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Samstag, 16. Juli 2011

"Ausstellungen für Graz"

Mit mehr Schrecken als Begeisterung blättere ich in der reich illustrierten "Bilanz" des Grazer Stadtmuseums. Viele, zu viele Ausstellungen habe ich nicht gesehen. Da ist manche Ausstellung vorgestellt, die ich nicht hätte versäumen sollen. Kanns denn nicht Retrospektiven geben, Wiederaufführungen, so wie man alte, kostbare Filme restauriert und wieder feierlich aufführt? Museen hätten billige (Zweit)Ausstellungen und Ausstellungsmuffel könnten nachsitzen.
Ausstellungen für Graz 2006 - 2010 heißt das Buch und es macht etwas, was Museen selten machen, es dokumentiert, auch bildlich (wenn auch nicht umfangreich) jede einzelne Ausstellung. Kommentierende Texte, Zitate aus Rezensionen und die technischen Angaben wie Kurator, Zeitraum etc. werden mit Illustrationen angereichert, die eine Ahnung von der Machart der Ausstellung geben.
Es beginnt mit "Die Totale" (die Ausstellung habe ich wenigstens gesehen...) und endet mit "Fritz Panzer".
Die chronologische Ordnung fädelt die Ausstellungen gleichgültig gegenüber Themen und Formaten auf. Sichtbar wurde für mich das urbanistische Interesse des Museums, das, zusammen mit diversen grazspezifischen Themen, das Fehlen einer Dauerausstellung kompensierte und das zeitgeschichtliche Engagement, das seine stärksten Momente mit "Unsichtbar. NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand in der Steiermark" hatte und dann mit "Die Kunst der Anpassung. Steirische Künstlerinnen im  Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda". Der dritte erkennbare Schwerpunkt ist der Biografische, der in einer tollkühnen Serie Bernhard Fischer von Erlach, Jochen Rindt und Nikolaus Harnoncourt vereinte.
Die Publikation hat eine sehr symphatische Eigenschaft, sie konzentriert sich ganz auf die Vorstellung der Ausstellungen. Bis auf eine lässliche Ausnahme keine 'Funktionärsfotos', keine Fotos a la Stadtrat X eröffnet, Hofrätin Z im Gespräch mit, keine Vernissagenfotos, keins von glücklichen Menschen an kargen Buffets, absolut nichts. Auch kein Museumsdirektor in Ansichtsvarianten.
Diese Askese könnte allerdings auch einem technischen Gebrechen geschuldet sein, zumindest bei dem Exemplar, das ich besitze. Das reicht bis Seite 156. Laut Inhaltsverzeichnis hätten auf Seite 158ff. die Mitarbeiterinnen vorgestellt werden sollen.

Dienstag, 29. März 2011

Eine neue museologische "Austausch-Plattform"

Unter der Internetadresse http://www.ausstellungen-einstellungen.de gibt es neuerdings etwas, was sich "Austausch-Plattform" und "Wissensspeicher" nennt und mit der "Konzeption, Gestaltung
und Zukunftsvisionen musealer Wissensvermittlung" beschäftigt".
Angeboten wird die Plattform von der berliner Grafikerin und Ausstellungsmacherin Claudia Wagner, mit ähnlichen Zielen, wie ich sie in meinem Blog verfolge: die Diskussion über einschlägige Museumsfragen zu unterstützen.
Wer der Einladung der "Mitmachseite" folgen will, beginnt am besten hier: http://www.ausstellungen-einstellungen.de/zukunftsvisionen/

Montag, 7. Februar 2011

Entgleitende Bilder. Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Die im Internet zirkulierenden Bilder von der Zerstörung der Hologramme der Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien haben ein heftiges Echo ausgelöst. Seit mehreren Tagen werden die das Museum und die Hologramme betreffenden Posts dieses Blogs massenweise abgerufen. An den Reaktionen zeigt sich, daß es nicht bloß um den Abbruch geht, sondern um die Haltung gegenüber einer exzeptionellen Ausstellung und um die zukünftige Ausrichtung des Museums.
Um zu verdeutlichen, worum es geht, worin die Qualität der Ausstellung lag und was auf dem Spiel stehen könnte, veröffentliche ich hier einen Aufsatz der 2004 erschienen ist.
Gottfried Fliedl


Sabine Offe, Gottfried Fliedl

Entgleitende Bilder. Über die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Aus: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Ungekürzt. Anmerkungsnachweise entfernt.

Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus. Manche führen das darauf zurück, dass es in der Ausstellung an Informationen, an begleitender Belehrung, an Vermittlung fehle. Tatsächlich aber ist das Jüdische Museum nicht nur das konzeptionell und ästhetisch eindrucksvollste unter Jüdischen und kulturhistorischen Museen überall, sondern auch ein Museum, das sich in besonderem Maße seines Vermittlungsauftrags angenommen hat. Dem sind nicht nur die umfangreichen Programme für Besuchergruppen gewidmet, über die in diesem Heft an anderer Stelle berichtet wird, sondern auf “Vermittlung“ ist auch jedes Detail der Gestaltung der Dauerausstellung angelegt.

Der Begriff “Vermittlung“ ist in den letzten Jahren an die Stelle des herkömmlichen der “Museumspädagogik“ getreten. Vermittlung könnte einen nicht-hierarchischen Prozess bezeichnen, an dem beide Seiten beteiligt sind, Museum und Besucher eine Beziehung aufnehmen mit dem Anspruch wechselseitiger Verständigung und sich der Anstrengung der Verständigung ebenso aussetzen wie der Möglichkeit von Missverständnissen und der Chance der Anerkennung und des Aushaltens von Missverständnissen. Vermittlung, so verstanden, entfaltet sich in der Wechselwirkung von Ausstellungsintentionen und deren Aneignungsweisen durch die BesucherInnen, daran beteiligt sind institutionelle Traditionen, personelle Entscheidungen, Besucherreaktionen, Dinge, Gebäude, Texte. Vermittlung bildet “Mitten“, involviert emotionale ebenso wie kognitive, bewusste ebenso wie unbewusste Erzählungen von Ausstellungsmachern und Ausstellungsbesuchern. Ein Modell solcher Vermittlung für das Lehren und Lernen von Geschichte hat Volkhard Knigge entwickelt. Vermittlung, so Knigge, ist gekennzeichnet von einer „Doppelbewegung“: „Einerseits evoziert der historische Gegenstand [oder das Objekt im Museum, S.O.] etwas am Subjekt, beispielsweise Assoziationen, Erinnerungen und Querverbindungen, Gefühle und Körperzustände. Auf diese Weise vermittelt er Subjekteigenschaften oder setzt er Effekte am Subjekt, die auf ihn selbst verweisen. Diese können sich [...] zu Spuren verdichten, in denen sich Eigenschaften des Vergangenheitsmaterials am Subjekt selbst zum Ausdruck bringen.“ Gemeint sind hier körperlich wie mental erlebte Angst, Schrecken, Mitleid, oder auch positiv identifikatorische Formen des Miterlebens, die als Reaktion auf den "Gegenstand" auftreten können. Andererseis tragen die Subjekte gleichzeitig und gegenläufig ihre „Vorerfahrungen, affektiven Prägungen und (unbewußten) Wünschen“ (Volkhard Knigge) an die Gegenstände der Vermittlung heran. Diese Wechselbewegung kennzeichnet Vermittlung, sie lässt sich als Gegenentwurf zum  kontrollierenden Gestus autoritativer Besucherbelehrung verstehen. Damit verbunden ist das Risiko, dass Besucher und Ausstellende sich in den Ergebnissen solcher Wechselwirkung nicht wiedererkennen, die Ausstellenden ihre Absichten in der Rezeption verfehlt sehen, die Besucher ihrerseits enttäuscht sind, dass ihnen nicht Informationen angeboten werden, die sie getrost und getröstet über die Gewissheiten vermeintlich besser Wissender nach Hause tragen können.

Vielerorts wird in der Diskussion über Museen die “Abwesenheit“ dessen beschworen, was im Museum ausgestellt und nur als “Spur“ in den Dingen, denen es Raum gibt, erhalten scheint. Diese Debatte greift ein festgefügtes Fundament der Museumsarbeit an: die vermeintlich durch originale Gegenstände verbürgte Authentizität von Erfahrungen, eine der durch visuelle Evidenz unbezweifelbar scheinende Gewissheit, die verborgene Macht des Museums bei der Zuweisung von Bedeutungen und Lesarten. Wiewohl alle Museen von dieser Reflexion betroffen sind, scheinen sie weithin in der Praxis resistent gegen derartige theoretische Einsichten. Nur dort, wo der “Gegenstand“ des Museums konfliktreich oder traumatisierend in die Gegenwart hereinragt, stellt sich die Museumsarbeit, etwa in postkolonialen Konstellationen, den neuen Anforderungen. Namentlich die Erschütterung durch den Holocaust, die nachhaltige Beschädigung des mit dem Projekt der Moderne entwickelten Modells der Zivilisierung des Menschen und der damit verknüpften Hoffnungen, stellt auch die traditionellen und konventionellen Formen von Darstellung und Vermittlung in Museen infrage. Es überrascht nicht, dass die seit den achtziger Jahren im deutschsprachigen Raum entstandenen Jüdischen Museen besonders sensibel, facettenreich und innovativ auf theoretische Debatten auch der Museologie reagieren. Sie reagieren darauf, dass Museen es kategorial mit Abwesendem und Fremdgewordenem zu tun haben, mit neuen architektonischen Konzepten und neuen Strategien des Ausstellens und Vermittelns. Diese spiegeln die Ambivalenzen der Aufgabe der Institution: die Geschichte der Juden und deren wechselvolle Entfaltung als Teil europäischer Geschichte seit deren Anfängen zu zeigen, und an die Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus zu erinnern. Anders als etwa in den USA sind Jüdische Museen in Österreich und Deutschland nicht nur Museen, sondern immer auch Mahnmale. Als Museen sind sie Teil einer Institution, die Kontinuität und kulturelles Erbe der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und in den Dienst der Konstruktion von “kulturellem Gedächtnis“ und Identitätsstiftung stellt. Als Mahnmale hingegen repräsentieren sie nicht die Kontinuität, sondern die fundamentale Erschütterung bürgerlicher Kultur, den Zivilisationsbruch in der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Jüdische Museen sind oft nicht einmal Räume für Dinge, sondern selbst lediglich die Spur einer abwesenden materiellen Überlieferung jüdischer Kultur, die so systematisch vernichtet wurde wie die Menschen. Jede Rekonstruktion und Repräsentation von Geschichte und Kultur der Juden gerät daher in Gefahr, die Geschichte der Vernichtung museal ungeschehen zu machen, Lücken und Leerstellen zu verdecken und zu verstellen. Die Konzeption der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Wien thematisiert diese Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit in allen Bereichen der in drei Stockwerken eingerichteten drei Teilen der ständigen Sammlung und in drei unterschiedlichen Formen. Die Vergangenheit/Geschichte wird nicht im Rahmen konventioneller Darstellungsweisen erzählt, sondern Besucher sehen sich der Frage, wie sie zu erzählen und zu vermitteln sei, ausgesetzt. Die Ausstellung wendet sich an BesucherInnen, deren Familienbiographien in verschiedener Weise geprägt sind von NS-Geschichte, in der Mehrheit an Nachkommen der Tätergeneration. Die Besucher Jüdischer Museen sind daher immer schon in der einen oder anderen Weise beteiligt an Auseinandersetzungen über Deutungen und langfristige Folgen dieser Geschichte. Ein Museum wie das Wiener Jüdische Museum kann davon ausgehen, dass BesucherInnen wissen, was geschehen ist, aber es muss auch davon ausgehen, dass jedes Wissen über den Holocaust begleitet wird vom Schatten des Nichtwissens, des Nichtwissenwollens, des Nichtbegreifenkönnens – dem Schatten der Traumatisierung, die der Holocaust auch für die gegenwärtige Kultur Europas bedeutet.

Das Risiko wechselseitiger Missverständnisse geht das Jüdische Museum in Wien nicht nur ein, sondern es zeigt, dass sie unumgänglich, ja vielleicht  sogar wünschenswert sind. Der Imperativ Zachor!, Erinnere Dich!, des religiösen wie säkularen (nationalstaatlichen) Judentums, ist dem gesamten Museum eingeschrieben. Aber anders als im Jüdischen Museum Berlin, in dem die körperliche, kognitive und affektive Gängelung der BesucherInnen durch Architektur und Ausstellung keine Abwege, Umwege, eigenständige Assoziationen und Abweichungen von der großen Museums-Geschichtserzählung vorsieht, belässt es das Wiener Museum bei Angeboten an die Besucher, diesem Imperativ zu folgen.

Bereits im Eingangsbereich das Hauses, der ganz zuletzt gestaltet wurde, erinnert eine Inschrift (deutsch und englisch) an die ermordeten Juden. Die Schrift an der Wand erscheint farbig changierend auf  weißem Grund, sie ist schwer lesbar je nach Beleuchtungssituation und Standort des Lesers, ein Menetekel, das wahrzunehmen den Eintretenden überlassen bleibt. Ebenfalls im Erdgeschoss, im Museums-Café, erinnert eine Tafel an die erste und Eröffnungs-Ausstellung: “Hier hat Teitelbaum gewohnt“. (Felicitas Heimann-Jelinek) Da das “Café Teitelbaum“ dieser Ausstellung den Namen verdankt, verweist die Tafel auf den gegenwärtigen Ort des Lesers als einen Ort, der in der Vergangenheit der eines anderen gewesen ist oder gewesen sein könnte und damit auf Zusammenhänge ebenso wie auf deren Zerstörung. Auch ist die Tafel ein Kommentar zur Selbstmusealisierung des Museums, sie erinnert an die Ausstellung und zugleich an ‚Teitelbaum’, also stellvertretend unter dem einst verbreiteten Familiennamen an die Juden Wiens. Die Bedeutungen verschränken sich, sie zu entziffern bedarf es des Vorwissens, die Cafébesucher können sie im Raum belassen oder sie mitnehmen in den ersten Raum der Dauerausstellung. Dieser ist verbunden mit dem Veranstaltungsraum, der über alle Geschosse reicht und überwölbt wird von einem lichten Zeltsegel und darüber einer Kuppel aus Glas und Eisen.


Die nach oben sich öffnende Bewegung wird verstärkt durch die auf die hellen Wände verstreuten farbenfreudigen Stempelbilder von Nancy Spero, verfremdete Bildzitate: ein Detail des zerstörten Leopoldstädter Tempels (nach einem Foto), die Judenverbrennung in Erdberg (nach der Schedelschen Weltchronik), die Ansicht der (Wiener) Judenstadt (Vogelperspektive), Razzia in der Wiener Kultusgemeinde am 18. März 1938, Lesen der Haggada, Mazzesbacken (nach mittelalterlichen Illustrationen), Gustav Mahler, Tänzerinnen.


Diese Bilder haben keine Ordnung, bilden keine Erzählung, folgen keinem Zeitraster, sondern stellen Einzelheiten, Facetten der Überlieferung vor, können Auslöser für Assoziationen werden. Sie thematisieren Erinnerung in der Gestalt von Vergessenem, von den BesucherInnen nicht oder kaum Bekanntem. Sie drängen ihre Geschichten niemandem auf, aber sie geben sie auch nicht un-vermittelt preis. Wer Näheres erfahren will, muss sich auf die Suche machen.


Die im selben Raum ausgestellte Sammlung von Ritualobjekten aus der Sammlung Berger scheint zunächst noch am ehesten den habitualisierten Erwartungen von Museumsbesuchern zu entsprechen. Sie stehen gereiht und geordnet in Vitrinen, sie sind schön und kostbar. Aber Bibelzitate, die auf das Glas der Vitrinen geklebt wurden, erschweren und verdecken den Blick auf diese Objekte, sie verweisen auf den Vorrang der Schrift gegenüber der Materialität der Dinge im Judentum, sind keine Erläuterung des Gezeigten.


Wer die Sammlungsgegenstände frontal betrachtet, hat im Augenwinkel eine unscheinbare Inschrift, die über Motiv und Geschichte der Sammlung und des Sammlers Auskunft gibt, aber nur wie beiläufig, beiseite gesagt, neben der Vitrine in einer Raumecke angebracht. Es ist eine Widmung des Sammlers, gerichtet an seine ermordete Familie. Vielleicht führt diese Beiläufigkeit dazu, dass Besuchern  erst nach dem Verlassen des Museums, aber umso jäher, das Erschrecken widerfährt über die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen mitten im Glanz der Schönheit der Dinge und Bilder dieses Raumes – erzwungen wird dieses Erschrecken nicht.

Wenn Museumsbesucher den großen Saal im zweiten Stock des Museums betreten, scheint dieser zunächst leer, falls nicht Sonderausstellungen diesen beabsichtigten Eindruck der Leere verstellen. In der Mitte des Raums wurde ein Karree von Stelltafeln errichtet, die zum Saal hin transparent wirken wie aus Glas. Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Innenraum sieht er sich jedoch umgeben von Bildern, denn die gläsernen Tafeln sind Hologramme. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Bilder auf, die - wie ephemere Dias - Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens zeigen, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder reckt.


„Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“ (Felicitas Heimann-Jelinek) Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.


Jeglicher ‚Feststellung’ entzieht sich auch die Gestaltung des Raumes, die der Architekt  Martin Kohlbauer entwickelt hat. Sein Wohnliches und Inwendiges wird zum Kippen gebracht, wenn man den durch die Hologramme gebildeten Raum betritt, einen in den Parkettfußboden eingelassenen gepflasterten Platz. Dieser ist ein Innenraum, der einen Außenraum in einem Interieur bildet, ein Platz, dem die fließenden Bilder der Hologramme keine feste Begrenzung verleihen, der weniger durch die Sammlung von Bildern, sondern durch das Sich-Sammeln der Besucher definiert zu sein scheint. Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. Die Hologrammbilder dieser Kultur reagieren auf seinen Blick, seine jeweilige und gegenwärtige Perspektive, tauchen mit diesem auf und verschwinden. Sie vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Im dritten Stock und im letzten Raum der Dauerausstellung schließlich wurde ein Schaudepot eingerichtet - eine fast den gesamten Raum einnehmende Vitrine, in der Dinge, vor allem Ritualobjekte, stehen. Sie wurden nach ehemaligen Funktionen zu Gruppen weniger geordnet als abgestellt. Es sind Reste von nach 1938 geborgenen aus individuellem und Gemeinde-Eigentum stammenden Gegenständen. Kein Text mit Erläuterungen zu ihrer Herkunft oder Festgebräuchen, zu ihrer Funktion oder ihrem Erhaltungszustand – manche Objekte zeigen Spuren gewaltsamer Deformation - entlastet den Besucher vor dieser so überwältigenden wie bedrückenden Menge von im Museum so offenkundig nutzlosen Gegenständen, die sich in der Menge gegen die Zumutung sperren, "jüdische Kultur" zu repräsentieren. Karg wie die Metallregale, die sie aufbewahren, ist auch das schriftliche Inventar, das bereitliegt und erlaubt, erste Spuren zu diesen Dingen aufzunehmen – mehr nicht. Der Raum und seine spröde Möblierung bilden keine Arche, in der die Gegenstände zur befriedeten musealen Ruhe gekommen wären, mehr einen Transitraum, in dem die Reise des Entzifferns und Lesens erst in Gang kommen muss.

Das Wiener Museum macht keinen Gebrauch von der "Geschichtslosigkeit von Gefühlen" (Werner Hanak), die Besucher werden nicht aufgefordert, sich in die Geschichte hineinzuversetzen, sondern sich bewusst zu werden, dass ihr Blick aus der Gegenwart und von außen auf die Geschichte im Museum gerichtet ist. Der Simulation solcher Gefühle, die andere Museen mit entsprechend aufgeladenen Inszenierungen zu fördern suchen, setzt die Dauerausstellung in Wien das Fremde und Befremdliche von Objekten und Inszenierungen entgegen. Sie verweist auf die Ferne der Vergangenheit und auf die Gegenwart des Museums, die sie zu einer gegenwärtigen Installation von Geschichte aufbereitet. Das Museum verzichtet damit sehr weitgehend auf die vorbehaltlose Ausübung seiner Autorität über Erzählweisen und Bedeutungskonstruktionen, indem es Objekte nicht als fraglose Garanten gesicherter Erkenntnisse präsentiert, sondern als Symbolisierungen, an denen Fragen und Antworten, vielleicht jede Sprechfähigkeit, immer wieder abgleiten und neu ansetzen müssen.

Mit diesem Verzicht auf verordnetes Gedenken und identifizierende Nachempfindung geht das Wiener Jüdische Museum einen Weg der Vermittlung, der Besucher auch irritieren und verunsichern kann. Dies geschieht gerade dort, wo dem Museum konventionell eine seiner vorrangigen Aufgaben, nämlich kollektive wie individuelle Identität zu verbürgen, zugemutet wird. Im Wiener Jüdischen Museum verweigert die Gestaltung und Inszenierung auch hier jede beruhigende oder abschliessende Gewissheit. So wurden zwei Hologrammstelen aus dem Geviert der übrigen Bildträger in einer Weise herausgerückt, dass sie eine Art Tor bilden. Sie zitieren und suggerieren die traditionelle Bedeutungsanmutung einer architektonischen Würdegeste, eine achsial-symmetrisch geordnete und hierarchisch gesteigerte Anlage. Doch diese Geste wird durch die Wahl der Bildsujets und deren Konfrontation unterminiert: Die Hologrammbilder von Israel- und Österreichfahne, mit Judensternen bedruckter Stoff und zwei Zitate von Jean Améry werden ineinandergespiegelt. Die Zitate sind Sätze über Identität und Heimat und über als Nummer tätowierte Identität, die ihre Träger zur Vernichtung bestimmte. Diese Spiegelung spiegelt und spielt mit der Ungewissheit und Gefährdung von individueller, nationaler, kollektiver “Identität“ und deren Fixierung in Bildern, Texten, Dingen. Sie spiegelt keine Ähnlichkeiten zwischen dem, was sie zeigt und den BesucherInnen, diese können sich darin nicht erkennen. Diese verweigerte Identifizierung wirkt zurück auf die Besucher als Infragestellung der eigenen individuellen und kollektiven Selbstgewissheit, als Kippen der Identität im Blick auf kippende Identitätsprojektionen in den Hologrammbildern.

Hologramme sind keine Mahnmale, sie sind Antimonumente in reiner Form: angewiesen auf den Blick der Museumsbesucher und ihre Bereitschaft zu erinnern – sonst findet Erinnerung nicht statt. Die entgleitenden Bilder führen vor, was Erinnerung an das Geschehene nicht einholbar und nicht nachvollziehbar machen kann, sie verknüpfen Wissen und Nichtwissen. Sie bewahren die Erinnerung an Tod und Vernichtung, aber lösen sie zugleich aus der Überwältigung durch den Entzug ihrer Materialität. Die Besucher sehen und erfahren sich als an dieser Vermittlung von Geschichte und Erinnerung Beteiligte, und diese Weise der Vermittlung lässt ihnen auch Raum für die den Rundgang immer begleitende Wahrnehmung der Gegenwart des Hauses, seiner stadtzugewandten Offenheit und Transparenz. Das Museum ist kein statischer Ort der Bewahrung von Vergangenheit, die Spuren und Lebenszeugnisse der ehemaligen jüdischen Bewohner Wiens in den Bildern der Hologramme, die Häuser, Straßen und Plätze Teitelsbaums und anderer ermöglichen die Wahrnehmung der historischen Veränderungen auch des gegenwärtigen Raumes. Vom Museum ausgehend, kann sich der Blick auch auf die kollektiven und individuellen Geschichten in dieser Stadt, auf die vergangene Geschichte der Interaktion von Juden und Nichtjuden und auf deren Bedeutung für die heutigen Bewohner oder Reisenden, also die Museumsbesucher selbst, verändern.

Die im doppelten Wortsinne reflektierende/reflexiveVermittlung von Geschichte im Jüdischen Museum Wien stellt die institutionelle und konventionelle Autorität des Museums infrage, nimmt sie zurück, vermindert sie, und fördert damit neue Wahrnehmungen, die Bereitschaft zum Nachdenken über eigene Positionen. Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.

Alle Fotografien: Gottfried Fliedl. Sie können bei Nennung des Namens gerne alle Fotos herunterladen und weiterverwenden.


Siehe auch: Das wahre Bild der Vergangenheit, sowie zum Abbruch der Hologramme ein kurzes Statement und bilder und einen Kommentar von Sabine Offe dazu hier.

Sonntag, 5. September 2010

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena - ein Museumslabyrinth

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena, ein riesiger Architekturkomplex, dem Dom unmittelbar gegenüber gelegen, war bis in die 70er-Jahre Spital.
Ein frühmittelalterlicher Raum, der wiederhergestellt wurde, mit Säulen und Fresken, diente bis zuletzt als Notaufnahme. Jetzt ist das ein riesiger Komplex aus Museum, Kindermuseum, Ausstellungsräumen, Veranstaltungsorten, Archiv, Restaurierwerkstatt.
Aber das ist noch nicht alles. Außer beim Besuch jener Kirchen in Rom, die aus mehreren Zeit-Schichten bestehen, in die man hinabsteigt bis man zu den frühchristlichen Katakomben kommt, habe ich noch nie einen Ort kennengelernt, wo ein derart merkwürdiger und überraschender Weg wie durch die Schichten einer archäologischen Grabung in die Tiefe führt.
Mitte der 80er-Jahre begann mit dem Planen, bald danach waren hier Ausstellungen zu sehen. Jetzt nennt sich das Ganze ein Museum under construction, es wächst mit dem Fortschreiten der Restaurierung und seiner Finanzierbarkeit. Immerhin, so habe ich wo gelesen, geht es hier um einen Raumkomplex im Volumen etwa das Vierfache des Domes.
Ganz oben zunächst das Erwartbare - Kassa und Shop, in einer riesigen Halle, wo die Intervention des modernen Möbel-Ensembles, Infodesk, Büchersockel etc. einen vorbereitet auf die Museografie, die man als bewußt kontrastierende Intervention in die Historischen Räume implementiert hat.
Dieses oberste Geschoss des Ospedale beeindruckt vor allem durch riesige Räume, die wohl ehedem als Kranken'zimmer' genutzt wurden und durch mehrere sakrale Räume, die mehr oder minder fragmentarischen in ihren Überlieferungszustand zurückversetzt wurden. An die Funktion eines Spitals erinnert hier nichts mehr.
Außer ein großer Freskenzyklus, den einer der geistlichen Leiter des Instituts nach dem Motto stiftzete "Tue Gutes und rede darüber!". Die Bildpropaganda illustriert die Arbeit des Ospedale, aber wie weit sich die Bildgeschichte mit der Wirklichkeit deckt, bleibt offen.
Erstaunlich ist, wie man in diesen ersten Räumen schon bemerken kann, wie unbekümmert das moderne Ausstellungsenvironment in den historischen Kontext interveniert. Die gesamte Sockelzone ist Text, genauer gesagt Textträger, denn der eigentliche Text würde ungleich weniger Raum verbrauchen oder nahezu keinen, wenn man auf die in anderen Räumen verwendten entnehmbaren Textblätter zurückgegriffen hätte.
Die Betextung legt einen Parcours durch die Geschichte des Gebäudes und Nutzung der Räume. Im Einzelnen ist das meist wenig interessant, als Ganzes eindrucksvoll.Überraschend ist ein Kindermuseum, das vor allem mit einer Sammlung von Kindheitsdarstellungen arbeitet, und eine unvermittelt sich öffnende Gipsotec, wo ich mir nicht ganz sicher war, ob das entschieden zu weit getriebene Hell-Dunkel einem technischen Gebrechen (partieller Lichtausfall) oder einem rabiaten Konzept zu verdanken war.
Das Abenteuer begann für mich, als ich einem abwärts führenden Pfeil folgte. Dort kommt man in ein labyrinthisch verzweigtes Geschoß offenbar noch genutzter (?) sakraler Raume. Sie dienten Bruderschaften, die, seit dem Mittelalter hier 'ansässig', sowohl kirchliche als auch politische Machtkerne bildeten. Das Subterrane und Klandestine der Räume, vollgepfropft mit jenem religiösen Mobiliar und Nippes, das ästhetisch grausam, funktionell kaum durchschaubar eine ebenso zählebige wie morbide Spielart des Katholizismus repräsentiert, der spirituelle Spuk und Kitsch, das alles gerät durch das Düstere der höhlenartigen Räume und die spärliche Beleuchtung an den Rand des Erträglichen. Unheimlich ist noch ein freundliches Wort für diese merkwürdig nekrophile Aura, die hier - ganz unberührt von der musealen und touristischen 'Welt da oben', herrscht.
Dann ein weiteres Geschoß, das noch mal diesen seltsamen Männerbünden mit bombastischen religiösen Namen vorbehalten war. Die Ausstattung dürfte weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammen und wirkt schon auf den ersten Blick kurios. Einerseits deutet das Mobiliar auf Versammlung und Zusammenkunft, andrerseits gibt es so viele Bilder an den Wänden, daß man an eine Galerie erinnert wird. Das sind Werke von Künstlern, die von den Bruderschaften finanziell unterstützt wurden. Zusammen mit den an antike Heroen erinnernde Marmorbüsten diverser uomini illustri macht das schon mal einen zwar profaneren, aber nicht minder unheimlichen Eindruck.
Dann gibt es einen winzigen Raum, sechs, sieben Stühle, ein Tisch mit einem Lehnsessel, der dem hier Sitzenden einen besonderen Rang verliehen haben muß, an den Wänden Bilder, die, mit einer Ausnahme mehr oder minder freizügig bekleidete Frauen zeigen. Eine Tapetentür. Sonst nichts. Auch einen der neuen Infotexte gibts hier nicht. Man soll sich bei diesem Sanktuarium denken, was man will.
Dann noch eine Treppe runter, das ist möglich wegen der steilen Hügel, die man verbaut hat. Man ist nie innen und unten, sondern  bewegst sich sozusagen den Steilhang runter.  Plötzlich steht man in einem (modern restaurierten) fast endlosen gewölbten Gang (mit einem Ausgang, schätzungsweise vier Stockwerke unter dem Eingangsniveau). Nächste Überraschung: völlig unerwartet steht man vor zwei der beim Palio benutzten Wagen, auf den der eigentliche Palio, die 'Siegerfahne' und immer ein Marienbild vor dem Pferderennen, das um den Campo führt, um den Platz geführt wird.
An einer Seite dann Glastüren, die zum Archäologischen Museum führt.
Obwohl diese nun zum complesso museale der Santa Maria della Scala führt, entpuppt es sich als eine Welt für sich. Und als was für eine! Einen ähnlichen Ausstellungsraum habe ich nur einmal gesehen, im "Berg der Erinnerungen" (2003), einer Ausstellung in den als Bombenschutzkeller genutzten Kavernen im Grazer Schloßberg.
Wozu auch immer diese Gänge in den Berg gegraben wurden, labyrinthischer kann kaum etwas sein. Besucher gibt es wenig, Aufsicht keine, und es könnte einem etwas bange werden, wenn nicht in gewissen Abständen an die zwei Notausgänge und ihre leichte Erreichbarkeit von jedem Punkt der Ausstellung aus, erinnert würde.
Man beginnt arglos, biegt um eine Ecke, wird in  die Gegenrichtung geschickt, einen langen abwärts führenden Gang, und immer wenn man denkt, jetzt ist es zu Ende, jetzt müsse man umdrehen und den Weg zurückfinden, ohne Ariadnefaden, dann entdeckt man einen weiteren Pfeil der einem einen Weg weist, nicht zu ein oder zwei weiteren Räumen, sondern zu einem weiteren Abschnitt des Höhlensystems.
Griechische, römische und vor allem etruskische Funde sind zu sehen, übrigens so karg beschriftet, wie man nur karg beschriften kann, etwas dramatisiert beleuchtet, also das Hell-Dunkel der Höhlenräume unterstreichend, als um Sichtbarkeit der Details bemüht. Einheitliche Holz und Faserteppiche, eisengerahmt, von der Wand etwas abgesetzt, lassen einen wie auf Bootsstegen die Sammlungen durchqueren.
Urnen, Münzen, Vasen, Reliefs, Spolien, Figürchen, Beilklingen - an was kann ich mich noch erinnern? Zu irgendeiner Kunst- und Kulturgeschichte setzte sich das für mich nie zusammen, wahrscheinlich müsste man all die entnehmbaren Blätter durchlesen oder sich einen Katalog beschaffen. Noch dazu stützt sich die Gliederung nicht immer auf Chronologie, sondern ehrt Sammlerpersönlichkeiten, indem sie deren Sammlung beisammen lässt und als Einheit ausstellt.
Ein Objekt hat es mir besonders angetan, ein Relief von einem Sarkophag aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Dargestellt sind die Musen und einige männliche Personen, deren Bedeutung ich nicht kenne. Das Relief ist gut erhalten und hat eine überdurchschnittliche Qualität. Leider war in der Ausstellung nichts über den Kontext dieses Fundes zu erfahren. Musendarstellungen haben mich zu interessieren begonnen, als ich mich mit der Etymologie von 'Museum' und dem Musen-Mythos beschäftigte. Eine der Musendaß ihre Linke die Leier nur wie beiläufig hält, die Finger durch die Saiten geflochten, so als ob sie - gestützt auf ihre Lektüre - gleich wieder zu singen beginnen würde...

Donnerstag, 19. August 2010

Mission (impossible)


Wir haben Respekt vor allen Kulturen. Wir verschaffen allen Kulturen Respekt.




Wir sind ein lebendiges Museum, das mit vielfältigen Aktivitäten alle Sinne anspricht.




Wir bieten ein Forum für den partnerschaftlichen Austausch zwischen Menschen aller Kulturen.



Als Welt-Kultur-Archiv sammeln, bewahren und erschließen wir Zeugnisse aller Kulturen, um sie zugänglich zu machen.



Unsere Objekte in ihrer Qualität und Einzigartigkeit sind die unverzichtbare Grundlage unserer gesamten Arbeit.



Wie bieten wissenschaftlich fundierte, verständliche Informationen unter partnerschaftlicher Einbeziehung der Eigensicht der jeweiligen Kultur.



Mit einem qualitätvollen, attraktiven und breit gefächerten Ausstellungs- und Veranstaltungsangebot wenden wir uns an viele unterschiedliche Zielgruppen.




Bei unseren vielfältigen Aktivitäten fühlen wir uns dem Bezug zur Aktualität verpflichtet.




Der wirtschaftliche Einsatz und der Ausbau unserer Ressourcen sind wichtige Bestandteile unserer Arbeit.




Wir sorgen dafür, dass unsere Besucher sich bei uns wohl fühlen und die Nutzer unserer sonstigen Angebote mit uns zufrieden sind.


Text: Leitbild des Museums für Völkerkunde Hamburg (Webseite). Fotos von einem Besuch des Museums August 2010 (GF).

Sonntag, 8. August 2010

Selbst über das Fadeste läßt sich schreiben

     
Ein erstaunliches Thema hat sich in die Sonntag-Ausgabe der PRESSE geschmuggelt: Ausstellungsgestaltung. Fast zwei ganze sachkundige Seiten - mit Beispielen und Theoriesplittern -, zu einem Nicht-Thema der Tagespresse unter dem Titel "Selbst das Fadeste läßt sich zeigen". DIE PRESSE, Sonntag, 8. August. S.14/15. Online hier.
Abb.: Dauerausstellung Archäologische Sammlung Eggenberg. Universalmuseum Joannem. BWM Architects

Donnerstag, 5. August 2010

AEIOU (Texte im - vorm - Museum 89)

AEIOU, ein verschlüsselter Wahlspruch Kaiser Friedrich III., für den es mehrere Deutungen gibt, eine davon lautet: Alles Erdreich ist Oesterreich Untertan. Hier in den kremser Weinbergen in der Ausstellung in der aufgelassenen Tabakfabrik Stein von 1986 "AEIOU".

Donnerstag, 29. Juli 2010

Lazarisation (Museumsphysiognomien 8)


Der Zug der Tiere im Pariser Muséum d' Histoire naturelle gehört zu den einprägsamsten 'Bildern', die die jüngere Museumsgestaltung zu bieten hat. Es gab zwei wesentliche Inszenierungsformen der Fauna in Naturmuseen: die Aufstellung nach Spezies und Arten, der wissenschaftlichen Klassifikation folgend. Ein Beispiel sind bestimmte weitgehend original erhaltene Säle des Naturhistorischen Museums in Wien. Und eine ambientale Aufstellung, bei der die natürliche Umgebung der jeweiligen Tierarten simuliert wurde. Das konnte im kleinen Maßstab einer angedeuteten Szene ebenso geschehen wie in enorm aufwendigen und kunstfertigen Dioramen, für die die im New Yorker Naturmuseum das berühmteste Beispiel sind.
In Paris ging man einen dritten Weg (nicht zufällig war ein Filmregisseur Autor der Installation) und gruppierte die sorgfältig präparierten Tiere als Zug, der sich im großen Bogen durch die riesige, zentrale Halle des Museums bewegt. Alles was tapsen, schleichen, trampeln, kriechen, staksen kann, bewegt sich in eine Richtung. Die großen Tiere vorne (wie immer), die Elefanten.
Das Bild ist paradox, weil sie den toten Tieren Lebendigkeit zurückgibt, Bewegung, Aufbruch. Sie stehen uns nicht gegenüber als vitrinifizierte Exempla, sondern als vergesellschaftete Individuen, die gemeinsam eine Aufgabe haben.
Eine Aufgabe? Ja - jeder (jeder?) erkennt, daß es sich um das 'Bild', die 'Metapher' der Arche Noah handelt. Also um jene Tiere, die, zusammen mit dem Menschen, das Überleben der Gattung wie der Welt sicherten. In gewisser Weise beansprucht ja auch das Museum, so etwas zu sein. Ein Hort der Dinge, deren 'Überleben' gesichert wird, auf lange, unbestimmte (?) Dauer. Mit dem Museum der Moderne kommt dann - mit dem Begriff der 'Geschichte' und dem der 'Gattung Mensch' -, tatsächlich die Denkfigur dazu, daß alles Einzelne, Individuelle im Gattungszusammenhang gleichsam aufgehoben ist und bleibt, und sei es 'nur' als Erinnerung. Es mag untergehen, verschwinden, sterben, geopfert werden - immer bleibt es in das Ganze der Gattung eingeschrieben.
Das Bild der Arche Noah wird auf das Sammeln seit dem 16. Jahrhundert und später auf das Museum angewendet. Die Tradescants verstanden ihr Haus und ihre Tätigkeit ganz im Sinn des rettenden Tradierens und des Weitergebens, ganz praktisch, wenn es um exotische Pflanzen ging, die man in England erfolgreich ansiedelte und vermehrte.
Im modernen Museum fungiert das Bild der Arche, und so ist es wohl in Paris in erster Linie gemeint, als Metapher für das Museum als Ort der dauerhaften Bewahrung bis in die Zukunft hinein. Indes besitzt diese Vorstellung eine prekäre Ambivalenz. Denn generell kommen 'die Dinge' nur ins Museum, um den Preis ihres Funktions- und meistens auch des Bedeutungsverlustes (um dort mit anderen, neuen Bedeutungen ausgestattet zu werden). In diesem Sinn ist das Museum nicht nur Arche sondern Mausoleum, eine Grabstätte der toten Dinge, bzw. der Dinge, deren Tod die Bedingung für ihre 'Museumswürdigkeit' ist.
Nur wenige Schritte vom Muséum d' Histoire naturelle kann man einen alten und authentisch erhaltenen Teil des Museums besichtigen, die Galerie de paléontologie et d’anatomie comparée (hier, in diesem Blog), deren Versammlung der Skelette einem diese Tatsache unverblümt, vielleicht auch erschreckend zu Bewußtsein bringt. Auch das ist ein Zug, aber nun unzweideutig einer der toten oder gar der ausgestorbenen Lebewesen und sie bilden einen Leichenzug. Man kann den aber auch anders lesen, nämlich so, wie man eigentlich den neuen im Haupthaus lesen soll, nämlich als Galerie d' Evolution. Denn an der Spitze des Zuges befindet sich der Mensch, als, wie man so sagt, Krone der Schöpfung, mit dem Rücken zu den Totenwesen, die ihm folgen…
Das will uns das neue Bild im Haupthaus nicht zumuten. Wie in einem Wiedererweckunsakt, einer durch Wunder bewirkten lazarisation, kommen sie hier noch mal auf die Beine, all die Tiere, auch wenn sie überwiegend aus Plastik, Gips, Draht, Stoff bestehen und kaum noch aus - einst lebendiger - organischer Materie.
Ein wenig ist das auch eine Legitimation der Institution: wir bewahren - und deswegen sind wir auch ein 'lebendes Museum'. Eine schöne museologische Notlüge (weitverbreitet).
Nur. Wohin ziehen all diese Tiere? Nun, aus dem Museum raus.
Nur dort scheint es 'Überleben', wenn nicht 'Erlsösung' zu geben…

Donnerstag, 24. Juni 2010

Neuerscheinung - In eigener Sache



Eben erschienen: Gottfried Fliedl, Gabriele Rath, Oskar Wörz (Hg.): Der Berg im Zimmer. Zur Genese, Gestaltung und Kritik einer innovativen kulturhistorischen Ausstellung. transcript. Bielefeld 2010
148 S., kart., zahlreiche farbige Abbildungen, 21,80 € ISBN 978-3-8376-1248-6

In dem Band wird die Ausstellung vorgestellt, der Produktionsprozess erläutert, in drei Evaluationen analysiert und mit je einem historischen, alpinistischen und psychoanalytischen Beitrag zur "Unverständlichen Leidenschaft" kontextualisiert.

Zur Ausstellung und ihren Auszeichnungen siehe den Post dazu.

Montag, 14. Juni 2010

„Berge, eine unverständliche Leiden­­­­schaft“ - Doppelt ausgezeichnet

Die Ausstellung „ Berge, eine unverständliche Leiden­­­­schaft “, die mit ihrer Laufzeit von 5 Jahren als 'semipermanenets Museum' verstanden werden kann und als eine Option auf ein dauerhaftes Museum, wurde heuer doppelt ausgezeichnet. Sie wurde für den Europäischen Museumspreis 2010 nominiert und erhält demnächst den Tiroler Museumspreis 2009 verliehen.

Die Ausstellung „ Berge, eine unverständliche Leidenschaft “ des Oesterreichischen Alpen­vereins in der Innsbrucker Hofburg wurde vom Europäischen Museumsforum für ihre innovative und publikumswirksame Präsentation und die die in jeder Hinsicht hohe Qualität in der Präsentation der Sammlung für ein großes Publikum und seine poetische Erzähl­weise ausgezeichnet.
Laut der internationalen Jury leistet die Alpenvereins-Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Darstellung der Natur­beziehung des Menschen in all ihren gesell­schaft­lichen, wissen­schaftlichen und philosophischen Aspekten. Seit Ende 2007 präsentiert das Alpenverein-Museum in Kooperation mit der Hofburg Innsbruck auf 700 m² erfolgreich diese Sonder­ausstellung, die bisher insgesamt 150.000 Be­sucher­Innen zählte. Sie ist noch bis Ende 2012 täglich geöffnet. Bis dahin muss ein dauer­hafter Ort für eine Ausstellungsfläche des Alpenverein-Museums im Zentrum von Innsbruck gefunden werden.  

Vor kurzem trafen sich 160 TeilnehmerInnen aus 22 Staaten Europas, Russlands und der Türkei zur 33. Jahreskonferenz der internationalen Museumsvereinigung EMF in der finnischen Stadt Tampere. Knapp 60 Museen hatten die Teilnahmebedingungen erfüllt und waren von einer Jury persönlich begutachtet worden. Von diesen konnten sich schließlich 16 große und kleine Museen über eine Nominierung freuen. Die nominierten Museen kamen aus Belgien, Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Holland, Irland, Kroatien, Österreich, Portugal, Russland, Türkei, Schweiz und Spanien. Allen war gemeinsam, dass sie entweder erst seit drei Jahren bestehen oder in den letzten drei Jahren eine wesentliche Umgestaltung vollzogen haben. Seit 1977 haben 1700 Museen aus 40 Staaten an diesem Wettbewerb teilgenommen. Den diesjährigen Museum of the Year Award erhält das Ozeaneum in Stralsund/ Deutsch­­land. Der Kenneth Hudson Preis ging an das Museum für Ver­hütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien.

Die Ausstellung „ Berge, eine unverständliche Leidenschaft “, die sich auf besondere Weise mit dem Bergsteigen als Phänomen für Körper, Geist und Seele auseinander­setzt, wird am 25. Juni ebenfalls vom Land Tirol mit dem Tiroler Museumspreis 2009 ausgezeichnet. Die Verleihung ist mit der Präsentation einer Publikation verbunden, die die Ausstellung vorstellt, diskutiert und evaluiert und die das Thema in drei Sichtweisen - ethnologisch, alpinistisch, psychoanalytisch - analysiert.

Gottfried Fliedl, Gabriele Rath, Oskar Wörz (Hg.): Der Berg im Zimmer. Zur Genese, Gestaltung und Kritik einer innovativen kulturhistorischen Ausstellung. transcript. Bielefeld 2010
148 S., kart., zahlreiche farbige Abbildungen, 21,80 € ISBN 978-3-8376-1248-6

Der Ehrgeiz des Projektteams war eine neuartige Form der Konzeption, Dramaturgie und Gestaltung für das Ausstellen zu finden. Es gab eine doppelte Voraussetzung, die den Arbeitsprozess strukturierte: inhaltlich-methodisch fiel die Entscheidung für eine Psychohistorie des Bergsteigens, die als Weg, als Auf- und Abstieg wie bei einer Bergwanderung konzipiert wurde. Die museologische Prämisse war 'Reflexivität'. Indem Motive, Erfahrungen und Gründe auch nach verschütteten, verdrängten oder zensierten Bedeutungen hin untersucht und dann visualisiert wurden, sollte sich die Ausstellung von herkömmlichen Erzählweisen merkbar unterscheiden.
Die Reaktionen auf dieses Experiment, das neue Wege des kulturhistorischen Ausstellens ausprobierte, waren sehr positiv und ermutigend.

Das Buch dokumentiert das Projekt, seine Entstehung, seine Realisierung und die Diskussionen, die es ausgelöst hat. Die Collage aus Bildern, Interviews, Zitaten, Kritiken, literarischen und wissenschaftlichen Texten verlässt ausgetretene Pfade der Ausstellungsdokumentation und macht Lust auf eine Fortsetzung der Diskussion - als eine Inspiration für die eigene Museums- und Ausstellungspraxis.

Das Projektteam: Oskar Wörz (Österreichischer Alpenverein), Gabriele Rath (Rath & Winkler), Monika Gärtner, Veronika Raich (Alpenvereinsmuseum Innsbruck), Beat Gugger (freier Kurator, Schweiz), Philipp Felsch (Wissenschaftshistoriker ETH Zürich). Ursula Gillmann und Matthias Schnegg (Basel) waren für die Gestaltung verantwortlich, Martin Scharfe und Gottfried Fliedl begleiteten und 'steuerten' das Projekt.

Die Ausstellung ist ganzjährig täglich geöffnet (2007-2012).
9-17 Uhr, Einlass bis 16.30 Uhr
Kaiserliche Hofburg zu Innsbruck, Rennweg 1, 6020 Innsbruck
BesucherInnen-Info unter (+43)-(0)512-587 186-12

Donnerstag, 1. April 2010

Besuchen Sie es, so lange es noch steht: Das Wiener Volkskundemuseum

Vergangenen Sonntag habe ich das Volkskundemuseum in Wien besucht, nach langer Pause wieder einmal. Und mit dem Wissen, daß es möglicherweise ein letzter Besuch sein könnte.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.

Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.

Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.

Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.

Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.

Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.

Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.

Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.

Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.

Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.