Posts mit dem Label Ausstellungskritik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Ausstellungskritik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 9. Mai 2021

Anmerkungen zur Ausstellung des Haus der Geschichte Österreich „Nicht mehr verschüttet“

 Information 1

Im Frühjahr 2018 wurde im Zuge der geplanten Erweiterung der Schulen des jüdischen Vereins Machsike Hadass im zweiten Wiener Gemeindebezirk ein mit Schutt verfüllter Raum entdeckt. Im Abraum wurden Überbleibsel entdeckt, hunderte Objekte, die sowohl aus dem einstigen Schulbetrieb stammten als auch aus dem einstigen Jüdischen Museum, das zu diesem Zeitpunkt dort seinen Standort hatte.

Das Haus der Geschichte Österreich zeigte diese Funde bis 6.April 2021 in einer Ausstellung unter dem Titel „Nicht mehr verschüttet“.

Die Talmud-Thora-Schule in der Malzgasse wurde im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts eingerichtet, 1906 kam eine Synagoge dazu und 1913 übersiedelte das Wiener Jüdische Museum, das 1895 als erstes seiner Art weltweit eröffnet worden war, hierher.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Schule und Synagoge zerstört. Der nun vorgefundene Zustand geht auf die Zerstörungen dieser Nacht zurück.

Das Haus der Geschichte zeigt, unter Verantwortung der Kuratorin Birgit Johler, Fundstück aus der Malzgasse auf einem Tableau vor den Türen in der Neuen Burg, die zu jenem Altan führen, von dem Adolf Hitler 1938 zu einer auf dem Heldenplatz versammelten Menge sprach.

Die Nutzung des umgangssprachlich als „Hitler-Balkon“ bezeichneten Altan im Kontext des Geschichtsmuseums war schon im Zug der Museumsplanung unklar und als das Museum dann eingerichtet und eröffnet war, lobte das Haus der Geschichte einen Ideenwettbewerb aus. Das Arrangement der Fundsachen kann mithin als erster Versuch des Museums gelesen werden, diesen besonderen lieu de mémoire zu kontextualisieren. Die räumliche Konfrontation der Objekte mit dem Balkon rückt die Funde in einen expliziten Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und seine antisemitische Politik.

Die Bedeutung des Fundes liegt vor allem im überraschenden Auftauchen von Objekten aus dem einstigen Jüdischen Museum, das in der NS-Zeit beraubt wurde und das nach 1945 nur einen Bruchteil seiner Sammlung rekonstruieren konnte. Es wurden aber auch Teile der Ausstattung der Synagoge gefunden und Reste, die aus dem Alltagsbetrieb der Schule stammen.

Das Haus der Geschichte Österreich schreibt zu der Vorgeschichte und den Motiven seiner Ausstellung unter anderem auf seiner Webseite: “80 Jahre nach der Zerstörung dieses jüdischen Ortes ist durch das Auffinden der Räume und Gegenstände die Geschichte der Malzgasse 16 nun nicht mehr verschüttet. Die Funde wurden professionell gereinigt, zu einzelnen Objekten konnte bereits geforscht werden, viele Fragen bleiben bis auf weiteres offen: Weshalb wurden die Objekte, Bücher und Gebrauchsgegenstände mitverschüttet? Was verbirgt sich hinter der Ascheschicht? Der Schulverein und das Haus der Geschichte Österreich laden ein, in diesem Stadium des Projekts die Malzgasse 16 als einen vielschichtigen Ort jüdisch-österreichischer Geschichte, seine Gegenwart und auch seine Ideen für die Zukunft kennenzulernen.“


Information 2

So wie ich die Geschichte eben erzählt habe, scheint sie stimmig und rund. Ein überraschender Fund wird geborgen, konserviert, erforscht und ausgestellt.

Es gibt aber eine zweite Geschichte, die hinter der ersten liegt und die bislang öffentlich noch nicht erzählt wurde. Sie beginnt mit der naheliegender Frage: Warum hat das Haus der Geschichte eine Ausstellung mit den Funden ausgerichtet und nicht das Jüdische Museum der Stadt Wien?

Es ging doch um Reste der Sammlung des ersten Jüdischen Museums das sich doch für den Fund unbedingt verantwortlich fühlen und interessiert sein müsste. Nun, die entdeckten Dinge wurden dem Museum angeboten, und zwar nicht von den für die Entdeckung und Bergung Verantwortlichen selbst, sondern von der Kuratorin des HdGÖ, Birgit Johler.

Die Direktorin des JMW lehnte die Annahme der Objekte ab. Und das HdGÖ beschloss daraufhin, selbst eine Ausstellung zu machen.

Das ist die eine Merkwürdigkeit. Die andere die: Das Haus der Geschichte Österreich nahmen keinen Kontakt auf mit den besten Kennern der Materie und der Geschichte und Sammlung des ersten jüdischen Museums, Bernhard Purin, heute Direktor des Jüdischen Museums München und Felicitas Heimann-Jelinek, ehemalige Chefkuratorin des JMW,.

Beide hatten einschlägige Forschungsarbeiten geleistet und gelten als die besten Kenner der Sammlung und Sammlungsgeschichte. Sie hätten Fundobjekte schon allein mit Hilfe von Fotos und erst recht als Originale sofort und ohne jede Recherche identifizieren können.

Warum haben die Leiterin des HdGÖ, Monika Sommer und auch nicht die Kuratorin Birgit Johler (sie ist inzwischen Kuratorin am Volkskundemuseum des Joanneum in Graz) Kontakt mit den beiden Experten aufgenommen? Felicitas Heimann-Jelinek und Bernhard Purin, erstaunt über die Vorgänge, haben ihrerseits Kontakt mit den Museen und ihren Leiterinnen aufgenommen. Die entsprechenden an das HdGÖ adressierten Mails blieben z.T. vage oder gar nicht beantwortet.

Wenn das HdGÖ auf seiner Webseite schreibt, „zu einzelnen Objekten konnte bereits geforscht werden“ muß man das so verstehen, daß es sich um Forschungen des HdGÖ selbst handelt und daß es mithin selbst ausreichende Expertise für sich beansprucht.

Kommentar

Warum wurde vorhandene, hilfreiche Expertise nicht gesucht und nicht angenommen?

Das Museum ist unter fragwürdigen politischen Bedingungen gegründet worden, es hatte alles andere als einen guten Start und es leidet sowohl unter der komplexen Organisationsstruktur wie auch an nicht ausreichenden Ressourcen und ebenso am Mangel an politischer Unterstützung. Das Museum arbeitet schon lange so gut wie ohne Zukunftsperspektive. Wollte das Museum also schnell und von niemanden abgelenkt rasch etwas für seine Reputation bewerkstelligen?

Kritikwürdig ist aber vor allem der erklärungsbedürftige Umgang mit vorhandenem Wissen und Forschungsressourcen. Die, wie Bernhard Purin schreibt, nicht ohne Folgen gewesen sein muß.

Bernhard Purin: “Besonders ärgerlich sind die Beschreibungstexte zu den einzelnen Objekten, die einerseits von großer Unkenntnis, andererseits vom untauglichen Versuch, banale Alltagsobjekte zu ‚judaisieren‘ geprägt sind: Da gibt es eklatante Fehlzuschreibungen, wenn etwa bei Zugketten von WC-Spülkästen über die Möglichkeit, es könnte sich um Ketten von Tora-Schilder handeln, spekuliert wird. Ein völlig verrosteter Henkelbecher soll ein ‚Ritualbecher‘ (für welches Ritual auch immer) sein und Säulenprofile von Gründerzeitmöbeln werden zu Mesusot, den Kapseln für den Türsegen an jüdischen Häusern, erhoben. Bei sammlungsgeschichtlich spannenden Funden wird deren Bedeutung nicht erkannt. Einige Scherben, die schlicht mit ‚Teile eines Keramiktellers für das Pessach-Fest‘ bezeichnet wurden, sind die traurigen Reste einer Trouvaile des Jüdischen Museums in der Malzgasse, eines Majolika-Seder-Tellers, der damals in das 17. Jahrhundert datiert wurde. Eine illustrierende Fotografie zum Bereichstext über die Geschichte des Jüdischen Museums hätte das bei genauer Prüfung erkennen lassen: Jakob Bronner, langjähriger Direktor des Museums bis 1938, ließ sich neben ihm porträtieren. Solche Beispiele ließen sich weiter fortführen. So gesehen ist die Schau auch ein unverantwortlicher Rückschlag im Bemühen, sich ernsthaft und verantwortungsvoll den Sachzeugnissen jüdischer Geschichte und Kultur vor 1938 zuzuwenden und lässt mich mit den Gefühlen von Empörung und Traurigkeit zurück."







Montag, 2. November 2020

"Geburtskultur". Das Frauenmuseum in Hittisau feiert sein 20-jähriges Jubiläum

Das Frauenmuseum Hittisau nimmt sich unter dem Titel „Geburtskultur“ derzeit eines Themas an, dessen Bedeutung mit einem einzigen Satz in der Ausstellung deutlich wird und der sinngemäß lautet: wir alle haben zwei Dinge gemeinsam - daß wir sterblich sind und daß wir geboren worden sind.

In mehreren Abschnitten nimmt sich die Ausstellung dieser Universalität des Themas an, kulturgeschichtliche, soziologische, künstlerische, medizinische und andere Diskurse um Gebären und Geborenwerden werden geführt, mit sorgfältig verfassten und klug hinsichtlich ihres Informationsgehaltes gestaffelten Texten und mit sehr vielen Objekten. Beeindruckend sind die einerseits sehr knappen andrerseits ein Thema in seiner Fülle absteckenden Einführungstexte aber auch der enorme Gestaltungstreichtum der diversen Textsorten.



Es gibt zwei Qualitäten, die die Ausstellungen des Frauenmuseums immer auszeichnen: die Verschränkung mit aktuellen Fragen und Problemen - nie agiert man nur in der historischen Perspektive allein - und das Ausmaß der Beteiligung Betroffener und Kompetenter.

Die Aktualität der Ausstellung wird einem wiederum an nur zwei Fakten sofort klar: es gibt in ganz Vorarlberg nur noch eine einzige Hebamme und von den einst existierenden Geburtshäusern existiert keines mehr. Ein Gespräch mit einer jungen Frau, die mit ihren drei noch sehr kleinen Töchtern gerade die Ausstellung zu besichtigen beginnt und mit der Ich und meine Begleiterin ins Gespräch kommen, macht klar, welche Transformation in der „Geburtskultur“ stattgefunden hat und welche Wünsche jemand hat, der sich eine andere, vielfältigere, auf Bedürfnisse und Wünsche von Frauen und Eltern eingehende Kultur wünscht.


Und: Ausstellung wie diese werden sorgfältig vorbereitet, unter Beteiligung aller, die Expertinnen sind, ein Wort, das hier nicht bloß institutionelle Expertise meint, sondern alle einschließt, die aus ihrer Betroffenheit heraus agieren und sich engagieren wollen und die Erfahrungen beisteuern können.

Wie schon seit Gründung des Museums korrespondiert diese Inklusion mit der Organisationsstruktur des Museums. Es gibt zwar formell eine Leitung, aber die gesamte Arbeit des Museums wird gemeinsam getragen, von einer Gruppe von Frauen, die sich aus unterschiedlichsten Lebenssituationen heraus engagieren.


Jetzt, wo das Museum seinen 20. Geburtstag feiert, feiert man auch sich selbst, diese große Anzahl von Mitarbeiterinnen, die seit Beginn an der Entwicklung und der Arbeit des Museums beteiligt waren und sind.

Was oft theoretisch gefordert wird, aber praktisch kaum realisiert wird, hier gehört es zur Philosophie und Praxis des Museums: Inklusion, Beteiligung, flache organisatorische Hierarchie, Wahrnehmung von Problemen, gesellschaftliches Engagement.

Das Frauenmuseum in Hittisau ist innerhalb der österreichischen Museumslandschaft ein einzigartiger Ort. Und den Besuch der Ausstellung, das dürfte schon klar geworden sein, kann ich nur herzlich und nachdrücklich empfehlen. (Sobald das Coronaregime sich wieder gelockert hat).


 


Sonntag, 15. März 2020

Die Hinrichtung des Peter Rosegger in einem Nebenzimmer des Grazmuseums am 31. Juli des Jahres Zweitausendundreizehn

Die Pause im Schreiben über Museen, die einzuhalten sinnvoll erscheint angesichts der umfassenden Krise in der die der Museen eingebettet ist (als Kollateralschaden ungewisser Bedeutung), hat mich alte, liegengeiassene Texte wiederentdeckten lassen. Einer ist ein Kommentar zu einer Ausstellungseröffnung im Graz Museum zu einer Peter-Rosegger-Ausstellung die 2013 (sic!) stattgefunden hat. "Im Krug zum grünen Kranz" hiess die. Und im Untertitel "Peter Rosegger in Graz". Warum ich den Text seinerzeit liegen liess, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ich habe mich beim Lesen (und geringfügigen Korrigieren) ganz gut unterhalten. Möge es den LeserInnen ebenso ergehen!

Ich hatte schon so eine Vorahnung, und war aus Erfahrung so klug zu wissen, daß das Grazmuseum bei Ausstellungseröffnungen zu Exzessen neigt. Ich eroberte eine noch freie Stufe des zu den oberen Stockwerken führenden Treppenhauses, eingeklemmt zwischen erwartungsfrohen Gästen. Und es kam, wie es kommen musste, etwa eine dreiviertel Stunde wurde verbraucht bis die Tür zur Einzimmer-Ausstellung endlich geöffnet wurde wie zu einem festlich weihnachtlichen Geheimnis.
Zuvor hatte der Direktor des Hauses hierarchisch die sogenannten Honoratioren begrüßt, auch solche, die nur stellvertrtetend für abwesende und entschuldigte gekommen waren und wenn ich mich nicht irre, gab es auch zwar abwesende, aber im Kommen begriffene Gäste und sogar eine im Kommen begriffene Stellvertreterin einer abwesenden Stellvertreterin eines eigentlich und ursprünglich geladenen Gastes.

Marcel Broodthaers wusste, als er in seiner Wohnung (s)ein "Museum" eröffnete, was die unverzichtbaren Ingredienzen eines Museums sind: eine gedruckte Einladung, ein Direktor, eine Vernissage und ein Schriftzug MUSEUM. Eine Vernissage - hier wird der fraglosen gesellschaftlichen Übereinkunft Tribut gezollt, auf der hegemoniale Politik und Kultur beruhen. Alle können und müssen das Gefühl haben, einbezogen und gewürdigt zu werden im Dienste einer übergeordneten Pflicht: Kultur zu haben. Es geht vermutlich in Graz um jenes Restbürgertum, das schon so viel angerichtet hat und das Wilfried Nagl zum Bürgermeister gemacht hat.
Auch fürs Museum Direkt ist unter einem pragmatischen Gesichtspunkt das Ritual der Vernissage unersetzbar. Die politischen Funktionäre sind Geldgeber und Zustimmer - oder auch nicht.

Ob die angekündigte Stellvertreterin der Stellvertreterin je angekommen ist, entging mir, da ich während der Reden eine Weile durch ein verschiedenfarbiges Schuhwerk einer Dame abgelenkt war, die genau in meinem Blickfeld stand und dann erst recht durch den inhaltlichen Teil der Rede des Herrn Direktors. Der redete Klartext über den Herrn Rosegger und warf Worte wie scharfe Dartpfeile: Antisemit, Deutschnationaler, Antiaufklärer, Rassist, Männerbündler. 

Nun muß man ja sagen, daß das Grazmuseum immer wieder mal Themen aufgreift, die sich zwischen dem soften Grazalltag wie Schmirgelpapier anfühlen. Das ist zwar auch soft und kratzt an niemandem wirklich, aber es ist ohne wenn und aber verdienstvoll, oft ganz zeitnah an Vorgängen in der Stadt und auch nahe an Gruppen und Bewegungen, die einen Ort haben, sich so zu artikulieren. So etwas machen ganz wenige Museen. Und auch eine solche klare Sprache hört man selten, wie die Ausführungen zu Rosegger.

Indes, Rosegger?! - Wer kennt den noch, wer liest den noch, selbst in der Steiermark? Ist der nicht so tot, wie nur jemand tot sein kann? Auch wenn er vielleicht noch in Volksschulen auf dem Lande zwangsgelesen wird und eine kulturbeflissene Redaktion der - na sagen wir - einzigen in der Steiermark relevanten Tageszeitung glaubt, uns noch etwas Heldenweihrauch unter die Nase fächeln zu sollen.

Und wann hat man je ein Jubiläum an einem 170. Geburtstag begangen? Schon richtig, die numerische Zufälligkeit gilt auch für 75 oder 200, aber woher diese Not, ihn jetzt, grade jetzt, auszugraben, um ihn gleich wieder zu bestatten? Und dann kapriziert man sich auch noch drauf, die Ausstellungseröffnung exakt auf den Tag des Geburtstages zu legen, einen 31. Juli, beim vollem Risiko, von einem ferial oder badesaisonal abwesenden Publikum bestraft zu werden.

Off records konnte man Zustimmung zur Vermutung hören, daß Peter Rosegger tatsächlich nur noch eine bessere wächserne Mumie in der Asservatenkammer einiger Politiker und Funktionäre mit Treue zum Ewiggestrigen ist (davon gibts bekanntlich in Graz eine stattliche Fraktion).

Kann ein Museum mit offenem Visier tatsächlich gegen eine kleine, aber einflußreiche Fraktion der Stadtpolitik und des Stadtbürgertums antreten und dann mit den Mitteln einer Ausstellung, die sowohl ihren Gegenstand als die Auseinandersetzung um eine Person historisiert? Denn das findet dann ja dann doch nicht statt, das Analysieren jener über Generationen angestrengte Arbeit am 'Erbe', an seinem 'Lebendighalten', eine Kritik an einer Politik der Restauration all der Werte und Unwerte, die Rosegger (im Verein mit einer veritablen Männerrunde) hegte und pflegte. 

Auch kritische Musealisierung kann zweischneidig oder vielleicht vollend stumpf sein, oder?
Darüber entscheidet dann nicht nur die beachtliche ideologische Klarheit, die überzeugend vertetene eigene Position, sondern die Methodik, in diesem Fall, das Wie und Was der Ausstellung.
Die ist aber einigermaßen überraschend - jedenfalls für mich war sie daß. Als eine Art Intervention, als ein Raum inmitten der jungen Dauerausstellung, ist hier buchstäblich wenig Platz, und in Ermangelung herkömmlicher Objekte gibt es vor allem Text(e), originalen Rosegger zum Lesen, Sehen und Hören. Der Text ist aber wissenschaftlichen Text im Jargon einer Universitätssprache die jene "Politik des Widerspruchs" mit der sie den Humbug, den Rosegger verzapfte, als immanent widersprüchliches Nebeneinander von Haltungen verharmlost und als "Politik der Entschuldung" akademisch relativiert - im Geist jenes tief österreichischen Sowohl-als-auch-oder-und-nicht, das vor Jahrzehnten Robert Menasse so brillant analysiert hat. Und welcher Teufel reitet eine Kuratorin, anzunehmen, daß Museumsbesucher an Oberseminartexten interessiert sind, bzw. deren Hermetik locker aus der Hüfte heraus knacken können?

Schon bei ihrem Vortrag (wie gesagt, es mussten ja 45 Minuten zustandekommen für die Eröffnung) bediente sich die maßgebliche Rosegger-Professorin uns von ihrer steilen Fachlichkeit zu überzeugen. Ein älterer Herr neben mir, der dieselbe Treppenstufe teilte, stöhne und murmelte und ächzte besorgniserregend und hielt trotz alledem mit letzter Kraft ein Tonaufzeichnungsgerät in Richtung der akademischen Schallwelle. Mein Mangel an Kenntnis der steirischen Dialekte hinderte mich daran zu verstehen, ob der Sitznachbar nun eine gekränkter Roseggerianer, ein eben zum Intellektuellenhasser mutierender Landbewohner oder beides war. Fan der Vortragenden war er keiner.

Also liebes Grazmuseum! Alles geht, aber das eigentlich nicht mehr. Akademischen Text im Umfang von 8, 10 oder 12 DIN-A-4-Seiten an die Wand affichieren, auch wenn die Hintergrundfarbe noch so akkurat ausgesucht wurde und die die passende Schriftgröße traumwandlerisch getroffen wurde, das ist zu viel des Schlechten.

Und dann, allerspätestens dann, wenn jemand eine zweispaltige Literaturangabe an die Wand pinnt, eine Novität für mich, dann wäre eigentlich die Alarmstufe dunkelrot erreicht. Oder soll ich an dieser Stelle angekommen, meinen Tintenbleistift mit den Lippen benetzen und in mein aufgeklapptes Moleskinebüchlein fein säuberlich alles abschreiben, um am folgenden Tag gehorsam in die Landesbibliothek eilen, um mich dort in die einschlägige Sekundärliteratur zu vertiefen? Wer denkt sich so etwas aus?

P.S.: Es war nicht die erste und es war nicht die letzte Roseggerausstellung in Graz und wir werden uns in vermutlich rascher Folge weiterer Roseggerausstellungen erfreuen können.






Dienstag, 3. März 2020

Der junge Hitler und wie Stefan Weiss ihn sieht

In der Tageszeitung „Der Standard“ vom 3.3.2020 schreibt der Mitarbeiter der Kulturredaktion Stefan Weiss über die Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten „Der junge Hitler“. 
Die Überschrift gibt der neutralen Bezeichnung der Ausstellung eine überdeterminierte Bedeutung: „Hitlers Jugendjahre: Der Wagnerianer mit dem ‚Nicht genügend.‘“
Da werden zwei Dinge zusammengezogen, die weder sachlich noch chronologisch etwas miteinander zu tun haben - eine schlechte Schulnote im Fach Deutsch und ein späterer Opern-Besuch - und deren Beziehung ohne jede Bedeutung ist.
Der Untertitel des Ausstellungsberichtes attestiert der Ausstellung ein Aufklärungspotential, als ob dieses noch nie genutzt worden wäre und zum ersten Mal gelungen sei, es auszuschöpfen: „Die Ausstellung ‚Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators’ im Haus der Geschichte Niederösterreich legt die Wurzeln des NS-Gedankenguts offen.“ 
Dieser Titel legt ja nahe, daß einerseits die Darstellung und Analyse der Jugend Hitlers geeignet sei, das NS-Gedankengut als Ganzes zu erläutern aber zweitens, daß die Person Hitler und der Nationalsozialismus so etwas wie eine Gleichung ohne Rest gewesen seien. Etwa so: Wenn man Hitler erklärt, erklärt man den Nationalsozialismus. 
Das hat schon oft in eine triviale Personalisierung und zu einer sehr schlichten Psychologie geführt, die so gut wie nichts erhellt oder schlimmer noch, mit der Konzentration auf die Person, viele wesentlichen Fragen zum Nationalsozialismus verschleiert. 

Der Autor der Ausstellungsbesprechung stolpert denn auch gleich zu Beginn seines Textes in die Falle der trivialisierenden Personalisierung und scheitert fürchterlich an seiner Exegese einer Fotografie. Dem Text vorgeschaltet ist nämlich ein Foto einer Schulklasse, das sofort ein „gespenstisches Dokument“ sein muss. Denn es zeigt Hitler in seiner Volksschulklasse, in der letzten Reihe, und das „mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.“
Es fällt sofort auf und es ist auch vielen Postern aufgefallen, daß viele andere Schüler genau so wie der "zukünftige Diktator" posieren - was möglicherweise einer disziplinierenden Order beim Fotografieren geschuldet ist - und daß der stechende Blick und das hochgereckte Kinn eher Projektionen als objektivierbare Tatsachen sind.
Gespenstisch ist weniger das Klassenfoto als die dieser "Bildanalyse" zugrundeliegende Psychologie, derzufolge der „Diktator“ schon im Kind angelegt und sichtbar gewesen sei.

Einer der Kuratoren der Ausstellung weiß dazu, als ob er persönlich dabeigewesen wäre: "Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft.“ 
Das Gegenteil war der Fall. Hitler hat seinen Blick bewusst genutzt und zu Requisiten ausgefeilter Selbstinszenierung gemacht. Albert Speer berichtet z.B.: „Seine Augen waren starr auf die Angetretenen gerichtet, er schien jeden durch seinen Blick verpflichten zu wollen. Als er zu mir kam, hatte ich den Eindruck, daß mich ein Paar weit geöffnete Augen für unermeßbare Zeit in Besitz nahmen." 

Muß ein Ausstellungsrezensent so etwas bemerken? Einen derartigen Widerspruch von historischen Fakten und kuratorialer Interpretation? Muß ein Kulturredakteur nicht vorsichtig werden, wenn - zum wievielten Mal eigentlich - Hitlers „künstlerische Ambitionen“ aufgetischt werden? Sollte man nicht grundsätzlich skeptisch sein, gegenüber einem Ausstellungskonzept, das den Nationalsozialismus aus der Biografie einer einzigen Person heraus zu deuten versucht und noch dazu aus deren Jugendjahren? 

Als „optisch gepolter Mensch“, berichtet Stefan Weiß von der Ausstellung, hätte Hitler früh ein Sensorium für die Ästhetisierung der Politik gehabt und sich (auch das ist schon lange bekannt), von sozialistischen Ritualen inspirieren lassen. Aber was bitte ist ein „optisch gepolter“ Mensch?

Die altbekannte, durch Wiederholung in ihrer Schlichtheit nur noch aufdringlichere entwicklungspsychologische These vom verhinderten oder gescheiterten Künstler, der in die Politik geht, ist sogar eine fettgedruckte Zwischenüberschrift wert: „Vom Maler zum Politiker“. Ja, ja, wie wir wissen hätte uns die Wiener Akademie der Bildenden Künste den Nationalsozialismus erspart, hätte sie Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung bestehen lassen...

Das eigentliche Erweckungserlebnis war der Ausstellung zufolge aber nicht die Bildende Kunst, sondern die Oper, genauer gesagt Wagners Opern. Leider läßt uns der Autor der Ausstellungsbesprechung, wie meist bei Rezensionen üblich, über das Spezifische der medialen Vermittlung im Ungewissen. Und das gerade dort, wo es doch ganz interessant hätte sein können zu erfahren, nicht was, sondern w i e es mitgeteilt wird. 
„Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.“
Das hätte mich doch interessiert, wie eine Ausstellung die historische affektive und ideologische Wirkung auf eine bestimmte Person uns heutigen Zusehern vermittelt haben will?
Aber die Ausstellung kann noch mehr. Sie läßt uns an „den künstlerischen Ambitionen“ Hitlers „Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung“ erkennen, was, hier wird Mussolini zitiert, nur in eine Auffassung von Politik als „größte Kunst“ münden konnte weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: „dem Menschen.“

Diese Ausstellung muß großartig sein, ich muß sie mir ansehen

Dienstag, 27. August 2019

Was ist (k)ein Museum. Roman Sandgruber wirft Fragen nach der Kritisierbarkeit von Ausstellungen und Museen auf


Roman Sandgrubers (Wirtschaftshistoriker; Präsident des Oberösterreichischen Musuemsverbandes) schöner, prägnanter Text „KTM und seine Motohall“ (hier nachzulesen) enthält eine negative Definition des Museums. Indem er der Motohall des Zweiradherstellers KTM den Status des Museums abspricht (der war Grundlage für eine äußerst fragwürdige und hohe Subvention durch das Land OÖ), nennt er zwangsläufig Kriterien für das was seiner Meinung nach ein Museum ist.

So wird paradoxerweise ein Nicht-Museum zum Objekt einer Definition „des Museums“. Gut - aber gibts nicht schon die ICOM-Definition? Die besteht aber eher in der Aufzählung von Funktionen, die das Museum von anderen kulturellen Praktiken und Institutionen unterscheidbar machen und ist kaum als Definition brauchbar. Also ist es sinnvoll, sich um eine Definition zu bemühen.

Sandgruber: „Nein! Ein Museum oder auch nur ein Technisches Museum ist die KTM-Motohall nicht. Was für den kulturellen Anspruch von Kunst- und Science-Museen entscheidend ist, ist die kulturelle und kritische Perspektive. Diese gibt es bei KTM nirgendwo: keine alternativen Meinungen, keine firmenfremden Produkte, schon gar keine umweltpolitische oder künstlerische Ansage, wenn man das Design einmal beiseite lässt. Die klassischen Museen, seien es nun Kunst-, Heimat-, Technik oder Naturmuseen, präsentieren und diskutieren die Vielfalt dieser Welt.“

Da filtern wir mal raus: „Kritische Perspektive“ (auf das jeweils gezeigte Thema) und „kulturelle Perspektive“. Das nun ist ja etwas sehr schwammig, wie immer wenn das Megawort „Kultur“ ins Spiel kommt. Dann: „Keine künstlerische Aussage.“ Muß ein Museum eine künstlerische Aussage haben, etwa ein technisches, und das genau so wie ein kunsthistorisches? Die „klassischen Museen“ (Das sind welche? Die, die (z.U. der Motohall „wirklich“ Museen sind?) „präsentieren und diskutieren die Welt.“ Also da steckt drinnen der Anspruch des Museums auf Repräsentation und auf Diskussion.

Und jetzt kommen noch dazu „die „gesellschaftliche und soziale Verankerung“, die Sandgruber trotz des Umstandes, daß das in einem Konzept von KTM selbst angekündigt wird, in der Motohall-Schau fehlt. Und was auch fehlt, sind „die Querverbindungen zur Geschichte des Landes oder die angekündigten pädagogischen Unterstützungsmaterialien für Schulen.“ Anders gesagt, Sandgruber geht hier sowohl die historische Kontextualisierung ab, als auch die aktive Bildungstätigkeit (etwa in ihrer speziellen Form „Museumspädagogik“).

Ein Museum wäre demnach etwas, das zwar zeigt, repräsentiert, darstellt, aber das immer (selbst)kritisch und diskursiv und verankert in einem Bezug zur Gegenwart und der Lebenswelt der Besucher („Querverbindung zur Geschichte des Landes“). Nicht ausdrücklich erwähnt wird die Notwendigkeit einer deutenden Erzählung, also auch nicht die Wahl einer Visualisierungsmethodik, die das Genannte trägt aber auch mit erzeugt. Nur die Wendung von der „künstlerischen Aussage“ streift dieses Problem.

Wenn man die Wendung von der „kulturellen Perspektive“ über das vermutlich von Sandgruber Gemeinte hinaus als gesellschaftlich-politischen Kontext deutet und dem Ganzen noch den Mühlstein des geschichtstheoretisch-didaktischen Anspruchs der sinnstiftenden Erzählung (wozu betreiben wir denn überhaupt Museen?) umhängt (Jörn Rüsen), dann hätten wir ja schon einen ganz brauchbaren Ansatz für eine Definition. Man kann nämlich nicht die „Geschichte des Landes“ via Ausstellung ohne Erzählung/Narration zeigen, also nicht ohne zeitliches Verknüpfen und folgerichtiges Reihen von Tatsachen und Ereignissen sowie Perspektivieren auf ein (handlungsanleitendes oder bloß deutendes) Ziel hin? Und das in der dem Museum eigentümlichen Hybridität von Zeigen, (Auf)Schreiben, Sprechen zugleich. Daß dies implizit immer Auswahl, Fragmentieren usw. bedeutet, also niemals nur Wahrheitsgeschichte ist, sondern einen (auch auf Wissenschaftlichkeit - wo blieb die eigentlich?) Wahrheitsanspruch erhebt, dessen Bedingungen (Regeln seiner Erzeugung; Autorschaft) und Grenzen immer auch selbstreflexiv im Museum sichtbar sein müssen - das ist eine praktisch schwierige, anspruchsvolle Arbeit.

Aber dorthin reichen die sandgruberschen Argumente auch nicht mehr ganz hin und: sie würden auch an der gelebten Museums- und Ausstellungspraxis zerschellen. Schon die im Text mehr oder minder klar formulierten Kriterien erfüllen viele Museen nicht, auch Museen, an deren „Museumshaftigkeit“ niemand zweifelt und denen ihr Status als Museum offiziell und würdigend bestätigt wird. Es sind eben auch bloß - kaum anders als die Motohall - Dinglager, archivarische Ansammlungen, Schaudepots, Warenhäuser. Wenn sich Roman Sandgruber in die durch ihn als Verbandspräsident repräsentierte oberösterreichische Museumslandschaft begibt, und unbestechlich bleibt, wird er so manches entdecken, was seinen eigenen Kriterien nicht standhält (und nicht anders ist es in anderen Bundesländern).

Ja mehr noch: er könnte entdecken, daß so manches durch Gütesigel oder Museumspreise durch „seinen“ Verband ausgezeichnete Museum eben nur ein „Museum“ a la Motohall ist und daß die Praxis der diversen Verbände (nicht nur des oberösterreichischen) - aus Gründen, die ich hier nicht diskutieren möchte -, Museen ermutigt, sich als Museen zu fühlen.

Wie ich dazu komme? Ich kenne sowohl kleine Museen als auch große, namhafte, die den Kriterien Sandgrubers zufolge nicht Museum genannt werden dürften. Übrigens: schon lange gibt es innerhalb der Museumscommunities einen Distiktionsstreit Museum/Nichtmuseum und immer wieder Versuche, Museumsdefinitionen gleichsam bindend wie auf dem Verordnungs- oder Gesetzeswerk durchzusetzen, anders gesagt Ausschlußverfahren zu entwickeln. Das hat aber bislang nicht dazu geführt, daß etwa Museen mit ansonsten gesellschaftlich geächteten Inhalten (etwa affirmativer Umgang mit NS-Relikten) je von einem der Repräsentanten des Museumswesens geächtet oder auch nur kritisiert worden wäre. Und auch da gilt: das trifft nicht nur kleine, versteckte, unbekannte und belanglose Sammlungen, sondern auch politisch gestützte und forcierte Projekte. Auf Wunsch nenne ich gerne Beispiele und mehr gibts dann dazu zu lesen, wenn ich mein neues Ranking „Die besten und die schlechtesten Museen Österreichs“ (hier der Link zum ersten Ranking) veröffentlichen werde.

Die vom oberösterreichischen Museumsverband ausgehende Einschätzung der Motohall, die Sandgruber einerseits bloß eine Formalie und unzulässig von einem Mitarbeiter weitergereichte Einschätzung nennt, ist ja ein Knackpunkt der ganzen KTM-Affaire. Die Politik hatte sich am Museumsverband abzuputzen versucht und ihm unterstellt, er hätte das Projekt als förderwürdig eingestuft. (So nebenbei lernen wir etwas über Politik: Ein gewesener Landeshauptmann hievt einen Beschluss am Landtag vorbei, ermöglicht damit eine Subvention in der Höhe von über sechs Millionen Euro an einen Konzern der hochprofitabel ist, der sich nun wiederum mit einer sechsstelligen Summe bei der Partei des Landeshauptmannes per Spende einstellt. Honi soit qui mal y pense.

Seit Jahr und Tag reden viele Freunde und Kollegen und auch ich vom Fehlen der Ausstellungskritik und erst recht der kritischen Auseinandersetzung. Geführt werden müßte sie von und in den Medien, von den einschlägigen, museumsaffinen Wissenschaften, namentlich der Historikerzunft und last but not least von den Museen und MuseumsmitarbeiterInnen selbst. Meine lange Berufserfahrung sagt dazu: Never. Vergleichsweise etwa zur Literatur-, Theater- oder gar Filmkritik ist Ausstellungs(Museumsk)kritik quantitativ und qualitativ völlig unterentwickelt, die Historikerzunft ist abwesend und - schlimmer noch -, erklärt sich angesichts einer innerwissenschftlichen Kultur des Konsenses und der Mauschelei wie der institutionellen und politischen Abhängigkeiten eingestandenermaßen für nicht willens tätig zu werden. Und in den Museen gilt Kritik von Außen als empörend und störend und von Innen als eine Art von Landesverrat. Museen, genauer gesagt LeiterInnen von Museen, ahnen nicht, welche enorme Ressource (Selbst)Kritik-Fähigkeit ist!

Deshalb ist Roman Sandgrubers Ansatz, Kriterien der Museums- und Ausstellungskritik zu entwickeln, sehr verdienstvoll. Sein Text ist umfassend, am Beispiel sehr schön entwickelt, einleuchtend und scharf. Von so etwas braucht es mehr, viel, viel mehr. Ist das jetzt ein Anfang? Wird der Oberösterreichische Museumsbund unter seinem Präsidenten Roman Sandgruber (etwa mit Diskussionsveranstaltungen, Coaching, Tagungen, Forschungen und Forschungaufträgen etc. etc.) aktiv, oder gar, nicht auszudenken, gar der Österreichische Museumsverband oder ICOM Österreich in dieser Frage aktiv. Das wäre wunderbar!


Dienstag, 2. Juli 2019

Was hat Vorrang, Bild oder Text (Sokratische Fragen 43)



Ich lese in einer Ausstellungsrezension: 
"Die Eisenacher Ausstellung muss gelesen werden. 
Wer nur die Bilder anschaut, erfährt nichts."
Was hat beim Ausstellen den Vorrang: Bild oder Text?

Montag, 6. Mai 2019

Die kürzeste Ausstellungsrezension der Welt: Leben mit der Grenze im Museum für Geschichte des Universalmuseum Joanneum

Das sieht aus wie ein Schülerprojekt einer siebenten Schulstufe AHS.
Ein als Kurator und Historiker erfahrener Begleiter in der Ausstellung 100 Jahre Grenze III: 1946–2018. Leben mit der Grenze

Donnerstag, 28. März 2019

"Bruch und Kontinuität. Das Schicksal des habsburgischen Erbes nach 1918". Die ziemlich bessere Ausstellung zum Anlaß der Feier der Republikgründung


Eben ist Karl Habsburg, Enkel des letzten Kaisers von Österreich-Ungarn, verurteilt worden. Auf seiner Webseite verwendet er das "von". Das verstößt gegen das 1919 erlassene Habsburgergesetz. 70.- Euro soll ihn das kosten. Er hat gegen das Urteil berufen. Obwohl er nicht in Österreich lebt, fällt ihm jetzt eine Entscheidung auf den Kopf, die sein Großvater 1918 ausgelöst hat.

Die Geldbuße ist ein bizarrer Nachklang eines welthistorischen Ereignisses. Im Zusammenbruch der Monarchie war die Beendigung der Herrschaft der Familie Habsburg unausweichlich. Aber Kaiser Karl wiederrief im letzten Moment, auf dem Weg ins Exil, seine Abdankung. Das provozierte die junge Republik sofort dazu, Gesetze zu erlassen, die nicht nur das Tragen von Adelstiteln verbot, sondern auch Grundlage der Vertreibung der gesamten Familie Habsburg waren.

Wie weitreichend das Gesetz war läßt sich aus seiner Formulierung unschwer erkennen: Der nun im Ausland lebende ehemalige Träger der Krone wurde auf Dauer ins Exil verbannt, auch alle anderen Mitglieder „des Hauses Habsburg-Lothringen“, wenn sie nicht einschlägige Verzichtserklärungen abgaben und sich zur Republik bekannten. Eines dieser sich zur Republik bekennendes Mitglied wird in der Ausstellung nachdrücklich gewürdigt: Erzherzogin Elisabeth, Tochter Rudolfs, in erster Ehe eine Fürstin zu Windisch-Graetz. Durch ihre Ehe mit einem Sozialdemokraten wurde eine einfache Frau Petznek aus ihr, deren Nobilität wie einer List der Geschichte folgend, in der Bezeichnung als "Rote Erzherzogin" dennoch erinnert blieb.



Zugleich mit der Landesverweisung der Habsburger wurde das staatliche, aber in der Verwaltung des kaiserlichen Hofes gestandene hofärarische bewegliche und unbewegliche Vermögen im Staatsgebiet der Republik Deutschösterreich verstaatlicht. Das betraf also auch habsburgischen Familienbesitz mit Ausnahme strikt privaten Eigentums.
Es setzte nun ein politisch-ideologisch, administrativ-rechtlich umfassender und komplizierter Transformationsprozess ein, ein "Erbfall", dessen Komplexität man kaum erahnt. Ihm ist nun eine Ausstellung in jener inzwischen zum Museum (1924) gewordenen Institution gewidmet, die einst viele der monarchischen Mobilien verwahrte und verwaltete und dann, in der Republik, zu einem Ort des Deponierens und der Schaustellung wurde.

Lange Zeit war das Mobiliendepot selbst ein bizarrer Ort, ein Geheimtipp für museologische Connaisseure, ein Ort des halb und halb Vergessens und dennoch untot Überlebens. Ein typisch österreichischer lieu de mémoire - an dem Geschichte weder durchgearbeitet noch definitiv verabschiedet wurde.


Aber dann machte eine tiefgreifende bauliche und ausstellungspolitische Wende (seit 1993) das "Mobiliendepot" zu einem Museum, das teils historisch-dokumentarisch arbeitet, mit der Funktion eines Design-Museums liebäugelt aber auch in der in Teilen der Schausammlung inszenierten ironisch-fingierten Depotsituation, den Pomp und die historische Last des monarchischen Erbes bricht. Mit dem (partiell anachronistischen) Doppelnamen Hofmobiliendepot Möbel Museum Wien hält man sich beide Optionen offen; Die touristisch vermarktbare Habsburger-Nostalgie einerseits, das wissenschaftliche Sachmuseum andrerseits.
Wenn das Museum nun eine Ausstellung dem "Erbfall" der Republik eine Ausstellung widmet, dann kann es das aus seiner eigenen Geschichte und Funktion heraus machen und auch weitgehend aus eigenen Beständen. Keine Institution hätte mehr Legitimität und Kompetenz dazu. Anlaß ist das Republikjubiläum 1918, das ja auch an manch anderen Orten "gefeiert" wird, etwa in Wien mit der ersten Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich oder in Graz (Stadtmuseum) mit der Ausstellung Im Kartenhaus der Republik. 


Die Ausstellung im Hofmobiliendepot hat mich von all den einschlägigen Ausstellungen am meisten interessiert. Das Indiz, das ich anführen kann, sind die - von mir unbemerkt vergehenden - zwei Stunden, die ich sehr konzentriert und bis zum Schluß neugierig in der Ausstellung verbrachte. Ohne zu ermüden und über den Besuch hinaus zu vielen Fragen inspiriert, die ich dann zu Hause via Internet "nachgelesen" habe.

Das am wenigsten Überzeugende an der Ausstellung ist sein Titel "Bruch und Kontinuität. Das Schicksal des habsburgischen Erbes nach 1918", das die nichtssagenden Langweilerworte "Bruch" und "Kontinuität" vor die schwülstige Kontamination von "Schicksal" mit "Habsburg" setzt - wo es doch um den Aufbruch in eine neue Zeit geht. Im Titel ist die Republik untergegangen, nicht die Monarchie. Das zweite, was ich nicht so geglückt fand, aber damit bin ich mit dem Mosern schon am Ende, ist die Gestaltung der Ausstellung, die offenbar eher an einer Art kakanisch-repräsentativem Flair orientiert scheint, als am frischen Wind republikanischer Ästhetik.

In der kurzweiligen Eröffnung entspann sich unter den Festrednern eine spontane Kontroverse über die Einschätzung von 1918 zwischen Kontinuität und Revolution. Letzteres war es für Expräsident Heinz Fischer, der 1918 als revolutionär einschätzte - verfassungstechnisch, wie er betonte. Die für das Museum verantwortliche Sektionschefin  erweiterte den Revolutionsbegriff, indem sie die Beamtenschaft, die die Erbpolitik administrierte, als durchaus revolutionär befähigt bezeichnete. Da könnte man aber zur Vorsicht raten, denn es dauerte nicht lange, ehe dieselbe Beamtenschaft eine ganz andere Revolution entschiedend mittrug, jene von 1939ff.
Die Museumsleiterin, Ilsebill Barta, betonte die Kontinuität und gab der Leistung der Beamtenschaft, die die Transformation des Erbes innerhalb von geradezu sagenhaft kurzen drei Jahren abschloß, eine überraschende, sowohl tiefösterreichische als auch schon fast geschichtsphilosophische Dimension. Als Replik auf Heinz Fischers Worte zum Revolutionären 1918er-Jahr antwortete sie mit dem lakonischen Satz: "Es ist ja nix passiert".

Die Ausstellung hat Grundttugenden, die man bei jeder Ausstellung als Besucher schätzt: Eine klare Gliederung und Struktur, in diesem Fall eine Chronologie, Übersichtlichkeit, klare Abgrenzung der Themenbereiche, sehr passable räumliche Orientierung. Lange und viele Texte, aber gut geschrieben und geeignet, auch Unvertrautes und so Kompliziertes zu entwirren, wie den habsburgischen "Hofstaat" oder die Besitzverhältnisse in der Monarchie.

Ich kann mir an der Stelle die Spitze gegen das Haus der Geschichte Österreich nicht verkneifen, das dieselbe Grundfläche wie die Ausstellung im Hofmoniliendepot hat, aber mit einem Vielfachen an Objekten (angeblich 2000) und unglaublich vielen Themen den Besucher schnell ermüdet (nicht nur mir ist es dort so gegangen, allen meinen Freunden, die das Museum besuchten), zumal ein stringentes Leitsystem fehlt und wohl auch eine leitende Idee (das ist aber eine andere Geschichte).

Ich hatte mir bis zum Besuch der Ausstellung "Bruch und Kontinuität" noch keine Vorstellung über das Ausmaß des Erbfalls von 1918 gemacht. Es ging um Großbauten wie die Hofburg, und um wichtige kulturelle Institutionen wie etwa die Hofmuseen, die Oper, das Burgtheater, es ging aber auch um Tischtücher und Weinflaschen (aus der Hofkellerei). Es ging um Möbel und um Juwelen, die, als privater Besitz, in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Schatzkammer "entfernt" wurden und als "verschwunden" gelten. Es ging um Insignien und um Nachttöpfe, um Gemälde oder um Servietten, Teekannen und Tischtücher. Das war und ist übrigens noch immer eine Funktion des Mobiliendepots und der Silberkammer (das Zwillingsmuseum in der Hofburg), das nutzungsorientierte Aufbewahren. Für diplomatisches Tischlein-Deck-Dich wird heute noch vom Staat auf die Bestände der Museen zurückgegriffen - in gewissem Umfang ist hier möglich, was ansonst Museen strikt verwehrt ist: der praktische Gebrauch der Objekte.


Vieles was es ab 1918 zu regeln galt, war von Not diktiert. Die Versorgung der Bevölkerung, die Schaffung von Wohnraum waren die wichtigsten Aufgaben, die zu lösen waren. Und so versteigerte man vieles bzw. hätte sich auch auf den Tausch z.B. von Ausstattungegegenständen aus Schönbrunn gegen Lebensmittel eingelassen. Schönbrunn wurde zum Soldatenquartier. Nur am Rand, mit Hilfe von Zitaten Karl Renners über die Verantwortung des "Erzhauses", wird deutlich, wie groß die Not war und der Haß auf die Habsburger und auf die Monarchie. Zu groß waren die erzwungenen Opfer von Soldaten und in der Zivilbevölkerung. Dieser Haß, aber auch alle damit verbundenen Einsichten und Lernprozesse, wo sind die eigentlich geblieben - sind sie durch die Habsburgernostalgie seit den 1950er-Jahren übertüncht, verschüttet worden? Hat uns Romy Schneider davon erlöst?


Es gab jede Menge rechtlicher, logistischer, finanzieller Probleme zu lösen. Für Ideologisches war da meist kein Platz. Immerhin war die Hofburg so kontaminiert, daß sie als Sitz des Bundespräsidenten nicht in Frage kam, das passierte erst nach 1945. Allein um die (Hof)Sammlungen bahnte sich ein Grundsatzstreit an, eigentlich weniger ein Streit, als ein zähes Bemühen, sie zu wahrhaft republikanischen Institutionen zu machen. Dieses in der Ausstellung ausführlich dargestellte Kapitel der österreichischen Museumsgeschichte hat mich schon als Student interessiert - das Bemühen des Kunsthistorikers Hans Tietze, der zeitweilig oberster Kulturbeamter war, die Museen zu transformieren, auch solche Flagschiffe wie die Albertinasammlung und das Kunsthistorische Museum. Er scheiterte am konservativen Widerstand. Mir scheint, daß dieses Scheitern bis heute tiefe Spuren hinterlassen hat. Ein bürgerlich geprägtes Museumswesen hat sich in Wien (in den Ländern war das anders) angesichts der vielen und großen habsburgischen Sammlungen kaum entwickeln können. Und so prägt - meiner Meinung nach -, bis heute eine Art postfeudaler Haltung die Arbeit vieler Museen, namentlich das Kunsthistorische, das selbst dem vergleichsweise zum k.und.k-Nimbus plebejisch-neoliberalen Zugriff Wilfried Seipels widerstanden hat, aus ihm eine Art Geldmaschine werden zu lassen, die das symbolische Kapital, so gut es halt geht, zu pekuniärem machen sollte.

Sehr interessiert hat mich der Ausstellungsteil zur Neuen Hofburg. Ihr Architekt erwies sich als erstaunlich flexibel, den jeweiligen politischen Instanzen zu ideologisch wechselnden Zeiten das Passende bei der Fertigstellung des Bauwerks anzubieten, mal Luxushotel, mal Kinderheim. Mal Rendite, mal Wohlfahrt. Man erfährt da so einiges, wie hier eher ratlos und unentschieden mit dem längst Überdeterminierten der Architektur umgegangen wurde. An dem Brocken Erbe hat man sich verschluckt. Bis heute gibt es kein Konzept, wie man mit dem imperialen Anspruch des Torso gebliebenen "Forum" aus Museen und Hofburg umgehen soll. Zum Verständnis der Situation trägt dieser Ausstellungsabschnitt umfassend bei, man erfährt viel über jenen wenig zufriedenstellenden Zustand, in dem das Gebäude und die hier untergebrachten Museen sind. Das gilt erst recht für das neuerdings durch ein ministerielle Machtwort einquartierte und schon erwähnte Haus der Geschichte Österreich. Für ein Republikmuseum war sein Standort - es standen mehrere zur Wahl -, immer schon umstritten. Erst recht dann der Umzug in die Neue Burg. Das Haus der Geschichte Österreich, das ist meine zweite Spitze gegen dieses neue Museum, trägt nichts zur selbstreflexiven Befragen seines Standorts bei. Anders als vollmundig angekündigt, hat man sich mit der vorhandenen Architektur nicht auseiandergesetzt. Sie durch Bespielung zu kommentieren oder konterkarieren hat man unterlassen. Das Haus der Geschichte Österreich fährt eisern seine message control und trägt, meiner Meinung nach ganz gezielt, nichts dazu bei, eine Debatte über Sinn und Zweck dieses Museums, also auch seines Standortes, zuzulassen. Verheerend für ein Museum, das ständig mit Wörtern wie "Demokratie" und "Diskurs" und "Offenheit" und "Partizipation" fuchtelt.

Es gibt viel zu Lesen in "Bruch und Kontinuität", aber es wird mit Objekten überdurchschnittlich klug umgegangen. Das "überdurchschnittlich" grenzt gegen die landauf landab in Ausstellungen geübte Notvergemeinschaftung ab, von - den Sinn (mehr oder weniger) tragenden - Text und der Zuordnung von "Alibi"-Objekten, die selbst kaum etwas bedeuten dürfen. Wo immer ich in letzter Zeit so genannte (zeit)historische Ausstellungen gesehen habe, erwiesen sie sich im Umgang mit Objekten phantasie- und hilflos. Die Kunst, visuell zu argumentieren, beherrscht kaum jemand, Objekt reiht sich an Objekt ohne die geringste Verbindung einzugehen. Mehr wird auch gar nicht intendiert. Die Geste "da hätten wir übrigens noch was zu zeigen" überwiegt. KuratorInnen scheinen glücklich, überhaupt an Sammlungsbestände gekommen zu sein und machen mit ihrem Besitzerstolz aus Exponaten Auslegeware, deren Sinn sich im Bestauntwerden erschöpft.
Monika Flacke, die im Deutschen Historischen Museum als Kunsthistorikerin unter die Historiker gefallen ist, hat vor Jahren in einem schönen Essay diese im Grunde vortheoretische und unbedarfte "Bildpraxis" der Ausstellungshistoriker scharf kritisiert und für diesen gegenüber der Polyvalenz von Bildern unempfänglichen und für bildhaftes Erzählen unfähigen Typ von Ausstellungen das Wort "Historikerausstellung" erfunden.

Man gehe mal ins Haus der Geschichte (meine dritte und letzte Gemeinheit gegenüber diesem Museum, versprochen) und konzentriere sich ausschließlich auf die Frage, wofür dort eigentlich Objekte stehen. Mal ganz abgesehen davon, daß es dort vorkommt, daß die KuratorInnen ihre Objekte selber nicht verstehen, (wie etwa Conchitas "Sieger"-Kleid).


Dagegen hier, im Hofmobiliendepot: Die originale Vitrine der Schatzkammer mit mit den leeren Schatullen zu zeigen, in denen einst die royalen Kostbarkeiten lagen, zusammen mit einem historischen Foto der Vitrine im ursprünglichen Zustand, das ist zwar kein neuer Kniff etwas sinnfällig zu machen: nämlich die Entwendung der Kronjuwelen, die das Hofmoniliendepot in Kooperation mit der Schatzkammer nun weitgehend aufgeklärt hat. Aber es ist eine Methode, nicht alle Last der Verständigung auf Texte abzuwälzen. Schön sind so fast versteckte symptomatische Dinge wie das Foto vom Hofzug, der den kleinen Bahnhof in der Nähe von Eckartsau verläßt um den "letzten Kaiser" ins Exil zu begleiten. Man hat der denkbaren Versuchung widerstanden, das Foto inszenatorisch oder maßstäblich zu pushen. Wie eine Fußnote bietet es einen fast beiläufigen Kommentar, als banaler anonymer Schnappschuß, der mit einer tiefen Zeitenwende kontaminiert ist.



Ein Thron als Museumsstück ist schon ein Symtom als solches, aber der hier, ein "letzter", wird inszeniert als könne er jederzeit wieder bestiegen werden. Wenn da nicht die übliche Museumskordel wäre, die ihn zum musealen Schaustück macht und dann ist da noch ein an die Thronstufen gelehnte Text über den man "stolpern" soll. Joseph Roths bitter-aphoristische Sätze schaffen nicht nur zusätzlichen Bedenkraum, den jede musealisierende Distanz eigentlich schaffen sollte, sondern vermiesen einem auch gründlich vorschnelle triumphalistische  Identifikation mit dem Republikanismus. Ein Historiker dürfte so etwas nicht schreiben, ein Literat ja, und auch wenn das gegenüber einem wissenschaftlichen Text den Makel des Unscharfen, Polemischen an sich hätte, Roths saloppe Formulierungen schließen mehr auf als ein halbes Essay.
Alfred Polgar steuert an andrer Stelle dann noch kongeniale Sätze zum Museumswerden des Habsburgergutes bei, also zur Umwandlung des Depots in ein Museum - zu lesen als ein selbstironischer und selbstreflexiver Akt, auch aufs heutige Museum anwendbar, aber übertragbar überhaupt auf die prekäre Dialektik des Musealen, für die die Alltagssparache den Sinn fürs Negative, Über- und Abgelebte bewahrt hat. Etwas als "museal" zu bezeichnen ist nie freundlich gemeint.


Eine solche ironische Rahmung, die ein Museum einem solch überdeterminierten Erbe bietet, kann einen schon irre machen  - soll ich jetzt spekulieren, ob die "Glocke zum Führer" nicht nur für den Beamten gedacht gewesen war, der Führungen durch das junge Museum angeboten hat, sondern durch zu häufiges und zu langes Läuten einen anderen Führer herbeigerufen hat? Man soll halt nicht zu viel Polgar lesen. Oder Thomas Bernhard.

An mehreren Stellen kam die Ausstellung meiner mitgebrachten ironischen Leseweise, meiner Neigung und Lust zum symptomatischen dechiffrieren, entgegen. An einem Spucknapf, ausgerechnet an einem Spucknapf, wird einem an Hand der an seiner Unterseite angebrachten Stempel, Aufkleber und Beschriftungen der lange Weg von Objekten durch die Zeiten büokratischer Verwaltetheit anschaulich gemacht. Hier hat man die ganze polirisch-historische Komplexität des Erbfalls an einem trivialen Objekt vor sich.



Und an einem Senftopf, ausgerechnet an einem Senftopf, hat man durch Wegkratzen des Doppeladlers versucht, das Objekt republiktauglich zu machen. Auch das noch: Intelligenz und Witz im Umgang mit Dingen!

Die Ausstellung ist bis zum 30.Juni 2019 zu sehen.





Mittwoch, 19. Dezember 2018

"Spitzmaus Mummy in a Coffin". A rather senseless exhibition in the Kunsthistorisches Museum Wien.

This exhibition undercuts everything I have seen so far in the Kunsthistorisches Museum in Vienna.

I would also like to do what I want with my girlfriend at the KHM and maybe I could think of something. But I wouldn't come to The New York Times or Die Zeit. And besides, I wouldn't have Prada behind me, the co-producer of the exhibition.

Filmmaker Wes Anderson worked with his companion "two years" in the museum, the introductory text reveals, and I wonder who made his films in the meantime. The information that for the first time all collections had cooperated here is a double oath of revelation, because one wonders whether the synergies between them have so far only been sought in the financial realm, and secondly why one needed an external curator in order to have this idea: to arrange objects in eight little rooms nested in a single room: green objects, objects made of wood, containers, child portraits, and so on. That's it.

As many critics have written, this has as much to do with Wunderkammer as an iPhone football game with FC Barcelona. No intelligent questioning of the museum order of things, no entanglement of the collections with regard to their history, also nothing with regard to new endowments of meaning through the merging of otherwise separate collections of objects, no illumination of the significance of individual objects through surprising contexts, no critical questioning of the prevailing orders in the permanent collections.

The whole thing is an exercise in the question of how much infantilization an audience can just tolerate. After having seen the show you can buy objects from Mrs. Malouf. About 250 Euro a piece. It's nice that the KHM is now also an art market and provides Prada with cultural added value.

I leave the word to Thomas Mießgang, who wrote in DIE ZEIT about the exhibition: "In any case, this guarantees high quotas within the framework of an economy of attention and can often be translated into blockbusters. The museum directors hope that the wild thinking of the artist curators will produce shock-like collisions, fascinating breaks, and unfathomable perspectives that will blow away the muffiness of a hundred years that has accumulated in the depot goods. If, however, as with shrew Mummy, only rares for cash can be seen without any special value of knowledge, and if festivals of chance are held, then museum visitors would like to quote Herman Melville's novel character Bartleby: "I would prefer not to."

Montag, 17. Dezember 2018

Bloß nicht! Spitzmaus Mummy in a Coffin

Diese Ausstellung unterbietet alles, was ich bislang im Wiener Kunsthistorischen Museum gesehen habe.

Ich würde auch gerne mal mit Freundin im KHM machen was ich will und möglicherweise würde auch mir irgendetwas einfallen. Aber ich käme nicht in die New York Times oder Die Zeit.
Und außerdem hätte ich nicht Prada hinter mir, den Koproduzenten der Ausstellung.

Filmemacher Wes Anderson hat mit Gefährtin „zwei Jahre“ im Museum gearbeitet, verrät der einführende Text und ich frage mich, wer inzwischen seine Filme gedreht hat. Die Information, daß hier erstmals alle Sammlungen kooperiert hätten ist ein doppelter Offenbarungseid, weil man sich fragt, ob denn die Synergien zwischen ihnen bisher bloß im Finanziellen gesucht worden sind und zweitens, warum man einen externen Kurator benötigte um diese Idee zu haben: in acht in einen Saal verschachtelte Zimmerchen Objekte so zu ordnen: grüne, aus Holz gemachte, Behältnisse, Kinderporträts uam. Das wars dann schon.

Mit Wunderkammer, wie viele Kritiker schrieben, hat das so viel zu tun wie Tipp-Kick mit FC Barcelona, mit intelligenter Befragung der Museumsordnung der Dinge nichts, mit einer Verschränkung der Sammlungen in Hinblick auf ihre Geschichte nichts, auch nichts in Hinblick auf neue Sinnstiftungen durch Zusammenführung sonst getrennter Objektbestände, mit Erhellung von Bedeutung einzelner Objekte durch überraschende Kontexte nichts, mit einer kritischen Befragung der herrschenden Ordnungen in den permanenten Sammlungen nichts.
Das ganze ist eine Übung zur Frage, wieviel Infantilisierung ein Publikum gerade noch verträgt. Dafür darf man dann aber Objekte von Frau Malouf käuflich erwerben. So um die 250.- Euro das Stück. Schön daß das KHM jetzt auch Kunstmarkt ist und Prada kulturellen Mehrwert verschafft.

Ich überlasse Thomas Mießgang das wort, der zur Ausstellung unter anderem schrieb: „Das garantiert in jedem Fall hohe Quoten im Rahmen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit und lässt sich oft auch in Blockbuster ummünzen. Die Museumsleiter erhoffen sich vom wilden Denken der Künstlerkuratoren schockartige Kollisionen, faszinierende Brüche und abgründige Perspektiven, die den Muff von hundert Jahren, der sich bei der Depotware angesammelt hat, mit frischem Wind wegblasen. Wenn aber wie bei Spitzmaus Mummy nur Rares für Bares ohne sonderlichen Erkenntniswert zu sehen ist und Festspiele der Zufälligkeit veranstaltet werden, dann möchte man als Museumsbesucher die Romanfigur Bartleby von Herman Melville zitieren: "I would prefer not to."

Sonntag, 16. September 2018

Eisen - Eine Spurensuche mit Erzherzog Johann




Kulinarisch motiviert bin ich unlängst in den kleine Ort Stainz gefahren. Das sind so etwa 30 Minuten mit dem Auto. Unterwegs gabs ein Plakat am Straßenrand, das für die Ausstellung „Eisen“ im Schloß Stainz warb. Dort befinden sich ja zwei zum Universalmuseum gehörige Sammlungen - das Landwirtschaftsmuseum und das Jagdmuseum.
Also machte ich mich nach meinem geplanten Gabelfrühstück auf den kurzen Weg zum Schloß, vorbei an spätsommerlichen Zwetschken- und Apfelbäumen. Angekommen an der Kassa des Museums,  blockierte grade eine ÖÄMTC-Gruppe umständlich den Kartenverkauf. Den Weg zur Ausstellung mußte ich mir nach Erwerb der Eintrittskarte dann selber suchen, eine Beschilderung gabs nicht.

Der erste Ausstellungsraum wird von einem wandgroßen Foto des Erzberges beherrscht, rechts hängt eine Reproduktion eines Erzherzog Johann-Bildes, im der Raummitte liegt ein Stahlseil, auf einer Trommel aufgerollt. Mit Angabe des Leihgebers, einer Firma, die im selben Raum durch ein weiteres Objekt repräsentiert ist. Reflexartig fragte ich mich: ist das der Sponsor der Ausstellung? Aber warum mit zwei Objekten aus Stahl? Eines davon besagtes Seil. An der Wand dann eine Grafik einer Brücke und Erläuterungen zu frühen von Drahtseilen und Stahlseilen getragenen Brücken.

Nun sind Eisen und Stahl fast aber eben nicht ganz dasselbe, warum also dieser Schwerpunkt auf Stahlseilen und das gleich mit einer Headline Geschichte des Drahtseils, erläutert an ganzen drei Brücken, in einem einzigen Absatz. Das ist schon seltsam. Und was haben nun diese Industrieprodukte und Brücken-Projekte mit Erzherzog Johann und dessen Förderung und Entwicklung der Eisenindustrie in der Steiermark zu tun? Wie soll man das Springen vom frühen 19. ins späte 19. und dann ins 20. Jahrhundert und den Zusammenhang zwischen den diversen Informationen verstehen?

Neben der Eingangstür läuft auf einem Monitor ein Film. Es läuft grade eine Sequenz zu moderner Stahlproduktion. Neben dem Monitor gibt es zwei Texttafeln. Eine hat Angaben zu einem kurz nach 1900 entstandenen Film, der aber grade nicht läuft, der zweite Text gibt allgemeine Informationen ohne Angaben zu den Filmen und ihrer Länge. Der laufende Film läßt sich so nicht identifizieren. Die Filme muß man sich im Stehen ansehen.

Ein Filmwissenschafter hat mir einmal erklärt, daß in der ersten Einstellung, in einem opening shot, gleichsam schon der ganze Film enthalten ist. Hier finde ich das in einer Ausstellung wie bestätigt, aber nicht als erzählerisches Prinzip, sondern als methodisches. Der Ausstellung fehlt wie dem ersten eröffnenden Raum jede Struktur. Es gibt keine Fragestellung, keine Erzählung. Die Auswahl- und Ordnungsprinzipien wechseln nicht nur in Raum eins, sondern in der gesamten Ausstellung. Der erste Raum ist ein opening shot besonderer Art. Mißglückt verweist er auf eine mißglückte Ausstellung.



Da gibt es einen Raum, in dem Kunstwerke gezeigt werden, die Eisenverarbeitung zeigen. Weder narrativ, noch chronologisch ist eine Ordnung oder Wahl zu erkennen. Wie die Bilder untereinander oder mit den vorhergehenden oder folgenden Räumen zusammenhängen bleibt vage. Dann geht es in einem anderen Raum um Anwendungen von Eisen, in der Architektur, z.B. am Eisernen Haus in Graz, für Denkmäler, Kunsthandwerk, Werkzeuge, Geräte. Das Display ist konventionell, die Beschriftung z.T. so platziert, daß man sie kaum lesen kann. z.B. viel zu tief, etwa auf Kniehöhe.

Der Zeitrahmen ist sehr weit gespannt - Objekte aus dem 19. Jahrhundert dominieren, aber es gibt, wie schon erwähnt, Objekte aus dem 20. Jahrhundert und aus der Gegenwart, ich erinnere mich aber auch an etwas aus dem 9.Jahrhundert. Niemand kann in einer halben Dutzend Räumen eine - nun ja was eigentlich? - Kulturgeschichte, Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte des Eisens erwarten. Wozu dann aber der Titel, der ja keinen Hinweis auf eine Eingrenzung, weder thematisch noch zeitlich, verweist? Und aus der Zeitdifferenz der gezeigten Objekte werden keine Einsichten generiert. So bleibt es beim bloßen Nebeneinander.



Die Auswahl der Objekte ist rätselhaft. Daß es hier viele Landwirtschafts- und speziell Ackerbaugeräte gibt, ist angesichts des lokalen Museums naheliegend, aber warum wird z.B. nichts zur Waffenproduktion gesagt - sieht man von einem Jagdgewehr und einer irgendwo abgelegten Kanonenkugel ab? Zu der übrigens ein Text so informiert: „Kanonenkugel aus Gusswerk. Das Eisenwerk in Gusswerk erzeugt für die kaiserliche Armee Kanonen, Mörser, Munition, daneben aber auch gusseiserne Öfen, Geschirr und Grabtafeln.“ Mehr gibts da nicht zu wissen? Was bietet man uns da als wissenswert an?

Einen losen roten Faden durch die Schau bilden Initiativen und Projekte von Erzherzog Johann. Er wird als Vordenker der Südbahn (Achtung!, Eisenbahn) gewürdigt. Dann wird ein Stück Sozialpolitik erläutert, die er in der Eisenverarbeitung implementiert hat. Dann gönnt man seiner Initiativen was Ausbildung und Forschung in der Eisenerzeugung betraf usw. einen Text. Aber nicht einmal diese „Geschichte“, die Entwicklung der Steirischen Eisenindustrie in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts und die Rolle EH Johanns, wird konsistent erzählt. Es bleibt auch das Stückwerk.

Die Ausstellung hat keinen roten Faden, keine Fragestellung, kein Anliegen, nicht einmal ein Thema. Dies und jenes zu Eisen, könnte man sie zusammenfassen. Irgendwann ist man im letzten Raum und die Ausstellung endet. Ohne Resümee, ohne Pointe, ohne Schlußpunkt.

Dennoch hat die Ausstellung mich auch vergnügt. Und das lag an den Objekten. Da gibt es einen Eisernen Hut, dessen Funktion mir zwar nicht so ganz klar wurde, der aber Anlass ist, die Sage vom Erzberg wieder einmal zu erzählen. Mit der habe ich schon in meiner Volksschulzeit in Niederösterreich Bekanntschaft gemacht. Sie muß mich beeindruckt haben, sonst würde ich mich nicht an sie erinnern.



Eine Waschmaschine aus Eisen, die am Herd erhitzt wurde. Sowas habe ich noch nie gesehen. Einen Maulkorb, der in einer Ausstellung über minimalistische Skulptur einen Ehrenplatz haben könnte, kannte ich bisher nur als sprachliche Metapher. Einen Apfelschäler, eine Kaffeeröstmaschine. Stiefelknechte in Form riesiger Käfer gibts hier. Jede Menge Schaufelblätter, Hauen und andere vielfältige Werkzeuge, zu Tableaus an der Wand drapiert. Weil die Dinger alle rabenschwarz sind, bilden sie ein veritables Schattentheater - der Raum bleibt der einzige gestalterisch auffallende und ansprechende.



Und dann gibt es da einen „Cultivator“, den ein Herr „Jethro Tull in England“ entwickelt hat. Jethro Tull? Kenne ich als Pop-Band. Also zu Hause bei Wikipedia nachgeschlagen. Dort erfährt man, daß die Band am Beginn ihrer Karriere keinen festen Namen hatte und den manchmal wöchentlich wechselte. Bis der historisch gebildete Manager der Band anlässlich eines Auftritts in einem sehr prominenten Club den Namen Jethro Tull vorschlug, eines bedeutenden englischen Agronomen des 18.Jahrhunderts. Muß man nicht wissen, wenn man vor dem Cultivator steht. Bei dem gehts um Unkraut, nicht um Musik. Aber ich dachte, ob das nicht eine Option gewesen wäre, sich auf die semantische, funktionale und historische Qualität, Wunderlichkeit, Innovativität, Ästhetik usw. der einzelnen Objekte zu stützen, statt ein nicht-chronologisches, verwirrendes, zusammenhangloses Pasticcio von Dingen und Informationen auszubreiten.

Und was hat die ÖAMTC-Gruppe mit der Ausstellung angefangen? Was kann überhaupt wer mit einer derartigen Ausstellung anfangen? Was weiß man nachher, was man nicht schon wußte? Außer daß EH Johann 1819 Heuwender über die Landwirtschaftsgesellschaft verbreiten ließ? An wen wendet sich eine solche Ausstellung, an welche Erwartungen orientiert sie sich? Geht es überhaupt um Wissen, oder bloß um eine ein wenig zerstreuender Beschäftigung mit einer Vergangenheit, von der einem hier niemand mehr auch nur annähernd klarzumachen versucht, was sie uns heute angehen könnte?

Die Objekte, die mir so gut gefallen haben, stammen aus den ältesten Sammlungsbeständen des Joanneums. Sie waren einst „Lehrmittel“, mit denen neue Technologien und damit neue und rationellere Bewirtschaftungstechniken durchgesetzt werden sollten. Das steht damals nocht nicht völlig unter dem Diktat kapitalistischer Effizienz, sondern ist ein Beitrag zur Vebesserung der Wirtschaftsleistung des Landes und damit der Wohlfahrt seiner Bevölkerung. Wie das gemeint war, kann man in den ingeniösen Statuten des von EH Johann gegründeten Museums nachlesen. Von einem vergleichbaren utilitär-didaktischen Ziel ist die Ausstellung meilenweit entfernt. Sie ist so zerstreut wie sie möglicherweise nichts anderes will oder kann, als etwas Zerstreuung bietet. Und hinterläßt keine Spur, weil sie nichts sucht, keine Spur aufnimmt, die uns in die Gegenwart führt (zur Erinnerung der Untertitel der Schau: Spurensuche mit Erzherzog Johann). Historisches Ausstellen, definiert der Geschichtstheoretiker Jörn Rüsen als von Erfahrung von Zeitdifferenz getragenem sinnstiftendem Erzählen. Nichts davon hier.
Ein wenig Kaffeehunger könnte „Eisen“ vielleicht hinterlassen, zu stillen im Café im Hof (Selbstbedienung).



Das Museum Joanneum, pardon, das Universalmuseum Joanneum, produziert in den letzten Jahren viele mißglückte (kultur)historische Ausstellungen. Die Neueinrichtung des Museum im Palais als Museum für Geschichte ist schiefgegangen. (Dazu ein andermal). Mit wem auch immer ich (viele Male) dort war und wir über das Schaudepot und den ‚historischen‘ Teil diskutierten, niemand fand daran etwas Geglücktes (vielleicht habe ich nur die falschen Freunde?). Bei „Bertl und Adele“ gibt es aber keine Diskussion. Diese Ausstellung, die für sich in Anspruch nimmt, den Holocaust museal zu repräsentieren, hätte nicht nur meiner Meinung nach, sondern auch nach der vieler Experten Jüdischer Museen oder Gedenkstätten und Ausstellungen in Konzentrationslagern nie und nimmer eröffnet werden dürfen. Bei all diesen Ausstellungen, wie auch bei der vergleichsweise harmlosen in Stainz, fragt man sich, ob es keinerlei Evaluation oder, was ja neuerdings so beliebt ist, Qualitätskontrolle gegeben hat, keine Expertisen, mit denen man sich hätte absichern oder beraten lassen können?

Kümmert sich die Leitung um die Ausstellungen? Hat sie Kriterien und Anforderungen? Oder pflegt sie Zurückhaltung und überläßt die Verantwortung den Abteilungskuratoren (innen)? Wenn das so ist, dann korrespondiert diese Gleichgültigkeit mit der der Öffentlichkeit. Zu den genannten Ausstellungen gab es kaum Resonanz in den einschlägigen Massenmedien und wenn, dann neutral oder affirmativ. Das ist schon erstaunlich, daß die Eröffnung des ersten Steirischen Geschichtsmuseums (des Hauses für Geschichte) so gar kein Echo hatte. Die führende, in der Steiermark marktbeherrschende Kleine Zeitung pflegt eine Medienpartnerschaft mit dem Museum. Darf man aus der auf die auffallende Zurückhaltung dieser Zeitung schließen, wenn es um das Joanneum geht? Aber welche Zeitung leistet sich auf dem Feld der Kultur noch Kritik, die diesen Namen verdient? Und die (lokale) Historiker(innen)zunft? Die ist involviert, beteiligt, schweigt, äußert sich, dann aber oft deftig, nur off records.

Das Joanneum ist eines der größten, personalintensivsten und teuersten österreichischen Museen. (Eine aufrichtiges Benchmarking würde im übrigen zeigen, daß das Museum nicht nur teuer, sondern auch gemessen an seiner Leistung, viel zu kostspielig ist).
Nicht nur ich, auch etwa MitarbeiterInnen des Museums und Kulturinteressierte, fragen sich, welche Haltung hat das Museum eigentlich, welche mission, oder, um entgegenkommend zu sein und dem derzeitigen Trend zu Marketing ‚gerecht‘ zu werden, welchen Markenkern?

Dienstag, 26. Juni 2018

Unser Doktor Dollfuß oder: Wie in der Republik mit deren Bedrohung und Beseitigung umgegangen wird


Kassette mit Erde aus dem Grab von Engelbert Dollfuß
Holz, Erde, Produzent unbekannt
Österreich, 1935 Dr. Engelbert Dollfuß-Museum, Texing / Foto: ÖMV

Die Gemeinde Texingtal (Niederösterreich) will sich 2018 kritisch mit dem Erbe von Engelbert Dollfuß auseinandersetzen. Dollfuß ist in dieser Gemeinde geboren. In seinem Geburtshaus wurde 1998 ein Dollfuß-Museum eingerichtet.
„Wir müssen diese Jubiläumsjahre nutzen," sagt der Bürgermeister, "um uns mit unserer eigenen Geschichte zu beschäftigen“. Dazu ist das Museum da: „Dort wird das Historische gut erarbeitet und kritisch behandelt. Wir müssen die Thematik immer wieder diskutieren und aus den Fehlern der damaligen Zeit lernen.“
Der Manker SP-Stadtrat Anton Hikade, über dessen Zuständigkeit in dieser Angelegenheit man via Niederösterreichische Nachrichten nichts erfährt, meint hingegen: "Die Präsentation ist (...) ein Totenkult des Diktators.“
Allerdings hat Stadtrat Hidake das Museum nie gesehen. „Ich war einmal dort, da war aber geschlossen. (...) Es ist ja kein Museum zur geschichtlichen Weiterbildung. Und wozu sollte ich als Sozialdemokrat eine Kultstätte der ÖVP besuchen?“
Mank, die Heimat des Museumskritikers Zikade, hat kein Dollfuß-Museum dafür einen Dollfuß-Platz. Über eine Umbenennung wird im Gemeinderat diskutiert. Hikade ist für die Umbenennung und für eine Überarbeitung des Museums in der Nachbargemeinde: „In Zeiten, in denen es in Österreich einen gestiegenen Wunsch nach einem starken Mann gibt, wäre es höchst an der Zeit, der Öffentlichkeit auch den Führerstaat unter Dollfuß zu erklären.“
Der Texinger Bürgermeister kontert: "Ich lade alle ein, sich ohne Schaum vor dem Mund ein Bild zu machen. Die Zeit ist darin entsprechend dokumentiert.“ Die Frau Landeshauptmann wurde auch schon eingeschaltet. Was mit dem Museum wird, ist derzeit offen.
"Auf nön.at stimmten (laut NÖN.at, 3.5.2017) 65.7 Prozent gegen die Umbenennung des Dollfuß-Platzes in Mank."
Laut Google-Maps existiert der Platz noch. Als - Achtung! - Doktor-Dollfuß-Platz. Ehre wem Ehre gebührt.

"Chrtliches Gedenken"an den "Heldenkanzler". Dollfuß-Museum Texing

 P.S.: Eine ausführliche Kritik des Museums aus dem Jahr 2016 erschien in der Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerschaft "progress" (hier). Zitat: "Für eine geschichtsinteressierte Person gibt es so gut wie nichts her: keine Hintergründe, keine differenzierte Auseinandersetzung. Es herrscht ein Mangel an Informationen sowie kritischer Distanz, der fast schon unterhaltsam ist: Dollfuß kam aus bescheidenen Verhältnissen, sammelte ein wenig Tand an, arbeitete hart und fleißig als Landwirtschaftsminister, wurde IRGENDWIE Kanzler, um dann von Nazis erschossen zu werden. Wer eine Ahnung von österreichischer Zeitgeschichte hat, muss schon eine Vorliebe für plumpe Aussparungen und Euphemismen haben, um dem Museumsbesuch etwas abgewinnen zu können. Wer keine hat, lernt auf Wikipedia wesentlich mehr."
Die Autoren der Museumskritik, Georg List und Michael Gruber weisen auf die finanzielle Förderung des Museums durch das Land Niederösterreich und das Unterrichtsministerium hin und zitieren aus dem Gästebuch: „In Zeiten von Freihandelsabkommen und Massenmigration braucht es wieder einen starken Führer.“

Eine massive Kritik am Museum und am "Dollfuß-Mythos" findet sich im gleichnamigen Buch von Lucile Dreidemy. Dazu (hier) die Renzension von Peter Huemer im "Falter" aus dem Jahr 2015.

Freitag, 15. Juni 2018

Zwei Mal "Arbeit ist unsichtbar"

Die ähnlichkeit der Überschriften läßt offenbar viele "User" des Blogs übersehen, daß es zur Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" zwei Texte von zwei verschiedenen Autoren gibt. Hier die Links zu beiden Texten:

1
https://museologien.blogspot.com/2018/06/arbeit-ist-unsichtbar-die-neue.html

2
https://museologien.blogspot.com/2018/06/arbeit-ist-unsichtbar-museum.html

Mittwoch, 13. Juni 2018

Arbeit ist unsichtbar. Museum Arbeitswelt Steyr. Ein Ausstellungsrundgang mit Fragen


Ungewöhnlicherweise gibt es zur Ausstellung Arbeit ist unsichtbar zwei "Besprechungen", zwei Texte, die auf ungewöhnliche Weise zustandegekommen sind. Durch einen gemeinsamen Besuch im Museum mit meinem Bruder (der fachlich mit Museen nie etwas zu tun hatte, der also als "Museumsbesucher" geschrieben hat, während ich immer museologische flausen im Kopf habe, wenn ich in eine Ausstellung gehe).
Seinen Text habe ich schon gestern (hier) veröffentlicht. Heute folgt meiner:

Ankunft

Die freundliche Museums-Mitarbeiterin an der Kassa erklärt das Museum für frei zugänglich, mit EU-Mitteln aus einem speziellen Förderprogramm ist das, wenn ich das richtig verstanden habe, eine zeitlang möglich. Fein. Noch toller ist diese Mitarbeiterin selbst. Sie ist kompetent, freundlich, auskunftsfreudig, was wichtig ist, denn in der Ausstellung selbst gibt es (nur an diesem Tag?) keine Aufsicht, keinen Ansprechpartner. Und dann weiß sie auch noch das beste Eisgeschäft in Steyr.
Das ist Frau Bettina Ebner, auch für die Bibliothek und das Archiv zuständig. Sie macht uns (ich bin in Begleitung meines Bruders unterwegs, der übrigens so wie ich längst in Pension ist aber einen völlig anderen beruflichen Hintergrund hat, also eine Ausstellung anders sieht als ich) darauf aufmerksam, daß es ein wenig unorthodox losgeht. So!? Wie?

White Cube

In der großen Halle, in der bis zu ihrer Zerstörung durch Hochwasser die drei riesigen Energiemaschinen standen, die dem Museum Rückgrat gaben, grenzen jetzt fast raumhohe weiße Vorhänge einen Raum ab. Wie früher beim Hausarzt bei heiklen Behandlungen - nur viel größer. Hier nimmt man auf harten Holzfauteuils Platz, zusammen mit anderen Besuchern (an diesem Tag, der Samstag vor Muttertag und strahlend schön, sind es nicht so viele), klemmt sich Kopfhörer über und bekommt eine neun Minuten dauernde Einführung. Ein Text zu Verwandlung und Arbeit als Verwandlung und zur Unsichtbarkeit der Verwandlung. „Arbeit ist unsichtbar“.
Ein fast schon poetischer Text, klar, gut fasslich, ruhig gesprochen, von einem Mann. Wenns ums Erklären Welt geht, und hier geht es erst einmal um alles, sind immer Männer zuerst zur Stelle.


Arbeit ist Veränderung der natürlichen Umgebung. Heute gäbe es kaum noch etwas, was nicht durch den Menschen verändert worden sei. (Karl Marx schimmert durch: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit“).

Transformation

Einige Wochen zuvor im Kunsthaus Bregenz. Auf einem Großbildschirm sind dicht an dicht an einem langen Tisch sitzende Frauen zu sehen, die eine kleine Schale vor sich stehen haben, in die zwischen Bruchstücke eines Ziegels jeweils ein Muschel geklemmt ist. In die wird ein ein Stückchen aus einer anderen Muschel geschnittenes Fleisch mit einer Art Pinzette implantiert. In diesen Muscheln werden Perlen entstehen. Ohne miteinander Worte zu wechseln arbeiten die Frauen rasch mit immergleichen Handgriffen. Ein Kritiker schrieb zu diesem Film der Künstlerin Mika Rottenberg: „Wenn man da eine Weile zuschaut, spürt man förmlich, wie sich die Arbeiterinnenkörper mit ihren ameisenartigen Repetitivhandgriffen demnächst in Roboter verwandeln werden (…)“.
Genau darum geht es (auch) in hier, in der Ausstellung in Steyr, um Transformation, einerseits als Wesensmerkmal aller Arbeit, andrerseits um die (zeitliche) Transformation der Arbeitsweisen, also auch um die anstehende, in Gang begriffene Entwicklung, die Ersetzung der menschlichen durch maschinelle Arbeit.

Black Box

Dann heißt es, schützendes Plastik über seine Schuhe zu ziehen, denn im folgenden stockdunklen Raum, haben wir sandigen, unebenen Boden unter unseren Füßen. Wieder werden wir in einen vorgegebenen Zeitrahmen eingefügt und wieder sind wir Hörer, diesmal noch ausschließlicher als zuvor. Der „Ausstellungssinn“, der Sehsinn, ist hier weggeschaltet. Der Raum ist so dunkel, daß sich die Augen kaum adaptieren können. Umso konzentrierter hört man einer Stimme zu, die in fremder Sprache zu uns spricht. Die Übersetzung läßt verstehen, daß hier Arbeiter sprechen, die in einem kongolesischen Bergwerk arbeitet und die jene seltenen „Erden“ fördert, die für die Produktion von Handys und Smartphones unerlässlich notwenig sind. (Später werde ich in der Ausstellung erfahren, daß es v.a. wegen dieser Rohstoffe kein fair produziertes Smartphone geben kann). Was ich mir gut gemerkt habe, ist daß ein Arbeiter von neun Stunden Arbeit täglich spricht und davon, daß er von dieser Arbeit nicht leben kann.
Wie soll das möglich sein? Kann er mit dieser Arbeitszeit einen Nebenverdienst haben, braucht er Familie, Verwandtschaft, um zu leben? Warum nimmt er eine solche Arbeit an, warum muß er sie annehmen? Wer kann ihm diese Arbeit zumuten?




Später versuche übers Internet herauszufinden, unter welchen Bedingungen diese kostbaren und seltenen Stoffe abgebaut werden, und erfahre Erstaunliches. Etwa daß die Vertriebswege derart vielgliedrig sind, daß die konsumierenden - und profitierenden - Firmen nicht in der Lage sind, die Arbeitsverhältnisse vor Ort zu beeinflussen oder gar zu kontrollieren. Schwer zu glauben, daß der reichste Konzern der Welt, Apple, keinerlei Einfluß auf die Produktionsbedingungen nehmen kann. Apple wird demnächst zum ersten Konzern der Welt werden, dessen Wert mehr als eine Billiarde Dollar beträgt. Der Konzern kooperiert angeblich so eng mit China, weil China die größte Marktmacht hat hat, was die Verarbeitung der einschlägigen Rohstoffe betrifft. Auf der einen Seite als der Profit der Big Player auf der andren Seite der nigerianische Arbeiter am Rande seiner Existenz. Kinderarbeit gibt es in den Minen auch und die lokale Wertschöpfung geht in Waffengeschäfte, in lokale Kriege. Was ich noch im Internet erfahre: Es gibt, erstaunlicherweise etwa in Kanada oder den USA abbaugeeignete Lagerstätten, doch nationale Auflagen machten die ungeeignet. Dieses Wikipedia-Wort „ungeeignet“ übersetze ich mir mit „unrentabel“.

Globalisierung

Hier, im Museum in Steyr, geht es aber nicht um eine moralische Bewertung, sondern darum, verständlich zu machen, und das an einem einzigem Beispiel, was Globalisierung bedeutet und wie sehr sie unsere Vorstellungskraft fordert. Oder eher überfordert. Denn im zweiten Teil der Toninstallation hören wir - hörbar oberösterreichisch gefärbte - Stimmen von Personen, die ihrer Hilflosigkeit nicht nur gegenüber dem Verstehen von Zusammenhang von Produktion und Gebrauch Ausdruck geben. Wer weiß das schon mit diesen seltenen Rohstoffen und woher die kommen und wie die Arbeit aussieht, die ganz am Beginn der Produktion steht? Hilflosigkeit hört man auch was den Umgang mit dem Handy und seiner Konstruktion betrifft.  Da kann ich mitreden. Mein Smartphone macht ständig etwas, was ich nicht verstehe. Und das kommt übrigens aus China.
Mitreden, sich ins Gespräch mischen kann man hier nicht. Nur zuhören. Wobei der kleine Trick der ist, daß durch die Alltagssprachlichkeit alles an Information ganz niederschwellig daherkommt. Man könnte sich also sofort einschalten ins Gespräch, mitreden, nachfragen, eigene Erfahrungen dazumischen. Aber auch das Museum pflegt lieber Einwegkommunikation. Gleich in den nächsten Räumen aber wird sie uns einholen, die akademische Belehrungssprache.

Glücksversprechen

Wenn wir die beiden einführenden und interessanten Räume mit ihrer kommunikativen Ungewöhnlichkeit verlassen, landen wir im „alten Museum“. Buchstäblich. Das ist der Raum, wo bis vor nicht allzu langer Zeit noch Maschinen der Hack-Werke standen, deren Konkurs die Bedingung für das Freiwerden des Gebäudes und seine Nutzung als Museum war. Unter dem Titel „Fabrik wird Museum“ hat der Museologe Krysztof Pomian mal sehr schön die Transformation von Lebenswirklichkeit in Museen beschrieben. Er hätte das Museum in Steyr als Beispiel wählen können.
Die Maschinen sind verschwunden, aber ein Einbau aus den ersten Tagen ist geblieben, ein Gasthaus, komplett eingerichtet. Vor einem Jahr saß ich hier in einer vergnüglichen Runde, während eines interessanten Museumstages, den das Museum sehr klug konzipiert hatte.
Jetzt ist der Raum leer, aber es liegen Bierdeckel herum. Statt Gösser oder Puntigamer liest man da z.B. „Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“ Tick, Trick und Track (in der Übersetzung der genialen Erika Fuchs, ohne die meine Kindheit weniger lustig gewesen wäre („Dem Ingeniör ist nichts zu schwör…“).


Da werde ich gleich bestechlich, wenn ein Museum (Selbs)tironie zeigt, das tun Museen selten, denn Museen haben meist einen Wahrheitsanspruch und eine Autoritätsanmutung, die sich gewaschen hat und da läßt man selten locker. „Radfahrer aller Länder“, noch so ein Bierdeckel, „vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten!“. Und dann auch noch das: „Das Ziel der Gesellschaft ist das Allgemeine Glück.“ Artikel 1. der Erklärung der Menschen der Bürgerrechte von 1793, vorangestellt der zeitgleich deklarierten Verfassung Frankreichs.
Ob der „Arbeitskreis Bierdeckel“ auch wußte, daß der Tag der Verabschiedung, der 10. August 1793, auch der Tag der Eröffnung des Louvre war? Die Geburtsstunde des (öffentlichen) Museums? Daß Museum, Aufklärung und Revolution engstens zusammenhängen? Aber das ist eine andere Geschichte.
Das große emanzipatorische Glücksversprechen der Aufklärung, der Demokratie als Gadget. Später mal an der Kassa zu erwerben. Na ja.
Die erwähnte Verfassung kannte eine aktive Verpflichtung des Staates, Arbeit zur Verfügung zu stellen. Also etwas, was, wenn ich es recht verstehe, ein Kern dessen was sozialen Demokratie ausmacht. Aber davon ist nicht die Rede in dieser Ausstellung.
Und wohin sind eigentlich die am Beispiel der Handy-Produktion angerissenen Fragen und Widersprüche hingekommen, der Neokolonialismus (ist der überhaupt „neo“, hat der je aufgehört?), die globalen Ungleichheiten und Abhängigkeiten? Davon wird nicht mehr die Rede sein. 
Bierdeckel gibts, kühles Bier (heute) nicht, im Wirtshaus Zum Pflug. Wieso eigentlich „Zum Pflug“, wenn es ein Arbeiterwirtshaus ist? Das fällt meinem Bruder auf. So viel zur unterschiedlichen Beobachtungsgabe von sogenannten Laien und sogenannten Fachleuten. Mir ist das nie aufgefallen.

Eisen

Aber zurück in die Ausstellung. Hier kommen wir einerseits zur Geschichte der Industrialisierung und andrerseits zur Lokalgeschichte. Steyr als Ort, der vom nahen Erzberg profitiert und zu einem Zentrum der Eisenverarbeitung wird. Dioramen - ich mag Dioramen sehr -, veranschaulichen das Flößen von Holz, die Eisenbahn, das Abholzen der Wälder, den Abbau am Erzberg. Ein großes Modell zeigt die Ausdehnung der Waffenfabrik Werndl, ihre Lage entlang des Wehrgrabens, wo das Museum ja steht. Ein andres Modell veranschaulicht die Fabrik ehe sie Museum. Man bekommt eine Vorstellung von der Topografie von Steyr, der des Wehrgrabens, von der Bedeutung der Flüsse und Kanäle, der Ausdehnung der industriellen Anlagen.



Das zweit Medium der Vermittlung sind „Schatzkisten“, mit allerlei Dingen gefüllt und am Deckel mit von Fotografien unterstützten Texten versehen. Warum diese Kisten am Boden stehen müssen und man die Texte nur lesen und die Fotos nur würdigen kann, wenn man sich kreuzwehfördernd tief bücken muß? Interessant wäre es, wenn man in den Kisten kramen, Dinge herausnehmen und betrachten könnte und mit jemandem mit Hilfe dieser Objekte diskutieren könnte. Ich erinnere mich an das Open Museum in Glasgow, wo ich so etwas gesehen hatte. Da werden solche “Schatztruhen“ zu verschiedene Themen gebastelt, ungemein liebevoll und sorgfältig, z.B. zu „Radfahren“ oder zu bestimmten Religionen. Diese Kisten werden an jedermann verliehen, Personen, Vereine, Gruppen, Institutionen usw., aber das Museum (eigentlich: Museumszentrum der kommunalen Museen von Glasgow) greift nicht ein, nirgends. Man verleiht, und nimmt zurück. Das wars dann. Eine der weitgehendsten Formen von Partizipation, die ich kenne.
Von Nigeria nach Steyr wars ein sehr kurzer Weg. Vermittelt wurde da nichts. Der Wechsel zum Lokalen und Begrenzten ist, nach der geschickten Thematisierung von Globalität, schroff.


Hinter der nächsten Museumswegbiegung setzt sich die Erzählung zur Industrialisierung in Steyr fort und wir stoßen auf den zweiten großen mit Steyr (auch namentlich) verbundenen Betrieb: Die Automobilwerke. Hier wird in Stationen und an Objekten etwas über die Entwicklung der Produktion, die Arbeitsbedingungen, die Motoren- und Automobilproduktion und dann über die Waffenproduktion erzählt.




Man dokumentiert die Rolle der Waffenproduktion während der NS-Zeit und die Zwangsarbeit sowie die Rolle (ich hoffe, ich erinnere mich da richtig) des KZ Melk und der dazugehörigen unterirdischen Produktionsanlage bei Loosdorf. Ich entdecke Dokumente, die ich vor Jahrzehnten kennengelernt habe, als ich zusammen mit dem Zeithistoriker Bertrand Perz an der Dauerausstellung für das ehemalige Krematorium des KZ Melk arbeitete. Täusche ich mich, ist hier wirklich die Rolle der Steyr-Werke eher in Form eines Kooperationspartners der NS-Politik und -verwaltung dargestellt, denn als, gerade was das KZ und die Zwangsarbeit betraf, aktiver und fordernder - und massiv profitierender - Konzern? (Auch im Begleitbuch wird dieses Kapitel der Kollaboration der Steyr-Werke mit dem NS-System sträflich oberflächlich abgehandelt).
Hier tragen die Objekte tragen wenig zur Veranschaulichung bei (ein Schlüsselproblem bei so vielen historischen Ausstellungen) und die giftigsten Fragen sind explizit ausgelagert. Auf einem auf grellgelbem Papier gedruckten, also schon recht auffallenden, aber eher klein gehaltenen „Abreißkalender“, der jeweils eine Frage aufwirft und illustriert. Hier wird der lokale Horizont gesprengt und es geht plötzlich um globale Dimensionen aber auch methodische. Denn eine Ausstellung, die das Unsichtbare an Arbeit sichtbar machen möchte, hat selbstredend ein Darstellungsproblem. Wie macht man etwas sichtbar, das es eigentlich nicht ist? (Deswegen auch der Kunstgriff mit den drei Hörräumen). Gelegentlich glückt das mit Hilfe des „Abreisskalenders“ auf schlaue und witzige Weise.: Das riesige Projekt von Google, weltweit Bücherbestände zu scannen, wird im Text problematisiert. Was dem vorausgeht, ehe wir bequem am Bildschirm die Bücherwelt durchsuchen können, sehen wir ja nicht. Ein Dutzend Fotos zeigt, wie im Arbeitsprozess immer wieder unabsichtlich Hände der Menschen an den Geräten ins Bild geraten und automatisch auch gescannt werden. Ein wunderbarer „Bildwitz“, mit dem das Fragen erst eröffnet wird.

Sozialdemokratische Erzählung

Das Unbehagen an diesem Ausstellungsabschnitt hat nicht in erster Linie mit der Gestaltung zu tun, nicht nur damit, daß die einzelnen Stationen, Vitrinen usw. sich nicht recht schlüssig zu einer Erzählung zusammenfügen lassen. (Vielleicht war ich zu ungeduldig?). Was das Unbehagen auslöste, wurde mir eher zufällig und nachträglich klar. Nämlich als ich Harun Farockis Film „Wie man sieht“ zufällig kurz nach dem Ausstellungsbesuch gesehen habe. Hier geht es um den strukturellen Zusammenhang von Industrialisierung, Waffentechnologie und Aggression und die Gewaltförmigkeit des Industrialisierungsprozesses selbst (ich glaube, in der Ausstellung wird ein Video von Farocki gezeigt, ich hab das übersehen). Wenn man diesen Zusammenhang unberücksichtigt läßt, bleibt eine moralische Bewertung übrig, etwa was die skandalträchtige Waffenproduktion und -ausfuhr der 60er und 70er-Jahre betrifft, kaum mehr. Das ist dann ein „Unfall“, der berühmte Einzelfall, der aber nicht prinzipiell die fortschrittsoptimistische Entwicklung stört, als die die „Geschichte“, auch hier, wie meist in historischen Museen oder erst recht technischen Museen erzählt wird.
Das ist überdies ein Rückfall in der Geschichte des kritischen sozialhistorischen Ausstellens. Schon vor etwa vierzig Jahren konnte man im kleinen Stadtmuseum Rüsseslheim sehen, wie an - ebenfalls an einem Automobilkonzern (Opel) entwickelt, die Gewaltförmigkeit der industriellen Produktion immer wieder in kriegerische Katastrophen mündet und wie tiefgreifend der Zivilisationsbruch ist. (Die Ausstellung existiert nicht mehr) So wurde die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht einfach zur Triumphgeschichte einer unweigerlich sich vollziehenden geschichtlichen Notwendigkeit, und nicht nur, berechtigterweise zur Schilderung des Widerstandes gegen Ausbeutung, Drangsalierung und Unterwerfung sondern zum immer wieder zum Scheitern verurteilten Einspruch gegen inhumane gesellschaftliche Zustände.

So zufällig wie ich auf Farockis Film gestoßen bin, der im übrigen ungemein ausstellungsaffin ist, weil er über weite Strecken seine Thesen aus der Analyse der visuellen Tatbestände entwickelt, (gibt es auf Youtube, große Empfehlung!), so zufällig bin ich auf einen (nicht gerade unbekannten) Text gestoßen, der den Sachverhalt deutet, der mich beschäftigte. „Der Konformismus, der von Anfang an in der Sozialdemokratie heimisch gewesen ist,“ schreibt Walter Benjamin in seinen geschichtsphilosophischen Thesen, „haftet nicht nur an ihrer politischen Taktik, sondern auch an ihren ökonomischen Vorstellungen. Er ist eine Ursache des späteren Zusammenbruchs. Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar. Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung. Das Gothaer Programm trägt bereits Spuren dieser Verwirrung an sich. Es definiert die Arbeit als ‚die Quelle alles Reichtums und aller Kultur‘“.

Wiederholungen

Während wir eben mit den Steyr-Werken beschäftigt waren, geht es im folgenden noch einmal um den Kontext, noch einmal um Industrialisierung, Arbeit, Arbeiterbewegung, Zwang zur Arbeit, Blaumachen, Zeitmessung und v.a.m. Daß ich mir gerade von dem Raum wenig gemerkt habe und meine Fotos zu Hilfe rufen muß, hängt mit der Gestaltung zusammen. Hier gibts das was im Ausstellungsmacher-Jargon „Flachware“ heißt, zweidimensionale Medien, Texte, Fotos. Eingepasst in eine Setzkasten-Ästhetik, die die Wände füllt. Kästchen um Kästchen und Lesen im Stehen.


Immerhin kommt da sogar mal die „Frauenfrage“ vor, an einem Spieltisch, ein Puzzle: „Wenns ein Mädchen wird, nennen wir es Einkommensunterschied“. Witzig. Aber das wars?
Ich lese: „Um Frauen in armen Ländern wirklich zu helfen, muss nach den Worte von Oxfam-Chefin Winnie Byanyima auch gegen die wachsende wirtschaftliche Ungerechtigkeit gekämpft werden. ‚Frauen leiden besonders unter der Ungleichheit in der Welt‘ (…) ‚Frauen sind die größten Verlierer von Steuervermeidung‘, sagte Byanyima. Entwicklungsländer verlören jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen, weil internationale Konzerne ihre Gewinne nicht in den Ländern versteuerten. Damit fehle Geld in ärmeren Ländern für Gesundheitsversorgung, Transport, Energiesysteme, Bildung und andere öffentliche Dienste, auf die Frauen angewiesen seien. Da die Länder deswegen auch noch ihre Verbrauchssteuern auf Waren erhöhten, zahlten Frauen doppelt den Preis. ‚Wir brauchen eine Reform des globalen Steuersystems.‘ Da türmt sich ein Berg von Fragen auf. Nichts dazu in der Ausstellung. Gender-Fragen werden in (österreichischen) Museen nahezu nirgends thematisiert. Nur das Frauen-Museum in Hittisau ist eine der Ausnahmen. Im Vorjahr hat dieses Museum den Österreichischen Museumspreis bekommen und wurde nach seiner Vorstellung frenetisch gefeiert, wie ich das noch nie erlebt habe. Wo? Im Museum Arbeitswelt Steyr. Also auch hier gibt es eine Rückschritt hinter etwas schon längst Erreichtes.


Das was ich hier erfahre, das kenne ich schon, aus anderen Ausstellungen, aus den Medien, aus der Geschichtswissenschaft und - aus dem „alten“ Arbeitsweltmuseum Steyr. Das arbeitete schon einmal denselben Stoff durch. Schon in der ersten Ausstellung. Damals war das sehr wichtig und verdienstvoll. Das Museum war inhaltlich und gestalterisch neuartig. Neu war die Thematisierung der Arbeitswelt und der Geschichte und Lebenswelt der Arbeiter, neu war die szenografische Gestaltung (Hans Hoffer).
Die zwanzig Jahre, die seither verstrichen sind, lassen eine solche „Wiederholung“ der Erzählung eigentlich nicht mehr zu. Der Wandel der Arbeit ist so tiefgreifend, daß die Wiedererzählung nicht mehr mit der Gegenwart abgeglichen werden kann. Die Frage ist, was kann man von dieser Geschichte mitnehmen, das heißt, was hilft mir dieses Wissen beim Verstehen der Gegenwart und in meiner Handlungsfähigkeit jetzt?
Hier ist z.B. von der Erwerbsarbeit, der „Brotarbeit“ die Rede. Aber was ist mit denen, die nicht arbeiten, also von denen, die keine Arbeit „bekommen“ und denen, die man vom Arbeitsmarkt fernhält, z.B. Zugewanderte?
Und was ist mit denen, die nicht arbeiten, weil sie „das Geld arbeiten lassen können“, das Geld das als Mehrwert aus der Arbeit anderer, die sie arbeiten lassen können, in ihre Verfügung übergegangen ist oder die Maschinen arbeiten lassen, die ihnen gehören? Also wie ist das mit Kapital und Arbeit? Reichtum und Armut? Gewalt und Ohnmacht? Waren das Fragen, die den AusstellungsmacherInnen zu langweilig, zu altbacken, zu oft durchgekaut usw. erschienen sind, die sie als jedermann geläufig, immer schon vorausgesetzt nicht mehr behandeln wollten?
Darauf deuten die Zeilen ganz am Anfang des Einleitungstextes der Ausstellungskuratoren hin, wo sie erklären, daß sie nicht noch einmal erzählen wollten, nicht Technikgeschichte, Fortschrittsgeschichte, Arbeitergeschichte von unten, Geschichte der Arbeiterbewegung. (Robert Misik, Christine Schörkhuber, Harald Welzer (Hrsg.): Arbeit ist unsichtbar. Picus Verlag, Wien o.J. (2018) S.10)
Und was ist mit denen, die gerade jetzt, in gewisser Weise vor unser aller Augen (in den Medien wird berichtet, diskutiert) zwar Arbeit haben, aber davon nicht leben können. Die sich mit Jobs abfinden sollen und mit sozialpolitischen Ausgrenzungen, die kein wertes Leben mehr ermöglichen. Nicht nur dem kongolesischen Arbeiter geht das so, auch vielen Menschen mitten in Europa, in Österreich. Sagt die Ausstellung dazu etwas? Habe ich das übersehen?


Arena

Dann kommt noch einmal ein weißer immersiver Hörraum, diesmal nicht mit hartsitzigen Bretterstühlen sondern mit breiten, aufsteigenden Stufen, wo man sitzen oder lümmeln oder liegen darf.
Vierzehn Menschen beschäftigen sich hier mit der Frage, was Arbeit für sie bedeutet. Wieder reden die, „wie ihnen der Schnabel gewachsen“ ist, leicht in Dialekten gefärbt, mit oft bruchstückhaften, abbrechenden Sätzen, nachdenklich, schnell drüberredend, in Klischees, mit übernommenen Gedanken, oder mit Sätzen, die sich erst im Reden bilden und dann ihren Autor selbst überraschen oder erschrecken. Dann folgt meist ein „Katastrophenlachen“ (wie das der Religionswissenschafter Klaus Heinrich genannt hat). Der Sprecher/die Sprecherin ahnt den und erschrickt über dem Abgrund.
Es ist unglaublich, was da in wenigen Minuten alles aufblitzt. Man kommt mit dem Mitdenken und Mitfühlen gar nicht nach. „Meine Arbeit ist meine Heimat“ sagt jemand. Habe ich noch nie gehört. Da möchte man gerne nachfragen, ins Gespräch kommen. Ist jetzt grade nicht möglich, nur Zuhören.
Dieser Raum wird jedenfalls für mich der eindrucksvollste bleiben. Jenseits medialer Entstellung, akademischer Abstraktion, literarischer Bearbeitung kommen hier die Grundfragen dessen was Arbeit ist, heute und für die Mehrzahl der Menschen, „zur Sprache“ wie sonst nirgendwo in der Ausstellung.
„Wer spricht, muß auch sprechen lassen“, hieß eine der Parolen am Museumstag 2017 in Steyr.
Nun, das Museum Arbeitswelt macht viele Veranstaltungen, Lesungen, Diskussionen, ständig laufen die Veranstaltungshinweise über Facebook wie ein nicht aufhaltbarer Newsticker. Also gut möglich, daß da sehr viel passiert in Zusammenhang mit der Ausstellung und speziell mit diesen Räumen, die dann von Hör- zu Diskussionsräumen mutierten. Darüber kann ich also nichts sagen.
Die Demokratiewerkstatt „Demos“, die das Museum schon seit Jahren betreibt, sollte ja in die Ausstellung integriert werden. Ich habe ihn und ihren Leiter (Robert Hummer, auch er soll genannt werden, wie die Dame an der Kassa) im Vorjahr kennengelernt und war sehr beeindruckt. Das scheint es nur hier zu geben, ich habe so etwas in noch keinem anderen österreichischen Museum gesehen. (Das neue Geschichtsmuseum in St. Pölten hat das irgendwie nachzuahmen versucht, aber da das ganze Museum derart ideologisch-parteipolitische durchgefärbt ist, mißtraue ich dem sehr).

Was ist eigentlich unsichtbar?

Die Antwort, die die Kuratoren geben hat mich überrascht. Es geht um vorwiegend psychologische Fragen. Selbstwert, Selbstbewußtsein, Identität, Anpassung, Angst, aber auch um soziale Beziehungen, um - (hier überwiegend) individuellen - Widerstand. Das zweite überraschende ist der Ort, an dem sich die Kuratoren deklarieren: im Begleitbuch. Ich hatte nie das Gefühl in der Ausstellung, daß diese Fragen die Ausstellung strukturieren oder gar tragen. Über weite Strecken spielen sie überhaupt keine Rolle. (Allerdings gibt es einen auführlichen Text unter dem Titel Sichtbarkeit & Unsichtbarkeit, der die Überlegungen der Kuratoren ausführlich darlegt.)
Zusammengefasst wird das im Begriff des Eigensinns (Negt & Kluge lassen grüßen!). „Die Welt funktioniert nicht nach den Maximen der sichtbaren Oberflächengeschichte der formalen Ökonomie, sondern nach Prinzipien der moralischen Ökonomie (…) nach der Überzeugung, was gut oder schlecht für das eigene Beziehungsgefüge ist. Das gilt insbesondere für für die Geschichte der industriellen Arbeit, die immer auch durch individuelle und kollektive Aneignungen und Modulationen mitgestaltet wird. Industriearbeiter erfüllen nicht einfach abstrakte Anforderungen, sondern eignen sich diese an und antworten mit eigensinniger Ausgestaltung darauf (…)“. Was mögen die kongolesische Bergarbeiter dazu sagen, die wir im zweiten Hörraum gehört haben?


Ich verstehe, wenn die Autoren der Ausstellung eine pessimistische Erzählung vermeiden wollten und die Zukunft der Arbeit nicht als Dystopie ausmalen. Aber den Handlungsspielraum bloß zu behaupten, den Eigensinn als Faktum zu postulieren verharmlost die neuen Zwänge und Abhängigkeiten globaler Arbeitsverhältnisse. Wäre es da nicht besser und vorsichtiger und auch produktiver gewesen, diese Handlungsmacht - ja, von Macht der Arbeiter ist explizit im Vorwort des Katalogbuches die Rede, nicht nur von Eigensinn -, erst einmal zu untersuchen, ihr Potential zu erforschen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten.
Harald Welzer, einer der beiden Kuratoren wird mit seiner Eröffnungsrede so zitiert: „Denn die Gesellschaft entscheidet, in welcher Art und Weise wir für uns arbeiten lassen“. Wirklich? Kein Nationalstaat ist noch in der Lage, die Steuervermeidung und -flucht großer Konzerne einzudämmen. Kein Nationalstaat ist mehr in der Lage, massiv nachteilige Handelsregeln abzuwehren. Man mag Welzers Satz als Forderung, als praktische Utopie auffassen, aber gemeint ist er wie eine Tatsachenfeststellung.


Keine Angst!

Daß am Ende der Ausstellung keine Bilanz gezogen wird, verstehe ich. Die enorme Komplexität der Fragen wird beim einzigen Thema, das aufgegriffen wird, überdeutlich. Was Digitalisierung tut, erfahren wir am eigen Leib aber zugleich rutsch das in eine Abstraktion, die sich dem Verstehen verweigert. Wer verfügt noch über das Wissen aus unterschiedlichsten Feldern und überblickt es souverän? So werden in den Medien aber auch in unseren politischen small talks die großen Themen in Einzelteile zerlegt und hin und her gewendet. Aber wer kann das wieder zusammenfügen?
Allein die diversen Rückkoppelungseffekte, die die Entstehung der „neuen“, der „sozialen Medien“ auf die klassischen Medien hat, auf Zeitung, Rundfunk und Fernsehen, sind kaum durchdringbar und die Folgen noch unübersehbar. Die Auswirkungen nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern auf unser privates Leben, die Politik, die Demokratie uvam. machen das Thema schwer fassbar.
Dementsprechend zurückhaltend ist man hier im Museum. „Keine Angst vor Robotern“ heißt die Überschrift über einem der Texte. Dieser Text ist symptomatisch für die unentschiedene, vielleicht auch unentscheidbare Situation. Da scheint sich keine Haltung mehr einnehmen zu lassen. Es gibt nichts sicher Prognostizierbares, es gibt nur noch Ambivalenzen zwischen den segensreichen Funktionen und den destruktiven.
Zentrales, jedenfalls auffallendes Objekt im Raum ist ein menschenähnlicher kindergroßer Roboter, der gleich bei der ersten - von ihm selbst gestellten - Aufgabe versagt. Er erkennt nicht, daß wir uns gesetzt haben und fotografiert bloß unsere Scheitel. Ich bekomme also kein Doppelporträt, das ich mir per Mail nach Hause zustellen lassen kann. Und die Interaktion mit dem blechernen Männlein funktioniert über seinen Touchscreen, da ist mein mit SIRI ausgestattetes iPad schon weiter.


Was sagt uns das? Roboter als nettes harmloses Spielzeug? Vor so etwas muß ich mich wirklich nicht fürchten, könnte die Botschaft lauten. Aber selbst er, der Museumsroboter, könnte jemandem Arbeit wegnehmen, einem „Vermittler“, einer Person, die ich hier in der Ausstellung ansprechen kann, die aber zugunsten des Blechspielzeugs schon wegrationalisiert wurde?
Und auch hier ist man anderswo schon weiter. Die schwedische TV-Serie Real Humans schickte uns mit den menschenähnlichen Robotern, den Hubots, die als eine Art erweiterte Haushaltshilfe gedacht waren, in eine Abenteuerreise, in der die Zukunft der Digitalisierung witzig und beängstigend zugleich vielfältig erforscht wurde.
Und wiederum viele Fragen: Geht „uns“ die Arbeit aus? Was dann? Wer bleibt übrig? Wer gewinnt dabei, wer verliert (was)? Und um noch etwas geht es: in welcher „Verfassung“ werden wir uns wiederfinden, das heißt, was passiert mit der Verfassung der Gesellschaft, mit der Demokratie. Es gibt weltweit nur eine Minderheit von Staaten, die man in vollem Wortsinn als Demokratien bezeichnen kann. Es werden - erstmals seit längerer Zeit -, weniger und das auch in Europa, um „uns“ herum. Das Thema ist präsent, seltsamerweise nicht hier, nicht in diesen beiden letzten Räumen, in denen es um Zukunft geht.

Nach der Arbeit

Und so kommt es, daß der allerletzte Raum mit der doppeldeutigen Wendung „Nach der Arbeit“ uns die „arbeitslose“ Zukunft überwiegend als ein Versprechen auf ewige Freizeit schmackhaft macht, mit einer nur leichten Abschwächung (im Raumtext). Es könnte so schön werden. Was uns die Zeichnungen rundum an den Wänden aber zeigen, das ist keine Zukunft, das ist der jetzige kleinbürgerliche Alltag. Und wenn man selber keine Antwort hat, dann fragt man eben das Publikum (ohne eine Antwort wirklich wissen zu wollen): „Wie malen Sie sich Ihre Zukunft aus?“ und dazu Schultafel und Kreide.
Was für ein Absturz! Was für ein Mißgriff. Schon nachvollziehbar, daß man sich in der Ausstellung keine Dystopie antun wollte, keinen Alarmismus, keine depressiven Fantasien. Aber uns dann unsere schlechte, banale Gegenwart unter die Nase zu reiben - als Glücksversprechen. Wenn das das „allgemeine Glück“ ist, das uns 1793 als „Ziel der Gesellschaft“ deklariert wurde, dann stimmt was gewaltig nicht.


Schlussatz

Ich hätte da doch einen Satz, der vielleicht nicht alles zusammenfasst, aber das worauf das alles vermutlich hinauswollte, auf den Punkt bringt: „Der solidarische Zusammenhalt der Gesellschaft steht heute auf dem Prüfstand. Mühsam erkämpfte soziale Rechte werden in Frage gestellt. Im Zentrum dieser Diskussion steht der Anspruch auf Existenzsicherung für all jene, die nicht selbst für sich sorgen können. Hand in Hand damit geht eine Aushöhlung des politischen Systems der Demokratie: rechtspopulistische Bewegungen, die Sozialleistungen nur ‚unseren Leuten‘ zuerkannt wissen wollen, sind europaweit im Aufwind. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass demokratische und soziale Rechte untrennbar zusammengehören. Sozialer Ausgleich und gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind Schlüsselfragen der Gegenwart. Die Antwort auf diese Fragen wird entscheidend dafür sein, ob ein Leben in Würde für alle Mitglieder unserer Gesellschaft möglich ist.“
Der Satz ist nicht von mir. Er wurde vom Museumsteam formuliert. Für eine Vorgänger-Ausstellung. Dort bildete er den Schlußpunkt. So ein Satz hätte der Ausgangspunkt für alles sein können. Aber den Satz gibt es nicht mehr.



Und?

Ich hätte gerne ungleich freundlicher über die neue Ausstellung geschrieben. Ich kenne das Museum seit seiner Gründung, habe dort manche Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des damaligen Teams gemacht. Das Museum war inhaltlich, geschichtspolitisch und gestalterisch innovativ. Es war und ist bis heute einer der ganz wenigen Orte, an denen über die Geschichte der Arbeit und damit der Arbeiter und der Arbeiterbewegung erzählt wird. In dieser Ausschließlichkeit, in der das geschieht, ist das Museum in Österreich einzigartig. In jüngerer Zeit habe ich das Museum und das Team als energisch streitbar in Sachen Demokratie erlebt und am Museumstag 2017 fand ich die Idee wunderbar, zwei Öffentlichen miteinander zu verschränken, eine urbane und die museologische in einer großen Debatte unter dem Titel „Welche Gesellschaft wollen wir sein?“. Noch nie habe ich eine österreichische Museumsveranstaltung erlebt, in der so etwa stattgefunden hat. Der damalige keynote speaker, Harald Welzer, ist nun einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, der andere der Journalist Robert Misik.
Der gesellschaftspolitischen Haltung des Museumsteams unter der Leitung von Katrin Auer - das übrigens im Verhältnis zum Aufwand einer solchen Ausstellung und den viel Veranstaltungen, die hier stattfinden, erstaunlich klein ist - ist anerkennenswert und hat meinen Respekt.
Museen, Museumsteams, die sich derart engagieren, eine solche Haltung vertreten braucht es dringend. Allenthalben knirscht es im Gebälk demokratischer Strukturen und Überzeugungen. Keineswegs nur in Polen oder Ungarn, in Italien oder in Slowenien, nein auch in Österreich. Museen sind es nicht gewohnt, sich engagiert zu positionieren. Politik gilt weithin verpönt, was angesichts des enormen Einflusses der Politik auf Museen auf so gut wie allen Ebenen (Finanzierung, Personalpolitik usw.) schwer vertretbar ist. Es braucht das „demokratische Museum“, es bräuchte mehr solcher Museen wie Steyr, mehr an einschlägigen Ausstellungen und Diskussionsforen.
Deshalb tut es mir wirklich leid, daß diese Ausstellung so schwer verständliche Leerstellen läßt, so vielen Fragen ausweicht - oder sie gar nicht stellen wollte.