Also machte ich mich nach meinem geplanten Gabelfrühstück auf den kurzen Weg zum Schloß, vorbei an spätsommerlichen Zwetschken- und Apfelbäumen. Angekommen an der Kassa des Museums, blockierte grade eine ÖÄMTC-Gruppe umständlich den Kartenverkauf. Den Weg zur Ausstellung mußte ich mir nach Erwerb der Eintrittskarte dann selber suchen, eine Beschilderung gabs nicht.
Der erste Ausstellungsraum wird von einem wandgroßen Foto des Erzberges beherrscht, rechts hängt eine Reproduktion eines Erzherzog Johann-Bildes, im der Raummitte liegt ein Stahlseil, auf einer Trommel aufgerollt. Mit Angabe des Leihgebers, einer Firma, die im selben Raum durch ein weiteres Objekt repräsentiert ist. Reflexartig fragte ich mich: ist das der Sponsor der Ausstellung? Aber warum mit zwei Objekten aus Stahl? Eines davon besagtes Seil. An der Wand dann eine Grafik einer Brücke und Erläuterungen zu frühen von Drahtseilen und Stahlseilen getragenen Brücken.
Nun sind Eisen und Stahl fast aber eben nicht ganz dasselbe, warum also dieser Schwerpunkt auf Stahlseilen und das gleich mit einer Headline Geschichte des Drahtseils, erläutert an ganzen drei Brücken, in einem einzigen Absatz. Das ist schon seltsam. Und was haben nun diese Industrieprodukte und Brücken-Projekte mit Erzherzog Johann und dessen Förderung und Entwicklung der Eisenindustrie in der Steiermark zu tun? Wie soll man das Springen vom frühen 19. ins späte 19. und dann ins 20. Jahrhundert und den Zusammenhang zwischen den diversen Informationen verstehen?
Neben der Eingangstür läuft auf einem Monitor ein Film. Es läuft grade eine Sequenz zu moderner Stahlproduktion. Neben dem Monitor gibt es zwei Texttafeln. Eine hat Angaben zu einem kurz nach 1900 entstandenen Film, der aber grade nicht läuft, der zweite Text gibt allgemeine Informationen ohne Angaben zu den Filmen und ihrer Länge. Der laufende Film läßt sich so nicht identifizieren. Die Filme muß man sich im Stehen ansehen.
Ein Filmwissenschafter hat mir einmal erklärt, daß in der ersten Einstellung, in einem opening shot, gleichsam schon der ganze Film enthalten ist. Hier finde ich das in einer Ausstellung wie bestätigt, aber nicht als erzählerisches Prinzip, sondern als methodisches. Der Ausstellung fehlt wie dem ersten eröffnenden Raum jede Struktur. Es gibt keine Fragestellung, keine Erzählung. Die Auswahl- und Ordnungsprinzipien wechseln nicht nur in Raum eins, sondern in der gesamten Ausstellung. Der erste Raum ist ein opening shot besonderer Art. Mißglückt verweist er auf eine mißglückte Ausstellung.
Da gibt es einen Raum, in dem Kunstwerke gezeigt werden, die Eisenverarbeitung zeigen. Weder narrativ, noch chronologisch ist eine Ordnung oder Wahl zu erkennen. Wie die Bilder untereinander oder mit den vorhergehenden oder folgenden Räumen zusammenhängen bleibt vage. Dann geht es in einem anderen Raum um Anwendungen von Eisen, in der Architektur, z.B. am Eisernen Haus in Graz, für Denkmäler, Kunsthandwerk, Werkzeuge, Geräte. Das Display ist konventionell, die Beschriftung z.T. so platziert, daß man sie kaum lesen kann. z.B. viel zu tief, etwa auf Kniehöhe.
Der Zeitrahmen ist sehr weit gespannt - Objekte aus dem 19. Jahrhundert dominieren, aber es gibt, wie schon erwähnt, Objekte aus dem 20. Jahrhundert und aus der Gegenwart, ich erinnere mich aber auch an etwas aus dem 9.Jahrhundert. Niemand kann in einer halben Dutzend Räumen eine - nun ja was eigentlich? - Kulturgeschichte, Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte des Eisens erwarten. Wozu dann aber der Titel, der ja keinen Hinweis auf eine Eingrenzung, weder thematisch noch zeitlich, verweist? Und aus der Zeitdifferenz der gezeigten Objekte werden keine Einsichten generiert. So bleibt es beim bloßen Nebeneinander.
Die Auswahl der Objekte ist rätselhaft. Daß es hier viele Landwirtschafts- und speziell Ackerbaugeräte gibt, ist angesichts des lokalen Museums naheliegend, aber warum wird z.B. nichts zur Waffenproduktion gesagt - sieht man von einem Jagdgewehr und einer irgendwo abgelegten Kanonenkugel ab? Zu der übrigens ein Text so informiert: „Kanonenkugel aus Gusswerk. Das Eisenwerk in Gusswerk erzeugt für die kaiserliche Armee Kanonen, Mörser, Munition, daneben aber auch gusseiserne Öfen, Geschirr und Grabtafeln.“ Mehr gibts da nicht zu wissen? Was bietet man uns da als wissenswert an?
Einen losen roten Faden durch die Schau bilden Initiativen und Projekte von Erzherzog Johann. Er wird als Vordenker der Südbahn (Achtung!, Eisenbahn) gewürdigt. Dann wird ein Stück Sozialpolitik erläutert, die er in der Eisenverarbeitung implementiert hat. Dann gönnt man seiner Initiativen was Ausbildung und Forschung in der Eisenerzeugung betraf usw. einen Text. Aber nicht einmal diese „Geschichte“, die Entwicklung der Steirischen Eisenindustrie in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts und die Rolle EH Johanns, wird konsistent erzählt. Es bleibt auch das Stückwerk.
Die Ausstellung hat keinen roten Faden, keine Fragestellung, kein Anliegen, nicht einmal ein Thema. Dies und jenes zu Eisen, könnte man sie zusammenfassen. Irgendwann ist man im letzten Raum und die Ausstellung endet. Ohne Resümee, ohne Pointe, ohne Schlußpunkt.
Dennoch hat die Ausstellung mich auch vergnügt. Und das lag an den Objekten. Da gibt es einen Eisernen Hut, dessen Funktion mir zwar nicht so ganz klar wurde, der aber Anlass ist, die Sage vom Erzberg wieder einmal zu erzählen. Mit der habe ich schon in meiner Volksschulzeit in Niederösterreich Bekanntschaft gemacht. Sie muß mich beeindruckt haben, sonst würde ich mich nicht an sie erinnern.
Eine Waschmaschine aus Eisen, die am Herd erhitzt wurde. Sowas habe ich noch nie gesehen. Einen Maulkorb, der in einer Ausstellung über minimalistische Skulptur einen Ehrenplatz haben könnte, kannte ich bisher nur als sprachliche Metapher. Einen Apfelschäler, eine Kaffeeröstmaschine. Stiefelknechte in Form riesiger Käfer gibts hier. Jede Menge Schaufelblätter, Hauen und andere vielfältige Werkzeuge, zu Tableaus an der Wand drapiert. Weil die Dinger alle rabenschwarz sind, bilden sie ein veritables Schattentheater - der Raum bleibt der einzige gestalterisch auffallende und ansprechende.
Und dann gibt es da einen „Cultivator“, den ein Herr „Jethro Tull in England“ entwickelt hat. Jethro Tull? Kenne ich als Pop-Band. Also zu Hause bei Wikipedia nachgeschlagen. Dort erfährt man, daß die Band am Beginn ihrer Karriere keinen festen Namen hatte und den manchmal wöchentlich wechselte. Bis der historisch gebildete Manager der Band anlässlich eines Auftritts in einem sehr prominenten Club den Namen Jethro Tull vorschlug, eines bedeutenden englischen Agronomen des 18.Jahrhunderts. Muß man nicht wissen, wenn man vor dem Cultivator steht. Bei dem gehts um Unkraut, nicht um Musik. Aber ich dachte, ob das nicht eine Option gewesen wäre, sich auf die semantische, funktionale und historische Qualität, Wunderlichkeit, Innovativität, Ästhetik usw. der einzelnen Objekte zu stützen, statt ein nicht-chronologisches, verwirrendes, zusammenhangloses Pasticcio von Dingen und Informationen auszubreiten.
Und was hat die ÖAMTC-Gruppe mit der Ausstellung angefangen? Was kann überhaupt wer mit einer derartigen Ausstellung anfangen? Was weiß man nachher, was man nicht schon wußte? Außer daß EH Johann 1819 Heuwender über die Landwirtschaftsgesellschaft verbreiten ließ? An wen wendet sich eine solche Ausstellung, an welche Erwartungen orientiert sie sich? Geht es überhaupt um Wissen, oder bloß um eine ein wenig zerstreuender Beschäftigung mit einer Vergangenheit, von der einem hier niemand mehr auch nur annähernd klarzumachen versucht, was sie uns heute angehen könnte?
Die Objekte, die mir so gut gefallen haben, stammen aus den ältesten Sammlungsbeständen des Joanneums. Sie waren einst „Lehrmittel“, mit denen neue Technologien und damit neue und rationellere Bewirtschaftungstechniken durchgesetzt werden sollten. Das steht damals nocht nicht völlig unter dem Diktat kapitalistischer Effizienz, sondern ist ein Beitrag zur Vebesserung der Wirtschaftsleistung des Landes und damit der Wohlfahrt seiner Bevölkerung. Wie das gemeint war, kann man in den ingeniösen Statuten des von EH Johann gegründeten Museums nachlesen. Von einem vergleichbaren utilitär-didaktischen Ziel ist die Ausstellung meilenweit entfernt. Sie ist so zerstreut wie sie möglicherweise nichts anderes will oder kann, als etwas Zerstreuung bietet. Und hinterläßt keine Spur, weil sie nichts sucht, keine Spur aufnimmt, die uns in die Gegenwart führt (zur Erinnerung der Untertitel der Schau: Spurensuche mit Erzherzog Johann). Historisches Ausstellen, definiert der Geschichtstheoretiker Jörn Rüsen als von Erfahrung von Zeitdifferenz getragenem sinnstiftendem Erzählen. Nichts davon hier.
Ein wenig Kaffeehunger könnte „Eisen“ vielleicht hinterlassen, zu stillen im Café im Hof (Selbstbedienung).
Das Museum Joanneum, pardon, das Universalmuseum Joanneum, produziert in den letzten Jahren viele mißglückte (kultur)historische Ausstellungen. Die Neueinrichtung des Museum im Palais als Museum für Geschichte ist schiefgegangen. (Dazu ein andermal). Mit wem auch immer ich (viele Male) dort war und wir über das Schaudepot und den ‚historischen‘ Teil diskutierten, niemand fand daran etwas Geglücktes (vielleicht habe ich nur die falschen Freunde?). Bei „Bertl und Adele“ gibt es aber keine Diskussion. Diese Ausstellung, die für sich in Anspruch nimmt, den Holocaust museal zu repräsentieren, hätte nicht nur meiner Meinung nach, sondern auch nach der vieler Experten Jüdischer Museen oder Gedenkstätten und Ausstellungen in Konzentrationslagern nie und nimmer eröffnet werden dürfen. Bei all diesen Ausstellungen, wie auch bei der vergleichsweise harmlosen in Stainz, fragt man sich, ob es keinerlei Evaluation oder, was ja neuerdings so beliebt ist, Qualitätskontrolle gegeben hat, keine Expertisen, mit denen man sich hätte absichern oder beraten lassen können?
Kümmert sich die Leitung um die Ausstellungen? Hat sie Kriterien und Anforderungen? Oder pflegt sie Zurückhaltung und überläßt die Verantwortung den Abteilungskuratoren (innen)? Wenn das so ist, dann korrespondiert diese Gleichgültigkeit mit der der Öffentlichkeit. Zu den genannten Ausstellungen gab es kaum Resonanz in den einschlägigen Massenmedien und wenn, dann neutral oder affirmativ. Das ist schon erstaunlich, daß die Eröffnung des ersten Steirischen Geschichtsmuseums (des Hauses für Geschichte) so gar kein Echo hatte. Die führende, in der Steiermark marktbeherrschende Kleine Zeitung pflegt eine Medienpartnerschaft mit dem Museum. Darf man aus der auf die auffallende Zurückhaltung dieser Zeitung schließen, wenn es um das Joanneum geht? Aber welche Zeitung leistet sich auf dem Feld der Kultur noch Kritik, die diesen Namen verdient? Und die (lokale) Historiker(innen)zunft? Die ist involviert, beteiligt, schweigt, äußert sich, dann aber oft deftig, nur off records.
Das Joanneum ist eines der größten, personalintensivsten und teuersten österreichischen Museen. (Eine aufrichtiges Benchmarking würde im übrigen zeigen, daß das Museum nicht nur teuer, sondern auch gemessen an seiner Leistung, viel zu kostspielig ist).
Nicht nur ich, auch etwa MitarbeiterInnen des Museums und Kulturinteressierte, fragen sich, welche Haltung hat das Museum eigentlich, welche mission, oder, um entgegenkommend zu sein und dem derzeitigen Trend zu Marketing ‚gerecht‘ zu werden, welchen Markenkern?
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