Dienstag, 3. Juli 2018

Zwei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates des Hauses der Geschichte Österreichs sind zurückgetreten. Ein Interview über ihre Gründe

Vier Monate vor der Eröffnung sind dem Wissenschaftlichen Beirat des Hauses der Geschichte Österreichs zwei Mitglieder abhanden gekommen. Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien und Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstands sind ausgetreten. Das wirft Fragen auf.

Gottfried Fliedl: Warum die Austritte? Warum jetzt? Gab es einen Anlass oder geht es um Grundsätzliches?

Eva Blimlinger: Es ging uns um Grundsätzliches, was schon am Anfang nach Bestellung der Direktorin Thema war und zwar die Frage was ist die Rolle, was sind die Aufgaben des wissenschaftlichen Beirats. Dazu hat man sich bemüßigt gefühlt sogar eine Stellungnahme des Verfassungsdienstes einzuholen. Im Gesetz steht ja, dass spätestens sechs Monate nach der Bestellung die wissenschaftliche Direktorin in Abstimmung mit dem wissenschaftlichen Beirat im Rahmen der budgetären Festlegungen ein Konzept für die fachliche Ausrichtung des Hauses der Geschichte Österreich entwickeln soll. Angesichts der knappen Zeit war klar, dass die Ausstellung anlässlich 100 Jahre Republik im Vordergrund steht, denn ein Konzept für die fachliche Ausrichtung des Hauses der Geschichte Österreich wurde uns bis zu unserem Austritt nicht vorgelegt. Es hat doch auch lange gedauert bis ein Rohkonzept für die Ausstellung da war. Der wissenschaftliche Beirat wurde aber mit vielen Dingen die wir dann oft aus der Zeitung erfahren haben gar nicht informiert oder damit befasst , wie zB die Ausschreibung für die Ausstellungsarchitektur, die Ausschreibung für das CI das ja wohl mit der fachlichen Ausrichtung zusammenhängt, die Frage von zusätzlichen Konsulent_innen, die Entscheidung über die Soundinstallation am Heldenplatz und und und. Unsere Position war immer, es muss eine super gute Ausstellung werden um den Fortbestand des Hauses der Geschichte Österreich langfristig zu sichern.

Gerhard Baumgartner: Ich habe die Möglichkeit der Mitwirkung an einem Projekt wie dem HdGÖ immer als eine große Ehre empfunden und als eine große Herausforderung, geht es doch um eine zentrale politische und identitätsstiftende Positionierung Österreichs, die sich in solch einer historischen Ausstellung manifestiert, oder nach meinem Verständnis manifestieren sollte. Von Beginn an gab es unterschiedliche Auffassung darüber, wie die Formulierung des betreffenden Gesetzes auszulegen sei, dass gewissen Entscheidungen der Direktion „in Abstimmung“ mit dem wissenschaftlichen Beirat zu erfolgen haben. Die Interpretation durch den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, dass dies „Anhörung, Information und Konsenssuche, jedoch keine Mitentscheidungskompetenz umfasst“ muss ich als im besten Falle „eigenwillig“ charakterisieren und sie hat unsere Möglichkeiten als Beiratsmitglieder bei der Mitgestaltung der Ausstellung meiner Meinung nach wesentlich beschnitten. Konkreter Anlass aber war schlussendlich das Fehlen einer schlüssigen Darstellung der zentralen Aussagen und inhaltlichen Positionen der Ausstellung. Meine Fragen wurden von einzelnen Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates als unzulässige Behinderung abqualifiziert und das führte schließlich zu Auffassungsunterschieden, unter denen ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht mehr möglich erschien.

GF: Wie ich höre, geht es um nicht weniger als unzulängliche Texte und sogar um faktisch Falsches. Ist es denkbar, daß ein Museumsteam und ein Beirat das zulassen? Kam das nicht zu Sprache?

EB: Doch das kam es durchaus. Auf der einen Seite wurden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass wir lediglich beratend tätig sein sollen, was wir auch waren und andererseits haben wir dann Raumtexte und Erklärungstexte grundlegend überarbeitet, was wir gerne gemacht haben, aber doch wohl über die Arbeit eines wissenschaftlichen Beirat weit hinausgeht. Also auch hier konnte man sich nicht entscheiden was man eigentlich von uns erwartet.

GB: Unsere teils sehr ausführliche Bearbeitung oder Kommentierung der vorgelegten Texte entsprang einem Verständnis, dass – falls es irgendeine Zukunft für dieses Museumsprojekt geben sollte – diese Ausstellung sehr gut werden müsse, und zweitens unserem Gefühl einer besonderen Verantwortung für dieses geschichtspolitisch zentrale Projekt. Da ich aber nie mehr als einen Bruchteil der geplanten Texte zu sehen bekommen habe, erschien mir diese Verantwortung immer problematischer. Da andere Beiratsmitglieder dies nicht so sehen konnten oder wollten, war der Rücktritt schließlich die logische Konsequenz.

GF: Hat der Wissenschaftliche Beirat überhaupt Einfluss auf die kommende Ausstellung? Oder „begleitet“ er bloß den Prozess? Angesichts der Webseite des Hauses der Geschichte Österreichs frage ich mich, welche Diskussionskultur es dort gibt. Da wird z.B. das Haus als „Verhandlungsort und Diskussionsforum“ vorgestellt, aber es findet sich keine Spur der kritischen Debatten und Publikationen der letzten Jahre. Der Pressspiegel enthält nur - wenige - affirmative Berichte, nichts von den Auseinandersetzungen. Es gab auch keine partizipativen Elemente im Vorfeld, kein Einbeziehen der Zivilgesellschaft.

EB: Naja das mit dem Diskussionsforum steht schon im Gesetz und es gibt ja ein Publikumsforum *) das ja auch ein bisschen eingebunden war, aber auch hier nur das Wichtigste, also schon ein bisschen Zivilgesellschaft. Es hat Workshops gegeben es wurde der Kontakt zu Kooperationspartner_innen hergestellt und es gab das Bemühen viele Informationen zu versammeln. Und kritische Debatten war nicht so wirklich gefragt muss ich sagen, vor allem wenn es um das Konzept für die Ausstellung gegangen ist, ganz nach der Frage was ist die Erzählung dieser Ausstellung, die ja letztlich als eine staatsrepräsentative  gedacht ist. Es konnte bis zu unserem Rücktritt nicht erklärt werden.

GB: Selbst in jenen Bereichen, in denen uns das Gutachten des Verfassungsdienstes beschränkten Kompetenzen zusprach, wurden sie systematisch ignoriert. Die Wahl der Ausstellungsarchitekten, viel wichtiger aber noch der drei Ausstellungskurator_innen sowie der drei Ausstellungskonsulent_innen – inklusive der Modalitäten ihrer Beauftragung – erfolgten ohne Konsultation oder Information des wissenschaftlichen Beirates.**) Meine Forderung nach dringender personeller Aufstockung des Ausstellungsteams wurde abgewiesen. Die viel zitierten wissenschaftlichen Diskurse scheinen mir in der Ausstellungsvorbereitung nur in Form einiger Expertenrunden eingeflossen zu sein, im Publikumsforum und im wissenschaftlichen Beirat gab es das so gut wie nie, nicht einmal im so genannten Internationalen Wissenschaftlichen Beirat, der ja laut Gesetz überhaupt keine Funktion mehr hat, aber immer noch existiert. Nebenher gab es noch so genannte „Arbeitsgruppen“, aber ob die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen sich irgendwo niedergeschlagen haben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Eine Arbeitsgruppe, in der ich auch kurzfristig mitgemacht habe, scheint einfach irgendwann eingeschlafen zu sein.

GF: Bei der Entscheidung, das HdGÖ zu etablieren und in der Hofburg unterzubringen, spielten politische Überlegungen und direkte Interventionen (etwa bei der Standortwahl) eine große Rolle. Die Abhängigkeit von politischen Instanzen ist auch in die Zukunft hinein festgeschrieben. Spielte das je in den Diskussionen im wissenschaftlichen Beirat eine Rolle oder für den Austritt?

EB: Nein das spielte überhaupt keine Rolle für unseren Austritt, denn dann hätten wir ja gar nicht die Funktion annehmen dürfen, denn das war ja von Anfang an eine parteipolitische Entscheidung. Die Gründung war ja dadurch bestimmt, dass dem Weltmuseum unter BM Ostermayer Räume weggenommen worden sind, dass dann unter BM Drozda gleich wieder verkleinert worden ist und die Sammlung alter Musikinstrumente doch nicht übersiedeln musste. Seither wurde nichts an den Rahmenbedingungen verändert.

GB: Die Diskussion um den Standort im wissenschaftlichen Beirat neuerlich zu führen wäre doch reine Zeitverschwendung und völlig sinnlos gewesen. Das haben alle Beteiligten so akzeptiert, ebenso den Bestellungsmodus der Mitglieder des Beirates. Das war eigentlich überhaupt kein Thema und auch für den Rücktritt nicht von Belang.

GF: Angesichts der parteipolitisch-ideologischen Begleitmusik zum Projekt, frage ich mich einerseits wie sich das Museum in der aktuellen, seit der Gründung drastisch veränderten politischen Lage entwickeln wird, andrerseits ob das ganz praktisch etwas bedeuten wird. Und wenn ja, was? Wird es denn das Haus, das ja als zeitlich begrenzte Ausstellung eröffnet, denn je als Museum geben? Und unter welchen leitenden Prämissen?

GB: Eine tolle Ausstellung ist sicher die Voraussetzung für das Weiterbestehen dieses ehrgeizigen Projekts. Aber unter geänderten politischen Voraussetzungen können auch gute Projekte scheitern. Entscheidend wird wohl sein, ob und wie viele Österreicherinnen und Österreicher sich mit der im HdGÖ gezeigten Version identifizieren, sich in ihr wiedererkennen können – mit all dem was gut und auch was schlecht und falsch gelaufen ist in 100 Jahren Republik, nach dem Motto: „Das haben wir gut gemacht, das haben wir noch nicht richtig hingekriegt, da gibt´s noch was zu tun!“.  Und wenn man das auch noch den ausländischen Besucherinnen und Besuchern vermitteln kann, dann wird sie erfolgreich sein.
EB: Ich glaube es wird sehr viel davon abhängen, wie die Ausstellung rezipiert wird, wie viele Besucher_innen sie haben wird, ob sie also in den gängigen Vorstellungen, die sich ja vor allem nach Quantitäten ausrichten, ein Erfolg ist. Ich befürchte, dass die Qualität der Ausstellung dann wenig Rolle spielen wird, ob es als Museum in der Hofburg weitergeführt wird.




*) Anm. GF Hier der Link zur Zusammensetzung des Publikumsforums - https://www.hdgoe.at/wp-content/uploads/2018/06/Das-Publikumsforum-des-Hauses-der-Geschichte-%C3%96sterreich_Stand-22.01.18-1.pdf


**) Hier die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirates - https://www.hdgoe.at/ueber-uns/#gremien


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Mittwoch, 27. Juni 2018

Lesenswert

In der NZZ ist ein Gespräch mit Martha Rosler zu finden, das viele interessante und nicht immer gewohnte Überlegungen zum Museum generell, zu Kunstmuseen und zur Rolle der (Museums)Kunst enthält. Sehr lesenswert!

Der Link: https://www.nzz.ch/feuilleton/die-amerikanische-kuenstlerin-martha-rosler-bringt-den-krieg-in-die-gute-stube-ld.1398177

Dienstag, 26. Juni 2018

Die Wörter (Texte im Museum 682)

Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorioe (Alexander Kluge) XXIer-Haus. 2018

Unser Doktor Dollfuß oder: Wie in der Republik mit deren Bedrohung und Beseitigung umgegangen wird


Kassette mit Erde aus dem Grab von Engelbert Dollfuß
Holz, Erde, Produzent unbekannt
Österreich, 1935 Dr. Engelbert Dollfuß-Museum, Texing / Foto: ÖMV

Die Gemeinde Texingtal (Niederösterreich) will sich 2018 kritisch mit dem Erbe von Engelbert Dollfuß auseinandersetzen. Dollfuß ist in dieser Gemeinde geboren. In seinem Geburtshaus wurde 1998 ein Dollfuß-Museum eingerichtet.
„Wir müssen diese Jubiläumsjahre nutzen," sagt der Bürgermeister, "um uns mit unserer eigenen Geschichte zu beschäftigen“. Dazu ist das Museum da: „Dort wird das Historische gut erarbeitet und kritisch behandelt. Wir müssen die Thematik immer wieder diskutieren und aus den Fehlern der damaligen Zeit lernen.“
Der Manker SP-Stadtrat Anton Hikade, über dessen Zuständigkeit in dieser Angelegenheit man via Niederösterreichische Nachrichten nichts erfährt, meint hingegen: "Die Präsentation ist (...) ein Totenkult des Diktators.“
Allerdings hat Stadtrat Hidake das Museum nie gesehen. „Ich war einmal dort, da war aber geschlossen. (...) Es ist ja kein Museum zur geschichtlichen Weiterbildung. Und wozu sollte ich als Sozialdemokrat eine Kultstätte der ÖVP besuchen?“
Mank, die Heimat des Museumskritikers Zikade, hat kein Dollfuß-Museum dafür einen Dollfuß-Platz. Über eine Umbenennung wird im Gemeinderat diskutiert. Hikade ist für die Umbenennung und für eine Überarbeitung des Museums in der Nachbargemeinde: „In Zeiten, in denen es in Österreich einen gestiegenen Wunsch nach einem starken Mann gibt, wäre es höchst an der Zeit, der Öffentlichkeit auch den Führerstaat unter Dollfuß zu erklären.“
Der Texinger Bürgermeister kontert: "Ich lade alle ein, sich ohne Schaum vor dem Mund ein Bild zu machen. Die Zeit ist darin entsprechend dokumentiert.“ Die Frau Landeshauptmann wurde auch schon eingeschaltet. Was mit dem Museum wird, ist derzeit offen.
"Auf nön.at stimmten (laut NÖN.at, 3.5.2017) 65.7 Prozent gegen die Umbenennung des Dollfuß-Platzes in Mank."
Laut Google-Maps existiert der Platz noch. Als - Achtung! - Doktor-Dollfuß-Platz. Ehre wem Ehre gebührt.

"Chrtliches Gedenken"an den "Heldenkanzler". Dollfuß-Museum Texing

 P.S.: Eine ausführliche Kritik des Museums aus dem Jahr 2016 erschien in der Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerschaft "progress" (hier). Zitat: "Für eine geschichtsinteressierte Person gibt es so gut wie nichts her: keine Hintergründe, keine differenzierte Auseinandersetzung. Es herrscht ein Mangel an Informationen sowie kritischer Distanz, der fast schon unterhaltsam ist: Dollfuß kam aus bescheidenen Verhältnissen, sammelte ein wenig Tand an, arbeitete hart und fleißig als Landwirtschaftsminister, wurde IRGENDWIE Kanzler, um dann von Nazis erschossen zu werden. Wer eine Ahnung von österreichischer Zeitgeschichte hat, muss schon eine Vorliebe für plumpe Aussparungen und Euphemismen haben, um dem Museumsbesuch etwas abgewinnen zu können. Wer keine hat, lernt auf Wikipedia wesentlich mehr."
Die Autoren der Museumskritik, Georg List und Michael Gruber weisen auf die finanzielle Förderung des Museums durch das Land Niederösterreich und das Unterrichtsministerium hin und zitieren aus dem Gästebuch: „In Zeiten von Freihandelsabkommen und Massenmigration braucht es wieder einen starken Führer.“

Eine massive Kritik am Museum und am "Dollfuß-Mythos" findet sich im gleichnamigen Buch von Lucile Dreidemy. Dazu (hier) die Renzension von Peter Huemer im "Falter" aus dem Jahr 2015.