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Dienstag, 12. Juni 2018

Arbeit ist unsichtbar. Die neue Ausstellung im Museum Arbeitswelt Steyr. Fragen eines kritischen Besuchers


Vor einigen Wochen habe ich meinen Bruder gefragt, ob er mich nach Steyr begleitet, um die neue Ausstellung „Arbeit ist unsichtbar“ anzusehen. Wir hatten einen schönen Tag in Steyr und einen vielstündigen Ausstellungsbesuch, unterbrochen nur von einem Mittagessen im schönen Gastgarten des ausgezeichneten Gasthauses Knapp, das neben dem Museum liegt.
Am Abend überraschte mich mein Bruder mit einem Text, den er direkt an die Leiterin des Museums gerichtet hatte. Sozusagen ein Leserbrief, bemerkenswert, weil sich Besucher normalerweise nicht so ausführlich und schriftlich äußern. Sieht man mal vom „Sehr interessante Ausstellung“ oder anderen aufschlussreichen Kurzmitteilungen in einem Besucherbuch ab.
Mein Bruder hat einen ganz anderen beruflichen Hintergrund als ich und das macht den Text besonders. Ich habe ihn gefragt ob ich ihn, aus diesem Grund, weil man so etwas normalerweise nicht zu lesen bekommt, veröffentlichen darf.
Morgen werde ich den Text in den Blog stellen, den ich geschrieben habe. Dann ist das eine Premiere - die erste „Familienkritik“, die erste „Doppelconference“ (hier der inzwischen veröffentlichte Text von mir) in der Geschichte der Museumskritik. Und nun sein Text:



Das Foyer empfängt den Besucher geräumig einladend mit Glas und Licht; eine gelungene Anbindung an die Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert. Eine freundlich aktiv Auskunft gebende Dame an der Kassa verstärkt das Willkommen. Eine große Tafel mit den Namen all jenen vielen Personen, die diese neue Dauerausstellung mitgestaltet haben zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Ich finde das wirklich nett, dass da nicht nur die Chefs angeführt sind.
Weiter, und hinein in die weißen Sessel, Einstimmung auf das Kommende. Ein lichtloser Raum. Eine wunderbare Idee, die Sinne des Besuchers zu konzentrieren. Ich spüre unebenes Weich unter meinen Füßen. E c h t e   kongolesische Bergwerkserde, erfahre ich. Whow! Und? Nichts und. Von den Stimmen dreier Bergleute erfahre ich, dass sie hart, sehr hart arbeiten um gerade mal das Essen für ihre Kinder zu verdienen. Für etwas anderes geht es sich in diesem ihrem Leben nicht aus. WARUM ist das so, frägt sich der Besucher. Ich bin gespannt. Im nächsten Raum lerne ich, dass es früher bei uns auch so war. Und WARUM jetzt nicht mehr?

Und noch etwas lerne ich: Den Ausstellungskuratoren dürfte die einschläfernde Wirkung mancher Museen auf Besucher bewusst gewesen sein, sodass sie diese Herausforderung progressiv lösten:
Die Körper der Besucher werden zu zusätzlichen Bewegungen durch Truhen mit dem Nachlass früherer Arbeitswelten animiert, auf deren offenen Deckeln in etwa Kniehöhe Erläuterungen und Fotos mit kleinen Figuren angebracht sind. Ich gehe mehrmals in die Knie um zu sehen worum es hier geht, bis ich bemerke, dass von den sieben Besucherinnen, die sich durch den Raum bewegen, nur ein Mann sich  zu so einer schlecht beleuchteten Schrifttafel hinunterbeugt um sich nach wenigen Sekunden wieder aufzurichten und die Kisten keines Blickes mehr zu würdigen. Alle anderen nehmen nicht einmal Notiz von diesen für sie vielleicht wichtigen Informationen.


Oder vielleicht sind sie gar nicht wichtig? Sondern nur die Taktik der Didaktik damit sich die Besucher nicht zu sehr ins Detail verlieren? Das Maschinengewehr sieht man auch ohne sich zu bücken und das Waffenrad das nichts mit Waffen zu tun hat, auch. Anhand z.B. auch dieser Objekte kann ich erfahren, dass die „Werndler“ und deren Hilfsarbeiter in präziser Arbeit hochwertige Produkte herstellten, was auch ein k.u.k. Soldat in seinem Tagebuch bestätigt, als er erlebt, wie solch eine „Tötungsmaschine“ fliehenden Russen nachfeuert.
Langsam werde ich nachdenklich. WAS will dieses Museum eigentlich über Arbeit vermitteln? Über welche Arbeit? Neugierig wandere ich weiter.
Am „Spieltisch“ auf dem Erhellendes auszuprobieren wäre,  gehen die Besucher nach einem kurzen Blick darauf achtlos vorbei. Warum eigentlich? Selber schuld, wenn sie`s nicht checken.

Mein Blick fällt irgendwann auf ein Plakat aus der 2. Hälfte des 19. Jhdts. Ein Arbeitgeber teilt darauf seinen Arbeitern mit, dass er morgen die Bude dicht macht, wenn sie für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Er würde erst wieder aufsperren, wenn sie für die bisherigen Bedingungen wieder arbeiten wollten. Aha, denke ich, wir kommen doch noch zu Ursachen und Wirkungen.
Und übrigens, warum hängt nicht ein zeitnaheres Dokument zu diesem Thema daneben? Z.B. die Worte des Heros von Steyer aus der 2. Hälfte des 20. Jhdts.: Uncle Frank from Canada trat vor die versammelten Arbeiter der heruntergewirtschafteten Staatsbetriebe in Steyer und sagte: Alle die wollen und anständig bei mir arbeiten, können kommen. Ich werde sie auch anständig bezahlen.
Was er nicht sagte, aber alle verstanden, war: Und WAS anständig ist, bestimme ich. – Eigentlich ein Knackpunkt des Arbeitslebens, der im Museum nicht weiter vorkommt.
Als drittes könnte ein Beispiel aus dem 21. Jhdt. daneben hängen: Als  Mitarbeiter des Servus TV einen Betriebsrat gründen wollte sagte dessen allseits beliebter Eigentümer Didi Mateschitz: Ich brauch den Sender eh nicht, ich sperr ihn zu. Heißt auf deutsch, 300 Leute auf der Straße. Minuten später schwor die Gewerkschaft nie, nie, nie sei es Absicht gewesen eine …

Wieder kehrte ich zu meinen bisher unbeantworteten Fragen zurück.
WARUM arbeiten Menschen, obwohl sie dabei kaum das Leben verdienen
WARUM gibt es horizontale Arbeitsteilung weltweit
WARUM gibt es vertikale Arbeitsteilung
WARUM Lohnunterschiede?


Ich war auch einmal im Naturhistorischen Museum in Wien. Dort lernte ich, dass es Berge gibt, die Feuer speien. Vulkane. Ich lernte aber auch, dass es diese nicht nur in Italien gibt sondern weltweit, und eine anschauliche Weltkarte der Vulkane zeigte dies. Es wurde auch ausreichend und verständlich erklärt WARUM der Vulkan Feuer speit. Hier im Museum der Arbeit gibt es keine Weltkarte der durchschnittlichen Lohnniveaus. Und es ist nicht erfahrbar, WARUM es diese Lohnunterschiede gibt.

Nun wissen beide Kuratoren mit Sicherheit, dass die Frage WARUM das Tor zu Wissen und Erkenntnis ist: WARUM ist der Himmel blau. WARUM heißt die Vogelspinne Vogelspinne. Sie kann ja gar nicht fliegen – außer sie vergisst sich anzuhalten, dann fliegt sie hinunter. Und Papa, WARUM schaust Du jetzt bös? Weil ich gerade ein e-mail an das Museum der Arbeit schreibe, Du ewiges WARUM!

Also kann es nur die selbst auferlegte Beschränkung der Kuratoren auf das Anregen zum Denken sein?

Weiter. In den wunderbar stillen weißen Raum. Verschiedene Stimmen, verschiedene Satzteile. Eine Frauenstimme: …natürlich antworte ich meinem Kollegen, aber dann fällt mir auf, ich arbeite jetzt in meiner Freizeit … Eine junge Männerstimme: ….die Arbeit gibt mir Sinn ….
Worum geht es dem Museum, was will es vermitteln?

Weiter. Als ich auch den Raum der Jetztzeit Zukunft durchwandert und die wunderbar sprechenden Handbewegungen des kleinen Roboters bewundert hatte, fragte ich mich, aus einem der grünen Liegestühle auf die Freuden der Freizeit blickend, was ich aus diesen vergangenen Stunden als Handlungsimpuls für mein eigenes Leben mitgenommen habe. . .
. . .

Ein bisschen verwundert trete ich nochmals vor die Tafel mit den vielen Mitarbeitern an dieser Ausstellung. Toll, wie viele da drauf sind! Da fällt mir auf, dass die Namen der Tischlerinnen für die Vitrinen fehlen und auch die der Elektrikerinnen, die die Kabel verlegten, fehlen. Und wer hat die gelbe Farbe aufgetragen, die Vorhänge genäht, die Objektstücke transportiert . . . aber eh klar, ALLE kann man hier nicht nennen!  WARUM aber hat man von einer solchen überlangen Liste das untere Drittel weggelassen und nicht das obere? Ist doch ein Museum der Arbeit?  Sei´s geistig oder manuell. Es ist klar: die geistig an der Ausstellung arbeitenden, DIE hätte man keinesfalls wegfallen lassen können! Die beiden Kuratoren sind renommierte Wissenschaftler mit anerkannt gutem Ruf in ihren Kreisen. Und niemand kann wissen, ob z.B. die Putzfrauen, die wöchentlich durch´s Museum fegen, in ihren Kreisen den gleich guten Ruf haben.

Das Museum hat alle meine WARUM Fragen nicht beantwortet.  WARUM also haben die beiden Kuratoren einen so guten Ruf? Auch diese Frage beantwortet die Ausstellung nicht.



Liebe Frau Direktor Auer!
Es war gut, dass ich dieses einzige Museum für Arbeit in Österreich besucht habe.
Es hat zwar meine Fragen nicht beantwortet, aber viele neue aufgeworfen. Und ein besseres Ergebnis, glaub ich, kann ein Museum gar nicht leisten.
Ich  danke Ihnen und allen Beteiligten für die hier gewonnenen Einsichten.
Wolfhard Fliedl


Die Leiterin des Museums, Katrin Auer, hat auf das an sie gerichtete Schreiben mit einer Korrektur geantwortet: Bitte erlauben Sie mir aber die Anmerkung, dass auf der Namenstafel wirklich alle Mitwirkenden, von den Putzmännern und -frauen, bis zu den Tischlern, MalerInnen, ElektrikerInnen, Bodenleger, Vorhangnäherinnen usw. genannt sind, und mit der Mitteilung, daß sie den Text an das Ausstellungsteam weitergegeben hat.

Eine Antwort ist ausständig.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Geschichtsschreibung auf Niederösterreichisch. Das "Haus der Geschichte" in St. Pölten

Vor einer Woche erschien im FALTER  (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.


Als kürzlich Franz Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich argumentierte und dessen Emanzipation aus einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht dieses, die Geschichte Niederösterreichs eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen, während man sich Wien erst einmal mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss. In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum Österreichs“.
Ein erster, sehr ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im Abschnitt zum eher knapp abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer überproportional breiten Darstellung wird.


Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des Nationalsozialismus?

Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit bricht die Ausstellung überraschend ab, um in einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form  profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen Landeshauptfrau bei der Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried Ludwig).

Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.


Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der Sprecherposition - „was will das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.

Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres Hindernis ist, die vorhergehenden zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs- und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart - Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig gesellschaftlich handeln können und wollen.

Das verweigert uns das Museum und auch die Antwort auf die Frage, warum immer alles so gekommen ist, wie es keiner wollte. Wozu braucht also wer dieses Museum?


Samstag, 30. September 2017

Ach! Ist das schön!

"Gerade am Beispiel seiner Madonnenfiguren, denen ein langweiliges Grundmuster nachgesagt wird, lässt sich eine Fülle feinster psychologischer Kontaktnahmen zwischen Mutter, Kind und den beigesellten Figuren beobachten. Mal wird der Granatapfel, dieses Symbol der Passion, aber auch der Herrschaft, das die Mutter in der Hand hält, vom Kind nachdenklich betastet; mal hängt sich der Knabe mit einer Hand frech in den Halsausschnitt der Mutter; mal greift er übermütig nach einem Stab oder streckt den Arm neugierig nach einem Buch aus; mal blickt er, auf einem Lamm reitend, beifallhungrig zu Josef hin. All diese genau beobachteten kindlichen Gesten machen aus den Andachtsbildern Werke von anrührender Besonderheit und überzeitlicher humaner Schönheit." (Aus einer Ausstellungsbesprechung, "Raffael", Albertina Wien. Die HErvorhebungen stammen nicht von mir.)

Sonntag, 23. Juli 2017

Ausstellungskritik als Kunstkritik

Das ist mal eine Kritik, wie ich sie mir wünsche, eine die etwas verständlich macht, aber nicht wegerklärt. Georg Seeßlen schreibt über die Ausstellung after the fact des Lenbachhauses. Hier: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/da-hilft-nur-kunst

Leseprobe:
Ein bisschen schwiemelig wird es dann immer, wenn jemand erklärt, was der Künstler oder die Künstlerin denn nun gemeint habe, wofür oder wogegen er oder sie sich in ihrem Werk ausspreche. So heißt es zur Installation The Lugubrious Game von John Miller, die Stehpulte mit Mikrofonen um einen Haufen mit Dildos, Tageszeitungen, Geldscheinen und so weiter gruppiert, sie ziele „auf gesellschaftliche Formen von Sublimierung im Spätkapitalismus“ ab und zeige „die Gameshow, das öffentliche Ringen um Reichtum und Berühmtheit, als eine eher bescheidene Maskierung unserer psycho-sexuellen und narzisstischen Triebe“, und da möchte man doch gern sagen: Nö! Hier hat ein Künstler Stehpulte mit Mikrofonen um einen Haufen Dildos, Tageszeitungen, Geldscheine und so weiter gruppiert, alles andere mache ich selber mit dem Kunstwerk und dem Rest der Welt ab.
Platt gesagt – und als großer Fan der Begegnung von Kunst, Theorie und Kritik: Eine Diskurs-Ausstellung sollte den Diskurs ermöglichen, ihn aber weder ersetzen noch vorwegnehmen.

Dienstag, 20. Dezember 2016

Kritikersprech

"Von jeher war ihr Anliegen die Überführung der amerikanischen Landschaft, des Naturerlebens in die Abstraktion. Diese genuin amerikanischen Solitäre sollten den Fokus von der Dominanz europäischer Ismen auf das Potenzial der im besten Wortsinn nationalen Schaffenskraft samt dazugehörigen motivischen Eigenheiten lenken. Gleichzeitig lotete sie die Grenzen der minimalistischen Hard-Edge-Malerei aus, suchte nach einem malerischen Weg das Bild hinter dem Bild, den Raum hinter der Tür aufscheinen zu lassen." 

Frage: Wer ist gemeint? Antwort: Giorgia O'Keefe

Montag, 3. Oktober 2016

Ausstellungskritik

Erst jetzt entdecke ich, daß es einen Blog gibt, der Ausstellungskritiken sammelt und dazu einlädt, welche zu verfassen und zu posten.
Hier die Adresse: https://ausstellungskritik.wordpress.com
Sehr verdienstvoll - das Genre Ausstellungskritik existiert kaum, und vielleicht entwickelt sich der Blog ja nicht nur zu einem Sammelort für Kritiken, sondern auch als Ort der Reflexion über Bedingungen und Methoden der Ausstellungs- und Museums-Kritik.

Dienstag, 3. Mai 2016

Eine schnelle Ausstellung. "Schloßbergphanatsien" im GrazMuseum


Sieben Minuten veranschlagte der um ein Mehrfaches länger eröffnungsredende Direktor für den Besuch der Einraum-Aussetllung. Im Zentrum: ein Schloßbergmodell des frühen 19.Jahrhunderts. Drumherum eineige sogenannte Utopien für die Bebaung und Nutzung des Grazer Wahrzeichnes. Da darf dann auch schon die komerzielle Nutzung der Eingeweide des Berges für eine Vinothek als Utopie gelten. Für eine historische Erläuterung des Schloßberges ist auch nicht so viel Platz und schon hat man alles gesehen. Von welcher Ausstellung kann man das schon sagen? Und eine Rezension zu Lesen braucht kaum länger als der Ausstellungsbesuch.
Der Tourismus hat die Restaurierung des Modells gesponsert und hofft auf strömende Touristen, die listigerweise auch bei geschlossenem Museum von der Straße aus einen Blick werfen können. Dafür hat das Museum jenen der Kassa vorgelagerten kleinen Raumkomplex geopfert, der bislang für auch kurzfristige und zugespitzte Statements verwendet wurde. Jetzt aber auf kommt hier das wichtigste Objekt der Sammlung sozusagen zur Ruhe. Auf Dauer und für sieben Minuten.

Donnerstag, 5. November 2015

Blut, Opfer, Reliquie oder wie Bedeutungen in Ausstellungen erzeugt werden. Über un/reflektiertes Ausstellen

2005 fand im Schloß Belvedere in Wien eine große historische Ausstellung statt. Anlaß war die 50. Wiederkehr des Staatsvertrages, der seinerzeit im Belvedere unterschrieben wurde. Die Ausstellung feierte die jüngere Geschichte Österreichs also aus der Perspektive der glücklichen Selbständigkeit und Staatswerdung nach dem Weltkrieg, zugehörigkeit zum Dritten Reich und Zeit der Besatzung durch die Siegermächte.
Der Duktus der Ausstellung war durchgehend patriotisch und staatstragend, durch alle Räume zog sich ein rot-weiß-rotes Flaggenband und die diversen Abteilungen bauten auf der Gemeinsamkeit einer 'Erfolgsgeschichte' von Zweiter Republik und gelungener Nationwerdung auf.
Ungewöhnlich waren die Umstände, unter denen die Ausstellung zustandekam. Da sich die Regierung zögerlich zeigte, eine einschlägige Ausstellung auszurichten, bildete sich eine Gruppe Industrieller, die die Initiative erfgriffen, an ihrer Spitze der ehemalige Finanzminister Hannes Androsch. 
Die Ausstellung hätte seinerzeit eine fundierte Kritik verdient. Sowohl die Umstände ihrer Entstehung, innere organisatorische Konflikte, die Planungsgeschichte und vor allem die Ausstellung selbst hätten genug Ansatzpunkte für Kritik geboten. Doch eine solche hat es nie gegeben.
Mir ist Einiges von der Ausstellung noch sehr gut in Erinnerung, vor allem das Objekt Nummer eins, ein Objekt, das nicht nur numerisch im Katalog als erstes aufscheint, sondern das tatsächlich in der räumlichen Disposition das erste war, das man sah und an dem man vorbei musste, wenn man die Ausstellung besuchte.
Ein solches Objekt funktioniert ähnlich wie ein opening shot in einem Film. Von hier aus wird der Erzählfaden aufgenommen und der Zuseher bekommt ein Gefühl für den Stil, die Haltung und Ästhetik des Films. Nicht anders können die ersten Objekte einer Ausstellung die späteren Beobachtungen beeinflussen und färben.

Also zum 'opening object' der Ausstellung "Das neue Österreich". Es war das mit Blut durchtränkte Hemd von Erzherzog Franz Ferdinand, das er beim Attentat von Sarajewo getragen hatte. Wie andere Objekte, z.B. der Wagen, in dem er gesessen hatte, hatte man auch dieses Objekt unmittelbar nach dem Attentat gesichert und aufbewahrt, das Hemd zunächst bei der österreichischen Provinz der Gesellschaft Jesu, die es in einem Gedenkraum in Sarajewo aufbewahren wollten. Dazu kam es aber nicht und das Hemd befindet sich jetzt als Dauerleihgabe im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum.

Solche Objekte, die ganz unmittelbar mit einem Ereignis verbunden zu sein scheinen, haben die Qualität profaner  Berührungs-Reliquien. Sie sind Zeugnisse eines Todes und Toten an dessen Tod wir Kraft der sichtbaren Spuren teilhaben. Diese Spuren, Körperflüssigkeit, haben eine überdeterminierte, an unsere Affekte und eigene Leiblichkeit und Sterblichkeit weit stärker als die meisten anderen Museumsobjekte erinnernde Bedeutung. Sie vermitteln einem, in eine direkte Zeugenschaft involviert zu sein und in eine unwiderlegbare Beweisführung, wie bei einem kriminologischen Indiz.

Religiöse Reliquien sind entweder Reste vom Körper selbst oder Dinge, die mit ihm in Berührung gestanden haben. Unter diesen sind die herausgehoben, die als "martyrologische" direkt mit dem Tod des Heiligen verbunden waren, etwa eine Dorne von der Dornenkrone Christi. Es sind gerade diese Reliquien und die Körperreste, die, meist im Altar untergebracht, an dem ja das christliche Opferritual stattfand, das gemeinschaftsstiftende Funktion hatte. Das Transgressive des Rituals, an das Opfer für die Gemeinschaft zu erinnern indem man es symbolisch wiederholt, zeichnet auch profanen Reliquien (Die Uhr, die Abraham Lincoln am Tag seiner Ermordung bei sich trug, die Stricknadeln, die Marie Antoinette im Gefängnis benutzte...) aus.

Ist das der Grund gewesen, warum gerade dieses Objekt an erster Stelle der Ausstellung stand? Kaum bewußt. Eher war es als eine Grenzmarkierung einer Epochenschwelle - 1914 - gedacht. Das Jahr 1914, das Attentat von Sarajewo und der Beginn des Ersten Weltkrieges sind zu einer einzigen Bedeutung geronnen. Das mag wohl der Hauptgrund für die Wahl und Platzierung gewesen sein. Selbstverständlich hätte die Wahl auch eine andre sein können, etwa Dokumente zur Kriegserklärung, vielleicht hätte man auch den Wagen des Attentatstages aus dem Museum hierher bringen können oder man hätte ein alltagsgeschichtliches Objekt aussuchen können oder man hätte, statt dieses makabre Stück zu präsentieren etwas aussuchen können, was dem im Ausstellungstitel angeführten "Neuen" an Österreich gerecht gewesen wäre.

Es ist klar, daß gerade das gewählte Objekt nicht 'abbildet', sondern symbolisiert und daß es Bedeutungen erzeugt, die es zu weit mehr machen als einem Indiz in einer Kette von Indizien, die uns verstehen lassen, was es mit dem Kriegsbeginn, mit Kriegsursachen und den folgenden Ereignissen auf sich hat. Wahl, Platzierung und semantische Qualitäten eines Objekts konstituieren zusammen mit seiner Beschriftung, Kommentierung, anderen, umgebenden oder kontextualisierenden Objekten und dem Raum, in dem es gezeigt wird, Bedeutungen, viele Bedeutungen, und auch dem Autor der Ausstellung möglicherweise nicht bewußte.

Ich denke, daß das hier der Fall ist. Hier war sich jemand nicht bewußt, welche Bedeutung er mit der intendierten miterzeugt. Das blutige Hemd, fein säuberlich zusammengelegt, so wie man ein Hemd in seiner Schachtel beim Kauf vorfindet, verweist pars pro toto auf die getötete Person, den Thronfolger. Gezeigt wird uns ein bei einem Attentat Ermordeter, ein Opfer einer Tat, die mit zwei Pistolen (Objekt 2.1. im Katalog), die den Tätern gehörten, 'bezeugt' wird. Das reale Ereignis wird durch das Objekt als Opfer interpretiert, das nahelegt, die dann folgende historische Ereigniskette von Ultimaten und erste Kriegsvorbereitungen wie den beginnenden Krieg als Folgen dieser Tat, die Tat also als Ursache und nicht bloß als Anlass zu sehen.

Erzherzog Franz Ferdinand als Opfer darzustellen  kehrt aber ein Machtverhältnis um. Er ist der Souverän, zumindest der Stellvertreter, also der, der über Tod oder Leben, über Krieg und Frieden verfügen konnte. Und das Attentat richtet sich nicht gegen die (private) Person, sondern genau gegen die Funktion als Souverän. Und denken wir bei 'Weltkrieg' nicht naheliegenderweise eher an das anonyme und massenhafte Sterben von Soldaten und der zivilen Bevölkerung? Überblendet die Präsentation des Hemdes auf seinem Sockelvitrine-Altar nicht diese Erinnerung an ein ganz anderes, und zweifelsfrei nicht freiwillig erbrachtes Opfer?

So wie hier visuell operiert wird, kommt noch die Doppeldeutigkeit von 'Opfer' hinzu, die sich im Deutschen nicht sprachlich unterscheiden läßt. Die von geopfert werden und sich opfern. Figuriert Erzherzog Franz Ferdinand hier als "Blutzeuge" oder als 'victim' eines Mordanschlages?

Die Frage beim Ausstellungmachen ist, ob man als AutorIn, den Prozess der Bedeutungskonstitution reflektiert oder nicht. Ob man sich also zum Beispiel in diesem Fall, im Klaren ist, welche Bedeutung an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Umfeld und zu einer bestimmten Zeit annehmen kann und annehmen soll. 

Es ist eine der großen Schwierigkeiten von Ausstellungsanalyse und -kritik, nicht (immer) klar zwischen intendierten und symptomatischen, gewissermaßen 'einfach passierten' Bedeutungen unterscheiden zu können. Außerdem ist ja immer auch noch der Besucher mit seinem Wissen und seinen Interessen und seinen Deutungen in Rechnung zu stellen. Aber in diesem Fall hilft uns ein Zeuge, uns über Intendiertes und Nicht-Intendiertes etwas Klarheit zu bekommen. Der Zeuge ist der Ausstellungsmacher selbst, der Historiker, der für diesen Ersten Teil der Ausstellung verantwortlich war und für die Auswahl und Platzierung des Objekts.

Es ist der von manchen seiner Kollegen als "führender österreichischer Zeithistoriker" gerühmte Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner, langjähriger Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums. Er hat zwei Texte verfasst, die sich auf das hier diskutierte Objekt beziehen. Im Objekttext im Katalog (Seite 43) kommt zuerst die Sachbeschreibung. "Blutiges Hemd des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand nach dem Attentat in Sarajevo vom 28.Juni 1914." Und dann die mit Namen gezeichnete Erläuterung: "Der Doppelmord löste zunächst einen Schock und dann eine europäische Krise aus, die in den Ersten Weltkrieg mündete." Der Sinn dieses Textes scheint mir unmi´verständlich. Es geht um einen kausalen Zusammenhang von Tat und Ereignis (Krieg).

Im ebenfalls von Rauchensteiner verfassten Katalogbeitrag, "Von Sarajevo zur Villa Giusti" (S.31) heißt es im Widerspruch dazu: "Kurz gefasste Darstellungen des Kriegsbeginns 1914 lauten häufig so: Am 28.Juni 1914 wurde in Sarajevo der österreichische Thronfolger ermordet, daraufhin brach der Erste Weltkrieg aus. Manches an dieser Formulierung ist falsch, anderes fragwürdig, der eigentliche Fehler liegt in der vermeintlichen Kausalität, die eher ein Konstrukt der Kriegsschulddebatte als das Ergebnis einer historisch sorgfältigen Reihung und Begründung ist."

Mit dem (auf seine Schlüssigkeit durchaus befragenswerten) Hinweis auf die Herkunft eines Klischees (Sarajevo hat den Krieg ausgelöst), gibt Rauchensteiner selbst einen Fingerzeig darauf, wie sehr jede Deutung auf vorgängigen wissenschaftlichen Positionen und gesellschaftlichen Selbstbildern (Österreich und die Kriegsschuld) beruht. Aber zu retten ist hier nur noch wenig, wenn er selbst, gespalten in Rauchensteiner I und Rauchensteiner II wie ein nestroyscher Zerrissener zwei Positionen darlegt, die sich komplett Widersprechen.

Das ist gewiss nicht Museumsreflexion, sondern ein Beispiel, was passieren kann, wenn diese Reflexion aussetzt und auf das Wunder eines "Objekts, das von selbst spricht," gesetzt wird. Ob er es nun beabsichtigt hat oder nicht - für die Belvedere-Ausstellung war das blutige Hemd ein ideologisch-politisch, nun sagen wir: gehörig mißverstehbares Statement.






Freitag, 25. September 2015

Direktoren helfen Direktoren. Eine caritative Abschiedsausstellung im Wien-Museum

Welch eine schöne Geste: Wolfgang Kos (scheidend) widmet seinem Direktorenkollegen Peter Pakesch (scheidend) eine Ausstellung über dessen Heroenzeit als Galerist in Wien. Ich darf mich jeden Kommentars enthalten, weil solche Liebesgaben unter älterten Herren ohnehin in den Medien breit gewürdigt werden. Dem geneigten Leser und der geneigten Leserin empfehle ich die kontrastreiche Lektüre des rosa Intelligenzblattes Der Standard, wo Andrea Schurian das exquisiste Ereignis unter dem Titel "Und plötzlich durfte Kunst auch Spaß machen" würdigt und parrallel dazu die Lektüre des blauen Intelligenzblattes Die Presse, wo Almuth Spiegler weniger respektierlich mit "Wien-Museum: It's a Man's Man's Man's World" titelt. Almut Spiegler habe ich den größeren Wissensgewinn zu verdanken, wenn sie mutmaßt, die Transformation der Kunstszene zur fraglichen Zeit sei der Modernisierung der Künstlerbesäufnisse vom Heurigen zur Bar zu verdanken.

Dienstag, 5. August 2014

Es gibt noch Institutionenkritik am Museum. Im "Kurier".

"Wiir sind jetzt also wieder im Barock. In einer Zeit, in der sich eine Elite in abgeschlossenen Zirkeln vergnügte und das Volk sich glücklich schätzen konnte, wenn es einen Blick auf die schönen, wenn auch seltsamen Spiele der edlen Herrschaften erhaschen konnte. Der Unterschied ist: Heute, 2014, dienen öffentliche Museen als Guckkästen auf diese Elite. Selbst zum Sammeln nicht mehr fähig, sehen sich die Institutionen gezwungen, dem neuen Geldadel unter Vernachlässigung ihrer ureigensten Aufgaben den Hof zu machen."
So beginnt der Artikel von Michael Huber über die Ausstellung der Pivatsammlung Titze in den der Österreichischen Galerie durch die ehemalige Finanzministerin überlassenen Repräsentationsräume im Finanzministerium, einem barocken Palais des Prinzen Eugen.
Der Artikel verrät, daß der Autor eine reflektierte und kritische Vorstellung vom Museum, von Ausstellungen, vom Kunstbetrieb und -Markt hat. Unter den vielen affirmativen oder halbherzigen Artikeln auf diversen Kulturseiten (die sich Zeitungen ohnehin immer weniger leisten) war das mal ein auffallendes Lesevergnügen.

Und hier geht's zum Artikel: http://kurier.at/kultur/kunst/love-story-im-belvedere-ein-guckkasten-auf-die-elite/73.368.576


Sonntag, 16. Februar 2014

"Carmilla der Vampir". Eine Ausstellung im GrazMuseum. Blitzkritik

WAS?
"Carmilla der Vampir und wir". Eine Ausstellung über die Figur des Vampirs (und seiner Verwandten) in Literatur, Film, Trivialmythologie, Volksglaube, Wissenschaft usw. Die Ausstellung nimmt ihren Ausgangspunkt von der Tatsache, daß die frühen Vampirerzählungen noch in der Steiermark angesiedelt waren, bzw. sein sollten (Bram Stoker entschied sich schließlich für Rumänien).

WO und WANN?
GrazMuseum, bis Ende Oktober 2014

WIE?
Eine Ausstellung, die vor allem mit zweidimensionalen Medien, Büchern, Manuskripten, Grafiken, Gemälden und Erläuterungstexten sowie Filmen (die auf Monitoren gezeigt werden, aber etwa die Hälfte absichtsvoll, so sagte man mir jedenfalls, bis zur Unrezipierbarkeit "gestört") vielfältige Aspekte des Themas vorstellt.

Relativ umfangreiches Themenspektrum, nicht strikt chronologisch entwickelt, sondern zwanglos entwickelt
Für ein offenbar breites Publikum fast aller Altersstufen attraktiv (die Ausstellung war bestens besucht, an einem allerdings selten tristen und verregneten Sonntagnachmittag)
Ziemlich tollkühne Möblierung, einschließlich der Stellwände und Vitrinen, kann man auch als Symptom für das finanzielle Kurzgehaltenwerden des Museums durch die Stadt verstehen
Viele Texte, die eine seminaristisch-akademische Lust der Welterklärung verraten, wie man sie in Texten einer bestimmten Graduierungsstufe häufig findet. Manchmal bombastisch, manchmal essenzialistisch, immer aber im Habitus des Wir wissen es und erklären euch das jetzt mal (Gender, Tod, Industrialisierung, Verdrängung, Identität, Moderne, Emanzipation usf.). Wird Besucher in zwei Hälften spalten: gnadenlos Ausgebremste und Einheimische der Bildungselite, die sich das wie Manna und Ambrosia reinziehen werden).
Die Texte tragen die Last der Aussage und Erzählung(en). Objekte sind fast nie selbst als Quelle von Einsichten und Aussagen oder Medien der Vermittlung eines nicht zuvor schon textlich gefassten Gedankens eingesetzt. (Kommt sehr häufig vor, ist aber immer wieder traurig und manchmal ärgerlich). Dazu kommt, daß das GrazMuseum keine reiche und attraktive Sammlung hat und auch bei Leihgaben keine großen Sprünge machen kann. Allerdings - gibts überhaupt eine Museumssammlung, aus ein solches Thema bestritten werden könnte? Damit komme ich zum dritten Minus:
Das Medium der Vampirerzählungen ist das Buch und dann der Film. Die Gefahr einer "Flachwarenausstellung" ist groß und nicht wirklich vermieden worden. Quadratmeter um Quadratmeter Text(e), wie (fast) immer im Stehen zu würdigen, zu (wenns überhaupt geht) zu lesen, geht nicht.
Ein Ausweg aus dem genannten Dilemma wäre gewesen, die Ausstellung selbst wie einen Vampir-Text oder Film zu behandeln (aber nicht als Faschingsgschnas, so meine ich das nicht; eher als - nur eine Idee - großes Schattentheater a la Kentridge. Das wäre sogar noch billiger gewesen), das heißt der gestalterischen und gedanklichen Kreativität Flügel zu verleihen (nicht die von Red Bull), also eine Visualisierung sui generis zu erfinden. Stattdessen das genaue Gegenteil: wo das Sujet phantastisch ist, versucht die Ausstellung zu konkretisieren, holt so die Schemen und Phantasmen auf einen harten Boden einer Realität zurück, wo die Poesie in den Sachen (objets alibi) erstickt. Wenn der Zusammenprall von Archaik und Moderne an den Reisewegen von Verfolgtem und Verfolgern erläutert werden soll, da steht dann eine Lokomotive in der Vitrine, entliehen aus dem Technischen Museum, mit Erläuterung zur Baureihe etc und ein Baedeker, die Inkunabel genau jenes Reisens, das durch Standardisierung der Warenförmigkeit der Wahrnehmung entlang von must sees alles Phantastische austrieb. O je.

Trotzdem hingehen! Meine Meinung ist ja bloß eine exotische Minderheitenmeinung eines überkritischen Ausstellungsgehers.

Und jetzt ein paar Fotos.




Mittwoch, 10. Juli 2013

Was kann Ausstellungskritik - Eine Ausstellung in der Cité de l'Architecture in Paris

So rar wie brauchbare Ausstellungskritiken ist kaum etwas. In der heutigen Neuen Zürcher Zeitung kann man eine Ahnung davon bekommen, was eine Kritik leisten könnte. Marc Zitzmann hatte nicht sehr viel Platz, um eine Schau zu besprechen, die dem Architekten Rudy Ricciotti gewidmet ist, der weit über Frankteich hinaus durch das eben eröffnete Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée in Marseille bekannt wurde. Die Ausstellung widmet ihm eine Institution, die zwar eine mehrschichtige ehrwürdige Tradition hat, in ihrer jetzigen komplexen institutionellen Struktur aber selbst noch recht jung ist: Die Cité de l'architecture & du patrimoine in Paris. Deren politische Instrumentalisierung ist der Ausgangspunkt für die Kritik an der dem Autor misslungen erscheinden Ausstellung. Zwar kann er die verschiedenen Aspekte, aus denen sich die Kritik zusammensetzt, nur knapp anreißen, aber die Engführung von politischen, institutionellen, expositorischen, konzeptuellen und personellen läßt in Umrissen ahnen, worauf es ankommt. Nur in der Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Ansprüche, der Schaffung einer institutionell angemessenen Struktur und einer konzeptuell und gestalterisch klaren Umsetzung von Zielen und programmatischen Überlegungen kann man Ausstellungskritik beschreiben. Da beschämt Zitzmann die Cité und den Ausstellungskurator, indem er das fehlende Konzept gleichsam in Stichworten nachliefert und die Qualitäten des Architekten gleich an dessen aktuellem Hauptwerk, dem Museum in Marseille, wiederum nur sehr knapp, erläutert.
Hier der Link http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/kunst_architektur/rudy-ricciotti-ein-igel-mit-beton-stacheln-1.18113693