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Mittwoch, 21. Januar 2015

"Redimensionierung". Letzter Einspruch (Anmerkung zu "Sterbebegleitung fürs Weltmuseum")

Stellungnahme
zur Entscheidung der Verkleinerung des Weltmuseums Wien
Pressekonferenz des Bundesministers Dr. Ostermayer vom 19.
Jänner 2015
Das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der
Universität Wien und das Institut für Sozialanthropologie an
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geben
folgende Stellungnahme zur Verkleinerung des Weltmuseums
Wien ab, wie es anlässlich der Pressekonferenz von 19.Jänner
2015 durch den Herrn Bundesminister Dr. Ostermayer gem
mitgeteilt wurde:
1. Wir erachten die Entscheidung weder fachlich, noch
sachlich begründet. Es handelt sich ausschließlich um eine
massive Verschiebung von Räumen weg vom Weltmuseum.
Wir vermissen jegliche museologischen beziehungsweise
sozialanthropologischen Überlegungen, die für ein
zukunftsweisendes Konzept unerlässlich wären.
2. Wir verwahren uns gegen die Aussage des Herrn
Bundesministers, dass unsere Kritik durch die Interessen
einer kleinen wissenschaftlichen Gemeinschaft geprägt war.
Tatsächlich ist sie von namhaften, internationalen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern getragen, welche
nicht nur die Sammlungen von Weltrang hervorhoben, sondern
ebenso die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung
solcher Museen in der heutigen Zeit.
3. Unseres Erachtens erfolgte diese Entscheidung nicht nur
im Interesse eines Hauses der österreichischen Geschichte
sondern ebenso in jenem des Kunsthistorischen Museums. Durch
den gemeinsamen Eingang mit den anderen KHM-Sammlungen im
Corps de Logis und durch die Herrschaft des KHM im
Hochparterre befürchten wir, dass das Weltmuseum Wien nicht
mehr als solches wahrgenommen und nur noch als eine der
kunsthistorisch definierten Sammlungen des KHM aufscheinen wird.
4. Mit Bedauern stellen wir fest, dass das Einverständnis
des Direktors des Weltmuseums Wien, Dr. Steven Engelsman, zu
dieser Lösung, nicht im Interesse des Weltmuseums und nicht
im Interesse der Museumslandschaft an einem UNO-Sitz wie
Wien ist.
Univ.Prof.Dr. Elke Mader, Vorständin Institut für Kultur-
und Sozialanthropologie der Universität Wien
o.Univ.Prof.Dr. Andre Gingrich, Direktor Institut für
Sozialanthropologie an der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften
a.Univ.Prof.Dr. Thomas Fillitz, Koordinator der Tätigkeiten,
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der
Universität Wien

S. den Post "Sterbebegleitung fürs Weltmuseum" http://museologien.blogspot.co.at/2014/12/sterbebegleitung-furs-weltmuseum.html

Dienstag, 30. Dezember 2014

Nachrichtenloses Unglück - Die Zukunft des Weltmuseum scheint niemanden zu interessieren

Ein großes Bundesmuseum, eine bedeutende Sammlung, ein veritabler Standort. Dennoch, wenn so etwas gefährdet erscheint, bleiben alle ruhig. Politiker, Medien, Experten.
Die "Wiener Zeitung" informiert am 27.11. ein wenig und reportiert (wie auch "Die Kleine-Zeitung") den Zorn des Kulturanthropologen Thomas Fillitz ("Es ist eine Visionslosigkeit"). Der Grüne Wolfgang Zinggl wird zitiert: Offenbar soll das Museum "ins Ausgedinge geschickt werden". Keine Leserreaktionen übrigens.
Barbare Petsch schenkt in "Die Presse" dem Weltmuseum einen Tag vor Weihnachten eine Idee: Macht es doch so wie der Schröder! Und schließt: "Ein Weltmuseum hat in der heutigen Migrationsgesellschaft eine große Aufgabe: die Integration zu fördern. Ostermayers Verzögerungstaktik ist politisch unklug. Im repressiven Habsburger-Reich gab es mehr konstruktive Ideen für größere Bauvorhaben als in der Demokratie des 21.Jahrhunderts – wer hätte das gedacht?"
Leserreaktionen: Zwei. Eine davon lautet:  "Ein Weltmuseum hat in der heutigen Migrationsgesellschaft eine große Aufgabe: die Integration zu fördern. Diese Feststellung ist aber herzallerliebst. Wieviele Mitglieder der Migrationsgesellschaft gehen denn freiwillig in irgendein Museum?"
 
Aus der Ausstellung zur Chinesischen Kulturrevolution

Am selben Tag und ebenfalls in "Die Presse" spielt Thomas Fillitz das Spiel "Das Ausland ist besorgt" und "Im Ausland wird ungleich mehr Geld in vergleichbare Museen investiert". Leider ist diese Taktik vollkommen ausgeleiert und hilflos. Wo keine Resonanz auf nichts existiert - auch die Online-Enquete zur Frage der Zukunft eines Hauses der Geschichte, des Weltmuseums und der Nutzung der Neuen Burg, die morgen zu Ende geht, brachte keine Diskussion in Bewegung -, verpuffen die besten Argumente wie die Abgase eines stotternden Autos. "Das Weltmuseum ist das Bundesmuseum schlechthin, welches sich mit Themen wie kulturellem Pluralismus auseinandersetzt, mit kulturellem Dialog, aber auch mit Kolonialismus. Das sind eminent wichtige Themen in einer vernetzten Weltordnung, die uns alle betreffen müssen!" Ja, was einem da nicht alles einfiele. Mir fällt die letzte Ausstellung ein, die ich im Museum gesehen habe. Denn leider kann man grade in der Hinsicht dem Museum herbe Kritik nicht ersparen. Die affirmative bis zur Täuschung entstellte Darstellung Franz Ferdinands als Sammler und damit als - rehabilitierten (?) - Kulturheros, war ein Tiefpunkt der Ausstellungspolitik des Hauses. Ausgerechnet. Also, auch für ein "Was das Museum nicht alles sein könnte" ist es jetzt verdammt spät.
Dennoch kann niemand ein Interesse an der Marginalisierung oder gar kalten Abswicklung des Museums haben. Sondern nur an einer umfassenden Neupositionierung als kritisches, diskursives und allen genannten Aspekten aufgeschlossenes Museum. 
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß "Die Presse" am 5.12. bereits Wilfried Seipel ermöglicht hat, sich Sorgen um die Situation des Museums zu machen, der durch seine Tätigkeit als Generaldirektor die Zusammenlegung mit dem Kunsthistorischen Museum betrieben hat und wesentlich mitverantwortlich ist für den prekären Zustand des Weltmuseums.
Das wars. Substantielle Äußerung anderer Medien (also solche, die bloß Meldungen der APA raportieren) sind mir bis jetzt nicht bekannt geworden. Viellicht habe ich ja etwas übersehen und bin durchaus dankbar für einschlägige Hinweise.

Freitag, 26. Dezember 2014

Immer dieser Ärger mit den "Fremden". In Paris und in Berlin

Kürzlich wurde die Cité nationale de l’histoire de l’immigration durch den französischen Staatspräsidenten eröffnet. Nicht ungewöhnlich, sollte man meinen. Nur - das Museum gibt es seit 2007. Der nachholende Akt kam zustande, weil damals Nikolaus Sarkozy sich weigerte, das Museum zu eröffnen. Das Museum war 1989 von einem algerischen Immigranten, Zaïr Kedadouche, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftern konzipiert worden.
Aber am 18. Mai 2007 traten acht Akademiker, die den Gremien der Cité de l’immigration angehörten (Patrick Weil, Gérard Noiriel, Nancy Green, Patrick Simon, Vincent Viet, Marie-Christine Volovitch-Tavarès, Marie-Claude Blanc-Chaléard, Geneviève Dreyfus-Armand), aus Protest gegen die von Nicolas Sarkozy veranlasste Gründung eines Ministère de l’immigration, de l’intégration, de l’identité nationale et du codéveloppement (wörtlich: Ministerium für Immigration, Integration, nationale Identität und Koentwicklung) zurück. Da diese Gründung sich ihrer Ansicht nach in „die Spur eines die Immigration stigmatisierenden Diskurses und in die Tradition eines auf Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Fremden in Krisenzeiten basierenden Nationalismus“ einschreibt. Sarkozy, selbst Sohn einer Immigranten-Familie, eröffnete also das Museum nicht und der Stellvertreter, den er schickte, wurde vom Publikum vertrieben.
Nicht nur die „Verspätung“ der offiziellen Eröffnung spiegelt die zahllosen Probleme wieder, die Frankreich mit der Immigration hat, auch die Geschichte des Museums und die seiner Namensgebung reflektiert den sich wandelnden Diskurs über „die Anderen“. 1931 als Kolonialausstellung an der Porte Dorée begonnen und mit einem eigenwilligen Bau ausgestattet, wurde 1935 das Musée de la France d’Outre-mer daraus, dann 1960 das Musée des Arts africains et océaniens das 1990 als Musée national des Arts d'Afrique et d'Océanie zum Nationalmuseum wurde.
Diese jüngste Entwicklung wurde durch die Planung und Errichtung des Musée du Quay Branly ausgelöst, das Sammlungen aus dem gleichzeitig aufgelösten Museum an der Porte Dorée erhielt. Die Gründung der Cité nationale de l’histoire de l’immigration kann man auch als eine Art Kompensation lesen. Nämlich der der Verweigerung des Musée du Quay Brandy, sich diesen Fragen und denen der Kolonialgeschichte selbst zu stellen. Daß nun Präsident Hollande das Museum eröffnet, das schon sieben Jahre offen ist, schließt als Kuriosum nicht die lange Problemgeschichte ab, die die Errichtung der Cité bezeugt. Die gesellschaftlichen Probleme sind virulenter denn je. Sarkozy spricht inzwischen von Immigration als einer Bedrohung der französischen „Lebensart“. Zumindest an der Spitze der Republik und vor allem an der rechten Partei Front Nationale, wird die postimmigrantische Einsicht nicht ankommen, daß die nationalen Identitäten Frankreichs (zweifellos gibt es die nicht im Singular) ohne Immigration und Immigranten nicht denkbar sei.
Aber immerhin. In Frankreich gibt es, wie die genannten Rücktritte und Proteste sowie die anhaltende Debatte in der akademischen Elite zeigen, ein zivilgesellschaftliches Potential. Man läßt nicht alles über sich ergehen. Auch nicht in der Kultur- und Museumspolitik.
Ortswechsel. Berlin. Dort ist das Schloß in Bau. Als Teilrekonstruktion und moderner Neubau ersteht es wieder und soll künftig als ein Zentrum von Wissenschaft und Kunst werden, alles unter dem Titel „Humboldt-Forum“. Ein Zentrum des Projekts sind Teile der bislang in Dahlem ausgestellten ethnologischen Sammlungen. Gegen diese „Eingemeindung“ gibt es schon lange Protest. Denn es zeichnet sich nicht ab, daß dies unter nachdrücklicher Reflexion der Entstehung und Funktion dieser Sammlungen geschehen wird. Man hat eher den Eindruck, daß sie dazu beitragen sollen, die Repräsentativität des ganzen Museumskomplexes der Museumsinseln zu steigern und das dann riesige Ensemble von Museen zu einer weltweit mit anderen Elite-Adressen konkurrenzfähigen Destination des Kulturtourismus zu machen. Affirmation statt Nachdenklichkeit.
Im Gegenteil, sagen Kritiker, die Unterbringung der Sammlungen restauriere ihren brandenburgisch-preussischen kolonialen Kontext. Außerdem sei die Herkunft sehr vieler Objekte, angeblich von tausenden, unklar, viele seien unter Gewaltanwendung angeeignet worden, könnten also gar nicht als rechtmäßiger Besitz der Stiftung Preussischer Kulturbesitz angesehen werden. Last but not least sei der Namenspatron Alexander von Humboldt am Raub menschlicher Überreste beteiligt gewesen.
Das ist für die Stiftung und ihren Präsidenten aber nun der Kritik zu viel. Eine gemeinsam und lange vorbereitete Diskussion der Stiftung Preussischer Kulturbesitz mit dem in einem Bündnis „No Humboldt 21“ zusammengeschlossenen Kritikern, ließ der Stiftungspräsident Hermann Parzinger platzen. Schluß mit der Debatte. Zumindest vorläufig.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Ausstellungstipp in letzter Minute: Weltkulturenmuseum Frankfurt mit "Ware & Wissen"

Sehr angetan haben es mir die Texte in der Ausstellung. Es sind, vor allem im ersten Raum, sehr viele und von Künstlern, Schriftstellern, Wiisenschaftern und der Leiterin des Museums verfasst. Alleine diese Collage aus Texten ist dermaßen reich an Informationen und Fragen, an Reflexion und Nachdenklichkeit, daß ich gerne einen halben Tag dort verbracht hätte, mit dem Katalog durchs Haus flanierend, mit Notizbuch im Foyer sitzend, vielleicht auch im Gespräch mit MitarbeiterInnen. Unglücklicherweise kollidierten meine Reiseplanung mit der Schließzeit des Museums, daß es dann nur zwei, drei Stunden sein konnten.

 Nur noch bis zur ersten Jännerwoche (4.1.) ist im Frankfurter Museum der Weltkulturen die Ausstellung "Ware & Wissen (or the stories you wouldn't you tell a stranger) zu sehen. Die Ausstellung ist der vorläufige Schlußpunkt einer etwa ein Jahr dauernden Recherche zur Geschichte des Hauses und eine vielfältige Selbstbefragung der historischen Sammlungen und der gegenwärtigen Aufgabe des Museums. Unter den ethnologischen Museen, die ich kenne, nimmt das Frankfurter Museum unter Clementine Delisse eine Avantgardeposition ein. Die Selbsterforschung fiel radikal aus und die Debatten, die der Ausstellung vorangingen (und vorbildlich im Katalog eingearbeitet sind) und die Ausstellung sind vielstimmig, facettenreich und originell. Wers gar nicht schafft nach Frankfurt sollte sich unbedingt den tollen Katalog beschaffen. Hier werden Wege angebahnt, wie man mit dem fragwürdigen und problembeladenen Museumstyp 'Völkerkundemuseum' - vielleicht - weitermachen und vor allem weiterkommen kann.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Sterbebegleitung fürs Weltmuseum

"Wir werden redimensioniert". "Cover" des Weltmuseum-Blogs

In einer Kultursendung des ORF Fernsehens wurde über den Baustopp berichtet, der genau in dem Moment von Minister Ostermeyer verhängt wurde, als das Museum eben geschlossen hatte, um seinen "Relaunch" zu beginnen. Bislang galt als zentrale Begründung für den Stopp, daß künftige Betriebskosten eines erweiterten Weltmuseums in den Planungen nicht enthalten und nicht finanzierbar seien.
In der TV-Sendung wollte Minister Ostermeyer offenbar das Bild eines visionären Machers präsentieren. Ich bin hingegangen (ins Museum), sagt er, habe mir die Räume angesehen. Und da sei ihm die Erleuchtung einer Win-Win-Situation gekommen.
Wir, in Verschleierungs-Politspeak geschulte Staatsbürger, wissen inzwischen, daß eine Win-Win-Situation etwas wirklich Herrliches sein muß. Warum - ich fahre in der Schilderung des Erweckungserlebnisses von Herrn Minister Ostermeyer fort -, warum sollte man in den mit ministeriellem Besuch nobilitierten Räumen nicht zwei statt bloß einem Museum errichten? Fragt uns der Minister. Eine rhetorische Frage, denn die Antwort ist sonnenklar. Das versteht jeder. Ein Museum ist gut, aber zwei sind natürlich viel besser. Noch dazu, wenn man zwei zum selben Preis bekommt. Denn, so der Minister, um die für den Ausbau vorhandenen Mittel ginge sich auch noch "Haus der Geschichte" aus. In den Räumen, die für die Erweiterung des Weltmuseums geplant seien.
Der Direktor des betroffenen Museums wird - in derselben Sendung - so deutlich wie bisher noch nie. Österreich macht sich lächerlich, sagt er in die Kamera hinein.
Aber da gibt es nun den Sog, der ansonst kluge und besonnene Menschen zur Idee eines "Hauses der Geschichte" zieht und die nicht nur diese Idee an und für sich und ohne jeden Gedanken an Zweck, Sinn, Inhalt, Form, Autorschaft, Interessen, Machtverhältnisse gutheissen, sondern auch den Standort als zentralen Ort der österreichischen Geschichte (ein Historiker) für ideal halten. Daß - einmalig in der Geschichte der Bundesmuseen - zwei Institutionen offen gegeneinander ausgespielt werden, ist eine Sache, eine andere, daß mit dem "Halt" für das Weltmuseum dieses in eine schwierige Lage gebracht wird. Man kann ja nicht einfach jetzt irgendwie an den alten Plänen herumbasteln und die implizite und gewünschte "Redimensionierung" in Angriff nehmen (was Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums andeutet. Denn so lange weder ein realisierungsreifer Plan für ein Haus der Geschichte vorliegt, also Raumbedarf, Kosten usw. feststehen, kann im Grunde am Weltmuseum gar nichts getan werden außer die Schließung zu verwalten. Hätte man die Schließung vor dem Stopp bekanntgegeben, hätte das Museum eine Chance, wenigsten in dem provisorischen Rahmen, also mit einem schon veralteten, halbherzig realisierten Daueraustellungs-Fragment und diversen Sonderausstellungen und Veranstaltungen sozusagen am Leben zu bleiben. Ohne Perspektive zu schließen, das Museum mit verstreichender Zeit von seinem Stammpublikum abzukoppeln, schickt es aber auf den Weg in ein langsamen Siechtum. Und auch das ist einmalig. Noch nie ist ein staatliches Museum indirekt mit der "Abwicklung" bedroht gewesen.

Hier der Link zur ORF-Sendung: http://tvthek.orf.at/…/Kulturmont…/1303/Kulturmontag/8947109

Samstag, 13. Dezember 2014

Ein Dokument des Versagens. Die staatliche Verwaltung des "Weltmuseums" (Völkerkundemuseums) in Wien als Sterbebegleitung.

Vorbemerkung: Mit Ausnahme eines vor vielen Jahren erschienen Rechnungshofberichts habe ich noch nie ein anderes Dokument zu lesen bekommen, das derart tiefe Einblicke in die Verfasstheit eines Bundesmuseums ermöglicht. Der Text zirkuliert anonym bzw. unter verschiedenen Psedonymen und muß in den letzten Tagen verfasst worden sein, weil er sich bereits auch auf den ministeriell verfügten Planungs- und Baustopp bezieht.
Matthias Beitl, der Leiter des Volkundemuseums, hat diesen Text innerhalb der Online-Enquete zur Zukunft von Weltmuseum, Haus der Geschichte, Neuer Hofburg und Heldenplatz zugänglich gemacht. Mit seiner Zustimmung veröffentliche ich ihn auch hier (er verdient wirklich möglichst weite Verbreitung) und mit seiner Einleitung.

Matthias Beitl: Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Schließungsgenese recht genau zu recherchieren. Dabei wurde im Bereich des Jahres 2010 der Entschließungsantrag von Rot, Grün und Schwarz an Ministerin Schmidt vergessen, der besagt: "Die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur wird aufgefordert, alle rechtlichen, organisatorischen, personalrechtlichen und finanziellen Vorkehrungen zu prüfen, die eine Zusammenführung des Museums für Völkerkunde und des Österreichischen Volkskundemuseums zum Museum NEU (Arbeitstitel) als eigenständige Einrichtung ermöglichen und dem Nationalrat darüber zu berichten." Irgendwie war damals aber keine Lust vorhanden, das auch nur anzudenken. Noch eine Anmerkung zu dem nun folgenden Text: Die Fakten sind gut gelistet, inhaltliche Fragen wie etwa am Schluss zum Namen etc. sind zu diskutieren. Wichtig aber die Frage: Von welchem Beobachtungshorizont weg startet rezente Museumspolitik - und da kann die folgende Aufstellung in Form eines Briefes an BM Ostermayer von Unbekannt etwas beitragen, nach dem Motto von Mitterauer "Damit es nicht verloren geht...":

Anonymus (Peter Heger, bzw. Michael Haberlandt)

Sehr geehrter Herr Bundesminister Josef Ostermayer,

Ihre Argumente zur Redimensionierung des Projekts "Weltmuseum Wien" sind nachvollziehbar. Leider hat man Ihnen zur Beurteilung dieser Angelegenheit ganz sicher nicht alle Fakten zur Vorgeschichte dieses Projekts vorgelegt. Diese Vorgeschichte, nämlich die Geschichte der letzten 15 Jahre des "Museums für Völkerkunde", sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Das was man Ihnen zur Entscheidung auf Ihren Schreibtisch gelegt hat, ist ja vermutlich auch ein Teil dieses Versuchs die historische Wahrheit zu verschleiern, sie zu vergessen bzw. sie nur "etwas einseitig" darzustellen. Was auch immer sie in den kommenden Monaten oder Jahren mit diesem Museum vorhaben ist Ihre alleinige Entscheidung als zuständiger Bundesminister, aber vielleicht wäre es für Sie doch nicht ganz unwichtig diese Vorgeschichte zu kennen. Vielleicht finden Sie die Zeit sich auch die andere Seite der Münze bzw. der Wahrheit anzuhören.
Dies ist die Geschichte:

Die Generalsanierung des Museums für Völkerkunde

Aufgrund zweier Ministerratsbeschlüssen von 1987 und 1990 wurde in der 1990er Jahren ein Bauinvestitionsprogramm für die Bundesmuseen im Gesamtumfang von ATS 3,3 Milliarden Schilling in die Wege geleitet ("Museumsmilliarde"). Mit diesem Investitionsprogramm sollte auch eine Generalsanierung des Museums für Völkerkunde erfolgen, da seit dem Einzug des Museums für Völkerkunde in das Corps de Logis der Neuen Hofburg (1928) keine Investitionen in die bereits stark sanierungsbedürftige Bausubstanz erfolgt waren. In den Kulturberichten des BMUKK (jetzt im Bundeskanzleramt) steht 1998 zu lesen: "Die bis in die 80er Jahre in vielen Bereichen vernachlässigte Gebäudeerhaltung bzw. fehlende Investitionen in museumstechnischer Hinsicht … haben einen gewaltigen Nachholbedarf mit sich gebracht…"
In den Kulturberichten des Bundesministeriums lässt sich (fast) die ganze Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte des MVK und seiner "Generalsanierung" nachvollziehen. Im Kulturbericht 1998 steht weiters zu lesen:
"Die Generalsanierung des Museums für Völkerkunde hat 1991 mit der Neugestaltung von Ausstellungsälen im Mezzanin (Altertum der Neuen Welt, Polynesien, Indianer Nordamerikas) begonnen und fand ihre Fortsetzung mit der Trockenlegung der Fundamente und somit zur Stabilisierung des Klimas in den Depots im 1. Keller.
Ab dem Jahre 1999 werden wesentliche Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, im Zuge derer ein völlig neu gestaltetes, zeitgemäßes, lebendiges Museum für Völkerkunde mit ganz neuen Möglichkeiten entstehen wird."
Der Kulturbericht gibt (nach einer Aufzählung der detaillierten Sanierungs- und Bauvorhaben) die konkreten Eckdaten der Sanierung des Museums für Völkerkunde bekannt:

Baubeginn: Herbst 1999
Bauzeit: Fertigstellung voraussichtlich 2003
Baukosten: ATS 156 Mio. (=11.3 Mio. Euro) Planer: Arch. Sepp Müller
Bauträger: Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten
Burghauptmannschaft in Wien
Einrichtungskosten: BMUK ATS 130 Mio. (Presseunterlage von Dir. HR Dr. Peter Kann).
(Die Schaufläche [Ausstellungsfläche] des Museums wird mit 4.550 m2 ausgewiesen.

Der Kulturbericht 1999 vermerkt, dass in der ersten Bauphase die Generalsanierung der Lichtkuppel über der Eingangshalle vorgenommen wird, sowie dass in den Kellergeschoßen neue Depoträume geschaffen werden. Zur Vorbereitung wurde 1999 ein Zwischendepot für die Auslagerung der gesamten Sammlungsbestände des Museums während der Bauarbeiten angemietet.
Im Jahre 2000 wurden die Bauvorhaben im Museum für Völkerkunde zwar planmäßig weitergeführt, aber sie werden im Kulturbericht nicht weiter erwähnt, da in diesem Jahre im von Frau Ministerin Elisabeth Gehrer geleiteten BMUK beschlossen wurde, das Museums für Völkerkunde (sowie das Theatermuseum) in das Kunsthistorische Museum einzugliedern.

"Die Überleitung der beiden Häuser in das KHM erfolgte per 1. 1. 2001 auf Basis von Einbringungsbilanzen. Dabei wurden die Vermögensgegenstände bewertet und den Passiva gegenübergestellt. Die Saldogröße aus diesen Positionen wurde als Eigenkapital ausgewiesen". Diese Eingliederung wurde mit einer Reihe von angeblichen Vorteilen begründet, wobei "Synergieeffekte im Sinne von Kosteneinsparungen" im Mittelpunkt standen. Auch das Argument, dass die Kosten der Umsetzung der Vollrechtsfähigkeit eingespart werden konnten sind unzutreffend, da jede kleine Firma vollrechtsfähig ist und dafür keineswegs einen aufgeblähten Verwaltungsapparat benötigt. Weshalb hätte das MVK das nicht schaffen sollen, was jeder kleine Greissler oder Wirt ums Eck kann?

Dass der eigentliche Grund dieser "Eingliederung" (mit der das Museum für Völkerkunde seine Unabhängigkeit als eigenständiges Museum verlor) in der angeschlagenen finanziellen Lage des KHM gelegen hatte, lässt sich aus den folgenden Passagen unschwer erkennen:
"Das Budget und die Verwaltung des KHM wurden im Jahr 2001 durch die Eingliederung des Museums für Völkerkunde und des Österreichischen Theatermuseums wesentlich beeinflusst … Das Gesamtbudget des KHM einschließlich MVK und ÖTM wurde für einen vierjährigen Zeitraum aufgestellt und geht von einer ausgeglichenen Gebarung aus … Gegenüber dem Vorjahr konnte die Eigenmittelquote von 48,86% auf 49,7% erhöht werden. Diese Erhöhung resultiert aus der Einbringung des Museums für Völkerkunde und des ÖTM…"
Mit anderen Worten: Das durch die Betriebsführung des damaligen Generaldirektors Wilfried Seipel schwer verschuldete Kunsthistorische Museum, sollte durch die Einbringung des Völkerkundemuseums als Aktivposten die Finanzlage des KHM (ohne direkte Geldzuwendungen des Ministeriums) sanieren. Das Geschenk der Frau Ministerin Elisabeth Gehrer an ihren Parteifreund Seipel war auch eine "feindliche Übernahme", da der damalige Direktor der Museums für Völkerkunde Dr. Peter Kann (im Gegensatz zu Seipel) in den Entscheidungsprozess nicht nur nicht eingebunden war, sondern auch noch vom Beschluss der Übernahme aus den Zeitungen erfahren musste. Als Konsequenz verabschiedete sich Direktor Kann in die Frühpension und das Seipel-Imperium konnte nun ungehindert das MVK als Cash-Cow verwerten.

Der erste Abschnitt der Generalsanierung des Museums für Völkerkunde wurde mit der Fertigstellung der Kellerdepoträume (mit dem Einbau von Rollregalanlagen) im Sommer 2001 noch abgeschlossen. Die in den Kulturberichten 2001 und 2002 folgende Behauptung, dass die "bauliche Generalsanierung des MVK planmäßig weitergeführt wurde" entsprach jedoch schon nicht mehr den Tatsachen.

Die wichtigste Veränderung war, dass ab 2001 alle Gelder aus Bundesmitteln (sowohl die für den laufenden Betrieb als auch jene für die bauliche Generalsanierung des MVK bewilligten und budgetierten Gelder) zur alleinigen Verfügung des KHM ausgezahlt wurden. Der Generaldirektor der Kunsthistorischen Museums Hr. Wilfried Seipel und seine Kaufmännische Leiterin Frau Mag. Gabriele Zugay entschieden nun de facto alleine über alle staatlichen Gelder die für das Museum für Völkerkunde vorgesehenen waren. Dem MVK wurde ab diesem Zeitpunkt jeder Einblick in die Verwendung seines eigenen Budgets verwehrt, es wurde im nunmehrigen "Gesamtbudget der Wissenschaftlichen Anstalt KHM" anonymisiert und nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Interessen des KHM-Gesamtverbundes (aber nicht mehr nach jenen des MVK) eingesetzt. Das war der zentrale "Synergieeffekt". Das Museum für Völkerkunde aber musste ab nun buchstäblich um jeden neu anzuschaffenden Bleistift ins KHM betteln gehen.

Im Juli 2002 wurde Frau Dr. Gabriele Weiss von der Generaldirektion als interimistische Leiterin des Museums für Völkerkunde eingesetzt. Dem mit der Generalsanierung des Völkerkundemuseums beauftragten Architekt Sepp Müller war aber zu diesem Zeitpunkt (mit nicht sehr kultivierten Mitteln) bereits der Auftrag zur Fortführung der baulichen Sanierungsmaßnahmen entzogen worden. Damit war die ursprünglich für 2003 geplante Fertigstellung der Generalsanierung des Museums für Völkerkunde (und die Eröffnung eines "völlig neu gestalteten, zeitgemäßen, lebendigen Museums für Völkerkunde mit ganz neuen Möglichkeiten") schon alleine aus diesem Grund nicht mehr möglich. Stattdessen wurde 2002 ein neuer Auftrag zur "Generalsanierung u. Erweiterung des Museums für Völkerkunde" (im Wert von 20 Mio. €) an den Architekten Dipl. Ing. Martin Bachner vergeben. Der Termin der Fertigstellung der Generalsanierung des MVK wurde damit von 2003 um vier Jahre auf 2007 verschoben. Die eigentlichen Ursachen, Umstände und Konsequenzen dieser neuen Auftragsvergabe und der damit verbundenen zeitlichen Verschiebung wurden jedoch nicht nach außen kommuniziert, der Kulturbericht des Bundesministeriums übergeht diese Fakten mit der irreführenden Bemerkung "Die bauliche Generalsanierung des MVK wurde planmäßig weitergeführt". Für 2002 wurde lediglich vermerkt, dass die Sammlungsobjekte vom Außendepot Korneuburg in die neuen Kellerdepots des Corps de Logis der Neuen Hofburg rückgeführt wurden und eine Konzeptionierung der neuen Dauerausstellungen erfolgte, bauliche Maßnahmen werden jedoch nicht erwähnt; lediglich die vage Absichtserklärung "Die nächsten großen Sanierungsabschnitte umfassen das Dachgeschoß und in weiterer Folge die Schausammlungen".

Im Kulturbericht 2003 wird berichtet, dass "Im Vorfeld der Generalsanierung des MVK … als erste Bauphase" ein Lastenlift eingebaut wurde. Das heißt, im geplanten Jahr der Fertigstellung und Neueröffnung des MVK ist man auf einmal wieder in einem "Vorfeld der Generalsanierung" und einer "ersten Bauphase" angelangt. Der Bericht erwähnt noch einmal, dass die "im Herbst 1999 begonnene Generalsanierung … voraussichtlich bis 2007 abgeschlossen" sein wird und die neuen Ausstellungsflächen (wie schon vor 1999) unverändert 4.550 m2 groß sein werden. Außer dem Einbau des Lastenlifts erfolgten 2003 keine Baumaßnahmen.

Im Kulturbericht 2004 wird bekannt gegeben, dass das Museum am "1. 3. 2004 zur Vorbereitung der Generalsanierung für die Öffentlichkeit geschlossen" wurde. Die 2003 genannte "Vorbereitungsphase" dauert also auch noch 2004 ohne jede konkrete Baumaßnahme an. Für das geschlossene Museum wird jedoch mit 1. 4. 2004 ein neuer Direktor bestellt, Hr. Dr. Christian F. Feest.

Nach der erfolgten Museumsschließung scheinen die Baufirmen unter dem neuen Architekten Dipl. Ing. Martin Bachner allmählich doch von der Planungsphase zu konkreten Bauarbeiten übergegangen zu sein, der Kulturbericht 2005 weist die Fertigstellung des Dachbodenausbaus (Büroarbeitsplätze) mit Ende Oktober 2005 aus. Mit November 2005 wurde mit dem Umbau der Restaurierwerkstätten im Mezzanin begonnen. Unter der neuen Direktion Christian F. Feest wurden die museumsinternen Planungen für die Neuaufstellung der Schausammlungen und Sonderausstellungen für 2007 und 2008 weiterentwickelt, die Museumsbibliothek war (wegen der nun wieder in Gang gekommenen Umbauarbeiten) geschlossen.

Der Kulturbericht 2006 vermerkt, dass die neuen Büroräumlichkeiten im Dachgeschoß der Neuen Burg vom wissenschaftlichen Personal des MVK bezogen wurden und dass die Bibliothek des MVK an ihrem neuen Standort in den Burggartensälen wieder geöffnet wurde. Für 2006 werden keine Baumaßnahmen erwähnt.
Nicht erwähnt wird die Tatsache, dass auf Veranlassung des KHM Generaldirektors Wilfried Seipel beim Dachbodenausbau von den ursprünglichen Bauplänen abgewichen worden war: es wurde weitaus mehr Dachbodenfläche in Büroräume ausgebaut als das MVK eigentlich benötigt hätte. Damit schuf Hr. Seipel zusätzliche Büros für einige Mitarbeiter des Kunsthistorischen Museums. Die damit verbundene Budgetüberschreitung alleine war aber nur ein kleinerer Teil des Budgets der Generalsanierung und erklärt bei weitem nicht den Stillstand der Baumaßnahmen durch Budgeterschöpfung und leere Kassen. Die Frage, inwieweit es seit der "Eingliederung" des MVK 2001 zu zweckentfremdeter Verwendung der für das Museum für Völkerkunde vorgesehenen Bundesmittel gekommen war, wurde nie öffentlich gestellt und schon gar nicht glaubwürdig beantwortet.

Da aber die Finanzgebarung des Kunsthistorischen Museums offensichtlich nun auch die Schmerzgrenze für das (seit 11. Jänner 2007 von Claudia Schmied geleitete) Ministerium überschritten hatte, wurde mit 1. April 2007 dem KHM-Generaldirektor ein kaufmännischer Geschäftsführer zur Seite gestellt (Dr. Paul Frey). Dieser sollte von nun an die Kontrolle über die Finanzen das KHM übernehmen. Diese Teilentmachtung des Generaldirektors führte in der Folge auch prompt zur fristlosen Entlassung der bisherigen kaufmännischen Leiterin Frau Mag. Gabriele Zugay.
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Der Kulturbericht 2007 verzeichnet zwar die Einrichtung eines neuen Shops im Eingangsbereich des Museums, sowie am 8. Mai die Eröffnung einer Sonderausstellung "Benin. Könige und Rituale" im Völkerkundemuseum, dieses wird aber im Anschluss daran, am 3. September 2007, sofort wieder geschlossen. Es wird weiters vermerkt, dass "Die bauliche Erneuerung 2008 abgeschlossen sein soll. Der Zeitpunkt der endgültigen Einrichtung der Schausammlungen sei allerdings noch nicht absehbar." Gleichzeitig erfolgt der Hinweis "Eines der wichtigsten Vorhaben des KHM in den kommenden Jahren ist die Wiedereröffnung der seit 2002 geschlossenen Kunstkammer", nicht jedoch das MVK. Allerdings erfolgte im November 2007 für die Wiedereinrichtung eines einzigen Saales der Schausammlung (Süd-, Südostasien und Himalajaländer) die Ausschreibung und Beauftragung eines Architekten.

Im Jahre 2008 nutzte Generaldirektor Seipel noch einmal die Sonderausstellungsräume des MVK (in denen das Völkerkundemuseum im Vorjahr die Sonderausstellung "Benin" zeigen durfte) für die KHM-Ausstellung "Tutanchamun und die Welt der Pharaonen" (9. März bis 28. September), mit Jahresende musste Wilfried Seipel dann endgültig seine Funktion als Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums zurücklegen. Vorher konnte er noch (am 18. November) die Eröffnung des einen Sales im Mezzanin ("Götterbilder. Südasien, Südostasien, Himalayaländer") als "Teileröffnung des Museums für Völkerkunde" bekannt geben.
Der Kulturbericht vermerkt ferner, dass sich die Leitung des KHMs um "die erforderliche Finanzierung der Neueinrichtung der Kunstkammer bemüht, und Fragen hinsichtlich der weiteren Finanzierung der Neuaufstellung der Schausammlungen im Museum für Völkerkunde zu klären versucht.
Weshalb die mit Baubeginn (1999!) budgetierten Finanzmittel für die Generalsanierung des Corps de Logis der Neuen Hofburg und die vollständige Wiedereröffnung des Museums für Völkerkunde nicht ausreichend gewesen waren, sowie die damit verbundene Frage weshalb das Museum noch immer nicht wiedereröffnet werden konnte, wurde im Kulturbericht 2008 nicht erwähnt.
Bei einer Pressekonferenz anlässlich des 80-jährigen Bestehens des Museums für Völkerkunde bedauerte der scheidende KHM-Generaldirektor, dass sich das Kulturministerium an die ursprünglichen Finanzierungspläne (9,8 Millionen Euro) "klammere" und er von diesem "keine zusätzliche Mittel lukrieren" könne. Der Pressesprecher von Kulturministerin Claudia Schmied meinte, dass man "die neue Leitung der KHM-Gruppe" abwarte. (DER STANDARD vom 27.05.2008). Und so blieb das Museum für Völkerkunde (bis auf einige Sonderausstellungen) auch in den darauf folgenden Jahren de facto geschlossen.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus der bereits fast hoffnungslosen Situation des MVK, wurde seitens der Direktion des MVK (Christian F. Feest) nun Überlegungen vorangetrieben, durch eine Fusion des Völkerkundemuseums mit dem Volkskundemuseum ein neues Museum zu schaffen. Die Idee der historischen Überwindung der Trennung von europäischer und außereuropäischer Ethnologie auf musealer Ebene war verknüpft mit der Hoffnung, sich als neues Museum aus dem finanziellen Würgegriff des Kunsthistorischen Museums zu lösen.
Der Kulturbericht 2009 vermerkt, dass die vom Bundesministerium geförderten Gespräche zur Fusion von Volks- und Völkerkundemuseum weitergeführt wurden. Bauliche Maßnahmen zur Fertigstellung der vor mittlerweile zehn Jahren begonnenen Generalsanierung des Corps de Logis der Neuen Hofburg wurden keine durchgeführt. Sabine Haag wird ab 1. Jänner 2009 Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums.

Im Kulturbericht 2010 erklärt das KHM, dass das vorrangiges Ziel des KHM die Wiedereröffnung der Kunstkammer bleibt, sowie in der Folge der Umbau des zweiten Stockwerks des KHM. Dafür gab es im Sommer 2010 eine Finanzierungszusage des Bundesministeriums, jedoch wieder nicht für das Museum für Völkerkunde.

Die Gespräche zur Fusion von Volks- und Völkerkundemuseum zu einem neuen Bundesmuseum sind gescheitert: Die kaufmännische Geschäftsführung des KHM hatte sich mit dem Argument, dass sich "das KHM eine Loslösung des MVK aus dem KHM-Verbund finanziell nicht leisten könne" gegen diese Loslösung und die Schaffung eines neuen, unabhängigen Bundesmuseums gestellt. Diese Position wurde von Kulturministerin Claudia Schmied übernommen, worauf das Volkskundemuseum letztlich eine Eingliederung in die Oberhoheit des KHM-Verbundes (ein Schicksal ähnlich jenem des MVK) ablehnte. Margot Schindler, die Direktorin des Volkskundemuseums sagte "Wir werden unsere ohnedies nicht gute Position nicht noch weiter verschlechtern."

Um ein Scheitern der Bemühungen der letzten Jahre im letzten Moment zu verhindern, wandte sich der Direktor des Völkerkundemuseums, Christian F. Feest , in einem offenen Brief an das Ministerium und an die Kultursprecher des Parlaments um "seiner Sorge um die Zukunft des Hauses" auszudrücken. Das führte dazu, dass die Ministerin im Parlament Stellung zu dieser Angelegenheit nehmen musste, sie äußerte sich dort dahingehend, dass sie sich "die Gründung eines neuen Bundesmuseums wegen der finanziell angespannten Situation nicht vorstellen könne". Darüber hinaus äußerte sie im parlamentarischen Kulturausschuss auch ihren Unmut über Feests Brief und sprach von "Konsequenzen", die dieses Verhalten nach sich ziehen könnte (Der Standard, 14.10.2010).

Diese angedeuteten Konsequenzen ließ sie bereits Tags darauf durch die Geschäftsführung des KHM einleiten: Der Direktor wurde in die Generaldirektion zitiert und ihm mitgeteilt, dass sein Brief einen Grund für eine fristlose Entlassung darstellt. Er habe den Dienstweg nicht eingehalten und einen schweren Vertrauensbruch begangen, da die Vertretung des Völkerkundemuseums nach außen hin alleine in der Kompetenz der Generaldirektion liege. Unter der Auflage sich jeder weiteren öffentlichen Stellungnahme zu enthalten, wurde die fristlose Entlassung dann jedoch in eine einvernehmliche Auflösung seines Dienstverhältnisses abgemildert. Allen Mitarbeitern des MVK wurden im gleichen Atemzug derselbe "Maulkorb" verpasst, sodass von nun an nur mehr die offizielle Position des KHM kommuniziert werden durfte.

Damit war das Museum für Völkerkunde 9 Jahre nach seiner finanziellen Entmündigung (Eingliederung in den KHM-Museumsverbund) im Jahre 2010 endgültig verstummt. Die alleinige Vertretung bzw. Verwertung des MVK obliegt nun alleine der Geschäftsführung des KHM, wobei dessen Generaldirektorin Sabine Haag zunächst die interimistische Leitung des finanziell ausgebluteten und nun auch enthaupteten Museums übernahm. Von einer Fertigstellung der Generalsanierung und der Wiedereröffnung der Ausstellungssäle wurde nicht mehr gesprochen.

Der Kulturbericht 2011 verzeichnet außer zwei Sonderausstellungen ("Mao" und "Wald") keinerlei Maßnahmen zur Wiedereröffnung des Museum für Völkerkunde.

Im Kulturbericht 2012 wird die Berufung des Holländers Dr. Steven Engelsman als neuer Direktor des MVK mit 1. Mai 2012 bekannt gegeben. Mit ihm soll für das MVK "eine neue Periode anbrechen, in deren Zentrum die Neukonzeption des Hauses innerhalb von fünf Jahren steht". Neben dieser weiteren Verschiebung der Wiedereröffnung um einige weitere Jahre wird auch noch mitgeteilt, dass das Mitarbeiter-Team des Museums "durch einen grundlegenden Reorganisationsprozess strukturiert wird", wobei man sich eine gänzlich neue Abteilung "Marketing und Kommunikation" insbesondere für einen neuen "Markenauftritt" leisten wollte. Für dessen Leitung wurde ein Herr Nikolaus Putnik angestellt, die Notwendigkeit dieser neuen Marketingabteilung für ein großteils geschlossenes Museum wurde jedoch vom KHM nicht erläutert. Jedenfalls wurde im November 2012 dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ein Konzept zur Neuausrichtung des Hauses als "WeltmuseumWien" präsentiert. Weiters wird noch mitgeteilt, dass die Umsetzung des Konzepts 2013 beginnen und bis Ende 2016 abgeschlossen sein soll. Bauliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ausstellungssäle wurden auch 2012 keine gesetzt.

Der Kulturbericht 2013 dokumentiert gleichzeitig mit der Eröffnung der Sonderausstellung "Getanzte Schöpfung" im April 2013 die Bekanntgabe des neuen Markennamen "Weltmuseum Wien". Die Folge dieser unnötigen und unglücklichen Umbenennung: das Museum für Völkerkunde mit seiner langen Geschichte und den letzten 10 Jahren seines Siechtums wird vergessen. Und je mehr Marketing für dieses neue "Weltmuseum Wien" gemacht wird (von dem aber keiner so genau weiß, was das eigentlich ist), desto weniger wird man sich an das alte Museum für Völkerkunde erinnern. Jedenfalls wurde in einem groß angelegten Auswahlverfahren ein internationales Architektenteam ausgewählt, das nun um 27 Millionen Euro das Corps de Logis der Neuen Hofburg noch einmal (!) zu einem neuen "Weltmuseum Wien" umbauen soll. Weshalb es nun nicht mehr genügen sollte, einfach nur die seit vielen Jahren im Baustellenzustand leer stehenden Ausstellungsräume fertig zu sanieren und mit neuen Ausstellungsinhalten zu füllen, wurde weder von der KHM-Generaldirektion noch von dem von ihr bestellten neuen holländischen Direktor plausibel erklärt. Die logische Variante des Fertig-Sanierens hätte vermutlich nur einen Bruchteil gekostet.

Im November 2014 wird auch dieses Projekt vom neuen Kulturminister Josef Ostermayer gestoppt. Der Stopp wurde nicht nur wegen der neuerlichen Umbaukosten verfügt, sondern auch deshalb, weil laut KHM für den laufenden Betrieb des fertig gestellten Museums eine Erhöhung der Basisabgeltung von mindestens zwei Millionen Euro pro Jahr nötig gewesen wäre. Diese Zahlenspielerei des KHM basiert auf einer irrigen Grundannahme: das KHM geht von den jährlichen Beträgen aus, die es zur Zeit (bzw. in den letzten Jahren) für den Betrieb des (geschlossenen bzw. großteils geschlossenen) MVK aufwenden muss, nicht jedoch von den Beträgen, die das MVK vor seiner Eingliederung für seinen Normalbetrieb zur Verfügung hatte. Diese Betriebskosten waren (und wären es vermutlich auch heute noch) durch die Basisabgeltung für das MVK gedeckt! Ein geschlossenes Museum ist natürlich ein billiges Museum. Das KHM hat 13 Jahre lang mit einem großteils geschlossenen Völkerkundemuseum seine eigenen Finanzen aufgebessert, da ist es ja nur nahe liegend bei einer künftigen Wiedereröffnung nicht auf das lieb gewonnene Zubrot aus der MVK-Basisabgeltung zu verzichten, sondern einfach gut 2 Mio. Euro mehr vom Bund zu verlangen. Dann ist die KHM-Welt wieder in Ordnung und es kann den im Jahre 2001 erlangten Völkerkunde-Bonus auf ewig weiter für seine eigenen Projekte verwenden. Soweit der Stand der Dinge bis heute.
Es ist nur zu hoffen, dass der jetzige Bundesminister den Wert des geschundenen "Museums für Völkerkunde" in der österreichischen Kulturlandschaft erkennt und sich nicht von der Geschäftsleitung des Kunsthistorischen auf der Nase herumtanzen lässt. Das "Weltmuseum Wien" braucht niemand. Aber es ist vielleicht die letzte Chance, das "Museum für Völkerkunde" wieder in seine Rechte einzusetzen.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Steven Engelsman. Direktor des Wiener Weltmuseums. Von der Politik im Stich gelassen

Über Martin Fritz und die eben von ihm und Kolleginnen und Kollegen gestartete Online-Enquete „Zur Zukunft von Weltmuseum, Haus der Geschichte, Neuer Hofburg und Heldenplatz“ bin ich auf einen interessanter Clip (hier, auf YouTube: http://youtu.be/xClJY5jlmxI) aufmerksam geworden. Ein sichtlich angezipfter aber professionell Haltung bewahrender Direktor des Weltmuseums, Steven Engelsman sagt einerseits klar, unter diesen politischen Umständen, dem Stopp durch Minister Ostermeier, müssen wir zurück an den Start. Eben hätte der Umbau, also die Erweiterung und Neugliederung wie Neuaufstellung des Museums beginnen sollen. Nun, man kann sich ja wirklich nicht vorstellen, einfach ein paar Quadratmeter aus den Plänen zu radieren, also heißt das ja noch mal Überarbeiten des Konzepts und das heißt wiederum, daß Zeit verstreicht und sich alles wiederum hinausschiebt.
Was aber darüber hinaus das eigentliche Dilemma ist, dass das Wiener Museum genau das Potential von dem er spricht nicht ausschöpft. Aus der niederländischen Perspektive, wo er manches Museum im Auge haben kann, das in der Tat moderne Museumsarbeit macht, mag er auf die Diskrepanz von Wien zur übrigen Welt hinweisen dürfen, wie er es in dem Interview macht und auf die dringende Notwendigkeit einer Neupositionierung bestehen. Nur so stimmt der Vergleich leider auch nicht. Was ich in Frankreich, der Schweiz oder Deutschland kennengelernt habe, zeugt eher vom Dilemma eines letztlich kolonialen und paternalistischen Museumstyps, kann also mehrheitlich nicht gerade als vorbildlich oder als alternativ zu Wien hingestellt werden. Die derzeit große Ausnahme ist Frankfurt. An ihm könnte man ermessen, wenn jemand den Vergleich überhaupt anstellte, wie groß die Kluft der Ausstellungspraxis des Wiener Museum zu einem Museum wie Frankfurt ist, das in seiner Forschungs- und Ausstellungstätigkeit rabiat neue Wege geht. Schade ist es um die großartige Sammlung, schade um das Potential, von dem der Direktor spricht, angesichts der langen Schließzeit (die kaschiert wird durch die Sonderausstellungen eine Art Preview-Fassung einer künftigen Dauerausstellung, die so nie weiter entwickelt werden wird). Ein zweiter Clip, einer vom Juli 2013, zeigt Direktor Engelsmann noch wesentlich entspannter. Da stellt er das neue Konzept vor und stellt unmissverständlich klar, daß er den herkömmlichen Typ des Völkerkundemuseums für obsolet hält. (Dieser Clip hier: https://www.youtube.com/watch?v=GhefMJWqKeo). Es ist bitter, daß so jemand nicht nur nicht die nötige Unterstützung durch die Politik erfährt, sondern jetzt - mit ungewissem Ausgang - regelrecht ausgebremst wird.

Sonntag, 30. November 2014

Das "Weltmuseum" scheitert zum zweiten Mal

Minister Ostermeyer ist ein kluger Mann. Er stoppt ein Museumsprojekt, dessen Mehrkosten mittelfristig nicht finanzierbar sind. Kluger Mann. Endlich einmal ein Politiker, dem ein nachhaltig gesichertes Vorhaben wichtiger ist, als seine Eröffnungsrede und das Lächeln in die Kameras.
Minister Ostermeyer ist ein unfähiger Politiker. Er stopp ein Projekt, das seine Vorgängerin im Amt auf den Weg gebracht hat und das längst konzipiert ist und in etwas mehr als zwei Jahren fertiggestellt sein sollte. Er stoppt es, weil er nach Monaten der Vorbereitung draufkommt, daß Teile der Finanzierung nicht im vorliegenden Konzept enthalten sind. Er gefährdet die Neuaufstellung eines Museums, das seit vielen Jahren nur einen Bruchteil seiner Sammlung zeigen kann.

Die Rede ist vom Weltmuseum in Wien.

Ja, man kann es so oder so sehen. Kluger Minister & unfähiger Minister. - "Wir sperren das Völkerkundemuseum nicht zu" sagt er. Es ist aber zu. Seit 3. November. Wegen der anstehenden Umbauarbeiten. Jede Verzögerung, die jetzt eintritt, bedeutet eine Verlängerung der Schließzeit des kompletten Hauses. Das ist für jedes Museum eine unangenehme Situation. Es verliert den Kontakt zu seinem Publikum und tritt in der öffentlichen Aufmerksamkeit nach hinten.

Damit es noch unübersichtlicher wird bringt der Minister zwei andere Projekte ins Spiel, die man "seit langem diskutiert" - den Tiefspeicher für die Nationalbibliothek (für die Ortsunkundigen: sie befindet sich im selben Gebäude wie das Weltmuseum) und das Haus der Republik. Das ist die Idee eines Historischen Museums der Geschichte Österreichs seit etwa 1914, das im Regierungsprogramm enthalten ist.

27,5 Millionen sind für den Umbau des Völkerkundemuseums vorgesehen. Die nicht einbezogenen Mehrkosten für den Betrieb sollen 2,8 Millionen betragen. Pro Jahr. Frage: wie soll sich eine Einsparung ergeben, aus der ein Republikmuseum finanzierbar wäre. Ein Museum, bei dem nichts existiert, keine Räume, kein Personal, keine Sammlung. Und der Tiefspeicher muss gebaut werden. Irgendwann, aber in nicht zu ferner Zeit. Man kann die Bücher künftig ja nicht in den Parkanlagen um die Neue Burg stapeln.

Zwischen den Zeilen wird angedeutet, daß überlegt wird, wie zwischen dem Weltmuseum und dem Haus der Geschichte Verbindungen hergestellt werden könnten. Abgesehen von vereinzelten Aspekten fällt mir dazu nicht viel ein, aber vielleicht bin ich dafür blind. Nur: das hatten wir schon mal. Um das Volkskundemuseum zu retten, sollte es mit dem Völkerkundemuseum, wie es damals noch hieß, zusammengelegt werden. Das erarbeitete Konzept dokumentierte das folgende Scheitern. Beide Institutionen wollten unangetastet nebeneinander bestehen bleiben und gemeinsame Projekte verwirklichen.

Minister Ostermeyer fordert vom "Weltmuseum" eine "Kurskorrektur". Was er damit meint, läßt er offen. Das Wort "Kurskorrektur" ist freilich rein pragmatisch gemeint. "Redimensionierung" lautet der Ausdruck, den die Direktorin des Kunsthistorischen Museums, dem das Weltmuseum unterstellt ist, verwendet. Also Verkleinerung. Trotzdem. Der Baubeginn wird nicht verschoben, die Eröffnung möglichst auch nicht. Wie geht so etwas, ohne neuerlich am Konzept des Weltmuseums nachzubessern? Und: es wird der "Business-Plan" an die "Basisabgeltung" angeglichen. Übersetzung: Man wird - wo? - streichen und kürzen, um mit der seit Jahren bekannten und "gedeckelten" (begrenzten) Finanzierung durch den Staat auszukommen.

"Kurskorrektur", das Wort gefällt mir. Vor allem in Zusammenhang mit dem "Weltmuseum". Denn was dieses Museum (dringendst) nötig hat, sind nicht mehr Ausstellungsfläche und neues Design und eine mehr Aufmerksamkeit weckende Gestaltung der Flächen vor dem Museum, sondern eine inhaltlich-konzeptionelle Kurskorrektur.

Das Völkerkundemuseum, das nun Weltmuseum heißt, hat also einen neuen Namen. Aber die alte Ideologie. In diesem Blog sind mehrere Ausstellung ausführlich kritisiert worden. Das kann man nachlesen, ich kann das hier nicht alles noch einmal aufrollen. Was dem Museum hautsächlich fehlt, ist Selbstkritik, Prüfung seiner Rolle, seiner Aufgabe. Es zeigt sich in vielen, in nahezu allen seinen wichtigen Ausstellungen tief unfähig zur Selbstreflexion, Was andernorts längst an ethnologischen Museen kritisiert wird und an manchen namhaften Häusern auch praktisch umgesetzt wurde, hat in Wien nicht stattgefunden. Eine Aufarbeitung der Geschichte der Völkerkundemuseen, des eigenen Hauses, die Überprüfung des eigen Standortes wie des eigenen Blicks auf "die Anderen".

Steve Engelsman, der Direktor des Hauses, kommt aus den Niederlanden und hat an leitender Position große Erfahrung auch mit Fragen der Neupositionierung der Völkerkundemuseen mitgebracht. Er kommt aus einem Land, das mit seiner kolonialen Vergangenheit in vielen einschlägigen Museen reflexiv, selbstkritisch, um Aufarbeitung und Vermittlung bemüht umgeht. Dieses Bemühen kommt dort aus den Museen selbst und wird von der Kulturpolitik unterstützt. Als ich zuletzt in Amsterdam war, erzählten mir Kuratoren des Tropenmuseums (wie dort das Ethnologische Museum heißt), daß gegenwärtig unter den Museen eine Grundsatzdebatte geführt werde bis hin zur möglichen Auflösung des Typs "Völkerkundemuseum".

Ich habe von Engelsmann manches über die Veränderung des Marketing, den Umbau, gestalterische Maßnahmen um das Museum herum und anderes mehr gehört. So gut wie nichts zu Zielen und zur Veränderung von Zielen und Arbeitsweisen. Die Ausstellungspolitik hat sich nicht geändert. Und es gibt kein Anzeichen dafür, daß sie sich ändern wird.

Und es ist wie immer (wie immer?). Niemand, wirklich niemand, diskutiert darüber. Business-Pläne, ja. Budgetabgeltung, ja. Eröffnungsdatum, ja. Sonst nichts.


Donnerstag, 15. November 2012

Die sogenannte Federkrone Montezumas. Unschuldskomödien um ein fragwürdiges Objekt

"Mexiko will Montezumas Federkrone nur ausborgen", beruhigte uns Barbara Petsch gleich mit der Schlagzeile eines Artikels der im Jänner 2011 erschien. Damals hatte es ja noch geheissen, daß man an eine Ausleihe auf Zeit denken könne, aber nur dann, wenn es keine konservatorischen Bedenken gäbe, und man ahnte schon damals, weiles ja konservatorische Bedenken immer geben kann, daß das mit dem Herborgen nichts werden würde. Tatsächlich, wir erfahren nun, fast zwei Jahre später, daß das nichts wird. Die Federkrone ist zu fragil, ein Schiffstransport käme nicht in Frage und ein vibrationsfreier Flug sei nur mit einem etwa dreihunder Meter langem Flugzeug machbar (sic!).
Es natürlich blöd, wenn man voll des guten Willesn ist, daß ein solches Flugzeug nicht existiert. 76 Meter ist das längste Flugzeug derzeit, da wird es also noch dauern mit dem Verborgen.

Die Federkrone war schon bei ihrer "Wiederentdeckung" eine Ruine. Achtlos lag sie Jahrzehnte in einem Schrank des Naturhistorischen Museums und drohte zu Staub zu zerfallen, als jemand entdeckte, daß das ein ganz ungewöhnliches Objekt sein müsse. Noch war niemand in der Lage, es zweifelsfrei zu identifizieren und so wurde eine eingreifende Restaurierung, die partiell eine Neuanfertigung war, auf der Grundlage unsicherer, wie sich später herausstellte irriger Annahmen gemacht. Die Identifizierung als Kopfschmuck durch eine US-Forscherin gegen Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte dann die projektive Übertragung auf Montezuma.

Was nun? Also, stellen wir halt nach jahrelanger Pause die Federkrone wieder mal aus, in Wien, im Völkerkundemuseum, schließlich gehört er, wie auch der Kultursprecher der Grünen versichert, "uns". "Pracht und Passion" wird die Ausstellung heißen, in die der "Penacho" (eine neue Sparchregelung, die hilft, die Peinlichkeit zu umschiffen, wieviel Montetzuma denn nun wirklich an dem Objekt hängt - die richtige Antwort wäre: nichts, kein Funserl). Das mit der "Pracht" verstehe ich ja, aber welche "Passion" bitte?

Die Webseite des Völkerkundemuseums kündigt ihre Ausstellung mit Sätzen an, die zum Feinsten an Verdrehung gehören, was ich so im Zusammenhang mit der Federkrone gelesen ababe. "Steht der Federkopfschmuck tatsächlich in Verbindung mit dem legendären Aztekenfürsten Moctezuma," heißt es da "wie dies in Mexiko noch heute gerne behauptet wird? War er der Kopfschmuck eines Hohepriesters bei rituellen Handlungen? Wie und durch wen kam er wirklich nach Österreich? Dies sind nur einige von vielen Fragen, Mythen und Legenden, die sich um das kostbare Artefakt ranken."
Also einmal spekuliert man selbst noch immer, obwohl das längst, auch durch museumseigene Forschungen widerlegt ist, mit einer Verbindung des Objekts zu Montezuma. Gleichzeitig macht man aber dafür Mexiko verantwortlich, was angesichts des jahrzehntelangen Umgangs des Musuems mit der Herkunft des Exponats schon atemberaubend ist. Nicht zuletzt weil "Federkrone des Montezuma" so eine Art Marke war, mit der Museum reüssieren konnte, wurde damit immer wieder aufgewartet, wiewohl die Forschung das längst nicht mehr deckte. Wenn man nun die Verantwortung auf Mexiko schiebt, impliziert das auf paradoxe Weise, daß dies ja wahrheitswidrig sein könne. Dann würde Mexiko selbst für die Entwertung des Objekts als königlicher Kopfschmuck verantwortlich werden.

Damit belasse ich es mal. Vielleicht habe ich Gelegenheit die Ausstellung zu sehen. Dann mehr davon.

Gottfried Fliedl: "...Das Opfer von ein paar Federn". Die sogenannte Federkrone Montezumas als Objekt nationaler und musealer Begehrlichkeiten. Wien 2001, ISBN 3-85132-313-0.

Mittwoch, 14. November 2012

Der Charme der Barbarei. Das Kongomuseum in Tervuren

1897 wurde in Brüssel auf Veranlassung König Leopold II. von Belgien das Kongo-Museum gegründet. Die politische Vorgeschichte dieses Museums ist die Aufteilung Zentralafrikas unter einigen europäischen Staaten auf der sogenannten Berlin-Konferenz von 1884/85, zu der Reichskanzler Bismarck eingeladen hatte. Ein Ergebnis der Konferenz war, daß der Kongo dem Belgischen König zugeschlagen worden - persönlich und nicht als Repräsentant Belgiens. Leopold hatte diese Annexion gut vorbereitet, unter anderem, indem er sich der Unterstützung des Journalisten und „Entdeckers“ Henry Morton Stanley versicherte. Leopold hatte seine in den 70er-Jahren begonnen Maßnahmen geschickt getarnt. Vom belgischen Staat mit Geld unterstützt, gründete er wissenschaftlich-philantropisch auftretende Organisationen, getarnt, die International African Society und die International Association for the Exploration and Civilization of the Congo.

Ein Drittel des Landes wurde Unternehmern überlassen, zwei Drittel behielt Leopold II. exklusiv für sich persönlich. Der belgische König ist im privaten Besitz eines Territoriums, das 76mal größer ist als Belgien und das er mit einer privaten Armee kontrolliert.
Um Investoren in die afrikanische Kolonie zu bekommen, nahm König Leopold I. die Brüsseler Weltausstellung von 1897 zum Anlass, eine Ausstellung im „Palast der Kolonien“ zu errichten. Sie sollte auch bei einem breiteren Publikum für die Kolonie werben. König Leopold I. und den im Kongo tätigen Firmen ging es vor allem um die Ausbeutung von Rohstoffen, vor allem Kautschuk, das für die Reifenproduktion, für Telefonkabel, Haushaltsartikel usw. eben gerade als Rohstoff wichtig und kostbar wurde und um Elfenbein. Die Ausstellung wurde auch nach Schließung der Weltausstellung gezeigt und der französische Architekt Charles Girault wurde 1904 mit den Planungen für ein eigenes Museumsgebäude beauftragt.

1910 wurde von König Albert I. das „Museum Belgisch Kongo“ eröffnet. 1952 erhielt es den Zusatz „königlich“. Zwei Jahre nach der Weltausstellung Brüssel wurde das Museum 1960 schließlich in Königliches Museum für Zentralafrika umbenannt. Bei dieser Weltausstellung, also kurz vor der Unabhängigkeit des Kongo 1960, vermittelte das Museum noch ein harmonisches Zusammenleben im und eine ebenso harmonische bilaterale Kooperation mit dem Kongo.

1998 erschien das Buch "Leopolds Ghost" des Historikers und Journalisten Adam Hochschild, der sich wesentlich auf ältere, z.T. zeitgenössiche Untersuchungen beziehen konnte. In Reaktion darauf richtete das Museum eine Ausstellung aus, die sich der Geschichte des Kongo als „Freistaat“ im privaten Besitz von Leopold I. (1885-1908) bezog ("The Memory of Congo" 2005), die von Hochschild als zu einseitig kritisiert wurde. Es flammte eine Kontroverse um das Ausmaß der Verbrechen und die persönliche Verantwortung Leopolds auf.

Umstritten war vor allem die Einschätzung der Verbrechen als Völkermord, der an die 10 Millionen Tote – eine Halbierung der Bevölkerung - gekostet hätte. Vorsichtigere Schätzungen gehen immerhin noch von der Tötung – durch Ermordung, Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten -, von etwa 20% der Bevölkerung aus.
Durch diese Kontroverse wurde spät das Ausmaß und die Barbarei der Kolonialpolitik Leopold I. bekannt. Zeitgenössische Untersuchungen hatten bereits unglaubliche Dinge ans Licht gebracht, aber Leopold gelang es, mit Medienkampagnen gegenzusteuern. Zu den Grausamkeiten gehörte Zwangsarbeit durch wie Sklaven gehaltenen Einheimischen. Um die Einhaltung von Erntenormen zu erzwingen, gehörte das Töten säumiger Arbeiter, denen zum Beweis, daß sie auch wirklich getötet worden waren, die Hände abgehackt wurden. Das führte dazu, daß Hände zu einer Art Währung im Tausch mit Patronen wurden, weil sie als Beweis dienten, daß sie wirklich zum Töten und nicht etwa zum Jagen verwendet worden waren. Das wiederum hatte dazu geführt, daß Menschen, auch Kindern, bei lebendigem Leib Gliedmaßen abhgehackt wurden, nur um einen „Beweis“ für eine Tötung zu sichern.

Als die Nachrichten über die Zustände im Kongo nach und nach öffentlich bekannt wurden, entfesselte Leopold eine beispiellose Medienkampagne, in der es ihm gelang, den Berichten ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen. 1902 erschien Joseph Conrads "Reise ins Herz der Finsternis", ab 1903 begann der englische Jornalist E.D. Morel seine Untersuchungen zu publizieren und Einfluß auf die Haltung der englischen Politik zu nehmen. 1904 wurde ein umfangreicher Augenzeugenbericht des britischen Konsuls Roger Casemont veröffentlicht. Leopold I. wurde gezwungen, eine belgische Untersuchungskommission einzusetzen und die bestätigte den Bericht Casemonts. Das alles führte zu einer breiten Initiative, die als erste weltweite humanitäre Bewegung gilt und der neben den genannten etwa auch Mark Twain und Bertrand Russel angehörten. Die Kampagne bewirkte, die Beschlüsse der Berlinkonferenz zu revidieren.

1908 übernahm der belgische Staat den Kongo. Die Herrschaft Belgiens dauerte bis 1960. Als am 30. Juni 1960 der Festakt der Unabhängigkeit des Kongo stattfand, antworte der erste, durch freie Wahlen legitimierte Ministerpräsident des Landes, Patrice Lumumba in seiner öffentlichen Rede auf die affirmative und den Kolonialismus rechtfertigende Ansprache des belgischen Königs Baudoin mit einer scharfen Kritik an der Kolonialpolitik. Er kündigte Demokratisierung und Verstaatlichungen an, was sofort Belgien und die USA zu Gegnern machte. Nicht einmal sieben Monate später, am 17. Jänner 1961, wurde Patrice Lumumba ermordet, wie man heute ziemlich sicher zu wissen glaubt, von belgischen Militärs und Geheimdienstlern, die dem CIA, der ihn ebenfalls beseitigen wollte, zuvorkamen.

Das Museum in Brüssel-Tervuren heißt heute Musée Royal de l'Afrique Central. Man hat in den letzten Jahren immer wieder von Veränderungen gehört, die sollten aber behutsam vor sich gehen, hieß es. Eine energische und nachhaltige Konsequenzen aus den einschlägigen Forschungen und Debatten hat man bis jetzt nie gezogen. Nun ist eine zweijährige Schließung (2013 bis 15) angekündigt, während der die Dauerausstellungen erneuert werden soll. Allerdings ist da in erster Linie von einer Renovierung des hundert Jahre alten Gebäudes die Rede und der Direktor sagt (auf der Webseite des Museums) dazu: "Der einzigartige Charme dieses denkmalgeschützten Gebäudes bleibt sicher bewahrt, aber sowohl szenographisch als auch inhaltlich war eine Renovierung notwendig."

Seine Begrüßungsworte enthalten keinen einzigen Hinweis auf die Kolonialgeschichte, auf Leopold I. und den Kongo. Stattdessen versichert er uns der Bedeutung des Museums: ""Das Königliche Museum für Zentralafrika (KMZA) hat den Ruf, eines der schönsten und beeindruckendsten Afrikamuseen weltweit zu sein. Seit Gründung 1898 besteht der Auftrag des Museums darin, Sammlungen aufzubewahren und zu verwalten, wissenschaftliche Untersuchungen zu führen und der breiten Öffentlichkeit Kenntnisse über die Aktivitäten des Museums im Bereich Bildung und Wissenschaft zu vermitteln. Das Museum nimmt aktiv an der nachhaltigen Entwicklung von Afrika teil und will ebenfalls Zentrum für Begegnungen und die Überlegung über das gegenwärtige Afrika und seine Problematik sein. Unsere vielfältigen Sammlungen haben einen hohen wissenschaftlichen Wert und sind in zahlreichen Bereichen einzigartig. Gegenwärtig werden große Teile dieser Sammlung digitalisiert, damit sie für Forscher auf der ganzen Welt zugänglich werden."

Unter dem Stichwort "Geschichte" (des Museums) liest man: "Am Ende des 19. Jh. konnte Leopold II. seinen Wunsch erfüllen und dem kleinen Land Belgien eine Kolonie verschaffen. Und sehr schnell fühlte er den Bedarf, sein Kongo der belgischen Bevölkerung zu zeigen...Um die 'Entwicklungs- und Bildungsarbeit' von Belgien im Kongo besser bekannt zu machen und um der belgischen Bevölkerung einen besseren Einblick in die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Gebietes zu geben, wollte Leopold II. eine Art Museum oder 'Schaufenster' über sein Kongo einrichten...Im Park wurden neben vielen anderen Attraktionen verschiedene kongolesische Dörfer aufgebaut. Ferner wurden in einem unterirdischen Verbindungsgang besondere und eigenartige Süßwasserfische aus Kongo gezeigt. Diese Ausstellung wurde zu einem enormen Erfolg mit mehr als 1,2 Millionen Besuchern in sechs Monaten."

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Ein Museum: Muzeum romské kultury


Motto:
We are a space where different cultures meet. We preserve examples of Romani cultural history as part of Europe's heritage.
We educate the younger generation to be tolerant and appreciate other cultures.
We are committed to fighting xenophobia and racism.
We are paving the way to a new understanding of the roots of Romani identity.
All this we do in the name of mutual understanding.
For a dialgoue of cultures.
For us.

Museum of Romani Culture was founded in 1991 in Brno, Czech Republic based on the initiative of Romani and non-Romani Czech intellectuals and experts and with support from the Czech Ministry of Culture. The mission and activity of the museum follows the heritage of the Association of the Gypsies-Romanies (1969 – 1973). It is the first, and so far the only, institution of its kind in Europe. Its aim is the expert collection of records and documents which give evidence of the material and spiritual culture of the Roma and their coexistence with the majority population from the past to the present time. In 2005, the Museum of Romani Culture transformed into a state institution under the Ministry of Culture of the Czech Republic. (Museumswebseite)






Dienstag, 31. Juli 2012

Das Wiener Völkerkundemuseum. Was sein neuer Direktor so vorhat

Das Völkerkundemuseum in Wien hat viele Probleme. Es hat zu wenig Geld und es zeigt nur einen Bruchteil seiner Sammlung. Wichtige Sammlungen und Objekte sind schon seit vielen Jahren nicht mehr zu sehen. Eingegliedert in das Kunsthistorische Museum, hat das Museum offenbar einen nur eingeschränkten Handlungsspielraum.

Wer das Museum besucht, spürt, wie sehr das Museum gewissermaßen nur 'ausgedünnt' agieren kann, es gibt wenig Personal, aber auch wenige Besucher, viel Leere.

In dieser Situation wurde eine eigentümliche Bestellung vorgenommen. Steven Engelsmann, als Kurator und Direktor angesehener niederländischer Museen erfolgreich, wurde zum Direktor ernannt. Aber er steht am Ende seiner Karriere und wird, wie er selbst betont, 2017 das Museum wieder verlassen.

Signalisiert das nun Aufbruch oder abgeklärtes Verwalten?

Steven Engelsmann verspricht ein Konzept zum Ende dieses Jahres vorzustellen. Bis dahin kann man sich an einige Äußerungen in Pressekonferenzen halten. Etwa die, daß das Völkerkundemuseum das "unbekannteste Museum Wiens" sei.

Das mag überspitzt sein, drückt aber aus, daß das Museum wie auch das technische oder volkskundliche oder das kommunale historische alle unter der Dominanz der 'Kunst'Museen leiden. Auf sie konzentriert sich schon seit Jahrzehnten das Publikum, die mediale Aufmerksamkeit und die Politik. Und in der scheinbar unvermeidlichen Statistik der Museumsbesuche hat man stets die hinteren Plätze.

Die Antwort darauf, die Engelsmann gibt: das Museum muß unterhaltsamer, sichtbarer werden: „Das Wichtigste ist, dass sich der Besucher nicht langweilt, sondern etwas von den Ausstellungen hat“. Er brauche einen Experten, „der weiß, wie man ein Besuchererlebnis moderieren kann“ und einen fürs „Branding“, für eine neue Positionierung des Museums.

Als Einzelmaßnahmen nannte der Direktor unlängst als "unglaublich wichtig" einen Gastronomiebereich, mit dem, ich zitiere aus dem KURIER, "ein ganz anderes Museum" entstünde und 'optische Locksignale' wie "einen riesigen goldenen Buddha".

Zu einer über Branding angestrebten Neupositionierung gehört offenbar für Museen immer auch eine Namensänderung. Also soll auch der des Völkerkundemuseums geändert werden, denn der derzeitige sei zu "kompliziert". Er überlege als neue Bezeichnungen etwa "Der Kaiser und die Weite Welt" oder "Die Internationale Schatzkammer Österreichs".

Beide Vorschläge sind merkwürdig. Die Internationalität eines Völkerkundemuseums ist nicht bloß ein beliebiges Etikett (welches Völkerkundemuseum ist eigentlich nicht international?), sondern spielt mit dem, was an ihm wesentlich - und problematisch - ist. Mit dem Anderen und Fremden, das einem ja nicht so ohne weiteres als Verdienst in den Schoß gefallen ist, das man marketingtechnisch auswringen kann, sondern das unter oft gewaltförmigen Bedingungen, im Kontext wirtschaftlicher, politischer Überlegenheit, also auch unter rassistischen und kolonialen Bedingungen ‘angeeignet‘ wurde.

Aber das Fremde ist auch das, wesewegen es das Museum gibt und weswegen wir hingehen. Kein anderes Museum ist so sehr, um einen Satz von Peter Sloterdijk in Erinnerung zu rufen, Schule des Befremdens, wie ein ethnologisches. Das Museum entscheidet über die Beziehung mit, die wir zum Fremden eingehen können und repräsentiert selbst einen bestimmte Beziehung.

Genau dort liegt aber das wichtigste aller Probleme die das (und nicht nur dieses) Wiener Völkerkundemuseum hat. Seine Arbeit ist von vielen Widersprüchen geprägt, von patrimonialen Elementen, wissenschaftlicher Distanziertheit, die oft ihrer Vorurteile nicht gewahr wird, von Gedankenlosigkeit - etwa im Umgang mit human remains, der eigensinnigen Medialität von Objekten, zum Beispiel der Fotografie. Die Disziplin Ethnologie scheint oft viel reflektierter und differenzierter, als das das, was man in Ausstellungen des Hauses sehen kann und man fragt sich, warum so wenig von den Debatten um diesen Museumstyp - etwa die, die in den Niederlanden, der Heimat des neuen Direktors -, geführt wurden und werden, eine Wirkung zeigt.

Für ein  Schlüsselobjekt, das die Dialektik von Eigenem und Fremden auf immer schon komplexe Weise spiegelte, hat der neue Direktor neue Ideen. War die sogenannte Federkrone Montezumas ein lange Zeit bezüglich der Restituierbarkeit umstrittenes Objekt, das das Museum gegen alle einschlägigen Anmutungen verteidigte, so werde, teilt uns der Direktor mit, nun ,geprüft‘. Eine zeitlich befristete Leihgabe scheint denkbar, aber das Objekt sei nun mal sehr fragil. Falls es nicht ,verreisen‘ könne, werde man es über eine Online-Verbindung ins Museum für Anthropologie in Mexiko City übertragen. Seltsam, diese Bereitwilligkeit, einen virtuellen Ersatz umstandslos mit einem unikalen Objekt gleichzusetzen und damit Mexiko zufriedenstellen zu wollen.

Der zweite Vorschlag für einen geänderten Namen, "Der Kaiser und die Weite Welt", ist ebenfalls höchst fragwürdig. Zwar stammt ein wesentlicher Teil der Sammlungen aus der Zeit des Habsburgerreiches, aber Museumsbesitz war nicht per se Privatbesitz eines Kaisers, außerdem ist das Museum erst 1928 entstanden, also in der Ersten Republik, der Zeit einer ambitionierten aber gescheiterten Museumsreform. Und „Weite Welt“ ist eine reichlich flapsig-beliebige Variante von ,international‘.

Was in den Äußerungen von Steven Engelsmann fehlt, sind inhaltliche und strategische Äußerungen. Wofür soll das Museum seiner Meineung nach stehen, welche Schwerpunkte soll es setzen, wie soll es gegenüber welchem Publikum agieren?

Es scheint nichts schwieriger, als von Wiener Museumsverantwortlichen zu diesen Fragen eine Antwort zu bekommen.

Montag, 19. Dezember 2011

Die Gastfreundschaft der Museen, zum Beispiel der österreichischen Bundesmuseen

Angesichts des Redens vom besucherorientierten Museum oder der dienstleistungsorientierten Besucherfreundlichkeit werden Unfreundlichkeiten am Museum aussterben wie die grantigen Wiener Ober. Sicher! Sicher?
Na sicher nicht! Diese Folklore hält sich auch zäh.
Im eben eröffneten "21" (Museum des 21. Jahrhunderts) frage ich, ob Fotografieren erlaubt ist. "Ja, aber nur die Architektur, nicht die Werke". Ich fotografiere und ich gehe in das Obergeschoss und fotografiere und werde angeschnauzt wie nie mehr, seit ich beim Militär war. "Fotografieren ist hier verboten".
Hektisches hin- und herfunken, jede Aufsicht hat einen Knopf im Ohr und ein Mikro, als ich einwende, daß es vor ein paar Minuten grade noch erlaubt war.
Eine Wachmannschaft wie für einen russischen Oligarchen auf Skiurlaub in Kitzbühel. Und dazu jede Menge Videokameras. Jederzeit kann hier offenbar etwas ganz Fürchterliches losbrechen.
Dann darf ich wieder. Beiseitegemurmelte Entschuldigung.
Der überwachte Besucher. 21er-Haus (2011)

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Am Morgen beschließe ich beim Frühstück, mal wieder das Pathologisch-Anatomische Bundesmuseum aufzusuchen, da käme ich grade um 10 Uhr zurecht, also wenn das Museum öffnet. Und es ist Samstag.
Ich gehe durch das menschenleere, kalte, windige Gelände des Uni-Campus bis ich vor dem 'Narrenturm' stehe, der aussieht wie immer: fast schon ruinös, mit blätternder Fassade. Jetzt gibt es einen Bauzaun rundherum, möglicherweise, weil der Zustand der Fassade schon gefährlich geworden ist.
In einem kleinen Kammerl empfangen mich zwei freundliche junge Frauen, die sichtlich frieren. Im Stehen erledigen Sie mein nicht so völlig unübliches Anliegen, ins Museum gehen zu dürfen, mit handschriftlichen Einträgen in eine Buch, das vor ihnen liegt. Den ICOM Ausweis kennen sie nicht. Sie beraten sich, ohne sachliches Ergebnis, zeigen sich aber großmütig. Ich darf kostenlos rein, nur für die Studiensammlung hätte ich zu zahlen.
Der Raum, in dem wir uns befinden, ist unbeschreiblich. Unaufgeräumt, abweisend, düster, kalt. Der Strom sei ausgefallen. Heuer werde mit einer Renovierung begonnen. Im obersten Stockwerk, leider, denn im untersten liegt die öffentlich zugängliche Schausammlung.
Ich denke mir, nein, warum soll ich mich in ein kaltes, ungemütliches Museum begeben, eins das einen empfängt, als wärs kurz vor dem Zugrundegehen? Ich drehe um, hab ich auch noch nie gemacht. Es gibt besser geheizte, freundlicher empfangende Museen.
Irgendwann wird die Museumsleitung ihre Mitarbeiterinnen ernst nehmen und über das Tarifsystem informieren und sich darum kümnmern, daß die einen vernünftigen Arbeitsplatz bekommen. Irgendwann wird die Museumsleitung entdecken, daß man kein Geld und nur ein paar Ideen braucht, um einen Empfangsraum erträglich zu gestalten (erst mal könnte man aufräumen).
Der sogenannte Narrenturm. So sieht er aus, seit etwa 30, 80, 120 Jahren?

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Im Völkerkundemuseum halte ich mich sehr lange in der Ausstellung über die ehemalige Leiterin, Violetta Becker-Donner, auf. Ich kaufe einen Katalog und wende mich zum Gehen, als hinter mir zwei Besucher nach der Benin-Sammlung fragen. Nein, die Benin-Ausstellung sei schon längst geschlossen, mißversteht der Mitarbeiter die Frage. Ich gehe.
Ich habe es fast bei jedem Besuch erlebt, daß Besucher nach den Sammlungen oder auch nach bestimmten Sammlungsbeständen gefragt haben. Buchstäblich jahrelang gab es auf der Webseite des Museums keinen Hinweis darauf, daß es außer der "Götterbilder"-Ausstellung nichts von den Sammlungen des Hauses zu sehen gibt.
"Aufgrund einer Neukonzeption der Schausammlungen und noch nicht abgeschlossener Sanierungsarbeiten" heißt es nun auf der Webpage,  "ist im Augenblick abgesehen von den Sonderausstellungen nur die Sammlung Süd- und Südostasien und Himalayaländer: Götterbilder zugänglich." Im Augenblick? Welche Neukonzeption?
Im Besucherbuch, hier bemerkenswerterweise 'Beschwerdebuch' genannt, gab es viele und lange Einträge, wo Besucher auf diesen eklatanten Mangel aufmerksam machten. Das Buch ist weg, es war schon vor Monaten weg, und ich denke mir, man will keine Besucherreaktionen mehr. Kein Besucherbuch, keine Beschwerden. Und: Keine Sammlung, bis...??
Die Cafetteria des Museums für Völkerkunde (2011)




Dienstag, 25. Oktober 2011

Neuer Direktor für das Museum für Völkerkunde in Wien bestellt


Mit der Bestellung von Steven Engelsman zum Direktor des Völkerkundemuseums in Wien ist eine interessante Entscheidung getroffen worden. Engelsman ist kein Ethnologe, sondern Mathematiker und kam über ein Wissenschaftsmuseum zu seiner Museumskarriere, die zuletzt in der Leitung des angesehenen Rijksmuseum voor Volkenkunde im niederländischen Leiden.
Er kommt aus einem Land, wo es zum Unterschied von Österreich eine strukturierte staatliche Museumspolitik gibt, in die er zum Experten für Ausgliederung wurde, ein Prozess, der in den sich in den Niederlanden nicht in bloßem verordneten Sparzwang niederschlug. Er kommt mit Erfolgen im Management von Museen nach Wien.
Von meinem letzten Besuch des Tropenmuseums in Amsterdam weiß ich, daß es aktuell eine intensive und grundsätzliche Debatte um den Status der ethnologischen Meseen gibt.
Vielleicht bringt ja der neue Direktor etwas von dieser 'anderen Museumskultur' nach Wien mit. Man darf gespannt sein und neugierig.


Samstag, 30. Juli 2011

La Cité Nationale de l´Histoire de l´Immigration

1931 als Kolonialmuseum gegründet, dann als Mussé des arts d´Afrique et d`Océanie geführt, wurde diese Institution einerseits durch die zeitgenössiche politische - und wissenschaftliche - Entwicklung überholt, aber auch durch die Gründung eines neuen Ethnologischen Museums am Quai du Branly. Nun gibt es am Standort der aufgelassenen und geschichtlich 'erledigten' Museen die Cité Nationale de l´Histoire de l´Immigration.
Ein knapper aber sehr informativer Artikel (samt Links und Literaturangaben) gibt im Standard (hier) einen guten Einblick in die Arbeit und Funktion des Museums.
Und hier etwas zu den Problemen der Cité, sich zu positionieren, das Publikum anzusprechen, den historisch 'belasteten' Ort neu zu definieren und sich in aktuellen politischen Auseinandersetzungen - im November 2010 war das Museum von "sans papiers" (Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung besetzt) zu behaupten.

Sonntag, 17. Januar 2010

Ein Museum als Unschuldskomödie. Musée du quai Branly

Keine prominente und große Museumsgründung der letzten Jahre war und ist so umstritten wie das Musée du quai Branly.

Die Initiative für dieses Museum wird bei dem auf afrikanische Kunst spezialisierten Kunsthändler Jacques Kerchache (1991 verstorben) zugeschrieben, der die Freundschaft des damaligen Bürgermeisters von Paris und späteren Staatspräsidenten, Jacques Chirac, gewann und zunächst eine einschlägige Abteilung unter dem von ihm geprägten Begriff Art premier im Louvre (Pavillon des Sessions, 120 Objekte) durchsetzen konnte.
2006 konnte dann das neuerbaute Museum am Quai Branly (Architekt: Jean Nouvel) eröffnet werden. Das Museum wurde aus den Sammlungen des Musée de l'Homme und des Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie gebildet, das heißt beide Museen wurden aufgelöst.
Das allein löste selbstverständlich Proteste und Widerstand aus, aber mehr noch das Konzept, das sich für das neue Museum abzuzeichnen begann und dessen politische Instrumentalisierung.

Die erwünschte ideologische Prämisse der Neuordnung der Beziehung Frankreichs zu den Kulturen und Völkern schien sich angemessen in einer ästhetisierenden Präsentation (wie man sie in völkerkundlichen Museen eigentlich schon für überwunden geglaubt hatte) am besten verwirklichen zu lassen. Weil dabei die andernfalls unvermeidliche Herkunft des Großteils der Sammlung aus der Kolonialzeit Frankreichs hätte thematisiert werden müssen.

Befürworter des Museums und das Museum selbst heben gerade diese Ästhetisierung als eigentliche Qualität hervor. Den Werken - indem man sie zu Kunst aufwertet - und damit ihren Erzeugern werde, Respekt, Würde und Anerkennung zuteil.

Einst war das ein avantgardistischer Protest: ‚primitive’ Objekte als Kunst aufzuwerten und damit die westliche Hochkunst zu attackieren und den gültigen, westlichen Wertekanon der Künste zu revidieren. Am Beginn des Jahrhunderts hatte Guillaume Appollinaire als erster genau das gefordert, was nun, noch vor der Errichtung des Museums, geschah: eine Auswahl von Werken in einer eigenen und neuen Abteilung des Louvre (Palais des Session) erweiterte das Spektrum der dort repräsentierten Kulturen und Epochen. (Offenbar nicht zur Begeisterung des Louvre selbst. Hinweis von Nina Gorgus. Die offizielle Webseite des Louvre erübrigt für diese Ausstellung nur ein paar Zeilen – als Verweis daß es sich um einen ‚Satteliten’ des Musée du quai Branly handelt).
Die Subversivität der avantgardistischen Beschäftigung mit den bis dahin kaum anerkannten und selten museumswürdigen Artefakten, glaubte man in das Museumskonzept implantieren zu können. Doch es erwies sich als naiv zu glauben, daß es, wie man zunächst vorschlug, heutzutage noch ein Museum mit einer den Art premiers huldigenden Namengebung geben könnte.  Das lag schon phonetisch verdächtig nahe an der‚primitiven’ Kunst.
Das man sich schließlich für die ‚unschuldige’ Namensgebung für das Museum nach der Adresse entschlossen hat, ist ein Indiz dafür, daß auch das Konzept zu widersprüchlich ist, als daß sich ein signifikanter Namen finden ließe.

Was Wolf Lepenies anerkennend 2008 beschrieb, den Respekt, den das Museum den Werken erweist und die Würde, die ihnen gegeben wird, ist schon richtig. Der Eindruck, den ein unbedarfter Besucher wie ich hat, ist tief. Die Objekte die es hier zu sehen gibt, können auch jenseits aller historischen oder funktionalen Kontextualisierung enorm beeindrucken.

Lepenies hat aber auch die Kehrseite des Konzepts benannt. Die ästhetische Vereinzelung der Dinge, die dramatisierende Lichtregie, das akzentierte Hell-Dunkel der Raumflucht, aus der die Dinge magisch hervorleuchten, das alles tut den gewünschten Effekt. Man staune weniger und bewundere mehr, schrieb er. Staunen ist aber eine Quelle des Interesses und der Erkenntnis, bewundern aber eine affirmative Haltung, die fraglos akzeptiert. Und so konzediert auch Lepenis dem Museum, daß das Verstehenwollen in den Hintergrund tritt.
Das ist unter anderem der Architektur geschuldet, die, eingebettet in einen ‚Heiligem Hain’ (Jean Nouvel), mit ihrer bewachsenen Fassade und dem überpointiert liminalen Weg zur Schausammlung genau jene exotisierende und naturhafte Zeitlosigkeit suggerierende Kontextualisierung schafft, die man in der Dauerausstellung  - so das Museum - weitgehend zu vermeiden versucht habe.

Tatsächlich vermittelten z. B. die in  kleinen Kabinetten gezeigten Filme – so erinnere ich mich an meinen Besuch -, erstaunliche und exotisierendes Klischee von Schönheit und Natur, Brauchtum und Farbigkeit, Ursprünglichkeit und Vitalität. Die Machart der Filme hätte sie allesamt als Werbung einer Tourismusmesse durchgehen lassen – sie sind aberwitzig weit von jeglicher Wirklichkeit z.B. Afrikas entfernt.

Die vom Ausstellungskonzept und –design wie von der Architektur betriebene Ästhetisierung schwächt oder ersetzt eine kultur- und sozialgeschichtliche Kontextualisierung der Objekte. Das war einer der Skandale der Gründung, weil damit auch mit einer Tradition gerade der weltberühmten französichen Ethnologie, die das Musée d l’Homme für sich reklamierte, brach.

Statt diesen Kontext als museologische und konzeptuelle Herausforderung anzunehmen, evoziert besonders die Architektur, allerdings auch die andeutungsweise ambientale Einbettung der Objekte und Vitrinen (‚Lehm’mauern; erdige Farbigkeit, organizistische Formensprache), altbackene Vorstellungen und Projektionen.

Einen Sakralbau für mysteriöse Objekte, Träger geheimer Überzeugungen sowie einen Ort gekennzeichnet durch die Symbole des Waldes, des Flusses und die Obsessionen von Tod und Vergessen, nennt Jean Novel seinen Entwurf. Und die Sammlung Zeugen zugleich alter, wie lebendiger Zivilisationen.
Man mag es drehen und wenden wie man will: was man im Musée du Quai Branly zu sehen bekommt, all die über 3000 Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika, werden als scheinbar ursprüngliche, autochthone Kunstwerke einer versunkenen, frühen Zeit präsentiert.

Der politische Effekt ist, daß die Geschichte der ihrer Herstellung, ihres Gebrauchs, ihrer Rezeption, ihrer Überlieferung ausgeblendet bleiben. Vor allem auch die Gewaltförmigkeit der – intellektuellen wie materiellen – Aneignung dieser Objekte durch die Museen und Sammler, kurzum die gesamte französische und nicht nur französische sondern europäische koloniale und neokoloniale Politik.

Das ist wirklich eine Leistung. Aber mehr als das: bei meinem Besuch fand ich fast nur zufällig einen kurzen Text dazu, (siehe Post Texte im Museum 07) ziemlich fern der Objekte an einer Wand. Der Text nennt nicht nur nicht die Dinge beim Namen, er verleugnet selbst bekannteste Tatsachen.

Zur Zeit der Gründung des Musée du Quai Branly, als der Umzug der Museumssammlungen im Gange waren, konnte man noch etwas von der musealen Repräsentanz der kolonialen Vergangenheit Frankreischs mitbekommen, etwa wenn man das bereits fast leergeräumte Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie besuchte. Noch vermittelten dort Möbel, Wandgemälde im Inneren und Skulturen wie Inschriften am Außenbau jenen nationalbewußten und militanten Kolonialismus, dem dieses Museum seine Existenz verdankte (Kolonialausstellung 1931). Inzwischen ist dort die, auch unter Jacques Chirac eröffnete Cité nationale de l'histoire de l'immigration (2007 eröffnet) entstanden, das aber öffentlch-medial dem Branly-Museum weit nachsteht. Man kann darin eine Strategie der Spaltung sehen, ein auflösen der Beziehungen und ein Verschleiern von Zusammenhängen, eine der Trennung in affirmative und kritische Haltung.
Ethnologische Museen stehen auf dem Prüfstand. Das spektakuläre Pariser Museum ist in Vielem neuartig und sehenswert – aber, was es dem eigenen Bekunden nach sein sollte - ein Durchbruch für ein Neudenken des völkerkundlichen Museums – als das gilt es den Kritikern des Museums (derzeit) nicht.


Wolf Lepenies: Nicht-westliche Kulturen: Was Berlin aus der Debatte über das Musée du Quai Branly in Paris lernen kann, in Die Welt Online, 1.4.2008 
Fotos: Gottfried Fliedl, 2007