Kaum hat sich die Situation des Altonaer Museums, das knapp vor der von der Politik beschlossenen Schließung stand - zumindest kurzfristig - entspannt, gehen Meldungen über die Gefährdung eines weiteren großen kulturhistorischen Museums durch die Medien. Diesmal kommen die Nachrichten aus der Schweiz, wo dem in Bern angesiedelten Schweizerischen Alpinen Museum fast die Hälfte der Bundessubvention gekürzt werden soll, was die Kürzung der kantonalen Mittel nach sich ziehen würde.
Das Museum, kurz nach 1900 gegründet, zuletzt in den 90er-Jahren gründlich umgestaltet ist in einem interessanten und sachlichen Bau der 30er-Jahre untergebracht. Die Dauerausstellung unterscheidet sich nicht wesentlich von der vergleichbarer alpiner Museen. es geht um die Topografie und Geologie der Alpen, den Alpinismus und die technische Erschließung der Berge, um Flora und Fauna, um Tourismus und wissenschaftliche Erforschung. Wie jedes der einschlägigen Museen hat auch diese Besonderheiten in der Sammlung, großartige Reliefs oder etwa die Fragmente eines riesigen panoramatischen Gemäldes, das Ferdinand Hodler für eine Weltausstellung malte.
Als ich das Museum vor einigen Monaten besuchte, habe ich es mit großer Sympathie und Neugier kreuz und quer durchstreift und ich wurde selten in einem Museum so liebenswürdig empfangen, wie dort. Ich hätte mir nicht vorgestellt, daß ein gleichsam 'nationales' Museum ernstlich in Gefahr geraten könnte, obwohl schon damals von einer kritischen Finanzierungssituation gesprochen wurde.
Unglücklich ist die Situation auch, weil das Museum sichtlich einen gründlichen Relaunch braucht und dafür auch ein vielversprechender Wechsel in der Leitung schon beschlossen wurde. Beat Hächler, einer der Verantwortlichen der Ausstellungen in Lenzburg (Stapferhaus) wird das Museum übernehmen (oder ist gerade dabei). Das Stapferhaus in Lenzburg hat Ausstellungen gemacht, die nicht bloß thematisch von Interesse waren und sind, sondern wo eine gründliche begleitende Reflexion der medialen und sozialen Potentiale des Ausstellens stattgefunden hat. So sickerte das Gerücht schließlich auch über die österreichische Landesgrenze, "daß es da was Interessantes gäbe" und heuer führte mich mein Weg nach Bern (ohnehin verkehrstechnisch unvermeidlich) auch nach Lenzburg.
Wenn es ganz schlimm kommt, dann wird der neue Direktor am Berner Museum mit einer Konstellation konfrontiert sein, die der in Altona ähnelt: bei gekürzten Mitteln wird dem Museum eine Neukonzeption und Neupositionierung abverlangt werden.
Indes haben sich auf hoher politischer Ebene bereits Advokaten des Museums zu Wort gemeldet, und zwar genau deswegen, weil das Alpenland schlechthin wohl nicht so ohne weiteres auf sein - mit Abstand - wichtigstes alpines Museum verzichten kann.
Bei vielen Aufenthalten in der Schweiz habe ich ein wenig etwas von den formalisierten Verfahren der Bürgerbeteiligung mitbekommen, so daß ich mal drauf vertraue, daß die Stimmen einiger Bundesräte und - wie in Hamburg -, der zivilgesellschaftliche Widerstand letztendlich zu einem Weiterbestehen des Museums beitragen werden - und das unter guten Bedingungen für einen Neustart.
Freitag, 12. November 2010
Montag, 8. November 2010
Kunst der Anpassung. Eine Ausstellung im Grazer Stadtmuseum
Die Kunst der Anpassung. Steirische KünstlerInnen im Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda ist eine Ausstellung, die derzeit im Grazer Stadtmuseum zu sehen ist (bis 2.1.2011) und in Kooperation mit der Neuen Galerie des Universalmuseum Joanneum erarbeitet wurde.
Gezeigt werden Gemälde, Grafiken und Plastiken steirischer Künstler, die sich dem NS-Regime mehr oder weniger 'angepasst' bzw. in ihm eine aktive (kultur)politische Rolle gespielt haben.
Was zu sehen ist, ist mit wenigen Ausnahmen kaum von künstlerischem Belang, von Interesse sind sowohl die Funktionen, die Kunstwerke als Bildschmuck, Auftragsarbeiten oder direkt propagandistisch hatten als auch die Biografien, die oft jene 'Wendigkeit' hatten, die erlaubte, vom Avantgardisten zum ideologisch bemühten Heimatmaler zum christlichen Nachkriegskünstler zu werden.
Im Prinzip sind dies keine neue Einsichten, sondern ein bekanntes Muster mit Varianten, die gelegentlich durch besondere lokale Umstände interessant werden. Dabei hilft die Beschriftung, die die Angaben zum Werk von den biografischen trennt und gesondert noch zusätzliche biografische Informationen bietet. Also gleich drei Textsorten, die zumeist ihren Sachverhalt trocken und kanpp auf den Punkt bringen.
In Umrissen wird so ein Netzwerk von Beziehungen von Personen und Institutionen, von Ereignissen und Werken sichtbar, kurzum eine Geschichte einer Unkultur, die sich nicht auf die Daten 38/45 eingrenzen lässt. Dies ins Bewußtsein zu bringen ist wohl das größte Verdienst der Ausstellung.
Machen wir dazu eine kleine Probe, und informieren uns im Internet über einen der ausgestellten Künstler, Hans Mauracher, dem in Graz übrigens ein kleines, vom Universalmuseum Joanneum betreutes Museum gewidmet ist. Der so überdurchschnittlich und bis heute gewürdigte Maler und Bildhauer ist also "anerkannt", wie die aktuelle Webseite der Grazer Secession zu ihrem (Gründungs)Mitglied schreibt. Außerdem erfahren wir dort, wann er sich in Maria Trost niedergelassen hat oder wie lange er gelebt hat, kaum mehr. Zwei Werke werden erwähnt, zwei abgebildet, beide stammen aus der Zeit nach 1950.
Ausführlicher ist die Biografie Maurachers in Wikipedia. Die endet allerdings 1930. Kommentarlos wird ein Zitat von 1930 zur Charakterisierung Maurachers mit "Religiosität, Heimatliebe und Naturnähe" wiedergegeben. Der Kulturserver der Stadt Graz zeigt einige Werke, alle aus den 50er-Jahren, auf der Webseite des das Mauracher-Museum verwaltenden Universalmuseums Joanneum ergab die Suche nach Mauracher keinen Treffer. Auch die einschlägigen Seiten des Landes kennen Mauracher nicht.
Die Angaben zur Biografie Leo Bokh's, von dem ein Porträt in der Ausstellung zu sehen ist, machten mich neugierig. Er schaffte es, ohne Karrierebruch am Landesmuseum zu arbeiten. Zu ihm findet sich im Internet kaum etwas, mit Ausnahme von rezenter Restitutionsforschung - in diesem Fall auch des Joanneum selbst.
Kurzum, die Ausstellung rekonstruiert ein auch 65 Jahre nach Kriegsende erstaunlich lückenhaftes Wissen und arbeitet gegen eine offenbar noch immer wirksame Verdrängung und Verschlampung. Dabei hat sie insofern selbst Grenzen, als sie zwar den Blick auf Institutionen, auf Museen, Künstlervereine, Ausstellungen usw. erweitert, aber dabei oft nicht sehr weit geht - es sei eingeräumt, möglicherweise weil eine Ausstellung kaum fehlende Forschungsarbeit kompensieren kann.
Daß etwa Trachtenpflege an einem Objekt und in einer Vitrine thematisiert wird, ist in dem Kontext nicht selbstverständlich, aber sinnvoll, als Teil der visuellen Strategien, die der NS wie kein politisches Herrschaftssystem zuvor nutzte. Aber das Umfeld, die (pseudo)wissenschaftliche und museale Trachtenpflege mit ihren bekannten Protagonisten und ihrer über 45 weit nachhaltigen Ideolgie, dazu konnte ich nichts finden.
Vieles was man zu sehen bekommt, dreht einem den Magen um. Man sollte nicht zu sensibel sein, wenn man sich den ästhetischen und thematischen Zumutungen mancher Elaborate aussetzt, die wohl nie mehr anders denn als Dokumente einschlägiger Ausstellungen aus den Depots geholt werden. Manches ist schlicht skurill, wie zwei buchstäblich goldige Knaben, die einen Stab mit Leier präsentieren. Die ist aber erst nach 45 angebracht worden, statt der bekannten NS-Embleme. Diese "Symbolträger", wie sie mal hießen, waren nun eine Würdigung "An die Kunst". Autor: Hans Mauracher.
Man trifft auf einige solcher 'Mutanten', die, wie ihre Schöpfer, das Kriegsende in neuem ideologischen Gewand überlebten. "Deutsches Leid" oder auch "Deutsche Heimatvertriebene", 1940 in Bronze gegossen und Hitler als Geburtstagsgeschenk zugedacht, konnte nach 1945 als "Familie" reüssieren.
Symmetrisch dazu wird die Wandlungsfähigkeit mancher Künstler dokumentiert, wie die des Gebrauchsgrafikers, der seine Fähigkeiten bei Kastner & Öhler und dann in der NS-Propaganda anwendete, oder die des Grafikers, der nach 45 KPÖ-Plakate entwarf. Karl Mader, einer der prominenten NS-Künstler, einer mit der 'Auszeichnung' auf der Großen Deutschen Kunstausstellung vertreten gewesen zu sein, trat 1946 der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft bei…
PS.: Der österreichische Museumstag fand heuer in Kärnten statt, in Klagenfurt und in Spittal an der Drau. In Spittal war das Schloß Porcia Tagungsort, in dem auch das Bezirksheimatmuseum untergebracht ist. Dieses Museum hütet einen Bestand von Gemälden von Karl Truppe, einem in der NS-Zeit eifrig tätigen, einschlägig geschätzten und auch von Hitler gemochten Künstler. Bis vor nicht langer Zeit hingen in einer Art Galerie diese Truppe-Bilder wie selbstverständlich als Teil der musealen Präsentation im Museum - nicht als Dokumente zur (Kunst)Geschichte der NS-Zeit, sondern als Würdigung eines 'Heimatmalers' und seiner Werke.
Jetzt wurden diese - übrigens durchwegs ziemlich scheusslichen - Bilder auf die sogenannten Repräsentationsräume aufgeteilt, womit sie eine noch größere Bedeutung erhalten haben, als Teil der (Selbst)Repräsentation der lokalen und gelegentlich auch regionalen politischen und kulturellen Eliten.
Und in diesen Räumen fand der Österreichische Museumstag statt.
Auch aus diesem Grund ist es zu begrüßen, wenn es Museen gibt, die wie das Grazer Stadtmuseum Geistesgegenwart zum Arbeitsprinzip machen wollen und können.
Fotos: GF
Gezeigt werden Gemälde, Grafiken und Plastiken steirischer Künstler, die sich dem NS-Regime mehr oder weniger 'angepasst' bzw. in ihm eine aktive (kultur)politische Rolle gespielt haben.
Was zu sehen ist, ist mit wenigen Ausnahmen kaum von künstlerischem Belang, von Interesse sind sowohl die Funktionen, die Kunstwerke als Bildschmuck, Auftragsarbeiten oder direkt propagandistisch hatten als auch die Biografien, die oft jene 'Wendigkeit' hatten, die erlaubte, vom Avantgardisten zum ideologisch bemühten Heimatmaler zum christlichen Nachkriegskünstler zu werden.
Im Prinzip sind dies keine neue Einsichten, sondern ein bekanntes Muster mit Varianten, die gelegentlich durch besondere lokale Umstände interessant werden. Dabei hilft die Beschriftung, die die Angaben zum Werk von den biografischen trennt und gesondert noch zusätzliche biografische Informationen bietet. Also gleich drei Textsorten, die zumeist ihren Sachverhalt trocken und kanpp auf den Punkt bringen.
In Umrissen wird so ein Netzwerk von Beziehungen von Personen und Institutionen, von Ereignissen und Werken sichtbar, kurzum eine Geschichte einer Unkultur, die sich nicht auf die Daten 38/45 eingrenzen lässt. Dies ins Bewußtsein zu bringen ist wohl das größte Verdienst der Ausstellung.
Machen wir dazu eine kleine Probe, und informieren uns im Internet über einen der ausgestellten Künstler, Hans Mauracher, dem in Graz übrigens ein kleines, vom Universalmuseum Joanneum betreutes Museum gewidmet ist. Der so überdurchschnittlich und bis heute gewürdigte Maler und Bildhauer ist also "anerkannt", wie die aktuelle Webseite der Grazer Secession zu ihrem (Gründungs)Mitglied schreibt. Außerdem erfahren wir dort, wann er sich in Maria Trost niedergelassen hat oder wie lange er gelebt hat, kaum mehr. Zwei Werke werden erwähnt, zwei abgebildet, beide stammen aus der Zeit nach 1950.
Ausführlicher ist die Biografie Maurachers in Wikipedia. Die endet allerdings 1930. Kommentarlos wird ein Zitat von 1930 zur Charakterisierung Maurachers mit "Religiosität, Heimatliebe und Naturnähe" wiedergegeben. Der Kulturserver der Stadt Graz zeigt einige Werke, alle aus den 50er-Jahren, auf der Webseite des das Mauracher-Museum verwaltenden Universalmuseums Joanneum ergab die Suche nach Mauracher keinen Treffer. Auch die einschlägigen Seiten des Landes kennen Mauracher nicht.
Die Angaben zur Biografie Leo Bokh's, von dem ein Porträt in der Ausstellung zu sehen ist, machten mich neugierig. Er schaffte es, ohne Karrierebruch am Landesmuseum zu arbeiten. Zu ihm findet sich im Internet kaum etwas, mit Ausnahme von rezenter Restitutionsforschung - in diesem Fall auch des Joanneum selbst.
Kurzum, die Ausstellung rekonstruiert ein auch 65 Jahre nach Kriegsende erstaunlich lückenhaftes Wissen und arbeitet gegen eine offenbar noch immer wirksame Verdrängung und Verschlampung. Dabei hat sie insofern selbst Grenzen, als sie zwar den Blick auf Institutionen, auf Museen, Künstlervereine, Ausstellungen usw. erweitert, aber dabei oft nicht sehr weit geht - es sei eingeräumt, möglicherweise weil eine Ausstellung kaum fehlende Forschungsarbeit kompensieren kann.
Daß etwa Trachtenpflege an einem Objekt und in einer Vitrine thematisiert wird, ist in dem Kontext nicht selbstverständlich, aber sinnvoll, als Teil der visuellen Strategien, die der NS wie kein politisches Herrschaftssystem zuvor nutzte. Aber das Umfeld, die (pseudo)wissenschaftliche und museale Trachtenpflege mit ihren bekannten Protagonisten und ihrer über 45 weit nachhaltigen Ideolgie, dazu konnte ich nichts finden.
Vieles was man zu sehen bekommt, dreht einem den Magen um. Man sollte nicht zu sensibel sein, wenn man sich den ästhetischen und thematischen Zumutungen mancher Elaborate aussetzt, die wohl nie mehr anders denn als Dokumente einschlägiger Ausstellungen aus den Depots geholt werden. Manches ist schlicht skurill, wie zwei buchstäblich goldige Knaben, die einen Stab mit Leier präsentieren. Die ist aber erst nach 45 angebracht worden, statt der bekannten NS-Embleme. Diese "Symbolträger", wie sie mal hießen, waren nun eine Würdigung "An die Kunst". Autor: Hans Mauracher.
Man trifft auf einige solcher 'Mutanten', die, wie ihre Schöpfer, das Kriegsende in neuem ideologischen Gewand überlebten. "Deutsches Leid" oder auch "Deutsche Heimatvertriebene", 1940 in Bronze gegossen und Hitler als Geburtstagsgeschenk zugedacht, konnte nach 1945 als "Familie" reüssieren.
Symmetrisch dazu wird die Wandlungsfähigkeit mancher Künstler dokumentiert, wie die des Gebrauchsgrafikers, der seine Fähigkeiten bei Kastner & Öhler und dann in der NS-Propaganda anwendete, oder die des Grafikers, der nach 45 KPÖ-Plakate entwarf. Karl Mader, einer der prominenten NS-Künstler, einer mit der 'Auszeichnung' auf der Großen Deutschen Kunstausstellung vertreten gewesen zu sein, trat 1946 der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft bei…
PS.: Der österreichische Museumstag fand heuer in Kärnten statt, in Klagenfurt und in Spittal an der Drau. In Spittal war das Schloß Porcia Tagungsort, in dem auch das Bezirksheimatmuseum untergebracht ist. Dieses Museum hütet einen Bestand von Gemälden von Karl Truppe, einem in der NS-Zeit eifrig tätigen, einschlägig geschätzten und auch von Hitler gemochten Künstler. Bis vor nicht langer Zeit hingen in einer Art Galerie diese Truppe-Bilder wie selbstverständlich als Teil der musealen Präsentation im Museum - nicht als Dokumente zur (Kunst)Geschichte der NS-Zeit, sondern als Würdigung eines 'Heimatmalers' und seiner Werke.
Jetzt wurden diese - übrigens durchwegs ziemlich scheusslichen - Bilder auf die sogenannten Repräsentationsräume aufgeteilt, womit sie eine noch größere Bedeutung erhalten haben, als Teil der (Selbst)Repräsentation der lokalen und gelegentlich auch regionalen politischen und kulturellen Eliten.
Und in diesen Räumen fand der Österreichische Museumstag statt.
Auch aus diesem Grund ist es zu begrüßen, wenn es Museen gibt, die wie das Grazer Stadtmuseum Geistesgegenwart zum Arbeitsprinzip machen wollen und können.
Fotos: GF
Sonntag, 7. November 2010
Ötzi darf nicht sterben (Museumsphysiognomien 10)
Das Bild des mumifizierten Mannes, den man "Ötzi" nennt, ist - mit seinem einem Totenschädel ähnelnden Kopf, dem ledrig-ausgetrockneten und braunen Körper und der unnatürlich weggestreckten Hand - zu einer weit verbreiteten und sehr populären 'Ikone' geworden. Ich muß hier kein Bild einstellen, wir haben es im Kopf.
2011 feiert "Ötzi", der "Mann aus dem Eis" oder "…vom Hauslabjoch" seinen zwanzigsten Geburtstag und bekommt dafür im Archäologiemuseum in Bozen eine große Ausstellung, die seinem "zweiten Leben" (Museumstext) gewidmet sein wird. Also nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung, sondern auch dem medialen Diskurse und populären Verarbeitung.
Von Anfang begleiteten und überdeckten diese Diskurse die wissenschaftliche Forschung und ihre Ergebnisse. Bezeichnend dafür ist, daß sich der von einem Journalisten wenige Tage nach der Entdeckung des Toten kreierte Name sofort durchsetzte und eine wissenschaftliche Bezeichnung nie durchsetzte. 'Ötzi', das war ein sehr gelungener Taufakt.
Was der über 5000 Jahre alte, auf Grund vieler Zufälle konservierte und schließlich entdeckte Körper bewirkte, war nicht so sehr Interesse an Fakten über ein fernes unbekanntes Leben sondern Mobilisierung von Phantasmen.
Sofort setzte die Beanspruchung unter nationalen Vorzeichen ein, womit die Feststellung des Fundortes - jenseits oder diesseits einer Staatsgrenze - zur diplomatisch-politischen Agenda wurde. und ernsthaft wurde Ötzi, gestützt auf genetische Spekulationen, zum Ahnen erklärt (was heute widerlegt ist), so als ob es so etwas wie eine rein männliche Genealogie geben könne. Ötzi ließ sich für erstaunlich viel reklamieren: nationale Identität, männliche Identität (legendär das ZIB 2 - Schreiduell zweier 'Ötzilogen' wegen der Frage, ob Ötzi einen Penis habe oder nicht), Suche nach der (kollektiven wie individuellen) Herkunft, dem Ursprung, Spekulationen über Todesumstände.
Wie jede Mumie bediente er aber vor allem ein zentrales museales Phantsama, das des "Überdauerns".
Die Paradoxie jeder Mumie liegt ja im ostentativen 'Überleben', das dem Körper durch geschickte Bearbeitung verliehen wird. Die Konservierung bewirkt die Verdinglichung des Körpers, der den Status eines unzerstörbaren Objekts erhält. Die Identität des Leibes dauerhaft zu behaupten stellt aber auch den Tod auf Dauer. Die religiöse Vorstellung des in seinem Leib 'weiterlebenden' Menschen und die unabweisliche Tatsache, daß er als Toter konserviert wird, kreuzen sich in der Mumie auf unauflösliche Weise.
Jede aus dem Grab geholte Mumie ist so etwas wie ein zwischen Leben und Tod wandernder Untoter und es ist kein Wunder, daß Populärliteratur und Film (nicht das Museum) die Rachemacht dieses unagegoltenen Lebens und Todes ausmalten.Was Archäologie und Museum der Mumie antun ist ja nicht weniger als die Zerstörung nicht der des dinglichen Kontextes (Grabbau, Grabbeigaben usw.), sondern einer spirituellen Vorstellung eines durch diesen Kontext mit garantierten 'Lebens nach dem Tod'.
An und für sich hat die Mumie den Zweck der visuellen Bekräftigung der 'Dauer' gar nicht (anders als etwa 'Effigies' aus Wachs oder Holz, die einen Ersatzleib bilden, die eine Person so repräsentieren können, daß selbst eine Hinrichtung als Bild möglich wird), denn als Teil des Totenrituals ist sie unsichtbar. Das gilt ja für fast alle Bestattungsrituale aller Kulturen und aller Zeiten.
Erst durch Ausstellung und Musealisierung wird eine Erfahrung virulent, die das Museum - bedrohlich und tröstend zugleich - vermittelt. Es gibt 'Dinge', sagt uns das Museum, die uns überdauern (und wir 'in ihnen'). Das gilt für Dinge als Lebensspuren selbstverständlich generell, aber es gilt in einer besonderen Weise für den menschlichen Körper 'als (Museums)Ding'.
Das unüberbietbar symptomatische Objekt des Museums ist die Mumie deswegen, weil strukturell das Museum Dauer garantiert oder zu garantieren glaubt - in Form eines 'unzerstörbaren' technischen Gedächtnisses (der Dinge) und in Form der abstrakten Vorstellung eines damit gestützten transgenerationellen Gattungsgedächtnisses.
Wie Reliquien konfrontiert uns ein solcher Mumien-Leib wie der Ötzis nicht nur mit seinem Tod (der spekulativ nur in bezug auf die Umstände ist), sondern auch mit unserem Tod, tröstet uns aber mit der Botschaft, daß der Leib überdauern kann, physisch und mental, im 'Gedächtnis des Museums': wir werden nicht spurlos verschwinden.
Diesem 'wir' war und ist Ötzi natürlich ungleich näher als jede ägyptische Mumie, weil er 'bei uns' gefunden wurde, in 'unserer Gegend' und irgendwie (ja wie eigentlich?) zu 'unserer Geschichte', 'unserer' Kultur gehört. Das Phantasma, daß wir von ihm abstammen könnten, mag wissenschaftlich widerlegt sein, erledigt ist es damit aber nicht.
Daß Ötzi nicht bestattet werden kann, versteht sich. Nicht so sehr wegen der Option auf bislang noch ungeahnte, künftige wissenschaftliche Methoden, für die der Leib als 'Forschungsobjekt' 'aufgespart' werden muß, sondern weil seine Sichtbarkeit eine einzigartige Möglichkeit eines Identitäts-Spiels erlaubt, das ein Grabmal nie bieten könnte (mal ganz abgesehen von touristischer und materieller Umwegrentabilität). Wo würde man Ötzi bestatten können?
Der Aufwand, der für das Sichtbarmachen getrieben wird ist technisch groß. Gekühlt und bei hoher Luftfeuchtigkeit liegt der Tote auf einer Art von Seziertisch in einer mit Eisziegeln ausgekachelten Kammer, die vielfach kontrolliert und überwacht wird. Angeblich steht für den Fall eines Totalausfalls eine idente zweite Kammer zur Verfügung. Ötzi darf nicht sterben.
Diese Unheimlichkeit wird durch die klinische Umgebung herabgestuft, versachlicht. Das kleine rechteckige Fenster, durch das der Museumsbesucher einen Blick werfen darf, wird durch eine Wand abgeschirmt, um, wie es auf der Museumswebseite heißt, ein wenig jener Intimität zu ermöglichen, die der Begegnung mit einem Toten angemessen ist.
"Parallel dazu sollte die Forschungsarbeit am Körper fortgesetzt werden. Die Mumie selbst befindet sich heute fast versteckt in einem apsidenartigen, abgedunkelten Raum und kann durch ein Fenster betrachtet werden, an dem die BesucherInnen nacheinander vorbeiziehen. Das nur 40x40 cm große Schaufenster in die Kühlzelle von Ötzi folgt in erster Linie konservatorischen Vorgaben, da bei einer größeren Öffnung die Klimaschwankungen zu stark würden. Mit dieser abgeschirmten Ausstellungssituation wollten die Gestalter auch ethischen Anforderungen nach einer Art "Intimsphäre" für die Mumie gerecht werden."
Ich vermute, daß für den durchschnittlichen Museumsbesucher die Teile des Museums, die den Forschungsergebnissen gewidmet sind, zwar interessant, aber nicht das Entscheidende sind. Die wissenschaftliche Rationalisierung eines Begehrens nach einem unmöglichen Blick - den durch Jahrtausende zurück und in gewisser Weise auch in eine Zukunft, in die wir uns als Überdauernde projiziren können -, wird vor der Mumie unerheblich. Dort ist sie - als Exponat - auf eine Gegenständigkeit reduziert, an der wir unsere Subjektivität - als bedroht und als tröstend stabilisiert - erfahren können.
Wer sich darüber hinaus (und über das Museum hinaus) nach Verlebendigung sehnt und die Spannung von Todesangst und Lebenstrieb nicht aushält, wird reichlich mit animierten Puppen versorgt, bis hin zur filmischen Rekonstruktion oder dem archäologischen Reenactement.
Fotos: Archäologiemuseum Bozen Webseite
2011 feiert "Ötzi", der "Mann aus dem Eis" oder "…vom Hauslabjoch" seinen zwanzigsten Geburtstag und bekommt dafür im Archäologiemuseum in Bozen eine große Ausstellung, die seinem "zweiten Leben" (Museumstext) gewidmet sein wird. Also nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung, sondern auch dem medialen Diskurse und populären Verarbeitung.
Von Anfang begleiteten und überdeckten diese Diskurse die wissenschaftliche Forschung und ihre Ergebnisse. Bezeichnend dafür ist, daß sich der von einem Journalisten wenige Tage nach der Entdeckung des Toten kreierte Name sofort durchsetzte und eine wissenschaftliche Bezeichnung nie durchsetzte. 'Ötzi', das war ein sehr gelungener Taufakt.
Was der über 5000 Jahre alte, auf Grund vieler Zufälle konservierte und schließlich entdeckte Körper bewirkte, war nicht so sehr Interesse an Fakten über ein fernes unbekanntes Leben sondern Mobilisierung von Phantasmen.
Sofort setzte die Beanspruchung unter nationalen Vorzeichen ein, womit die Feststellung des Fundortes - jenseits oder diesseits einer Staatsgrenze - zur diplomatisch-politischen Agenda wurde. und ernsthaft wurde Ötzi, gestützt auf genetische Spekulationen, zum Ahnen erklärt (was heute widerlegt ist), so als ob es so etwas wie eine rein männliche Genealogie geben könne. Ötzi ließ sich für erstaunlich viel reklamieren: nationale Identität, männliche Identität (legendär das ZIB 2 - Schreiduell zweier 'Ötzilogen' wegen der Frage, ob Ötzi einen Penis habe oder nicht), Suche nach der (kollektiven wie individuellen) Herkunft, dem Ursprung, Spekulationen über Todesumstände.
Wie jede Mumie bediente er aber vor allem ein zentrales museales Phantsama, das des "Überdauerns".
Die Paradoxie jeder Mumie liegt ja im ostentativen 'Überleben', das dem Körper durch geschickte Bearbeitung verliehen wird. Die Konservierung bewirkt die Verdinglichung des Körpers, der den Status eines unzerstörbaren Objekts erhält. Die Identität des Leibes dauerhaft zu behaupten stellt aber auch den Tod auf Dauer. Die religiöse Vorstellung des in seinem Leib 'weiterlebenden' Menschen und die unabweisliche Tatsache, daß er als Toter konserviert wird, kreuzen sich in der Mumie auf unauflösliche Weise.
Jede aus dem Grab geholte Mumie ist so etwas wie ein zwischen Leben und Tod wandernder Untoter und es ist kein Wunder, daß Populärliteratur und Film (nicht das Museum) die Rachemacht dieses unagegoltenen Lebens und Todes ausmalten.Was Archäologie und Museum der Mumie antun ist ja nicht weniger als die Zerstörung nicht der des dinglichen Kontextes (Grabbau, Grabbeigaben usw.), sondern einer spirituellen Vorstellung eines durch diesen Kontext mit garantierten 'Lebens nach dem Tod'.
An und für sich hat die Mumie den Zweck der visuellen Bekräftigung der 'Dauer' gar nicht (anders als etwa 'Effigies' aus Wachs oder Holz, die einen Ersatzleib bilden, die eine Person so repräsentieren können, daß selbst eine Hinrichtung als Bild möglich wird), denn als Teil des Totenrituals ist sie unsichtbar. Das gilt ja für fast alle Bestattungsrituale aller Kulturen und aller Zeiten.
Erst durch Ausstellung und Musealisierung wird eine Erfahrung virulent, die das Museum - bedrohlich und tröstend zugleich - vermittelt. Es gibt 'Dinge', sagt uns das Museum, die uns überdauern (und wir 'in ihnen'). Das gilt für Dinge als Lebensspuren selbstverständlich generell, aber es gilt in einer besonderen Weise für den menschlichen Körper 'als (Museums)Ding'.
Das unüberbietbar symptomatische Objekt des Museums ist die Mumie deswegen, weil strukturell das Museum Dauer garantiert oder zu garantieren glaubt - in Form eines 'unzerstörbaren' technischen Gedächtnisses (der Dinge) und in Form der abstrakten Vorstellung eines damit gestützten transgenerationellen Gattungsgedächtnisses.
Wie Reliquien konfrontiert uns ein solcher Mumien-Leib wie der Ötzis nicht nur mit seinem Tod (der spekulativ nur in bezug auf die Umstände ist), sondern auch mit unserem Tod, tröstet uns aber mit der Botschaft, daß der Leib überdauern kann, physisch und mental, im 'Gedächtnis des Museums': wir werden nicht spurlos verschwinden.
Diesem 'wir' war und ist Ötzi natürlich ungleich näher als jede ägyptische Mumie, weil er 'bei uns' gefunden wurde, in 'unserer Gegend' und irgendwie (ja wie eigentlich?) zu 'unserer Geschichte', 'unserer' Kultur gehört. Das Phantasma, daß wir von ihm abstammen könnten, mag wissenschaftlich widerlegt sein, erledigt ist es damit aber nicht.
Daß Ötzi nicht bestattet werden kann, versteht sich. Nicht so sehr wegen der Option auf bislang noch ungeahnte, künftige wissenschaftliche Methoden, für die der Leib als 'Forschungsobjekt' 'aufgespart' werden muß, sondern weil seine Sichtbarkeit eine einzigartige Möglichkeit eines Identitäts-Spiels erlaubt, das ein Grabmal nie bieten könnte (mal ganz abgesehen von touristischer und materieller Umwegrentabilität). Wo würde man Ötzi bestatten können?
Der Aufwand, der für das Sichtbarmachen getrieben wird ist technisch groß. Gekühlt und bei hoher Luftfeuchtigkeit liegt der Tote auf einer Art von Seziertisch in einer mit Eisziegeln ausgekachelten Kammer, die vielfach kontrolliert und überwacht wird. Angeblich steht für den Fall eines Totalausfalls eine idente zweite Kammer zur Verfügung. Ötzi darf nicht sterben.
Diese Unheimlichkeit wird durch die klinische Umgebung herabgestuft, versachlicht. Das kleine rechteckige Fenster, durch das der Museumsbesucher einen Blick werfen darf, wird durch eine Wand abgeschirmt, um, wie es auf der Museumswebseite heißt, ein wenig jener Intimität zu ermöglichen, die der Begegnung mit einem Toten angemessen ist.
"Parallel dazu sollte die Forschungsarbeit am Körper fortgesetzt werden. Die Mumie selbst befindet sich heute fast versteckt in einem apsidenartigen, abgedunkelten Raum und kann durch ein Fenster betrachtet werden, an dem die BesucherInnen nacheinander vorbeiziehen. Das nur 40x40 cm große Schaufenster in die Kühlzelle von Ötzi folgt in erster Linie konservatorischen Vorgaben, da bei einer größeren Öffnung die Klimaschwankungen zu stark würden. Mit dieser abgeschirmten Ausstellungssituation wollten die Gestalter auch ethischen Anforderungen nach einer Art "Intimsphäre" für die Mumie gerecht werden."
Ich vermute, daß für den durchschnittlichen Museumsbesucher die Teile des Museums, die den Forschungsergebnissen gewidmet sind, zwar interessant, aber nicht das Entscheidende sind. Die wissenschaftliche Rationalisierung eines Begehrens nach einem unmöglichen Blick - den durch Jahrtausende zurück und in gewisser Weise auch in eine Zukunft, in die wir uns als Überdauernde projiziren können -, wird vor der Mumie unerheblich. Dort ist sie - als Exponat - auf eine Gegenständigkeit reduziert, an der wir unsere Subjektivität - als bedroht und als tröstend stabilisiert - erfahren können.
Wer sich darüber hinaus (und über das Museum hinaus) nach Verlebendigung sehnt und die Spannung von Todesangst und Lebenstrieb nicht aushält, wird reichlich mit animierten Puppen versorgt, bis hin zur filmischen Rekonstruktion oder dem archäologischen Reenactement.
Fotos: Archäologiemuseum Bozen Webseite
17.31 - Fundsache
Gefunden im Internet: "Normalerweise schließt das Archäologiemuseum in Bozen seine Tore um 18 Uhr. Letzter Einlass für die Besucher ist um 17.30 Uhr. Mit dem neuen Veranstaltungsformat „17.31“ können Kulturinteressierte ihren Arbeitstag in netter Gesellschaft und einem Glas guten Wein im Museum ausklingen lassen. Am Mittwochabend, 21. Jänner, stehen die Liebesaffären von Agrippina, Cornelia und Iulia im Mittelpunkt einer dialogischen Kurzführung. Dabei geht es um Fragen wie: Was sagte Rom dazu und war das Liebesleben der römischen Frauen damals wirklich so anders als heute? Die Veranstaltung beginnt um 17.31 Uhr im S Archäologiemuseum, Museumsstraße 43, in Bozen und dauert etwa eine halbe Stunde. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt’s im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen unter der Rufnummer 0471 320100 oder im Internet unter www.iceman.it"
Sonntag, 31. Oktober 2010
Fundsache "Eventualexponat"
Ausstellung des rekonstrierten und sogenannten Mozart-Geburtshauses. Da alles erfunden ist, kommts auf Kleinigkeiten schon gar nicht an. |
Lesefolter (Texte im Museum 136)
Das Stedelijk Museum legt seinen Besuchern einen Reader auf das Sitzbankerl, mit kopierten Textin von Homi Bhaba an aufwärts. Hartes Sitzen, hartes Lesen. |
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