Samstag, 1. Mai 2010

Museum und Guillotine - George Bataille (Das Museum Lesen 10)

Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Allerdings war bereits das Ende des 17. Jahrhunderts gegründete, zur Universität Oxford gehörende Ashmolean Museum eine öffentliche Sammlung.

Die weitere Entwicklung des Museums hat selbst die kühnsten Hoffnungen seiner Gründer noch übertroffen. Zum einen stellt heute die Gesamtheit aller Museen der Welt eine ungeheure Ansammlung von Reichtümern dar. Vor allem aber liefert die Gesamtheit aller Museumsbesucher der Welt das zweifellos großartigste Beispiel für die Befreiung der Menschheit von materiellen Sorgen und die Hinwendung zur Kontemplation.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Räume und Kunstgegenstände in einem Museum nicht mehr sind als ein Gefäß: Den Inhalt bilden die Besucher, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Museum von der Privatsammlung. Ein Museum ist wie die Lunge einer Großstadt: Die Besucherschar strömt wie Blut jeden Sonntag ins Museum hinein und kommt gereinigt und erfrischt wieder heraus. Die Bilder sind nichts anderes als leblose Oberflächen, und nur in der Menge der Betrachter vollzieht sich jenes Spiel von Lichteffekten und Reflexen, dessen technische Details von den Kritikern beschrieben worden sind. Es ist immer wieder interessant, mit Bewunderung zur Kenntnis zu nehmen, wie die am Sonntag um fünf Uhr zur Ausgangstür des Louvre herausströmenden Besucher sichtbar von dem Wunsch beseelt sind, ganz jenen göttlichen Geschöpfen zu gleichen, die sie, wie ihre leuchtenden Augen zeigen, so hinreißend finden.

Granville hat über die Beziehungen zwischen Gefäß und Inhalt, die sich in den Museen beobachten lassen, ein Schema aufgestellt, in dem die vorübergehend zwischen Besuchten und Besuchern entstehenden Bindungen (so scheint es zumindest) bewußt übertrieben werden. Es ist wie bei einem Eingeborenen von der Elfenbeinküste, der polierte Steinäxte aus der Steinzeit in eine mit Wasser gefüllte Wanne legt, ein Bad darin nimmt und dem, was er für Donnergestein hält (da es bei einem Gewitter vom Himmel gefallen ist), ein Hühneropfer darbringt: Er nimmt die von großer Begeisterung und einem Gefühl tiefer Verbundenheit geprägte Einstellung zu den Gegenständen vorweg, die auch für den modernen Museumsbesucher charakteristisch ist.

Das Museum ist ein gigantischer Spiegel, der es dem Menschen ermöglicht, sich endlich von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern und sich jener Extase hinzugeben, die in allen Kunstzeitschriften zum Ausdruck gebracht wird.


Georges Bataille, Lemma ‘Museum’ aus: Documents – Dochtrines Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie (1929-39), hier zit. n.: Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit. Bonn 1994, S.99

Freitag, 30. April 2010

Die Idee des Museums (Museumsphysiognomien 3)

Wir alle glauben zu wissen, was ein Museum ist. Wie in diesem Gemälde von Hubert Robert (1733-1808) ist es ein Raum, eine Architektur, in der Leute zusammenkommen, um etwas zu sehen, hier sind es Kunstwerke zu. Was wir sehen, ist eine Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder, wir sagen, ein Publikum, aus offenbar sehr unterschiedlichen Personen zusammengesetzt, in die Betrachtung von Kunstwerken, in Gespräche vertieft, aber auch - man darf annehmen es sind Künstler - kopierend vor einzelnen Gemälden.
Was das Gemälde zeigt, scheint genau das zu sein, was wir von einem Museum erwarten: eine Sphäre des sozial unbegrenzten Zuganges. Jedermann scheint hier die Erlaubnis zum Zutritt zu haben und jedermann scheint der Gebrauch von Kunst oder Kultur gestattet zu sein, in diesem Haus und Raum mit dem Namen ‘Museum’.
Was die im Gemälde dargestellte Menge vom Publikum aller früheren (und seltenen) Darstellungen von Sammlungsräumen unterscheidet, ist das Selbstbewußtsein und die Autonomie, mit der die Besucher auftreten und sich verhalten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Menschen im Museumsraum bewegen – hier ist es die Grande Galerie des Louvre -, hat mit einem signifikanten Bruch zu tun, mit dem Sammlungen in einem bestimmbaren geschichtlichen Zeitraum Allgemein-(Staats-)Besitz werden und das Recht auf kulturelle Betätigung und Bildung als Menschenrecht und von der Verfassung jedermann garantiert werden. Bis dahin befanden sich Sammlungen (mit wenigen Ausnahmen) in privatem Besitz und alle Regelungen ihrer Nutzung und Zugänglichkeit unterlagen willkürlichen Entscheidungen des Besitzers. Sie konnten ebenso großzügig wie restriktiv sein. Jetzt ist der Zugang zu den ‚Bildungsgütern’, also auch zum Museum ein Recht.
Das Gemälde ist eines von vielen, das Hubert Robert von der Grande Galerie gemalt hat. Es zeigt nicht dokumentarisch den tatsächlichen Zustand, sondern einen erwünschten und zukünftigen. Der Louvre wurde 1793 als öffentliches Museum eröffnet. In diesem Jahr wurde der Künstler adeliger Auftraggeber verhaftet und entging nur knapp der Guillotinierung. Wenig später finden wir ihn, der auch sein Atelier im Louvre hatte, in der Kommission, der die Betreuung des Museums vom Nationalkonvent anvertraut war.
Robert fordert hier die Utopie eines Museums ein, die Mitte 1793 bereits Realität geworden, aber noch unvollkommen realisiert worden war.
In Wirklichkeit war die Grande Galerie ein ziemlich düsterer 'Tunnel', noch nicht von oben beleuchtet. Aber in allen Gemälden Roberts, in denen er diesen zentralen Raum des Museums dargestellt hat - als Baustelle, als Entwurf, als Ruine, als prachtvolle und reich ausgestattete Galerie -, immer ist der Raum mit einem Publikum bevölkert, wie man es von anderen Sammlungsdarstellungen nicht kannte. Ab jetzt garantierte der Staat den Bestand des Museums und die allgemeine und freie Benutzung.
Allgemeiner Besitz des kulturellen Erbes, Grundrecht auf Bildung und Zugang als allgemeines Recht sind aber nicht der Zweck des Museums, sondern seine Bedingungen. Nur wo diese strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Museum seine sozialisierende und zivilisierende Rolle erfüllen. Erst dann wird das Museum zum diskursiven und sozialen Raum, in dem die Phantasmen von ‚Wir’, ‚Ganzheit’, ‚Endlichkeit’, ‚Herkunft und Zukunft’, ‚Freiheit’ oder ‚Andersheit’ und viele andere mehr zirkulieren können. So ist dieses Museum auch ein nationales u n d universales Museum.

Gewaltiger Bärentext (Texte im Museum 48 )

Donnerstag, 29. April 2010

Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program - Paul Weschler (Das Museum lesen 09)

Das Buch Mr. Wilsons Wunderkammer von Paul Weschler stellt das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles vor. 'Vorstellen' ist der falsche Ausdruck: in einer Mischung von Essay, Biografie und investigativem Journalismus versucht der Autor einem der merkwürdigsten und bemerkenswertesten Museen, jedenfalls einem Museum mit einem sehr merkwürdigen Titel, Tage auf die Spur zu kommen.
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.

Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.

Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.

Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer  Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?

Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998

Mittwoch, 28. April 2010

Musée Grevin, Paris

Der Faszination von Wachsfigurenkabinetten entzieht sich kaum jemand. Bei gut gemachten Figuren löst die Nähe von Lebensnähe und Totenstarre dia ambivalente Erfahrung von Angst und Staunen aus. Solche Kabinette sind immer unheimlich und trösten im Versprechen, ein Überdauern als Bild sei möglich. Tatsächlich kommt die Wachsbildnerei aus dem Totenkult. Wo der organische Leib zum Verfall verurteilt wurde, bot ein sozialer Leib, eine Puppe aus Holz, Wachs oder welchem Material auch immer, ein die Person erinnerndes Memento. Wachs erwies sich dabei wegen seiner Lebensnähe als besonders geeignet, einen Toten zu 'ersetzen' und dabei 'noch lebendig' zu erscheinen.
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud. 
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...

Wir über uns (Texte im Museum 47)

Frankreich, das Land der Museologie - Nina Gorgus (Das Museum lesen 08)

Wenn man sich mit den Pariser Museen beschäftigt, wird einem auffallen, wie sehr deren Profil durch eine enge und wechselseitige Beziehung zu den Wissenschaften und zu wissenschaftlichen Institutionen bestimmt ist. Wie häufig dort Museen raumlich und funktional mit wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden sind.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.

Nina Gorgus: Der Zauber der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivière Münster New York München Berlin 1999

Partizipation. Call for Papers des Historischen Museum Frankfurt

Ich bin von Mitarbeiterinnen des Historischen Museums Frankfurt gebeten worden, diesen Call for Papers zu verbreiten - was ich hiemit gerne tue. GF

// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010 

Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts


Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.

Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen

In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.

Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de

Montag, 26. April 2010

Der Künstler vorgestellt (Texte im Museum 46)




















Bruno Gironcoli / Essl-Museum Klosterneuburg (2010)

Fast Food. Schnell mal was über Otto Neurath.

Otto Neurath. Wem sagt der Name etwas?
Philosoph, Ökonom, Direktor des Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig, Präsident des Zentralwirtschaftsrates der Ungarischen Räterepublik, Gründer eines Siedler- und Kleingartenverbandes, dann eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums, Entwickler der Isotope (= International System of Typographic Picture Education) und der Methode der Wiener Bildstatistik, Mitglied des Wiener Kreises, träumte von einer Universalsprache und einem Universalmuseum, "Mundaneum".
Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum existiert noch, abgeschnitten von seinen ursprünglichen Aufgaben innerhalb der sozialistischen Politik der Gemeinde Wien. Und Neurath? Wo hat er 'überlebt'.
Eine kleine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, „OTTO NEURATH. Gypsy Urbanism", lässt die Frage offen. Eine knapp Skizzierte Biografie, wesentliche Publikationen und Beispiele seiner Bildstatistik sowie Fotografien verschiedner Ausstellungen des Museums werden in chronologischer Ordnung in Vitrinen und an den Wänden präsentiert. Einschließlich von Arbeiten seiner Frau und anderer Nachlaßinstitutionen.
Weder Auswahl noch Absicht haben sich mir in der Ein-Raum-Ausstellung erschlossen. An einer Seite aufgeschlagene Bücher hinter Glas machen mich in Ausstellungen sowieso schon nervös, noch mehr aber der Test, wie lange ein uninformiert bleibender Besucher begreift, daß die Ausstellung nicht etwa am Eingang beginnt, sondern in der exakt hintersten linken Ecke.
Für museologisches Interesse kämen Neuraths Museumsgründungen und Ausstellungen als zeittypische sozialpolitische Projekte ebenso infrage, wie die Bildstatistik als popularisierendes Wissensmedium. Aber in der Ausstellung? Objekt neben Objekt, kurze Bildbeschriftungen, knappe und wenige erläuternde Texte. Über die Vermittlung einer Ahnung, was das gewesen sein könnte, geht das nicht hinaus. Die schönen Thesen zur Ausstellung auf der Webseite, werden allenfalls kurz angerissen, nirgends ernsthaft durchgearbeitet und visualisiert.
Neuraths Interesse für das Mundaneum, sein Kontakt mit Le Corbusier? Ja, das Wort kommt vor, aber sonst nichts dazu. Kein Katalog.
Punkti Punkti, Strichi Strichi, fertig ist das Mondgesicht, heißt ein Kinderreim, an den ich mich noch erinnere. Er scheint auch als Ausstellungsprinzip noch gültig zu sein.

Sex sells. Immer und überall!



Das hier schon mal als außerordentliche Sammlung gewürdigte Art Brut Center (Klosterneuburg/Gugging) geht merkwürdige Wege.
Derzeit werden zwei Sonderausstellungen gezeigt. Eine davon ist einem der bekanntesten Patienten von Leo Navratil gewidmet, Johann Hauser.
Johann Hauser, so teilt man uns auf Texttafeln mit, war ein schwer manisch-depressiver Mensch, der nicht geheilt werden konnte und sein Leben in der Anstalt in Gugging verbrachte. 53 Jahre lang.
Auf den Zeichnungen - fast ausnahmslos Frauen - werden wir mit ungewöhnlicher Aggressivität und tiefen Ängsten konfrontiert; mit wenigen Ausnahmen zeichnete Hauser verschlingende, entstellte, verformte, auf dominante und bedrohlich gezeichneten Geschlechtsmerkmale reduzierte Frauenkörper. Tiefes Rot und tiefes Schwarz sind die dominierenden Farben.
"Hauser's Frauen.!" (tatsächlich mit einem Rufzeichen und einem Punkt) ist die Werkschau betitelt; selbst wenn es - was bezweifelt werden darf - 'Hauser's Frauen' gewesen sein sollten, der Titel trifft nichts von der Obsession des Künstlers und kokettiert mit einem völlig ausgeleierten Klischee.
Nicht genug damit. Der eingangs der Schau offerierte Text bietet uns Hausers Werk als 'erotisch' an, noch einmal eine in jeder Hinsicht irreführendes, aber fürs Marketing zauberhaft wirkende Wort.
Und damit es auch der letzte Depp begreift, platziert man vor diesem Einführungstext eine Figurine eines Pin-Up im Stil der 50er-Jahre. So what??

Donnerstag, 22. April 2010

Ladenhüter und anderes Sammelwürdige (Texte im Museum 45)

Relic - Douglas Preston. (Das Museum lesen 07)

Das Ängstigende des Museums, die Angst im Museum, die Angst vorm Museum. Wo findet man das reflektiert, überhaupt erst einmal wahrgenommen? Eher in der Literatur, in der Trivialliteratur, im Film, in Comics, eher nicht in der museologischen Literatur.
Ein wiederkehrender Topos ist die Angst vor einer Art Wiederkehr des - durch Musealisierung und ihre Techniken und Riten nur scheinbar - Verdrängten, die Angst vor dem was unabgegolten den Museumsdingen und daher denen, die mit ihnen zu tun hatten, sie benutzt oder hergestellt haben, angetan wird. Die Dialektik von Ahnenfurcht und Ahnenglaube wird dort am heftigsten wirksam, wo das 'Ding', das Exponat tatsächlich ein Mensch ist.
Bereits 1932 - und seither in zahllosen Sequenz und Variationen - rächte sich Boris Karloff als The Mummy an der Störung seiner Totenruhe. Den Verstoß gegen den Sinn des Mumifizierungs- und Bestattungsritual der ägyptischen Hochkultur kaschiert das Museum mit wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und es bedurfte populärer Medien, um das als dünne Rationalisierung zu entlarven.
Eine Variation bietet der Roman von Douglas Preston und Lincoln Child Relic - Museum der Angst. Gar schauerlich wütet hier, im American Museum of Natural History in New York, ETWAS, das von einer Museumsexpedition gewissermaßen eingeschleppt wurde und sich als ekelhaftes Raubtier erweist, das seine Musealisierung ziemlich übel nimmt. Eine Pointe ist, daß Mitarbeiter und Besucher dem 'Relikt' gerade deswegen ausgeliefert werden, weil sie sich in den Sicherheitsvorkehrungen des Museums verfangen. 
Douglas Preston weiß wovon er redet, denn er schreibt vom Museum, an dem er arbeitete und dessen Geschichte er erforscht hat: Douglas Preston: Dinosaurs in the attic. The American Museum of Natural History. New York 1994. Es gibt auch eine Verfilmung, aber ich rate zum interessanteren und spannenderen Buch.

Mittwoch, 21. April 2010

Warum nicht...? (Texte im Museum 44)

Gletschergarten Luzern

Mich hat die "Entdeckung der Alpen" vielseitiges kulturhistorisches Thema immer interessiert und umgekehrt proportional zu meiner eigenen bergsteigerischen Betätigung (im moderateren Bereich bis etwas über 3000 Meter und auch das nur sehr sporadisch) nahmen die Besuche einschlägiger Ausstellungen zu - bis ich schließlich eine Einladung erhielt, selbst an einer Ausstellung teilzunehmen.
Einer der merkwürdigsten Orte berg- und alpenbezogenen Ausstellend findet sich - nicht so überraschend - in der Schweiz und hat den ungewöhnlichen Namen "Gletschergarten".
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Schweizer ihre Alpen nicht nur als touristisch vermarktbar und verkehrstechnisch erschließbar, sondern die Berge auch als historisch-genealogisch bedeutsame und identifikatorische Objekte.
Wie auch anderswo, wurden Spuren der Erdgeschichte gelegentlich am Ort erhalten, gesichert und zur Besichtigung adaptiert. Das geschah auch mit dem bei ihrer Entdeckung am Rande von Luzern (heute in der Stadt) gelegenen sogenannten Gletschertöpfe. Das sind eiszeitliche, tiefe Auswaschungen in Gletschern, die bis in den festen Boden vorrückten und dort runde Höhlungen hinterließen. Sie wurden wie - als zunächst missverständlich gedeutete - Mirabilia bewahrt und gezeigt.
Nach und nach entstanden um dieses 'Naturwunder' ein Museum, ein Gebäude im Schweizer Stil, ein Diorama in einer Almhütte, ein Garten, eine Aussichtswarte und dann wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Spiegelkabinett 'im Stil der Alhambra' von einer Schweizer Landesausstellung hierher geschafft. Das private Unternehmen vermischte umstandslos belehrende und unterhaltende, heimat- und naturkundliche Elemente in einem 'Erlebnispark' avant la lettre.
Höhepunkt der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sind Alpendioramen, die zu den ältesten gehören, bemerkenswertesten Objekte, die für Zwecke militärischer Planung und touristischer Erbauung hergestellt wurden. Sie sin herausragende Dokumente des frühen Alpinismus und der 'Entdeckung' und 'Konstruktion' der Schweiz.

Abbildung: Webseite des Museums

Towards a New Museum - Victoria Newhouse (Das Museum lesen 06)

Massenmedial wird der Museumsboom seit den 80er-Jahren überwiegend über die 'Blockbuster-Architektur' internationaler Stararchitekten wahrgenommen. Museumsgründungen werden oft nur noch in Form von Architekturkritiken, wenn nicht -hymnen wahrgenommen. Die Zahl und Vielfalt der Publikationen zur Museumsarchitektur der letzten drei Jahrzehnte ist unüberschaubar geworden. Es gibt alles, von der Architekten- bis zur Baumonografie, nationale, typologische oder zeitlich eingegrenzte Darstellungen. Es gibt auch eine Reihe von Überblicksdarstellungen, die aber auf Grund ihres Eurozentrismus aber auch wegen der nicht mehr erfassbaren Zahl jährlicher Neu-, Zu- oder Umbauten immer ihre Grenzen haben.
Ein Buch, das ich sehr nützlich finde, ist das von Victoria Newhouse. Sie verliert den Kontakt zur Museumsentwicklung nicht, referiert kurz auch und bruchstückhaft die Geschichte der Museumsarchitektur. Vor allem ist sie eine scharfzüngige Analytikerin, die sich weder von großen Architektennamen noch berühmten Museen einschüchtern lässt.
Als ich mit der Louvre-Erweiterung, die von Staatspräsident Mitterand höchstpersönlich initiiert wurde, beschäftigte, fand ich in Victoria Newhouse eine Verbündete in meiner Skepsis gegenüber I.M. Peis Architektur.
Also gut, ich bin etwas befangen...
In Anspielung auf Le Corbusier Towards A New Architecture geht es Newhouse um eine Beschreibung der 'Revolution des Museums', die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Fundierte Analyse steht neben sehr scharfen Urteile heraus. Typologisch gegliedert, betont subjektiv, reich bebildert gibt das Buch einen guten Einblick in die enorme Vielfalt heutiger Museumsarchitektur.
Victoria Newhouse: Towards A New Museum. New York 1998