In einer schon nächtlich dunkel gewordenen Gasse von Graz treffe ich einen Kurator eines bekannten Universalmuseums.
Ich grüße freundlich in Erwartung eines der üblichen kurzen und unverbindlichen Gespräche, die aus einer solchen Begrüßung ebneso schnell entstehen, wie sie auch schon wieder vorbei sind.
Mein Gegenüber zögert lange mit der Erwiderung meines Grußes, wiegt den Oberkörper.
Ich sage "Wie gehts?", um ihm die Last der Gesprächseröffnung abzunehmen.
Er schweigt weiter, immerhin so lange, daß ich Zweifel bekomme, ob er überhaupt das Wort an mich richten wird.
Er steht dicht neben mir.
"Ach!" sagt er. Und dann bricht irgendetwas aus ihm heraus, was in einen einzigen für mich fassbaren Satz mündet: "Die sind ja ratlos!".
"Wer ist ratlos?"
"Das Museum!".
"Das Museum? - Das Museum ist fertig, da gibts jetzt nichts mehr zu tun."
Ein nicht ganz logischer Satz, aber immerhin habe ich diplomatischen Widerspruch eingelegt.
Wenn etwas fertig ist, ist es ja auch gut, denke ich für mich rasch, um mir einen Grund zu geben, mit dem Einwand trotzdem einerstanden zu sein.
"Die wissen nicht, was sie jetzt tun sollen!" antwortet er, und ich ahne, mit "die" ist die Museumsleitung gemeint. Frage aber nicht nach und sage nichts.
"Geld gibts auch immer weniger" sagt er. "Man kann kaum noch Ausstellungen machen."
Er meint damit die Abteilung, an der er arbeitet. Ehe ich mir zureechtlegen kann, was er denn dann zu tun hat, flicht er noch einen klassischen Abwertungssatz gegen sein Arbeitssoziotop ein, den ich hier nicht wiedergebe und such nach einer passenden Antwort.
"Die merken jetzt, daß sie nicht der Louvre sind!"
Das sitzt. Irgendwo zwischen frustriertem Abreagieren und präziser Krisendiagose oszillierend ist das einer jener Sätze, wie sie unter von jeder Form der Beteilung und Mitverantwortung ausgeschlossenen oder sich ausschließenden MitarbeiterInnen hundertafach zirkulieren.
Er blickt mich nicht an. Der Oberkörper pendelt wieder.
"Das Geld geht nur an bestimmte Projekte".
Ich verstehe, schweige aber. Er meint offenbar eine Art von Zentralisiserung der operativen Mittel für "die". Jetzt fällt mir erst recht nichts ein.
Im Augenblick habe ich keine Lust und keine Veranlassung, mich an seinem Bashing zu beteiligen.
Ich habe auch nicht seine Sorgen, schon gar nicht, wenn die Mitternacht vorbei sein wird.
Es ist seltsam dunkel in der Innestadtgasse und fast vollkommen still.
Kein Passant zwingt uns zum Ausweichen auf dem engen Gehsteig, auf dem wir stehen, schon lange ist keine Straßenbahn mehr gefahren.
Erst später wird mir auffallen, daß für Sekunden die Welt in Gestalt einer Gasse einer Provinzstadt innegehalten hat, vielleicht aus Mitgefühl für einen selbst Ratlosen, der sich inzwischen Halt suchend an den Steher eines Baugerüsts gelehnt hat.
Plötzlich stößt er sich von der Gehsteigkante, als wolle er Yves Kleins Sprung ins Leere wiederholen und ist so unversehens verschwunden, als beherrsche er einen Zaubertrick.
Ich kann nicht mal feststellen, in welche Richtung er sich entfernt hat.
Die Gasse ist jetzt ganz leer.
Minuten später sitze ich in einem bewährten gastronomischen Betrieb und versuche, die Hitze des späten Abends mit einem Glas Zwickelbier zu vertreiben.
Bei einem beinahe zerkochten Gulyas frage ich mich, ob es ein schlechtes Omen ist, daß mein letzter Arbeitstag auf den 160. Geburtstag Peter Roseggers gefallen ist.
Man kann es sich nicht aussuchen.
Selbstverständlich sind Personen (einschließlich meiner), Handlungen und Schauplätze frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist völlig unbeabsichtigt und zu ihrem Verständnis auch gar nicht notwendig.
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