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Dienstag, 4. Mai 2010

Das Palmenbuch (Das Museum lesen 11)


Haben Sie schon mal eine Palme gezeichnet?
Ist ja ganz einfach? Meinen Sie?
Dann machen Sie's mal!
Blätter, Palmenblätter - wie sehen denn grade mal die Blätter aus, schmal, breit, lanzettförmig,
büschelförmig nach oben, oder nach unten hängend, dicht, vereinzelt?
Grün, graugrün, graublau, graubraun...
Und der Stamm!?


Also, wie sieht sie nun aus, Ihre Palme?

Christoph Eiböck könnte Ihnen Auskunft geben. Er hat 5000 oder 7000 Zeichnungen von Palmen gesammelt, er weiß nicht wie viele.
Ich durfte auch mal eine zeichnen für ihn. Fiel mir ganz schön schwer.
Das kann aber doch nicht so schwer sein, dachte ich, eine Palme zu zeichnen? Aber als patscherter Erwachsener!


Hier ist eine von Marcel Broodthaers gezeichnete. Als Zugabe 1 Kamel und 3 Pyramiden.

Und jetzt gibt es das Palmenbuch. Wieder. Oder noch immer. Von Hildebrand, Sturm und Eiböck.
Da sind nur zwar nur ein paar von den Palmenzeichnungen aus der Sammlung des Palmenzeichnungs-Kurators Eiböck drinnen und dazwischen....


... dazwischen Texte zur Vermittlung im Museum, Gedanken zum Museum, praktische Tipps, Texte, die einem helfen, die Richtung im Denken und Suchen zu wechseln.
So groß wie eine Hand ist das Buch, weiß, vorne ein Palmenblatt (ein kleines). Grün. (palm - Innenfläche der Hand).

Solche Ideen kommen von Heiderose Hildebrand.
Sie hat ihrer Arbeit immer weit mehr Intuition und Erfahrung
aus ihrem Leben zugrundegelgt, als große Theorie.
Ganz wichtig, so war mein Eindruck, war die Mitarbeit
in einem freien Theaterprojekt.
Ich erinnere mich noch - hoffentlich
richtig, daß ich sie bezeichnenderweise
im Dramatischen Zentrum in Wien kennengelernt habe.
Da war jemand, der mit einer kleinen Gruppe sprach, Bälle ins
Publikum war, uns ein wenig durcheinander brachte.
Was dann passierte, weiß ich nicht mehr.
Außer, daß wir uns anfreundeten
und viele Jahre lang, mal lose,
mal enger zusammengearbeitet haben
(übrigens nie in einem Vermittlungsprojekt,
außer wenn ich Gast war, Teilnehmer wie jeder andere auch).

Das Buch ist eine bricolage, eine Bastelei, die zum Basteln anregt. Würmer im Getriebe, Blitz und Brille aber auch: Das museale Objekt und seine Vielschichtigkeit.

Und dann noch. Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen.
Das Palmenbuch kann man sich schenken lassen. Kaufen kann man es nicht. Außer beim Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, Räffelstrasse 32, Postfach 8045 Zürich. Und dort kostet es 15 Euro.

Im Werbetext lesen wir, Museumspädagogik sei eine Kunst, die Kunstfertigkeit verlangt. Im Buch lesen wir aber auch: Museen und Ausstellungen sind nicht vordergründig pädagogische Einrichtungen. Ihre Besonderheit liegt in dem Zustand begründet, dass es hier zu Verdichtungen von Zeit, Materialität und kenntnis kommt.

Das was Heiderose Hildebrand gemacht hat, hat mich sehr beeinflußt.
Was im Palmenbuch die Essenz ist, war auch die ihrer Arbeit:
ein offenes Verständnis vom Museum und der Vermittlungsarbeit.
Es ging nicht um Wissen, sondern um Situationen.
Darum, Situationen herzustellen, in denen ein Maximum
an eigenständiger und kreativer Beschäftigung mit Kunst gefördert wurde.
Im Palmenbuch spielt die Beziehung 'Besucher' - Objekt eine große Rolle.
Das ist vielleicht ein wenig ein Mißverständnis.
Denn mit heutigen Erfahrungen würde ich die Arbeit theatralisch, performativ nennen.
Gehen, Schauen, Reden, Nachdenken, Wählen, Agieren, Handeln, Tun
- das alles spielte zusammen eine Rolle.
Weder die strukturelle Autorität des Museums oder die der 'Ordnung der Dinge',
noch die (an)leitende Funktion einer Person standen im Mittelpunkt,
sondern die Absicht Neugier zustiften.


Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen. Also auch ein Anti-Pädagogik oder Nicht-Museumspädagogik-Buch, oder eins, das davor warnt, zu wissen, was das ist Ver-Mittlung.

(... das ist doch ... Broodthaers. Kein Zweifel! Im Palmenhaus in. Ähm. In, also wo war das bloß? Und was macht er da? Er schaut sich eine Palme an. Will er sie zeichnen, ist er verreist, genießt er bloß das warme Klima des Treibhauses, schaut er nach, wie die Blätter der Palme geformt sind - glatt oder gezackt, oder ob sie Früchte tragen?)

Museen Stauseen schlage ich auf. Vom sammelnsammelnsammeln ist da die Rede, den Auswüchsen, den Möglichkeiten, dem zu entkommen, vom anderen Umgang mit Dingen...Vogel Kunst Hobel heißt ein anderer Text (vom dem ich hier aber nichts verrate. Oder doch. es geht um unterschiedliche Daseinsweisen von Objekten in Museen, um ihre multiple Identität. Und das ist dann von Eva Sturm, die sich schon früh um eine Theorie dessen bemühte, was sie praktisch machte).

Als Heiderose Hildebrand ihre arbeit in Wien begann,
gab es an Museen noch kaum Interesse an, wie es damals noch überall genannt wurde:   
Museumspädagogik. Im Gegenteil.
Meine Neugier am Museum generell wurde durch einen
merkwürdigen Museumsbesuch während meines Kunstgeschichtestudiums ausgelöst.
Kunstgeschichte studieren hieß damals (vielleicht heute noch),
stundenlang in abgedunkeltenHöhlen (genannt: Hörsäle)
zu sitzen und sich Dias von Kunstwerken anzusehen, in "Doppelprojektion".
Denn das war der 'Königsweg' der 'Disziplin' Kunstgeschichte
- das "vergleichende Sehen".
Gemeinsame Besuche in Ausstellungen gab es praktisch nie,
mit einer mir erinnerlichen Ausnahme.
Das war zwar ein Museumsbesuch, aber keiner in der Sammlung oder Ausstellung,
sondern in einer Direktion. Von dem Besuch sind mir drei Dinge
lebhaft in Erinnerung geblieben: die prachtvollen barocken Inventare,
die wir zu sehen bekamen;
die Klage, daß mit dem weniger werden von Kriegsinvaliden,
kaum noch Aufseher zu rekrutieren seien
und daß Museen möglichst vom Publikum unbehelligt
ihrer eigentlichen, nämlich wissenschaftlichen Aufgabe
nachgehen können sollten.
Das war der Anstoß, mich mit der Frage zu beschäftigen, "was ist ein Museum?".
Und kurz darauf oder kurz vorher muß es die Begegnung
mit Heiderose Hildebrand gegeben haben.
Sie hatte auch eine Antwort,
aber eine sehr schräge, abweichende, versuchsweise, wandelbare,
und das passte zu meiner 'Lesebeschäftigung',
wo ich auch Antworten auf meine Fragen fand,
die so gar nicht zu den offiziösen Ansichten und zum
Alltag der Museen zu passen schienen.

Ich glaube jetzt haben wir uns ein Gedicht verdient:

Alltagsgeräte, alter Schmuck.
In der Vitrine spiegelt sich zwischen den Dingen
dein Gesicht.
Am Fenster steht der Wärter
und betrachtet die Welt.
Das ist von Klaus Merz und man findet es im Palmenbuch auf den ersten Seiten. Ah, das ist ja ein Haiku. In der Vitrine spiegle ich mich, ich sehe mich, nicht das Objekt. Oder mich im Objekt. Und was sieht das Objekt. Wen schützt die Vitrine. Sehe ich nicht die Welt im Museum? Aber wieso der Wärter? Der sollte doch mich im Auge haben. Oder das Objekt in der Vitrine? Er sieht die Welt, weil er dem Museum den Rücken kehrt, aus dem Fenster blickt, das Museum 'verläßt'. Sieht er nun mehr als wir?


Tja. Und so ist das ganze Buch.

Installation von Marcel Broodthaers, zwei Palmen, ein Papagei.

Ich habe es nach vielen Jahren wieder in die Hand bekommen, das kleine Büchlein, und meine erste Reaktion war: Wie erfrischend es inmitten des (museums)pädagogischen (Funktionärs)Sprechens wirkt, wie anregend es geblieben ist.
Wunderbar.
Ach ja, und das noch. (Unter: Wissenschaft und Elektrizität). Bügeln, mixen, föhnen, rasieren, toasten, backen, braten, schneiden, waschen.

Ein Beispiel zu föhnen, toasten, backen...: Ein Projekt von Heiderose Hildebrand
habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung.
Es fand nicht im Museum statt
sondern in einem Schulraum oder etwas ähnlichem.
Sie hatte den Künstler Hartmut Skerbisch gebeten,
für Ihr Projekt ein 'Objekt' zu schaffen.
Das ist, neben der Theatererfahrung, eine zweite Quelle ihrer Arbeit:
daß sie Kontakte mit Künstlern pflegte und eine eigene Galerie führte.
Skerbisch hatte in einem Raum einen 'Berg' aus Salz hergestellt,
Salz bildet einen schön regelmäßigen und blendenweißen Kegel.
Und darüber hing ein großes, wenn ich mich recht erinnere,
knallrotes Schwert aus Holz.
Den Umgang der Kinder mit diesem unglaublich starken Bild
werde ich nie vergessen. Ihre Reaktionen
waren unglaublich sensibel und subtil, reich, genau, aufmerksam - und,
nicht überraschend - bei Mädchen sehr viel anders als bei Buben.
Was war das überhaupt? Museumspädagogik? Wohl kaum?
Wäre mit einem Wortungetüm 'soziale intervention' was getan? Kaum?
Unterricht? Nie und nimmer.
Ich kenne keinen Lehrplan, wo man in einer solchen Form
mit Symbolen und ihrer visuellen Macht, vielleicht auch Gewalt, arbeitet.
Und der Auftakt zum Projekt - was war das?
"Innenseite nach außen". Jeder zog sein 'Oberkleid' - Pullover, Sakko,
T-Shirt, Weste - verkehrtrum an. Ich lernte so mein Sakko kennen,
dessen Innenleben weitaus interessanter war als das glatte Schwarz außen.
Es hatte unglaublich viele zusammengeflickte Teile, und ich sah plötzlich
eher wie ein Sandler aus.
So, und damit war ein Gespräch angestoßen, wann, und ob man sein Inneres zeigt,
ob man das tun soll, ob einem das schaden kann,
oder nützen, was alles passieren kann, wenn man es tut.
Heute mag das Standardrepertoire der 'Vermittlungsarbeit' sein, ich weiß es nicht.


So. Jetzt hör' ich aber auf.

Na, vielleicht noch schnell das Gedicht von Seite elf !

Wie wünschen Sie sich ein Museum?

_bequem?
_groß
_kostbar?
_chaotisch?
_luftig?
_ruhig?
_ergreifend?
_reich bestückt?
_verwirrend?
_sauber?
_?
_?
_?











Und noch zwei Palmen von Broodthaers...

... und alles Gute zum Geburtstag, Heiderose!

Samstag, 1. Mai 2010

Museum und Guillotine - George Bataille (Das Museum Lesen 10)

Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Allerdings war bereits das Ende des 17. Jahrhunderts gegründete, zur Universität Oxford gehörende Ashmolean Museum eine öffentliche Sammlung.

Die weitere Entwicklung des Museums hat selbst die kühnsten Hoffnungen seiner Gründer noch übertroffen. Zum einen stellt heute die Gesamtheit aller Museen der Welt eine ungeheure Ansammlung von Reichtümern dar. Vor allem aber liefert die Gesamtheit aller Museumsbesucher der Welt das zweifellos großartigste Beispiel für die Befreiung der Menschheit von materiellen Sorgen und die Hinwendung zur Kontemplation.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Räume und Kunstgegenstände in einem Museum nicht mehr sind als ein Gefäß: Den Inhalt bilden die Besucher, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Museum von der Privatsammlung. Ein Museum ist wie die Lunge einer Großstadt: Die Besucherschar strömt wie Blut jeden Sonntag ins Museum hinein und kommt gereinigt und erfrischt wieder heraus. Die Bilder sind nichts anderes als leblose Oberflächen, und nur in der Menge der Betrachter vollzieht sich jenes Spiel von Lichteffekten und Reflexen, dessen technische Details von den Kritikern beschrieben worden sind. Es ist immer wieder interessant, mit Bewunderung zur Kenntnis zu nehmen, wie die am Sonntag um fünf Uhr zur Ausgangstür des Louvre herausströmenden Besucher sichtbar von dem Wunsch beseelt sind, ganz jenen göttlichen Geschöpfen zu gleichen, die sie, wie ihre leuchtenden Augen zeigen, so hinreißend finden.

Granville hat über die Beziehungen zwischen Gefäß und Inhalt, die sich in den Museen beobachten lassen, ein Schema aufgestellt, in dem die vorübergehend zwischen Besuchten und Besuchern entstehenden Bindungen (so scheint es zumindest) bewußt übertrieben werden. Es ist wie bei einem Eingeborenen von der Elfenbeinküste, der polierte Steinäxte aus der Steinzeit in eine mit Wasser gefüllte Wanne legt, ein Bad darin nimmt und dem, was er für Donnergestein hält (da es bei einem Gewitter vom Himmel gefallen ist), ein Hühneropfer darbringt: Er nimmt die von großer Begeisterung und einem Gefühl tiefer Verbundenheit geprägte Einstellung zu den Gegenständen vorweg, die auch für den modernen Museumsbesucher charakteristisch ist.

Das Museum ist ein gigantischer Spiegel, der es dem Menschen ermöglicht, sich endlich von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern und sich jener Extase hinzugeben, die in allen Kunstzeitschriften zum Ausdruck gebracht wird.


Georges Bataille, Lemma ‘Museum’ aus: Documents – Dochtrines Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie (1929-39), hier zit. n.: Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit. Bonn 1994, S.99

Donnerstag, 29. April 2010

Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program - Paul Weschler (Das Museum lesen 09)

Das Buch Mr. Wilsons Wunderkammer von Paul Weschler stellt das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles vor. 'Vorstellen' ist der falsche Ausdruck: in einer Mischung von Essay, Biografie und investigativem Journalismus versucht der Autor einem der merkwürdigsten und bemerkenswertesten Museen, jedenfalls einem Museum mit einem sehr merkwürdigen Titel, Tage auf die Spur zu kommen.
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.

Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.

Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.

Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer  Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?

Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998

Mittwoch, 28. April 2010

Frankreich, das Land der Museologie - Nina Gorgus (Das Museum lesen 08)

Wenn man sich mit den Pariser Museen beschäftigt, wird einem auffallen, wie sehr deren Profil durch eine enge und wechselseitige Beziehung zu den Wissenschaften und zu wissenschaftlichen Institutionen bestimmt ist. Wie häufig dort Museen raumlich und funktional mit wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden sind.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.

Nina Gorgus: Der Zauber der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivière Münster New York München Berlin 1999

Donnerstag, 22. April 2010

Relic - Douglas Preston. (Das Museum lesen 07)

Das Ängstigende des Museums, die Angst im Museum, die Angst vorm Museum. Wo findet man das reflektiert, überhaupt erst einmal wahrgenommen? Eher in der Literatur, in der Trivialliteratur, im Film, in Comics, eher nicht in der museologischen Literatur.
Ein wiederkehrender Topos ist die Angst vor einer Art Wiederkehr des - durch Musealisierung und ihre Techniken und Riten nur scheinbar - Verdrängten, die Angst vor dem was unabgegolten den Museumsdingen und daher denen, die mit ihnen zu tun hatten, sie benutzt oder hergestellt haben, angetan wird. Die Dialektik von Ahnenfurcht und Ahnenglaube wird dort am heftigsten wirksam, wo das 'Ding', das Exponat tatsächlich ein Mensch ist.
Bereits 1932 - und seither in zahllosen Sequenz und Variationen - rächte sich Boris Karloff als The Mummy an der Störung seiner Totenruhe. Den Verstoß gegen den Sinn des Mumifizierungs- und Bestattungsritual der ägyptischen Hochkultur kaschiert das Museum mit wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und es bedurfte populärer Medien, um das als dünne Rationalisierung zu entlarven.
Eine Variation bietet der Roman von Douglas Preston und Lincoln Child Relic - Museum der Angst. Gar schauerlich wütet hier, im American Museum of Natural History in New York, ETWAS, das von einer Museumsexpedition gewissermaßen eingeschleppt wurde und sich als ekelhaftes Raubtier erweist, das seine Musealisierung ziemlich übel nimmt. Eine Pointe ist, daß Mitarbeiter und Besucher dem 'Relikt' gerade deswegen ausgeliefert werden, weil sie sich in den Sicherheitsvorkehrungen des Museums verfangen. 
Douglas Preston weiß wovon er redet, denn er schreibt vom Museum, an dem er arbeitete und dessen Geschichte er erforscht hat: Douglas Preston: Dinosaurs in the attic. The American Museum of Natural History. New York 1994. Es gibt auch eine Verfilmung, aber ich rate zum interessanteren und spannenderen Buch.

Mittwoch, 21. April 2010

Towards a New Museum - Victoria Newhouse (Das Museum lesen 06)

Massenmedial wird der Museumsboom seit den 80er-Jahren überwiegend über die 'Blockbuster-Architektur' internationaler Stararchitekten wahrgenommen. Museumsgründungen werden oft nur noch in Form von Architekturkritiken, wenn nicht -hymnen wahrgenommen. Die Zahl und Vielfalt der Publikationen zur Museumsarchitektur der letzten drei Jahrzehnte ist unüberschaubar geworden. Es gibt alles, von der Architekten- bis zur Baumonografie, nationale, typologische oder zeitlich eingegrenzte Darstellungen. Es gibt auch eine Reihe von Überblicksdarstellungen, die aber auf Grund ihres Eurozentrismus aber auch wegen der nicht mehr erfassbaren Zahl jährlicher Neu-, Zu- oder Umbauten immer ihre Grenzen haben.
Ein Buch, das ich sehr nützlich finde, ist das von Victoria Newhouse. Sie verliert den Kontakt zur Museumsentwicklung nicht, referiert kurz auch und bruchstückhaft die Geschichte der Museumsarchitektur. Vor allem ist sie eine scharfzüngige Analytikerin, die sich weder von großen Architektennamen noch berühmten Museen einschüchtern lässt.
Als ich mit der Louvre-Erweiterung, die von Staatspräsident Mitterand höchstpersönlich initiiert wurde, beschäftigte, fand ich in Victoria Newhouse eine Verbündete in meiner Skepsis gegenüber I.M. Peis Architektur.
Also gut, ich bin etwas befangen...
In Anspielung auf Le Corbusier Towards A New Architecture geht es Newhouse um eine Beschreibung der 'Revolution des Museums', die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Fundierte Analyse steht neben sehr scharfen Urteile heraus. Typologisch gegliedert, betont subjektiv, reich bebildert gibt das Buch einen guten Einblick in die enorme Vielfalt heutiger Museumsarchitektur.
Victoria Newhouse: Towards A New Museum. New York 1998

Freitag, 9. April 2010

Der Museumsbesuch | Vladimir Nabokov (Das Museum lesen 05)

"Als vor ein paar Jahren einer meiner Pariser Bekannten - milde gesagt: ein etwas wunderlicher Mann - erfuhr, daß ich zwei oder drei Tage in Montisert verbringen würde, bat er mich, das dortige Museum aufzusuchen, wo, wie er gehört hatte, ein Portrait von Leroy hängen sollte, das seinen Großvater darstellte." So beginnt eine harmlose Geschichte, oder? Wenn das Bild tatsächlich dort ist, soll es gekauft werden - aus einem Museum? Der Erzähler hält das denn auch für "Unfug" und: "Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, ob es sich nun um Museen oder alte Gebäude handelt, ist mir ein Gräuel." Aber unfreiwillig, von einem Regen gezwungen, betritt er doch das Museum.
Als erstes trifft er auf einen Wärter, bezahlt Eintritt und findet ein ganz gewöhnliches Museum:  "Alles war, wie es sein soll: graue Farbtöne, der Schlaf der Substanz, dematerialisierte Materie. Die übliche Vitrine mit alten, abgegriffenen Münzen, die im schrägen Samt ihrer Fächer ruhten. (…) Ehrwürdige Mineralien lagen in ihren offenen Gräbern aus staubigem Pappmache; die Photographie eines verwunderten spitzbärtigen Herrn wachte über einer Sammlung verschieden großer, seltsamer schwarzer Klumpen. Sie hatten Ähnlichkeit mit gefrorenem Larvenkot, und ich blieb unwillkürlich vor ihnen stehen, denn es wollte mir nicht gelingen, ihre Natur, Zusammensetzung und Bestimmung zu erraten."
Kot, Exkremente, Abfall, dem wollen wir im Museum nicht begegnen, aber eine ebenso alte wie hartnäckige Theorie des Sammelns bringt gerade diese so hochgeschürzte Kulturtechnik mit der Verdauung und ihren Produkten in Verbindung. Das ergibt rätselhafte Produkte im Museum. “'Was ist das?' fragte ich." - "Die Wissenschaft hat es bislang noch nicht geklärt” erwidert der Aufseher. “Schön und gut«, sagte ich, “aber wer hat entschieden, und warum, daß sie einen Platz im Museum verdienen?«
Das sind illegitime Fragen, das kann zu nicht s Gutem führen. Doch da entdeckt der Besucher das Bild, das zu finden und kaufen er beauftragt ist. Dazu muß das Museum verlassen und der Museumsdirektor aufgesucht werden, der aber leugnet, daß sich das bestimmte Bild imBesitz des Museums befinde. In einem ingrimmigen Wortwechsel - “Er hat einen Frack an”, rief ich. “Ich schwöre, er trägt einen Frack.” - „Und wie hat Ihnen unser Museum so im allgemeinen gefallen?” fragte M. Godard mißtrauisch. “Haben Sie den Sarkophag zu würdigen gewußt?” muß ein gemeinsamer Besuch des Museum beschlossen werden, um die Sache aufzuklären.
Ich verweigere hier eine vorschnelle Auskunft, wer recht behalten wird. Die Geschichte soll ja ihre Spannung behalten. Aber inzwischen ist im Museum einiges anders geworden, es ist stark besucht, von einer Meute junger Besucher, die alle Regeln des Museumsbesuchs verletzen. Aber das Museum selbst scheint sich aller seiner Regeln, Rituale und Ordnungen zu entledigen. "Hunde liefen hier über Azurteppiche, und auf einem Tigerfell lagen Bogen und Köcher." Mit der Implosion der gewohnten Museumsordnungen zerfällt auch die Konsistenz der räumlichen Erfahrung, selbst die Grenze von Bildern und Dingen und Räumen beginnt zu verschwimmen. Eben noch registriert unser Besucher "das vollständige Gerippe eines Wals, das aussah wie das Spantenwerk einer Fregatte" aber nur eine Treppe trennt ihn von einer "Schar grauhaariger Leute mit Regenschirmen, die eine gigantische Nachbildung des Universums betrachteten."
Das ist zu viel, er kündigt an, gehen zu wollen. Doch wie? Wo ist der Ausgang?
Zuletzt, in einem düsteren, aber großartigen Raum, welcher der Geschichte der Dampfmaschine gewidmet war, gelang es mir, meinen unbesorgten Führer einen Augenblick lang anzuhalten. "Ich bog um eine Ecke und fand mich inmitten von tausend Musikinstrumenten; die Wände, Spiegel alle, reflektierten eine Kolonne von Konzertflügeln, während sich in der Mitte ein Teich mit einem bronzenen Orpheus auf einem grünen Felsen befand. Das Thema Wasser war damit noch nicht zu Ende, denn als ich zurücklief, landete ich in der Abteilung Brunnen und Bäche, und es war gar nicht leicht, an den gewundenen, schlüpfrigen Rändern jener Gewässer entlangzugehen." Merkwürdige Geräusche, Dunkelheit und plötzliche Menschenleere steigern die Unheimlichkeit und traumhafte Ausweglosigkeit.
"Endlich rannte ich in irgendeinen Raum mit Kleiderhaken, die auf ungeheuerliche Weise mit schwarzen Mänteln und Astrachanpelzen überladen waren; hinter einer Tür brauste Beifall auf, aber als ich sie aufstieß, war da kein Theater, sondern nur ein weiches, milchiges Licht und ein hervorragend gefälschter Nebel mit völlig überzeugenden Flecken undeutlicher Straßenlaternen. Mehr als überzeugend! Ich trat näher, und sofort ersetzte ein freudiges und unmißverständliches Gefühl der Wirklichkeit endlich den Spuk, zwischen dem ich hin und her geeilt war. Der Stein unter meinen Füßen war richtiger Gehsteig, der mit wunderbar duftendem neuem Schnee bedeckt war, und seltene Fußgänger hatten darin bereits frische schwarze Spuren zurückgelassen."
Doch das ist nicht das Ende, was jetzt passiert, soll nicht verraten werden. Jetzt kollidieren auch noch die Zeiten, Erinnerung und Gegenwart, Geschichte und Lebensgeschichte…
Nabokovs traumhaftes Wandeln durch ein träumendes Museum führt uns zur Kehrseite dessen, was wir am Museum 'normalerweise' sehen, sehen wollen, der Text führt uns über die Grenze dessen was 'normal' am Museum ist, lockt uns durch seine Rationalisierungen und die subtilen, meist unsichtbaren Grenzen, die diese Rationalisierung schützen und aufrechterhalten. Nabokov macht etwas am Museum sichtbar, was in den offiziösen Hinsichten und den wissenschaftlichen, museologischen Interpretationen entweder nicht gesucht oder verfehlt wird.
Was sich in der Zeit der Säkularisierung und Aufklärung (grob gesprochen zwischen 1770 und 1830) entwickelt, ist ein Ort, der wie eine Leerstelle offen gehalten wird für einen nie endenden Diskurs, in dem das ‚andere der Vernunft’ einen Platz behält.
Auch hier gilt, dass der Schlaf der Vernunft Monstren wachhält, Monstren, die ihre Spuren bis in die Etymologie legen, als mostra in der Genealogie des Ausstellens, oder als Musen, die als ursprünglich ungebändigte weibliche Natur- und Rachemächte, in die Genealogie des Museums hineinspuken.
Diese macht Nabokovs Text sichtbar.


Vladimir Nabokov: Der Museumsbesuch. Band 14 der Gesamtausgabe, Gesammelte Erzählungen, Band I, Dieter E. Zimmer (Hg.). Reinbek bei Hamburg (Rohwohlt) 1966.

Montag, 1. März 2010

Dracheneier und Phönixfedern. Alberto Manguel (Das Museum lesen 03)

Zu meiner Jugendlektüre gehörten die Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons, die wegen ihres ‚Helden‘, Pater Brown, einem katholischen Priester, berühmt wurden und die verschiedentlich verfilmt und immer wieder im Fernsehen gezeigt wurden. Diesen Pater Brown, der sehr knifflige Fälle in immer erfolgreicher Konkurrenz zur Polizei zu lösen imstande ist, nimmt sich der Schriftsteller Alberto Manguel in seinem wunderbaren Essay zu Sammeln als Modell.
Für die Aufklärung des Todes eines schottischen Lords stehen Pater Brown nur einige Sachen als Indizien zur Verfügung, deren Zusammenhang aber völlig unklar ist. Der ermittelnde Inspektor resigniert: »Keine Anstrengung der menschlichen Phantasie vermag es, Schnupftabak und Diamanten, Wachs und lose Zahnräder in einen Zusammenhang zu bringen«.
Pater Brown schlägt dem verblüfften Inspektor eine Lösung vor: „Der Lord war ein erbitterter Gegner der Französischen Revolution und hatte den Stil der letzten Bourbonen kopiert. Er besaß Schnupftabak, weil dies ein Luxus des 18. Jahrhunderts war, Wachskerzen, weil sie zur Beleuchtung dienten, die Metallteile, weil Ludwig XVI. ein Hobbymechaniker gewesen war, und die Edelsteine verwiesen auf das Brillanthalsband der Marie Antoinette.“
Aber Pater Brown treibt nur ein Spiel, er entwirft immer neue Spekulationen, unter welchen Bedingungen diese Dinge einen gemeinsamen Sinn ergeben könnten. Was uns Manguel zu bedenken gibt ist, daß wir bestrebt sind Ordnung zu stiften, daß diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad willkürlich und „nie unschuldig“ ist. Und, daß es viele Möglichkeiten gibt, den Dingen eine sie Bedeutung zu geben.
Auch „Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, ein Dodar von der Insel Mauritius, der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist und Messingkugeln zum Wärmen der Hände für Nonnen“ bilden offenbar keine sinnvolle Einheit, aber alle diese Dinge fanden sich einmal in einer Sammlung - der der Tradescants.
Man muß nicht ins 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, in die Zeit der Kunst- und Wunderkammern, um wunderliche Dingwelten zu finden, wie etwa 'Thomas Manns Taufkleid, die Totenmaske von Brecht, Röntgenbilder von Erich Kästner, ein Diktiergerät von Hans Blumenberg oder eine Gabel, die angeblich Franz Kafka gehörte'. Das alles findet sich im Literaturmuseum der Moderne in Marbach.
Manguel entwirft eine kurze Geschichte der Ordnungssysteme, um seine These zu stützen, daß diese immer auch fragwürdig gewesen seien – bis hin zu den nationalen und öffentlichen Museen der Französischen Revolution, die sich, wie das Musée des Monuments, gerade bezüglich ihrer Willkürlichkeit Kritik von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Das Musée sei, ärgert sich ein Zeitgenosse, »eine Ansammlung von Trümmern und Särgen aus allen Jahrhunderten, zusammengeworfen ohne Sinn und Verstand in den Klosterräumen der Petits Augustins«.
Gerade mit der Entstehung des öffentlichen Museums werde aber jede Zusammenstellung von Dingen zu einer kategorisierbaren Sammlung, deren einzelnen Elemente im Museum zu Repräsentanten eines übergeordneten Sinns werden. „In den Räumen der Winnipeg Art Gallery ist ein Gemälde von Joyce Wieland nicht mehr das Gemälde, das von der Hand der Künstlerin stammt oder das es im Wohnzimmer von Conrad Black geworden wäre, sondern ein ausgewähltes Beispiel für die kanadische Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Manguel zieht aus dieser Entwicklung zunächst einen konservativ-elitären Schluß: um Kunstbetrachtung und –genuß zu ermöglichen, müsse man – gegen die ‚kollektive museale Wahrnehmung‘ – wieder den individuellen Zugang in seine Rechte setzen. „Der Museumsbesuch sollte daher eine einsame Angelegenheit sein.“
Die Kernaussage Manguels ist das aber noch nicht. Erst die zurückgewonnene Individualisierung des Museumsbesuchs, erlaube es, ‚in Freiheit‘ gegen die Regeln des Museums zu verstoßen:
„In ihrem Roman Menschenkind Schreibt Toni Morrison: ‚An einen Ort zu kommen, wo man alles lieben konnte, was man wollte - und das Verlangen keiner Erlaubnis bedurfte -, das war die Freiheit.‘ Museen können solche Orte sein, doch kommen sie nicht ohne eine geordnete Struktur aus, denn es liegt im Wesen einer jeden Ausstellung, daß ihr Aufbau, willentlich oder nicht, explizit oder implizit, uns, dem Publikum, einen vorgefertigten Rahmen darbietet, eine ‚geordnete‘ Version des Ausstellungsguts, damit unser Weg durch die Ausstellung einer gewissen Logik folgt. Aber um die Freiheit zu erlangen, die wir brauchen, um die Deutungsklischees zu durchbrechen und die ästhetische Erlebnisfähigkeit wiederherzustellen, die zwangsläufig an der Schwelle zwischen der Bewußtheit und dem Unbewußten liegt, müssen wir die vorgegebene Ordnung verletzen, in Frage stellen. Um Regeln zu brechen, brauchen wir Regeln, und diese liefert uns das Museum.“
Das ist eine überraschende Schlussfolgerung. Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden, also auch die Ordnungssysteme, um unterlaufen zu werden. „Jeder Besucher muß sein Drachenei und seine Phönixfeder selbst einfordern. Und die Öffentlichkeit darf nicht als uniforme Masse, als abstrakter Begriff in Erscheinung treten, sondern als heterogene Ansammlung von Individuen, die alle ihre besonderen Sehnsüchte und ihren gesunden, anarchischen Eigensinn in die sorgsam beschilderte Museumswelt hineintragen“, so wie es der von Paul Valery formulierte Spruch tut, der, über dem Musée de l‘ Homme in Paris angebracht, die Besucher mit den Worten empfängt: „Ihr, die ihr eintretet, bestimmt, ob ich Grab oder Schatzkammer bin, ob ich spreche oder schweige. Ihr allein müßt es entscheiden. Tritt nur ein, Freund, wenn du das Verlangen spürst.“
Und die Indizien? Und der tote Lord? Pater Brown stellt „die Vermutung an, daß der Lord ein Doppelleben geführt hatte. Als Dieb benötigte er die Kerzen für seine nächtlichen Raubzüge, den Schnupftabak brauchte er, um ihn, wie alle Bösewichte es taten, seinen Verfolgern in die Augen zu streuen, die Diamanten und Zahnrädchen dienten zum Zerschneiden von Fensterscheiben.“
Aber auch damit foppt er nur den Inspektor, denn, so Pater Brown, nur „zehn falsche Theorien erklären das Universum.«

Alberto Manguel: Dracheneier und Phönixfedern oder ein Plädoyer für die Sehnsucht, in: ders.: Im Spiegelreich. Berlin 1999

Sonntag, 31. Januar 2010

Museen und Musen. John Updike. (Das Museum lesen 02)

„Mein erstes Museum habe ich mit meiner Mutter besucht. Es war ein Provinzmuseum, stattlicher Stolz einer drittklassigen Stadt im Landesinnern, die es zierte. Man näherte sich ihm durch ein paradiesisches Grundstück mit geharkten Kieswegen, in humusreichen Boden gepflanzter exotischer Flora und Bäumen, die Etiketten trugen, als wären sie eben erst von Adam getauft. Der Inhalt des Museums war irritierend vielfältig, seine Vitrinen waren bestückt mit allen möglichen Scherben fremder Zivilisation, je nachdem, was ihm von den anmaßenden Vermögen der Stahl‑ und Textilbarone der Provinz zugefallen war. Ein zerfetztes Kajak teilte sich einen Raum mit einem Gestell voll polynesischer Paddel. Eine Mumie, deren Schädel als Halbmaske vergoldet war, lag in einem Vorzimmer, als handle es sich um nichts anderes als eine jener Trauerfeiern am offenen Sarg, wie sie in meiner Kindheit üblich waren. Mexikanische Miniaturdörfer leuchteten auf, wenn man einen Schalter drehte, und eine Pyramide wurde von verdrießlich aussehenden braunen Puppen erbaut, die ihren Pappmache‑Stein niemals auch nur den Bruchteil eines Zentimeters fortbewegten.

Belletristische Texte gehören nicht zum Interessensbereich der Museologen. Da entgeht ihr aber etwas – und allen anderen, die sich für Museen interessieren oder in ihnen arbeiten auch. Die feinnervige Beschreibung, der Sinn für das leicht zu Übersehende, das Mehrdeutige und Unheimliche, das Überraschende, für all das haben Schriftsteller einen anderen Blick, oder überhaupt eine, wo ansonsten Museumssoziologie oder Inventartechniken vor sich hin dorren. Wo museologische Methoden nicht hinreichen, da kann ein literarischer Text etwas auf den Punkt bringen.
Einer meiner liebsten Texte ist eine Kurzgeschichte von John Updike, Museen und Musen. Auf irgendeinem Workshop hat mir zum Abschied jemand eines dieser Mini-Taschenbücher geschenkt, die es damals eine Zeit lang gab und die nicht viel größer waren als eine Hand. 2 DM, 15 S steht auf dem Rücken, also war das vor der Eurozeit.
So lernte ich den Schriftsteller Updike kennen und schätzen und das winzige Büchlein mit fünf oder sechs ausgesucht schgönen Geschichten hält in meinem Bücherregal tapfer seinen Platz neben Updikes dickleibigen Romanen.
Die Geschichte sammelt mehrere Museumsbesuche ein, die der Autor alle mit Frauen macht, mit seiner Mutter, der Geliebten eines Freundes... Die Beziehung zwischen den Personen und die zum Museum kommen in einer Weise wie selbstverständlich ins Spiel, wo museologisch erst in jüngerer Zeit die Komplexität der Museumserfahrung anerkannt und untersucht wird und nicht alles immer vor allem auf Betrachter und Objekt fokussiert bleibt. Aber es geht mir ja gar nicht darum, die beiden unterschiedlichen Erfahrungsweisen und Rhetoriken gegeneinander auszuspielen. Sie sollen selbstverständlich friedlich koexistieren dürfen.
Eingenommen speziell für diesen Text war ich mit den ersten Zeilen (die ich seither oft und gerne zitiert habe). Ich beschäftigte mich gerade mit der Etymologie des Wortes Museum, also in gewisser Weise auch mit seiner Genealogie.
Da mussten solche Formulierungen natürlich auf mich wirken: „Nebeneinander sehen die beiden Wörter fast gleich aus, durchsichtig scheinbar. Die M und die n, die ihre Struktur rahmen und rich­ten, können zwar nicht verhindern, daß die identischen s in der Mitte die Akzente anders tragen, das eine Mal vor sich her, das andere Mal auf dem Rücken. Dennoch, von ihrem dunklen vokalischen Kern aus klingen beide Wörter. Beide suggerieren sie Aura und An­tike, Geheimnis und Pflicht.“
Dem Klang eines Wortes nachspüren und auf Strukturen einer Instution stoßen, das fesselte mich sofort, und Updike war sofort als literarische Muse beim museologischen Basteln engagiert.



Foto: John Updike im Cincinnati Art Museum

Samstag, 23. Januar 2010

To Help Think about Museums More Intensely. Stephen E. Weil. (Das Museum lesen 01)

„It's the first Saturday morning in November, bright but brisk. You pass an open field where some  thirty or so sweat-streaked men and women are loading a truck with rocks. You pause to watch them at work. While you watch, a person who appears to be their leader walks over to ask if you might care to lend a hand. Before responding, you will naturally want to know why these people are making such an enormous effort to gather such a big load of rocks. And so you ask: Why are you doing this?“


So beginnt Stephen Weil eine seiner vier warm-up exercises, mit denen er die Frage nach dem Sinn des Museums aufwirft.

Ich bedaure, daß ich Stephen Weil nie kennengelernt habe. Er muß ein eloquenter Vortragender gewesen sein, ein unglaublich kenntnisreicher Kurator und Museumsleiter und sein Spektrum der Interessen und Kompetenzen ist, wenn man seine Publikationen Revue passieren läßt, ungewöhnlich breit gefächert.


Weil war in pragmatischen Fragen enorm beschlagen war – er war ein herausragender Kunstrechtsexperte-, die zur Arbeit der Organisation Museum gehören, aber einem Publikum nie beußt werden, fällt umso mehr ins Gewicht, daß er seinen Beruf und die Institution Museum so grundsätzlich infrage stellen konnte.


Bislang kenne ich keine radikaleren Texte, keine, die die schlichte, vielen wohl zu schlicht erscheinende Frage stellen, Why are you doing this?

Antworten dazu haben wir alle. Auch Weil hat welche: It's an old tradition in our community, lautet eine der Antworten die wir vom Steinesammler bekommen, aber auch This is a piece of unused land that we're hoping to transform into a public garden. Oder diese: We've got an annual contest going with the next town down the road to see which of us can hoist the most rocks in two hours.


Und so weiter. Wir ahnen schon, worauf das hinausläuft, und Weil bittet uns denn auch zu überlegen, welche der vielen Antworten uns besonders zusagt, welche weniger oder welche wir denn anzubieten hätten?


Warum wird diese Frage so selten gestellt, warum wir das tun? Ich denke, es liegt auf der Hand. Man stellt damit das in Frage, was man tut, aber auch das was die Institution tut, man läuft Gefahr, daß man eine ambivalente vielleicht sogar negative oder eine Antwort erhält, die weit von dem entfernt ist, worauf man momentan seine Arbeit gründet.


Weil verfolgt, so läßt es der Sammeltitel der vier Essays vermuten, mit seinen witzigen und heimtückischen Parabeln, genau diese pädagogische Absicht. Überlegt euch mal wozu das Museum gut ist!

Meine Erfahrungen aus Diskussionen über diese Texte spiegelt die Provokation, die in ihnen steckt. Abwehr, Verweigerung, Überforderung oder gänzliches  Mißverstehen ist einer der effekte, den sie machen. Aber sie können auch differenzierte und tiefschürfende Diskussionen auslösen. Wie etikettierte Weil die Texte? To Help Think about Museums More Intensely.


Die vier unter dem Titel To Help Think about Museums More Intensely zusammengefasste Texte stammen aus dem Buch Making Museums Matter von Stephen E. Weil. Smithsonian Institution, 2002. 

Stephen E. Weil war scholar emeritus am Smithsonian Institution's Center for Education and Museum Studies und langjähriger Director des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden. Im Nachruf der Washington Post auf den 77jährig 2005 Verstorbenen, vergißt man nicht zu erwähnen: Mr. Weil, a Washington resident, learned to drive a car at age 76.

Publikationen u.a.: Making Museums Matter (2002), A Cabinet of Curiosities: Inquiries Into Museums and Their Prospects (1995), Rethinking the Museum and Other Meditations (1990) and Beauty and the Beasts: On Museums, Art, the Law and the Market (1983). A book he co-wrote, Art Law: Rights and Liabilities of Creators and Collectors (1986).

Abb.: Mark Tansey, Robbe-Grillet Cleansing Every Object in Sight, 1981