Das Mercedes-Museum liegt direkt am
Werksgelände in Stuttgart, das man von
der S-Bahn kommend passiert. Linker Hand findet man
den Eingang zur Konzernzentrale, linker Hand liegt das silberglänzende Bauwerk auf einer Art flachem Hügel, dahinter erstreckt sich Siedlungs- und Gewerbegebiet,
Sportanlagen, das Stadion des Bundesligaklubs VfB.
Die Annäherung ans Museum erfolgt über Rampen
oder Treppen, von welcher Seite auch immer, als eine ‚Elevation’, als eine
besonders aufwändige Inszenierung jener Liminalität, die fast jedes Museum
zwischen sich und dem umgebenden Raum inszeniert.
Dieser besonders akzentuierten Annäherung und
ostentativen Geste entspricht das Entree nicht. Der ‚Empfang’ ist dezent und
funktionell, es gibt keine Großobjekte und erst auf den zweiten Blick bemerkt
man die Bildprojektionen an den Betonwänden hoch über den Köpfen. Wohl gibt es
– ein anderes und ‚klassisches’ Element schiere Bedeutung evozierender
Museumsarchitektur -, einen monumentalen Empfangsraum, durch alle Geschosse
reichend, und mit einer Art von ‚Kuppel’ gekrönt, die sowohl Licht einfallen lässt
als auch das Firmenlogo, den Stern, paraphrasiert. Aber der graue und raue
Sichtbeton erzeugt eine fast bunkerartige Atmosphäre – gar nicht so weit entfernt
von Libeskinds ‚Voids’ im Berliner Jüdischen Museum.
Zudem gibt es vorerst nur bescheidene
Einblicke in die Sammlungsgeschosse, in die Galerien, die man entlang gehen
wird und die nur teilweise zum Zentrum hin geöffnet sind. Man sieht also vom Erdgeschoss
aus noch wenig von der Sammlung.
Vielleicht ist alles einer dritten Etappe der
Inszenierung des Annäherns und Betretens untergeordnet, denn es gibt keine
sichtbare Erschließung, schon gar keine der Monumentalität des Zentralraums
adäquate Treppe, man wird stattdessen in einen der drei ‚Lifte’ gebeten,
entlang der Wände des hohen Raumes geräuschlos hochschießende Kapseln, die eher
an Raum- als an Lift- oder gar Autofahrt erinnern.
Man soll den Rundgang von ganz oben beginnen,
die Anlehnung des Konzepts an das Guggenheim-Museum Wrights ist offenkundig.
Auf leicht abschüssigen Rampen wird man vom obersten Geschoß aus der
Chronologie der Firmengeschichte von den Anfängen bis zu den neuesten
Entwicklungen und Modellen folgen.
Wenn man einen Grundriss zur Hand nimmt,
sieht man dass die Struktur des Gebäudes allerdings ungleich komplexer als die
Guggenheim-‚Rotunde’ ist: drei ovaloide Formen schneiden sich wie ein
Blütenblatt – eine ‚Umformung’ des Mercedes-Sterns -, wodurch sich im Zentrum
die erwähnte Halle ergibt und ein Geflecht ineinander verschränkter Rampen, die
aber sowohl einen ununterbrochenen ‚Abstieg’ erlauben als auch auf jedem
Geschoß einen weiteren großen Ausstellungsraum anbieten, der die Chronologie unterbricht
und mit der Fülle der Fahrzeugsammlung ergänzt. Diese ‚Sammlungsräume’ sind
eigentlich ‚Sackgassen’, von denen aus man jeweils zur ‚Spirale’ der
Ausstellungsrampe zurückkehren muss, außer man nimmt jene Treppen, die direkte
Verbindungen herstellen.
Klingt kompliziert aber ist nicht schwierig
zu benutzen.
Zwischen den Ausstellungsteilen hat man jeweils ein Stück Rampe zu
beschreiten, wo einen, ebenfalls chronologisch geordnet und einheitlich
gestaltetete (jeweils ein Großfoto mit Text) Infos begleiten. Das sind
historische Landmarks - das zweite Vatikanum, die Mondlandung, der Ausbruch des
ersten Weltkriegs -, die nichts mit der Firmengeschichte, nicht einmal mit der
Geschichte des Automobils oder Verkehrs zu tun haben, sondern so etwas wie ein
Grobgerüst der zeitlich-historischen Orientierung bilden. Hier haben dann auch vereinzelt
Information zur Firma ihren Platz, wobei das Mercedes-Museum – im auffallenden
Unterschied zu anderen Automobilmuseen die ich kennengelernt habe, wie BMW in
München, VW Autostadt in Wolfsburg oder Porschemuseum in Stuttgart -, die
Beteiligung des Konzerns in der Rüstungsindustrie des NS-Systems, ihren Anteil
an der Kriegsrüstung, die Ausnutzung von Zwangsarbeit in den Werken nicht nur
nicht ‚verschwinden’ läßt, sondern relativ akzentuiert und ausführlich in den
‚Geschichtsverlauf’ einbettet.
Dass wohl alle Sparten an ‚Nutzfahrzeugen’
vorkommen, nicht aber der heutige Rüstungssektor von Mercedes, steht auf einem
anderen Blatt. Mercedes ist größter Einzelanteilseigner der European Aeronautic
Defence and Space Company N.V. (EADS), dem führenden Luft- und Raumfahrtkonzern
und zweitgrößten Rüstungskonzern in Europa.
Wenn man also mit dem ‚Spaceshuttle’ ganz
oben unterm Dach angekommen ist, befindet man sich nicht direkt im ersten
Sammlungs- und Ausstellungsraum, sondern vor einem – Pferd. Ein netter Gag - wir
steigen metaphorisch vom Pferd und wenden uns dem Automobil zu, dass das Pferd
(als Transportmittel) ablösen wird, das aber Maß der Kraft des neuen Fahrzeugs bleiben
wird. Bei so um die 1 PS bleiben wir auch bei den ersten Fahrzeugen, die wir zu
sehen bekommen, bis die Kurve exponentiell nach oben schießt, und wir über 1,5,
8 und 40 PS dann auch bald die 100 km/h-Grenze hinter uns lassen.
Obwohl ich alles andere als ein
Autofetischist bin, hat mich gerade der Auftakt sehr gefesselt. Hier fällt ja die
Firmengeschichte mehr oder weniger mit der Geschichte des Automobils zusammen.
Die beiden Bastel-Männer Benz und Daimler (deren Biografien gut dokumentiert
sind, vor allem geben viele zeitgenössische Fotos ein Gefühl für das
Pionierhafte wieder, mit allen seinen Facetten, z.B. das Familiäre der Ausfahrten der
Firmengründer) haben unabhängig voneinander einen Benzinmotor erfunden und
parallel diesen Motor in entgegengesetzter Weise eingesetzt (1926 wurde unterm
Druck der Wirtschaftskrise fusioniert). Ausführlich gewürdigt wird auch der
offenbar hochbegabte Ingenieur Maybach, der ja jüngst als Namenspatron einer
Modellreihe wieder auftauchte.
Was zunächst ein wenig so aussah wie meine
Pavoni-Espressomaschine (nur etwas größer) wurde einmal in eine Kutsche eingebaut
ein andermal in eine Art Fahrrad mit drei großen Speichenrädern. Alles was
beweglich schien, wurde Objekt des erfinderischen Anwendens. Mir gefallen an
und für sich immer schon diese Frühzeiten von Erfindungen, dieses Probieren,
Testen, Riskieren – wenngleich es beim Automobil weniger lebensgefährlich war
als beim Flugzeug -, das Überschießen der Phantasie, die Offenheit und Neugier
des Erfindens. So war es auch damals, denn diese mit ‚Stoff’ aus der Apotheke
betriebene Gerät wurde in so gut wie alles eingebaut, was sich bewegen konnte
oder sollte: Boote, fliegende Kisten (mehr war’s wirklich nicht), Kleinbahnen
(z.B. für Freiluftausstellungen), Lastwagen, Omnibusse (erst in der Praxis
stellte sich deren Untauglichkeit wegen der Straßenbeschaffenheit heraus, aber
probieren darf man ja mal). Diese Entwicklung in mehreren Sparten gleichzeitig
führte später auch zum berühmten Logo: der dreizackige Stern bezieht sich auf
die Anwendung des Benzinmotors zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Aus der kuriosen Bastelei wurde rasch etwas
Fahrtaugliches, aus dem Fahrtauglichen ein Fahrzeug, das in kleiner Serie
produziert werden konnte, aus dem ‚Auto’, dem ‚selbstbewegenden’ Fahrzeug wurde
ein Luxus- und ein Sportgerät, für dessen Erzeugung man Lizenzen vergeben und
einen Markt aufbauen konnte. Einer der ersten Händler der Luxusfahrzeuge und
Herrenfahrer, der, wenn er schon nicht reich war, mit den Luxusautos erst recht
reich wurde, gab der Marke ihren unverwechselbaren Namen, nämlich denden seiner
11jährigen Tochter: Mercedes.
Die Wanderung durch die Firmengeschichte und
Fahrzeugentwicklung wird weiter abwechslungsreich bleiben und mit den späten
50er und den 60er-Jahrem erreicht sie dann auch meine Kindheitserinnerungen,
die sagenhaften Sportwagen, die Rennautos, den 600er Pullmann, diese
Staatskarosse, in der sich so manches Staatsoberhaupt (in der Tradition von
Hitler und Adenauer, daran wird man auch erinnert) repräsentativ vor- oder
vorbeifahren ließ.
Luxusware ist der Mercedes geblieben,
wenngleich in Notzeiten, nach 1945 und angesichts der jüngeren periodischen Öl-
und Finanzkrisen kleinere und – nur relativ – erschwinglichere Modelle
auftauchen. Allerdings ist es ein Luxus mit demokratischem Einschlag, den jeder
zu schätzen weiß, der in Österreich oder Deutschland ein Taxi besteigt
(wenngleich das Monopol von Mercedes in diesem Sektor zu bröseln beginnt).
Je tiefer man ins Museum hinuntersteigt, je
näher man der Gegenwart kommt, desto mehr spaltet sich die Schau in die Revue
der begehrten Fetische einerseits und der technisch und ökologisch innovativen
Experimente andrerseits. Zuunterst kommen die Sport- und Rennwagen, der
legendäre Silberpfeil und das heutige Engagement im Formel I Rennsport.
Nicht nachvollziehbar war für mich, warum der
Übergang zu den untersten Ebenen unvermutet seine architektonische ‚Sprache’
wechselt und ziemlich einsilbig wird: eine schmale frei im Raum hängende Treppe
leitet einen genau auf ein eher billiges Cafe zu, die ganze Museumspracht
schrumpft hier zu Speisengeruch und Selbstbedienung und erst ‚um die Ecke’
steht man dann vor den Top-Modellen der Gegenwart und Autozukunft.
Einen Stock tiefer darf man sich dann eleganter
laben, den Shop besuchen, wenn man Gadgets sonder Zahl zur Auswahl braucht und,
weiter rückwärts in der Halle, gibt’s das Altauto für Besitzer goldener
Kreditkarten: tatsächlich, da ist ein ‚Gebrauchtwaren’-Markt für betagte
Mercedesse eingerichtet, doch den Bereich sollte man erst mit mindestens
40.000.- Euro im Köfferchen betreten.
Die Präsentationstechniken des Museums sind
angenehm zurückhaltend, das Material muss natürlich edel sein wie die
Luxusmarke, die Acessoires der Ausstattung, wie etwa ein eher kurios billig
aussehender Kristalluster, halten nicht immer dieses Niveau.
Die Objekte des Museums, die Automobile, sind
wie Juwelen bestens ausgeleuchtet, vereinzelt und auf Hochglanz gebracht. Auch
den ältesten Modellen sind fast keine Gebrauchsspuren anzusehen, wie es
scheint, hat man auch versucht, möglichst immer Originalzustände herzustellen.
Objekte, die wichtige Etappen der Entwicklung illustrieren sollen, aber nicht
mehr verfügbar sind, werden als minutiöse Nachbauten - für einen Laien wohl von
einem Original nicht zu unterscheiden - präsentiert. So werden die Automobile,
einst Sportgeräte, Luxusgüter, Transportmittel zu Kunstwerken, zu ästhetischen
Sensationen.
Nicht vergessen darf ich einen
Ausstellungs’faden’, der ohne ersichtliche Chronologie oder Erzählverknüpfung
in gesonderten kleinen Vitrinen über das Museum verteilt wird – „33 Extras“
(dazu gibt’s auch ein nettes kleines Büchlein). Eine glasverstöpselte
Apothekerflasche, mit der man in der Frühzeit des Automobils ‚tankte’, einen
Tachometer, ein erstes Verkehrszeichen (ganz schön bombastisch und sicher nicht
zu übersehen), Bordwerkzeug und Straßenkarte. Das sind Ausrufungszeichen und
zugleich Objekte, die eine kleine Kulturgeschichte der Automobilität in die
Großerzählung einflechten. So erfährt man, daß unsere ‚Ordnung’ der Pedale,
Kupplung, Bremse, Gas, aus der Regelungsnotwendigkeit militärischer Nutzung
entstanden ist oder dass 1909 erstmals der Nachweis der Fahrtüchtigkeit
notwendig wurde, das heißt der Besitz eines Führerscheins.
Die Zukunft des Automobils ist im Mercedes
Museum natürlich der Mercedes: noch immer luxuriös aber kaum Kraftstoff
verbrauchend, wahrscheinlich hybrid (Hybridantrieb hatte schon Ferdinand
Porsche mit der Wiener Kutschenfirma Lohner erprobt) angetrieben, Emissionen
nahe der Null-Marke ausstossend, passiv sicher wie nur sonst etwas. Zweifel
angesichts der jüngsten ökonomischen Krise kommen hier (noch nicht) auf.
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