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Sonntag, 8. April 2012

Even dead animals need love - Clara und Huberta

Clara wurde 1738 in Bengalen geboren und starb 1758 in London. Im Alter von 13 Jahren betrat sie in Rotterdam europäischen Boden. Im Alter von etwa einem Monat wurde ihre Mutter getötet und von Jan Albert Sichtermann, Leiter der örtlichen Ostindischen Kompanie, adoptierte. Der zähmte sie und verkaufte sie an den Kapitän Douwe Mout, der sie nach Rotterdam brachte.
Clara war das erste Nashorn, das eine solche Verfrachtung nach Europa lange überlebte. Schon in Bengalen gezähmt wurde es mit einem Karren auf Tour geschickt und entgeltlich gezeigt, in Venedig, wo es ein unbekannter Maler auf einem Gemälde darstellte, in Hamburg, Hannover, wo es als hässliches Tier angepriesen wurde, am Jahrmarkt in St. Germain in Paris, wo es wieder zur Ehre eines großen Porträts kommt, das der Hofmaler Jean-Baptiste Oudry anfertigt, Berlin, wo es Friedrich II. besichtigte oder Wien, wo der Besitzer und Schausteller in den Adelsstand erhoben wurde.

Pietro Longhis Gemälde mit der Darstellung des Rhonzeros, ausgestellt in Venedig. (1751)

Ein Flugblatt von 1746 annoncierte das Tier unter anderem so. "Dieses Rhinoceros Nasen-Horn, oder wie es auch sonsten genennet wird, Elephanten:Meister, verdienet von Jederman gesehen oder betrachtet zu werden, weilen es wohl das erste von dieser Sorte ist so jemahlen, will nicht sagen in Teutschland, sondern gar in gantz Europa lebendig gesehen worden. Gegenwärtiges Wunder-Thier ist in Asia in der Landschafft Asem unter die Herrschafft des Groß-Moguls gehörig, mehr als 4000. Meilen von hier entlegen, mit Stricken gefangen, als zuvor die Mutter von den schwartzen Indianern, mit Pfeilen todt geschossen, und wellen es damahlen erst einen Monat alt gewesen, gantz zahm gemacht und gewöhnet worden, in denen Zimmern, wo Damen und Herrn gespeiset, zur Curiosität um den Tisch zu laufen."

Flugblatt zur Ausstellung in Hamburg. 1744

Offenbar gab es schon so etwas wie Merchandising, denn von Venedig, wo das Nashorn zum Karneval gezeigt wurde, waren bald mitgebrachte Souvenirs ausverkauft.
Auf einer Tour nach London verstarb Clara. Der Erhalt eines präparierten Tierkörpers von solcher Größe war damals nicht möglich.

*

Hubert (noch), auf Wanderung, 1928 fotografiert

Hubert wanderte auch kreuz und quer, aber freiwillig. Hubert das Flußpferd stammte aus KwaZulu Natal, einer Region Südafrikas und als man begann seine Spur zu verfolgen, die durchs Land führte, sollte es etwa zweieinhalb Jahre dauern, bis man dem zum 'national pet' und 'the union's most famopus' gewordenen Medienstar fand. Tot im Fluß treiben, ermordet!, vermutlich von Jägern. Das war im April 1931.

Hubert / Hubertas Fußspuren, 1929 von der Polizei 'verfolgt'

Der Direktor des Amathole Museums erwarb die sterblichen Überreste von Hubert und entdeckte, daß es sich um ein weibliches Tier handelte, also ab nun um 'Huberta'.
Zum fachgerechten Präparieren wurde die Haut nach London geschickt, wo das Resultat der 'museealen Wiederbelung' temporär ausgestellt wurde, zuerst In Hong Kong, dann in London.

"To some Hindus in Kwa-Zulu Natal, Huberta was a protected animal.  When she arrived near Annerly on the South Coast, the local Indians are said to have ceremonially deified her.  According to contemporary accounts, she was proclaimed "Protector of the Poor" in a service in the Hindu temple.  After her death, prayers were again said for her in the temple. To many, Huberta was the home of "a mighty spirit".  Some Zulus believed the hippopotamus to be the reincarnation of Tshaka.  The Mpondo apparently thought her to be the spirit of a famous traditional doctor, descended from a survivor of the wreck of the Grosvenor.  Some Xhosa felt the animal was the spirit of a great chief - perhaps even Sandile or Hintsa - who had returned to find justice for his people." (Webseite des Amathole Museum)

Huberta_Memorial mit Karte der - 1600 Kilometer langen - Wanderung

Huberta war mit ihrem Tod erst recht zum Gegenstand nationaler Aufmerksamkeit geworden, inspirierte Künstler, wurde Adressatin von Gedichten und Briefen. Erst nach Ausstellungen z.B. in der Witwatersrand Agricultural Society und der Rand Easter Show 1932 kam sie in das Museum, wo sie sich noch heute befindet, "enshrined at the entrance of the old Natural History building" des Amathole Museum.
Huberta "enshrined" im Amathole Museum (King William's Town; Südafrika)



Samstag, 11. Februar 2012

Cosa nostra (Stone of Possession III)



Nun, wenn wir schon bei den Steinen gelandet sind... Hier noch ein Beispiel, eines das interessant ist, weil es von zwei verschiedenen Gruppen als Identitäts-Objekt beansprucht wurde und damit die symbolische Funktion des Objekts und seine örtliche Platzierung erneut in Bewegung brachte.

Es geht um den 'Kärntner Fürstenstein', ein Rechtdenkmal, das nach seiner Translozierung vom herkömmlichen Aufstellungsort ( links, da steht er noch in der Wiese, wie die Zeichnung von 1860 zeigt)auf freiem Feld zunächst im Landhaus ausgestellt wurde, um dann in die Aula des Kärntner Landesmuseums gebracht zu werden.

Dort sollte er dem Besucher auffallen, aufgestellt als einziges Objekt, in einer antikisierenden Halle, die man durchqueren musste, wenn man ins Museum kommen wollte.

Die Inschrift, die ich dort vor vielen Jahtren gelesen habe, lang fast wie ein wissenschaftlicher Aufsatz, lautete an der entscheidenden Stelle so: „Der Kärntner Fürstenstein stammt als antikes Säulenfragment aus dem engeren Stadtbereich von Virunum auf dem Zollfeld und spielte im Frühmittelalter als einzigartiges Rechtsdenkmal der karantanisch-kärntnerischen Landesgeschichte im Zusammenhang mit den Einsetzungszeremonien der Kärntner Herzöge im Bereich der karolingischen Pfalz Karnburg eine besondere Rolle. Auf diesem Basisteil (...) fand die Inthronisation der Kärntner Herzöge statt"

Man darf annehmen, daß der Stein im Landesmuseum zu dieser Zeit keine besondere Aufmerksamkeit genoss und im öffentlichen Bewußtsein nicht wirklich präsent war, als der Nachbarstaat Slowenien beschloß, seine Landeswährung mit dem Bild dieses Steins zu schmücken (links die Abbildung der slowenischen 2-Cent-Münze). Es begann ein bilateraler Historikerstreit und ich erinnere mich, daß der damalige Kärntner Landeshauptmann, Jörg Haider, von der Bundesregierung diplomatische Intervention verlangte.

Slowenien - und auch kärntner Slowenen, die eine Initiative für eine Fahne und Wappen mit dem Fürstenstein starteten -, beriefen sich auf eine in die Zeit des slawischen Fürstentums auf dem Gebiet des heutigen Kärnten zurückreichende Rechtstradition und auf die protodemokratische Einsetzungszeremonie der Fürsten. Die beiden Erzählungen, die sich plötzlich auf ein- und dasselbe Objekt stützten, waren inkompatibel.

Hier haben wir es mit einem Ding zu tun, das nicht sammelt, sondern spaltet, wenn auch nur virtuelkl, denn zu keinem Zeitpunkt ging der Konflikt über eine verbale Auseinandersetzung hinaus.

Mittlerweilen hat sich die Aufregung längst gelegt, aber der Stein wurde damals wieder in das Landhaus zurückgebarcht (rechts das Bild mit dem Stein im Wappensaal des Landhauses), beschriftet wie ein Museumsobjekt, aber doch im Sitzungssaal aufgestellt, als ein reaktiviertes politisches Denkmal.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Das Porsche-Museum Stuttgart

Sowohl das stuttgarter Mercedes-, (hier) als auch das Porsche Museum haben mich vor allem ihrer Architektur wegen interessiert, und kaum der Autos wegen. Beide Museen lavieren ja nicht nur das Image ihrer Konzerne, sie funktionieren dabei auch als Zeichen, als architektonische Gebärden, die auch um ihrer selbst Willen und dann auch für die Marke werben. So gibt es jede Menge spektakulärer Fotos und auch Entwurfszeichnungen, Modellfotos oder computergenerierte Ansichten.
Da hatte in meinen Augen das Porsche Museum mit der kühneren Geste etwas die Nase vorne, aber all die Versprechen, die mit mehr oder minder manipulativer Fotografie erzeugt werden, müssen sich erst einmal in der wirklichen Nutzung und Besichtigung bewähren.
Und da war das Porsche Museum eher eine Enttäuschung, wobei ich hier nicht den Architekturkritiker geben will, sondern nur über einige Erfahrungen und Eindrücke von einem einzigen Besuch erzähle.

Bequem kann man das Museum direkt von einer S-Bahnstation aus erreichen, der Bau liegt der Länge nach an der Bahnlinie, an der anderen Längsseite verläuft eine schmale Straße. Es gibt einen Vorplatz, der überwiegend von Bauten des Konzerns (hier liegt das Firmengelände) gebildet wird. Aus einem Grund, den ich mir nicht klar machen konnte, wirkte dieser Platz trotz Verkehr und Fußgängern nicht wirklich urban, eher unpersönlich, künstlich wie eine Filmkulisse.
Der Bau selbst bildet, über den Köpfen der Museumsbesucher, die sich nähern, auskragend, noch einmal so etwas wie einen Vorplatz, den man überquert um auf eine langgestreckte aber eher niedrige Glasfront zuzugehen.

Da das Museum mit mächtigen, schräg und verkantet geformten Pfeilern in die Höhe gestemmt wird, muss es ja irgendeine vermittelnde Erschließung geben, die von unten nach oben führt. Statt eine kühne Treppen- oder Liftanlage, innen oder außen (wie beim Ruhrland-Museum), die Besucher nach oben zu befördern, gibt es ein Erdgeschoß, in dem sich zwei Cafes, ein Shop und der Empfang befinden.
Von Außen sieht das wie ein zu niedrig geratener, bescheidener, fast ephemerer Bauteil. Der Witz des Baues ist ja dieses Hochstemmen eines gewaltigen, unregelmäßigen Kubus. Das darf durch ein Gebäude im Erdgeschoß nicht gestört werden, es muß sich sozusagen ducken, den Kopf einziehen.


Warum man aber nicht alles, also die Lobby, Kassa, Café usw. nicht gleich nach oben verlegt hat? Es kommt noch merkwürdiger: wenn man die Eingangstür passiert hat, steht man mehr oder weniger direkt vor einem der gewaltigen tragenden Pfeiler. Linker Hand erkennt man die Kassa und als erstes 'Angebot' kann man ein Café wählen. Erst wenn man an der Kassa vorbei ist, also im rückwärtigen Teil des Gebäudes angekommen ist, kann es nach oben gehen. Zwischen einem weiteren Cafe und der Rolltreppe ist nicht so sehr viel Platz. Warum diese Treppe nicht vom Eingang her betreten werden kann, ist auch ein Rätsel. Normalerweise ist in Museen eine repräsentative Gestaltung der den Ausstellungsräumen vorgelagerten erschließenden Räumen erwünscht. Hier dreht sich die Treppe vom Eingang sozusagen weg.

Die Rolltreppe führt in das erste Obergeschoß, von dort führt eine weitere in das zweite Ausstellungsgeschoß und von dort geht es direkt wieder ins Erdgeschoss. Wer also noch mal in das erste Geschoß zurückkehren will, muß eine Treppe nehmen, und die ist nicht so leicht zu finden. Das ist eine ziemlich verwirrende Erschließung, zumal auch die Disposition der Sammlung einem keinen zwingenden 'Besichtigunsparcour' nahelegt. Mit der Rolltreppe 'oben' angekommen findet man sich vor einem der 'mythischen' Objekte wieder. Hier steht eine Art Rohmodell eine s ersten Porsche, pures, von Hand gearbeitetes Metall, für die Entstehungszeit ungewöhnlich radikal aerodynamisch und ein wenig unheimlich und merkwürdig durch das geteilte Frontfenster.


Was man dann als Besucher tun soll, sagt das Museum nicht. Ab jetzt gilt es zu flanieren. Und da zeigt sich, etwa im Unterschied zum Mercedes-Museum, daß die Produktpalette einer auf einen Fahrzeugtyp spezialisiserten Firma nun mal etwas eintönig ist. Die Variabilität dessen, was man an 'Objekten' zu sehen bekommt, ist nun mal schmal und wird um so schmaler, je näher man der Gegenwart rückt. Jedes Objekt wird wie die Blaue Mauritius des Motorsportes präsentiert, viele Autos stehen auf eigen Sockeln, aber wenn alle Autos so übercodiert präsentiert werden, dann nivelliert sich das Museumserlebnis trotzdem.

Die Information ist ungleich reduzierter und inhaltlich enger als im schon erwähnten Mercedes-Museum, Zwiespältiges kommt hier erst gar nicht vor, kaum etwas zur Zeitgeschichte und selbst der firmengeschichtlich-biografische Kontext ist sehr bescheiden. Hier geht es um einen Markenfetisch und sonst nichts.

Es wird verschwenderisch mit Raum umgegangen, doch die zentrale Idee des Baues erweist sich als genau die problematisch leere Geste, die erst jüngst der Architekturkritiker und -historiker Vittorio Lampugnani kritisiert hat. Für das Ausstellen bringt der 'schwebende' Baukörper kaum etwas, es gibt kaum Ausblicke, so daß es während des Museumsbesuchs gar keine Erfahrbarkeit der spezifischen Geste des Bauwerks gibt.



Also wurde mein Besuch ein eher kurzer, da der gutwillige Versuch eines zweiten Rundganges auch nichts Überraschendes mehr zu Tage förderte. Ich habe weder von den Toninstallationen Gebrauch gemacht, wo man sich dröhnende Motoren buchstäblich um die Ohren heulen lassen kann, noch habe ich die Gelegenheit wahrgenoimmen, einige Sekunden in einem Sportwagen Platz zu nehmen, umdrängt von photografierenden, fachsimpelenden und fotografierenden Männern. Ich bin eben zu wenig Sportwagenfetischist...

Dienstag, 29. November 2011

Das Mercedes-Museum in Stuttgart


Das Mercedes-Museum liegt direkt am Werksgelände in Stuttgart, das man von der S-Bahn kommend passiert. Linker Hand findet man den Eingang zur Konzernzentrale, linker Hand liegt das silberglänzende Bauwerk auf einer Art flachem Hügel, dahinter erstreckt sich Siedlungs- und Gewerbegebiet, Sportanlagen, das Stadion des Bundesligaklubs VfB.
Die Annäherung ans Museum erfolgt über Rampen oder Treppen, von welcher Seite auch immer, als eine ‚Elevation’, als eine besonders aufwändige Inszenierung jener Liminalität, die fast jedes Museum zwischen sich und dem umgebenden Raum inszeniert. 

Dieser besonders akzentuierten Annäherung und ostentativen Geste entspricht das Entree nicht. Der ‚Empfang’ ist dezent und funktionell, es gibt keine Großobjekte und erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Bildprojektionen an den Betonwänden hoch über den Köpfen. Wohl gibt es – ein anderes und ‚klassisches’ Element schiere Bedeutung evozierender Museumsarchitektur -, einen monumentalen Empfangsraum, durch alle Geschosse reichend, und mit einer Art von ‚Kuppel’ gekrönt, die sowohl Licht einfallen lässt als auch das Firmenlogo, den Stern, paraphrasiert. Aber der graue und raue Sichtbeton erzeugt eine fast bunkerartige Atmosphäre – gar nicht so weit entfernt von Libeskinds ‚Voids’ im Berliner Jüdischen Museum.
Zudem gibt es vorerst nur bescheidene Einblicke in die Sammlungsgeschosse, in die Galerien, die man entlang gehen wird und die nur teilweise zum Zentrum hin geöffnet sind. Man sieht also vom Erdgeschoss aus noch wenig von der Sammlung.
Vielleicht ist alles einer dritten Etappe der Inszenierung des Annäherns und Betretens untergeordnet, denn es gibt keine sichtbare Erschließung, schon gar keine der Monumentalität des Zentralraums adäquate Treppe, man wird stattdessen in einen der drei ‚Lifte’ gebeten, entlang der Wände des hohen Raumes geräuschlos hochschießende Kapseln, die eher an Raum- als an Lift- oder gar Autofahrt erinnern.
Man soll den Rundgang von ganz oben beginnen, die Anlehnung des Konzepts an das Guggenheim-Museum Wrights ist offenkundig. Auf leicht abschüssigen Rampen wird man vom obersten Geschoß aus der Chronologie der Firmengeschichte von den Anfängen bis zu den neuesten Entwicklungen und Modellen folgen.
Wenn man einen Grundriss zur Hand nimmt, sieht man dass die Struktur des Gebäudes allerdings ungleich komplexer als die Guggenheim-‚Rotunde’ ist: drei ovaloide Formen schneiden sich wie ein Blütenblatt – eine ‚Umformung’ des Mercedes-Sterns -, wodurch sich im Zentrum die erwähnte Halle ergibt und ein Geflecht ineinander verschränkter Rampen, die aber sowohl einen ununterbrochenen ‚Abstieg’ erlauben als auch auf jedem Geschoß einen weiteren großen Ausstellungsraum anbieten, der die Chronologie unterbricht und mit der Fülle der Fahrzeugsammlung ergänzt. Diese ‚Sammlungsräume’ sind eigentlich ‚Sackgassen’, von denen aus man jeweils zur ‚Spirale’ der Ausstellungsrampe zurückkehren muss, außer man nimmt jene Treppen, die direkte Verbindungen herstellen.
Klingt kompliziert aber ist nicht schwierig zu benutzen. 

Zwischen den Ausstellungsteilen hat man jeweils ein Stück Rampe zu beschreiten, wo einen, ebenfalls chronologisch geordnet und einheitlich gestaltetete (jeweils ein Großfoto mit Text) Infos begleiten. Das sind historische Landmarks - das zweite Vatikanum, die Mondlandung, der Ausbruch des ersten Weltkriegs -, die nichts mit der Firmengeschichte, nicht einmal mit der Geschichte des Automobils oder Verkehrs zu tun haben, sondern so etwas wie ein Grobgerüst der zeitlich-historischen Orientierung bilden. Hier haben dann auch vereinzelt Information zur Firma ihren Platz, wobei das Mercedes-Museum – im auffallenden Unterschied zu anderen Automobilmuseen die ich kennengelernt habe, wie BMW in München, VW Autostadt in Wolfsburg oder Porschemuseum in Stuttgart -, die Beteiligung des Konzerns in der Rüstungsindustrie des NS-Systems, ihren Anteil an der Kriegsrüstung, die Ausnutzung von Zwangsarbeit in den Werken nicht nur nicht ‚verschwinden’ läßt, sondern relativ akzentuiert und ausführlich in den ‚Geschichtsverlauf’ einbettet.
Dass wohl alle Sparten an ‚Nutzfahrzeugen’ vorkommen, nicht aber der heutige Rüstungssektor von Mercedes, steht auf einem anderen Blatt. Mercedes ist größter Einzelanteilseigner der European Aeronautic Defence and Space Company N.V. (EADS), dem führenden Luft- und Raumfahrtkonzern und zweitgrößten Rüstungskonzern in Europa.

Wenn man also mit dem ‚Spaceshuttle’ ganz oben unterm Dach angekommen ist, befindet man sich nicht direkt im ersten Sammlungs- und Ausstellungsraum, sondern vor einem – Pferd. Ein netter Gag - wir steigen metaphorisch vom Pferd und wenden uns dem Automobil zu, dass das Pferd (als Transportmittel) ablösen wird, das aber Maß der Kraft des neuen Fahrzeugs bleiben wird. Bei so um die 1 PS bleiben wir auch bei den ersten Fahrzeugen, die wir zu sehen bekommen, bis die Kurve exponentiell nach oben schießt, und wir über 1,5, 8 und 40 PS dann auch bald die 100 km/h-Grenze hinter uns lassen.
Obwohl ich alles andere als ein Autofetischist bin, hat mich gerade der Auftakt sehr gefesselt. Hier fällt ja die Firmengeschichte mehr oder weniger mit der Geschichte des Automobils zusammen. Die beiden Bastel-Männer Benz und Daimler (deren Biografien gut dokumentiert sind, vor allem geben viele zeitgenössische Fotos ein Gefühl für das Pionierhafte wieder, mit allen seinen Facetten, z.B. das Familiäre der Ausfahrten der Firmengründer) haben unabhängig voneinander einen Benzinmotor erfunden und parallel diesen Motor in entgegengesetzter Weise eingesetzt (1926 wurde unterm Druck der Wirtschaftskrise fusioniert). Ausführlich gewürdigt wird auch der offenbar hochbegabte Ingenieur Maybach, der ja jüngst als Namenspatron einer Modellreihe wieder auftauchte.
Was zunächst ein wenig so aussah wie meine Pavoni-Espressomaschine (nur etwas größer) wurde einmal in eine Kutsche eingebaut ein andermal in eine Art Fahrrad mit drei großen Speichenrädern. Alles was beweglich schien, wurde Objekt des erfinderischen Anwendens. Mir gefallen an und für sich immer schon diese Frühzeiten von Erfindungen, dieses Probieren, Testen, Riskieren – wenngleich es beim Automobil weniger lebensgefährlich war als beim Flugzeug -, das Überschießen der Phantasie, die Offenheit und Neugier des Erfindens. So war es auch damals, denn diese mit ‚Stoff’ aus der Apotheke betriebene Gerät wurde in so gut wie alles eingebaut, was sich bewegen konnte oder sollte: Boote, fliegende Kisten (mehr war’s wirklich nicht), Kleinbahnen (z.B. für Freiluftausstellungen), Lastwagen, Omnibusse (erst in der Praxis stellte sich deren Untauglichkeit wegen der Straßenbeschaffenheit heraus, aber probieren darf man ja mal). Diese Entwicklung in mehreren Sparten gleichzeitig führte später auch zum berühmten Logo: der dreizackige Stern bezieht sich auf die Anwendung des Benzinmotors zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Aus der kuriosen Bastelei wurde rasch etwas Fahrtaugliches, aus dem Fahrtauglichen ein Fahrzeug, das in kleiner Serie produziert werden konnte, aus dem ‚Auto’, dem ‚selbstbewegenden’ Fahrzeug wurde ein Luxus- und ein Sportgerät, für dessen Erzeugung man Lizenzen vergeben und einen Markt aufbauen konnte. Einer der ersten Händler der Luxusfahrzeuge und Herrenfahrer, der, wenn er schon nicht reich war, mit den Luxusautos erst recht reich wurde, gab der Marke ihren unverwechselbaren Namen, nämlich denden seiner 11jährigen Tochter: Mercedes.  
Die Wanderung durch die Firmengeschichte und Fahrzeugentwicklung wird weiter abwechslungsreich bleiben und mit den späten 50er und den 60er-Jahrem erreicht sie dann auch meine Kindheitserinnerungen, die sagenhaften Sportwagen, die Rennautos, den 600er Pullmann, diese Staatskarosse, in der sich so manches Staatsoberhaupt (in der Tradition von Hitler und Adenauer, daran wird man auch erinnert) repräsentativ vor- oder vorbeifahren ließ.
Luxusware ist der Mercedes geblieben, wenngleich in Notzeiten, nach 1945 und angesichts der jüngeren periodischen Öl- und Finanzkrisen kleinere und – nur relativ – erschwinglichere Modelle auftauchen. Allerdings ist es ein Luxus mit demokratischem Einschlag, den jeder zu schätzen weiß, der in Österreich oder Deutschland ein Taxi besteigt (wenngleich das Monopol von Mercedes in diesem Sektor zu bröseln beginnt).
Je tiefer man ins Museum hinuntersteigt, je näher man der Gegenwart kommt, desto mehr spaltet sich die Schau in die Revue der begehrten Fetische einerseits und der technisch und ökologisch innovativen Experimente andrerseits. Zuunterst kommen die Sport- und Rennwagen, der legendäre Silberpfeil und das heutige Engagement im Formel I Rennsport.
Nicht nachvollziehbar war für mich, warum der Übergang zu den untersten Ebenen unvermutet seine architektonische ‚Sprache’ wechselt und ziemlich einsilbig wird: eine schmale frei im Raum hängende Treppe leitet einen genau auf ein eher billiges Cafe zu, die ganze Museumspracht schrumpft hier zu Speisengeruch und Selbstbedienung und erst ‚um die Ecke’ steht man dann vor den Top-Modellen der Gegenwart und Autozukunft.
Einen Stock tiefer darf man sich dann eleganter laben, den Shop besuchen, wenn man Gadgets sonder Zahl zur Auswahl braucht und, weiter rückwärts in der Halle, gibt’s das Altauto für Besitzer goldener Kreditkarten: tatsächlich, da ist ein ‚Gebrauchtwaren’-Markt für betagte Mercedesse eingerichtet, doch den Bereich sollte man erst mit mindestens 40.000.- Euro im Köfferchen betreten.
Die Präsentationstechniken des Museums sind angenehm zurückhaltend, das Material muss natürlich edel sein wie die Luxusmarke, die Acessoires der Ausstattung, wie etwa ein eher kurios billig aussehender Kristalluster, halten nicht immer dieses Niveau.
Die Objekte des Museums, die Automobile, sind wie Juwelen bestens ausgeleuchtet, vereinzelt und auf Hochglanz gebracht. Auch den ältesten Modellen sind fast keine Gebrauchsspuren anzusehen, wie es scheint, hat man auch versucht, möglichst immer Originalzustände herzustellen. Objekte, die wichtige Etappen der Entwicklung illustrieren sollen, aber nicht mehr verfügbar sind, werden als minutiöse Nachbauten - für einen Laien wohl von einem Original nicht zu unterscheiden - präsentiert. So werden die Automobile, einst Sportgeräte, Luxusgüter, Transportmittel zu Kunstwerken, zu ästhetischen Sensationen.
Nicht vergessen darf ich einen Ausstellungs’faden’, der ohne ersichtliche Chronologie oder Erzählverknüpfung in gesonderten kleinen Vitrinen über das Museum verteilt wird – „33 Extras“ (dazu gibt’s auch ein nettes kleines Büchlein). Eine glasverstöpselte Apothekerflasche, mit der man in der Frühzeit des Automobils ‚tankte’, einen Tachometer, ein erstes Verkehrszeichen (ganz schön bombastisch und sicher nicht zu übersehen), Bordwerkzeug und Straßenkarte. Das sind Ausrufungszeichen und zugleich Objekte, die eine kleine Kulturgeschichte der Automobilität in die Großerzählung einflechten. So erfährt man, daß unsere ‚Ordnung’ der Pedale, Kupplung, Bremse, Gas, aus der Regelungsnotwendigkeit militärischer Nutzung entstanden ist oder dass 1909 erstmals der Nachweis der Fahrtüchtigkeit notwendig wurde, das heißt der Besitz eines Führerscheins.
Die Zukunft des Automobils ist im Mercedes Museum natürlich der Mercedes: noch immer luxuriös aber kaum Kraftstoff verbrauchend, wahrscheinlich hybrid (Hybridantrieb hatte schon Ferdinand Porsche mit der Wiener Kutschenfirma Lohner erprobt) angetrieben, Emissionen nahe der Null-Marke ausstossend, passiv sicher wie nur sonst etwas. Zweifel angesichts der jüngsten ökonomischen Krise kommen hier (noch nicht) auf.






Freitag, 16. September 2011

Das Museum bedeutet das Ende der Totenruhe






Die Fotos stammen aus dem Allerheiligenmuseum Schaffhausen, einem typischen 'kulturgeschichtlichen' Museum, in dem es viele sehr unterschiedliche Sammlungen gibt. Vor einigen Jahren hat das Museum in einer Ausstellung und einem Buch " Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen) (dem die Fotos entnommen sind), die 'Museologie' des eigenen Museums erforscht und sichtbar gemacht - ein bemerkenswerter Akt der Selbstreflexion der Arbeit, auch als Grundlage veränderter Ausstellungsweisen.
Wie in Schneewittchens Glassarg liegt hier ein "Ahne", allerdings an einem Platz, wo er wie in Verlegenheit oder mit Achtlosigkeit mehr abgestellt als ausgestellt erscheint. Die Präsenz des Todes, die Anwesenheit eines Toten wird gemildert durch die Sterilität und Abstraktheit der Vitrine und ihrer Umgebung, der glatten hellen und gekachelten Mauer. Wir 'vergessen', vom scheinbar wissenschaftlich-dokumentarischen Blick, den das Museum anzunehmen fordert, nicht nur unsere Ängste und Ambivalenzen 'im Angesicht des Todes', wir 'vergessen auch, wie paradox das Ausgraben und Ausstellen Toter ist. Das ist ja eine in jeder hinsicht radikale Inversion dessen, was eine Bestattung bezweckt. Das macht der Satz "Das Ende der Totenruhe" wieder sichtbar.

Mittwoch, 14. September 2011

Fundsache: Napoleons Kamel


"The Musée africain de l'île d'Aix was started in 1933 by the Baron Napoléon Gourgaud, the grandson of general Gaspard Gourgaud, a companion of Napoleon on Sainte-Hélène. The museum is in two former fisherman’s houses, and mostly contains Gourgaud’s hunting trophies from his two expeditions to Africa, as well as African artifacts and a fake taxidermy of a dodo bird largely composed of chicken feathers.
The camel is said to have been brought back to France in 1801 at the end of the Egyptian campaign and then lived at the Jardin des Plantes in Paris before its death. It was displayed at the Muséum National d’Histoire Naturelle and brought to the Île d'Aix in 1932. However, many believe that its Napoleon connection was invented by Gourgaud to bring more visitors to his museum."

Fundort: Atlas Obscura, ein Blog, der unterc anderem eine bizzarre Sammlung bizzarer Museen und Sammlungen enthält.- Meine Favoriten in dieser umfangreichen Sammlung sind das Presidential Pets Museum in Williamsburg, das Oktober-Krieg-Museum in Damaskus oder die - mobile - "World's Largest Collection of The World's Smallest Versions of The World's Largest Things", das Killerwal-Museum im australischen Eden.

Freitag, 2. September 2011

Gipsoteca Possagno. Canovas Vermächtnis



Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln, die sich zwischen Alpen und Ebene schieben, gelegen, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.

Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, Gemälde, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem für die Ausstellung seiner Werke realisierten Bau gezeigt.

Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreijochige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts. Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Straße und dann eine Treppe hinaufführen. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet. Noch heute, wo Possagno relativ dicht verbaut ist, nimmt sich die monumentale, im Grund städtische Planung ausgesprochen überdeterminiert aus. Canovas Geburtshaus ist offenbar weitgehend unverändert erhalten geblieben und dient ebenfalls als Museum.


Das Bemerkenswerteste der eigentlichen Gipsoteca  sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Nägeln überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren und die Verwirklichung der Gipse in Marmor erlaubte. Diese 'Punktierung', mit denen viele der Figuren überzogen sind, das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.

Im zweiten Weltkrieg wurde der Ort und das Museum von Bomben und Granaten beschädigt, das Museum schwer, viele Objekte wurden vollständig oder teilweise zerstört. Ob manche massive Beschädigung, die man an den Figuren heute sieht, auf diese Zerstörungen zurückgehen oder modernem Vandalismus geschuldet sind, läßt sich nicht erkennen. Ein martialischer Text, in dem mit der Polizei gedroht wird, ist das einzig 'Prohibitive', das sich schützend vor die freistehenden Objekte schiebt.

Manches Werk scheint offensichtliche Spuren von Überarbeitung zu zeigen, denn bildhauerische Ergänzungen kriegsbeschädigter Figuren scheinen im großem Umfang gemacht worden zu sein. Hier kann man die Denkmäler für George Washington finden (in mehreren Varianten), die Theseusgruppe (in Originalgröße), die im Auftrag Napoleons geschaffen wurde und die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet, Porträts, mythologische Gruppen wie Daedalus und Ikarus oder auch (ebenfalls in Originalgröße) das Grabmal von Marie Christine von Österreich.

1957 wurde die Disposition dieses höchst merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten jener Zeit fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer, vor allem kleinformatigere Werke hinzu. Anders als die Gipsoteca kommunizieren die schmalen Räume mit dem von Scarpa mit Pflanzen und Wasser gestalteten Außenraum und werden mit natürlichem Licht, z.T. durch eine Art von Laternen (vielleicht von John Soanes Museum inspiriert?) ziemlich dramatisch beleuchtet.

Der kleine Garten mit Zierpflanzen und Obstbäumen bildet zwischen Geburtshaus und 'Museumstempel' eine kleine Oase - inmitten eines unikalen Ensembles.






Freitag, 1. Juli 2011

Die Dauer des Museums

Die vielen bekannte, derzeit bei ICOM als gültige publizierte Definition von Museum lautet: "A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment."
In den Debatten innerhalb von ICOM (1) über eine Erneuerung und Überarbeitung der Definition ist unter anderem der Vorschlag gemacht worden, "permanent" zu streichen.
Pragmatisch ist das verständlich, viele Museen bestehen zwar schon sehr lange und es ist keine Veranlassung an einer zukünftigen langen Lebensdauer zu zweifeln, aber Museen werden selbstverständlich gelegentlich auch geschlossen.
Im Sinn einer möglichst präzisen und knappen Definition ist außerdem Dauer kein Kriterium für das Museum.
Allerdings bezieht sich das Wort Dauer in der Museumsdefinition nicht bloß auf die Institution oder den Ort und das Gebäude sondern auch auf die Sammlung. Wenn man den Sammlungsgegenständen die Eigenschaft der Dauer nimmt, also die einer unabgeschlossen gedachten Zeit, in der sie den besonderen Status von Dingen haben, die weder gebraucht noch verkauft werden dürfen und während der sie erhalten werden müssen, was dann?
Wird es dann möglich, Museen gewissermaßen einer 'Rückabwicklung' auszusetzten, nicht nur das Mobiliar zu Verkaufen, die Immobilie, sondern auch die Sammlung? Könnte dann z.B. ein in Sparnöte geratene Kommune die Auflösung eines Museums oder einer Sammlung unter wirtschaftlichen Prämissen beschließen? Könnten MUseen ihre Sammlung gleichsam verflüssigen, hier etwas ver- dort etwas ankaufen? Könnten sie so ihre Sammlungspolitik ändern und neuen Gegebenheiten anpassen?
Bedenkenswerter scheint mir eine andere Konsequenz. Mit der Eliminierung der Qualität der unbestimmten Dauer, eliminiert man auch die Vorstellung eines dauerhaften - zunächst dinglichen - Gedächtnisses. Die Idee eines jede lebensweltliche Vorstellung von Dauer (Lebenszeit, Generationen etc.) überschreitenden 'technischen Gedächtnisses' des Museums erlaubt eine tröstliche Einschreibung, enthält eine tröstliche Botschaft, die die Kränkung unserer Endlichkeit mildert. Diese Vorstellung entsteht zu Ende des 18. Jahrhunderts auch aber nicht nur im Zusammenhang mit Museen und ist seither eines seiner Strukturmerkmale.
In vielen Museen zeugen Testate - vom einzelnen Objekt bis hin zu ganzen Museumssammlungen mit eigenen namentlich gewidmeten Bauten - vom Wunsch, sich im Museumsgedächtnis einen Platz zu sichern. Aber auch in Hinblick auf kollektive Erfahrungen ist es ja offenbar tröstlich, sie in einem unverletzlichen Speicher - so imaginär diese Idee auch ist, irgendwann erreicht alles eine physische Grenze -, aufgehoben zu wissen.
Die Aufgabe der definitorischen Permanenz (noch ist sie nicht beschlossen) hätte zweifellos Konsequenzen für die gesellschaftlich-kulturelle Rolle des Museums.

(1) Ann Davis u.a. (Hg.): What is a Museum? München 2010

Mir kommt vor, sie verschwinden zusehends aus den Museen und Schlössern, die Filzpantoffel, die man über die Straßenschuhe überstreift und mit denen man durch Säle und Flure schlurft, ohne Fußböden und Teppiche abzunutzen. Mag sein, daß neue Technologien des Oberflächenschutzes diesen wunderlichen Behelf überflüssig machen, der jede Besuchergruppe, egal wie sie gekleidet war, einer Verschlunmpfung aussetzte, derer man sich gerne und erleichtert wieder entledigte. - Diese vom Verschwinden bedrohte Spezies, deren Biotop musealisierte Räume waren, soll hier noch einmal auch hinsichtlich seiner symptomatischen Qualität (im Sinn der oben ausgeführten Überlegungen zur Dauer des Museums) gewürdigt werden. Das Hintanhalten der Abnutzung ist das restauratorische Credo im Museum und der Filzpantoffel ist die Waffe gegen den unberechenbarsten aller Feinde des Ewigkeits-Phantasmas: den Besucher

Montag, 13. Juni 2011

Marcel Broodthaers: Museum Museum *1971* (Museumsphysiognomien 13)

Marcel Broodthaers: Museum – Museum, 1972
Zwei Siebdrucke mit je 16 Goldbarren auf schwarzem Grund, die Goldbarren scheinbar identisch, aber individuell, wie Illustrationen oder Objekte beschriftet. Links mit Namen berühmter Künstler, Mantegna, Bellini ... Duchamp, Magritte usw., unter der untersten Reihe der Goldbarren: IMITATION, KOPIE, COPIE, ORIGINAL. Das Gegenstück rechts mit Butter, Speck, Kanone, Fleisch, Schokolade, Kupfer, Zucker, Blut, Puder, Benzin, Gold, Tabak und wiederum abweichend in der untersten Reihe IMITATION, FALSCH, KOPIE, ORIGINAL.
Beide Blätter sind in Blockbuchstaben ‚übertitelt’ mit MUSEUM.
Die Goldbarren werden uns nicht wie in einer Bank, einem schließfach präsentiert, sondern als Tableau, wie in einer zoologischen oder mineralogischen Sammlung. Sie sind sorgfältig angeordnet und präzis ausgerichtet.
Es geht um Ordnung, die symbolische Ordnung der kulturellen Werte, repräsentiert durch die Namen bedeutender Künstler, also die ‚Ordnung des Museums’. Das ist im Kunstmuseum die Ordnung der Kunstgeschichte, die Chronologie der Stile und Schulen und die Hierachie der großen Namen. Das ist eine Ordnung, die das Museum hervorgebracht hat, die aber auch durch das Museum repräsentiert wurde und wird.
Es geht um eine sichtbare Ordnung, um die ‚Präsentation’ der Goldbarren als eine Art von gezeigter, ausgestellter Sammlung von ‚Werten’. Die Ordnung scheint visuell zwingend, klar, von Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit bestimmt, auch das ein Strukturmerkmal des Museums, aber die ‚Objektbeschriftungen’ entpuppen die Ordnung als zufällig, ausgewählt, willkürlich. Wir könnten jederzeit die Namen austauschen durch andere – und wer hat hier überhaupt ausgewählt?
Auf dem linken Siebdruck geht es um jene Werte, die das Museum ausmachen, um symbolische, immaterielle, kulturelle Werte. Um ‚bedeutende’ Künstler, um ‚bedeutende’ Kunst, deren ‚museale Sehenswürdigkeit’ außer Zweifel zu stehen scheint.
Rechts geht es um Gebrauchs- und Tauschwerte, um Dinge, die eine praktische Bedeutung haben, Fleisch oder Butter sind Lebensmittel, Benzin ein wichtiger Rohstoff, Blut kann konserviert Leben retten. Genannt wird auch jener Rohstoff, der ein besonders Tauschmittel ist: Gold, das unserem Geldsystem und der Geldwirtschaft, der Real- und der Finanzwirtschaft zugrunde liegt.
Genau diese durch das Gold und die ‚Bildlegenden’ unter den Barren repräsentierten Werte dürfen im Museum keine Rolle spielen, wir dürfen museale Gegenstände weder gebrauchen oder veräußern. Die Dinge haben im Museum keine Funktion mehr, außer der gezeigt zu werden und Bedeutungen zu vermitteln. Sie sind – buchstäblich - unberührbarer Gemeinbesitz. Ein „heiliger Schatz“, wie der französische Museologe DeLoche sagt, ein Schatz, aber ein imaginärer.
Die Metapher des Schatzhauses für das Museum ist uns geläufig, aber es ist nicht nur eine Metapher. Der sakrale und der profane Schatz sind reale Wurzeln des Sammelns und damit des Museums; lange Zeit sind Schätze sowohl symbolische als materielle Werte, bis ein Prozess der Ausdifferenzierung einsetzt und beides voneinander getrennt wird. Man sondert allmählich aus dem Schatz, der immer auch Geldbesitz ist, der jederzeit veräußert werden kann, zur Finanzierung von Kriegen, Bauten, Wahlbestechung usw., Dinge aus, die auf Dauer bewahrt werden. Kostbare Reliquien, Memorabilia. Durch das Tabu, dem Dinge hinsichtlich ihrer Zirkulation unterworfen werden, kann – mit anderen strukturellen Vorkehrungen -, später so etwas wie das Museum entstehen.
Broodthaers dreht diesen Prozess um und spielt darauf an, daß man den ‚Wert’, den ein Museum repräsentiert, jederzeit gewissermaßen zu Gold / zu Geld machen kann. Kurz zuvor hat er sein Museum – darunter müssen wir uns eine lange Serie sehr unterschiedlicher Projekte vorstellen, mit denen er die Idee und die Praktiken des Museum untersuchte, analysierte, paraphrasierte -, zum Verkauf angeboten, wegen Konkurses. Und zwar in Form eines Plakates, eines Art Anschlages, Aufrufes (Musée d’ Art Moderne à vendre – Pour cause de Faillité 1970/71). Dieses Plakat lancierte er auf der Kölner Kunstmesse, wo er sich, nach eigenem Bekunden in der „heutigen gesellschaftlichen Realität“ befand – man darf hinzufügen: im Gegensatz zu der des Museums, „mit ihrem niedrigsten kommerziellen Aspekt“, wo die Kunst denselben Kriterien von Angebot und Nachfrage unterworfen ist wie jede andere Ware.
Vor dem Hintergrund dieser wenig älteren Arbeit, lassen sich die beiden Drucke mit den Goldbarren als Visualisierung der unterschiedlichen Wertsysteme in ihren unterschiedlichen Funktionen, den ‚realen’ und den ‚musealen’ verstehen, Wertsysteme, die Broodthaers gegeneinander ausspielt. Schlägt man sich ganz auf die Seite der materiellen Werte, die wie Broothaers sagt ‚in der Realität herrschen’, dann kann man auch das Museum zu Gold machen.
Dem System von symbolischen und kulturellen Werten, mit den Broodthaers hier spielt, liegen Kriterien zugrunde. Wir halten etwas für wertvoller, wenn es echt ist, wir ziehen ein Original einer Kopie vor usw. Doch spätestens seit der Geste Duchamps – den Broodthaers unter den angeführten Künstlern nennt, als einen seiner Inspiratoren -, mit der er ein industriell und seriell gefertigtes Gebrauchsding, ein Urinoir, in eine Kunstausstellung reklamierte (das war 1917), ist diese Kriteriologie außer Kraft gesetzt. Ab jetzt ist es nicht mehr die Frage, was ist Kunst, sondern wann ist Kunst. Kunst ist eine Setzung, eine Zuschreibung, in einem sozialen, kulturellen und institutionellen System. Wenn ein Urinoir in einer Ausstellung, in einem Museum gezeigt wird, dann ist es Kunst, demonstriert uns Duchamp. Der „Wert“ eines Exponats ist keine seiner Eigenschaften, sondern eine komplexe Zuschreibung, die sich verändern kann oder die widerrufen werden kann.
Die ‚Unterschriften’ unter der untersten Reihe der Goldbarren weist auf dieses System der Unterscheidung hin, irritiert und attackiert das gleichsam Naturgesetzliche von Begriffen wie KOPIE, IMITATION, ORIGINAL. Abermals stiftet dieses System von Begriffen keine Ordnung, sondern richtet eher Verwirrung an, etwa wenn ‚Kopie’ zweimal vorkommt in zwei Schreibweisen, einmal mit „C“, einmal mit „K“, und man darf darüber brüten, ob die Unterscheidung im sprachlichen Zeichen auch eine in Hinblick auf das Bezeichnete nach sich zieht.
Wir können die Begriffe auch direkt auf Broodthaers Siebdrucke anwenden und kommen in eine ähnliche Endlosschleife von Verweisen. Ist ein Siebdruck ein Original? Läßt sich mit dem Begriff der Echtheit auch etwas mit den Goldbarren anfangen, die ja nur Wert haben, wenn sie echt sind? Muß nicht was unter der Chiffre „Museum“ firmiert unbedingt echt sein?


Broodthaers spielt auch damit: er versichert uns dieser Echtheit wie bei Goldbarren üblich mit Punzierungen, aber die sind seine eigenen und machen sie damit – zu Kunst. Noch einmal öffnet er die Dinge und Zeichen der irritierenden Vieldeutigkeit, Echtheit ist ebenfalls keine materielle Eigenschaft von Dingen, sie wird ebenfalls behauptet, bezeugt, bestritten, erzeugt, beglaubigt, so wie es Broodthaers in einer Arbeit von 1971 gemacht hat, wo er zum regelrechten Vertrag griff, als Grundlage für den Verkauf eines Goldbarren zum Doppelten des Tagespreises, eines Barren, der aber gewissermaßen auch ein Kunstwerk war, weil er das Emblem eines Adlers punziert hatte. Mit diesem Verkauf wollte er sein Musé des Aigles ‚retten’ (das dann, wie wir wissen, doch in ‚Konkurs’ gegangen ist). Der Adler war ein Art Logo für Broodthaers Musée d’ Art Moderne dessen bekannteste Manifestation dann die im Düsseldorfer Kunstverein gezeigte Ausstellung „Der Adler vom Oligozän bis heute“ (1972) war. Der Verkauf eines Goldbarren zum doppelten Handelspreis zur Absicherung des – freilich fiktiven – Museumsprojektes, war nur plausibel, wenn durch die Punzierung der Goldbarren als Kunstwerk deklariert war und damit einem anderem Wertsystem zurechenbar als nur dem des in Gold messbaren.
Broodthaers hat also das Museum als Ganzes im Blick, seine Strukturen, seine Ordnungs- und Bedeutungssysteme. Das Museum selbst ist ein Symbolsystem voller gesetzter, konstruierter Bedeutungen, in dem den Dingen Bedeutung verliehen und in dem diese Bedeutungen kommuniziert werden. In ersten seiner vielen Museumsprojekte reduzierte er auch das Museum auf ein kleines Setting der nötigsten Gesten: ein paar Kunstdrucke, eine Einladung, ein paar Verpackungskisten für Kunsttransporte, eine Einladung, eine Vernissage und ein Direktor ( er selbst) genügen um ein Museum zu konstituieren, auch wenn es sich nur um den ansonst privaten Raum der Wohnung Broodthaers handelte.
Aber weder bei diesem Siebdruck noch bei den diversen Aktionen, Projekten, Werken, Interventionen, die eine Serie von – meist fiktiven – Museen bilden, geht die Reflexion, die ausgelöst wird, in irgendeiner fassbaren und abschließenden Erkenntnis auf; die Reflexion selbst ist das eigentliche Objekt, der beständig in Schwebe gehaltene Diskurs über Kunst und die Definitionsmacht, durch die sie entsteht, wie der über das Museum und seine Riten und Praktiken, durch die es sich konstituiert. Broothaers Reflexivität ist, vorausgesetzt man lässt sich überhaupt auf sie ein, immer beunruhigend und verunsichernd und vor allem: sie ist nie stillzustellen.

Sonntag, 8. Mai 2011

Sublimierung

"Mit einer Spende von 800 Millionen Dollar hat die Familie von Wal-Mart-Gründer Sam Walton einem Museum die bisher größte Spendensumme zukommen lassen."
Meldung vom 6.5.2011
Klingt toll. Das Sponsoring lebt und die Famlie Walton ist super.
Allerdings.
Die 800 Millionen Dollar gehen an das Museum der Tochter des Wal-Mat-Gründers, Alice, die als reichste Frau der Welt gilt und sich in einem Ort Namens Benton ein Museum bauen läßt (am 11.11.2011 wird es eröffnet werden).
So bleibt also das Geld in der Familie, was bei einem geschätzten Jahresgewinn der Firma, die als umsatzstärkste und größter privater Arbeitgeber der Welt gilt, von mehr als 14 Milliarden Dollar im Jahr, zwar nicht erheblich, aber ganz nützlich ist.
Was Wikipedia weiss: Im Dezember 2005 wurde Wal-Mart von einem Gericht in Kalifornien zu einer Zahlung in Höhe von 57 Millionen Dollar verurteilt. Das Geld geht an 116.000 frühere und derzeitige Mitarbeiter, denen Wal-Mart eine vorgeschriebene 30-minütige Pause verwehrte. Des Weiteren wurde Wal-Mart zu einer Strafzahlung in Höhe von 115 Millionen Dollar verurteilt, weil das Unternehmen den Mitarbeitern keine Mittagspause zugestand.
Im Oktober 2006 wurde der Konzern aufgrund unbezahlter Mehrarbeit zu einer Zahlung von 78,5 Millionen Dollar an seine Mitarbeiter im US-Bundesstaat Pennsylvania verurteilt. Nach Medienberichten sind weitere 70 Verfahren anhängig.
Derzeit laufen über 1000 weitere Verfahren gegen die Kette wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht.
Ein Berufungsgericht in San Francisco hat eine Sammelklage von 1,6 Millionen Frauen wegen sexueller Diskriminierung gegen die Einzelhandelskette Wal-Mart für zulässig erklärt.
(...) „Die gnadenlose Ausbeutung des schwachen Arbeitrechts in den USA durch das Unternehmen Wal-Mart vereitelt die Gründung von Gewerkschaften und verletzt die Rechte seiner amerikanischen Arbeiter“, so Human Rights Watch in ihrem am 1. Mai 2007 erschienenen 210 Seiten langen Bericht „Discounting Rights: Wal-Mart’s Violation of US Workers’ Right to Freedom of Association”. Von zentraler Bedeutung, so der Bericht, sei das Ausmaß und die Aggressivität an Gewerkschaftsfeindlichkeit. Das Verhalten des Unternehmens sei auch deshalb besonders bedenklich, weil es sich um das zweitgrößte Unternehmen der Erde handle.
Allein der Reingewinn in dem im Januar 2007 beendenden Geschäftsjahr stünde bei 11,2 Milliarden US-Dollar. Human Rights Watch fand heraus, dass kein Arbeiter des größten privaten Arbeitgebers der USA durch eine Gewerkschaft vertreten sei und dass dies zum Prinzip des Unternehmens gehöre. Schon im „Manager’s Toolbox“ würden den Managern Maßnahmen genannt, wie gewerkschaftlicher Einfluss zu verhindern sei. Denunziation, Bespitzelung, Lauschangriffe, massiver Druck und die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, seien bei Wal-Mart gängige Geschäftspraxis

Sonntag, 17. April 2011

Dauer / Nichtdauer. Museum / Ausstellung (Museumsphysiognomien 12)

Marcel Broodthaers gräbt mit einem Freund den Grundriss eines Museums Moderner Kunst in den Strand von le Coq. Wir schreiben das Jahr 1969. Die Flut wird das Museum in einigen Stunden wegspülen...




Das Thema Dauerausstellung…

…eine Wiederkehr? Eine Rückbesinnung?

Es geht um Entgegensetzung: Dauer / Wechsel, zwei Zeitformen des Ausstellens.
Wirklich?

Wie lange dauert eine Dauerausstellung?

Eben habe ich im Internet ein paar Fotos der verschiedenen Themenausstellungen der Dauerausstellung des Technischen Museums entdeckt, die nach 1918 entstanden sind. An die meisten der Ausstellungen kann ich mich erinnern, sie waren bis zur großen Umgestaltungen des Museums in Gebrauch, waren teilweise beschädigt oder ungepflegt, wirkten aber gestalterisch - und einige von ihnen auch didaktisch - noch immer modern.
Eine solche Dauer von 40, 50 Jahren fände heute kein Museumsverantwortlicher mehr wünschenswert; man spricht von etwa 10 bis 15 Jahren 'Lebenszeit' für eine 'permanente' Ausstellung.

Dagegen sind Wechselausstellungen meist nur auf einige Monate angelegt, gelegentlich nur Wochen, manchmal bis zu einem Jahr, selten länger, wie bei der Ausstellung 'Berge - eine unverständliche Leidenschaft', die fünf Jahre gezeigt wird.
Schon ein Unterschied, aber weniger gravierend, als man glauben möchte.

Vielleicht ist aber der Maßstab, den man anlegt, irreführend. Das Wort Dauerausstellung kooperiert mit einem strukturellen Merkmal des Museums (das es es erst in den letzten 200 Jahren zugemessen bekommen hat), mit der Vorstellung einer
unabschließbaren Dauer. Und diese Vorstellung hängt nicht an der Ausstellung, sondern an den Dingen (und der Institution). Die Dinge bilden ein 'technisches Gedächtnis', das wegen der vermeintlichen Unzerstörbarkeit seiner Materialität (all die Investitionen in die Aufbewahrung, Konservierung…) selbst als unzerstörbar gilt.

Es ist ein 'Gattungsgedächtnis', in das wir uns alle tröstlich einschreiben können, und damit ein Ort, wo nicht nur die Dinge, sondern auch wir unzerstörbar zu sein scheinen.
Dieses Phantasma ist zwar durch die globalen Kriege und vor allem durch den Holocaust zerstört worden und es ist auch durch die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung immer weniger plausibel, angesichts der Kalkulierbarkeit der Endlichkeit von (Überlebens)Ressourcen. Und Museen haben insofern darauf reagiert, als sie sich nun auch den Kehrseiten der Zivilisation stellen, den Traumata und Katastrophen.

Doch das - mehrfach - unmögliche Versprechen bleibt verlockend…

Dagegen die zeitlich befristete Ausstellung mit ihrem anderen Anspruch auf Aufmerksamkeit und Gegenwärtigkeit… Sofern Museen sich selbst zueinander in Konkurrenz sehen und setzen (und zu anderen Ereignissen der Unterhaltungsindustrie und Mediengesellschaft), werden sie auch in eine Konkurrenz um Wahrnehmung und Positionierung geraten. Sie machen sich zu Marken, Slogans, Schlagworten, Zeichen, um nicht unterzugehen.

Was aber immer gleich bleibt, bleibt nicht lange interessant; deshalb der Wettbewerb über Ausstellungen, über Behauptungen von Werten (Gold, Schätze, Erbe…), das Schüren von Erwartungen, Versäumnisängsten, das atemlose Vokabular der Anpreisung, die immer kürzeren Takte, mit denen Museen immer mehr Ausstellungen ('Formate') generieren. (Und dadurch auch als Organisationen, durch Überbeanspruchung der Ressourcen, vor allem der Mitarbeiter, in Atemnot geraten).

Dauer / Wechsel, die beiden Ausstellungsformen sind unter anderem unterscheidbar durch unterschiedliche Potentiale,
Verheissungen generieren zu können. Und dadurch, zwei unterschiedliche Weisen, Erfahrungen machen zu lassen. Das eine kann mit dem anderen in Konflikt liegen. Es gibt immer mehr Verheißungen, aber immer weniger Zeit, sie genießen zu können.

Das Museum ist ein langsames Medium. Langsames
Durcharbeiten problemhaltiger Materialen hat ein Freund (ein Pädagoge) mal in gemeinsamen Projekten die Tugend des Museums beschrieben. Die wiederholbare Erfahrung, die durch keinen inneren Zeitrahmen (sieht man von Öffnungszeiten ab) eingeschränkt ist, die also langsam sein kann, so wie man es selbst langsam haben will (in Kabakovs 'Palast der Projekte' halte ich mich stundenlang auf, hier gibt es auch viele Sessel…Tische, an denen man Lesen, Nachdenken kann…es wird mich lange beschäftigen).

Ich lese: in den Wissenschaft wird jährlich etwa 10% des Wissens auf Nimmerwiedersehen abgestossen. Es ist gerade das ältere Wissen, das 'gefährdet' ist. Wäre das dann ein Plädoyer fürs Museum, für sein 'veraltetes' Wissen (ich war ja immer der Meinung, das Technische Museum hätte nicht alle seine alten Ausstellungen abbrechen sollen…). Und ich erinnere mich an ein Seminar, in dem sich ein Teilnehmer weigerte, einen etwa 10 Jahre alten Aufsatz zu diskutieren. Weil so etwas veraltet sein muß. In der Pause verließ er das Seminar und reiste ab.

Dauer lässt veralten zu, damit abkoppeln von etwas, wovon das Museum meist ohnehin abgekoppelt ist: von Gegenwart und Zukunft, damit von der Überprüfung dessen, was es bewahrt und tut in Hinblick auf Zukunft. Nicht zufällig ist
museal umgangssprachlich ein negatives Eigenschaftswort. In der Dauer steckt somit Hegemonie. Die Geltung ungeprüft übernommener Werte.

Also doch besser ein 'dauerloses' Museum? Eins, das vorm Tiefschlaf bewahrt wird, durch Menschen, die etwas vom Museum wollen, erwarten, verlangen.

Die will das Museum aber gar nicht. Das will zahlende und zählbare Kunden. Und je mehr Ausstellungen, desto mehr lässt sich zählen.

Und so weiter...

Freitag, 11. Februar 2011

"Museen als Tankstellen der Realpräsenz". Google 'erobert' jetzt auch die Museen

Ein Weizenfeld von van Gogh, etwas nahsichtig dank GOOGLE
"Museen - Tankstellen der Realpräsenz". Für so eine Wortspende und neue Metapher unter vielen verschlissenen Metaphern mit denen das Museum (un)begriffen bleibt, gehört der Autor mit Aufmerksamkeit belohnt. Auch weil er sich vergnügt einem "Realexperiment" stellt. Er googelt Museen. Genauer gesagt, das Google Art Project. Mit seiner Hilfe kann man durch Museen flanieren und einzelne Kunstwerke ansehen und ihnen so nahe kommen, wie das keine Sicherheitsanlage oder Aufseher je dulden würde. Erst einige Museen, sehr namhafte darunter, sind erfasst, allesamt Kunstmuseen.
Der Autor, Beat Wyss (hier der Link zu seinem Essay in DIE WELT) ist zunächst mal recht angetan.
Aber dann!
"Wo ist das Publikum, das meine Beobachtungen durch Gedränge und Lärm mitbestimmt? Man vermisst jetzt alles, von dem man glaubte, es störe den Kunstgenuss. Meine reale Anwesenheit im Museum liefert das, was kein noch so scharfer Zoom am Bildschirm bietet: jene kribbelnde Furcht, meine Aufmerksamkeit könnte durch eine vorlaute Reisegruppe gestört werden." 
Was Wyss abgeht ist die Performativität des Ausstellungsraumes und -ensembles zu der immer auch der Besucher / Betrachter mit seiner Bewegung im Raum und unter seinesgleichen gehört.
Die Bilder mögen, großformatig und enorm hochauflöslich reproduziert dargestellt sein, aber der Betrachter wird sich immer in der Rolle des Tantalos wiederfinden: "Alles um ihn wich zurück, wenn immer er danach greifen wollte. Tantalos war verdammt, auf ewig nur ansehen zu können, was er begehrte."
Das gilt freilich nicht bloß für gegoogelte Bilder in gegoogelten Museen, das ist in Museen genauso, die uns mit Ihren Ritualen, von denen das Berührungstabu eins der wichtigsten ist,  das Verfügenwollen schon im Ansatz gründlich austreiben.
Diese 'Schranke' ist aber nötig als Spielraum der Reflexion und der Möglichkeit die Unverfügbarkeit als untrennbar mit dem stets scheiternden Versuch der 'Abneignung', des 'Verstehens' verknüpft anerkennen und aushalten zu können.
Hier hätte Wyss tiefer graben müssen, um trennschärfer zwischen der Realpräsenz des Bildes im Museum einerseits und dem virtuellen Bild am Schirm unterscheiden zu können. Er hat schon recht, die technische Möglichkeit, dem Bild 'nahezukommen' ist irreführend. Das gilt auch für eine andere Spielart desselben Begehrens: der Röntgenfotografie, von der manche Kuratoren (die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums hat dafür ein besonders Faible) offenbar meinen, daß das Eindringen gewissermaßen in den Körper der Kunst, das Begehren das Wahre, das Wesentliche - endlich - zu sehen, gestillt werden kann.
"Vor unseren Augen" schreibt Wyss, "vergrößert sich die Textur der Gemälde vom einzelnen Pinselstrich, über das Craquelée, zum Malgrund der Leinwand. Ihre Geheimnisse geben die Werke dabei nicht preis." Ja, das ist aber beibeiden 'Bildern', dem musealen wie dem digitalen so. Und es ist notwendig.

Montag, 17. Januar 2011

Der Jetztmensch und das Leben der anderen (Museumsphysiognomien 11)



Mir ist eine Postkarte zufällig wieder in die Hände gefallen, die ich vor vielen Jahren im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover gekauft habe. Sie zeigt ein Diorama, das es es möglicherweise nicht mehr zu sehen gibt und das, wie die Beschriftung der Karte sagt, den "Jetztmensch" zeigt. Über die - ohnehin rasch wechselnden - Theorien über die Evolution des Menschen wenig unterrichtet, lege ich mir das Wort "Jetztmensch" so aus: Das ist die Spezies, zu der "wir" (immer noch) gehören, da bin ich gemeint, denn das sind unsere und meine Vorfahren oder wie man auch sagen könnte, Ahnen.
Die Beschriftung der Karte präzisiert: "Cromagnonmensch" und fügt in Klammer hinzu: "Jüngeres Eiszeitalter (Altsteinzeit; Aurignacien) vor 25.000 Jahren".
Die Jahreszahl hilft mir, die diversen Epochenangaben, mit denen ich ohnehin nichts anfangen kann, zusammenzufassen: lange her.

Der Suche nach der Herkunft der Menschheit (ein jederzeit aktualisierbares Thema der Medien) wie dem Schaubild aus dem Hannoveraner Museum geht eine Frage voraus: Woher kommen wir? Da eine korrekte und nüchterne, sich auf Funde und Fakten beschränkende Antwort weder besonders anschaulich noch besonders befriedigend ausfiele, wenden Museen Kniffe an, von denen das 'lebenswahre' Diorama mit seiner räumlich-illusionistischen Suggestion einer der beliebtesten ist. Inzwischen hat man den Naturalismus solcher Veranschaulichungsräume erheblich verbessert, aber was geblieben ist, ist die mit einem Blick erfassbare Szene, die uns freundlicherweise insofern entgegenkommt, als sie den Schock der Differenzerfahrung mit der Durchdringung von Gegenwart mildert. Grillparty mit Männerüberschuss könnte die Überschrift heißen (ob Frauen überhaupt dargestellt sind, kann ich auf dem Bild nicht eindeutig erkennen), allerdings behauptet die Postkarte, daß der Jetztmensch grade mit der "Bestattung eines Mammutjägers" zu Gange ist. Ich kann auch das nicht erkennen und wenn es sich nicht um eine schlicht falsche Beschriftung handelt, bleibt nur die Vermutung von Leichenschmaus, Opferkult oder - Kannibalismus?

Überhaupt: was sagt uns das Diorama. Vermutlich geht es in erster Linie um die Vermittlung großer zeitlicher Distanz, von früher und jetzt (wir im Museum…), um Erfahrung, die aus der Zeitdifferenz entsteht. Etwa: die haben ganz primitiv gelebt, im Freien, haben Fleisch verzehrt, sich in Felle gekleidet, Vorräte geschaffen (an der Felswand links hängt Fleisch offenbar zum Trocknen) usw. Da ja wir gemeint sind, läßt sich das primitiv gut zur Grundlage einer Idee des Fortschritts machen, die uns das angenehme Gefühl eines weit haben wirs gebracht vermitteln kann.

Wäre hier aber eine ethnisch-kulturell differente Gruppe dargestellt, Eingeborene des vorkolonialen Amerika oder Urwaldbewohner der Regenwälder z. B., würde das primitiv zu deren Ungunsten ausschlagen und ein Wertgefälle erzeugen, also unsere Überlegenheit bekräftigen oder gar scheinbar beweisen. Es wäre dann das Leben der Anderen, nicht unseres. Damit nur ja die Identifikation mit dem wir über den "Jetztmenschen" funktioniert, ist er ja auch so hübsch zur Grillparty gruppiert und sind die Cromagnons mit auffallend üppigen Föhnfrisuren (a la 70er-Jahre, da könnte das Diorama gebaut worden sein) ausgestattet.

Das meiste von dem, was wir sehen, ist übrigens erfunden, durch gesichertes Wissen nicht abgesichert, so wie man ja auch nicht weiß, wie Saurier 'wirklich' ausgesehen haben (sie könnten ja auch lila gewesen sein oder fedrig, nicht?) oder was "Ötzi" denn ausgerechnet auf dem Hauslabjoch zu suchen hatte. Das ist freilich gar nicht so wichtig, wie uns der Authentizitätsdiskurs des Museums weismachen will, denn hier gehts nicht so sehr um Sachwissen (anthropologisches, archäologisches Wissen), sondern um Identitätswissen, das heißt, um etwas, was jetzt, im Museum, mit uns und für uns 'erzeugt' wird, aber dem Sachwissen so gar nicht entnommen werden könnte.

So viel (nebstbei) zur Wissenschaftlichkeit des Museums (siehe Föhnfrisuren).

Das merken wir alles nicht so richtig, denn rhetorisch ist das Diorama unschlagbar. Für das Museum, das räumliche und zeitliche Distanz in räumliche und zeitliche Nähe wunderbar zu verwandeln vermag, ist das dazu besonders geeignete Diorama, ein wunderbares Medium. Statt dem pars pro toto, mit dem so viele Ausstellungen arbeiten, gibt es hier eine zum Tableau erstarrte Erzählung. Wie wirklich zeigt man uns unsere Vorfahren, zwar nicht grade anheimelnd, aber doch vertraut, verwandt (siehe Grillparty), und mag sich auch die Art viriler Fleischzubereitung seither nicht verändert haben (25.000 Jahre Grillen - ein Museumsthema?), das Gefühl, daß wir es doch ein wenig besser und komfortabler haben, bleibt. Einübung in Zivilisiertheit eben.

Geben wir das Schlußwort der Beschriftung der Postkarte: "Werdet Mitglied der 'Freunde der Naturkunde-Abteilung des Niedersächsischen Landesmuseums e. V.".

Montag, 27. Dezember 2010

Global survey (Museumsphysiognomien 10)

Mehr und mehr Kunstmuseen nutzen das Internet nicht nur für Werbung, sondern auch für Information. Große (Kunst)Museen bieten ihre Sammlungsbestände großzügig digitalisiert an, mit aufwendigen Suchmaschinen, exzellenten Abbildungen und gelegentlich auch mit sehr ausführlicher und fundierter Information.
Die Bilddatenbank etwa der Vereinigung der Französischen Nationalmuseen läßt keine Wünsche offen. Jedes einzelne Objekt ist mit allen nur erdenklichen und wünschbaren Daten versehen, es gibt zahllose Ordnungs- und Suchkriterien, die Abbildungen sind ausgezeichnet.
Von der Sorgfalt, mit der etwa das Rijksmuseum seine Interims-Ausstellung auf seiner Webseite nicht nur dokumentiert, sondern ein 'Nachlesen' und 'Nach-Denken' mit viel über die Ausstellung hinausgehender Information begleitet, war hier schon die Rede.
Abbildungen aus der, wenn ich mich recht erinnere, etwa 50.000 Fotografien umfassenden Fotothek des Museum of Natural History in New York, die dieses kürzlich rechtefrei ins Netz gestellt hat, habe ich hier auch schon verwendet; diese Sammlung ist einzigartig wegen ihrer dokumentarischen Qualität nicht so sehr was Objekte betrifft, sondern den Betrieb und 'Alltag' des Museums: Aufbau von Ausstellungen, pädagogische Aktivitäten, Besucher, Bau von Dioramen, Präparierung von Tieren für die Ausstellungen u.v.a.m.
Das Metropolitan-Museum hat über 30.000 Objekte in seinem Netz gestellt, Sammlungsobjekte buchstäblich aus 'aller Herren Länder', ebenfalls mit vielen verschiedenen Parametern abrufbar. Luxuriöse 'Werkzeuge' ermöglichen es einem, die 'unsichtbare Sammlung' des Museums chronologisch, ikonografisch, topografisch usw. zu 'sichten' und zu 'besichtigen'.

Beim Arbeiten mit dieser eindrucksvollen Bilddatenbank sind mir einige Dinge aufgefallen.
Eines der 'Portale', die den Zugang zum virtuellen Archiv öffnet, ist eine Weltkarte. Klar, dieses Museum hat eine Sammlung, die 'die ganze Welt' abdeckt. Hier findet man nicht nur Relikte der bekannten Hochkulturen, mittelalterliche Glasfenster, nordamerikanische indianische Vorratsgefäße, assyrische Reliefs, gotische Kathedralplastik, chinesische Landschaftszeichnungen, ein Renaissencestudiolo..., hier gibt es, oft nur in einem oder einigen wenigen Exemplaren,  Exponate von nie gehörten, halb versunkenen, kaum erforschten Kulturregionen.
Dieses Museum sagt uns, die Welt (hier, Abbildung unten, die von 500 bis 1000 n.Chr.) steht Dir zur Verfügung, wir sind imstande sie zu präsentieren und zu repräsentieren. Suche Dir irgendeinen Punkt der Welt (a la Earth View) und wir zeigen Dir unsere passenden Schätze...















"Global survey" ist eine Formel, mit dem gelegentlich solche Museen charakterisiert werden - oder womit sie sich selbst charakterisieren. Survey ist ein vieldeutiges Wort, es läßt sich mit Zusammenstellung (in gewissem Sinn also als Sammlung) ebenso übersetzen, wie im Sinn von Prüfung, Bewertung, aber auch Erkundung, Studie oder auch Besichtigung.

Bestandsaufnahme ist eine weitere 'Übersetzung' des Wortes und sie trifft doch gut und genau diese Form der digitalen Repräsentation und die Art und Weise, wie sie sich an uns wendet.
Der 'Bestand' der Kulturen der Welt - das ist eine große, eine in gewisser Weise auch anmaßende Geste, eine einladende und verführende, was die Bequemlichkeit der Verfügbarkeit betrifft. Wir brauchen uns nicht mehr in Bewegung zu setzen, um 'Zugang' zu den 'kulturellen Werten und Schätzen' zu bekommen.
Die Tatsache und die Tücken der technischen Reproduktion - jedes Objekt in gleich großer Abbildung, egal ob es 'in Wirklichkeit' 3 oder 300 Zentimeter groß ist, immer nur frontal und in einer einzigen Ansicht usw. -, verdrängt man dabei gerne, genau so wie alle Bedingungen, die eine solche 'Übersicht' und 'Bestandsaufnahme' erst ermöglicht haben.
Zum Beispiel, die Art und Weise des Erwerbs. Angaben zur Provenienz gibt es, wie es scheint für alle Objekte, aber immer nur jene Angaben, die sich auf den Akt beziehen, mit dem das Objekt in den Besitz des Museums gelangte - hier, beim Metropolitan Museum, sind das sehr häufig Schenkungen von privater Seite. Zur Provenienzgeschichte erfährt man nichts.
Eine andere Beobachtung: das Suchen nach Objekten ist mit einer Distinktion möglich, die auf einer vom Museum für uns bereits getroffenen Entscheidung zusammenfällt. Wir können 'Alles' durchsuchen oder die 'Highlights'. Auch hier fehlen die Kriterien der Auswahl, aber interessant war für mich, was man sieht, wenn man 'Alles' sucht. Man sieht nämlich etwas, was man so in Museen nie zu sehen bekommt und nie zu sehen bekommen kann - die 'Summe' buchstäblich aller deponierten Dinge und das sozusagen gleichzeitig, also von der Kollossalstatue bis zum ephemeren Bruchstück in einer endlosen Reihe von Fotos und Texten den gesamten Sammlungsbestand. Man sieht und ahnt etwas von der possesistischen Gier der Institution, der Zufälligkeit des Sammlens, der Fragmentierung und Beliebigkeit der Sammlung.
Man sieht endlose Listen (s. Abb. unten) von Objekten, von Objeketen, die wohl kaum je das 'Licht' einer Ausstellung sehen werden und kaum über eine mehr oder weniger oberflächliche Inventarisierung hinaus Gegenstand der Forschung werden. Gar nicht werden können, angesichts der schieren Unmenge von Objekten.


















Das Museum hat für diesen Fall eine Formel bereit, nämlich, daß alle Angaben vorbehaltlich einer späteren und genaueren Erforschung und Überprüfung gemacht werden.

Und noch eine Beobachtung: diese oft kleinen, bescheidenen Objekte, die unterm puren Augenschein nichts vermitteln und die ohne einen dinglichen oder deutenden Kontext kaum mehr sind als deponiertes Strandgut - hier im Museum bedeuten sie nahezu nichts, solange sie nicht (was dann ja auch nur auf Zeit geschähe) ausgestellt und damit bearbeitet und in einen wie immer formierten Kontext gestellt würden.
In ihrem - wenn er so oder so noch existierte - ursprünglichen Kontext, aber auch in einem inzwischen 'fremden', aber politisch-gesellschaftlich und kulturell ihrer Herkunft gemäßeren, was würden sie da bedeuten? Wohl ungleich mehr. Sie hätten im glücklichen Fall schon ob einer geschichtlich-kulturell 'passenderen' Anwesenheit ganz andere Chancen der Wahrnehmbarkeit und ganz andere Potentiale an Bedeutungen.
Wenn gelegentlich an einzelnen, spektakulären Objekten, die komplexe Frage der Restiution diskutiert wird, stellen die Massen an 'fremdem' Strandgut in so vielen ('westlichen') Museen nicht auch die Frage nach einem strukturellen und umfassendem 'Entzug'?

"Global survey", von großen Museen als argumentative Waffe in der Abwehr von Restitutionsforderungen benutzt (wir hielten so lange Jahre die schützende Hand über die Schätze der Menschheit....), ist nur möglich durch eine Art ursprünglicher Akkumulation kultureller Güter und Werte, die dann eben wo anders 'fehlen'.