Samstag, 17. November 2012

Das Irgun-Museum (Etzel-Museum) in Tel Aviv

Während ich diese Zeilen schreibe, beschießt die israelische Luftwaffe Ziele im Gaz-Streifen und feuert die Hamas Raketen auf Israel. Wie sich das entwickeln wird, weiß niemand, woher es kommt, kann man sagen. Vielleicht stimmt es, was man lesen kann, daß ein Ministerpräsident und seine Partei ein frivoles Wahlkampfspiel treiben - aber auf dem Rücken der eigenen Bevölkerung und unter Inkaufnahme zahlloser toter Palästinenser? Aber das ist ohnehin "nur" ein Anlaß, der Grund ist bekannt und liegt Jahrzehnte zurück.

Die von der Sehnsucht in das "Gelobte Land" zurückkehren zu können und von Pogromen verursachten Einwanderungswellen nach Palästina lösten nur sehr vereinzelt Konflikte aus, aber mit der in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts realisierbar erscheinenden Gründung eines National- und Territorialstaates Israel (nach einem sehr komplizierten diplomatischen Prozess) verschärfte den Konflikt zwischen Juden und Arabern.

England, seit 1917 so etwas wie eine Schutzmacht in Palästina, versuchte militärisch und diplomatisch die beiden Gruppen auseinanderzuhalten. Es gab verschiede Versuche, eine Koexistenz herzustellen und zu sichern. Als die englischen Truppen die Einwanderung einschränken und die Ansiedelung in Palästina nach ihren Plänen regeln wollten, kam es zur Gründung paramilitärischer Untergrundorganisationen, wie Hagana und Irgun (gegründet 1931, auch Etzel genannt, politisch verfolgte Irgun umstrittene Ziele und gilt als Keimzelle der knoservativen politischen Partei), die Anschläge auf englische Einrichtungen verübte. Die Eskalation dieser Anschläge nach dem zweiten Weltkrieg trug dazu bei, daß die britischen Truppen abzogen. (1)



Die Anschläge richteten sich auch gegen die arabische Bevölkerung. Nur etwa einen Monat vor der Staatsgründung richtete die Irgun in einem Dorf ein Massaker mit über hundert Toten an. Die Irgun war maßgeblich mit der Staatsgründung gleichsam zusammenfallenden Vertreibung der Araber aus Jaffa beteiligt. Jaffa war die von der Vertreibung der Araber am stärksten betroffene Stadt, man spricht von etwa 60.000 bis 75.000 Vertriebenen. Diese Vertreibungen war Effekt einer Staatsgründung nach Israels Vorstellung und zugleich der Beginn eines bis heute nicht gelösten Grundkonflikts. Die israelischen und palästinensischen Raketen, die sich heute im Himmel über dem Gazastreifen kreuzen, sind immer noch und wieder, ein Effekt dieses Grundkonflikts.

Heute schwankt, je nach Standpunkt, die Einschätzung dieser Gruppen wie Irgun zwischen Terroristen, Patrioten, Miliz, Untergrundorganisation usw. 1948 mit der Gründung einer israelischen Armee aufgelöst, ist Irgun heute ein Teil des israelischen Geschichtsbildes, trotz der partiellen Verdrängung und Verleugnung mancher Handlungen der Irgun. Das Verdängteste ist die Vertreibung der Araber. (2) Da muss man nur den Text lesen, der im Museum über das größte Massaker "informiert", das Irgun begangen hat, das in Deir Yassin

Genau dort, wo unter anderem Irgun, Jaffa zerstörte, liegt das Irgun (Etzel-)Museum, ein, ich würde vermuten von "Veteranen" betriebenes, von einer Organisation getragenes (3) Museum (gegründet von einem Kommandeur der Irgun). Frei stehend und weithin sichtbar in der Nähe des Strandes im südlichen Tel Aviv hat es einen durchaus prominenten Platz. Das Bauwerk dürfte symbolisch zu lesen sein: über einer Ruine eines aus ottomanischer Zeit stammenden Gebäudes, hat man eine Art Vitrine gestülpt, einen opaken Glaskubus, der den versehrten Unterbau zu einer Trophäe macht.

Das Museum ist ein Ort, den seine Gründer als Gedächtnis an die Opfer konzipiert haben - gemeint sind die bei den Angriffen auf Jaffa getöteten Irgun-Mitglieder. Das Museum rechtfertigt, soll man sagen "selbstverständlich", dieses Opfer, das die Irgun insgesamt als Bedingung für die Existenz des Staates Israel gebracht hat. Alle Text- und Bildinformationen laufen auf diese Sicht der Ereignisse hinaus und die - bescheidene - Staffage aus Waffen und Figurinen unterstreicht das. Irgun hat eine "Mission" im "Unabhängigkeitskrieg" (erfolgreich) erfüllt.
Diese Veteranen-Bastelarbeit hat mich eher gelangweilt. Immerhin, deine Überraschung hatte es für mich: Zeitungsausrisse zu einem Irgun-Anschlag auf das Wiener Parkhotel (dort waren britische Militärs stationiert).


Man kann sich fragen, warum ein solches Museum in einer derartigen Lage denkbar ist, aber man kann in jedem europäischen Land (nicht nur in europäischen) jederzeit ähnlich mufflig-verklemmte "Militärmuseen" finden (Österreich hat sogar eins im Großformat in Wien stehen), an denen es nur um eine einzige Wahrheit geht. In einen Touristenführer würde ich schreiben "Schöner Strandspaziergang".


(1) Ein jüngst auf ARTE gezeigter vierteiliger Spielfilm "The Promise" ("Gelobtes Land") des englischen Regisseurs Peter Kosminsky schildert, detailliert an den Fakten orientiert, diese Jahre unmittelbar vor der Staatsgründung. Die Verschränkung der Erzählung mit der Gegenwart Israels macht den Film zu einem wirklich bemerkenswerten Dokument zum Israelisch-Arabischen Konflikt. Hier ein interessantes Interview mit dem Regisseur zu seinem Film: http://foreignpolicyblogs.com/2012/09/21/an-interview-with-peter-kosminsky-creator-of-the-promise/
(2) ‪List of Arab towns and villages depopulated during the 1948 Palestinian exodus‬: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Arab_towns_and_villages_depopulated_during_the_1948_Palestine_War
(3) Das Museum wird von ‚The Society for Preservation of Israel Heritage Sites (SPIHS)’ erhalten, wozu es auf deren Webseite heißt „...The SPIHS was established to protect the irreplaceable historical buildings and heritage sites associated with Israel’s re-birth.

Eretz Israel (Entrée 83)


Minimal Label Art (Texte im Museum 347)

Alex Katz - Ausstellung. Essl-Museum, Klosterneuburg

Wiener Museumspläne

Gleich drei neue Museen könnte es in absehbarer Zeit in Wien geben. Nun, eins wäre nicht ganz neu. Aber wenn tatsächlich, wie eben angekündigt, das Völkerkundemuseum nach langen Jahren der Abwesenheit wiederum in etwa einem Dutzend Räumen eine Dauerausstellung zeigen sollte, dann wäre das schon fast ein "neues" Museum.

Die Finanzminsterin findet, daß die frisch renovierten Prunkräume - das Ministerium befindet sich im Stadtpalais des Prinzen Eugen -, nicht wieder schnöden Verwaltungsaufgaben gewidmet sein sollten und bot dem Museum im Belveder die Bespielung der Räume an. Da das das Finanzministerium bezahlen wird und nicht das zuständige Ministerium, hat das gute Chancen, realisiert zu werden. Beginnen soll die Kooperation mit einer Prinz Eugen-Ausstellung. Zwar hatte das Belvedere erst grade eine (2010), aber was solls.

Sozusagen "nebenan" liegt das zur Nationalbibliothek, die ja bereits mehrere Museen betreibt, das Hofkammerarchiv. Dort wird ein Literaturmuseum eingerichtet, unter dem Namen "Grillparzerhaus".
"Die denkmalgeschützten Regale" teilt uns die direktorin der Bibliothek mit, "haben eine unglaubliche Aura". Gibt es einen schöneren Grund, ein Museum einzurichten? Darf man damit rechnen, daß es nicht nur Regale zu sehen geben wird.

Resumé: Eine Ministerin wünscht sich was, eine Generaldirektorin findet Regale auratisch und ein Museum erwacht aus dem Winterschlaf. Wiener Museumspolitik.

Donnerstag, 15. November 2012

Turning Point (Texte im Museum 346)

"Die Kulisse explodiert". Theatermuseum Wien 2012

Würden Sie hier gerne sitzen? (Sitzen im Museum)

Römermuseum der Stadt Wien 2012

Where will we live? (Texte im Museum 345)

Cittadellarte. Kunsthaus Graz 2012

Die sogenannte Federkrone Montezumas. Unschuldskomödien um ein fragwürdiges Objekt

"Mexiko will Montezumas Federkrone nur ausborgen", beruhigte uns Barbara Petsch gleich mit der Schlagzeile eines Artikels der im Jänner 2011 erschien. Damals hatte es ja noch geheissen, daß man an eine Ausleihe auf Zeit denken könne, aber nur dann, wenn es keine konservatorischen Bedenken gäbe, und man ahnte schon damals, weiles ja konservatorische Bedenken immer geben kann, daß das mit dem Herborgen nichts werden würde. Tatsächlich, wir erfahren nun, fast zwei Jahre später, daß das nichts wird. Die Federkrone ist zu fragil, ein Schiffstransport käme nicht in Frage und ein vibrationsfreier Flug sei nur mit einem etwa dreihunder Meter langem Flugzeug machbar (sic!).
Es natürlich blöd, wenn man voll des guten Willesn ist, daß ein solches Flugzeug nicht existiert. 76 Meter ist das längste Flugzeug derzeit, da wird es also noch dauern mit dem Verborgen.

Die Federkrone war schon bei ihrer "Wiederentdeckung" eine Ruine. Achtlos lag sie Jahrzehnte in einem Schrank des Naturhistorischen Museums und drohte zu Staub zu zerfallen, als jemand entdeckte, daß das ein ganz ungewöhnliches Objekt sein müsse. Noch war niemand in der Lage, es zweifelsfrei zu identifizieren und so wurde eine eingreifende Restaurierung, die partiell eine Neuanfertigung war, auf der Grundlage unsicherer, wie sich später herausstellte irriger Annahmen gemacht. Die Identifizierung als Kopfschmuck durch eine US-Forscherin gegen Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte dann die projektive Übertragung auf Montezuma.

Was nun? Also, stellen wir halt nach jahrelanger Pause die Federkrone wieder mal aus, in Wien, im Völkerkundemuseum, schließlich gehört er, wie auch der Kultursprecher der Grünen versichert, "uns". "Pracht und Passion" wird die Ausstellung heißen, in die der "Penacho" (eine neue Sparchregelung, die hilft, die Peinlichkeit zu umschiffen, wieviel Montetzuma denn nun wirklich an dem Objekt hängt - die richtige Antwort wäre: nichts, kein Funserl). Das mit der "Pracht" verstehe ich ja, aber welche "Passion" bitte?

Die Webseite des Völkerkundemuseums kündigt ihre Ausstellung mit Sätzen an, die zum Feinsten an Verdrehung gehören, was ich so im Zusammenhang mit der Federkrone gelesen ababe. "Steht der Federkopfschmuck tatsächlich in Verbindung mit dem legendären Aztekenfürsten Moctezuma," heißt es da "wie dies in Mexiko noch heute gerne behauptet wird? War er der Kopfschmuck eines Hohepriesters bei rituellen Handlungen? Wie und durch wen kam er wirklich nach Österreich? Dies sind nur einige von vielen Fragen, Mythen und Legenden, die sich um das kostbare Artefakt ranken."
Also einmal spekuliert man selbst noch immer, obwohl das längst, auch durch museumseigene Forschungen widerlegt ist, mit einer Verbindung des Objekts zu Montezuma. Gleichzeitig macht man aber dafür Mexiko verantwortlich, was angesichts des jahrzehntelangen Umgangs des Musuems mit der Herkunft des Exponats schon atemberaubend ist. Nicht zuletzt weil "Federkrone des Montezuma" so eine Art Marke war, mit der Museum reüssieren konnte, wurde damit immer wieder aufgewartet, wiewohl die Forschung das längst nicht mehr deckte. Wenn man nun die Verantwortung auf Mexiko schiebt, impliziert das auf paradoxe Weise, daß dies ja wahrheitswidrig sein könne. Dann würde Mexiko selbst für die Entwertung des Objekts als königlicher Kopfschmuck verantwortlich werden.

Damit belasse ich es mal. Vielleicht habe ich Gelegenheit die Ausstellung zu sehen. Dann mehr davon.

Gottfried Fliedl: "...Das Opfer von ein paar Federn". Die sogenannte Federkrone Montezumas als Objekt nationaler und musealer Begehrlichkeiten. Wien 2001, ISBN 3-85132-313-0.

Was ist ein "gutes Museum"?



Ein Versuch

Ein gutes Museum...

...ist sich seiner politisch-gesellschaftlichen Aufgabe bewusst und nimmt diese verantwortlich und in seiner Arbeit wiedererkennbar wahr

...arbeitet auf der Grundlage eines reflektierten also auch historisch fundierten Begriffs vom Museum

...agiert aktiv als öffentlicher und sozialer Raum, in dem freie und ungezwungene Diskurse initiiert, ermöglicht und unterstützt werden

...macht die ‚klassischen’ Aufgaben des Museums, Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln nicht zum Selbstzweck, sondern versteht diese als Grundlage für die Schaffung eines sozialen, rituellen und zivilisierenden Raumes, in dem die Gemeinschaft der Besucher sie betreffende Fragen bearbeiten kann

...nimmt seine Zeitgenossenschaft aktiv wahr, indem es anerkennt, dass jede Beschäftigung mit Vergangenem, sei es Sammeln, Bewahren oder Deuten, immer von der Gegenwart aus vollzogen wird

...versteht seinen Auftrag nicht in der Deponierung, Bewahrung und Fetischisierung von Dingen, sondern in der Kommunikation von Bedeutung

...trifft Entscheidungen über Themen und Weisen der Darstellung im Rückgriff auf seine politisch-gesellschaftliche Verantwortung

...ist gegenüber seinem Publikum fordernd und rechnet mit einem Publikum, das seinerseits anspruchsvoll ist

...ist sich der Tatsache bewusst, dass es nicht nur ein durch soziale Schranken begrenztes Publikum anspricht, sondern selbst an der Schaffung sozialer Unterscheidung, an Ein- und Ausschluss beteiligt ist

...ist in der Lage, mit hegemonialen, herrschenden, kanonisierten Vorstellungen, Erzählweisen, „Bildern“ reflektiert und kritisch umzugehen  

...ist sich seiner institutionellen Autorität bewusst und stellt sich reflexiv auf jeder Ebene seiner Arbeit dieser Tatsache

...meidet ausgetretene Pfade und such experimentell und auch mit Risiko neuartige Themen und Ausstellungsweisen sowie nach immer neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Repräsentation

...reflektiert seine Geschichte und lässt erworbene Erfahrungen und Eigenschaften der Institution in seiner Arbeit wirksam bleiben   

...ist sich der Notwendigkeit professionellen Managements bewusst ohne dieses je über Zwecke des Museums selbst dominieren zu lassen

...zeichnet sich durch eine Organisationskultur aus, die allen MitarbeiterInnen Entfaltung und Anerkennung auf der Grundlage angemessener Arbeitsbedingungen bietet

Mittwoch, 14. November 2012

Brandzeichen


Wir befinden uns hier in einem Gang, der vom neuen Eingang zu den für Besucher geöffneten Bereichen des Stiftes Klosterneuburg  führt: Schazkammer, Prunksaal, Museum, Kaiserzimmer. Man hat den Museumsshop, die Kassa hinter sich und durchquert Räume, die über das Stift informieren, seine pastorale Tätigkeit, seine Kunstschätze, seine wirtschaftlichen Betriebe.
Während das Museum und die Prunkräume nicht oder noch nicht tiefgreifend modernisiert wurden, hat man die Schatzkammer mit ihren hochbarocken Möbeln zugänglich gemacht und um zwei neue, leider gänzlich athmosphärelose Räume erweitert.
Das "Branding" (ursprünglich das in die Haut gebrannte Zeichen zur Erkennung von Pferden oder Rindern, heute der Aufbau einer Marke), dem sich das Stift Klosterneuburg unterziehen wollte, beschränkt sich derzeit auf den Eingangsbereich und den Außenbereich, wo man Wegweise aufgestellt hat, die einem versichern, daß man sich vorm Stift Klosterneuburg befindet (und nicht etwa vor dem Schloss Schönbrunn oder der Klimt-Villa...).
In derselben Ästhetik und Zeigetechnik wie benachbart Kunstobjekte gezeigt werden, liegen hier fünf Flaschen vor einem Foto einer Emailletafel des Verduner Altares. Es sind mitnichten Weinflaschen, sondern es ist Apfelsaft, der hier aufgebahrt wird. Branding muß alles einander angleichen, austauschbar machen in Hinblick auf das, was das Schaffen einer Marke bezweckt: den Konsum der unter ihr subsumierten Ware. Und das ist, wir lesen es ja auch auf der Eintrittaskarte (hier), "Glaube, Wein, Kultur".

Mikroausstellung "Authentisch Sitzen"

Friedrich Kieslers Sitzmöbel für Ausstellungen in der Ausstellung "Die Kulisse explodiert" im Wiener Theatermuseum...

... und als Original aus den 40er-Jahren...
... auf dem Kiesler hier in seiner für Peggy Guggenheim konziperten Ausstellung "Art of this Century" (New York) sitzt...

... wobei Kiesler offenbar auch ganz anders konnte - vielleicht demonstrativ...

Museumstweetup

Swantje Karich schreibt sehr enthusiastisch über eine neue Form der Museumskommunikation. MuseumsbesucherInnen, u.U. an verschieden Orten unterwegs, vernetzen sich via Tweet und "führen" sich wechselseitig. Wobei das Wort "Führen" wohl unangebracht ist. Es ist eher eine gegenüber den herkömmlichen museumsspezifischen Möglichkeiten erweiterte Form der Kommunikation.
Ich bin ein Skeptiker was die jubilatorisch abgefeierte Applikation neuester Technologien auf das Museum betrifft, noch dazu, wenn das als ultima ratio der Weiterentwicklung der Museen, wenn nicht gar als ihre Rettung verkauft wird. Auch in dem Essay der FAZ findet sich der Satz: "Wenn die Museen die Technik nicht frühzeitig und sinnvoll nutzen, verlieren sie den Anschluss."Das ist blanker Unsinn.
Aber was hier geschildert wird, kommt mir ziemlich interessant vor. Und zwar deswegen, weil es einerseits über neue Techniken alte Kommunikationsformen erweitert und deren diskursiven Kern offenbar bewahrt. Aber bezüglich der Vernetzung von Personen und Orten etwas noch nie Dagewesenes erlaubt.
Hier der Link zum ganzen Artikel: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/twittern-im-museum-von-tweet-zu-tweet-11955646.html

Der Charme der Barbarei. Das Kongomuseum in Tervuren

1897 wurde in Brüssel auf Veranlassung König Leopold II. von Belgien das Kongo-Museum gegründet. Die politische Vorgeschichte dieses Museums ist die Aufteilung Zentralafrikas unter einigen europäischen Staaten auf der sogenannten Berlin-Konferenz von 1884/85, zu der Reichskanzler Bismarck eingeladen hatte. Ein Ergebnis der Konferenz war, daß der Kongo dem Belgischen König zugeschlagen worden - persönlich und nicht als Repräsentant Belgiens. Leopold hatte diese Annexion gut vorbereitet, unter anderem, indem er sich der Unterstützung des Journalisten und „Entdeckers“ Henry Morton Stanley versicherte. Leopold hatte seine in den 70er-Jahren begonnen Maßnahmen geschickt getarnt. Vom belgischen Staat mit Geld unterstützt, gründete er wissenschaftlich-philantropisch auftretende Organisationen, getarnt, die International African Society und die International Association for the Exploration and Civilization of the Congo.

Ein Drittel des Landes wurde Unternehmern überlassen, zwei Drittel behielt Leopold II. exklusiv für sich persönlich. Der belgische König ist im privaten Besitz eines Territoriums, das 76mal größer ist als Belgien und das er mit einer privaten Armee kontrolliert.
Um Investoren in die afrikanische Kolonie zu bekommen, nahm König Leopold I. die Brüsseler Weltausstellung von 1897 zum Anlass, eine Ausstellung im „Palast der Kolonien“ zu errichten. Sie sollte auch bei einem breiteren Publikum für die Kolonie werben. König Leopold I. und den im Kongo tätigen Firmen ging es vor allem um die Ausbeutung von Rohstoffen, vor allem Kautschuk, das für die Reifenproduktion, für Telefonkabel, Haushaltsartikel usw. eben gerade als Rohstoff wichtig und kostbar wurde und um Elfenbein. Die Ausstellung wurde auch nach Schließung der Weltausstellung gezeigt und der französische Architekt Charles Girault wurde 1904 mit den Planungen für ein eigenes Museumsgebäude beauftragt.

1910 wurde von König Albert I. das „Museum Belgisch Kongo“ eröffnet. 1952 erhielt es den Zusatz „königlich“. Zwei Jahre nach der Weltausstellung Brüssel wurde das Museum 1960 schließlich in Königliches Museum für Zentralafrika umbenannt. Bei dieser Weltausstellung, also kurz vor der Unabhängigkeit des Kongo 1960, vermittelte das Museum noch ein harmonisches Zusammenleben im und eine ebenso harmonische bilaterale Kooperation mit dem Kongo.

1998 erschien das Buch "Leopolds Ghost" des Historikers und Journalisten Adam Hochschild, der sich wesentlich auf ältere, z.T. zeitgenössiche Untersuchungen beziehen konnte. In Reaktion darauf richtete das Museum eine Ausstellung aus, die sich der Geschichte des Kongo als „Freistaat“ im privaten Besitz von Leopold I. (1885-1908) bezog ("The Memory of Congo" 2005), die von Hochschild als zu einseitig kritisiert wurde. Es flammte eine Kontroverse um das Ausmaß der Verbrechen und die persönliche Verantwortung Leopolds auf.

Umstritten war vor allem die Einschätzung der Verbrechen als Völkermord, der an die 10 Millionen Tote – eine Halbierung der Bevölkerung - gekostet hätte. Vorsichtigere Schätzungen gehen immerhin noch von der Tötung – durch Ermordung, Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten -, von etwa 20% der Bevölkerung aus.
Durch diese Kontroverse wurde spät das Ausmaß und die Barbarei der Kolonialpolitik Leopold I. bekannt. Zeitgenössische Untersuchungen hatten bereits unglaubliche Dinge ans Licht gebracht, aber Leopold gelang es, mit Medienkampagnen gegenzusteuern. Zu den Grausamkeiten gehörte Zwangsarbeit durch wie Sklaven gehaltenen Einheimischen. Um die Einhaltung von Erntenormen zu erzwingen, gehörte das Töten säumiger Arbeiter, denen zum Beweis, daß sie auch wirklich getötet worden waren, die Hände abgehackt wurden. Das führte dazu, daß Hände zu einer Art Währung im Tausch mit Patronen wurden, weil sie als Beweis dienten, daß sie wirklich zum Töten und nicht etwa zum Jagen verwendet worden waren. Das wiederum hatte dazu geführt, daß Menschen, auch Kindern, bei lebendigem Leib Gliedmaßen abhgehackt wurden, nur um einen „Beweis“ für eine Tötung zu sichern.

Als die Nachrichten über die Zustände im Kongo nach und nach öffentlich bekannt wurden, entfesselte Leopold eine beispiellose Medienkampagne, in der es ihm gelang, den Berichten ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen. 1902 erschien Joseph Conrads "Reise ins Herz der Finsternis", ab 1903 begann der englische Jornalist E.D. Morel seine Untersuchungen zu publizieren und Einfluß auf die Haltung der englischen Politik zu nehmen. 1904 wurde ein umfangreicher Augenzeugenbericht des britischen Konsuls Roger Casemont veröffentlicht. Leopold I. wurde gezwungen, eine belgische Untersuchungskommission einzusetzen und die bestätigte den Bericht Casemonts. Das alles führte zu einer breiten Initiative, die als erste weltweite humanitäre Bewegung gilt und der neben den genannten etwa auch Mark Twain und Bertrand Russel angehörten. Die Kampagne bewirkte, die Beschlüsse der Berlinkonferenz zu revidieren.

1908 übernahm der belgische Staat den Kongo. Die Herrschaft Belgiens dauerte bis 1960. Als am 30. Juni 1960 der Festakt der Unabhängigkeit des Kongo stattfand, antworte der erste, durch freie Wahlen legitimierte Ministerpräsident des Landes, Patrice Lumumba in seiner öffentlichen Rede auf die affirmative und den Kolonialismus rechtfertigende Ansprache des belgischen Königs Baudoin mit einer scharfen Kritik an der Kolonialpolitik. Er kündigte Demokratisierung und Verstaatlichungen an, was sofort Belgien und die USA zu Gegnern machte. Nicht einmal sieben Monate später, am 17. Jänner 1961, wurde Patrice Lumumba ermordet, wie man heute ziemlich sicher zu wissen glaubt, von belgischen Militärs und Geheimdienstlern, die dem CIA, der ihn ebenfalls beseitigen wollte, zuvorkamen.

Das Museum in Brüssel-Tervuren heißt heute Musée Royal de l'Afrique Central. Man hat in den letzten Jahren immer wieder von Veränderungen gehört, die sollten aber behutsam vor sich gehen, hieß es. Eine energische und nachhaltige Konsequenzen aus den einschlägigen Forschungen und Debatten hat man bis jetzt nie gezogen. Nun ist eine zweijährige Schließung (2013 bis 15) angekündigt, während der die Dauerausstellungen erneuert werden soll. Allerdings ist da in erster Linie von einer Renovierung des hundert Jahre alten Gebäudes die Rede und der Direktor sagt (auf der Webseite des Museums) dazu: "Der einzigartige Charme dieses denkmalgeschützten Gebäudes bleibt sicher bewahrt, aber sowohl szenographisch als auch inhaltlich war eine Renovierung notwendig."

Seine Begrüßungsworte enthalten keinen einzigen Hinweis auf die Kolonialgeschichte, auf Leopold I. und den Kongo. Stattdessen versichert er uns der Bedeutung des Museums: ""Das Königliche Museum für Zentralafrika (KMZA) hat den Ruf, eines der schönsten und beeindruckendsten Afrikamuseen weltweit zu sein. Seit Gründung 1898 besteht der Auftrag des Museums darin, Sammlungen aufzubewahren und zu verwalten, wissenschaftliche Untersuchungen zu führen und der breiten Öffentlichkeit Kenntnisse über die Aktivitäten des Museums im Bereich Bildung und Wissenschaft zu vermitteln. Das Museum nimmt aktiv an der nachhaltigen Entwicklung von Afrika teil und will ebenfalls Zentrum für Begegnungen und die Überlegung über das gegenwärtige Afrika und seine Problematik sein. Unsere vielfältigen Sammlungen haben einen hohen wissenschaftlichen Wert und sind in zahlreichen Bereichen einzigartig. Gegenwärtig werden große Teile dieser Sammlung digitalisiert, damit sie für Forscher auf der ganzen Welt zugänglich werden."

Unter dem Stichwort "Geschichte" (des Museums) liest man: "Am Ende des 19. Jh. konnte Leopold II. seinen Wunsch erfüllen und dem kleinen Land Belgien eine Kolonie verschaffen. Und sehr schnell fühlte er den Bedarf, sein Kongo der belgischen Bevölkerung zu zeigen...Um die 'Entwicklungs- und Bildungsarbeit' von Belgien im Kongo besser bekannt zu machen und um der belgischen Bevölkerung einen besseren Einblick in die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Gebietes zu geben, wollte Leopold II. eine Art Museum oder 'Schaufenster' über sein Kongo einrichten...Im Park wurden neben vielen anderen Attraktionen verschiedene kongolesische Dörfer aufgebaut. Ferner wurden in einem unterirdischen Verbindungsgang besondere und eigenartige Süßwasserfische aus Kongo gezeigt. Diese Ausstellung wurde zu einem enormen Erfolg mit mehr als 1,2 Millionen Besuchern in sechs Monaten."

Wer liest? (Texte im Museum 344)