Freitag, 6. Dezember 2013

Gurlitt und die Folgen (2) "Der gute Erbe"

In der Frage der Restitution von in der NS-Zeit geraubtem Eigentum spielt das Verhältnis von privat und öffentlich eine mehrdeutige Rolle. So auch im aktuellen Fall Gurlitt. Die rechtsbrüchige Beschlagnahme von Kunstwerken etwa für das in Linz geplante Führermuseum beendet das private Verfügungsrecht in gewisser Weise im Namen der Allgemeinheit, die Sammlungsobjekte werden in Museen ja zu Staatsbesitz. Also Besitz der Allgemeinheit.
Das ist im Kern kein so großer Unterschied zu anderen rechtsbrüchigen Annexionen, etwa in der Französischen Revolution, wo diese "Veröffentlichung" den Raub legitimierte, oder im Zuge kolonialer Politik.
Restitution bedeutet, das wieder rückgängig zu machen und daher u.U. Kunstwerke der interessierten Öffentlichkeit wieder zu entziehen. Wann etwa je Gustav Klimts Gemälde "Wasserschlangen", das bei der derzeit reichsten Sammlerin der Welt in einem arabischen Emirat gelandet sein dürfte (aus wiener Privatbesitz und mithilfe einer eben erst gegründeten Privatstiftung sowie über ein namhaftes Auktionshaus), je wieder öffentlich zu sehen sein wird, steht in den Sternen.
Im gegenständlichen Fall, ist es offen und umstritten, ob nicht der gesamte von der bayrischen Justiz beschlagnahmete Fundus legitimer Besitz Gurlitts ist und sofort ihm zurückgegeben müsste, oder ob das nur für bestimmte Werke mit bestimmten, u.U. sehr kompliziert zu bewertenden Herkunftsgeschichten gilt.
Einen originellen Beitrag zu diesem Aspekt und zur Privatheit als Merkmal des Sammlers hat Isolde Charim kürzlich in der taz veröffentlicht. Das kleine Psychogramm des Sammelns und der Sammlerpersönlichkeit allgemein entlastet in ihren Augen Gurlitt freilich nicht, der sich zur kultivierten Person stilisiert, sondern lädt ihm Verpflichtungen auf.
"Cornelius Gurlitt ist der Inbegriff des guten Erben. Demgegenüber erscheinen die anderen Erben, jene ohne Rechtstitel, umso leichter als „raffgierig“. Vielleicht gibt es ja kein Rechtsmittel für die Restitution – aber der Blick des einsamen Herrn Gurlitt in seiner Schwabinger cella, dieser Blick ist in seiner ganzen Kunstsinnigkeit ein gestohlener Blick."

Isolde Charim: Gurlitt, der gute Erbe, in: taz (online), 26.11.2013
http://www.taz.de/!128146/ 

Gurlitt und die Folgen (1) Restitution als neue Forschungsdisziplin

Eine der Effekte, den die Entdeckung der jede Menge NS-Raubkunst enthaltenden "Sammlung Gurlitt" in München hat, ist eine intensive, differenzierte und z.T. gründlich recherchierte Berichterstattung in den Medien, die Weit über den Anlass hinaus viele Aspekte des NS-Kunstraubes thematisiert. Etwa die Rolle des Kunsthandels und der Kunsthändler einst und jetzt, der Mangel an gesetzlichen Regelungen in Deutschland, wo die österreichische Gesetzgebung als vorbildlich gilt, die Erörterung der ethischen, historischen und rechtlichen Aspekte.
Eben ist in der Neuen Zürcher Zeitung ein Essay erschienen, in dem die Restitutionsforschung knapp und historisch dargestellt wird, als neuer Forschungszweig, dessen Entstehung sich allein der (späten) Entdeckung der Problematik der NS-Raubkunst verdankt.
Überraschend ist die Auffassung des Autors, die Verschlampung der Herkunftsbezeichnung und -forschung in Museen, wie sie seit langem zu beobachten sei, sei auch der spezifisch deutschen Ideologie der "Kunst für alle" geschuldet -: je "massenmedialer" die Museen wurden, desto eher vernachlässigte man alles Nachdenken über die Herkunft der Objekte.

Joachim Günter: Phantasie darf sein, Pedanterie ist unerlässlich. Aufschwung der Provenienzforschung, in: NZZ online 5.12.2013
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/kunst_architektur/phantasie-darf-sein-pedanterie-ist-unerlaesslich-1.18198696

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Fundsache. Gegen Eventpädagogik

In der heutigen Ausgabe der WELT kritisiert Tilman Krause die Schließung des profilierten Austellungsortes für Literatur, des Strauhofs in Zürich. Was ihn stört, ist das Projekt, das als Ersatz und Fortschritt politisch annonciert ist. Eine Art Schreibwerkstatt für Jugendliche, an der Krause kein gutes Haar läßt: "Beides – Unter- wie Überforderung – ist Ausdruck jener "Eventpädagogik", die auch in Museen und im Literaturbetrieb ihr Unwesen treibt. Natürlich macht es Kindern Spaß, mit Farben rumzuspielen, und den Kick, dies nicht nur zu Hause zu tun, sondern an einem so eindrucksvollen Ort wie einem Museum, sollte man nicht unterschätzen. Doch da, wo Bilder ausgestellt werden, sollten Kinder etwas ganz anderes lernen: konzentriert ein Kunstwerk zu betrachten, um eine erste Grundlage für das ästhetische Formgefühl sowie für ihr Geschmacksempfinden zu legen und langsam an eine sehr spezielle Welt der Erfahrungen und Genüsse herangeführt zu werden. Das geht auch alles ohne Bohei und Tschingderassabum. Kinder haben nicht nur ein motorisches Bedürfnis, sondern auch eines nach innerer Sammlung. Eltern, die ihren Kindern oft vorlesen, wissen das."

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Inventar als Neutralisierung

Die technisch hervorragende Webseite der Tate Gallery, mit ihren hervorragend rreproduzierten Kunstwerken, der komplexen Suchmaschine und den umfangreichen Informationen zu Werken und Künstlern inventarisiert ihren Bestand an Werken der Guerilla Girls unter "frustration" und "humour". Man beachte auch das Verhältnis feministischer Kunst zum Gesamtbestand abstrakter Kunst. Der Clou ist aber als "subject" diese die Repräsentation von Frauen kritisierenden Arbeiten unter dem (kunsthistorischen) Terminus "non-representational" einzuordnen. Gut, damit ist Nicht-Abbildlichkeit oder sowas gemeint, aber meine Herren...!



Museumsethik


Erase discrimination (Texte im Museum 438)

Bildunterschrift hinzufügen

Museumsszene

Antony Gormley: Testing a World View 1993


Sonntag, 24. November 2013

Adoptieren Sie einen Menschenschädel!

Mit 200 Dollar ist man dabei. Das Mütter-Museum in Philadelphia, eine der berühmtesten anatomischen Sammlungen weltweit, besitzt über 130 Schädelskelette des Wiener Anatomen Adolph Hyrtl. Die darf und soll man jetzt adoptieren. Wozu? Das Museum: "Your $200 donation pays for the initial restoration and remounting of a skull of your choosing, and gets your name on a small plaque next to your adopted skull for the next year." Der von Geza Uirmeny scheint schon vergeben. Die moderne saubere Beschriftung gibt den handschriftlich auf den Stirnknochen geschriebenen Text wieder. "Geza Uirmeny, 80; Reformist, herdsman. At age 70 attempted suicide by cutting his throat. Wound not fatal. Lived until 80 without melancholy."


Donnerstag, 21. November 2013

Achtung! Dieses Museum kann Ihr Leben gefährden! (Texte im Museum 437)

Phaeno, Wolfsburg. Es ist nicht das einzige Museum, das Zaha Hadid geplant hat, wo es solche Warnungen vor der Architektur gibt...

Phaeno


Meine zweite Gelegenheit, das Phaeno in Wolfsburg zu sehen, war kurz und enttäuschend. In der "Erlebnislandschaft", wie das die Dame an der Kassa nannte, um meinen ICOM-Ausweis für nutzlos zu erklären und mir 12 Euro abzuknöpfen, war ich vor allem generationell deplatziert. Abgesehen von Aufsichtspersonen und Schülergruppen begleitenden Lehrern lag das Höchstalter der Besucher um etwa zwei Drittel unter meinem.
Mich haben interaktive Technik- oder Science Museen nie besonders angezogen. Der Informationswert ist sehr begrenzt, der gesellschaftliche und historische Kontext ist nahezu lückenlos ausgeblendet, der Spaßfaktor für mich nicht wahnsinnig groß und die praktische Bedeutung gering - meinen Fernseher verstehe ich ja doch nicht, und nicht nur den.


Anders als bedeutungsoffene Museumsarrangements bildet die Aneinanderreihung von Experimentierstationen weder einen durch Verknüpfungen generierten oder gar übergreifenden Sinn noch lassen die Erläuterungen Spielraum fürs Entdecken und Erfahren. Meist bestanden die erklärenden Texte aus drei oder vier, jeweils numerierten, Schritten. Der Text weist einen an etwas zu tun, dann zu beobachten, was passiert, um dann zu erklären warum es passiert und um welches physikalische usw. Phänomen es sich handelt. Es fehlen nicht nur Hinweise auf gesellschaftliche Anwendbarkeit oder gar deren positive und negative Effekte, es fehlt interessantwerweise auch die Iformation über immanent-technische Brauchbarkeit und Nützlichkeit. Letztlich bleibt die pure Affirmation von Technik und technischer Machbarkeit.
Als Besucher ist man hier der Pawlowsche Hund, der nach einem Reiz-Reaktions-Schema etwas in Gang setzt, was streng genommen nur im Text stattfindet. Denn Anziehungskraft oder elektrische Energie kann man nun mal nicht "sehen".
So bleibt ein mehr oder minder unterhaltender spielerischer Effekt mit Verblüffüngs- oder Überraschungsqualität. Dem scheint man auch nicht mehr so ganz zu trauen, denn mir schienen gegenüber dem ersten Besuch die rein spielerischen Installationen, wie diverse Kugelbahnen zum selberbauen, wesentlich mehr geworden zu sein.



Das Haus war voll, um 10 Uhr Vormittag, und nach einer Zeit des ziellosen Flanierens, Entdeckens und Beobachtens - nicht nur der Installationen, sondern der Atmospähre im Haus -, machte ich mich in die karge Cafeteria auf. Da gabs keinen Kaffee, technisches Gebrechen an beiden Maschinen. Wie empfohlen, kam ich eine viertel Stunde, dann noch mal eine halbe Stunde später. Vergeblich. Kein Kaffee. Eine Experimentieranordnung?
Vielleicht liegt meine Unlust am Phaeno auch an der Architektur. Die wurde bei Eröffnung hoch gelobt einschließlich der städetbaulichen Funktion als eine Art Tor zur Stadt. Gerade als das nehme ich den schwebenden Betonkörper nicht wahr, denn er steht als solitär und ohne Verbindung zu benachbarter Verbauung auf einem Un-Ort, zwischen Bahngeleisen und zwei Straßenzügen, die man überquert, wenn man in die Fußgängerzone will. Unter dem Bau durchzugehen ist weder nötig noch einladend, vor allem in der Dämmerung oder Nacht. Das Bauwerk stellt einen fließenden, unregelmäßigen, höhlenartigen Raum dar, der sich aus verschieden großen Volumina zusammensetzt und durch farbiges Licht zusätzlich gegliedert wird.
Museumsspezifische Qualitäten (in diesem Fall: das Phano-Erlebnis codierende und formierende) gibt es kaum, dafür viel an manieristischer Selbstverliebtheit im Detail (etwea ein Panoramafenster, bei dem es aber in beiden Blickrichtungen nichts zu sehen gibt). Was sich aufdrängt ist die Atmosphäre aus weitgehend im Dunkeln liegenden Sichtbeton und deren Brutalismus überspielendem Licht. Geht das zu weit, wenn ich vermute, daß es darum geht, eine immersiv-regressive Atmosphäre herzustellen, eine "kindgerechte" Spielhöhle bereitzustellen, in der es nicht um kognitives Lernen oder gar diskursive Erfahrung, sondern um Wohlfühlen und Spass haben geht?
Den Kaffee bekam ich dann in der Fußgängerzone.