Montag, 11. März 2019

Das Beethoven-Museum in Wien-Heiligenstadt


„Im Alter, in dem ehedem Kinder die Masern hatten, haben sie jetzt die Symphonien.“ sagte mal Karl Kraus und fügte hinzu: „Ich glaube nicht, daß sie davonkommen werden.“
Ich hatte im Alter, in dem ich eigentlich Masern haben sollte, tatsächlich Symphonien gehabt und dann auch noch gleich welche von Beethoven. Das halte ich für eine absolut ausreichende Grundlage, über das Wiener Beethoven-Museum zu schreiben. (Ob ich - als masernloser kindlicher Sinfonienhörer - davongekommen bin, mögen andere beurteilen).

Erst mal geht das, kaum hat man seinen Obulus an der Kassa entrichtet, schon so los: Wo denn der Tonsetzer in dem weitläufigen, um einen Hof gruppierten Vorstadthaus, denn nun gelebt habe, das wisse man, leider leider! nicht so genau. Und dann haut einem die Kuratorin (Lisa Noggler-Gürtler) einem noch Fundamentalzweifel museologischer Natur und die Ohren: „Wie wichtig ist aber die Authentizität des Ortes und des Erzählten, um Beethovens Musik und deren Nachwirkungen zu verstehen?“ Also bitte! Wozu sind wir denn hier am Ort an dem Beethoven, wo genau auch immer, gelebt und tongesetzt hat. Wenigstens eine Zeit lang. Einige Monate. 1802.

Und wozu hat die Stadt Wien an zahlreichen Häusern Gedenktafeln anbringen lassen und betreibt gleich drei Beethoven-Museen? Das hier, wo wir grade sind, liegt in Heiligenstadt, in der Pobusgasse. Aber es gibt noch das sogenannte Pasqualatihaus und dann noch das Eroica-Haus. Beethoven gilt ja als jemand, der ständig umgezogen ist. Die Vielzahl der Gedenktafeln und-orte, ich habe mal von insgesamt 42 Umzügen gelesen, scheint das zu bestätigen. Hier erweist sich der postmodern-dekonstruktivistische Furor des Ausstellungsteams dankenswerterweise als entmythologisierend: Umziehen war in Wien, namentlich in den Sommermonaten, ein Volkssport. Ein von Pferden gezogener Wagen und kräftige Männer genügten, um für einige Monate mit Sack und Pack „aufs Land“ zu ziehen - und das war Heiligenstadt damals. Dann gings wieder zurück „in die Stadt“. Selige Immobilienzeiten müssen das gewesen sein!




Wir wissen also nicht so ganz genau wo Beethoven im Hause Probusgasse wohnte, aber wie, das wissen wir. Schlampert. Eine dramatisch eine ganz Wandel lang entrollte Rekonstruktion seines Arbeitsraumes zeigt: er war ein Chaot, knapp an der Grenze zum Messie. Aufräumen war nicht. Dafür war war ein großer Esser, einer der die Zubereitung seiner Speisen scharf kontrollierte und mit seinen kulinarischen Obsessionen die Bedienten sekkierte. Da erfahren wir von einer Brotsuppe, die er sich mit zehn Eiern, die er einzeln inspizierte, zubereiten ließ. Was die Frage aufwirft: hatte der Mann keinen Cholesterinspiegel? Möglicherweise hielten ihn die heilenden Wässer am Leben, die es vor Ort gab und noch ein Grund waren, in den Vorort zu ziehen, wo es auch Gelegenheit für weite und erholsame Spaziergänge gab.



Die inspirierenden Umgebung, die heute idyllisch anmutenden Biedermeiergegend führt uns die ohnehin zur vielfältiger Bildhaftigkeit neigende Gestaltung (Peter Karlhuber) verführerisch vor. Da gibt es Veduten auf Mineralwasserflaschen (das Heilwasser…), ein Handtuch, in das eine etwas ambivalente Äußerung Beethovens zu seinen Kuren eingestickt ist, Veduten, Gemälde und eine kleine Bühne mit Landschafts-Kulissen und manch anderes mehr.

Außerdem sehen wir abtransportreif verpackte Bildnisse des Meisters, eine zerbrochene Statuette, eines Adeligen, auf den Beethoven einen Mordszorn hatte (keine Angst, es ist eine Nachbildung, kunstvoll zerschmettert) oder auch das Lieblingskompott im Einweckglas, unmittelbar neben der Totenmaske, als ob es als Grabbeigabe führ die lange Überfahrt gedacht sei, eine Beethoven-Spielzeugfigur, die als Relativierung der grassierenden Verdenkmalung Beethovens herhält. Mithin so manches, was die gewohnten Usancen von Museen unterläuft und gelegentlich zum Nachdenken über die Musealisierung eines „Genies“ anregt.




Dazu passen das ostentative Stehenlassen von Spuren der Vorgängermuseen, das Zeigen von Plänen und Dokumenten oder eines Gemäldes mit dem Interieur der historischen Räume. Kurzum etwas, das etwas zur Geschichte der Beethoven-Verehrung beiträgt aber auch ein Gefühl für den Wandel des Beethoven-Bildes vermittelt. Ja, sowas gefällt mir, mit meinem Faible für Museumsgeschichte, diese Historisierung im Dienste der (Selbst)reflixion.

Die Lust am Kratzen - nicht Demontieren, der Respekt beleibt gewahrt, da sei der hohe Magistrat der Stadt Wien davor! -, des Geniekultes ist spürbar. Das Beethovenbild wird fröhlich über seinen goldenen Rahmen hinausgezerrt. Und das ist nicht mal so modern oder zeitgeistig wie man glauben könnte. Schon Robert Schumann spottete über die Gedenk-Konkurrenz zwischen Wien und Bonn.

Da allerdings droht der Ausstellung das Schicksal so vieler Musikerausstellungen: Das Ersticken im Biografischen und Anekdotischen. Musik entzieht sich nun mal sprachlicher Vermittlung besonders hartnäckig und aus den Kompositionen selbst entwickeltes Wissen und Deuten mag, wie Leonard Bernsteins eindrucksvolle pädagogische Versuche zeigen, unter besonderen Bedingungen möglich sein. Aber eher nur in den des Konzerts selbst, kaum denen des Museums.

Gegengesteuert gegen die bloß biografische Deutung wird zum Beispiel mit Noten, mit denen man akustisch einen Kompositionsvorgang mitvollziehen kann, mit einer Hörinstallation, die einen nachvollziehen läßt, was Taubheit bedeutet und wie sie sich das Ertauben entwickelt haben mag. Unweit davon steht das Klavier, das eine seinen Klang steuernde und verstärkende Vorrichtung erhielt, um das Komponieren trotz der Erkrankung zu ermöglichen.

Ein ganzer Raum ist dem sogenannten Heiligenstädter Testament gewidmet, dessen Abfassung ja durch die Erkrankung ausgelöst wurde. Als Schüler habe ich das aus dem Mittelschullesebuch kennengelernt. Wohl als Dokument der bürgerlichen Vorstellung, daß große Kunst immer mit dem Leiden einer Person erkauft wird. Hier wieder gelesen, machte es auf mich den Eindruck eines einen Suizid ankündigenden Schreibens.

Im letzten Raum ist eine Guckkastenbühne aufgebaut, ein Modell des Uraufführungsortes der Eroica. In das Modell ist ein Bildschirm eingelassen, der einen in England produzierte „Dokumentation" in Spielfilmlänge zeigt: die Uraufführung der Sinfonie im privaten, also Adelskreis. Das auf period instruments spielende Orchester spiegelt spieltechnische und und die Aufführenden irritierende kompositorische Momente, das Publikum spiegelt Befremden, Überraschung, Ablehnung und Faszination. (Den ganzen Film - Simon Clellan: Beethoven’s Eroica. BBC 2003 gibt es auf Youtube hier: https://www.youtube.com/watch?v=UtA7m3viB70).




Ich fand das einen unterhaltsamen Versuch, etwas Unmögliches zu versuchen, nämlich etwas vom Unerhörten des ersten Hörerlebnisses, vom Bruch mit der Tradition zu rekonstruieren. Das läßt sich selbstverständlich nicht mehr machen, wir haben schon viel zu viel gehört, Neues und wiederum Revolutionäres, um den Schock von Beethovens Kompositionen nachvollziehen zu können. Als ich zu Zeiten, da ich eigentlich die Masern hätte haben sollen, aber Beethoven hörte, hatte ich ja auch andere Sinfonien anderer Komponisten, aber auch Gus Backus, Conny Froboess oder Peter Kraus…

In bequemen Sesseln, mit Kopfhörern und vor Monitoren, bin ich zu guter Letzt bei einem der Rasumowski-Streichquartette fasziniert hängengeblieben. Die kannte ich nicht. Zu Hause habe ich das Hörerlebnis dieser Quartette gleich nachgeholt.
In einer Besprechung anläßlich der Eröffnung wurde das Beethoven-Museum als „Erlebnisparcours“ bezeichnet. Das finde ich irreführend. Kuratorin und Gestalter geht es nicht um Kurzweiligkeit, sondern um möglichst sinnliche Anreize, sich mit Inhalten zu beschäftigen. So nebenbei, ohne daß ich das gleich gemerkt habe, nutzten sie ein sehr breites Spektrum von Objekten, eben keineswegs nur originale und „auratische“ Dinge - noch ein Grund, durch die Ausstellung mit Vergnügen zu flanieren.
Daß bei mir das Anregen übers Museum hinaus funktioniert hat, ist ja nun nicht das Schlechteste, was einem im Museum passieren darf und was man von einem Museum sagen kann.



P.S.: Mitten im Suchen und Stöbern überraschte mich das Museum mit einer Mittagspause. Ah was! So etwas gibt es?! Ich war noch nie in meinem Leben in einem Museum, wo es eine Mittagspause gibt. Worin liegt der Sinn dieser Pause? Soll er den Besuchern den Gang zu den berühmten Buschenschanken und Weinproduzenten Heiligenstadts ermöglichen? Oder gar dem Personal? Ist das überhaupt praktisch für die Angestellten? Nur der hohe Magistrat der Stadt Wien wird wissen, welchen Sinn diese Regelung hat.


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