner Gruppen und miserable
Betreuung beim Besuch begleiten durch Jahrzehnte das in Montague House untergebrachte Museum. Man darf das British Museum jener Jahre nicht mit dem verwechseln, was es ab
den 1830er-Jahren war, wo seine Sammlung, auch gespeist aus kolonialer Politik (Elgin
Marbles) enorm an Zahl und Bedeutung wuchs und das große repräsentative antikisierende Gebäude errichtet wurde..
Die Beispiele genügen, um ein Dilemma sichtbar zu machen. Es gibt vor allem zwei Schwierigkeiten. Das Wort Museum bezeichnet sehr unterschiedliche, untereinander kaum vergleichbare kulturelle Praktiken. Wobei ich hier gar nicht auf Wortbedeutungen
eingegangen bin, die kaum oder überhaupt nicht mehr mit ‚Sammlung’ oder ‚Ausstellung’ oder ‚Haus’ in Verbindung zu bringen sind.
Die zweite Schwierigkeit liegt in einem methodischen Zirkel. Für eine historische
Untersuchung bräuchte man einen Begriff, der aber wiederum nur aus einer Geschichte von Praktiken und Riten, von Zuschreibungen und Institutionalisierungen gewonnen werden
könnte, denen man aber schon eine museale Funktion zuschreiben müsste.
Im Grunde sind wir so gescheit, wie nach den vom neuntälteesten Museum provozierten Überlegungen.
Aber auch doch etwas weiter, weil das Problem besser, die Aufgabe es zu lösen als
komplexer und anspruchsvoller sichtbar geworden sind. Und weil einige Schlüsselbegriffe in
den wenigen zitierten Beispielen aufgetaucht sind: Sammlung, national, Gegenstände,
öffentlich...
Und noch etwas könnte hilfreich sein an den bisherigen Überlegungen: man sollte immer
daraus achten, welchen Begriff von Museum jemand hat - so selbstverständlich er erscheint,
er wird jeweils anders gefüllt sein, abhängig von dem, was der Sprecher an Geschichte und Funktionen bei "Museum" im Kopf hat. Kurz gesagt, das Wort "Museum" ist nicht
selbstverständlich. Je näher man es ansieht, desto ferner sieht es zurück.
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