Montag, 26. April 2010

Fast Food. Schnell mal was über Otto Neurath.

Otto Neurath. Wem sagt der Name etwas?
Philosoph, Ökonom, Direktor des Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig, Präsident des Zentralwirtschaftsrates der Ungarischen Räterepublik, Gründer eines Siedler- und Kleingartenverbandes, dann eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums, Entwickler der Isotope (= International System of Typographic Picture Education) und der Methode der Wiener Bildstatistik, Mitglied des Wiener Kreises, träumte von einer Universalsprache und einem Universalmuseum, "Mundaneum".
Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum existiert noch, abgeschnitten von seinen ursprünglichen Aufgaben innerhalb der sozialistischen Politik der Gemeinde Wien. Und Neurath? Wo hat er 'überlebt'.
Eine kleine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, „OTTO NEURATH. Gypsy Urbanism", lässt die Frage offen. Eine knapp Skizzierte Biografie, wesentliche Publikationen und Beispiele seiner Bildstatistik sowie Fotografien verschiedner Ausstellungen des Museums werden in chronologischer Ordnung in Vitrinen und an den Wänden präsentiert. Einschließlich von Arbeiten seiner Frau und anderer Nachlaßinstitutionen.
Weder Auswahl noch Absicht haben sich mir in der Ein-Raum-Ausstellung erschlossen. An einer Seite aufgeschlagene Bücher hinter Glas machen mich in Ausstellungen sowieso schon nervös, noch mehr aber der Test, wie lange ein uninformiert bleibender Besucher begreift, daß die Ausstellung nicht etwa am Eingang beginnt, sondern in der exakt hintersten linken Ecke.
Für museologisches Interesse kämen Neuraths Museumsgründungen und Ausstellungen als zeittypische sozialpolitische Projekte ebenso infrage, wie die Bildstatistik als popularisierendes Wissensmedium. Aber in der Ausstellung? Objekt neben Objekt, kurze Bildbeschriftungen, knappe und wenige erläuternde Texte. Über die Vermittlung einer Ahnung, was das gewesen sein könnte, geht das nicht hinaus. Die schönen Thesen zur Ausstellung auf der Webseite, werden allenfalls kurz angerissen, nirgends ernsthaft durchgearbeitet und visualisiert.
Neuraths Interesse für das Mundaneum, sein Kontakt mit Le Corbusier? Ja, das Wort kommt vor, aber sonst nichts dazu. Kein Katalog.
Punkti Punkti, Strichi Strichi, fertig ist das Mondgesicht, heißt ein Kinderreim, an den ich mich noch erinnere. Er scheint auch als Ausstellungsprinzip noch gültig zu sein.

Sex sells. Immer und überall!



Das hier schon mal als außerordentliche Sammlung gewürdigte Art Brut Center (Klosterneuburg/Gugging) geht merkwürdige Wege.
Derzeit werden zwei Sonderausstellungen gezeigt. Eine davon ist einem der bekanntesten Patienten von Leo Navratil gewidmet, Johann Hauser.
Johann Hauser, so teilt man uns auf Texttafeln mit, war ein schwer manisch-depressiver Mensch, der nicht geheilt werden konnte und sein Leben in der Anstalt in Gugging verbrachte. 53 Jahre lang.
Auf den Zeichnungen - fast ausnahmslos Frauen - werden wir mit ungewöhnlicher Aggressivität und tiefen Ängsten konfrontiert; mit wenigen Ausnahmen zeichnete Hauser verschlingende, entstellte, verformte, auf dominante und bedrohlich gezeichneten Geschlechtsmerkmale reduzierte Frauenkörper. Tiefes Rot und tiefes Schwarz sind die dominierenden Farben.
"Hauser's Frauen.!" (tatsächlich mit einem Rufzeichen und einem Punkt) ist die Werkschau betitelt; selbst wenn es - was bezweifelt werden darf - 'Hauser's Frauen' gewesen sein sollten, der Titel trifft nichts von der Obsession des Künstlers und kokettiert mit einem völlig ausgeleierten Klischee.
Nicht genug damit. Der eingangs der Schau offerierte Text bietet uns Hausers Werk als 'erotisch' an, noch einmal eine in jeder Hinsicht irreführendes, aber fürs Marketing zauberhaft wirkende Wort.
Und damit es auch der letzte Depp begreift, platziert man vor diesem Einführungstext eine Figurine eines Pin-Up im Stil der 50er-Jahre. So what??

Donnerstag, 22. April 2010

Ladenhüter und anderes Sammelwürdige (Texte im Museum 45)

Relic - Douglas Preston. (Das Museum lesen 07)

Das Ängstigende des Museums, die Angst im Museum, die Angst vorm Museum. Wo findet man das reflektiert, überhaupt erst einmal wahrgenommen? Eher in der Literatur, in der Trivialliteratur, im Film, in Comics, eher nicht in der museologischen Literatur.
Ein wiederkehrender Topos ist die Angst vor einer Art Wiederkehr des - durch Musealisierung und ihre Techniken und Riten nur scheinbar - Verdrängten, die Angst vor dem was unabgegolten den Museumsdingen und daher denen, die mit ihnen zu tun hatten, sie benutzt oder hergestellt haben, angetan wird. Die Dialektik von Ahnenfurcht und Ahnenglaube wird dort am heftigsten wirksam, wo das 'Ding', das Exponat tatsächlich ein Mensch ist.
Bereits 1932 - und seither in zahllosen Sequenz und Variationen - rächte sich Boris Karloff als The Mummy an der Störung seiner Totenruhe. Den Verstoß gegen den Sinn des Mumifizierungs- und Bestattungsritual der ägyptischen Hochkultur kaschiert das Museum mit wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und es bedurfte populärer Medien, um das als dünne Rationalisierung zu entlarven.
Eine Variation bietet der Roman von Douglas Preston und Lincoln Child Relic - Museum der Angst. Gar schauerlich wütet hier, im American Museum of Natural History in New York, ETWAS, das von einer Museumsexpedition gewissermaßen eingeschleppt wurde und sich als ekelhaftes Raubtier erweist, das seine Musealisierung ziemlich übel nimmt. Eine Pointe ist, daß Mitarbeiter und Besucher dem 'Relikt' gerade deswegen ausgeliefert werden, weil sie sich in den Sicherheitsvorkehrungen des Museums verfangen. 
Douglas Preston weiß wovon er redet, denn er schreibt vom Museum, an dem er arbeitete und dessen Geschichte er erforscht hat: Douglas Preston: Dinosaurs in the attic. The American Museum of Natural History. New York 1994. Es gibt auch eine Verfilmung, aber ich rate zum interessanteren und spannenderen Buch.

Mittwoch, 21. April 2010

Warum nicht...? (Texte im Museum 44)

Gletschergarten Luzern

Mich hat die "Entdeckung der Alpen" vielseitiges kulturhistorisches Thema immer interessiert und umgekehrt proportional zu meiner eigenen bergsteigerischen Betätigung (im moderateren Bereich bis etwas über 3000 Meter und auch das nur sehr sporadisch) nahmen die Besuche einschlägiger Ausstellungen zu - bis ich schließlich eine Einladung erhielt, selbst an einer Ausstellung teilzunehmen.
Einer der merkwürdigsten Orte berg- und alpenbezogenen Ausstellend findet sich - nicht so überraschend - in der Schweiz und hat den ungewöhnlichen Namen "Gletschergarten".
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Schweizer ihre Alpen nicht nur als touristisch vermarktbar und verkehrstechnisch erschließbar, sondern die Berge auch als historisch-genealogisch bedeutsame und identifikatorische Objekte.
Wie auch anderswo, wurden Spuren der Erdgeschichte gelegentlich am Ort erhalten, gesichert und zur Besichtigung adaptiert. Das geschah auch mit dem bei ihrer Entdeckung am Rande von Luzern (heute in der Stadt) gelegenen sogenannten Gletschertöpfe. Das sind eiszeitliche, tiefe Auswaschungen in Gletschern, die bis in den festen Boden vorrückten und dort runde Höhlungen hinterließen. Sie wurden wie - als zunächst missverständlich gedeutete - Mirabilia bewahrt und gezeigt.
Nach und nach entstanden um dieses 'Naturwunder' ein Museum, ein Gebäude im Schweizer Stil, ein Diorama in einer Almhütte, ein Garten, eine Aussichtswarte und dann wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Spiegelkabinett 'im Stil der Alhambra' von einer Schweizer Landesausstellung hierher geschafft. Das private Unternehmen vermischte umstandslos belehrende und unterhaltende, heimat- und naturkundliche Elemente in einem 'Erlebnispark' avant la lettre.
Höhepunkt der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sind Alpendioramen, die zu den ältesten gehören, bemerkenswertesten Objekte, die für Zwecke militärischer Planung und touristischer Erbauung hergestellt wurden. Sie sin herausragende Dokumente des frühen Alpinismus und der 'Entdeckung' und 'Konstruktion' der Schweiz.

Abbildung: Webseite des Museums

Towards a New Museum - Victoria Newhouse (Das Museum lesen 06)

Massenmedial wird der Museumsboom seit den 80er-Jahren überwiegend über die 'Blockbuster-Architektur' internationaler Stararchitekten wahrgenommen. Museumsgründungen werden oft nur noch in Form von Architekturkritiken, wenn nicht -hymnen wahrgenommen. Die Zahl und Vielfalt der Publikationen zur Museumsarchitektur der letzten drei Jahrzehnte ist unüberschaubar geworden. Es gibt alles, von der Architekten- bis zur Baumonografie, nationale, typologische oder zeitlich eingegrenzte Darstellungen. Es gibt auch eine Reihe von Überblicksdarstellungen, die aber auf Grund ihres Eurozentrismus aber auch wegen der nicht mehr erfassbaren Zahl jährlicher Neu-, Zu- oder Umbauten immer ihre Grenzen haben.
Ein Buch, das ich sehr nützlich finde, ist das von Victoria Newhouse. Sie verliert den Kontakt zur Museumsentwicklung nicht, referiert kurz auch und bruchstückhaft die Geschichte der Museumsarchitektur. Vor allem ist sie eine scharfzüngige Analytikerin, die sich weder von großen Architektennamen noch berühmten Museen einschüchtern lässt.
Als ich mit der Louvre-Erweiterung, die von Staatspräsident Mitterand höchstpersönlich initiiert wurde, beschäftigte, fand ich in Victoria Newhouse eine Verbündete in meiner Skepsis gegenüber I.M. Peis Architektur.
Also gut, ich bin etwas befangen...
In Anspielung auf Le Corbusier Towards A New Architecture geht es Newhouse um eine Beschreibung der 'Revolution des Museums', die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Fundierte Analyse steht neben sehr scharfen Urteile heraus. Typologisch gegliedert, betont subjektiv, reich bebildert gibt das Buch einen guten Einblick in die enorme Vielfalt heutiger Museumsarchitektur.
Victoria Newhouse: Towards A New Museum. New York 1998

Montag, 19. April 2010

Aufforderung zur Partizipation (Texte im Museum 43)

"Blutgebundene Abhängigkeit". Das Haus der Natur in Salzburg wird sich wohl weiter nicht um die Aufarbeitung seiner NS-Geschichte kümmern

Zum neuesten Stand der Erforschung, Diskussion und Aufarbeitung der Rolle von Eduard Paul Trat und des von ihm gegründeten naturmuseums durch das Haus der Natur selbst siehe den Post „Das Haus der Natur stellt sich zum ersten Mal seiner Gesichte. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2014/10/das-haus-der-natur-stellt-sich-zum.html 


Dieser Artikel erschien vor über acht Jahren in der Tageszeitung Der Standard. Die Reaktion seitens des Ministeriums und des Museums damals: keine. Das Museum behielt seinen Preis. Heute ist trotz mancher Anläufe und vor allem einer wissenschaftlichen Expertise weitgehend alles wie immer. Das Museum behelligt sich nicht mit seiner Altlast. Aus diesem Grund veröffentliche ich, sozusagen als Erinnerung, den Zeitungsartikel, der nicht veraltet ist, bis auf die Tatsache, daß man heute ein noch größeres und differenzierteres Wissen über Eduard Paul Tratz und das Haus der Natur in der NS-Zeit hat. GF

Sabine Schleiermacher, Gottfried Fliedl: "Blutgebundene Abhängigkeit" Museumspreis 1991: Eine späte Ehrung für nationalsozialistische Rassenforscher. In: Der Standard, Donnerstag 13. Februar 1992, S.23

Der vom Wissenschaftsministerium vergebene Österreichische Museumspreis ging heuer an das Haus der Natur in Salzburg, ein Museum, das in der NS-Zeit eine Forschungseinrichtung der SS war und dessen Schausammlung wesentlich zur Legitimation des nationalsozialistischen Herrschafts- und Unrechtssystems beigetragen sollte.Kritiklos würdigt das Preisgutachten das Museum einschließlich seiner Relikte aus der NS-Zeit. Besonders erwähnenswert fand man z. B. eine museologische Rarität,  nämlich die eindrucksvollen Tibet-Dioramen.

1938/39 wurde unter der Schirmherrschaft Himmlers eine SS-Expedition nach Tibet unternommen, um den Ursprung des als 'arisch' bezeichneten Menschen zu erforschen. Es wurden rassen- und völkerkundliche Arbeiten durchgeführt. Kopf-, Hand-, und Fußabformungen, Gesichtsmasken, sowie Körpervermessungen führte Bruno Beger durch, der später im KZ Auschwitz mit vergleichbaren Fragestellungen anatomische Forschungen betrieb.

Aus der Expeditionssammlung und mit Hilfe der anthropologischen Abformungen wurden große Dioramen, eine Tibetschau,  errichtet, um den innigen Zusammenhang zwischen dem Menschen und seiner Umwelt  optisch zu verdeutlichen. Initiiert und mitfinanziert wurden die Dioramen vom 'Ahnenerbe',  das auch den Ausbau des Museums unterstützte.  Bereits im Herbst 1938, bald nach dem 'Anschluß' Österreichs, war das Haus der Natur  der 1935 vom Reichsführer der SS Heinrich Himmler, gegründeten SS-Stiftung 'Forschungs- und Lehrgemeinschaft Ahnenerbe' angegliedert worden.

Die Stiftung sollte u.a. Raum, Geist und Tat des nordrassigen Indogermanentums  erforschen. Das 'Ahnenerbe' förderte seit Beginn des Weltkrieges auch medizinische und biologische Forschung - auch als wehrwissenschaftliche Zweckforschung:: Kampfstoff-, Seuchen- und wehrmedizinische Forschung, sowie die kriegswichtige Wehrgeologie, für die 1941 der Reichsbund für Karst- und Höhlenforschung  mit Sitz in Salzburg gegründet wurde und die Informationen zur Partisanenbekämpfung bereitstellte.

Bundesleiter dieses Reichsbundes  wurde der 1888 in Salzburg geborene Gründer und Direktor des Hauses der Natur,  Eduard Paul Tratz, SS-Hauptsturmführer, seit 1944 Träger des Totenkopfringes und Mitglied der Waffen-SS, seit 1939 Abteilungsleiter der neuen Forschungsstätte des Ahnenerbes für darstellende und angewandte Natur, Träger des Blutordens, Kulturpreisträger der Gauhauptstadt Salzburg im Jahre 1944.

In der gutachterlichen Begründung zur Preisverleihung von 1991 wird das Haus der Natur  als dynamisches Museum,  als ein mutiges  und weitblickendes Unternehmen  gewürdigt und die Auszeichnung mit der ausdrücklichen Berufung auf seine gesamte Geschichte sowie mit den Verdiensten seines Gründers legitimiert.

Tratz wollte eine Institution, die aus dem Volke herausgewachsen ist,  und in erster Linie für das Volk zu sein  hatte. 'Volkstümlichkeit' war auch die Funktion des Museums als Institut des 'Ahnenerbes', geleitet, wie Tratz 1939 schrieb, von der selbstverständliche(n)  Pflicht..., der Volksgemeinschaft zu dienen  und mitzuwirken an der naturwissenschaftlichen Unterbauung des großen und einmaligen Werkes unseres Führers.

Die didaktisch durchdachte Schausammlung sollte verständlich machen, wohin wir Menschen im Rahmen unserer naturgesetzlichen Stellung gehören, nämlich in die erb-, blut-, und bodengebundene Abhängigkeit der uns vom Geschick zugewiesenen Sendung.

Im Naturbegriff von Tratz waren Störungen im Zustand des Werdens und Wachsens eines Wesens,  wie er in einer Ahnenforschungs-Publikation 1943 schrieb, Behinderungen  der vollen Lebensbetätigung, [...] Krüppel oder Mißgeburten gehörten daher rücksichtslos ausgemerzt  

Tratz nahm an 'naturwissenschaftlichen Arbeitsbesprechungen' des 'Ahnenerbes' teil, bei denen der Anatom August Hirt auch über seine zahlreiche Versuche an Menschen, wie den Kampfstoffversuchen berichtete. Tratz besuchte Mitarbeiter des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung  des 'Ahnenerbes' -  auch in den Laboratorien, so im KZ Dachau und im KZ Natzweiler bei Straßburg.

Tratz und das Museum profitierten von nur durch den Krieg zugänglichen Exponaten. Sie reichten vom Mammut aus der Ukraine bis hin zu den Abformungen von Zigeunertypen aus Konzentrationslagern. Die Aufstellung von Abformungen von 'Rasseköpfen', also von 'nordischen, ostischen, dinarischen und jüdischen Köpfen' - einige davon waren bis vor wenigen Monaten noch als Teil der öffentlichen Schausammlung zu sehen - und die Begehrlichkeit von Tratz gerade nach 'Zigeunertypen', machen das durch nationalsozialistische Ideologie überformte darwinistische Konzept (dieses Teils) des Museums deutlich.

Heute unterliegt die Geschichte des Hauses der fast lückenlosen Tabuisierung. In den Museumspublikationen aus der Zeit nach 1945, in den seither erschienen vielen Festschriften für Tratz, der das Museum bis 1976 leitete, im aktuellen Museumsführer finden sich bis auf winzige Spurenelemente keinerlei Hinweise auf die Geschichte des Hauses. Der Zugang zum Archiv wurde, auch das ein Indiz einer die Wiederkehr des Verdrängten fürchtenden Tabuisierung, den Autoren dieses Beitrags verweigert.
Das Haus der Natur ist, wie Eduard Paul Tratz es 1954 einmal formuliert hat, wirklich ein Museum, das seine eigenen Wege ging und geht.

Zu diesem Weg gehört die manifeste Unfähigkeit des Hauses der Natur  sich kritisch mit den materiellen und ideologischen 'Erbstücken' der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Daß das Wissenschaftsministerium diesen 'Weg' mit einem 'Staatspreis' honoriert ist unakzeptabel.

Sabine Schleiermacher ist Wissenschafterin am Institut für Medizin-Soziologie des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf in Hamburg
Gottfried Fliedl arbeitet als freiberuflicher Museologe in Wien


*

Zur Geschichte des Hauses der Natur in diesem Blog.

Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Robert Hoffmann und seinem Gutachten zum Haus der Natur. Eine Reaktion des Gutachters zum Haus der Natur, Prof.Dr. Robert Hoffmann, auf diese politische Kritik an ihm und seiner Expertise. Ein Artikel von Gerald Lehner zur Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Hoffmann und dessen Gutachten.


Webseite Haus der Natur. - Derzeit scheint das Museum eine Politik der Erinnerungslosigkeit zu betreiben. Ich konnte auf der Webseite weder Angaben zur Geschichte des Museums, noch zur Tibetschau noch zu Tratz finden. (April 2010)

Die Abbildung einer rassenkundlichen Sammlung stammt aus der 1963 erschienen Publikation "Wegweiser durch das Haus der Natur in Salzburg. Herausgegeben aus Anlass seines 4ojährigen Bestandes von Eduard Paul Tratz". Teile dieser Sammlung waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels von Sabine Schleiermacher und mir im Haus der Natur noch zu sehen. In der Publikation von Tratz fehlt jeder Hinweis auf die Geschichte des Museums in der NS-Zeit - bis auf zahlreiche Fotos von den Tibet-Dioramen.

Donnerstag, 15. April 2010

Neue Webseite der Museumsakademie Joanneum












               








Die Museumsakademie Joanneum hat eine eigene Webseite betrieben. Nun ist die Museumsakademie auf die Webseite des Universalmuseums - in gewohnten Umfang - übersiedelt und ab sofort dort erreichbar.

Die Adresse bleibt im übrigen dieselbe: www.museumsakademie-joanneum.at 

Die nächste Veranstaltung der Museumsakademie beschäftigt sich mit dem Wandel des Kuratorenberufes. Nähere Information hier.

Ausserdem läuft die Ausschreibung zur 12. Internationalen Sommerakademie. Nähere Informationen hier oder direkt in diesem Blog hier.

Samstag, 10. April 2010

Das andere Museum. Carlo Scarpa und das Museum im Castelvecchio von Verona

Der Museumsboom hat eine geradezu übrerdeterminierte und expressive Seite: die Museumsarchitektur. Seit auch bestimmte planungstechnische und statische Grenzen gefallen sind, scheint es kein Halten mehr zu geben. Architekten übertreffen sich in immer ungewöhnlicheren Formensprachen und fast scheint es so, als habe sich das Ideologem der 80er-Jahre, demzufolge das Museum die letzte Bauaufgabe mit Kunstanspruch sei, zum Museumsentwerfen ohne Grenzen und Hemmungen entwickelt.
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.

Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.

Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!

Freitag, 9. April 2010

Der Museumsbesuch | Vladimir Nabokov (Das Museum lesen 05)

"Als vor ein paar Jahren einer meiner Pariser Bekannten - milde gesagt: ein etwas wunderlicher Mann - erfuhr, daß ich zwei oder drei Tage in Montisert verbringen würde, bat er mich, das dortige Museum aufzusuchen, wo, wie er gehört hatte, ein Portrait von Leroy hängen sollte, das seinen Großvater darstellte." So beginnt eine harmlose Geschichte, oder? Wenn das Bild tatsächlich dort ist, soll es gekauft werden - aus einem Museum? Der Erzähler hält das denn auch für "Unfug" und: "Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, ob es sich nun um Museen oder alte Gebäude handelt, ist mir ein Gräuel." Aber unfreiwillig, von einem Regen gezwungen, betritt er doch das Museum.
Als erstes trifft er auf einen Wärter, bezahlt Eintritt und findet ein ganz gewöhnliches Museum:  "Alles war, wie es sein soll: graue Farbtöne, der Schlaf der Substanz, dematerialisierte Materie. Die übliche Vitrine mit alten, abgegriffenen Münzen, die im schrägen Samt ihrer Fächer ruhten. (…) Ehrwürdige Mineralien lagen in ihren offenen Gräbern aus staubigem Pappmache; die Photographie eines verwunderten spitzbärtigen Herrn wachte über einer Sammlung verschieden großer, seltsamer schwarzer Klumpen. Sie hatten Ähnlichkeit mit gefrorenem Larvenkot, und ich blieb unwillkürlich vor ihnen stehen, denn es wollte mir nicht gelingen, ihre Natur, Zusammensetzung und Bestimmung zu erraten."
Kot, Exkremente, Abfall, dem wollen wir im Museum nicht begegnen, aber eine ebenso alte wie hartnäckige Theorie des Sammelns bringt gerade diese so hochgeschürzte Kulturtechnik mit der Verdauung und ihren Produkten in Verbindung. Das ergibt rätselhafte Produkte im Museum. “'Was ist das?' fragte ich." - "Die Wissenschaft hat es bislang noch nicht geklärt” erwidert der Aufseher. “Schön und gut«, sagte ich, “aber wer hat entschieden, und warum, daß sie einen Platz im Museum verdienen?«
Das sind illegitime Fragen, das kann zu nicht s Gutem führen. Doch da entdeckt der Besucher das Bild, das zu finden und kaufen er beauftragt ist. Dazu muß das Museum verlassen und der Museumsdirektor aufgesucht werden, der aber leugnet, daß sich das bestimmte Bild imBesitz des Museums befinde. In einem ingrimmigen Wortwechsel - “Er hat einen Frack an”, rief ich. “Ich schwöre, er trägt einen Frack.” - „Und wie hat Ihnen unser Museum so im allgemeinen gefallen?” fragte M. Godard mißtrauisch. “Haben Sie den Sarkophag zu würdigen gewußt?” muß ein gemeinsamer Besuch des Museum beschlossen werden, um die Sache aufzuklären.
Ich verweigere hier eine vorschnelle Auskunft, wer recht behalten wird. Die Geschichte soll ja ihre Spannung behalten. Aber inzwischen ist im Museum einiges anders geworden, es ist stark besucht, von einer Meute junger Besucher, die alle Regeln des Museumsbesuchs verletzen. Aber das Museum selbst scheint sich aller seiner Regeln, Rituale und Ordnungen zu entledigen. "Hunde liefen hier über Azurteppiche, und auf einem Tigerfell lagen Bogen und Köcher." Mit der Implosion der gewohnten Museumsordnungen zerfällt auch die Konsistenz der räumlichen Erfahrung, selbst die Grenze von Bildern und Dingen und Räumen beginnt zu verschwimmen. Eben noch registriert unser Besucher "das vollständige Gerippe eines Wals, das aussah wie das Spantenwerk einer Fregatte" aber nur eine Treppe trennt ihn von einer "Schar grauhaariger Leute mit Regenschirmen, die eine gigantische Nachbildung des Universums betrachteten."
Das ist zu viel, er kündigt an, gehen zu wollen. Doch wie? Wo ist der Ausgang?
Zuletzt, in einem düsteren, aber großartigen Raum, welcher der Geschichte der Dampfmaschine gewidmet war, gelang es mir, meinen unbesorgten Führer einen Augenblick lang anzuhalten. "Ich bog um eine Ecke und fand mich inmitten von tausend Musikinstrumenten; die Wände, Spiegel alle, reflektierten eine Kolonne von Konzertflügeln, während sich in der Mitte ein Teich mit einem bronzenen Orpheus auf einem grünen Felsen befand. Das Thema Wasser war damit noch nicht zu Ende, denn als ich zurücklief, landete ich in der Abteilung Brunnen und Bäche, und es war gar nicht leicht, an den gewundenen, schlüpfrigen Rändern jener Gewässer entlangzugehen." Merkwürdige Geräusche, Dunkelheit und plötzliche Menschenleere steigern die Unheimlichkeit und traumhafte Ausweglosigkeit.
"Endlich rannte ich in irgendeinen Raum mit Kleiderhaken, die auf ungeheuerliche Weise mit schwarzen Mänteln und Astrachanpelzen überladen waren; hinter einer Tür brauste Beifall auf, aber als ich sie aufstieß, war da kein Theater, sondern nur ein weiches, milchiges Licht und ein hervorragend gefälschter Nebel mit völlig überzeugenden Flecken undeutlicher Straßenlaternen. Mehr als überzeugend! Ich trat näher, und sofort ersetzte ein freudiges und unmißverständliches Gefühl der Wirklichkeit endlich den Spuk, zwischen dem ich hin und her geeilt war. Der Stein unter meinen Füßen war richtiger Gehsteig, der mit wunderbar duftendem neuem Schnee bedeckt war, und seltene Fußgänger hatten darin bereits frische schwarze Spuren zurückgelassen."
Doch das ist nicht das Ende, was jetzt passiert, soll nicht verraten werden. Jetzt kollidieren auch noch die Zeiten, Erinnerung und Gegenwart, Geschichte und Lebensgeschichte…
Nabokovs traumhaftes Wandeln durch ein träumendes Museum führt uns zur Kehrseite dessen, was wir am Museum 'normalerweise' sehen, sehen wollen, der Text führt uns über die Grenze dessen was 'normal' am Museum ist, lockt uns durch seine Rationalisierungen und die subtilen, meist unsichtbaren Grenzen, die diese Rationalisierung schützen und aufrechterhalten. Nabokov macht etwas am Museum sichtbar, was in den offiziösen Hinsichten und den wissenschaftlichen, museologischen Interpretationen entweder nicht gesucht oder verfehlt wird.
Was sich in der Zeit der Säkularisierung und Aufklärung (grob gesprochen zwischen 1770 und 1830) entwickelt, ist ein Ort, der wie eine Leerstelle offen gehalten wird für einen nie endenden Diskurs, in dem das ‚andere der Vernunft’ einen Platz behält.
Auch hier gilt, dass der Schlaf der Vernunft Monstren wachhält, Monstren, die ihre Spuren bis in die Etymologie legen, als mostra in der Genealogie des Ausstellens, oder als Musen, die als ursprünglich ungebändigte weibliche Natur- und Rachemächte, in die Genealogie des Museums hineinspuken.
Diese macht Nabokovs Text sichtbar.


Vladimir Nabokov: Der Museumsbesuch. Band 14 der Gesamtausgabe, Gesammelte Erzählungen, Band I, Dieter E. Zimmer (Hg.). Reinbek bei Hamburg (Rohwohlt) 1966.

Gut vorbereitet ins Museum (Texte im - vorm - Museum 41)



Vor dem Hamburger Bahnhof, Berlin: John Knight - The right to be lazy