Und es gibt sie doch! Die ‚österreichische Museumskritik‘!
Man könnte ja manchmal verzweifeln, wie stark die Massenmedien auf einige wenige Modi der Museumsberichterstattung fixiert sind. Skandalisierung – sowieso. Personalisierung – ein Volkssport. Fixierung auf die Wiener Museen – eh klar. Verzicht auf gründliche Recherche und analytische Auseinandersetzung – im atemlosen Tagesgeschäft kaum anders denkbar.
Eine rühmliche Ausnahme war und ist die Stadtzeitung FALTER, wo Matthias Dusini nicht nur über Ereignisse berichtete oder Debatten nachzeichnete, sondern selbst welche anstieß. So z.B. bei der Benin-Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum, wo er seine Beiträge mit Einladung an diverse Experten zum Forum erweiterte und eine Diskussion intiierte.
Besonders vermissen ich und viele meiner Freunde, wie wenig Ausstellungskritik es gibt. Sie erschöpft sich meist im (Künstler)Biografischen oder in einer Art Nacherzählung, sehr selten werden mediale, performative und museologische Aspekte referiert. Davon hängt aber letztlich die Qualität von Ausstellungen ab. Noch mehr gilt das für Museen und ihre Dauerausstellungen. Bei Neugründungen von Museen kann man Wetten abschließen, daß überwiegend die Architektur berichtet wird, allenfalls über die Sammlung, aber kaum über das „wie“. Also über die Art und Weise, wie etwas gestaltet, erzählt wurde, mit welchem Ziel und welchen Interessen, an wen man sich adressiert und was daran mehr oder eben auch weniger gelungen erscheint.
Man muß nur mal den Stand der Filmkritik mit dem der Museumskritik vergleichen…
Erst kürzlich wurde ich auf Texte und Glossen aufmerksam, die sich kurzweilig und pfiffig ins Tagesgemenge einmischen und im essayistischen Zugriff auf strukturelle Fragen eingehen. Causeries du Lundi werden von Vitus H. Weh und Walter Fritz zu Ausflügen in die Kultur- und Museumswelt genutzt. Da geht’s schon auch mal gegen Personen. „Nun ist der stilbewusste Noever sicher kein Rechter, wohl eher eine Art Freigeistanarcho mit generations- und genderbedingtem Hang zu Kampfrhetorik, dem es gelingt, in seinen wechselnden kulturpolitischen Gegenübern die Sehnsucht nach dem wilden, ungestümen Künstler hervorzurufen.“ (M. Fritz) Aber eben nicht nur.
Da wird aus dem Stutzen vor einer ‚Selbstverständlichkeit‘ eine mäandernde, anregende Überlegung zum Museum. „Ist von einem Museum der Moderne oder einer Galerie der Gegenwart die Rede, so meint man damit nicht ein Haus für eine bestimmte Epoche, auch nicht eines für die aktuelle Ethik, Politik oder Alltagskultur einer Gesellschaft, und auch nicht für die neuesten Technikentwicklungen. Das alles wäre zwar nahe liegend, gemeint ist aber immer ein Haus für die bildende Kunst. Erstaunlicherweise werden die gegenwärtigen Zeugnisse der bildenden Kunst also pars pro toto für die ganze Gesellschaft gesetzt. Praktiziert wird diese übertragende Bedeutung bereits seit einigen Jahrzehnten und ich finde sie tatsächlich äußerst merkwürdig.“ (V. Weh)
Hier findet sich eine Auseinandersetzung mit einer reichlich spröden und unerquicklichen Diskussion zur ‚Museumsordnung‘ und zu einem no-go-Thema, das überhaupt nur hier auftaucht, Arbeits- und Entlohnungsverhältnisse an Kulturinstitutionen: „Punktuelle Einblicke. Verdienen im Museum“.
Am Beispiel des Folkwang Museums wird historisch vertieft über die Musealisierung der Moderne sinniert, oder mal ein überraschendes Lob auf Privatsammler angestimmt.
Causerie ist eine unterhaltsame, gebildete Plauderei in literarischer oder geselliger Gestalt. Das sagt Wikipedia. Die müssen Fritz & Weh meinen. Causeries du lundi sind indes eine Essay-Sammlung Charles-Augustin Sainte-Beuves (1804-1869). In 28 Bänden erschien die noch zu Lebzeiten des Autors. Sie brachte ihm eine Professur ein, die Ernennung zum Senator und bleibende Berühmtheit. Mögen die beiden Autoren mit ähnlichen Segnungen davonkommen!
Die Causeries sind ein fixer Bestandteil einer umfangreichen Webseite ARTMAGAZINE , wo sich nicht nur viele nützliche Nachrichten aus der Kunst-, Ausstellungs- und Museumswelt finden, sondern weitere kritische Stimmen, z.B. eben zur Wiedereröffnung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf oder, weit weniger brav, zur Aktualität der Frage der Guerilla-Girls , „Do women have to be naked to get into the Met Museum?“ aus Anlass der Werbelinie der Kunsthalle Krems.
PS.: Übrigens - falls Sie einen aus Marmor gefertigten Hund aus dem späten 2. Jhd. n. Chr. brauchen und 218.400 Pfund haben, auch da hilft ARTMAGIZENE. Mit Sammlertipps.
Mittwoch, 28. Juli 2010
Dienstag, 27. Juli 2010
Conciergerie - Ort zweier Gedächtnisse
Vermutlich verirren sich nur wenige Pariser Museumstouristen hierher: in die Conciergerie, eine unübersichtliche Raumflucht im Palais de la Cite an der Seine. Hier befinden sich - ansehnliche - Reste der Königsburg des 14. Jahrhunderts und einer der ersten Eindrücke nach dem Betreten dieses 'Museums', das eher ein Gedächtnisort ist, ist eine riesige, eindrucksvolle mittelalterliche Pfeilerhalle - Salle des Gens d'Armes.
1391 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet (was es bis 1914 blieb), und die Conciergerie erlangte eine spezielle Berühmtheit, als in der Französischen Revolution hier das Revolutionstribunal tagte und die zum Tode verurteilten in den Gefängniszellen festgehalten wurden - 'Vorzimmer der Guillotine' nannte man sie.
Marie Antoinette verbrachte hier die Zeit vor Ihrer Hinrichtung und so wurde der Ort zu einer der königstreuen Verehrung. Wie in Meyerling das Zimmer des Selbstmordes abgebrochen und durch eine Kapelle ersetzt wurde, so scheint man auch hier in einer Löschung aller materiellen Spuren den einzigen Ausweg aus einer nachhallenden Traumatisierung gesehen zu haben. An der Stelle der Gefängniszelle Marie Antoinettes wurde eine Kapelle errichtet, ein Gedächtnisort der königlichen Familie und des Königtums überhaupt.
Nur durch verwinkelte Treppen und Zimmer getrennt gibt es hier indes auch die Erinnerung an die Revolution und Revolutionäre, vor allem an die, die ebenfalls hier als Verurteilte auf ihre Guillotinierung warteten, wie z.B. Georges Danton.
Auf merkwürdige Weise durchkreuzen sich hier zwei Erinnerungsmilieus, zwei ideologisierte Erinnerungsströme, dies zudem in den verschiedenartigsten Modi der Musealisierung. Marie Antoinettes Zelle ist zum Verschwinden gebracht, eindrucksvolle Porträts der Revolutionäre lassen die zentralen Persönlichkeiten der Revolution in einem ganz anderen Authentizitätsgrad erscheinen, während die tatsächlich einigermaßen originalen Zellen, wie in einem Panoptikum mit Figurinen und 'Ausstattung' wie in eine cinematografische Illusionistik getauchen werden.
Weltgeschichte kommt auf einen hier als Panoptikum, Dokumentation, lieu de memoire, Leerstelle, 'Museum' zu, in ebenso verdichteter wie labyrinthischer Form. Nationales Gedächtnis als Palimpsest miteinander verklebter Seiten…und die gegnerischen Parteien wie in in einem Remix, versöhnt-unversöhnt, unentschieden in ihrer verqueren Nachbarschaft.
1391 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet (was es bis 1914 blieb), und die Conciergerie erlangte eine spezielle Berühmtheit, als in der Französischen Revolution hier das Revolutionstribunal tagte und die zum Tode verurteilten in den Gefängniszellen festgehalten wurden - 'Vorzimmer der Guillotine' nannte man sie.
Marie Antoinette verbrachte hier die Zeit vor Ihrer Hinrichtung und so wurde der Ort zu einer der königstreuen Verehrung. Wie in Meyerling das Zimmer des Selbstmordes abgebrochen und durch eine Kapelle ersetzt wurde, so scheint man auch hier in einer Löschung aller materiellen Spuren den einzigen Ausweg aus einer nachhallenden Traumatisierung gesehen zu haben. An der Stelle der Gefängniszelle Marie Antoinettes wurde eine Kapelle errichtet, ein Gedächtnisort der königlichen Familie und des Königtums überhaupt.
Nur durch verwinkelte Treppen und Zimmer getrennt gibt es hier indes auch die Erinnerung an die Revolution und Revolutionäre, vor allem an die, die ebenfalls hier als Verurteilte auf ihre Guillotinierung warteten, wie z.B. Georges Danton.
Auf merkwürdige Weise durchkreuzen sich hier zwei Erinnerungsmilieus, zwei ideologisierte Erinnerungsströme, dies zudem in den verschiedenartigsten Modi der Musealisierung. Marie Antoinettes Zelle ist zum Verschwinden gebracht, eindrucksvolle Porträts der Revolutionäre lassen die zentralen Persönlichkeiten der Revolution in einem ganz anderen Authentizitätsgrad erscheinen, während die tatsächlich einigermaßen originalen Zellen, wie in einem Panoptikum mit Figurinen und 'Ausstattung' wie in eine cinematografische Illusionistik getauchen werden.
Weltgeschichte kommt auf einen hier als Panoptikum, Dokumentation, lieu de memoire, Leerstelle, 'Museum' zu, in ebenso verdichteter wie labyrinthischer Form. Nationales Gedächtnis als Palimpsest miteinander verklebter Seiten…und die gegnerischen Parteien wie in in einem Remix, versöhnt-unversöhnt, unentschieden in ihrer verqueren Nachbarschaft.
Sonntag, 25. Juli 2010
Orientalische Pracht in Zeiten der Islamophobie (Dresdner Fragmente 2)
"Orientalische Pracht".
Die wohl meistverwendete Formel in den Reaktionen der Tagespresse auf die Eröffnung der Türckischen Cammer
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hofft mit der neuen Ausstellung auf intensivere Beziehungen zur Türkei. „Ich bin sicher, dass dank der Türckischen Cammer neue Kontakte zwischen Sachsen und der Türkei geknüpft werden, die über die Kultur hinausgehen“, sagte er. Die
sächsische Kunstministerin Sabine von Schorlemer(parteilos) nannte die Schau „ein Zeichen von Weltoffenheit Dresdens und Sachsens“.
Dresden hatte im letzten Jahr mehrfach unter einem negatives Presseecho zu leiden, nicht zuletzt wegen dem rassitsiche und islamfeindlichen Mord an der Muslima Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht durch einen deutschen Spätaussiedler.
Die neue Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen ist mit ihren rund 600 Stücken des 15.bis 19. Jahrhunderts auf 750 Quadratmetern die umfangreichste Sammlung osmanischer Kunst Deutschlands. Sie soll auch Einblicke in historische deutsch-türkische Verbindungen bieten.
islam.de 25.07.2010 http://islam.de/15446.php
Die Eröffnung der "Türckischen Cammer" vollzieht sich in der Logik der Entwicklung der Dresdner Staatlichen Museen: so weit es möglich ist, die barocken Sammlungen in ihrer ursprünglichen Zusammengehörigkeit und Identität zu rekonstruieren. Daß das museologisch gesehen ein 'Rückschritt' ist, hinter moderne Möglichkeiten musealer Präsentation und Neudeutung, wird in Kauf genommen und ist angesichts des Überlieferungsstatus mancher Sammlungen plausibel wie wegen der Fülle historisch und ästhetisch hochwertiger Objekte verständlich. Daß der inzwischen komplett veränderte Kontext, in dem diese Sammlungen gezeigt und gesehen werden, nicht vernachlässigbar ist, zeigt sich an der "Türckischen Cammer".
Abb.: v.l.n.r.: Martin Roth, Generaldirektor Dresdner Staatliche Museen, der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle und der Chef des Gruenen Gewölbes, Dirk Syndram.
In diesem Sinn sprach mit einer aufwändigen Campagne potentielle Besucher an, mit, wie das heute so dezent heißt', 'Migrationshintergrund'. Und einer Tageszeitung entnehme ich, daß jemand 4,5 Millionen mit Ausstellungswerbung bedruckte Döner-Tüten herstellen ließ.
Was man zu sehen bekommt, ist eine Sammlung, Teil der Rüstkammer, deren früheste Stücke aus dem 16. Jahrhundert stammen, eine Sammlung, von der man betont, daß sie überwiegend durch Schenkung und Kauf und kaum durch Beutemachen zusammenkam.
Daß man einerseits den alten Begriff "Türkische Cammer" als offizielle Benennung wählte, was schon durch die Schreibweise auf historische Distanz verweist, andrerseits Döner-Tüten drucken lässt, um den Anschein zu erwecken, es ginge hier auch um multikulturelles Engagement, lässt den Spagat sichtbar werden, den man hier macht.
In schwarzen Räumen inszenierte, durch Lichtregie auratisch aufgeladene und übercodierte Objekte mit karger Beschriftung vermitteln zuallererst eins: eine fürstliche Prunksammlung, die der Repräsentation der Macht diente. Nicht nur die Stücke, die aus den Türkenkriegen, z.B. der Belagerung Wiens stammen, vermitteln das, sondern auch die Souveränität, mit der man nach der endgültigen Überwindung der 'Türkengefahr' die Kultur der Osmanen assimilieren konnte.
Wenn man durch die (wenige Räume umfassende) Sammlung geht, ist man hin- und hergerissen zwischen der Bewunderung der Dinge (die durch die Inszenierung forciert wird) und dem Befremden über die Anmutung, sie auch als dialektische Auseinandersetzung und Anerkennung des 'Anderen' gebrauchen zu sollen. Ohne den anderen einzubeziehen, in welcher Form auch immer (ich meine nicht die buchstäbliche Partizipation, sondern z.B. osmanische Sichtweisen auf die Europäer), geht das nun mal nicht.
Auch das was man Türkenmode nennt (hier ein Video mit einem kurzen Statement des Leiters, Dirk Syndram), ist Mimesis des Feindes, aber hier immer nur denkbar und vorausgesetzt als besiegter.
Die rekonstruktive Haltung scheint nicht zuzulassen, die Geschlossenheit des Ensembles und seiner Präsentation mit Verweisen auf die Geschichtlichkeit der Musealisierung zu 'stören'. Die kriegsbedingte Auslagerung und der folgende 'Beutestatus' - die Verlagerung in die Sowjetunion und die Rückgabe Ende der 50er-Jahre - werden, wenn ich es nicht übersehen habe, nicht thematisiert. Über die Kosten und den Aufwand der auch dadurch bedingten Restaurierung spricht man wie von einer selbstverständlich den 'Dingen geschuldeten' Sorg- und Aufmerksamkeit; aber wie das ganze Projekt, tendiert auch das Kolportieren solchen finanziellen, technischen und handwerklichen Aufwandes dazu, das was sich 'dahinter' befindet unsichtbar zu machen.
Staunen? ja, gerne! Aber Blindmachen? Nein danke.
Samstag, 24. Juli 2010
"Die Idee des Museums ist in der Krise." Ein weiterer großer Direktor spricht...
"Wir vermieten unseren Prunksaal nicht für Pornos". Die Wucht dieses Satzes überzeugt uns auf der Stelle von der hohen Moralität des Herrn Direktors. Wenns ums Geld geht, kann mans ja auch woanders herbekommen: "Man muss für jede Unterstützung dankbar sein. Die Sammlung von Emil Georg Bührle, der mit dem Rüstungsbetrieb Oerlikon sein Geld gemacht hat, ist auch ein Fall, bei dem es immer wieder Debatten gegeben hat. Jetzt erhält die Kollektion beim Kunsthaus Zürich ein eigenes Gebäude." Das überzeugt. Man führt einfach das Aufgeben moralischer Maßstäbe als Beweis dafür an, daß das Aufgeben moralischer Maßstäbe richtig ist. Herr Direktor nimmt den Namen Batliner nicht in den Mund.
Am Geld liegts also nicht. Die Krise liegt am Touristen. Und zwar dem Sacher-Touristen: "Die Touristen bleiben aus. Wer am Wiener Flughafen oder im Hotel Sacher nicht ankommt, kann auch nicht in die Albertina gehen."
Aber, so Direktor S., die Museumskrise ist "nicht unbedingt nur eine Finanzkrise. Die gibt es ja in anderen Branchen auch. Die Idee des Museums ist in der Krise."
Wie sein Kollege Generaldirektor in Dresden entdeckt S. da etwas: die Museen selbst sind (mit)schuld an der Krise. "Das Museum der Gründerzeiten des 18. Jahrhundert und der Blütezeit des 19. Jahrhunderts ist an ein Ende gekommen. (,,,)Das Publikum will (…) entschieden konzipierte Ausstellungen. (…). Das Museum als Identifikationsmedium einer Pseudoelite ist im 21. Jahrhundert nicht mehr lebensfähig."
Während wir darüber nachdenken, was das denn nun eigentlich heißen soll und ob das stimmt, halbwahr oder bloß so dahingesagt ist, greifen wir zum nächsten Strohhalm, den uns Direktor S. zur Lösung der Frage Museumskrise, aber welche? hinhält: "Die Kunsthallen und Kunstvereine sind dabei, vollkommen zu verschwinden. Wenn sie Gerhard Richter oder einen Jonathan Meese fragen, ob er lieber im Baden-Württembergischen Kunstverein ausstellt oder in der Staatsgalerie, wird er sofort das Museum wählen."
So sehen wir uns betroffen und alle Fragen sind - offen. Das ganze Gespräch, das Paul Jandl mit Klaus Albrecht Schröder geführt hat, finden sie in der WELT vom 10. Juli 2010
Am Geld liegts also nicht. Die Krise liegt am Touristen. Und zwar dem Sacher-Touristen: "Die Touristen bleiben aus. Wer am Wiener Flughafen oder im Hotel Sacher nicht ankommt, kann auch nicht in die Albertina gehen."
Aber, so Direktor S., die Museumskrise ist "nicht unbedingt nur eine Finanzkrise. Die gibt es ja in anderen Branchen auch. Die Idee des Museums ist in der Krise."
Wie sein Kollege Generaldirektor in Dresden entdeckt S. da etwas: die Museen selbst sind (mit)schuld an der Krise. "Das Museum der Gründerzeiten des 18. Jahrhundert und der Blütezeit des 19. Jahrhunderts ist an ein Ende gekommen. (,,,)Das Publikum will (…) entschieden konzipierte Ausstellungen. (…). Das Museum als Identifikationsmedium einer Pseudoelite ist im 21. Jahrhundert nicht mehr lebensfähig."
Während wir darüber nachdenken, was das denn nun eigentlich heißen soll und ob das stimmt, halbwahr oder bloß so dahingesagt ist, greifen wir zum nächsten Strohhalm, den uns Direktor S. zur Lösung der Frage Museumskrise, aber welche? hinhält: "Die Kunsthallen und Kunstvereine sind dabei, vollkommen zu verschwinden. Wenn sie Gerhard Richter oder einen Jonathan Meese fragen, ob er lieber im Baden-Württembergischen Kunstverein ausstellt oder in der Staatsgalerie, wird er sofort das Museum wählen."
So sehen wir uns betroffen und alle Fragen sind - offen. Das ganze Gespräch, das Paul Jandl mit Klaus Albrecht Schröder geführt hat, finden sie in der WELT vom 10. Juli 2010
Inventare imaginär (Texte im Museum 78)
450 Jahre Zukunft. Jubiläumsausstellung der Staatlichen Dresdner Kunstsammlungen. Historische und aktuelle Inventare in Wandprojektion. jangled nerves
"450 Jahre Zukunft". Dresdner Fragmente (1)
450 Jahre Zukunft. Unter diesem Motto feiern die Staatlichen Dresdner Kunstsammlungen ein Jubiläum. Gestützt auf eine einzige archivalische Angabe rechnet man sich 450 Jahre Sammlungsgeschichte an und damit eine distinktionsmächtige Institutionenkontinuität.
Gezeigt wird die Ausstellung in nicht restaurierten Räumen des Dresdner Schlosses, das nach und nach restauriert wird und in dem nach und nach Teilsammlungen rekonstruiert oder neu formiert aufgestellt werden: das berühmte Grüne Gewölbe, das so genannte Neue Grüne Gewölbe, die Türkische Kammer und andere.
Die Ausstellung spiegelt das Selbstverständnis des Dresdner Museumsverbundes als eine aus den fürstlichen Sammlungen hervorgegangene bedeutendste und älteste Kunstsammlung Europas.
Die Kuratorin der Ausstellung hat Objekte aus den Dresdner Sammlungen und Leihgaben um fünf Themen gruppiert, Schöpfung, Verlangen, Wissbegierde, Konfrontation, Ausstrahlung. In jeder dieser Gruppierungen werden Wissensbereiche, Kunstgattungen und Epochen gemischt und miteinander konfrontiert. In jedem Raum werden die Objekte auf einer 'Insel' aus Podesten mit Vitrinen und Wänden präsentiert, wobei die Synergien zwischen den Objekten von der Vereinzelung der Objekte - oft steht Einzelobjekt-Vitrine neben Vitrine - konterkariert wird.
Es gibt nur karge Objektbeschriftung, keinerlei anderen Text. Ich hatte das Vergnügen mit der Kuratorin durch die Ausstellung gehen und von Ihrem Wissen und auch von ihrer eindrucksvollen Identifizierung mit ihrer Arbeit profitieren zu können. Hier erschlossen sich mir mühelos Bezüge im Mikrogefüge der Rauminstallationen wie über Räume und Themenbereiche hinweg. Der Normalbesucher ist aber auf einen Audioguide angewiesen oder den Katalog, der aber als Ausstellungsführer nicht besonders praktikabel ist. Ich habe bislang keine Ausstellung gesehen, die so stark auf die mediale Vermittlung setzt.
Die Ausstellungsgestaltung (HG Merz) bedient sich einer konventionellen Präsentation, die die Aura des individuellen Objektes unterstreicht. Jeweils ein zentrales Podest taucht aus dem Dunkel der unrestaurierten Räume auf und hebt durch Platzierung und Lichtregie das Einzelne hervor. Staunen, ästhetischer Genuss, Bewunderung sind die angebotenen Modi der Wahrnehmung. So ist die Schau doch allererst eine Sammlungspräsentation, die ihren Reichtum und die Vielfalt grundsätzlich affirmativ zur Geltung bringt. Es ist ein kunsthistorischer Blick, der hier waltet und den man teilen soll.
Auch ohne Erläuterung entdeckt man viele Exponate, die Aufschlüsse über praktische, symbolische, politische usw. Bedeutungen vermitteln, doch ist der Preis für die ästhetisierende Präsentation aller Objekte als 'Kunstwerke' hoch. Motive, Zwecke, Wandlungen, Ansprüche des Sammelns kommen nur punktuell zum Vorschein. Selbst das suggestive leitende Motto verliert man schnell aus den Augen: was da immer auch schon an Zukunft in das Sammeln eingebaut war, wird einem für die lange Dauer der Sammlungsgeschichte nicht wirklich klar und schon gar nicht für die 'kommende Zukunft' der Sammlungen. Ein Einlassen auf sammlungspolitische und -geschichtliche Fragen hätte wohl den gewünschten Eindruck von Kontinuität und Kohärenz empfindlich gestört.
Die Ausstellung ermöglicht immer wieder den Blick nach draußen, aber sie lässt das Draußen kaum an einer Stelle herein. Die offensichtliche Fragmentiertheit, Brüchigkeit, Lückenhaftigkeit der Stadt, die sie trotz aller Aufbau- und Rekonstruktion-Bemühungen auszeichnet, hat keinen Widerhall in der Schau. Die schrundigen Räume sind ein Gefäß, nicht mehr, ohne die Bedeutung der Dinge tangieren zu dürfen. Bezeichnend ist, daß nirgendwo eine Interaktion von Bau und Schau versucht wurde. Die Rohheit der im Weltkrieg zerstörten, nur notdürftig praktikabel gemachten Räume, verweist auf doch einen von mehreren Brüchen in der Geschichte Dresdens.
Ich möchte das Staunen, das die Ausstellung auslöst, nicht denunzieren und ich unterschätze nicht, wie sehr es Auslöser nachhallender Fragen sein kann. Aber ich habe mich hier und in anderen Sammlungen, die ich in Dresden gesehen habe, gefragt, in welchem Spannungsverhältnis die rekonstruktive und affirmative Haltung der Museen zur Wirklichkeit der Stadt steht. Anders gesagt: was es bedeutet oder was es bewirkt, wenn der fürstliche Glanz der barocken Stadt wiederhergestellt wird, wenn die tiefen Spuren des Weltkrieges, der DDR-Zeit, des bürgerlichen Historismus, des Wiederaufbaues nach der so genannten Wiedervereinigung nirgendwo gespiegelt werden.
Wie die Ausstellung rekonstruiert auch die aktuelle Museumsentwicklung die Sammlungen im Status, den sie als fürstliche, repräsentative 'Kammern' hatten. Das erscheint insofern legitim, als die Überlieferung der Objekte das zulässt. Wie wohl an keinem anderen Ort, kann hier der Glanz, der Reichtum, die handwerkliche und ästhetische Qualität der einzelnen Sammlungen, wenn auch manchmal nur fragmentiert und in neuer architektonischer Umgebung 'wiederhergestellt' werden.
Bei der Ausstellung wie bei der sukzessiven Wiedereröffnung der Sammlungen nimmt man offenbar gerne in Kauf, daß damit auch ein Stück fürstlicher, überwiegend barocker Repräsentation, im Vordergrund steht. Was sich mehr oder minder nahtlos in das Selbstbild Dresdens als glanzvoller historischer Metropole (das Bild, das auch dem Touristen nahegelegt wird) fügt. Dresden entwickelt sich, schien mir, gleichsam 'rückwärts' und wenn man durch die Stadt schlendert kann man zwischen historischen restaurierten und absolut moderne historisierenden und rekonstruierten Bauten gar nicht mehr unterscheiden. Neu wie am Tag ihrer Fertigstellung ist aber dieses Wiederhergestellte nagelneu, weil - vorläufig - ohne jede Altersspur. Die Lücken, die die Geschichte hinterließ, für viele Dresdner noch 'Wunden', werden aber durch die architektonische Mimikry nicht geheilt, sondern unsichtbar gemacht. Das schien mir auch an der Ausstellung problematisch.
Es sind paradoxe Wege, die man als Besucher durch Dresden nimmt. Das Schloss, teilweise noch beschädigt und geschwärzt von der Kriegszerstörung, fügt sich wie nahtlos in die Vedute des Altstadtkerns, wiewohl seine Architektur von bescheidener Qualität und zu ihrer Entstehungszeit ganz schön 'retro' war. Währen die Brachen mit ihren vergilbten Wiesen Leerstellen bilden, von denen man nicht sagen kann, aus welcher Zeitschicht sie eigentlich stammen: planierte Ruinenfelder, Bauerwartungsland heutiger Investoren, Überreste sozialistischer unvollendeter Stadtplanung.
In der Ausstellung werden zwar (mit höchst unterschiedlicher Gewichtung), die historischen Landmarks berücksichtigt, aber auch zu einer Kontinuität dort zusammengefügt, wo keine nachweisbar ist.
Das gilt auch für den Kern der Ausstellung: die 450 Jahre Sammlungsgeschichte als Legitimationsfigur für den heutigen Museumscluster, bilden mitnichten einen großen Entwicklungsbogen. Die Differenzierung von Sammlung und Museum (um nur eine grobe Unterscheidung zu machen) findet schon erst mal gar nicht statt, also auch nicht der Bruch zwischen fürstlich repräsentativem Sammeln und moderner Museumsidee.
Wollte man dem weder sozial- oder ideengeschichtlich nachspüren, so hätte man doch bemerken müssen, daß es sammlungsgeschichtlich auch nicht zusammenpasst. Spätestens 1832 war es definitiv vorbei mit dem enzyklopädischen Sammeln und neue Sammlungs- und Präsentationsparadigmen hatten sich auch in Dresden durchgesetzt. Wie auch anderswo verschwanden die alten Formgelegenheiten, die Kammern, Kabinette und Galerien ebenso wie die alten Typologien. Objekte und Sammlungsbereiche wurden neue aufgeteilt, neu gegliedert, neu arrangiert. Vieles wurde verkauft, verschenkt oder an andere Museen weitergegeben.
So ist das erste Objekt, das man in der Ausstellung sieht, die Drahtziehbank Kurfürst August von Sachsens genau das nicht, wofür sie hier steht. Sie ist kein 'erstes' Objekt einer kontinuierlichen Sammlungsgeschichte, kein 'Gründungsobjekt' einer 450-jährigen Geschichte. Es ist eines der Objekte, die weggegeben wurden und nun als Leihgabe eines französischen Museums auf Zeit gezeigt wird. Es ist das Gegenteil dessen, was es in der Ausstellung ist - eben kein Objekt der Kontinuität, sondern, als Leihgabe, eines der Diskontinuität.
Gezeigt wird die Ausstellung in nicht restaurierten Räumen des Dresdner Schlosses, das nach und nach restauriert wird und in dem nach und nach Teilsammlungen rekonstruiert oder neu formiert aufgestellt werden: das berühmte Grüne Gewölbe, das so genannte Neue Grüne Gewölbe, die Türkische Kammer und andere.
Die Ausstellung spiegelt das Selbstverständnis des Dresdner Museumsverbundes als eine aus den fürstlichen Sammlungen hervorgegangene bedeutendste und älteste Kunstsammlung Europas.
Die Kuratorin der Ausstellung hat Objekte aus den Dresdner Sammlungen und Leihgaben um fünf Themen gruppiert, Schöpfung, Verlangen, Wissbegierde, Konfrontation, Ausstrahlung. In jeder dieser Gruppierungen werden Wissensbereiche, Kunstgattungen und Epochen gemischt und miteinander konfrontiert. In jedem Raum werden die Objekte auf einer 'Insel' aus Podesten mit Vitrinen und Wänden präsentiert, wobei die Synergien zwischen den Objekten von der Vereinzelung der Objekte - oft steht Einzelobjekt-Vitrine neben Vitrine - konterkariert wird.
Es gibt nur karge Objektbeschriftung, keinerlei anderen Text. Ich hatte das Vergnügen mit der Kuratorin durch die Ausstellung gehen und von Ihrem Wissen und auch von ihrer eindrucksvollen Identifizierung mit ihrer Arbeit profitieren zu können. Hier erschlossen sich mir mühelos Bezüge im Mikrogefüge der Rauminstallationen wie über Räume und Themenbereiche hinweg. Der Normalbesucher ist aber auf einen Audioguide angewiesen oder den Katalog, der aber als Ausstellungsführer nicht besonders praktikabel ist. Ich habe bislang keine Ausstellung gesehen, die so stark auf die mediale Vermittlung setzt.
Die Ausstellungsgestaltung (HG Merz) bedient sich einer konventionellen Präsentation, die die Aura des individuellen Objektes unterstreicht. Jeweils ein zentrales Podest taucht aus dem Dunkel der unrestaurierten Räume auf und hebt durch Platzierung und Lichtregie das Einzelne hervor. Staunen, ästhetischer Genuss, Bewunderung sind die angebotenen Modi der Wahrnehmung. So ist die Schau doch allererst eine Sammlungspräsentation, die ihren Reichtum und die Vielfalt grundsätzlich affirmativ zur Geltung bringt. Es ist ein kunsthistorischer Blick, der hier waltet und den man teilen soll.
Auch ohne Erläuterung entdeckt man viele Exponate, die Aufschlüsse über praktische, symbolische, politische usw. Bedeutungen vermitteln, doch ist der Preis für die ästhetisierende Präsentation aller Objekte als 'Kunstwerke' hoch. Motive, Zwecke, Wandlungen, Ansprüche des Sammelns kommen nur punktuell zum Vorschein. Selbst das suggestive leitende Motto verliert man schnell aus den Augen: was da immer auch schon an Zukunft in das Sammeln eingebaut war, wird einem für die lange Dauer der Sammlungsgeschichte nicht wirklich klar und schon gar nicht für die 'kommende Zukunft' der Sammlungen. Ein Einlassen auf sammlungspolitische und -geschichtliche Fragen hätte wohl den gewünschten Eindruck von Kontinuität und Kohärenz empfindlich gestört.
Die Ausstellung ermöglicht immer wieder den Blick nach draußen, aber sie lässt das Draußen kaum an einer Stelle herein. Die offensichtliche Fragmentiertheit, Brüchigkeit, Lückenhaftigkeit der Stadt, die sie trotz aller Aufbau- und Rekonstruktion-Bemühungen auszeichnet, hat keinen Widerhall in der Schau. Die schrundigen Räume sind ein Gefäß, nicht mehr, ohne die Bedeutung der Dinge tangieren zu dürfen. Bezeichnend ist, daß nirgendwo eine Interaktion von Bau und Schau versucht wurde. Die Rohheit der im Weltkrieg zerstörten, nur notdürftig praktikabel gemachten Räume, verweist auf doch einen von mehreren Brüchen in der Geschichte Dresdens.
Ich möchte das Staunen, das die Ausstellung auslöst, nicht denunzieren und ich unterschätze nicht, wie sehr es Auslöser nachhallender Fragen sein kann. Aber ich habe mich hier und in anderen Sammlungen, die ich in Dresden gesehen habe, gefragt, in welchem Spannungsverhältnis die rekonstruktive und affirmative Haltung der Museen zur Wirklichkeit der Stadt steht. Anders gesagt: was es bedeutet oder was es bewirkt, wenn der fürstliche Glanz der barocken Stadt wiederhergestellt wird, wenn die tiefen Spuren des Weltkrieges, der DDR-Zeit, des bürgerlichen Historismus, des Wiederaufbaues nach der so genannten Wiedervereinigung nirgendwo gespiegelt werden.
Wie die Ausstellung rekonstruiert auch die aktuelle Museumsentwicklung die Sammlungen im Status, den sie als fürstliche, repräsentative 'Kammern' hatten. Das erscheint insofern legitim, als die Überlieferung der Objekte das zulässt. Wie wohl an keinem anderen Ort, kann hier der Glanz, der Reichtum, die handwerkliche und ästhetische Qualität der einzelnen Sammlungen, wenn auch manchmal nur fragmentiert und in neuer architektonischer Umgebung 'wiederhergestellt' werden.
Bei der Ausstellung wie bei der sukzessiven Wiedereröffnung der Sammlungen nimmt man offenbar gerne in Kauf, daß damit auch ein Stück fürstlicher, überwiegend barocker Repräsentation, im Vordergrund steht. Was sich mehr oder minder nahtlos in das Selbstbild Dresdens als glanzvoller historischer Metropole (das Bild, das auch dem Touristen nahegelegt wird) fügt. Dresden entwickelt sich, schien mir, gleichsam 'rückwärts' und wenn man durch die Stadt schlendert kann man zwischen historischen restaurierten und absolut moderne historisierenden und rekonstruierten Bauten gar nicht mehr unterscheiden. Neu wie am Tag ihrer Fertigstellung ist aber dieses Wiederhergestellte nagelneu, weil - vorläufig - ohne jede Altersspur. Die Lücken, die die Geschichte hinterließ, für viele Dresdner noch 'Wunden', werden aber durch die architektonische Mimikry nicht geheilt, sondern unsichtbar gemacht. Das schien mir auch an der Ausstellung problematisch.
Es sind paradoxe Wege, die man als Besucher durch Dresden nimmt. Das Schloss, teilweise noch beschädigt und geschwärzt von der Kriegszerstörung, fügt sich wie nahtlos in die Vedute des Altstadtkerns, wiewohl seine Architektur von bescheidener Qualität und zu ihrer Entstehungszeit ganz schön 'retro' war. Währen die Brachen mit ihren vergilbten Wiesen Leerstellen bilden, von denen man nicht sagen kann, aus welcher Zeitschicht sie eigentlich stammen: planierte Ruinenfelder, Bauerwartungsland heutiger Investoren, Überreste sozialistischer unvollendeter Stadtplanung.
In der Ausstellung werden zwar (mit höchst unterschiedlicher Gewichtung), die historischen Landmarks berücksichtigt, aber auch zu einer Kontinuität dort zusammengefügt, wo keine nachweisbar ist.
Das gilt auch für den Kern der Ausstellung: die 450 Jahre Sammlungsgeschichte als Legitimationsfigur für den heutigen Museumscluster, bilden mitnichten einen großen Entwicklungsbogen. Die Differenzierung von Sammlung und Museum (um nur eine grobe Unterscheidung zu machen) findet schon erst mal gar nicht statt, also auch nicht der Bruch zwischen fürstlich repräsentativem Sammeln und moderner Museumsidee.
Wollte man dem weder sozial- oder ideengeschichtlich nachspüren, so hätte man doch bemerken müssen, daß es sammlungsgeschichtlich auch nicht zusammenpasst. Spätestens 1832 war es definitiv vorbei mit dem enzyklopädischen Sammeln und neue Sammlungs- und Präsentationsparadigmen hatten sich auch in Dresden durchgesetzt. Wie auch anderswo verschwanden die alten Formgelegenheiten, die Kammern, Kabinette und Galerien ebenso wie die alten Typologien. Objekte und Sammlungsbereiche wurden neue aufgeteilt, neu gegliedert, neu arrangiert. Vieles wurde verkauft, verschenkt oder an andere Museen weitergegeben.
So ist das erste Objekt, das man in der Ausstellung sieht, die Drahtziehbank Kurfürst August von Sachsens genau das nicht, wofür sie hier steht. Sie ist kein 'erstes' Objekt einer kontinuierlichen Sammlungsgeschichte, kein 'Gründungsobjekt' einer 450-jährigen Geschichte. Es ist eines der Objekte, die weggegeben wurden und nun als Leihgabe eines französischen Museums auf Zeit gezeigt wird. Es ist das Gegenteil dessen, was es in der Ausstellung ist - eben kein Objekt der Kontinuität, sondern, als Leihgabe, eines der Diskontinuität.
Freitag, 23. Juli 2010
Das Museum kann viel mehr! Aus der Reihe "Große Direktoren sprechen (nicht) über die Museumskrise."
"Was leistet das Museum heute für die gesellschaftliche Debatte?
Die offizielle Meinung dazu ist: Wir sind eine Institution, die sammelt, forscht und bewahrt. Aber die Wahrheit ist doch: Das Museum kann viel mehr! Im Museum sieht man nur die schönen Seiten des Lebens, da stimmt doch irgendwas nicht. Das Museum ist eine soziale Kohäsionseinrichtung. Wenn die Museen mal den Mut hätten, sich richtig auf die Bevölkerung mit all ihren Sorgen einzulassen, die Leute wirklich dort abzuholen, wo sie stehen, keine Angst mehr hätten, sich mit Alltagsthemen auch in die Niederungen zu begeben! Wir haben hier so viel Material, um Welten zu erklären, politische Zusammenhänge herzustellen - und trauen uns nicht ran. Das Museum als zutiefst soziale Einrichtung, das nimmt heute keiner ernst. Asche auf mein Haupt."
Abb.: Wolfgang Mattheuer: Sisyphos behaut den Stein. 1974. Derzeit zu sehen in der Jubiläumsausstellung der Staatlichen Museen Dresden Zukunft seit 1560
Wally zurück! Alles gut?
Die Leopold Stiftung hat einen 'Vergleich' geschlossen. Sie zahlt viel Geld und behält das Bild. Neunzehn Millionen Dollar. Für das Bild, das in New York beschlagnahmt wurde, weil man es für Raubkunst hielt. Das Bild "Wally".
In 1911, Schiele met the seventeen-year-old Valerie (Wally) Neuzil, who lived with him in Vienna and served as model for some of his most striking paintings. Very little is known of her, except that she had previously modelled for Gustav Klimt and might have been one of his mistresses.The year 1915 marked a turning-point in Schiele's life. Some time in the previous year he had met two middleclass girls who lived opposite his studio. Edith and Adéle harms were the daughters of a master locksmith. Schiele was attracted to both of them, but eventually fixed his sights on Edith; by April 1915 he was engaged to her, and Wally Neuzil was rather cold-bloodedly dismissed. Schiele's last meeting with Wally took place at their 'local', the Café Eichberger, where he played billiards nearly every day. He handed her a letter in which he proposed that, despite their parting, they take a holiday together every summer - without Edith. Not surprisingly, Wally refused. She joined the Red Cross as a nurse and died of scarlet fever in a military hospital near Split in Dalmatia just before Christmas 1917.
(Bild & Zitat hier)
Wie die FAZ berichtet, soll das Bild "vor seiner Rückführung nach Wien im New Yorker „Jewish Heritage Museum“ als „Erinnerung an Standhaftigkeit und Wille von Opfern und Überlebenden des Holocaust“ kurz ausgestellt werden. Auch auf seine Herkunft muss fortan in Wien hingewiesen werden: „Die wahre Geschichte des Bildes“, so die Anwälte, „wird nun kommenden Generationen erzählt.“
Schon zuvor wurden die ersten Beschlüsse der "Leopold Rückgabe Kommission" bekannt (hier im Wortlaut). Das ist erst der Beginn einer Aufarbeitung der Sammlung. Sie wird sich wohl zügiger vollziehen und schneller praktische Ergebnisse bewirken, seit der Sohn des Sammlers Leopold in einem Gespräch im ORF eine Haltungsänderung hat erkennen lassen.
Wie wenig damit, nicht nur in Bezug auf die Sammlung Leopold, "erledigt" ist, wird an einem Artikel in der heutigen NZZ deutlich, der eine kaum beachtete Entwicklung thematisiert. Die "Privatisierung der Restitution". Stephan Tempel (hier) macht auf eine Doppelgleisigkeit der Aufarbeitung aufmerksam, auf das Nebeneinander von staatlicher Aufarbeitung und - kostspieliger - privater.
Sein Kernsatz: "Dieser Konflikt zwischen öffentlichem Engagement und privatem Profit kennzeichnet weite Teile der Rückstellungswirklichkeit. Da gibt es auf der einen Seite die meist nur mit sogenannten Werkverträgen ausgestatteten Rechercheure, die systematisch und präzise die öffentlichen Sammlungen durchforsten. Die Auffindung von Rückstellungsberechtigten betreibt der Staat jedoch nicht selbst. Diese Arbeit überlässt er Genealogen und Anwälten, die sich vertraglich exorbitante Erfolgshonorare bei erfolgter Rückstellung sichern. Das ist jedoch nach österreichischem Recht verboten, denn hier ist das Anwaltshonorar über eine genaue Tarifordnung geregelt."
In diesem Sinn kritisiert die Israelitische Kultusgemeinde (hier), die Fortsetzung einer Praxis des Vergleichs und der Absprachen: "Restitution" sei "- auch im Sinne des Kunstrückgabegesetzes - die entgeltfreie Rückgabe von Kunstwerken bedenklicher Provenienz und kein 'dealmaking'".
In 1911, Schiele met the seventeen-year-old Valerie (Wally) Neuzil, who lived with him in Vienna and served as model for some of his most striking paintings. Very little is known of her, except that she had previously modelled for Gustav Klimt and might have been one of his mistresses.The year 1915 marked a turning-point in Schiele's life. Some time in the previous year he had met two middleclass girls who lived opposite his studio. Edith and Adéle harms were the daughters of a master locksmith. Schiele was attracted to both of them, but eventually fixed his sights on Edith; by April 1915 he was engaged to her, and Wally Neuzil was rather cold-bloodedly dismissed. Schiele's last meeting with Wally took place at their 'local', the Café Eichberger, where he played billiards nearly every day. He handed her a letter in which he proposed that, despite their parting, they take a holiday together every summer - without Edith. Not surprisingly, Wally refused. She joined the Red Cross as a nurse and died of scarlet fever in a military hospital near Split in Dalmatia just before Christmas 1917.
(Bild & Zitat hier)
Wie die FAZ berichtet, soll das Bild "vor seiner Rückführung nach Wien im New Yorker „Jewish Heritage Museum“ als „Erinnerung an Standhaftigkeit und Wille von Opfern und Überlebenden des Holocaust“ kurz ausgestellt werden. Auch auf seine Herkunft muss fortan in Wien hingewiesen werden: „Die wahre Geschichte des Bildes“, so die Anwälte, „wird nun kommenden Generationen erzählt.“
Schon zuvor wurden die ersten Beschlüsse der "Leopold Rückgabe Kommission" bekannt (hier im Wortlaut). Das ist erst der Beginn einer Aufarbeitung der Sammlung. Sie wird sich wohl zügiger vollziehen und schneller praktische Ergebnisse bewirken, seit der Sohn des Sammlers Leopold in einem Gespräch im ORF eine Haltungsänderung hat erkennen lassen.
Wie wenig damit, nicht nur in Bezug auf die Sammlung Leopold, "erledigt" ist, wird an einem Artikel in der heutigen NZZ deutlich, der eine kaum beachtete Entwicklung thematisiert. Die "Privatisierung der Restitution". Stephan Tempel (hier) macht auf eine Doppelgleisigkeit der Aufarbeitung aufmerksam, auf das Nebeneinander von staatlicher Aufarbeitung und - kostspieliger - privater.
Sein Kernsatz: "Dieser Konflikt zwischen öffentlichem Engagement und privatem Profit kennzeichnet weite Teile der Rückstellungswirklichkeit. Da gibt es auf der einen Seite die meist nur mit sogenannten Werkverträgen ausgestatteten Rechercheure, die systematisch und präzise die öffentlichen Sammlungen durchforsten. Die Auffindung von Rückstellungsberechtigten betreibt der Staat jedoch nicht selbst. Diese Arbeit überlässt er Genealogen und Anwälten, die sich vertraglich exorbitante Erfolgshonorare bei erfolgter Rückstellung sichern. Das ist jedoch nach österreichischem Recht verboten, denn hier ist das Anwaltshonorar über eine genaue Tarifordnung geregelt."
In diesem Sinn kritisiert die Israelitische Kultusgemeinde (hier), die Fortsetzung einer Praxis des Vergleichs und der Absprachen: "Restitution" sei "- auch im Sinne des Kunstrückgabegesetzes - die entgeltfreie Rückgabe von Kunstwerken bedenklicher Provenienz und kein 'dealmaking'".
Samstag, 17. Juli 2010
Fundsache: "Hat Saussure den Gipfel des Mont Blanc nicht nur bestiegen, sondern auch geklaut?"
Man kann es drehen und wenden wie man will, was da auf dem Kärtchen mit der Objektbeschriftung steht, kann man nicht anders übersetzen als: Gipfelchen (topje ist das Diminutiv von top = Gipfel, und kann auch mit Zipfelchen übersetzt werden), vom Mont blanc 1787 abgehackt (oder: abgebrochen) von De Saussure.
Und dann sieht dieser im Teylers Museum in Haarlem ausgestellte Stein auch noch so aus, als wäre er die Spitze...
Der Schweizer Naturforscher Horace Bénédicte de Saussure hatte, im Alter von 20 Jahren, 1760 einen Preis für die erste Besteigung des höchsten Berges der Alpen, des Mont Blanc, ausgesetzt. Mit 47, nach mehreren vergeblichen Versuchen, wird er selbst auf dem Gipfel des Mont Blanc stehen, nur ein Jahr, nachdem der Berg erstmals erstiegen wurde. Es war dies die erst dritte dokumentierte Ersteigung des Gipfels.
Das Teylers Museum (hier gehts zur wunderschönen Webseite dieses wunderbaren Museums) hatte eine eignene Mont-Blanc Sammlung mit einem 1799 erworbenen Relief des Gebirges. 1802 erwarb man von Saussures Sohn diesen Stein. Saussure hatte angenommen, daß auf dem höchsten Berg auch das älteste Gestein zu finden sein müsse und deshalb brach er ein Stück - tja - vom Gipfel ab.
Freitag, 16. Juli 2010
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