Samstag, 25. April 2020

Wie „systemrelevant“ sind eigentlich Museen? Eine Replik auf Helmut M. Biens Petition „Öffnet die Museen!“

Wie „systemrelevant“ sind eigentlich Museen? Eine Replik auf Helmut M. Biens Petition „Öffnet die Museen!“

Der Text von Helmut M. Bien (der vor der Ankündigung geschrieben wurde, dass Museen wieder geöffnet werden können und der hier nachzulesen ist) ist mehr als nur eine Petition, in der das Aufschliessen gefordert wird. Bien verknüpft seinen Appell mit der Einforderung gesellschaftspolitischer Verantwortung der Museen. Mit praktischen Konsequenzen, für die er Beispiele gibt. Museen sollen einen Beitrag leisten zur Bewältigung und Verarbeitung der Krise und auch an Zukunftsentwürfen mitwirken.

Der Text gehört damit in ein derzeit weiterverbreitetes Genre von Krisen-Texten, in denen die Krise mit der Hoffnung auf Lernprozesse und daraus resultierend Veränderungen verknüpft wird. Das kann die Hoffnung auf mehr solidarisches Handeln sein, auf Verbesserung des Gesundheitssystems, auf Stärkung des Sozialstaates oder gar auf eine komplette Umwälzung des Wirtschaftssystems, wenn nicht gar auf das „Ende des Kapitalismus“. Kontrastierend dazu grassieren selbstverständlich auch Dystopien. Eben lese ich in einer Zeitung vom „Tod des Kinos“, vom Hotelsterben oder dem Zugrundegehen des Buchhandels. Und in Österreich wird eine hinsichtlich der Unterstützung Kulturschaffender und einschlägiger Institutionen zaudernden Politik, eine Ende der Kultur und damit der „Kulturnation“ überhaupt vorhergesagt. Noch heftiger sind Phantasien vom Überwachungsstaat oder dem Ende der Demokratie. 

Von einem Ende des Museums redet niemand. Deren finanzielle Krise scheint vorerst zumindest bewältigbar. Von der öffentlichen Hand alimentierte Museen brauchen ohnehin kaum etwas zu befürchten, aber möglicherweise werden kleinere, etwa von Vereinen oder finanzschwachen Gemeinden getragene Museen ähnliche wirtschaftliche Probleme bekommen wie viele andere Betriebe auch. Bei alledem wird die Bedeutung der Museen nicht in Frage gestellt. Die steht schon lange ausser Frage. 

Tut das den Museen gut, gerade jetzt, wo sie länger „verschwunden“ sind? Ich habe an anderer Stelle gefragt, warum die Museen nicht selbst radikal ihre Funktion und Bedeutung angesichts der Krise überdenken, warum sie die „Auszeit“ der Krise nicht nutzen, um ihre Aufgabe und ihre Arbeit zu überdenken. (Hier kann man den Text nachlesen). Wenn sie schon mit der von ihnen selbst veranlassten hyperventilierenden Digitalisierung implizit ihre Ersetzbarkeit als materiellen Überresten verschriebene Institutionen beweisen, warum denken sie die Krise nicht mal von der extrem negativen Utopie her: was wenn eine Gesellschaft ihre Museum „verliert“? Stellen Museen mit der vielfach problematischen Übertragbarkeit ins Netz, nicht sich selbst grundlegend in Frage? Wirken Museen damit nicht gerade an der Abschaffung dessen, was sie einmal waren mit? 

Der US-Museologe Stephen Weil hat vor vielen Jahren in einigen sehr witzigen und rabiaten Parabeln, genau diese Frage aufgeworfen und das Denkunmögliche probeweise durchgespielt - was ist, wenn die Existenzberechtigung der Museen in Fragte steht. (Hier der seiner Texte, der auf verblüffende Weise zur aktuellen Krise „passt) Ich hätte nie gedacht, dass seine Texte mehr sein könnten als ein Probehandeln im Denken. Jetzt wird seine Frage plötzlich praktisch: die Frage nach der Existenzberechtigung der Museen. Wozu braucht es sie?

Das ist die Frage, auf die ein Text, den Helmut M. Bien jüngst via Facebook veröffentlicht hat, hinausläft. Bien geht, wie viele andere, wie wohl die meisten, vom selbstverständlichen Existenzrecht des Museums aus. Es ist wichtig, weil es da ist und es ist da weil es wichtig ist. Zum Unterschied dieser gängigen, diskreten und zentralen Legitimation des Museums, das die am wenigsten und eigentlich nie in Frage gestellte unter den kulturellen Institutionen ist, wirft Biens „Petition“ aber die ausgesparte Frage auf: wozu brauchen wir Museen? Und das ist der Punkt, der mich an der Petition interessiert.

Dabei gibt Bien eine Antwort vor, die mir widersprüchlich erscheint, aber gerade darum produktiv für eine Diskussion. Das Museum soll als Speicherort des Wissens, eine Art von Gedächtnis, das historisches Lernen im kollektiven Massstab ermögliche. Die wichtigste Passage dazu lautet: "Alle, die Entscheidungen für sich und andere treffen müssen, brauchen Zugang zu den Wissensspeichern der Gesellschaft. Deshalb war es eine kontraproduktive Entscheidung, die Museen zu schließen. Dieser Fehler muss umgehend korrigiert werden. Öffnet sofort die Museen! Dort findet sich all das, was wir bisher an Wissen gesammelt haben über den Umgang mit Krisen und Seuchen, ihren Folgen und zu ihrer Bewältigung. Geschichte ist die beste Zukunftswissenschaft, die wir haben. Weil wir im Rückblick auf die Vergangenheit sehen können welche Zukunftsoptionen, Szenarien und Entwicklungspfade wir wählen können, wollen oder sollen.“

Ich teile diese Idee vom Museum, aber nicht den Optimismus, den Bien in die Institution setzt und, weit allgemeiner, auch nicht das Vertrauen in die historisch fundiertere Lernfähigkeit von Gesellschaften. Wo und wann haben je Museen solche grossen gesellschaftlichen Fragen aufgeworfen und wo haben sie je die nötigen Lernprozesse moderiert? Wenn ich meine Erfahrungen mit Museen in Österreich Revue passieren lasse, komme ich auf ganz wenige Museen oder Ausstellungen, die auch nur annähernd solchen Ansprüchen gerecht geworden sind oder heute und aktuell gerecht werden.

Ein Beispiel, um das Gegenteil zu vermuten: Es gibt grade eine in dieser Dichte einzigartige Welle von Dokumentations-Projekten zur Corona-Krise von vielen österreichischen Museen in nahezu allen Bundesländern. Es wird zur Einsendung von Objekten (materiellen Dingen, Fotos, Digitalisaten usw.) aufgerufen. Nirgendwo habe ich einen Hinweis darauf gefunden, wie dieses (unkoordinierte) Sammeln in solche Lernprozesse eingebunden werden sollen, von denen Bien spricht. Es fehlt dort an nahezu allem, an Einbeziehung der „Geber“, also an durchdachter Partizipation, die ihren Namen verdient, selbst an minimalen rechtlichen Regelungen, vor allem aber an formulierten Zielen und Strategien für dieses - wie mir scheint ziemlich überhastete und kopflose - Sammeln. Und es scheint beim Repräsentieren zu bleiben, beim nachträglichen „Bebildern“. Was dieses Sammeln zum Verständnis der Krise, zu ihrer Reflexion, ihrer Verarbeitung im Individuellen wie im Kollektiven beitragen soll, bleibt unklar. Das ist wohl sehr weit entfernt von dem, was Bin vorschwebt.

Praktisch bin ich sehr skeptisch. Als Museumshistoriker und Museologie bin ich allerdings ganz auf der Seite von Helmut Bien. Das Museum der Moderene wird als Agentur gesellschaftlicher Selbstauslegung und Selbstvergewisserung etabliert. Seit dem letzten Drittel des 18.Jahrhunderts entstehen in europäischen Staaten nach und nach Museen, die sich an das Gesamt der Bürger wenden und einem emphatischen Bildungsbegriff verpflichtet sind, der die Wohlfahrt aller zum Ziel hat, auch die materielle, nämlich dort, wo es um sehr praktische Konzepte technischer, naturkundlicher oder kunstgewerblicher Museen geht. Bei Kunstmuseen drehte es sich um an das Individuum adressierte Bildung, die damit aber kollektiv so etwas wie politische Sozialisation bewirken sollte. Teilhabe der Staatsbürger an ihren Angelegenheiten, an der res publica.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat das Schinkelsche Museum am Lustgarten in Hinblick auf die Ideale der von Wilhelm von Humboldt geleiteten Kommission eine Einrichtung genannt, die nicht weniger als die „Humanisierung der Nation“ zum Ziel gehabt hätte. Aber das war eine nie realisierte Utopie. Die aufklärerische, frühbürgerliche Phase in der in Europa die Idee des Museums entwickelt und realisiert (und schnell auch auf alle Kontinente exportiert) wurde, war rasch vorbei und was damals als produktive, am Gesellschaftlichen arbeitende Öffentlichkeit vom Museum aktiv ausging, ist so gründlich verschwunden und auch vergessen, dass heute wieder - unter kulturökomischen und verwertungslogischen Gesichtspunkten - von der „Publikumsorientierung“ gefaselt wird, so als ob man völlig vergessen oder verdrängt hätte, was bürgerliche Öffentlichkeit als sich „zum Publikum versammelnde Privatleute“ eigentlich einmal war und was sie heute wieder sein könnte. 

Ein anderer Einwand, den ich gegen eine gesellschaftspolitische Instrumentalisierung von Museen habe, betrifft die Professionalität des Museums. Ich erläutere das an einem Beispiel: Vor wenigen Jahren hatte ich Gelegenheit, auf Einladung der Herausgeber einer museologischen Publikation (Museum und Gegenwart. Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel. Bielefeld 2015) mit dem Präsidenten des englischen Museumsverbandes Mark Taylor ein längeres (schriftliches) Gespräch zu führen. Auch da ging es um die Krise der Museen und um einen „turn“ hin zu gesellschaftlich praktischem und eingreifenden Handeln, den sich der Museumsverband selbst verordnet hatte. Hintergrund war das politisch verursachte Ausbluten der britischen Museen, von denen sie in einem bei uns (noch) nicht denkbarer Weise existentiell betroffen waren. Der genannte „turn“ war eine Reaktion auf diese durch neoliberale Politik ausgelöste wirtschaftliche Krise der Institution und sollte den Museen frische Legitimation verschaffen. 

Meine Skepsis bezog sich damals auf die Kompetenz der Museen. Wieso sollten die plötzlich im Sozialbereich, in kultureller Altenbetreuung, in der Sozialarbeit und was auch immer, kompetent agieren können und sollen - und das in Konkurrenz zu etablierten und professionellen Einrichtungen? Woher käme denn plötzlich die Kompetenz des kunsthistorischen Kurators, der sich mit Zuschreibungs- und Datierungsfragen italienischer Renaissancemalerei beschäftigt, plötzlich zur Kulturgeschichte der Pest zu forschen und zu vermitteln? Und das nicht bloss retrospektiv, wie das historische Wissenschaften nun mal machen, sondern so, dass daran kontroverse aktuelle Diskurse praxisnahe anschliessen könnten?

Das Verdienst der Bienschen Petition sehe ich darin, dass überhaupt die Frage aufgeworfen wird, wozu wir Museen brauchen. Wie in den erwähnten wunderbaren Texten von Stephen Weil wirft auch Bien die - verwenden wir mal einen aktuell zirkulierenden Begriff - Frage nach der Systemrelevanz auf. Das gefällt mir. Wie auch sein Festhalten und Anknüpfen an aufklärerische Konzepte (aus denen ja das Museum entsteht). Solche Fragen werden sehr selten gestellt, noch seltener debattiert. Museen haben es normalerweise nicht nötig sie zu stellen, weil sie in aller Regel durch staatliche Gelder abgesichert sind und ihre Anerkennung stabil ist und nicht durch „gute“ oder „schlechte“ Arbeit infrage gestellt wird. Ein schlechter Film wird aus dem Programm genommen, eine missglückte Theaterinszenierung abgesetzt. Eine Ausstellung läuft so lange, so lange sie eben programmiert ist. Diesen Vorteil geniesst Das Museum, weil es gerade nicht marktkonform agieren muss. (Nebenbei: diesen Vorteil verspielen gerade grosse Museen dadurch, indem sie sich immer stärker marktkonformen Regel und Konkurrenzen aussetzen, deren verheerendste und dümmste, die Dauer-Schlacht mit den sogenannten Besucherstatistiken ist. Doch das ist einen andere Frage).

Sind also Museen systemrelevant? Helmut Bien geht davon aus und er möchte, dass Museen in diesem Sinn aktiv werden, weitaus aktiver als bisher. Ich glaube, dass die Systemrelevanz bei Museen möglicherweise woanders liegt, als er vorschlägt, nämlich als Medien und Agenturen einer politisch-sozialen Intervention und als Wissensort und Gedächtnisspeicher. Wichtig sind Museen (und all das andere, was wir unter „Hochkultur“ summieren) als „ideologische Staatsapparate“, als hegemoniale Praktiken im Feld der Kultur. Das wirkt sozial integrativ und zugleich Herrschaft sichernd (demokratische Herrschaft oder welche sonst auch immer). Die Selbstauslegung und Selbstvergewisserung, die Museen als „zivilisierende Rituale“ (Sabine Offe) ermöglichen, sind immer auch hegemoniale Strategien, Strategien von Eliten, ihren Status und ihre Macht und ihre kulturellen Präferenzen und ihr Geschichtsbild zu sichern und zwar so, dass diese partikulare Interesse immer hinter dem Anspruch ein Allgemeines zu sein, verschwindet. (Pierre Bourdieu und andere haben das eindrücklich und auch empirisch abgesichert gezeigt).

Ich erläutere es an einem Beispiel: Ich beschäftige mich aktuell aus Anlass des 150-Jahr-Jubiläums mit der Gründungsgeschichte des Metropolitan Museums oft Art. Es wird in den 1860er-Jahren von einer kleinen Gruppe von New-Yorker Bürgern ins Leben gerufen, die alle einer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Elite angehörten und die in der Krise nach dem Bürgerkrieg an der Stabilisierung der staatlichen Einheit und der Erziehung zu einschlägiger Bürgerlichkeit mitwirken wollen. Mit „Metropolitan“ in der der Namensgebung erhebt das Museum gleichzeitig einen Anspruch auf Konkurrenzfähigkeit im Feld der Kultur mit europäischen Metropolen. Auf der einen Seite steht also das sozialintegrative „nationale“ und städtische Projekt, auf der anderen ein „Erziehungsziel“, das keineswegs an der Humanisierung einer Nation oder dergleichen ausgerichtet war, sondern an der Reproduktion einer herrschaftsfähigen Elite. An die wandte sich das Bildungsideal des Museums. Die soziale und politische Integration war dabei, und das entwickelte England in seinen Museumsgründungen, etwa der der National Gallery, schon viel früher, etwa ab den 1820er-Jahren, die Grundlage der Schaffung stabiler Marktverhältnisse und das im nationalen Massstab.

Wenn ich mich mit Helmut Bien über eine wünschbare Zukunft des Museums verständigen sollte, dann müsste meiner Meinung nach erst einmal eine theoretische wie praktisch Selbstreflexion der Museen selbst einsetzen und dann eine von den Museen, der Zivilbevölkerung und deren politischen Repräsentanten gemeinsam getragene tiefgreifende Änderung einsetzen.
Da sind wir wieder bei den aus der gegenwärtigen Krise heraus generierten Hoffnungen auf ein besseres „Danach“. Warum also nicht hoffen? Es gibt ja tatsächlich zaghafte Ansätze einer Besinnung: Die paradoxe Abhängigkeit von Blockbuster produzierenden Museen von Drittmitteln, die Abhängigkeit von touristischem Publikum bei gleichzeitiger breiter Absenz der einheimischen Bevölkerung oder die ganz zart sich anbahnende Skepsis gegenüber dem Messen der Bedeutung von Museen am „Besucherumsatz“. Doch alle diese Entwicklungen wurden über Jahrzehnte von den Museen selbst vehement vorangetrieben (hier als Beispiel die Wiener Albertina) und die Politik hat nicht eingegriffen und das Publikum ist sowieso von jeglicher Teilhabe ausgeschlossen. Reden wir also von einer Revolution der Museumsverhältnisse? Und wer würde sie tragen? Und würden Museen die Repolitisierung der Institution, die das Wahrnehmen der gesellschaftspolitischen, der wohlfahrtsstaatlichen und demokratischen Aufgabe bedeuten würde, mittragen?  

Das Museum am Ende der Zeit (Die Museen und der Corona-Virus)

Der folgenden Text stammen aus dem Buch Making Museums Matter von Stephen E. Weil. Smithsonian Institution, 2002. Er ist mit zwei weiteren Texten unter dem Übertitel To Help Think about Museums More Intensely als warm-up exercises in der Zeitschrift Museums News, November – December 1996) erschienen. 

Den Text veröffentliche ich im Zusammenhang mit einer "Petition" von Helmut M. Bien, die im Grunde die zentrale Frage, die auch Weil (wenn auch in ganz andrer Form) aufwirft: Wozu braucht es Museen?
Hier der Text von Helmut M. Bien und hier meine Replik.
Ich hätte nie gedacht, dass Weils Texte, vor allem dieser, je von der Wirklichkeit eingeholt hätte eingeholt werden können. Er verpackt die Grundfrage Wer braucht Museen wozu? In eine witzige, ironische Parabel, in der so nebenbei auch die Blindheit der fachlichen Zuständigkeit und Professionalität thematisiert wird.
Ich kann Weils Texte nur empfehlen. Ich kenne keine anderen, die so radikal die Frage nach der Existenzberechtigung - oder wenn man will: nach dem gesellschaftlichen Sinn - des Museums stellt. Dabei war Weil etwas Seltenes: sowohl ein mit der Pragmatik des Museums ausserordentlich vertrauter Kurator und Museumsleiter wie auch ein brillanter musenlogischer Denker. Das macht seine Texte um so gewichtiger.

Zu Stephen Weils Biografie siehe am Ende des Textes.

Stephen E. Weil: The Museum at the End of Time


To: Members of the Staff
Metropolitan Museum of Life From: Office of the Director
Metropolitan Museum of Life

As all of you must be aware by now, it has been established beyond any pos­sible doubt that the universe will cease, abruptly and without a trace, a few seconds after 11:43 P.M. Greenwich mean time on August 16, 2125. At its most recent meeting, the museum's board of trustees asked me to be in touch with various of the museum's stakeholders (including the staff) to so­licit their views as to how this impending cessation of the universe might impact the museum's operations during the interim and also to inquire as to what changes in its programming, budget allocations, staffing, and so forth they might think appropriate in the light of this unprecedented situa­tion. Responses may be sent directly to my attention. For the sake of brevity, you may refer to the date of cessation as "C-Day".
Responses to the C-Day Memo from a history curator: Humankind will never again be the same. As the clock ticks toward its final tock, people, communities, and na­tions will behave toward one another in entirely unpredictable ways. These new relationships will be reflected in works of art, architecture, the de­ign of household objects, the content of publications of every kind, and nore. I am proposing (a) that we immediately establish apocalyptica as a major new collecting category that would cut across all previous depart-nental boundaries and (b) that we undertake a series of exhibitions to be given at regular intervals (perhaps once a decade through 2100, and at five-ear intervals after that) documenting the ways -sometimes somber, sometimes amusing - in which various communities are coping with their anticipated nullification. To provide just a touch of drama, the last of these night be timed to close on C-Day.

FROM   THE   ASSISTANT   DIRECTOR   FOR   FINANCE   AND   ADMINISTRATION: 
Now that the "Big Gnab" theory has finally been verified, I have two principal concerns: the endowment and the impact of end-time inflation. Concerning the endowment, it would clearly be absurd if any of this were left unspent on C-Day. How and when we can get the court's permission to spend the restricted part is something we'll need to consider. Given the freedom to do so, ought we treat it as an annuity and plan to have it run out just as our own time expires? Complicating this is he prospect of an inflation that will certainly rise to ever-more-hyper dimensions as C-Day approaches and the future value of money sinks toward nil. In those final days, what will induce our employees to come to work when their wages are no longer meaningful? The availability of canned food and bottled water might well be the answer. One of the things I hope we an commission somewhere down the line is a computer simulation indicating how and when we might optimally begin to shift parts of the endowment from securities to edibles.

FROM A RECENTLY HIRED AND JUNIOR MEMBER OF THE REGISTRAR´S DEPARTMENT: 
One of my museum studies classmates argues that registration work will start to slacken off as C-Day gets loser. He says that, in the end, nobody will care. I think that's wrong. If I were here, I would care. Even if the work weren't finished until the very afternoon of C-Day, I'd want to know that there's not a single object in this collection that hasn't been properly measured, photographed, and cataloged. It's a matter of duty. If something's the right thing to do, it's the right thing to do no matter what the circumstances. I hope that you and your successors will agree and maintain a fully staffed registrar's department right up to the very last minute.

From the curator of film and video: 
Being a frus­trated artist myself, I can envision exactly what I'd like to have on view in our new video gallery if I were still to be around when toodle-oo time comes along. What I see is a huge, floor-to-ceiling globe with the world's twenty-four time zones clearly marked. Inside each time zone, a television monitor would be mounted. Displayed on each of these twenty-four moni­tors would be real-time images televised in each case from the pertinent time zone. These would be selected so that adjacent monitors showed con­trasting images of tumultuous urban life and placid natural beauty. As the countdown to C-Day nears its end, and as the constraints of civilized be­havior begin first to loosen and then finally to fall away entirely, the juxta­positions and multiple ironies would be remarkable. Imagine images of Shanghai in the throes of a Saturnalian revelry, played off against images of the Pacific's steady roll as it heaves itself westward. Think of a bacchana­lian festival sweeping through the streets of Buenos Aires, while the next monitor over shows images of the Andes in all their cold, unearthly beauty; orgiastic London, and the night-shadowed fjords of Norway; San Francisco, and the imperturbable Rockies. As humankind hurtles back toward a state of nature, mute nature itself will be blindly marching down the path to its own oblivion. All right there on the screen, all right here in the museum. Oh, how I would like to live long enough to see it. I greatly envy my re­mote successor, who most likely will.

From the head of security: 
People are motivated to obey the law primarily by their fear of the consequences that may follow from breaking it. As C-Day approaches, the consequences that follow anything will become increasingly unlikely, and we can almost certainly expect to see a gradual increase in crime. This will pose a threat to our collection, our visitors, and our building. Although we would normally plan to counter this threat with a corresponding increase in the size of our guard force, the approach of C-Day may also prove to be a disincentive to work. If our col­lection, visitors, and building are to be properly protected until the end, priority must be given to the acquisition and development of a fully auto­mated security system that would not only apprehend potential perpetrators but might actually put them on trial and, if it found them to be guilty, carry out their sentences as well.

FROM   THE    DEPUTY   ASSISTANT    DIRECTOR   FOR   FINANCE AND ADMINISTRATION: 
If the museum is to make the maximum possible use of its resources, what will be required is a strategic plan pur­suant to which those resources can be gradually redeployed from future-focused activities to present-oriented ones, most particularly to public pro­gramming. By crunch-time on C-Day, every last vestige of infrastructure should have been phased out. Whatever remaining resources we've still got should (at least ideally) by then have been dedicated to active public use. In terms of space, this will mean converting our various working spaces (the conservation laboratory, the library, the registrar's area, the carpentry and other shops, and ultimately even our executive offices themselves) to gallery and/or special-events spaces. Likewise, collections storage must eventually be converted to open storage. The timing will be tricky. On the one hand, we don't want to terminate vitally important activities prematurely. On the other, it would be important to do this before terminal inflation makes the work prohibitively costly.

From the head of development: 
Tempting as it may be to concentrate on last things first - to wring our hands and complain that the glass is already half empty - the fact is that C-Day is more than a century and a quarter away. That's a half-full glass if I've ever seen one. Important now is not to brood about how we'll end our days but to exult over what we can be doing in the meanwhile to make them better. Development-wise, I think we can do well - not just well, but very well. How do we turn this oblivion thing to good use?
Well, for instance, since we won't be able to celebrate any anniversaries after the event, why not celebrate them before? I could see a benefit dinner dance to be held every August 16 with a regular recurring theme like "The Last Supper? Not Quite Yet, but Still Counting." If the curators weren't too finicky, a highlight of the evening might be an auction of some things from the collection. The idea would be to get an up-front payment for some fu­ture delivery (for example, on C-Day minus ten). In the same vein, since our costume collection no longer has to be preserved indefinitely, why couldn't we rent out some of the more famous items for people to wear to these events? Ditto the jewelry collection? Samuel Johnson once said that the knowledge that one was shortly to be hanged "concentrates [the] mind wonderfully." Well, if that's so, then the end of the universe should really get our creative juices flowing!!!

Assignment
Think about your own museum. Assume the contrary of what was imag­ined above. Assume that the "Big Gnab" theory has been discredited, and that the universe is not going to cease without a trace on August 16, 2125 or at any other time soon. To what extent has your museum articulated a distinct obligation to future generations? To what extent is that obligation explicitly reflected in its day-to-day operations? To what extent is it implicit? Are you satisfied with the extent to which future obligations are reflected in the operation of your museum? If not, what would you change?

Stephen E. Weil: A lawyer by training and a former official of the Whitney Museum of American Art, Mr. Weil became the deputy director of the Smithsonian's Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in 1974. He retired from that post in 1995 and became senior scholar emeritus at the Smithsonian Center for Education and Museum Studies.
A native New Yorker, Mr. Weil graduated from Brown University in 1949 and received an L.L.B. from Columbia University Law School in 1956. He practiced as an associate with what was then the New York firm of Rosenman, Colin, Kaye, Petschek & Freund. He was a vice president and general manager of the Marlborough Gallery from 1963 to 1967 and an administrator, secretary and trustee of the Whitney in New York from then until 1974. 
Mr. Weil was an expert in copyrights, trusteeships and the sale of artworks from museum collections. He was on the faculty of the Museum Management Institute at the University of California, Berkeley, from 1979 to 1996. 
He wrote often for art and museum periodicals, and he was a co-author of "Art Law: Rights and Liabilities of Creators and Collectors" (1986). His books now in print are "Rethinking the Museum and Other Meditations" (1990), "A Cabinet of Curiosities: Inquiries Into Museums and Their Prospects" (1995), "A Deaccession Reader" (1997) and "Making Museums Matter" (2002). (New York Times, 15. August 2005)




Dienstag, 21. April 2020

Öffnet die Museen! Eine Petition zur Situation der Museen von Helmut M. Bien

Der Text geht weit über eine aktuellen Appell an die Politik hinaus, doch endlich die Museen wieder zu öffnen. Helmut Bien spricht über gesellschaftliche Aufgaben, die Museen übernehmen sollten, also über eine wie mir scheint auch neue Aufgabenstellung. Während Museen während der Coronakrise überwiegend auf Digitalisierung setzten, auf oft nicht mehr als eine Transformation schon vorhandener Informationen ins Netz, wird hier eine weitaus umfassendere und anspruchsvolle Rolle der Museen diskutiert. Das interessiert mich und deswegen stelle ich den Text in meinen Blog. GF
Und hier meine Replik

Helmut M. Bien

Öffnet die Museen! Eine Petition

Der #Shutdown, diese Vollbremsung des Alltagslebens, war nötig. Auch die Letzten müssen begreifen, dass es in der Krise auf alle ankommt. Besonders in Gesellschaften, in denen man zuerst an sich selbst denkt, geht es nur so. Das Soziale kann sich kaum anders als durch Regeln effizient zur Geltung bringen. Das war auch schon 1973 bei den autofreien Sonntagen inmitten der Ölkrise so. Seit diesen Tagen hat uns die Energiefrage nie wieder verlassen. Dass jetzt und künftig die persönliche Gesundheit auf dem Spiel steht, haben alle kapiert. Auch diese Sorge wird nicht wieder verschwinden wie eine Grippe. Das ahnen wir. Und weiter?
Wir sehen, dass die Politik ‚auf Sicht’ durch die Krise navigiert, dass selbst die beratenden Experten vor allem wissen, dass sie zu wenig wissen oder sich sogar wechselseitig Unwissen vorwerfen. Alle, die Entscheidungen für sich und andere treffen müssen, brauchen Zugang zu den Wissensspeichern der Gesellschaft. Deshalb war es eine kontraproduktive Entscheidung, die Museen zu schließen. Dieser Fehler muss umgehend korrigiert werden. Öffnet sofort die Museen! Dort findet sich all das, was wir bisher an Wissen gesammelt haben über den Umgang mit Krisen und Seuchen, ihren Folgen und zu ihrer Bewältigung.
Geschichte ist die beste Zukunftswissenschaft, die wir haben. Weil wir im Rückblick auf die Vergangenheit sehen können welche Zukunftsoptionen, Szenarien und Entwicklungspfade wir wählen können, wollen oder sollen. Der Kulturhistoriker Egon Friedell hat seine ‚Geschichte der Neuzeit’ 1348 mit der Pest in Florenz beginnen lassen und die Seuche als einen Treiber für Literatur, Philosophie und Technologie identifiziert, aber auch als Anlass für Hexenverfolgung und Antisemitismus. Die Muster und Mechanismen haben sich viel weniger geändert als uns lieb wäre. In der Geschichte sehen wir welcher Weg wohin geführt hat. Aus dieser Erfahrung ergibt sich keine Zwangsläufigkeit für das Heute aber zumindest eine Warnung zu Risiken und Nebenwirkungen.
Das betrifft auch die Kunstgeschichte, die Beispiele zeigt, welche Strategien Künstler gewählt haben, um heil durch Krisen zu kommen. Claude Monet malte seine Seerosenbilder in Giverny, um mit der Verzweiflung über den ersten Maschinenkrieg 1914 – 1918 fertig zu werden. Das sind Geschichten der Krisenerfahrung, die nur die Museen im Angesicht ihrer Exponate erzählen können. Natürlich sind dabei auch digitale Wahrnehmungshilfen dienlich, aber immer auch ein wenig fahl und flau gegenüber den analogen Objekten. Deshalb öffnet die Museen und zeigt in den Sammlungen Objekte, die verstehen helfen. Beschäftigt Künstler nicht dafür, dass sie nichts tun sondern beispielweise Führungen machen, in denen sie ihre Sichtweisen und Strategien veranschaulichen. In der großen Depression in den USA gab es ein Künstlerprogramm, das Photographen beauftragte das Leben in der Krise zu dokumentieren. Aus diesem Programm gingen künftige Weltstars wie Walker Evans hervor, es entstand überhaupt erst etwas, das man als amerikanische Kultur bezeichnen konnte.
Öffnet auch die archäologischen Sammlungen und zeigt die Cloaca Maxima der Römer, ohne die eine Millionenstadt wie Rom niemals möglich gewesen wäre. Denn diese Cloaca schuf die Voraussetzung für die ungeheuere Verdichtung von Menschen an einem Ort. In Hamburg brauchte es erst einen Robert Koch, der 1892 zur Bekämpfung der Cholera in der Stadt engagiert wurde und den Zusammenhang von Seuche und fehlender (Abwasser)Infrastruktur aufdeckte.
Öffnet die Museum! Schöne Idee, aber wie soll das praktisch gelingen? Für den kommerziellen Raum gibt es die Regel, dass 1 Kunde auf 10 qm zulässig sein soll. Eine übliche Sonderausstellungsfläche im Museum hat 800 qm und damit Platz für 80 Besucher gleichzeitig. Für die meisten Museen in Deutschland dürfte das nicht wenig sein. Mundschutz-Benutzung und Hygienekonzept lassen sich leichter umsetzen als in jedem Geschäft. Sanitäre Anlagen werden sowieso penibel gewartet. An der Kasse lassen sich Plexiglashauben installieren wie an der Supermarktkasse. Selbst Führungen über Headphones sind machbar, weil die Zuhörer nicht dicht gedrängt um einen Guide herum stehen müssen.
Blockbuster-Ausstellungen arbeiten mit einem digitalen Ticketsystem, das online Karten verkauft und Zeitslots für den Besuch zuweist, damit nicht unnötig Warteschlangen entstehen. In kleineren Häusern ließe sich leicht eine Rezeption einrichten, die man telefonisch kontaktieren kann, um Karten und Besuchszeiten je nach Kapazität zu buchen. Jedes Restaurant macht es so mit seinen Reservierungen.
In Krisenzeiten erweist sich was Sonntagsreden wert sind. Systemrelevanz und Unverzichtbarkeit sind da wohlfeil, um dann in der Krise die Kultureinrichtungen sofort und reflexartig dichtzumachen und den hilfesuchenden Künstlern Einmal-Zahlungen anzubieten mit der impliziten Empfehlung, sich ein anderes Geschäftsmodell zu suchen.
Es wäre gut, wenn die Kulturverwaltungen eher Arbeit organisieren würden als Unterstützungsbedürftige zu betreuen. Niemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Kultur wichtiger als im Augenblick. Die Bedeutung der Kultur wird genau in dem Augenblick unterschätzt (übrigens auch von vielen Künstlern) wo die Gesellschaft dringend auf sie angewiesen wäre.
Die phantasievollen Streaming-Aktivitäten im Internet sind nur dann eine nachhaltige Lösung, wenn sie mit Bezahlmodellen verknüpft sind und nicht weitere Selbstausbeutungsinstrumente der Künstler, denen bei der nächsten Vertragsverhandlung nach der Krise vorgehalten wird, sie wären ja auch damals für umsonst aufgetreten.
Lasst die Museen vorangehen, sie sind für das #PersonalDistancing bestens geeignet im Unterschied zu den darstellenden Künste, die ihr Publikum in Raum und Zeit konzentrieren. Lasst 2020 zum Museumsjahr werden!

Helmut Maternus Bien
westermann kulturprojekte

Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Berlin. Redakteur, Autor, Zeitschriften- und Katalogmacher. Ausstellungskurator. Seit 1976 publizistisch tätig für Tageszeitungen wie die WAZ, Fernsehsender wie SAT 1, Zeitschriften-Legenden wie Transatlantik oder das FAZ-Magazin. Schwerpunkte: Kunst und Kultur, Kulturgeschichte des Alltags (Tourismus, Werbung, Esskultur) und wirtschaftsnahe Themen wie Unternehmens- und Produktkarrieren, Design, Marketing und Messewesen. Seit 2002 Animator und Kurator der Luminale.

Inzwischen hat Helmut Bien, der den Text geschrieben hat, ehe der Öffnung der Museen angekündigt wurde (in Deutschland und in Österreich Mitte Mai bzw. Anfang Juni), auf diese Ankündigung reagiert: Die Berliner Museen gehen voran und eröffnen am 11.Mai ! DANKE an alle, die mitgeholfen haben, die Petitition 'ÖFFNET DIE MUSEEN" zu verbreiten. Die Resonanz (nicht nur auf FB) war nachhaltig. Bitte verbreitet die Petition weiter. Denn die Öffnung ist nur der erste Schritt. Die Museen können jetzt die Rolle annehmen, zu Orten der Selbstverständigung unserer Gesellschaft zu werden. Sie haben die Lage in der Stadt, die Multirfunktions-Räume, die Kontakte in die Stadtgesellschaften. Die Museen können Kerne eines öffentlich geförderten PUBLIC ART PROGRAM bilden, das Beschäftigung für Kulturschaffende aus allen Sparten schafft und vor allem dafür sorgt, dass #PersonalDIstancing nicht zu #SocialDistancing mutiert...

Montag, 30. März 2020

Klaus Albrecht Schröder spricht von der Krise der Albertina. Aber die ist hausgemacht, von ihm

Die Bundesmuseen trifft die Coronavirus-Krise auf paradoxe Weise. Gerade die „erfolgreichen“ Museen trifft es am stärksten. Wer die meisten (touristischen) Besucher hatte, also wer einen großen Teil seines Budgets selbst erwirtschaftete, hat nun auch den größten Ausfall an Einnahmen. 
Vor diesem Hintergrund hat der Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder im Standard „Alarm geschlagen“. (23.3.2020) Er beziffert den Ausfall mit mehreren Millionen Euro über das gesamte Jahr berechnet, aber bereits im August könnte die Albertina nicht mehr liquide sein, also z.B. keine Gehälter mehr zahlen können. 
In der Krise sieht Schröder keinerlei Chancen, mit der Absage und der Verschiebung von Ausstellungen seien nicht genügend Einsparungen möglich und ein Ausweichen auf ein digitales Angebot kommt kaum in Frage: „Das Erlebnis vor dem Original ist nicht substituierbar.“
Doch ganz so mechanisch und kausal ist der Zusammenhang von medizinischer und Museumskrise nicht. Da spielt die unter Schröder entwickelte Konzeption der Albertina eine große Rolle. Die Entwicklung zum vollgültigen Kunstmuseum, das auf exorbitanten Ausstellungsflächen immer mehrere Ausstellungen gleichzeitig und mehrere Blockbuster pro Jahr anbieten m u ß, weil sonst die im Vergleich zur alten Graphischen Sammlung enorm aufgeblähte Institution nicht finanzierbar ist, zwingt zu einer hyperaktiven Ausstellungstätigkeit.
Schröder spricht das selber an und verteidigt diese Museumsphilosophie, die ohne Hunderttausende von Besuchern gar nicht mehr funktionieren kann. „Auch wenn jährlich etwa 350.000 Österreicher die Albertina besuchen, benötigen wir weitere 700.000 internationale Besucher, um unseren allgemeinen Museumsbetrieb finanzieren zu können...Ausstellungen wie jene zu Dürer, die 450.000 Besucher in drei Monaten hatte und mehrere Millionen Euro gekostet hat, refinanzieren sich selbst und erwirtschaften einen wichtigen Deckungsbeitrag zum allgemeinen Museumsbetrieb. Für die Modigliani-Ausstellung im Herbst brauchen wir mindestens 250.000 Besucher, um sie durchführen zu können.“ 
Schröder ist gezwungen, und das ist nicht neu und hat mit der Coronakrise nichts zu tun, Ausstellungen anzubieten, die möglichst hohe Besucherzahlen und damit hohe Einnahmen generieren. 
Auf vorsichtiges Nachfragen, ob eine solche Entwicklung denn überhaupt wünschenswert sei, antwortet Schröder unwirsch. Der Kunstgenuss werde geschmälert? Nicht in der Albertina. „In der Albertina konnten wir trotz über einer Million Besucher im Jahr die Intensität des Kunsterlebnisses sicherstellen. Ich kann dieser Rückbesinnung auf provinzielle Zustände nichts abgewinnen. Sind 200.000 Besucher glücklicher, wenn sie Matisse oder van Gogh nicht sehen können? Wenn sie nicht mit einer Monet-Ausstellung belästigt werden?“ 
Wie immer, es ist schwer über die Qualität von Museen zu sprechen. Die polemische Verkürzung, die im Vorwurf der an Quoten gemessenen „Provinzialität“ zum Ausdruck kommt, überspielt die Frage, wofür die Albertina eigentlich steht, welche Vorstellung von Kunst und Kunstvermittlung hier eigentlich regiert. Es scheint Schröder um internationale Reputation zu gehen, wobei er in einer Nebenbemerkung den Maßstab wohl höher hängt, als er je für die Albertina in Reichweite war: „Womöglich werden wir in den kommenden zwölf Monaten wieder ein wesentlich weniger internationales Programm haben als ein MoMA, ein Grand Palais oder eine Tate Modern.“ 

Wird die Krise neue Perspektiven ermöglichen, eine Revision der bisherigen Museumspolitik. Kaum. Eben ist das „größer und mehr“ fortgesetzt worden - mit der Eröffnung der „Albertina Modern

Freitag, 27. März 2020

Museen in der Coronakrise. Analog oder digital?



Bestrebungen zur Digitalisierung der Museen sind in der Coronakrise zur Hoffnung geworden, Museen digital weiter betreiben zu können.
Wenn das Museum, wie wir es bislang kannten, digital substituierbar ist, wozu soll man es denn wieder aufsperren?

Mittwoch, 25. März 2020

Museen in der Corona-Krise. Auf dem Weg zum digitalen oder zum radikalen Museum?

Auf Facebook lese ich: „Das Coronavirus hält die Welt in Atem und die teils katastrophalen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sind noch lange nicht in ihrem tatsächlichen Umfang absehbar. Auch und vor allem den Kulturbereich trifft es hart. Aber vielleicht ist diese Krise auch als Chance für diejenigen Kultureinrichtungen zu sehen, die nicht unmittelbar in ihrer Existenz bedroht sind und die noch Handlungsspielräume besitzen. Möglicherweise kann sogar die Digitalisierung einen erheblichen Schub dadurch erhalten, dass das Publikum und der Besucher nur noch online erreicht werden kann. Aus der Not wird vielerorts eine Tugend gemacht.“ (Quelle: zeilenabstand.net).

Täusche ich mich? Ist nicht dieser Optimismus die Digitalisierung des Museums betreffend, schon lange vor der Coronakrise stärker denn je unterwegs gewesen, hat nicht der „Schub“ schon längst eingesetzt? Bislang waren all diese Angebote, digitalisierte Objekte, Infoangebote, Lernseiten, Feedbackschleifen, Vermittlungsstrategien usw. immer unter der Voraussetzung angeboten worden, daß die Institution intakt und alles Digitale nur sozusagen Beiwerk, extra Dienstleistungen seien. 

Das ist jetzt anders. Museen sind geschlossen, nicht etwa weil sie Museen sind, sondern weil es Orte sich gefährdender Menschenansammlungen sind. Plötzlich steht die Institution nicht mehr zur Verfügung. (Ein Beitrag, der ebenfalls um die Herausforderung kreist, die die Coronakrise den Museen stellt, findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/03/die-museen-und-der-coronavirus-was.html). 

Aber anders als das Theater, die Oper, das Konzert, der Film, das Buch, wo es längst eine Tradition der digitalen Transformation gibt, ist diese für das Museum eine noch kaum erprobte, kaum entwickelte Herausforderung. Noch fehlt es hier weithin an Reflexion und experimenteller Praxis die die naive Vorstellung, das Museum einfach so wie es ist im Netz zu reproduzieren weit hinter sich ließe und in der etwas Neues entwickelt werden könnte, so wie sich ja auch längst Hybridformen von Theater, Kino, Rundfunk usw. entwickelt haben.

Worin soll denn die „Tugend“ bestehen, von der im Zitat die Rede ist? Doch nicht in den 1200 Links, die mir eine fleißige Sammlung in die Hand gibt, damit ich die National Gallery in London oder den Prado in Madrid „besuchen“ kann, und doch wohl auch nicht das Video, in dem ich mit dem Grazer Stadtrat durch die neueste Ausstellung des GrazMuseums gehen kann oder und auch nicht das Angebot des Bayrischen Nationalmuseums, die Ausstellung „Treue Freunde. Hunde und Menschen“ via Computer zu bewundern.

Von der Museumssoziologie kann man schon lange erfahren, in welch hohem Ausmaß der Museumsbesuch ein soziales Ereignis ist. Wie läßt sich denn unter den Bedingungen des erzwungenen „Social distancing“, das Digitalisierung sowieso meist nach sich zieht, da braucht es die Verbote der Coronokrise gar nicht, das Museum als Ort des Sich-Sammelns und des agonistischen Diskurses, von Bildung überhaupt, weiterdenken? Was ist mit dem „sozialen Raum“ Museum?

Und was ist mit der fundamentalen Transformation der Materialität der Dinge? Die galt doch bisher als die Essenz des Musealen, als unhintergehbare Bedingung des Museums, in dem Duplikate, Repliken etc. nur unter besonderen Bedingungen geduldet wurden. Sätze, die gegen den Trend der Digitalisierung gerichtet sind, hört man selten. Der Direktor der Albertina will einschlägige Angebote ausschließlich als zusätzliches Angebot sehen, nie als Ersatz von Ausstellungen: „Das Erlebnis vor dem Original ist nicht substituierbar.“

„Verschwindet“ da mit der (weil dem Publikum verschlossenen) Institution nicht gleich die Idee des Museums mit? Befristete Sperre für die Öffentlichkeit - warum nicht, wenn es ein effizienter Beitrag zur Krisenbewältigung ist. Aber „Abschaffung“ der Materialität der Sammlung durch Virtualisierung? Wozu hat es dann das Museum bisher eigentlich/ gebraucht?

Nun, vielleicht ist ja gerade das der Schritt in eine radikale Negation des Museums hinein, in der etwas Neues entstehen könnte, etwas was die Beschränkungen und Hypotheken der bisherigen Museumsidee auflösen könnte und an seine Stelle einen anderen Umgang mit Dingen, andere Weisen des Lernens, des Erfahrungen-Machens ermöglichen würde, eben ohne festen Ort, ohne besondere Architektur, ohne Entgelt, ohne autoritative Hierarchien. Dazu müssten die Museen die ihnen unerwartet zufallende „Pause“ als Zeit des Überdenkens und Projektierens nutzen. 


Dienstag, 17. März 2020

Der Präsident des Museumsbundes fordert bessere Absicherung der prekär Beschäftigten

Wegen der klaren Aufforderung, für bessere Anstellungsverhältnisse an Museen zu sorgen, übernehme ich aus dem Newsletter des Museumsbundes den Appell von Wolfgang Muchitsch.
Liebe Museumskolleginnen und -kollegen,
wir stehen nun vor unseren verschlossenen Museumstüren und vor einer für uns alle neuen Situation.
Uns erscheint es in dieser Zeit vor allem wichtig, dass wir im Kunst- und Kulturbereich jetzt alle zusammenhalten und Solidarität beweisen. Die geschlossenen Türen treffen uns alle, aber nicht alle im gleichen Ausmaß. Für Museen sind Ausstellungen (und damit einhergehend Veranstaltungen und Vermittlungsprogramme) nur eine, wenn auch natürlich eine sehr wichtige und öffentlichkeitswirksame Säule der Museumsarbeit, aber nicht die einzige.
Wir alle haben in den letzten Jahren vieles darangesetzt, Einnahmen und Drittmittel zu steigern, doch trotzdem wird unsere Tätigkeit überwiegend durch öffentliche Mittel finanziert. 
Andere Kulturveranstalter – Theater- und Konzertveranstalter, Festivals und Kinos bspw. – sind wesentlich abhängiger von diesen Einnahmen; viele Berufsgruppen, die mit dem Museum verbunden sind – u. a. Künstlerinnen und Künstler, Veranstaltungstechniker/innen, Grafiker/innen, Gestalter/innen uvm. –, sind weniger gut abgesichert. Auch innerhalb der Museumsorganisationen gibt es Berufsgruppen, die nicht abgesichert sind: In vielen Museen sind die Kulturvermittlerinnen und -vermittler prekär über Werkverträge oder als freie Dienstnehmer/innen beschäftigt und stehen derzeit für eine noch nicht abschätzbaren Zeit ohne Einkommen da. 
In Zeiten von Krisen werden viele Probleme deutlich sichtbar. Wir sollten diese Krise daher als Chance sehen, in unseren Museen für klare Verhältnisse zu sorgen. Fixe Anstellungen für die Vermittlung sowie ein Kollektivvertrag, in dem für alle Berufsgruppen im Museum Anstellungsverhältnisse ordentlich geregelt sind, würden die vielfach herrschende Ungleichheit beseitigen helfen. Der öffentlichen Hand sollte daran gelegen sein, den Wert der Kulturarbeit auch entsprechend zu honorieren, den Museen wiederum sollte daran gelegen sein, Gerechtigkeit und Fairness herzustellen.
Wir sollten die augenblickliche (zwangs-verordnete) Gedankenpause nutzen, darüber nachzudenken, in den großen Häusern das Programm zugunsten von #fairpay zu reduzieren; in den Regionen wiederum wird sichtbar werden, wie wesentlich die oftmals ehrenamtliche betriebenen Heimat- und Regionalmuseen als Kulturträger sind. Es wird eine Gedankenaufgabe für die Kulturpolitik sein, wie diese wichtige Museumsszene in Zukunft besser unterstützt werden kann.
Achten Sie auf Ihre Gesundheit! Wir freuen uns schon jetzt mit Ihnen, wenn wir alle die Türen unserer Museen wieder öffnen können.
Ihr
Wolfgang Muchitsch

Sonntag, 15. März 2020

Die Hinrichtung des Peter Rosegger in einem Nebenzimmer des Grazmuseums am 31. Juli des Jahres Zweitausendundreizehn

Die Pause im Schreiben über Museen, die einzuhalten sinnvoll erscheint angesichts der umfassenden Krise in der die der Museen eingebettet ist (als Kollateralschaden ungewisser Bedeutung), hat mich alte, liegengeiassene Texte wiederentdeckten lassen. Einer ist ein Kommentar zu einer Ausstellungseröffnung im Graz Museum zu einer Peter-Rosegger-Ausstellung die 2013 (sic!) stattgefunden hat. "Im Krug zum grünen Kranz" hiess die. Und im Untertitel "Peter Rosegger in Graz". Warum ich den Text seinerzeit liegen liess, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ich habe mich beim Lesen (und geringfügigen Korrigieren) ganz gut unterhalten. Möge es den LeserInnen ebenso ergehen!

Ich hatte schon so eine Vorahnung, und war aus Erfahrung so klug zu wissen, daß das Grazmuseum bei Ausstellungseröffnungen zu Exzessen neigt. Ich eroberte eine noch freie Stufe des zu den oberen Stockwerken führenden Treppenhauses, eingeklemmt zwischen erwartungsfrohen Gästen. Und es kam, wie es kommen musste, etwa eine dreiviertel Stunde wurde verbraucht bis die Tür zur Einzimmer-Ausstellung endlich geöffnet wurde wie zu einem festlich weihnachtlichen Geheimnis.
Zuvor hatte der Direktor des Hauses hierarchisch die sogenannten Honoratioren begrüßt, auch solche, die nur stellvertrtetend für abwesende und entschuldigte gekommen waren und wenn ich mich nicht irre, gab es auch zwar abwesende, aber im Kommen begriffene Gäste und sogar eine im Kommen begriffene Stellvertreterin einer abwesenden Stellvertreterin eines eigentlich und ursprünglich geladenen Gastes.

Marcel Broodthaers wusste, als er in seiner Wohnung (s)ein "Museum" eröffnete, was die unverzichtbaren Ingredienzen eines Museums sind: eine gedruckte Einladung, ein Direktor, eine Vernissage und ein Schriftzug MUSEUM. Eine Vernissage - hier wird der fraglosen gesellschaftlichen Übereinkunft Tribut gezollt, auf der hegemoniale Politik und Kultur beruhen. Alle können und müssen das Gefühl haben, einbezogen und gewürdigt zu werden im Dienste einer übergeordneten Pflicht: Kultur zu haben. Es geht vermutlich in Graz um jenes Restbürgertum, das schon so viel angerichtet hat und das Wilfried Nagl zum Bürgermeister gemacht hat.
Auch fürs Museum Direkt ist unter einem pragmatischen Gesichtspunkt das Ritual der Vernissage unersetzbar. Die politischen Funktionäre sind Geldgeber und Zustimmer - oder auch nicht.

Ob die angekündigte Stellvertreterin der Stellvertreterin je angekommen ist, entging mir, da ich während der Reden eine Weile durch ein verschiedenfarbiges Schuhwerk einer Dame abgelenkt war, die genau in meinem Blickfeld stand und dann erst recht durch den inhaltlichen Teil der Rede des Herrn Direktors. Der redete Klartext über den Herrn Rosegger und warf Worte wie scharfe Dartpfeile: Antisemit, Deutschnationaler, Antiaufklärer, Rassist, Männerbündler. 

Nun muß man ja sagen, daß das Grazmuseum immer wieder mal Themen aufgreift, die sich zwischen dem soften Grazalltag wie Schmirgelpapier anfühlen. Das ist zwar auch soft und kratzt an niemandem wirklich, aber es ist ohne wenn und aber verdienstvoll, oft ganz zeitnah an Vorgängen in der Stadt und auch nahe an Gruppen und Bewegungen, die einen Ort haben, sich so zu artikulieren. So etwas machen ganz wenige Museen. Und auch eine solche klare Sprache hört man selten, wie die Ausführungen zu Rosegger.

Indes, Rosegger?! - Wer kennt den noch, wer liest den noch, selbst in der Steiermark? Ist der nicht so tot, wie nur jemand tot sein kann? Auch wenn er vielleicht noch in Volksschulen auf dem Lande zwangsgelesen wird und eine kulturbeflissene Redaktion der - na sagen wir - einzigen in der Steiermark relevanten Tageszeitung glaubt, uns noch etwas Heldenweihrauch unter die Nase fächeln zu sollen.

Und wann hat man je ein Jubiläum an einem 170. Geburtstag begangen? Schon richtig, die numerische Zufälligkeit gilt auch für 75 oder 200, aber woher diese Not, ihn jetzt, grade jetzt, auszugraben, um ihn gleich wieder zu bestatten? Und dann kapriziert man sich auch noch drauf, die Ausstellungseröffnung exakt auf den Tag des Geburtstages zu legen, einen 31. Juli, beim vollem Risiko, von einem ferial oder badesaisonal abwesenden Publikum bestraft zu werden.

Off records konnte man Zustimmung zur Vermutung hören, daß Peter Rosegger tatsächlich nur noch eine bessere wächserne Mumie in der Asservatenkammer einiger Politiker und Funktionäre mit Treue zum Ewiggestrigen ist (davon gibts bekanntlich in Graz eine stattliche Fraktion).

Kann ein Museum mit offenem Visier tatsächlich gegen eine kleine, aber einflußreiche Fraktion der Stadtpolitik und des Stadtbürgertums antreten und dann mit den Mitteln einer Ausstellung, die sowohl ihren Gegenstand als die Auseinandersetzung um eine Person historisiert? Denn das findet dann ja dann doch nicht statt, das Analysieren jener über Generationen angestrengte Arbeit am 'Erbe', an seinem 'Lebendighalten', eine Kritik an einer Politik der Restauration all der Werte und Unwerte, die Rosegger (im Verein mit einer veritablen Männerrunde) hegte und pflegte. 

Auch kritische Musealisierung kann zweischneidig oder vielleicht vollend stumpf sein, oder?
Darüber entscheidet dann nicht nur die beachtliche ideologische Klarheit, die überzeugend vertetene eigene Position, sondern die Methodik, in diesem Fall, das Wie und Was der Ausstellung.
Die ist aber einigermaßen überraschend - jedenfalls für mich war sie daß. Als eine Art Intervention, als ein Raum inmitten der jungen Dauerausstellung, ist hier buchstäblich wenig Platz, und in Ermangelung herkömmlicher Objekte gibt es vor allem Text(e), originalen Rosegger zum Lesen, Sehen und Hören. Der Text ist aber wissenschaftlichen Text im Jargon einer Universitätssprache die jene "Politik des Widerspruchs" mit der sie den Humbug, den Rosegger verzapfte, als immanent widersprüchliches Nebeneinander von Haltungen verharmlost und als "Politik der Entschuldung" akademisch relativiert - im Geist jenes tief österreichischen Sowohl-als-auch-oder-und-nicht, das vor Jahrzehnten Robert Menasse so brillant analysiert hat. Und welcher Teufel reitet eine Kuratorin, anzunehmen, daß Museumsbesucher an Oberseminartexten interessiert sind, bzw. deren Hermetik locker aus der Hüfte heraus knacken können?

Schon bei ihrem Vortrag (wie gesagt, es mussten ja 45 Minuten zustandekommen für die Eröffnung) bediente sich die maßgebliche Rosegger-Professorin uns von ihrer steilen Fachlichkeit zu überzeugen. Ein älterer Herr neben mir, der dieselbe Treppenstufe teilte, stöhne und murmelte und ächzte besorgniserregend und hielt trotz alledem mit letzter Kraft ein Tonaufzeichnungsgerät in Richtung der akademischen Schallwelle. Mein Mangel an Kenntnis der steirischen Dialekte hinderte mich daran zu verstehen, ob der Sitznachbar nun eine gekränkter Roseggerianer, ein eben zum Intellektuellenhasser mutierender Landbewohner oder beides war. Fan der Vortragenden war er keiner.

Also liebes Grazmuseum! Alles geht, aber das eigentlich nicht mehr. Akademischen Text im Umfang von 8, 10 oder 12 DIN-A-4-Seiten an die Wand affichieren, auch wenn die Hintergrundfarbe noch so akkurat ausgesucht wurde und die die passende Schriftgröße traumwandlerisch getroffen wurde, das ist zu viel des Schlechten.

Und dann, allerspätestens dann, wenn jemand eine zweispaltige Literaturangabe an die Wand pinnt, eine Novität für mich, dann wäre eigentlich die Alarmstufe dunkelrot erreicht. Oder soll ich an dieser Stelle angekommen, meinen Tintenbleistift mit den Lippen benetzen und in mein aufgeklapptes Moleskinebüchlein fein säuberlich alles abschreiben, um am folgenden Tag gehorsam in die Landesbibliothek eilen, um mich dort in die einschlägige Sekundärliteratur zu vertiefen? Wer denkt sich so etwas aus?

P.S.: Es war nicht die erste und es war nicht die letzte Roseggerausstellung in Graz und wir werden uns in vermutlich rascher Folge weiterer Roseggerausstellungen erfreuen können.






Mittwoch, 11. März 2020

Die Museen und der Coronavirus. Was bedeutet das Verschwinden der Museen?




Der US-Museologe Stephen Weil hat vor vielen Jahren mal die ultimative Museums-Dystopie formuliert - das völlige Verschwinden der Institution. 

In pädagogischer Absicht und um so grundsätzliche Diskussionen auszulösen, verpackte er die Frage nach der Existenzberechtigung des Museums in Parabeln, in denen er die Leser zum Beispiel aufforderte sich parallel existierende Welten vorzustellen. Die eine mit, die andere ohne Museen. Welche unterschiedliche Entwicklung der beiden Planeten würden wir beobachten? In einer anderen Parabel stellte er die Reaktionen der diversen Museumsberufe angesichts eines ziemlich präzise vorhersehbaren Endes der Welt auf die Probe. Schließt man alle Museen, macht man weiter wie bisher, reagiert man auf die Bedrohung?

Ich dachte nicht, daß Weils wunderbare und tiefschürfende Texte je in irgendeine Nähe zur Wirklichkeit geraten könnten. Nur in der Distanz zu realen Verhältnissen schienen sie zu funktionieren. Als ein Probehandeln, das im Denken verblieb und deshalb ganz radikal sein konnte. So waren sie für kontroverse Diskussionen brauchbar. 

Als ich einmal in Anschluß an einen Vortrag, das Publikum fragte, was das plötzliche Verschwinden der Museen bei ihm auslösen würde, herrschte Ratlosigkeit. Das ist eine zu überfordernde Frage. Überfordernd ist vor allem, gerade das Museum als nie in Frage gestellte Institution, auf seine Bedeutung hin zu debattieren. Was bedeutet, es auch von Grund auf in Frage stellen zu können. 

Diese Infragestellung beginnt gerade. Jetzt verschwinden Museen. Viele, nicht alle und auf Zeit, nicht buchstäblich und möglicherweise nur für Wochen. Ein sich schnell ausbreitender Virus scheint das zu erzwingen und möglicherweise werden ja aus Wochen Monate. 

Die ersten Reaktionen beklagen nicht etwa einen Bildungsverlust sondern beschwören eine finanzielle Krise. Die ist bei staatlichen, also steuerfinanzierten Museen, weniger bedrohlich als bei vielen anderen kulturellen Praktiken. Aber bei sehr langer Schließung würde es tatsächlich zum materiellen Crash kommen können.

Noch stellt niemand die Frage nach der Bedeutung der Museen, nach dem Ausmaß des immateriellen Verlustes. Das kann ja noch kommen.


Dienstag, 3. März 2020

Der junge Hitler und wie Stefan Weiss ihn sieht

In der Tageszeitung „Der Standard“ vom 3.3.2020 schreibt der Mitarbeiter der Kulturredaktion Stefan Weiss über die Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten „Der junge Hitler“. 
Die Überschrift gibt der neutralen Bezeichnung der Ausstellung eine überdeterminierte Bedeutung: „Hitlers Jugendjahre: Der Wagnerianer mit dem ‚Nicht genügend.‘“
Da werden zwei Dinge zusammengezogen, die weder sachlich noch chronologisch etwas miteinander zu tun haben - eine schlechte Schulnote im Fach Deutsch und ein späterer Opern-Besuch - und deren Beziehung ohne jede Bedeutung ist.
Der Untertitel des Ausstellungsberichtes attestiert der Ausstellung ein Aufklärungspotential, als ob dieses noch nie genutzt worden wäre und zum ersten Mal gelungen sei, es auszuschöpfen: „Die Ausstellung ‚Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators’ im Haus der Geschichte Niederösterreich legt die Wurzeln des NS-Gedankenguts offen.“ 
Dieser Titel legt ja nahe, daß einerseits die Darstellung und Analyse der Jugend Hitlers geeignet sei, das NS-Gedankengut als Ganzes zu erläutern aber zweitens, daß die Person Hitler und der Nationalsozialismus so etwas wie eine Gleichung ohne Rest gewesen seien. Etwa so: Wenn man Hitler erklärt, erklärt man den Nationalsozialismus. 
Das hat schon oft in eine triviale Personalisierung und zu einer sehr schlichten Psychologie geführt, die so gut wie nichts erhellt oder schlimmer noch, mit der Konzentration auf die Person, viele wesentlichen Fragen zum Nationalsozialismus verschleiert. 

Der Autor der Ausstellungsbesprechung stolpert denn auch gleich zu Beginn seines Textes in die Falle der trivialisierenden Personalisierung und scheitert fürchterlich an seiner Exegese einer Fotografie. Dem Text vorgeschaltet ist nämlich ein Foto einer Schulklasse, das sofort ein „gespenstisches Dokument“ sein muss. Denn es zeigt Hitler in seiner Volksschulklasse, in der letzten Reihe, und das „mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.“
Es fällt sofort auf und es ist auch vielen Postern aufgefallen, daß viele andere Schüler genau so wie der "zukünftige Diktator" posieren - was möglicherweise einer disziplinierenden Order beim Fotografieren geschuldet ist - und daß der stechende Blick und das hochgereckte Kinn eher Projektionen als objektivierbare Tatsachen sind.
Gespenstisch ist weniger das Klassenfoto als die dieser "Bildanalyse" zugrundeliegende Psychologie, derzufolge der „Diktator“ schon im Kind angelegt und sichtbar gewesen sei.

Einer der Kuratoren der Ausstellung weiß dazu, als ob er persönlich dabeigewesen wäre: "Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft.“ 
Das Gegenteil war der Fall. Hitler hat seinen Blick bewusst genutzt und zu Requisiten ausgefeilter Selbstinszenierung gemacht. Albert Speer berichtet z.B.: „Seine Augen waren starr auf die Angetretenen gerichtet, er schien jeden durch seinen Blick verpflichten zu wollen. Als er zu mir kam, hatte ich den Eindruck, daß mich ein Paar weit geöffnete Augen für unermeßbare Zeit in Besitz nahmen." 

Muß ein Ausstellungsrezensent so etwas bemerken? Einen derartigen Widerspruch von historischen Fakten und kuratorialer Interpretation? Muß ein Kulturredakteur nicht vorsichtig werden, wenn - zum wievielten Mal eigentlich - Hitlers „künstlerische Ambitionen“ aufgetischt werden? Sollte man nicht grundsätzlich skeptisch sein, gegenüber einem Ausstellungskonzept, das den Nationalsozialismus aus der Biografie einer einzigen Person heraus zu deuten versucht und noch dazu aus deren Jugendjahren? 

Als „optisch gepolter Mensch“, berichtet Stefan Weiß von der Ausstellung, hätte Hitler früh ein Sensorium für die Ästhetisierung der Politik gehabt und sich (auch das ist schon lange bekannt), von sozialistischen Ritualen inspirieren lassen. Aber was bitte ist ein „optisch gepolter“ Mensch?

Die altbekannte, durch Wiederholung in ihrer Schlichtheit nur noch aufdringlichere entwicklungspsychologische These vom verhinderten oder gescheiterten Künstler, der in die Politik geht, ist sogar eine fettgedruckte Zwischenüberschrift wert: „Vom Maler zum Politiker“. Ja, ja, wie wir wissen hätte uns die Wiener Akademie der Bildenden Künste den Nationalsozialismus erspart, hätte sie Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung bestehen lassen...

Das eigentliche Erweckungserlebnis war der Ausstellung zufolge aber nicht die Bildende Kunst, sondern die Oper, genauer gesagt Wagners Opern. Leider läßt uns der Autor der Ausstellungsbesprechung, wie meist bei Rezensionen üblich, über das Spezifische der medialen Vermittlung im Ungewissen. Und das gerade dort, wo es doch ganz interessant hätte sein können zu erfahren, nicht was, sondern w i e es mitgeteilt wird. 
„Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.“
Das hätte mich doch interessiert, wie eine Ausstellung die historische affektive und ideologische Wirkung auf eine bestimmte Person uns heutigen Zusehern vermittelt haben will?
Aber die Ausstellung kann noch mehr. Sie läßt uns an „den künstlerischen Ambitionen“ Hitlers „Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung“ erkennen, was, hier wird Mussolini zitiert, nur in eine Auffassung von Politik als „größte Kunst“ münden konnte weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: „dem Menschen.“

Diese Ausstellung muß großartig sein, ich muß sie mir ansehen