Der Standard hat in seiner Ausgabe vom 31.12./1.1. - also gerade noch im letzten Moment - meinen schon vor Monaten verfassten Artikel veröffentlicht (im Album), den ich aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des Hauses verfasst habe. Der Text, den der Standard mit "Im Zeichen der Achtung des Anderen" übertitelte", enthält hier im Blog einige kleiner Korrekturen.
Das Jüdische
Museum in Hohenems
Ein kleines „Spezialmuseum“, das bald zwanzigtausend Besucher im
Jahr hat, dessen Freundesverein über fünfhundert Mitglieder auf allen
Kontinenten zählt, das weit über die Grenzen seines Bundeslandes und Staates hinaus
bekannt ist und das eine buchstäblich weltweite Community hat – so ein Museum
soll es in Österreich geben? Ja, in der kleinen Vorarlberger Stadt Hohenems -
ich spreche vom Jüdischen Museum, das in diesem Jahr sein
fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert.
Hier geht es aber ausnahmsweise mal nicht um die Statistik der
Besuche oder Events, sondern um die Einbettung eines Hauses, seiner
Ausstellungen, seines Teams und deren Arbeit in einen vielstimmigen
Zusammenhang, in unterschiedlichsten Öffentlichkeiten und um eine höchst
lebendige und produktive Beziehung des Museums zu Besuchern, Experten,
Unterstützern, Trägern, Förderern, Gästen.
Und so kann der heutige Direktor des Museums, Hanno Loewy mit
Recht und Selbstbewußtsein sagen: „Ich kenne keine Institution, die von so
vielen Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aus Überzeugung und mit
Emotion, aus Neugier, mit Witz und politischer Wachheit getragen wird.“
Dieses Museum habe ich im Jahr seiner Gründung 1991,
kennengelernt, als ein sorgfältig geführtes Haus mit einer klug gestalteten
Dauerausstellung, untergebracht in der umsichtig restaurierten Villa
Heimann-Rosenthal. Nun war dieses Haus ein Erinnerungsort geworden, der an die
einst vom Hohenemser Fürsten protegierte und nun gänzlich verschwundene
Jüdische Gemeinde erinnerte.
Der Gründung ging eine jahrelanger, zeitweise heftig geführter
Konflikt voraus, in dem der Stellenwert der Geschichte des Judentums in
Vorarlberg erörtert wurde, aber auch in welcher Form und mit welchen
Schwerpunkten man diese Geschichte in einem Museum darstellen sollte. Dieser
vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer
Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine
Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern konzeptuell,
architektonisch und museumspolitisch als kraftvoll und innovativ erwies.
Wer das Museum besucht, wird nichts vordergründig Spektakuläres
vorfinden. Es gibt keine glanzvolle Judaikasammlung, sondern eine
Dauerausstellung die, zusammengesetzt aus Spuren, Überlebseln und Relikten, die
von vielen Leerstellen durchsetzte Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenems,
die Umständen ihrer gewaltsamen Vertreibung und Vernichtung und die
Einzeichnung dieser Geschichte in das Stadtbild und –gedächtnis erzählt.
Was dem zufällig ein- oder zweimal vorbeikommenden Besucher
verborgen bleiben wird, sind die vielen Veranstaltungen, die sich in vielen
Formaten, an vielerlei Adressatenkreise wenden und in denen ebenso vielfältige
Themen diskutiert werden. Das reicht von der Debatte über ein bemerkenswertes
einzelnes Objekt aus der derzeit laufenden Sonderausstellung „Übrig“, in der
sowohl die vom Museum betriebene genealogische Forschung als auch die
dokumentarische Bedeutung von Sammlungsobjekten zur Sprache kommt bis zur
großen Diskussion mit an die fünfzig Expertinnen und Experten aus Anlass des
Jubiläums. Dort ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die wünschbare
Zukunft Jüdischer Museen generell und des Hohenemser Museums im besonderen.
Was unser Einmal-Besucher vielleicht spüren wird, ist, wie sehr
das kleine Museum Ort der Vergesellschaftung ist, das heißt einer an dem
Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu
ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu
deuten, die Beziehung zu ihren sozialen Umwelten zu erforschen, auch zum
allgemein Fremden und Anderen. Denn zu den herausragenden Möglichkeiten von
Museen gehört die Möglichkeit dem „Anderen“ in einem geschützten Raum und
zivilen Rahmen zu begegnen.
Deswegen sind Museen auch geeignet, eine wesentliche
demokratische Aufgabe wahrzunehmen, die Sorge um Minderheiten, um die immer
wieder von Konflikten bedrohte Beziehung von Mehrheit und Minderheit. Jüdische
Museen bleiben auch deswegen unausweichlich an historische und aktuelle
Konflikte gebunden. Denn während die ersten Jüdischen Museen von Jüdischen
Gemeinden gegründet wurden, zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Symptome der
Assimilation und des Selbstbewusstseins dieser Gemeinden, sind die jüngeren
Gründungen, die seit den 80er-Jahren in den deutschsprachigen Ländern
entstanden sind, unausweichlich von der Dialektik von Täterschaft und Opfer,
von Schuldbewusstsein und Anerkennung von Schuld geprägt. Und immer mehr auch
vom Blick auf die „Anderen“ von heute, auf die komplexen Fragen von
Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung,
Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also die Frage, wer
eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht. Wer „wir“ sind und
wer zu „uns“ gehört und gehören soll.
Deswegen ist es von belang, daß das Museum aus einem Konflikt
heraus gegründet wurde: es hat früh die Fähigkeit ausgebildet und sich
erhalten, konflikthafte Themen zu bearbeiten, in Debatten, Projekten und
Ausstellungen. Die laufende Ausstellung „Übrig“ zum Beispiel, die Objekte aus
der Sammlung zeigt, zeigt sie nicht nur als glücklich überlieferte Zeugnisse,
sondern auch als Dokumente vielfältiger Konflikte, solcher der Überlieferung,
des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung.
Anders gesagt, das Museum übt sich in der in der avancierten
Museologie nachdrücklich geforderten Kunst der Selbstreflexion. Damit bin ich
beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums.
Ein Museum das sich entwickelt, das in gewisser Weise „lernt“ – als Organisation,
als Wissensraum, als besondere Form von Öffentlichkeit -, hat immer auch einen
Blick auf das, was es ist und wie es etwas tut. Es geht
verantwortlich damit um, wie es seine Themen wählt und welcher Vermittlung es
bedarf. Und vor allem wird es sich immer und immer wieder die Frage stellen, welche
Verantwortung es gegenüber seinen Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat.
Denn das ist der Sinn des Museums als öffentlicher Institution: Es verwaltet
und bearbeitet gesellschaftliche Interessen treuhänderisch.
Ich erläutere
das an der Projektreihe „Ein Viertel Stadt“. Der Umgang mit dem historischen Stadtkern
von Hohenems, dem Jüdischen Viertel, war in den 90er-Jahren vielfach ins Gerede
gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege erwog
eine komplette Unterschutzstellung. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum
Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können. Tatsächlich
brannte ein wichtiges Objekt unter ungeklärten Umständen ab.
In dieser
Situation intervenierte das Museum in den kommunale Debatten, verließ dazu sein
Haus und ging in die Stadt um an ausgewählten Fassaden über Projektionen die
Geschichte der Häuser und ihrer Nutzer und Bewohner zu erzählen und zu
erinnern. Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der
Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum
herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst
aktiv wurde, war erst recht originell - und wirksam. Die Projektreihe Projekts
„Ein Viertel Stadt“ holte verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und
Geschichten zurück und verankerte sie neu im Gedächtnis der Stadt und ihrer
Bevölkerung.
Die Bedeutung
dieses Projekts liegt auch in der aktiven Beziehung des Museums zum Publikum
bzw. zu den Stadtbewohnern. Es verhielt sich nicht passiv im Warten auf
Besucher, die etwa schöne alte Dinge ansehen wollen, sondern erzeugte eine
Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Menschen zusammenfinden, sich sammeln,
erinnern und debattieren konnten.
Das Museum gab
keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat
nicht so, als hätte es die eine „richtige“ Lösung. Sondern es stellte einen
sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der
Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu
regeln. Genau das meint ja „Res publica“ – die öffentlichen Angelegenheiten und
genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit. Sie gehört zum
Kostbarsten und Grundlegenden, das eine demokratische Gesellschaft besitzt und
meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum dazu leisten kann.
Daß die
Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der
praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, daß das Zentrum
der Kleinstadt mit „Judengasse“ und „Christengasse“ heute wieder Leben
zurückgewinnt, dass man in Hohenems öffentlich darüber diskutieren kann, wie denn
ein „ortsübliches“ Minarett aussehen könnte, all das wurde durch solches Projekt
erst möglich.
Räume zu
besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung
des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und unterschiedliche
Interessen miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell
harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die
Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen
immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwickeln, seine Anliegen
an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was
ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Angesichts der akuten
gesellschaftlich-politischen Entwicklung wird es immer wichtiger, solche Orte
zu haben und zu fördern.
Aber wie
das Hohenemser Museum das
macht, dafür gibt es viele
Wege. Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen
Friedhof über das außergewöhnliche Nachkommentreffen mit hunderten von
Teilnehmern, die sich ihrer Vorfahren erinnern und die das kleine Museum mit
seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankern,
bis zu zur Serie von Sonderausstellungen, die die Dauerausstellung thematisch
interpunktieren, vom Betreiben einer informativen Webseite, die eben mehr ist
als nur ein übliches Marketingtool bis zur Forschungstätigkeit im Haus und zur
jährlichen Europäischen Sommeruniversität für Jüdische Studien.
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Dieses
beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, im Wissen um die Schwierigkeiten
Geschichte vermitteln, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp
„Jüdisches Museum“ hinaus - auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die
beispielhaft für andere Museen sein kann und sollte. Diese „doppelte Qualität“
– als jüdisches Museum mit
seinen spezifischen Aufgaben und Verpflichtungen einerseits und als innovatives
und reflexives Museum andrerseits, das sich seiner öffentlichen Verantwortung
stets bewußt ist – das macht Hohenems zum einzigartiges Museum.
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