Dienstag, 29. November 2011

Das Mercedes-Museum in Stuttgart


Das Mercedes-Museum liegt direkt am Werksgelände in Stuttgart, das man von der S-Bahn kommend passiert. Linker Hand findet man den Eingang zur Konzernzentrale, linker Hand liegt das silberglänzende Bauwerk auf einer Art flachem Hügel, dahinter erstreckt sich Siedlungs- und Gewerbegebiet, Sportanlagen, das Stadion des Bundesligaklubs VfB.
Die Annäherung ans Museum erfolgt über Rampen oder Treppen, von welcher Seite auch immer, als eine ‚Elevation’, als eine besonders aufwändige Inszenierung jener Liminalität, die fast jedes Museum zwischen sich und dem umgebenden Raum inszeniert. 

Dieser besonders akzentuierten Annäherung und ostentativen Geste entspricht das Entree nicht. Der ‚Empfang’ ist dezent und funktionell, es gibt keine Großobjekte und erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Bildprojektionen an den Betonwänden hoch über den Köpfen. Wohl gibt es – ein anderes und ‚klassisches’ Element schiere Bedeutung evozierender Museumsarchitektur -, einen monumentalen Empfangsraum, durch alle Geschosse reichend, und mit einer Art von ‚Kuppel’ gekrönt, die sowohl Licht einfallen lässt als auch das Firmenlogo, den Stern, paraphrasiert. Aber der graue und raue Sichtbeton erzeugt eine fast bunkerartige Atmosphäre – gar nicht so weit entfernt von Libeskinds ‚Voids’ im Berliner Jüdischen Museum.
Zudem gibt es vorerst nur bescheidene Einblicke in die Sammlungsgeschosse, in die Galerien, die man entlang gehen wird und die nur teilweise zum Zentrum hin geöffnet sind. Man sieht also vom Erdgeschoss aus noch wenig von der Sammlung.
Vielleicht ist alles einer dritten Etappe der Inszenierung des Annäherns und Betretens untergeordnet, denn es gibt keine sichtbare Erschließung, schon gar keine der Monumentalität des Zentralraums adäquate Treppe, man wird stattdessen in einen der drei ‚Lifte’ gebeten, entlang der Wände des hohen Raumes geräuschlos hochschießende Kapseln, die eher an Raum- als an Lift- oder gar Autofahrt erinnern.
Man soll den Rundgang von ganz oben beginnen, die Anlehnung des Konzepts an das Guggenheim-Museum Wrights ist offenkundig. Auf leicht abschüssigen Rampen wird man vom obersten Geschoß aus der Chronologie der Firmengeschichte von den Anfängen bis zu den neuesten Entwicklungen und Modellen folgen.
Wenn man einen Grundriss zur Hand nimmt, sieht man dass die Struktur des Gebäudes allerdings ungleich komplexer als die Guggenheim-‚Rotunde’ ist: drei ovaloide Formen schneiden sich wie ein Blütenblatt – eine ‚Umformung’ des Mercedes-Sterns -, wodurch sich im Zentrum die erwähnte Halle ergibt und ein Geflecht ineinander verschränkter Rampen, die aber sowohl einen ununterbrochenen ‚Abstieg’ erlauben als auch auf jedem Geschoß einen weiteren großen Ausstellungsraum anbieten, der die Chronologie unterbricht und mit der Fülle der Fahrzeugsammlung ergänzt. Diese ‚Sammlungsräume’ sind eigentlich ‚Sackgassen’, von denen aus man jeweils zur ‚Spirale’ der Ausstellungsrampe zurückkehren muss, außer man nimmt jene Treppen, die direkte Verbindungen herstellen.
Klingt kompliziert aber ist nicht schwierig zu benutzen. 

Zwischen den Ausstellungsteilen hat man jeweils ein Stück Rampe zu beschreiten, wo einen, ebenfalls chronologisch geordnet und einheitlich gestaltetete (jeweils ein Großfoto mit Text) Infos begleiten. Das sind historische Landmarks - das zweite Vatikanum, die Mondlandung, der Ausbruch des ersten Weltkriegs -, die nichts mit der Firmengeschichte, nicht einmal mit der Geschichte des Automobils oder Verkehrs zu tun haben, sondern so etwas wie ein Grobgerüst der zeitlich-historischen Orientierung bilden. Hier haben dann auch vereinzelt Information zur Firma ihren Platz, wobei das Mercedes-Museum – im auffallenden Unterschied zu anderen Automobilmuseen die ich kennengelernt habe, wie BMW in München, VW Autostadt in Wolfsburg oder Porschemuseum in Stuttgart -, die Beteiligung des Konzerns in der Rüstungsindustrie des NS-Systems, ihren Anteil an der Kriegsrüstung, die Ausnutzung von Zwangsarbeit in den Werken nicht nur nicht ‚verschwinden’ läßt, sondern relativ akzentuiert und ausführlich in den ‚Geschichtsverlauf’ einbettet.
Dass wohl alle Sparten an ‚Nutzfahrzeugen’ vorkommen, nicht aber der heutige Rüstungssektor von Mercedes, steht auf einem anderen Blatt. Mercedes ist größter Einzelanteilseigner der European Aeronautic Defence and Space Company N.V. (EADS), dem führenden Luft- und Raumfahrtkonzern und zweitgrößten Rüstungskonzern in Europa.

Wenn man also mit dem ‚Spaceshuttle’ ganz oben unterm Dach angekommen ist, befindet man sich nicht direkt im ersten Sammlungs- und Ausstellungsraum, sondern vor einem – Pferd. Ein netter Gag - wir steigen metaphorisch vom Pferd und wenden uns dem Automobil zu, dass das Pferd (als Transportmittel) ablösen wird, das aber Maß der Kraft des neuen Fahrzeugs bleiben wird. Bei so um die 1 PS bleiben wir auch bei den ersten Fahrzeugen, die wir zu sehen bekommen, bis die Kurve exponentiell nach oben schießt, und wir über 1,5, 8 und 40 PS dann auch bald die 100 km/h-Grenze hinter uns lassen.
Obwohl ich alles andere als ein Autofetischist bin, hat mich gerade der Auftakt sehr gefesselt. Hier fällt ja die Firmengeschichte mehr oder weniger mit der Geschichte des Automobils zusammen. Die beiden Bastel-Männer Benz und Daimler (deren Biografien gut dokumentiert sind, vor allem geben viele zeitgenössische Fotos ein Gefühl für das Pionierhafte wieder, mit allen seinen Facetten, z.B. das Familiäre der Ausfahrten der Firmengründer) haben unabhängig voneinander einen Benzinmotor erfunden und parallel diesen Motor in entgegengesetzter Weise eingesetzt (1926 wurde unterm Druck der Wirtschaftskrise fusioniert). Ausführlich gewürdigt wird auch der offenbar hochbegabte Ingenieur Maybach, der ja jüngst als Namenspatron einer Modellreihe wieder auftauchte.
Was zunächst ein wenig so aussah wie meine Pavoni-Espressomaschine (nur etwas größer) wurde einmal in eine Kutsche eingebaut ein andermal in eine Art Fahrrad mit drei großen Speichenrädern. Alles was beweglich schien, wurde Objekt des erfinderischen Anwendens. Mir gefallen an und für sich immer schon diese Frühzeiten von Erfindungen, dieses Probieren, Testen, Riskieren – wenngleich es beim Automobil weniger lebensgefährlich war als beim Flugzeug -, das Überschießen der Phantasie, die Offenheit und Neugier des Erfindens. So war es auch damals, denn diese mit ‚Stoff’ aus der Apotheke betriebene Gerät wurde in so gut wie alles eingebaut, was sich bewegen konnte oder sollte: Boote, fliegende Kisten (mehr war’s wirklich nicht), Kleinbahnen (z.B. für Freiluftausstellungen), Lastwagen, Omnibusse (erst in der Praxis stellte sich deren Untauglichkeit wegen der Straßenbeschaffenheit heraus, aber probieren darf man ja mal). Diese Entwicklung in mehreren Sparten gleichzeitig führte später auch zum berühmten Logo: der dreizackige Stern bezieht sich auf die Anwendung des Benzinmotors zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Aus der kuriosen Bastelei wurde rasch etwas Fahrtaugliches, aus dem Fahrtauglichen ein Fahrzeug, das in kleiner Serie produziert werden konnte, aus dem ‚Auto’, dem ‚selbstbewegenden’ Fahrzeug wurde ein Luxus- und ein Sportgerät, für dessen Erzeugung man Lizenzen vergeben und einen Markt aufbauen konnte. Einer der ersten Händler der Luxusfahrzeuge und Herrenfahrer, der, wenn er schon nicht reich war, mit den Luxusautos erst recht reich wurde, gab der Marke ihren unverwechselbaren Namen, nämlich denden seiner 11jährigen Tochter: Mercedes.  
Die Wanderung durch die Firmengeschichte und Fahrzeugentwicklung wird weiter abwechslungsreich bleiben und mit den späten 50er und den 60er-Jahrem erreicht sie dann auch meine Kindheitserinnerungen, die sagenhaften Sportwagen, die Rennautos, den 600er Pullmann, diese Staatskarosse, in der sich so manches Staatsoberhaupt (in der Tradition von Hitler und Adenauer, daran wird man auch erinnert) repräsentativ vor- oder vorbeifahren ließ.
Luxusware ist der Mercedes geblieben, wenngleich in Notzeiten, nach 1945 und angesichts der jüngeren periodischen Öl- und Finanzkrisen kleinere und – nur relativ – erschwinglichere Modelle auftauchen. Allerdings ist es ein Luxus mit demokratischem Einschlag, den jeder zu schätzen weiß, der in Österreich oder Deutschland ein Taxi besteigt (wenngleich das Monopol von Mercedes in diesem Sektor zu bröseln beginnt).
Je tiefer man ins Museum hinuntersteigt, je näher man der Gegenwart kommt, desto mehr spaltet sich die Schau in die Revue der begehrten Fetische einerseits und der technisch und ökologisch innovativen Experimente andrerseits. Zuunterst kommen die Sport- und Rennwagen, der legendäre Silberpfeil und das heutige Engagement im Formel I Rennsport.
Nicht nachvollziehbar war für mich, warum der Übergang zu den untersten Ebenen unvermutet seine architektonische ‚Sprache’ wechselt und ziemlich einsilbig wird: eine schmale frei im Raum hängende Treppe leitet einen genau auf ein eher billiges Cafe zu, die ganze Museumspracht schrumpft hier zu Speisengeruch und Selbstbedienung und erst ‚um die Ecke’ steht man dann vor den Top-Modellen der Gegenwart und Autozukunft.
Einen Stock tiefer darf man sich dann eleganter laben, den Shop besuchen, wenn man Gadgets sonder Zahl zur Auswahl braucht und, weiter rückwärts in der Halle, gibt’s das Altauto für Besitzer goldener Kreditkarten: tatsächlich, da ist ein ‚Gebrauchtwaren’-Markt für betagte Mercedesse eingerichtet, doch den Bereich sollte man erst mit mindestens 40.000.- Euro im Köfferchen betreten.
Die Präsentationstechniken des Museums sind angenehm zurückhaltend, das Material muss natürlich edel sein wie die Luxusmarke, die Acessoires der Ausstattung, wie etwa ein eher kurios billig aussehender Kristalluster, halten nicht immer dieses Niveau.
Die Objekte des Museums, die Automobile, sind wie Juwelen bestens ausgeleuchtet, vereinzelt und auf Hochglanz gebracht. Auch den ältesten Modellen sind fast keine Gebrauchsspuren anzusehen, wie es scheint, hat man auch versucht, möglichst immer Originalzustände herzustellen. Objekte, die wichtige Etappen der Entwicklung illustrieren sollen, aber nicht mehr verfügbar sind, werden als minutiöse Nachbauten - für einen Laien wohl von einem Original nicht zu unterscheiden - präsentiert. So werden die Automobile, einst Sportgeräte, Luxusgüter, Transportmittel zu Kunstwerken, zu ästhetischen Sensationen.
Nicht vergessen darf ich einen Ausstellungs’faden’, der ohne ersichtliche Chronologie oder Erzählverknüpfung in gesonderten kleinen Vitrinen über das Museum verteilt wird – „33 Extras“ (dazu gibt’s auch ein nettes kleines Büchlein). Eine glasverstöpselte Apothekerflasche, mit der man in der Frühzeit des Automobils ‚tankte’, einen Tachometer, ein erstes Verkehrszeichen (ganz schön bombastisch und sicher nicht zu übersehen), Bordwerkzeug und Straßenkarte. Das sind Ausrufungszeichen und zugleich Objekte, die eine kleine Kulturgeschichte der Automobilität in die Großerzählung einflechten. So erfährt man, daß unsere ‚Ordnung’ der Pedale, Kupplung, Bremse, Gas, aus der Regelungsnotwendigkeit militärischer Nutzung entstanden ist oder dass 1909 erstmals der Nachweis der Fahrtüchtigkeit notwendig wurde, das heißt der Besitz eines Führerscheins.
Die Zukunft des Automobils ist im Mercedes Museum natürlich der Mercedes: noch immer luxuriös aber kaum Kraftstoff verbrauchend, wahrscheinlich hybrid (Hybridantrieb hatte schon Ferdinand Porsche mit der Wiener Kutschenfirma Lohner erprobt) angetrieben, Emissionen nahe der Null-Marke ausstossend, passiv sicher wie nur sonst etwas. Zweifel angesichts der jüngsten ökonomischen Krise kommen hier (noch nicht) auf.






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