Sonntag, 28. Februar 2010
Samstag, 27. Februar 2010
Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum? Über Mark Dion
Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Führung im Naturhistorischen Museum in Wien. Wir waren eine kleine Gruppe von Museumsinteressierten und wurden von einer Mitarbeiterin des Hauses geführt. In der zoologischen Abteilung wiederholte sie immer wieder den Satz „Das ist alles echt", während wir an Präparaten vorbeischlenderten, denen das Stopfmaterial aus den geplatzten Nähten quoll oder die mit viel Styropor, Pappendeckel, Holz, Farbe in einem möglichst natürlich sein wollenden Ambiente ihren Auftritt hatten.
Der Umstand, daß der Typ des Naturmuseums der künstlichste überhaupt ist, ist den Museen selbst zumeist entgangen. Gerade der enorme technische, handwerkliche, künstlerische und wissenschaftliche Aufwand, der getrieben wird, um Natur als - ‚unberührte', ‚ursprüngliche' Natur aussehen zu lassen, wird vom und im Museum verdrängt.
Selbst wo die Widersprüchlichkeit von performativem Raum und Exponat so offenkundig ist, wie im historistischen Bau des Naturhistorischen Museums in Wien, wird er in der Konzeption und Praxis der Ausstellungen fast immer völlig negiert. Das ergibt einen veritablen, aber völlig ungenutzten Mehrwert, wenn Krokodile Parkettböden bevölkern oder Fischkörper vor pompösen Stuckreliefs schwimmen.
Daß es in Naturmuseen nicht um Natur, sondern um eine Idee von Natur geht, um einen Wunsch, wie man Natur sehen will, um ein Bedürfnis der Domestizierung, um Ordnung und Klassifikation einer unendlichen Varietät, das ist offensichtlich in Naturmuseen nur als verdrängte Grundlage zu haben, nicht als reflektiertes Thema und Anliegen.
Der Satz, der die Arbeiten Mark Dions am knappsten charakterisiert, wäre auch ein Motto und ein Arbeitsauftrag an Naturmuseen. „My work is not really about nature, but rather it is a consideration of ideas about nature."
In einer eben zu Ende gegangenen Ausstellung „Concerning Hunting" in der Kunsthalle Krems wurden Werke und Ensembles von Dion versammelt, mit denen er das Jagen analysiert, Objekte, von denen man manche schon anderswo und in anderen Zusammenhängen sehen konnte, aber die um das eine Thema Jagd kreisend, ihren wunderbaren Witz und ihre Intelligenz entfalten.
Mit einer Sammlung von inzwischen über hundertsiebzig Fotos (Men of Game), die Jäger oder Jagdgesellschaften mit ihrer Beute zeigen, bietet Dion eine schreckliche wie abstruse Soziologie des männlichen Beutemachens. Ein geheimnisvoll verschlossenes „Departement of Kryptozoologie" gibt der von der Wissenschaft verpönten Beschäftigung mit vermeintlich nicht existierenden Tierarten, wie Yeti, Nessie und Bigfoot, einen Platz. Das Tar-Museum (Teer-Museum), zeigt eine der medial am ausgebeutetsten Weisen der Vernichtung von Natur, von Teer überzogene Tiere (auf Transportkisten hockend), wie wir sie von ölverseuchten Stränden kennen.
Gegenüber Jagd und Jägern weder anklagend noch herabsetzend, ermöglicht eine Sammlung von papierenen Zielscheiben (Target Wall) mit naturalistischen Tierschemata nachzuvollziehen, wie in der Jagd das Tier zum Objekt und zur Beute wird, wie verengt der Blick des Jägers im Moment des tödlichen Schusses ist. Auch ‚Fahnentrophäen' mit blutig tropfenden Tierkadavern, machen, medial gefällig und scheinbar harmlos, aufmerksam auf den Tabubruch der Jagd: hier ist gesellschaftlich nicht nur akzeptiert sondern auch unter Umständen auch anerkannt und honoriert, Töten erlaubt.
Auch eine Sammlung von Hochständen - Verstecken, die den Jäger unsichtbar machen und von denen aus er das Wild erlegt -, hat das Töten und seine Technik zum Gegenstand, zugleich entwirft Dion hier auch eine Kulturgeschichte und Soziologie der Jagd und eine Typologie der Jäger.
Damit wären wir beim zweiten strukturell Verdrängten im Naturmuseum. Dem Töten und dem Tod der Tiere als Voraussetzung ihrer Musealisierung. Was im Geschichtsmuseum oder in einer kunstgewerblichen Sammlung allenfalls metaphorisch behauptet werden kann, gilt hier unbedingt und buchstäblich. Und ist dennoch ein Thema, das in Naturmuseen nur im small talk mit Kuratoren und off limits, nie aber in den Ausstellungen zur Sprache kommt.
Dions Stärke ist aber, daß er statt (An)Klage Witz mobilisiert. „Mobile Wilderness Unit" (soviel wie ‚Mobile Wildniseinheit') kommt dem Bedürfnis entgegen, Wildnis und Wild möglichst zivilisiert aber dennoch ‚unberührt' erleben zu können. Man kann Menschen zu diesem Zweck mobilisieren, indem man sie in die Bergeinsamkeit technisch hineinversetzt oder zum organisierten Abenteuerurlaub verschickt; oder man mobilisiert die wilde Natur, bei Dion sind es Bison und Wolf, ersterer in einem zirkusartigen Wagen. Hier erhellt Dion nicht nur eine grundlegende Dialektik unserer Verfahren Natur anzueigenen, die infrastrukturell erschlossene gefahrlose Besichtigung (von der eine Spielart das Museum ist), sondern schließt zwei Modi der Schaustellung kurz, die normalerweise nie nebeneinander gestellt werden: (Wander)Zirkus und Museum.
Aus der Perspektive des hochkulturell codierten Museum ist der Vergleich unzulässig, verpönt. Aber er bezieht seine Stämmigkeit nicht bloß aus der Vergleichbarkeit zweier Zeigeformen von ‚Natur' auf ein und derselben Basis des Begehrens, dem Wilden als ganz anderem, das aber ohne Gefahr, begegnen zu dürfen. Der implizite Vergleich ist auch historisch stimmig, denn zu den ältesten Schaustellungs(Ausstellungs)-Praktiken gehört das Zeigen und Vorführen von Tieren. Selbst etymologisch ist das noch präsent: Im Wort „mostra" (für Messe und Ausstellung) steckt das ‚Monster', das wilde Wesen (das auch in Monstranz oder in der - wissenschaftlichen oder politischen Demonstration - versteckt ist) und in „fiera" (Messe, als eine spezifische Zeigepraxis, auch im Sinn von (Waren)Ausstellung) ist ursprünglich das wilde Tier.
Mark Dion öffnet mit seinen Arbeiten nicht nur einen Blick auf unser Naturverhältnis und seine Deutung und Verarbeitung im Museum, er bietet auch explizite Hinweise auf alternative Modi des Zeigens. So stellt Dion eine kleine museale Präsentation so genannter „r-Strategen" vor. Das sind, so habe ich in der Ausstellung gelernt, die sich weit überdurchschnittlich rasch vermehren und daher die Zukunft ‚unserer' Tierwelt repräsentieren Tierarten.
Alle seine Objekte und Installationen kann ich mir sofort im Naturmuseum vorstellen. Nicht nur als relativierende oder kritische Interventionen, sondern als regelrechte Transformation der Idee des Naturmuseums - wenn dies denn imstande wäre sich selbst zu reflektieren und auch zu - ironisieren.
„Viele meiner Projekte sind eigentlich der Versuch, eine bestimmte Art von Fragestellung, von Skepsis einzubauen. Bei einem Großteil meiner Arbeit geht es darum, die Autorität in den Wissenschaften, aber auch in der Kunst selbst zu untergraben."
Um seine Ziele zu erreichen, bedient sich Dion, wie er uns - ein bisschen flunkernd wohl -, mitteilt, weder musealer noch künstlerischer Verfahren - und schon gar nicht der Jagd. „Manche Künstler malen, manche machen Drucke, manche Skulpturen, aber ich gehe einkaufen."
Der Umstand, daß der Typ des Naturmuseums der künstlichste überhaupt ist, ist den Museen selbst zumeist entgangen. Gerade der enorme technische, handwerkliche, künstlerische und wissenschaftliche Aufwand, der getrieben wird, um Natur als - ‚unberührte', ‚ursprüngliche' Natur aussehen zu lassen, wird vom und im Museum verdrängt.
Selbst wo die Widersprüchlichkeit von performativem Raum und Exponat so offenkundig ist, wie im historistischen Bau des Naturhistorischen Museums in Wien, wird er in der Konzeption und Praxis der Ausstellungen fast immer völlig negiert. Das ergibt einen veritablen, aber völlig ungenutzten Mehrwert, wenn Krokodile Parkettböden bevölkern oder Fischkörper vor pompösen Stuckreliefs schwimmen.
Daß es in Naturmuseen nicht um Natur, sondern um eine Idee von Natur geht, um einen Wunsch, wie man Natur sehen will, um ein Bedürfnis der Domestizierung, um Ordnung und Klassifikation einer unendlichen Varietät, das ist offensichtlich in Naturmuseen nur als verdrängte Grundlage zu haben, nicht als reflektiertes Thema und Anliegen.
Der Satz, der die Arbeiten Mark Dions am knappsten charakterisiert, wäre auch ein Motto und ein Arbeitsauftrag an Naturmuseen. „My work is not really about nature, but rather it is a consideration of ideas about nature."
In einer eben zu Ende gegangenen Ausstellung „Concerning Hunting" in der Kunsthalle Krems wurden Werke und Ensembles von Dion versammelt, mit denen er das Jagen analysiert, Objekte, von denen man manche schon anderswo und in anderen Zusammenhängen sehen konnte, aber die um das eine Thema Jagd kreisend, ihren wunderbaren Witz und ihre Intelligenz entfalten.
Mit einer Sammlung von inzwischen über hundertsiebzig Fotos (Men of Game), die Jäger oder Jagdgesellschaften mit ihrer Beute zeigen, bietet Dion eine schreckliche wie abstruse Soziologie des männlichen Beutemachens. Ein geheimnisvoll verschlossenes „Departement of Kryptozoologie" gibt der von der Wissenschaft verpönten Beschäftigung mit vermeintlich nicht existierenden Tierarten, wie Yeti, Nessie und Bigfoot, einen Platz. Das Tar-Museum (Teer-Museum), zeigt eine der medial am ausgebeutetsten Weisen der Vernichtung von Natur, von Teer überzogene Tiere (auf Transportkisten hockend), wie wir sie von ölverseuchten Stränden kennen.
Gegenüber Jagd und Jägern weder anklagend noch herabsetzend, ermöglicht eine Sammlung von papierenen Zielscheiben (Target Wall) mit naturalistischen Tierschemata nachzuvollziehen, wie in der Jagd das Tier zum Objekt und zur Beute wird, wie verengt der Blick des Jägers im Moment des tödlichen Schusses ist. Auch ‚Fahnentrophäen' mit blutig tropfenden Tierkadavern, machen, medial gefällig und scheinbar harmlos, aufmerksam auf den Tabubruch der Jagd: hier ist gesellschaftlich nicht nur akzeptiert sondern auch unter Umständen auch anerkannt und honoriert, Töten erlaubt.
Auch eine Sammlung von Hochständen - Verstecken, die den Jäger unsichtbar machen und von denen aus er das Wild erlegt -, hat das Töten und seine Technik zum Gegenstand, zugleich entwirft Dion hier auch eine Kulturgeschichte und Soziologie der Jagd und eine Typologie der Jäger.
Damit wären wir beim zweiten strukturell Verdrängten im Naturmuseum. Dem Töten und dem Tod der Tiere als Voraussetzung ihrer Musealisierung. Was im Geschichtsmuseum oder in einer kunstgewerblichen Sammlung allenfalls metaphorisch behauptet werden kann, gilt hier unbedingt und buchstäblich. Und ist dennoch ein Thema, das in Naturmuseen nur im small talk mit Kuratoren und off limits, nie aber in den Ausstellungen zur Sprache kommt.
Dions Stärke ist aber, daß er statt (An)Klage Witz mobilisiert. „Mobile Wilderness Unit" (soviel wie ‚Mobile Wildniseinheit') kommt dem Bedürfnis entgegen, Wildnis und Wild möglichst zivilisiert aber dennoch ‚unberührt' erleben zu können. Man kann Menschen zu diesem Zweck mobilisieren, indem man sie in die Bergeinsamkeit technisch hineinversetzt oder zum organisierten Abenteuerurlaub verschickt; oder man mobilisiert die wilde Natur, bei Dion sind es Bison und Wolf, ersterer in einem zirkusartigen Wagen. Hier erhellt Dion nicht nur eine grundlegende Dialektik unserer Verfahren Natur anzueigenen, die infrastrukturell erschlossene gefahrlose Besichtigung (von der eine Spielart das Museum ist), sondern schließt zwei Modi der Schaustellung kurz, die normalerweise nie nebeneinander gestellt werden: (Wander)Zirkus und Museum.
Aus der Perspektive des hochkulturell codierten Museum ist der Vergleich unzulässig, verpönt. Aber er bezieht seine Stämmigkeit nicht bloß aus der Vergleichbarkeit zweier Zeigeformen von ‚Natur' auf ein und derselben Basis des Begehrens, dem Wilden als ganz anderem, das aber ohne Gefahr, begegnen zu dürfen. Der implizite Vergleich ist auch historisch stimmig, denn zu den ältesten Schaustellungs(Ausstellungs)-Praktiken gehört das Zeigen und Vorführen von Tieren. Selbst etymologisch ist das noch präsent: Im Wort „mostra" (für Messe und Ausstellung) steckt das ‚Monster', das wilde Wesen (das auch in Monstranz oder in der - wissenschaftlichen oder politischen Demonstration - versteckt ist) und in „fiera" (Messe, als eine spezifische Zeigepraxis, auch im Sinn von (Waren)Ausstellung) ist ursprünglich das wilde Tier.
Mark Dion öffnet mit seinen Arbeiten nicht nur einen Blick auf unser Naturverhältnis und seine Deutung und Verarbeitung im Museum, er bietet auch explizite Hinweise auf alternative Modi des Zeigens. So stellt Dion eine kleine museale Präsentation so genannter „r-Strategen" vor. Das sind, so habe ich in der Ausstellung gelernt, die sich weit überdurchschnittlich rasch vermehren und daher die Zukunft ‚unserer' Tierwelt repräsentieren Tierarten.
Alle seine Objekte und Installationen kann ich mir sofort im Naturmuseum vorstellen. Nicht nur als relativierende oder kritische Interventionen, sondern als regelrechte Transformation der Idee des Naturmuseums - wenn dies denn imstande wäre sich selbst zu reflektieren und auch zu - ironisieren.
„Viele meiner Projekte sind eigentlich der Versuch, eine bestimmte Art von Fragestellung, von Skepsis einzubauen. Bei einem Großteil meiner Arbeit geht es darum, die Autorität in den Wissenschaften, aber auch in der Kunst selbst zu untergraben."
Um seine Ziele zu erreichen, bedient sich Dion, wie er uns - ein bisschen flunkernd wohl -, mitteilt, weder musealer noch künstlerischer Verfahren - und schon gar nicht der Jagd. „Manche Künstler malen, manche machen Drucke, manche Skulpturen, aber ich gehe einkaufen."
Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz
Daniel Spoerris Musée sentimental war einst ein das Museum - mild - attackierendes Projekt, das mit der Willkür seiner Auswahl- und Ordnungskriterien - das war das Alphabet -, die Willkürlichkeit der wisenschaftlich-musealen Ordnungen in Frage stellte. Das Musée konnte etwas tun, was das Museum damals noch kaum tun konnte, dem Alltäglichen, Banalen, Übershenen, dem Fragment, dem Abfall, dem Deponierten die Funktion einer Zeugenschaft zu verleihen, ohne die Dinge zu monumentalsieren und in ein zwingendes und dominierendes Narrativ einzubetten.
Nicht die offizielle Erzählung mit versteckter aber autoritärer Autorschaft regierte die Bedeutung der Dinge, sondern die individuelle Erinnerungsfähigkeit, die liebevolle Empathie, in den Dingen Spuren des vergangenen Lebens suchen zu wollen - so verstehe ich das ‚sentimental'. Damit wurde ein Zugang zu den Dingen gestiftet, der sie nicht in das Korsett vorgepräggter Deutungen zwängte, sondern die individuelle Arbeit an der Dechiffrierung der Dinge vom Betrachter/Besucher forderte, denn ohne diese Arbeit erwachte nichts aus der Abstraktion des Alphabets.
Das erste Musée sentimental, das ich nicht aus den Katalogbüchern und Kritiken, sondern durch den Besuch kennenlernte, das Musée sentimental de Prusse (1981), machte auf mich schon einen zwiespältigen Eindruck der Ermüdung, weil hier das Zufällige und Spielerische einer willkürlichen Ordnung von einer auf Preussens Geschichte bezogenen zweiten, implizit doch dokumentierend-erzählerischen Intention überdeckt wurde. Daß die Mitglieder der preussischen Königsfamilie hier nur noch als eingeweckte, nach ihnen benannten Obstsorten - „Gute Louise" - präsent waren, war zwar schon hart am Rand der Schmunzelkunst aber in der Wahl der Gedächtnisform immerhin noch analytisch witzig: das Rex-Glas als genuin historistisch verfahrendes ‚technisches Gedächtnis' und insofern von symptomatischer Qualität für das, wie sich Museen erinnern.
Jetzt gibt es im Kunstraum Stein (bei Krems) ein weiteres Musée sentimental, und Autor ist wiederum Daniel Spoerri selbst, der sich in der Nähe, in Hadersdorf am Kamp, ein neues Refugium geschaffen hat. Unter dem bombastischen Titel „Eine Stadt biografiert sich selbst" wird das Musée zusammen mit einem komplementären von Bazon Brock gezeigt. Er bat Bewohner von Krems ihr ‚liebstes Gut' in einer Prozession ins Museum zu tragen. Der Kalauer, der programmatisch verstanden werden will, „Zeige dein Liebstes gut. Zeige dein liebstes Gut" wird uns in einem kurzen Video von Bazon Brock als subversive Geste angepriesen, als eine Repräsentation von unten, als ein individuelles Einschreiben in das Museum.
Das nun ist es gerade nicht geworden, denn der eine Raum, in dem das liebste Gut Heimstatt hat, ist eine ziemlich lieblose, beiläufige Regalisierung - und das auch nicht in einem Museum, sondern selbstreferentiell in einem ‚Kunstraum'. Ohne sich einen Deut um die Repräsentativität der Zufallsgaben und die Motive und Objektbeziehungen der Besitzer zu kümmern, wird das ganze in die bekanntlich große Überredungskunst Brocks eingehüllt und zum in ‚Österreich noch nie dagewesenen' Projekt stilisiert.
Das ist doppelt dreist: denn - um nur ein Beispiel zu nennen - der „Berg der Erinnerungen" in Graz im Kulturhauptstadtjahr 2003 nimmt sich im Vergleich mit der Installation in Krems wie ein Bentley gegenüber einem Dreirad aus. Vor allem aber: die Idee, mit Besitztümern und Sammlungen Privater im Museum etwas zu installieren oder zu prozessieren, was sowohl die Interessen und Motive der Beteiligten anerkennt als auch, entweder als Haupt- oder Nebeneffekt etwas zur Reflexion des musealen Sammelns und Zeigens beizutragen, ist sehr alt und wurde an anderer Stelle ungleich reflektierter und intelligenter verwirklicht. Zum Beispiel im Ruhrlandmuseum Essen 2005 (Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum) oder - hier im Blog schon gewürdigt -, Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks im Museum der Dinge, Berlin.
Hinter dem gewaltigen Aufwand Brockscher Rhetorik findet sich so gut wie nichts und eher das Gegenteil vom der behaupteten Anerkennung und Aufwertung individueller Repräsentationswünsche: ein Raum mit der Anmutung eines Abstellkellers und ein in Form und Sache äußerst bescheidenes ‚Inventar' mit kurzen Äußerungen der Leihgeber, das ist alles.
Brock würdigt sich nicht nur selbst, er darf (im erwähnten Video) auch Spoerri würdigen (der sich auch selbst und Brock würdigen darf...usw.) und das Musée sentimental das bedeutendste Museumskonzept des 20. Jahrhunderts nennen.
Warum es im 21. immer noch gezeigt werden soll, das zu rechtfertigen, bleibt uns das Musée schuldig. In einer kurzen Flucht kleiner Räume finden sich Objekte, die irgendeinen Bezug zu Krems haben und die nach Stichworten zusammengestellt wurden. Stichworte wie: Marillen, Salz, Donau, Goldhaube, Wein, Glocken, Justizanstalt, Mariandl uam. Es zeigt sich schnell, daß das Konzept mit so wenigen Objekten schlecht funktioniert, weil die Matrix, die sich aus so wenigen Dingen und Worten weben läßt, viel zu grobmaschig wird, um auch nur annähernd so etwas wie die versprochene Biografie der Stadt Krems ergeben zu können.
Die räumliche Ordnung nach Schlagworten konterkariert die ursprüngliche Idee: man liest nun die Objekte zwangsläufig als illustrative Dokumente eines ‚Themas' - und die folgen nun vielen der Klischees, die ohnehin schon seit eh und je mit der Wachau verknüpft waren oder die beliebig sind. Oskar Werner kommt wohl hier vor, weil seine Mutter in der Wachau wohnte. Welche Bedeutung haben dann aber Dokumente wie das Service, die Brieftasche, eine Visiten- und eine Eintrittskarte aus dem Besitz Oskar Werners? Was sollen sie bezeugen? Was evozieren?
Vollends problematisch wird aber die Art und Weise, wie mit der NS-Zeit und der Judenverfolgung umgegangen wird. Die Nivellierung der Themen auf ein einziges, ‚sentimentales' Niveau, läßt die Nachbarschaft von NSDAP und Marillenbrand, Judenverfolgung und Goldhaube unerträglich werden. Krems, und ausgerechnet übrigens auch der Ort, in dem sich Spoerri niedergelassen hat, Hadersdorf (und das nahe Langenlois, ein berühmter Weinort) sind allesamt Orte mit einer immer wieder umkämpften und verdrängten Geschichte. Ausgerechnet diese Fragen auf dem Niveau einer aleatorischen Collage zu verharmlosen, das geht nicht. Da gibt es etwa das Fotoalbum des NSADAP Pressefotografen Rudolf Haas in unmittelbarer Nachbarschaft des Straf(Kriegsgefangenen)Lagers 17 B in Gneixendorf und gegenüber dann „Jüdische Geschäfte in Krems" neben einer Collage, die Spoerri aus Kopien der Fotos des erwähnten NSDAP-Fotografen gemacht hat - mit der unkommentierten Betextung „Bildersammlung Ortsgruppe Stein". Die Verwischung der Grenzen von Original und Kopie könnte anderswo auch analytisch genutzt werden, hier ist sie fahrlässig. Aber es ist irgendwie egal: eine Gipsmaske Anton Bruckners ist eindeutig ein Gustav Mahler mit schmaler Nase, scharfem Profil und wallendem Haupthaar. Über Anton Bruckners rundlich-bäurischen Kopf spross immer nur eine Glatze... Nirgendwo erzeugt das Zusammenstellen und -würfeln der Sachen irgendeinen analytischen Effekt, alles ist gleichgültig gemacht in einem selbstreferentiellen Spiel der Dinge.
Beide Ausstellungen machen einen müden, uninspirierten Eindruck, bei beiden Ideen - dem des Musée sentimental und dem des ‚Laienmuseums' - wird nur lauwarm aufgewärmt. Die Avantgarde von einst kommt in die Jahre und in die Provinz um sich selbst zu demontieren.
„Alles war sehr gut und lustig" heißt es im Besucherbuch.
Nicht die offizielle Erzählung mit versteckter aber autoritärer Autorschaft regierte die Bedeutung der Dinge, sondern die individuelle Erinnerungsfähigkeit, die liebevolle Empathie, in den Dingen Spuren des vergangenen Lebens suchen zu wollen - so verstehe ich das ‚sentimental'. Damit wurde ein Zugang zu den Dingen gestiftet, der sie nicht in das Korsett vorgepräggter Deutungen zwängte, sondern die individuelle Arbeit an der Dechiffrierung der Dinge vom Betrachter/Besucher forderte, denn ohne diese Arbeit erwachte nichts aus der Abstraktion des Alphabets.
Das erste Musée sentimental, das ich nicht aus den Katalogbüchern und Kritiken, sondern durch den Besuch kennenlernte, das Musée sentimental de Prusse (1981), machte auf mich schon einen zwiespältigen Eindruck der Ermüdung, weil hier das Zufällige und Spielerische einer willkürlichen Ordnung von einer auf Preussens Geschichte bezogenen zweiten, implizit doch dokumentierend-erzählerischen Intention überdeckt wurde. Daß die Mitglieder der preussischen Königsfamilie hier nur noch als eingeweckte, nach ihnen benannten Obstsorten - „Gute Louise" - präsent waren, war zwar schon hart am Rand der Schmunzelkunst aber in der Wahl der Gedächtnisform immerhin noch analytisch witzig: das Rex-Glas als genuin historistisch verfahrendes ‚technisches Gedächtnis' und insofern von symptomatischer Qualität für das, wie sich Museen erinnern.
Jetzt gibt es im Kunstraum Stein (bei Krems) ein weiteres Musée sentimental, und Autor ist wiederum Daniel Spoerri selbst, der sich in der Nähe, in Hadersdorf am Kamp, ein neues Refugium geschaffen hat. Unter dem bombastischen Titel „Eine Stadt biografiert sich selbst" wird das Musée zusammen mit einem komplementären von Bazon Brock gezeigt. Er bat Bewohner von Krems ihr ‚liebstes Gut' in einer Prozession ins Museum zu tragen. Der Kalauer, der programmatisch verstanden werden will, „Zeige dein Liebstes gut. Zeige dein liebstes Gut" wird uns in einem kurzen Video von Bazon Brock als subversive Geste angepriesen, als eine Repräsentation von unten, als ein individuelles Einschreiben in das Museum.
Das nun ist es gerade nicht geworden, denn der eine Raum, in dem das liebste Gut Heimstatt hat, ist eine ziemlich lieblose, beiläufige Regalisierung - und das auch nicht in einem Museum, sondern selbstreferentiell in einem ‚Kunstraum'. Ohne sich einen Deut um die Repräsentativität der Zufallsgaben und die Motive und Objektbeziehungen der Besitzer zu kümmern, wird das ganze in die bekanntlich große Überredungskunst Brocks eingehüllt und zum in ‚Österreich noch nie dagewesenen' Projekt stilisiert.
Das ist doppelt dreist: denn - um nur ein Beispiel zu nennen - der „Berg der Erinnerungen" in Graz im Kulturhauptstadtjahr 2003 nimmt sich im Vergleich mit der Installation in Krems wie ein Bentley gegenüber einem Dreirad aus. Vor allem aber: die Idee, mit Besitztümern und Sammlungen Privater im Museum etwas zu installieren oder zu prozessieren, was sowohl die Interessen und Motive der Beteiligten anerkennt als auch, entweder als Haupt- oder Nebeneffekt etwas zur Reflexion des musealen Sammelns und Zeigens beizutragen, ist sehr alt und wurde an anderer Stelle ungleich reflektierter und intelligenter verwirklicht. Zum Beispiel im Ruhrlandmuseum Essen 2005 (Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum) oder - hier im Blog schon gewürdigt -, Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks im Museum der Dinge, Berlin.
Hinter dem gewaltigen Aufwand Brockscher Rhetorik findet sich so gut wie nichts und eher das Gegenteil vom der behaupteten Anerkennung und Aufwertung individueller Repräsentationswünsche: ein Raum mit der Anmutung eines Abstellkellers und ein in Form und Sache äußerst bescheidenes ‚Inventar' mit kurzen Äußerungen der Leihgeber, das ist alles.
Brock würdigt sich nicht nur selbst, er darf (im erwähnten Video) auch Spoerri würdigen (der sich auch selbst und Brock würdigen darf...usw.) und das Musée sentimental das bedeutendste Museumskonzept des 20. Jahrhunderts nennen.
Warum es im 21. immer noch gezeigt werden soll, das zu rechtfertigen, bleibt uns das Musée schuldig. In einer kurzen Flucht kleiner Räume finden sich Objekte, die irgendeinen Bezug zu Krems haben und die nach Stichworten zusammengestellt wurden. Stichworte wie: Marillen, Salz, Donau, Goldhaube, Wein, Glocken, Justizanstalt, Mariandl uam. Es zeigt sich schnell, daß das Konzept mit so wenigen Objekten schlecht funktioniert, weil die Matrix, die sich aus so wenigen Dingen und Worten weben läßt, viel zu grobmaschig wird, um auch nur annähernd so etwas wie die versprochene Biografie der Stadt Krems ergeben zu können.
Die räumliche Ordnung nach Schlagworten konterkariert die ursprüngliche Idee: man liest nun die Objekte zwangsläufig als illustrative Dokumente eines ‚Themas' - und die folgen nun vielen der Klischees, die ohnehin schon seit eh und je mit der Wachau verknüpft waren oder die beliebig sind. Oskar Werner kommt wohl hier vor, weil seine Mutter in der Wachau wohnte. Welche Bedeutung haben dann aber Dokumente wie das Service, die Brieftasche, eine Visiten- und eine Eintrittskarte aus dem Besitz Oskar Werners? Was sollen sie bezeugen? Was evozieren?
Vollends problematisch wird aber die Art und Weise, wie mit der NS-Zeit und der Judenverfolgung umgegangen wird. Die Nivellierung der Themen auf ein einziges, ‚sentimentales' Niveau, läßt die Nachbarschaft von NSDAP und Marillenbrand, Judenverfolgung und Goldhaube unerträglich werden. Krems, und ausgerechnet übrigens auch der Ort, in dem sich Spoerri niedergelassen hat, Hadersdorf (und das nahe Langenlois, ein berühmter Weinort) sind allesamt Orte mit einer immer wieder umkämpften und verdrängten Geschichte. Ausgerechnet diese Fragen auf dem Niveau einer aleatorischen Collage zu verharmlosen, das geht nicht. Da gibt es etwa das Fotoalbum des NSADAP Pressefotografen Rudolf Haas in unmittelbarer Nachbarschaft des Straf(Kriegsgefangenen)Lagers 17 B in Gneixendorf und gegenüber dann „Jüdische Geschäfte in Krems" neben einer Collage, die Spoerri aus Kopien der Fotos des erwähnten NSDAP-Fotografen gemacht hat - mit der unkommentierten Betextung „Bildersammlung Ortsgruppe Stein". Die Verwischung der Grenzen von Original und Kopie könnte anderswo auch analytisch genutzt werden, hier ist sie fahrlässig. Aber es ist irgendwie egal: eine Gipsmaske Anton Bruckners ist eindeutig ein Gustav Mahler mit schmaler Nase, scharfem Profil und wallendem Haupthaar. Über Anton Bruckners rundlich-bäurischen Kopf spross immer nur eine Glatze... Nirgendwo erzeugt das Zusammenstellen und -würfeln der Sachen irgendeinen analytischen Effekt, alles ist gleichgültig gemacht in einem selbstreferentiellen Spiel der Dinge.
Beide Ausstellungen machen einen müden, uninspirierten Eindruck, bei beiden Ideen - dem des Musée sentimental und dem des ‚Laienmuseums' - wird nur lauwarm aufgewärmt. Die Avantgarde von einst kommt in die Jahre und in die Provinz um sich selbst zu demontieren.
„Alles war sehr gut und lustig" heißt es im Besucherbuch.
Freitag, 26. Februar 2010
Abschied (Texte im Museum 25)
Museum Sensenwerk Deutschfeistritz. Arbeiter der Sensenschmiede haben Datum und Uhrzeit
der Beendigung der Arbeit auf Machinen geschrieben.
Das Schließen des Werks war die Voraussetzung für seine Musealisierung.
"Fabrik wird Museum"...
Donnerstag, 25. Februar 2010
"Opel oder Kultur". Also gibt es jetzt eine (Museums)Krise oder nicht?
In unserem Bemühen, herauszufinden, ob es denn nun eine Museumskrise gibt oder auch nicht, bietet uns eine heute in DIE WELT erschienene leider sehr kurze Glosse über eine kulturpolitische Diskussionsrunde, die in der Berliner Akademie der Künste stattfand, neuerdings Ratlosigkeit.
Zum Ausgleich dafür, daß offenbar niemand so recht weiß, was gewaltige Etatkürzungen für die kulturellen Institutionen bedeutet - "Den Kommunen fehlen als Folge des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes allein in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro" (Eckhard Fuhr) - begegnen wir wieder einem unserer Lieblings-Krisen-Debattierer, Martin Roth, diesmal kaugummikauend und augenrollend (Fuhr).
Die einzige Alternative, die in der Diskussion offenbar auftauchte, war die zwischen einem konservatorischen (bewahrte Kunst und Kultur als Ressource...) und einem avantgardistischen (Kunst als gesellschaftlich relevant und auf Zukunftsthemen bezogen...) Kulturbegriff.
"Wollt ihr Opel oder Kultur?" lautete Roth's rhetorische Frage, denn es gibt für ihn nur eine Antwort: "Wenn es eng wird, dann muss, so Roth, das Bewahren des kulturellen Erbes für die öffentliche Kulturförderung Vorrang haben vor dem Ermöglichen utopischer Diskurse. Das Erbe sei nun einmal das wichtigste Zukunftspotenzial Europas."
Zum Ausgleich dafür, daß offenbar niemand so recht weiß, was gewaltige Etatkürzungen für die kulturellen Institutionen bedeutet - "Den Kommunen fehlen als Folge des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes allein in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro" (Eckhard Fuhr) - begegnen wir wieder einem unserer Lieblings-Krisen-Debattierer, Martin Roth, diesmal kaugummikauend und augenrollend (Fuhr).
Die einzige Alternative, die in der Diskussion offenbar auftauchte, war die zwischen einem konservatorischen (bewahrte Kunst und Kultur als Ressource...) und einem avantgardistischen (Kunst als gesellschaftlich relevant und auf Zukunftsthemen bezogen...) Kulturbegriff.
"Wollt ihr Opel oder Kultur?" lautete Roth's rhetorische Frage, denn es gibt für ihn nur eine Antwort: "Wenn es eng wird, dann muss, so Roth, das Bewahren des kulturellen Erbes für die öffentliche Kulturförderung Vorrang haben vor dem Ermöglichen utopischer Diskurse. Das Erbe sei nun einmal das wichtigste Zukunftspotenzial Europas."
Samstag, 20. Februar 2010
Centrale Montemartini. Kunst und Industrie
Während der im Jahr 2000 abgeschlossenen Sanierung der Kapitolinischen Museen wurde an der Peripherie von Rom, an der Via Ostiense - zunächst vorübergehend - ein Art Schaudepot eingerichtet. Unter dem Namen Centrale Montemartini wurde daraus ein eigenständiges und ungewöhnliches Museum.
Ein um 1900 Jahrhundert errichtetes und 1912 in Betrieb genommenes Kraftwerk, das zur Stromversorgung Roms diente, wurde aufwendig saniert und in diesem Industriedenkmal wurden Teile der Antikensammlung der Kapitolinischen Museen aufgestellt.
Für die Einrichtung von Museen in aufgelassenen Industriegebäuden und -anlagen gibt es inzwischen viele Beispiele, das prominenteste dürfte die Tate Modern sein, aber ungewöhnlich ist hier die Integration eines Teils der Installationen, Armaturen, Kessel und Maschinen. Gezielt wurde der 'Dialog' zwischen den Antiken und der industriellen Architektur, den z.T. riesigen Maschinen und Anlagen inszeniert.
Das geht manchmal haarscharf an geschmäcklerischer Werbeästhetik vorbei, aber, nicht zuletzt auf Grund der einzigartigen Qualität vieler hier ausgestellter Objekte, wurde aus der Dependance ein sehr spannungsvoll und faszinierender Museumsort.
Die Konfrontation von Kunst und Industrie findet ausschließlich auf einer ästhetischen Ebene statt, zwischen den kontrastreichen Materialen und Oberflächen, der Fragilität mancher Figuren und der Wucht der Maschinen, der Helligkeit des Marmors und der ölglänzenden Schwärze der Apparaturen. Dies alles schafft keinen Mehrwert an Information, aber eine außergewöhnliche Schärfung und Konzentration des Blicks und eine ebenso ungewöhnliche Performativität.
Da dieses 'Depot' oder ‚Trabantenmuseum‘ auf so positive öffentliche Resonanz stieß, scheint die dauerhafte Öffnung als Museum inzwischen gesichert zu schein.
Ein um 1900 Jahrhundert errichtetes und 1912 in Betrieb genommenes Kraftwerk, das zur Stromversorgung Roms diente, wurde aufwendig saniert und in diesem Industriedenkmal wurden Teile der Antikensammlung der Kapitolinischen Museen aufgestellt.
Für die Einrichtung von Museen in aufgelassenen Industriegebäuden und -anlagen gibt es inzwischen viele Beispiele, das prominenteste dürfte die Tate Modern sein, aber ungewöhnlich ist hier die Integration eines Teils der Installationen, Armaturen, Kessel und Maschinen. Gezielt wurde der 'Dialog' zwischen den Antiken und der industriellen Architektur, den z.T. riesigen Maschinen und Anlagen inszeniert.
Das geht manchmal haarscharf an geschmäcklerischer Werbeästhetik vorbei, aber, nicht zuletzt auf Grund der einzigartigen Qualität vieler hier ausgestellter Objekte, wurde aus der Dependance ein sehr spannungsvoll und faszinierender Museumsort.
Die Konfrontation von Kunst und Industrie findet ausschließlich auf einer ästhetischen Ebene statt, zwischen den kontrastreichen Materialen und Oberflächen, der Fragilität mancher Figuren und der Wucht der Maschinen, der Helligkeit des Marmors und der ölglänzenden Schwärze der Apparaturen. Dies alles schafft keinen Mehrwert an Information, aber eine außergewöhnliche Schärfung und Konzentration des Blicks und eine ebenso ungewöhnliche Performativität.
Da dieses 'Depot' oder ‚Trabantenmuseum‘ auf so positive öffentliche Resonanz stieß, scheint die dauerhafte Öffnung als Museum inzwischen gesichert zu schein.
Sonntag, 14. Februar 2010
Samstag, 13. Februar 2010
Micromuseo Lima - Aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung
Ein ambulanter Ort, an dem angesichts der „grossen musealen Leere“ (dem Fehlen eines Museums Moderner Kunst), nicht einfach nur kompensativ eine private Initiative einspringt, sondern ein Raum für „kritisches Denken darüber, was Musealität sein kann in einem Land der Dritten Welt wie Peru.“ Dieser Raum ist das Micromuseo in Lima. An ihm ist nicht das Gebäude, der Ort, an dem es sich befindet, wichtig, sondern die Projekte und Interventionen, z.B. im öffentlichen Raum, die unter diesem Namen initiiert werden, und mit denen für ein neues Kulturverständnis geworben wird.
Das Projekt entstand nach einer großen politischen Krise, in der kurzen Phase der Demokaratie „mit extrem hoher Inflation, verzweifelter Sinnsuche, politischem und kulturellem Extremismus und avantgardistischen Strömungen.“ Von Beginn an wurden die „etablierten Vorstellungen von Museen in Frage“ gestellt, z.B. durch die Wahl alternativer Orte, wo man Museen normalerweise nicht erwartet und in Zusammenhängen, um die sich Museen nicht kümmern.
Zu den Mezhoden des Museuo gehört das Mischen der Genres und Ausdrucksformen, der Artefakte und Kunstwerke, es geht um eine ‚Materialsammlung’ ohne Hierachie, um jene Ausdrucksformen der verschiedenen Alltagskulturen, die ein „aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung“ sein soll.
„Ein Ziel von Micromuseo ist auch die Ermächtigung des Lokalen. Wir sind gegen die Praxis eines internationalen Museums-Franchising, wie sie Guggenheim betreibt. Wir bestehen vehement auf der Bedeutung des Lokalen. Das ist kein territorialer Chauvinismus, sondern ein engagiertes Verständnis von Kultur als lebendiger, unmittelbarer Expression.
Ähnlich, so scheint mir, dem hier im Blog vorgestelleten ndrangheta Museum in Reggio Calabria, ist auch hier ein Museum der Ort, an dem sich die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung kristallisiert, die Hoffnung auf Überwindung der Gewaltförmigkeit von Gesellschaft und Poltik. Das „Micromuseo will nicht in die Geschichte eingehen, sondern die Geschichte selbst ändern.
Das lange Gespräch von Eva-Christina Meier mit dem Gründer des Micromuseo Gustavo Buntix ist nachzulesen in: Die Tageszeitung online, 6.2.2010. "Eine Art Weimarer Republik". Die Postmoderne in Peru. Gespräch mit Gustavo Buntinx, Begründer des ambulanten "Micromuseo" in Lima.
Das Projekt entstand nach einer großen politischen Krise, in der kurzen Phase der Demokaratie „mit extrem hoher Inflation, verzweifelter Sinnsuche, politischem und kulturellem Extremismus und avantgardistischen Strömungen.“ Von Beginn an wurden die „etablierten Vorstellungen von Museen in Frage“ gestellt, z.B. durch die Wahl alternativer Orte, wo man Museen normalerweise nicht erwartet und in Zusammenhängen, um die sich Museen nicht kümmern.
Zu den Mezhoden des Museuo gehört das Mischen der Genres und Ausdrucksformen, der Artefakte und Kunstwerke, es geht um eine ‚Materialsammlung’ ohne Hierachie, um jene Ausdrucksformen der verschiedenen Alltagskulturen, die ein „aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung“ sein soll.
„Ein Ziel von Micromuseo ist auch die Ermächtigung des Lokalen. Wir sind gegen die Praxis eines internationalen Museums-Franchising, wie sie Guggenheim betreibt. Wir bestehen vehement auf der Bedeutung des Lokalen. Das ist kein territorialer Chauvinismus, sondern ein engagiertes Verständnis von Kultur als lebendiger, unmittelbarer Expression.
Ähnlich, so scheint mir, dem hier im Blog vorgestelleten ndrangheta Museum in Reggio Calabria, ist auch hier ein Museum der Ort, an dem sich die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung kristallisiert, die Hoffnung auf Überwindung der Gewaltförmigkeit von Gesellschaft und Poltik. Das „Micromuseo will nicht in die Geschichte eingehen, sondern die Geschichte selbst ändern.
Das lange Gespräch von Eva-Christina Meier mit dem Gründer des Micromuseo Gustavo Buntix ist nachzulesen in: Die Tageszeitung online, 6.2.2010. "Eine Art Weimarer Republik". Die Postmoderne in Peru. Gespräch mit Gustavo Buntinx, Begründer des ambulanten "Micromuseo" in Lima.
Die Musen und das Museum (Was ist ein Museum 04)
Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und darus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes gebne. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte und daß es verschiedene kulturelle Praktiken, die - manchmal - mit diesem Wort bezeichnet werden, aber auch daß diese Wort Sachen bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten wird. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin grade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine auch heute nicht anders formulierbare Einsicht. Aber dennoch hielt man an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.
Ich vermute, daß damit die wörtliche Bedeutung gemeint war und aktualisiert wurde: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen. Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne (und des Zeus) sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis. Sie erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann, dem Museion.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierten - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text.
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eiunes Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Aber das noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:
Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris
Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland!
Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.
Fortsetzung folgt.
Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten wird. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin grade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine auch heute nicht anders formulierbare Einsicht. Aber dennoch hielt man an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.
Ich vermute, daß damit die wörtliche Bedeutung gemeint war und aktualisiert wurde: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen. Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne (und des Zeus) sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis. Sie erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann, dem Museion.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierten - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text.
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eiunes Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Aber das noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:
Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris
Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland!
Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.
Fortsetzung folgt.
Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris
Freitag, 12. Februar 2010
iMuseum
Im Zeitalter des Apple-"i" konnte es nicht ausbleiben, das "iMuseum". Ob es erst heute ins Leben gerufen wurde, durch Jordan Mejias in der FAZ Online, weiß ich nicht. Mir ist es heute zum ersten Mal aufgefallen, in einer kurzen Glosse über eine nächste Etappe der Digitalisierung / Virtualisierung des Museums. Am Beispiel des Cooper-Hewitt National Design Museum, das iPods einsetzt (auf denen zugleich Werbung für Apple läuft). Der Medien- und Bilder-Overkill, so scheints dem Autor, werde das Museum möglicherweise bald überflüssig machen.
Kommt uns die Welt samt Kunstwelt erst in 3 D auf den Schirm, könnte dem unbegrenzten iMuseum einfallen, das begrenzte Museum nicht nur zu ergänzen, sondern zu ersetzen.Erinnert irgendwie an das Musée imaginaire von André Malraux, oder?
Abb.: Wie das Unglück begann: Das Guide-a-Phone von 1954, entwickelt vom American Museum of Natural History, New York. © AMNH
Donnerstag, 11. Februar 2010
Mittwoch, 10. Februar 2010
Das Motto lautet: Hingehen, entdecken und begeistert sein
Ab Jahresbeginn ist der Eintritt zu Bundesmuseen für Kunder und Jugendliche bis 19 Jahre kostenlos. Das Geld,das den einezelnen Museen dadurch entgeht, wird vom Minsterium refundiert, es soll sich um eine Summe von bis zu drei Millionen Euro handeln.
Kinder und Jugendliche möglichst früh mit musealer Kunst und Kultur in Kontakt zu bringen, ist Auftrag einer zeitgemäßen Kulturpolitik.Mit dieser Maßnahme werden heuer auch 600.000.- Euro in innovative Vermittlungsprojekte investiert. Denn, so wird uns versichert, selbstverständlichen seinen Sammeln und forschen weiterhin wichtige Aufgabe, aber Vermittlung ein zentrales Anliegen des Ministeriums.
Die Bundesmuseen sind außerschulische Orte der Bildung und Räume für die Freizeitgestaltung. (Die Bundesministerien auf der Webseite des Ministeriums mit den originalen Hervorhebungen).
Der Freie Eintritt für die „Altersgruppe der Zukunft“ öffnet die Türen der Museen für unsere Jugend. (...) Neben dem kostenlosen Zugang zu den breiten kulturellen Themenfeldern bieten sie (die Bundesmuseen; GF) umfangreiche und den Altersgruppen entsprechende Vermittlungsprogramme. Der Bogen reicht von Natur und Technik bis zu alter, neuer und neuester Kunst.Die Frage, ob alle Museen und Sammlungen gleichermaßen geignet für diese pauschale Geste sind, stellt sich offenbar niemand. Inhalte, Vermittlungsmethoden und Bildungsstrategien gelten, wenn es um das Museum geht, als außer jede Diskussion gestellte, per se wertvolle kulturelle Einrichtungen, die ein per se sehenswertes und zu würdigendes Erbe bewahrt.
Kulturinteressierte und solche, die es noch werden wollen, sollen die Angebote der Bundesmuseen intensiv nutzen können. Möglichst viele sollen teilhaben an dem kulturellen Erbe und der zeitgenössischen Kunst.Daß die Maßnahme nichts bis fast nichts an der bestehenden massiven der durch Sozialisation und Schule vermittelten sozialen Distinktion ändert, die im Museum weitgehend unbeachtet wirksam wird - wen stört es, wen interessiert es?. Wozu in speziellen Fall noch eine topografische Diskriminierung hinzukommt. Alle von der Aktion profitierenden Museen stehen in Wien und sprechen vor allem die wiener Bevölkerung und Touristen an, nicht die Bundesländer.
Dienstag, 9. Februar 2010
Montag, 8. Februar 2010
Museumskrise? Welche Krise?
Im Juni 2008 veröffentlichte die Unternehmensberaterfirma Arthur D. Little eine Mitteilung zur Situation der Museen in Deutschland mit der Schlagzeile „Mehr Unternehmertum für deutsche Museen“.
Arthur D. Little konstatiert einen „Trend“ zur Erhöhung der Eigenfinanzierung, zur Reduktion der Abhängigkeit von „öffentlichen Subventionen“ und zum „unternehmerischen Handeln“. Gestützt auf eine Untersuchung von „in Europa führenden Museen“ wird der Museumsinsel ein neunter Rang zugewiesen – aufgrund eines einfachen Rankings der Besucherzahlen. Als weitere Indikatoren werden jene Besucher, die mindest einmal im Jahr ein Museum besuchen, im Ländervergleich bewertet. Wenn der „Studienleiter“ Stefan Höffinger aus den Zahlen schließt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen in den „letzten zwölf Monaten kein einziges Mal ein Museum besucht“ hat, dann leitet er daraus die Forderung ab, mit einem „attraktiven inhaltlichen Angebot“ die „Erschließung neuer Erlös- und Ertragsquellen“ zu bewirken.
Denn: „Die Bedeutung der öffentlichen Hand in der Kulturförderung geht zurück“. Deshalb müssten „eigene Mittel“, vom Verkauf von Eintrittskarten bis zum Merchandising, akquiriert werden. Dies wird im Text als „unternehmerisches Handeln“ und „Professionalisierung“ bezeichnet und diejenigen Institute als „beste“ hervorgehoben, die eine Eigenfinanzierungsquote von „bis zu 75 %“ haben (Guggenheim Bilbao. Albertina Wien).
Mit Hinweis auf das Museumsquartier Wien empfiehlt das Papier die Schaffung von „Third Places“, „semi-öffentlicher Räume“, wo der „Kunde mit multidimensionalen Bedürfnissen und nicht ‚nur’ als reiner Kunstkonsument betrachtet werden muss“.
In einem Interview in der Tageszeitung Die Presse (23.10.2008) geht Höffinger so weit, den staatlichen Unterstützungsbedarf um damit ‚nicht wirtschaftliche’ Museen, in Frage zu stellen. Gemessen – wiederum am Eigendeckungsgrad – fordert er Museen, die „ausgeglichen wirtschaften“, das „ist die Startlinie für Kultureinrichtungen. Ein Fass ohne Boden kann sich keiner leisten.“
Im Gespräch macht Höffinger das Interesse von Arthur D. Little deutlich als ‚Positionierung einer Marke’ durch ‚fundierte Äußerungen’ zu „Effizienzsteigerung, Erhöhung der Erlöse, Professionalisierung der Führung in der Kultur“.
Dem Einwand der Interviewerin (Barbara Petsch), dass ja nicht alle Bereiche eines Museums profitabel seien, wie z.B. die Forschung, hält Höffinger entgegen: „Meiner Meinung nach kann sich allerdings keine einzige gesellschaftliche Dimension, einfach weil sie lustig ist oder sagt, bei uns geht das alles nicht, z.B. bei Kennzahlen, aus der Diskussion ausnehmen.“
Stefan Höffinger und damit Arthur D. Little stellen unverblümt die zentrale institutionelle Basis des Museums infrage: Die staatliche Finanzierung und damit den uneingeschränkt öffentlich-wohlfahrtsstaatlichen Charakter des Museums. Basis der Aussagen und Empfehlungen ist ein aggressives neoliberales Verständnis vom Rückzug des Staates und Überlassung nun auch kultureller Institutionen an Private und private Verwertungsinteressen.
Dabei geht man nicht zimperlich vor: Zu erklären wie man zu den statistischen Grundlagen der Aussagen (Besucherzahlen, Nicht-Besucher) kommt, dazu nimmt man sich nicht die Mühe. Die öffentliche Finanzierung wird irreführend als Subventionen bezeichnet. Indem man von Subvention spricht, kann man leichter deren Sinnhaftigkeit im Ganzen wie in Teilbereichen infrage stellen, mit dem scheinbar stimmigen Argument, auch der Staat müsse sparsam sein.
In nationalstaatlich verfassten Demokratien wird der Staat als ‚Wohlfahrtsstaat’ insofern verstanden, als er allen Bürgern Leistungen zur Verfügung stellt, die ihrem Wohl dienen – von der Wasserversorgung bis zu den Schulen, vom Verkehr bis zu den Theatern und Museen. Dies muss Rentabilitätsdenken und Gewinnabsichten entzogen sein, weil das übergeordnete Ziel Bildungs- und Sozialisierungsprozesse sind. Diese sind noch dazu, beim Museum als Formen der Selbstrepräsentation und Selbstreflexion Bestandteil der demokratischen Kultur, des Ausverhandelns von Identitäten, der Projektion von Zukunftsentwürfen, des Deutens der Vergangenheit, der Reflexion des Andren, des Fremden, ja unter Umständen des Feindes. Darin liegt die zutiefst zivilisierende Funktion des Museums.
Die Empfehlungen sind Teil einer im großen Maßstab, ‚global‘ wie wir wissen, betrieben Ökonomisierung, die Zug um Zug alle Bereiche des Öffentlichen durchdringen möchte oder z.T. schon ‚erfolgreich’ durchdrungen hat, etwa das Gesundheitswesen oder die Universität. Während dort aber immer wieder Konflikte und Debatten entstehen – wie jüngst um die ‚Bologna-Universität‘ -, und so auf das Problem aufmerksam machen und sich dabei immer auch Optionen auf Alternativen abzeichnen, gibt es diese Debatten beim Museum kaum. Welche Krise? kann der Präsident zum Beispiel des Deutschen Museumsbundes fragen. Wenn der Repräsentant einer international agierenden und namhaften Beratungsfirma das steuerfinanzierte wohlfahrtsstaatliche Museum kritisiert ist eigentlich Widerstand angesagt. Auch deswegen weil die Motive dafür – vorgetragen als Sorge um die staatlichen Finanzen – alles andere als selbstlos ist. Der herbeigeredete Zustand ist die Stunde der Berater…
Arthur D. Little konstatiert einen „Trend“ zur Erhöhung der Eigenfinanzierung, zur Reduktion der Abhängigkeit von „öffentlichen Subventionen“ und zum „unternehmerischen Handeln“. Gestützt auf eine Untersuchung von „in Europa führenden Museen“ wird der Museumsinsel ein neunter Rang zugewiesen – aufgrund eines einfachen Rankings der Besucherzahlen. Als weitere Indikatoren werden jene Besucher, die mindest einmal im Jahr ein Museum besuchen, im Ländervergleich bewertet. Wenn der „Studienleiter“ Stefan Höffinger aus den Zahlen schließt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen in den „letzten zwölf Monaten kein einziges Mal ein Museum besucht“ hat, dann leitet er daraus die Forderung ab, mit einem „attraktiven inhaltlichen Angebot“ die „Erschließung neuer Erlös- und Ertragsquellen“ zu bewirken.
Denn: „Die Bedeutung der öffentlichen Hand in der Kulturförderung geht zurück“. Deshalb müssten „eigene Mittel“, vom Verkauf von Eintrittskarten bis zum Merchandising, akquiriert werden. Dies wird im Text als „unternehmerisches Handeln“ und „Professionalisierung“ bezeichnet und diejenigen Institute als „beste“ hervorgehoben, die eine Eigenfinanzierungsquote von „bis zu 75 %“ haben (Guggenheim Bilbao. Albertina Wien).
Mit Hinweis auf das Museumsquartier Wien empfiehlt das Papier die Schaffung von „Third Places“, „semi-öffentlicher Räume“, wo der „Kunde mit multidimensionalen Bedürfnissen und nicht ‚nur’ als reiner Kunstkonsument betrachtet werden muss“.
In einem Interview in der Tageszeitung Die Presse (23.10.2008) geht Höffinger so weit, den staatlichen Unterstützungsbedarf um damit ‚nicht wirtschaftliche’ Museen, in Frage zu stellen. Gemessen – wiederum am Eigendeckungsgrad – fordert er Museen, die „ausgeglichen wirtschaften“, das „ist die Startlinie für Kultureinrichtungen. Ein Fass ohne Boden kann sich keiner leisten.“
Im Gespräch macht Höffinger das Interesse von Arthur D. Little deutlich als ‚Positionierung einer Marke’ durch ‚fundierte Äußerungen’ zu „Effizienzsteigerung, Erhöhung der Erlöse, Professionalisierung der Führung in der Kultur“.
Dem Einwand der Interviewerin (Barbara Petsch), dass ja nicht alle Bereiche eines Museums profitabel seien, wie z.B. die Forschung, hält Höffinger entgegen: „Meiner Meinung nach kann sich allerdings keine einzige gesellschaftliche Dimension, einfach weil sie lustig ist oder sagt, bei uns geht das alles nicht, z.B. bei Kennzahlen, aus der Diskussion ausnehmen.“
Stefan Höffinger und damit Arthur D. Little stellen unverblümt die zentrale institutionelle Basis des Museums infrage: Die staatliche Finanzierung und damit den uneingeschränkt öffentlich-wohlfahrtsstaatlichen Charakter des Museums. Basis der Aussagen und Empfehlungen ist ein aggressives neoliberales Verständnis vom Rückzug des Staates und Überlassung nun auch kultureller Institutionen an Private und private Verwertungsinteressen.
Dabei geht man nicht zimperlich vor: Zu erklären wie man zu den statistischen Grundlagen der Aussagen (Besucherzahlen, Nicht-Besucher) kommt, dazu nimmt man sich nicht die Mühe. Die öffentliche Finanzierung wird irreführend als Subventionen bezeichnet. Indem man von Subvention spricht, kann man leichter deren Sinnhaftigkeit im Ganzen wie in Teilbereichen infrage stellen, mit dem scheinbar stimmigen Argument, auch der Staat müsse sparsam sein.
In nationalstaatlich verfassten Demokratien wird der Staat als ‚Wohlfahrtsstaat’ insofern verstanden, als er allen Bürgern Leistungen zur Verfügung stellt, die ihrem Wohl dienen – von der Wasserversorgung bis zu den Schulen, vom Verkehr bis zu den Theatern und Museen. Dies muss Rentabilitätsdenken und Gewinnabsichten entzogen sein, weil das übergeordnete Ziel Bildungs- und Sozialisierungsprozesse sind. Diese sind noch dazu, beim Museum als Formen der Selbstrepräsentation und Selbstreflexion Bestandteil der demokratischen Kultur, des Ausverhandelns von Identitäten, der Projektion von Zukunftsentwürfen, des Deutens der Vergangenheit, der Reflexion des Andren, des Fremden, ja unter Umständen des Feindes. Darin liegt die zutiefst zivilisierende Funktion des Museums.
Die Empfehlungen sind Teil einer im großen Maßstab, ‚global‘ wie wir wissen, betrieben Ökonomisierung, die Zug um Zug alle Bereiche des Öffentlichen durchdringen möchte oder z.T. schon ‚erfolgreich’ durchdrungen hat, etwa das Gesundheitswesen oder die Universität. Während dort aber immer wieder Konflikte und Debatten entstehen – wie jüngst um die ‚Bologna-Universität‘ -, und so auf das Problem aufmerksam machen und sich dabei immer auch Optionen auf Alternativen abzeichnen, gibt es diese Debatten beim Museum kaum. Welche Krise? kann der Präsident zum Beispiel des Deutschen Museumsbundes fragen. Wenn der Repräsentant einer international agierenden und namhaften Beratungsfirma das steuerfinanzierte wohlfahrtsstaatliche Museum kritisiert ist eigentlich Widerstand angesagt. Auch deswegen weil die Motive dafür – vorgetragen als Sorge um die staatlichen Finanzen – alles andere als selbstlos ist. Der herbeigeredete Zustand ist die Stunde der Berater…
Sonntag, 7. Februar 2010
Kleine Kritik an kleinen Museen
„Es war schon immer so. Um 1480.“
Vorschlag für eine Objektbeschriftung von Frank Jürgensen
Kleine, nichturbane, oft ehrenamtlich betriebene Museen sind hierzulande der am weitesten verbreitete Museumstyp. Er speist mit seiner Verbreitung statistisch den Museumsboom und kann mit der Summe seiner Besuche mit der großer Museen wetteifern.
Dennoch genießt er wenig öffentliche Aufmerksamkeit und kaum museologisches Interesse, mit Ausnahme vielleicht durch die Volkskunde, für die er wegen des Themenspektrums, des Gegenstandsbereiches und, im bescheidenen Umfang, als berufliches Betätigungsfeld ein Thema ist.
Diese Museen zeichnen sich (sieht man von hochspezialisierten monothematischen Sammlungen ab) durch große Vielfalt der Sammlung aus sowie stereotype Sammlungsschwerpunkte und häufig identische Präsentationsweisen eines überwiegend lokalen geografisch-geschichtlichen Horizonts. Trotz sozial elitärer Formierung (Einzelinitiativen von Sammlern, Lokalhistorikern etc. oder politischen Funktionären) sind sie dennoch oft tief und häufig über verschiedene Formen der Partizipation in der lokalen Community verankert.
Viele dieser Museen bedienen sich ein- und derselben Fokussierungen der Repräsentation: in schematischer räumlicher Disposition der Ausstellungen finden wir immer wiederkehrende Themen: lokale Natur, Religiosität (fast immer die katholische), Brauchtum als Inbegriff von Tradition, Ursprungsgeschichten in erd- oder frühgeschichtlicher Erzählung, ländlich-bäuerliches Alltagsleben, Brauchtum und Arbeitswelt, von dieser wiederum meist nur das Handwerk (als ‚Zünfte’), bürgerliche Lebenswelt (meist nur die des 19. Jahrhunderts), Gerichtsbarkeit, Herrschaft (diese meist in Form essentialistischer Faktizität).
Das Vergangene wird nahe an der vertrauten Lebenswelt – und so als Heimat – repräsentiert (viele dieser Museen führen ja auch den Namen ‚Heimatmuseum’), mit Hilfe von Objekten, die als ‚Werte an sich’ in stereotype Erzählfragmente und Deutungsmuster integriert werden. Die Vergangenheit wird als Abgeschlossenes behandelt, das in musealer Rückschau betrachtens- und erhaltenswert erscheint. Das Fehlen einer Dialektik Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft, und damit der Mangel an Bildung historischen Sinns über Erfahrung von Zeitdifferenz, verbietet von historischen Museen zu sprechen. Im Gegenteil, oft stellt sich ein heimlich-unheimliches Gefühl der Wiederkehr des Immergleichen ein.
Solche Museen sind allenfalls Mediator einer selektiven lokalen Erinnerungskultur, die das zu bedienen scheinen, was ihnen so gerne – von ihren Gründern und Betreibern, von Vermittlern und Besuchern -, zugesprochen und abverlangt wird: ‚Identität zu stiften’.
Aber im Gegenteil: Da diese Museen zeitliche, räumliche und kulturelle Differenzerfahrung peinlichst vermeiden, erscheint Identität meist in Gestalt einer entgeschichtlicht-entzeitlichen und verdinglichtigten Unwandelbarkeit. Heimatliche Nahwelt erscheint wie eine zweite Natur - von intentionaler, von Interessen, Wünschen oder Hoffnungen geleiteter sozialer Praxis nicht berührt und berührbar, als ‚Essenz’, die uns emotionales Einverständnis abfordert und beruhigend anbietet.
Alles Widersprüchliche, Widerständige, Konfliktträchtige, Sperrige bleibt ausgeklammert (Minderheiten, nichtkatholische Religionen, soziale Konflikte, die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, die Verschränkung von ‚Welt’ und ‚Heimat’ uvam.), hat in diesen Museen, mit raren Ausnahmen, keinen Platz. Selbst wenn auffallend oft Elend, Armut, das Leben von Unterschichten thematisiert wird, kann man sich fragen, ob hier nicht eine Kontrasterfahrung vermittelt werden soll, die die fragmentarische sozialstaatliche Kittung sozialer Widersprüche und Konflikte heute als glanzvollen und befriedenden Fortschritt feiern helfen soll. Über Kontinuitäten und Ursachen sozialer oder politischer Konstellationen und Konflikte, werden wir hier sicher nichts erfahren, und somit nichts über mögliche Lösungen, Auswege, Utopien.
Selbst wenn vermehrt Industrialisierungsprozesse thematisiert werden (meist begrenzt auf die des 19. Jahrhunderts und sehr selten die der Gegenwart einschließlich ihrer Arbeits(losen)welt), Tourismus, die besondere Lebens- und Arbeitswelt von Frauen, die beiden Weltkriege (ohnehin meist nur in Form von Trophäen präsent) uam., kann man davon ausgehen, daß solche Themen harmonisiert, entschärft und in ihrem Erfahrungspotential gnadenlos verstümmelt vorgeführt werden.
Nicht genug damit daß das Museum als solches schon strukturell konservativ ist (als Medium, als Erzählung, als Sammlung scherinbar ‚sprechender Dinge’…), diese Museen sind es zu oft auch ideologisch: in der Wahl der Sammlungsschwerpunkte, in der Zuweisung und Ausklammerung von Bedeutungen, im Verzicht, die zweifellos und vielfach vorhandene Dialektik von Gegenwart und Vergangenheit, zu thematisieren.
Erschienen in: Neues Museum, Nummer 4, 2008, S.2-7
Samstag, 6. Februar 2010
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum (Was ist ein Museum 03)
Die selbstbewußte Feststellung des Indian Museum in Kalkutta, das neuntälteste Museum der Welt zu sein, hat uns zu der Frage geführt, welches denn das erste wäre und in der Folge zu einer kleinen Studiensammlung von ‚Ersten Museen’, was wiederum schnell gezeigt hat, daß ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens über einen sehr langen Zeitraum hinweg bezeichnet. Ein einziges Wort, um den humanistischen Wissensraum und das nationale Sammlungs- und Schaumuseum zu bezeichnen? Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch noch ganz andere Dinge bezeichnet. Es hat mythologische, religiöse, wissenschaftliche oder zum Beispiel literarische Konnotationen.
Und dann: es ‚passt’ nicht. Es deckt gar nicht die moderne Idee des allgemein zugänglichen Sammlungsortes ab, den eine Gesellschaft in repräsentativer und diskursiver Absicht einrichtet und unterhält.
Deswegen kommt es am Beginn des 19. Jahrhunderts, also zu dem Zeitpunkt wo sich dieses neue Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt, zu einer Kritik des Begriffs. Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München verzichtet man auf ihn und wählt das Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen Museum in Berlin (heute: Altes Museum) beginnt man sich zu fragen, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. Es kommt zu einem kurzen gelehrten Disput in die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals.
Man entscheidet sich dennoch für ‚Museum’, um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine ‚ältere’ Bedeutung des griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese Bedeutung zu erläutern.
Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung der staatlichen Sammlung und des nationalen Museums bereits der Weg geebnet.
Aber ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, noch einmal eine wichtige für die ab nun usuelle Bezeichnung war, und zwar, weil es sich um den ersten Museumsbau (Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedetenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
Ist die Geschichte damit zu Ende?
Keineswegs. Denn was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? Warum die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum übersetzte man dieses Wort (entgegen der Wortbedeutung) so ins Deutsche: Ruheort (nämlich der Kunst)?
FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII - Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828.
Fortsetzung folgt.
Und dann: es ‚passt’ nicht. Es deckt gar nicht die moderne Idee des allgemein zugänglichen Sammlungsortes ab, den eine Gesellschaft in repräsentativer und diskursiver Absicht einrichtet und unterhält.
Deswegen kommt es am Beginn des 19. Jahrhunderts, also zu dem Zeitpunkt wo sich dieses neue Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt, zu einer Kritik des Begriffs. Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München verzichtet man auf ihn und wählt das Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen Museum in Berlin (heute: Altes Museum) beginnt man sich zu fragen, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. Es kommt zu einem kurzen gelehrten Disput in die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals.
Man entscheidet sich dennoch für ‚Museum’, um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine ‚ältere’ Bedeutung des griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese Bedeutung zu erläutern.
Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung der staatlichen Sammlung und des nationalen Museums bereits der Weg geebnet.
Aber ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, noch einmal eine wichtige für die ab nun usuelle Bezeichnung war, und zwar, weil es sich um den ersten Museumsbau (Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedetenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
Ist die Geschichte damit zu Ende?
Keineswegs. Denn was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? Warum die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum übersetzte man dieses Wort (entgegen der Wortbedeutung) so ins Deutsche: Ruheort (nämlich der Kunst)?
FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII - Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828.
Fortsetzung folgt.
Freitag, 5. Februar 2010
Glasmurmeln und Kanu
Für manche der schönste belletristische Museums-Text überhaupt - die Passagen aus dem 1951 erschienen Roman Der Fänger im Roggen, in denen der Besuch des Helden des Buches, des 16-jährigen Holden Caulfield, im Museum of Natural History New York geschildert wird. Aus Anlass des Todes des Autors, Jerome David Salinger, hier ein kleines Memorial...
Foto: Schulklasse vor dem indianischen Kanu, 1911 (Foto: MNH New York)
... Der Fußboden war durchgehend aus Stein, und wenn man Murmeln in der Hand hatte und sie fallen ließ, sprangen sie wie verrückt über den ganzen Fußboden und machten einen Heidenlärm, und dann ließ die Lehrerin die Klasse anhalten und ging zurück, um zu sehen, was denn los war. Aber Miss Aigletinger, die wurde nie sauer. Dann kam man an einem ganz langen indianischen Kriegskanu vorbei, das ungefähr so lang war wie drei verfluchte Cadillacs hintereinander, mit ungefähr zwanzig Indianern drin, manche paddelten, manche standen aber auch bloß da und machten einen auf hart, und alle hatten sie Kriegsbemalung im ganzen Gesicht. Hinten im Kanu saß ein sehr gruseliger Typ, der hatte eine Maske auf. Das war der Medizinmann. Bei dem lief's mir kalt den Rücken runter, aber ich mochte ihn trotzdem. Noch was, wenn man im Vorbeigehen eins der Paddel oder was anfasste, sagte einer der Wächter zu einem: »Fasst bitte nichts an, Kinder«, aber das sagte er immer mit einer netten Stimme, nicht wie ein verfluchter Polizist oder was. ...
Foto: Schulklasse vor dem indianischen Kanu, 1911 (Foto: MNH New York)
Feindberührung - Kriegertod
In der heutigen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (auch online) findet sich ein bemerkenswert prägnanter Essay zur Repräsentation des Kriegertodes und zu der gesellschaftlicher Gewalt des Schriftstellers Thomas Hettche. Er analysiert das neue Ehrenmal auf dem Gelände des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin, stellt die Frage nach der Repräsentierbarkeit des Soldatentodes und verknüpft sie mit der nach der Legitimität und den Konsequenzen des derzeitigen Einsatzes der Bundeswehr im Ausland.
Dabei gehe es vor allem um die Definition des Feindes als "unsere eigene Frage als Gestalt" (Theodor Däubler), um die Begegnung mit ihm, die stellvertretend der Soldat 'im Auslandseinsatz' vollzieht. Und um eine Utopie "es lasse sich diese Begegnung vermeiden und die Zone des Gewaltverbots in der westlichen Zivilisation immer weiter ausdehnen." Von dieser Begegnung kehrt der Soldat wieder als einer der entweder getötet hat oder getötet wurde. In dier Heimkehr "erfährt die Gesellschaft sich selbst als eine, die den Tod zu geben und zu fordern vermochte, erfährt an dessen Unabänderlichkeit ihre eigene Grenze als absolute Souveränität und, nicht zuletzt, als Schuld. Das ist es, wovon das Ehrenmal der Bundeswehr schweigt."
Nicht weit vom Ehrenmal der Bundeswehr findet man den Pergamonaltar: "Dadurch, dass jeder der Sterblichen, der dort stirbt – zertreten, durchbohrt, gewürgt oder zerrissen –, im Moment seines Sterbens aus der Dichotomie von Freund und Feind herausgelöst wird, wird er wieder zu einem Einzelnen, der keiner Armee mehr angehört, ist in seinem individuellen Tod allein und ergreift uns gerade in dieser Einsamkeit." (...) Deshalb "gewährt der Pergamonaltar die Einsicht, worin einzig das Glück angesichts des Krieges bestehen kann: sich nicht ergreifen lassen zu müssen von der Gewalt."
Dabei gehe es vor allem um die Definition des Feindes als "unsere eigene Frage als Gestalt" (Theodor Däubler), um die Begegnung mit ihm, die stellvertretend der Soldat 'im Auslandseinsatz' vollzieht. Und um eine Utopie "es lasse sich diese Begegnung vermeiden und die Zone des Gewaltverbots in der westlichen Zivilisation immer weiter ausdehnen." Von dieser Begegnung kehrt der Soldat wieder als einer der entweder getötet hat oder getötet wurde. In dier Heimkehr "erfährt die Gesellschaft sich selbst als eine, die den Tod zu geben und zu fordern vermochte, erfährt an dessen Unabänderlichkeit ihre eigene Grenze als absolute Souveränität und, nicht zuletzt, als Schuld. Das ist es, wovon das Ehrenmal der Bundeswehr schweigt."
Nicht weit vom Ehrenmal der Bundeswehr findet man den Pergamonaltar: "Dadurch, dass jeder der Sterblichen, der dort stirbt – zertreten, durchbohrt, gewürgt oder zerrissen –, im Moment seines Sterbens aus der Dichotomie von Freund und Feind herausgelöst wird, wird er wieder zu einem Einzelnen, der keiner Armee mehr angehört, ist in seinem individuellen Tod allein und ergreift uns gerade in dieser Einsamkeit." (...) Deshalb "gewährt der Pergamonaltar die Einsicht, worin einzig das Glück angesichts des Krieges bestehen kann: sich nicht ergreifen lassen zu müssen von der Gewalt."
Donnerstag, 4. Februar 2010
'ndrangheta - Museum in Reggio di Calabria. Das Museum als zivilisatorische Agentur
Was es nicht alles für Museen gibt! Ein 'ndrangheta - Museum, ein Museum, das zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit gegen die kalabrische Mafia bilden und organisieren soll. Gegründet im vorigen Jahr und getragen von der Stadt, Provinz und Region Reggio sowie von der dortigen Universität.
Hochinteressant scheint mir das - ungewöhnlich ausführlich (auf der Webseite) - dargelegte und ambitionierte Konzept.
Der Ausgangspunkt ist der identitätsbildende Wunsch der Zugehörigkeit, und der, so wird argumentiert ist sowohl in der Außenwahrnehmung als in der Selbstrepräsentation mit der 'ndrangheta verknüpft - keine kalabrische Identität ohne diese Organisation.
Dieses doppelt codierte Image Kalabriens, seine Geschichte und sein Mythos, das stellt sich dem Museum als Aufgabe. Sowohl der long term als auch die Synchronizität dieser Geschichte und Mythe liegt im Rechercheinteresse des Museums, aber das Projekt ist wesentlich ehrgeiziger: es geht um den transformierenden und akkulturierenden Prozess, mit dem diese Mythologisierung wirksam wird, vor allem bei der Jugend.
Dabei ist man sich der Tatsache bewußt, daß das Primat der Bekämpfung der kriminellen Organisation bei der Polizei liegt und außerdem, daß es sehr schwierig sei, unter gegenwärtigen ökonomischen und politischen Bedingungen, kulturelle Modelle zu entwickeln, die Enthusiasmus und Zustimmung erzeugen könnten.
Was über das Museum erreicht werden soll, ist offenbar nicht mehr und nicht weniger, als in die Narrationen und Rituale, in die Mythologie und das Geschichtsbewußtsein einer Gesellschaft einzugreifen, um das zu verändern, was - derzeit - 'nicht gesehen wird', gewissermaßen eine Erinnerung an das, was 'wir nicht sind'.
Folgerichtig zieht man in dem Grundsatztext den Schluß, daß eine solche Ambition Folgen für das Selbstverständnis des Museums haben muß. Neu ist das nicht, was man an dieser Stelle liest, aber vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Ziels erscheint der museological turn, den man vollziehen möchte, besonders dramatisch. Im Grunde bedeutet das, daß das Museum eine Art von Gegenöffentlichkeit organisiert mit partiell subversiven Qualitäten aber hoher ethischer Selbstlegitimierung.
Dieses Mission Statement oder ideologisches Grundsatzpapier bleibt erstaunlich - als durchdachte und avancierte theoretische Grundlegung und als gesellschaftspolitische Ambition. Wenn es gegen Schluss heißt, A museum exhibit a society but at the same time it is a product of that same society, dann hat man in Reggio nicht weniger vor, als ein Museum als gesellschaftliches 'Organ' zu implementieren, das diese Logig zumindest auf Zeit oder partiell durchbricht und einen die Gesellschaft verändernden und meliorisierenden 'Zivilisierungsprozess' intiiert.
Das war aber immer schon die zentrale Idee des bürgerlich-aufklärerischen Museums.
PS.: Am 11.3.2010 erschien in der taz ein Interview mit zwei der Initiatoren des Museums, in dem die aktuelle Situation beschriebn wird
Hochinteressant scheint mir das - ungewöhnlich ausführlich (auf der Webseite) - dargelegte und ambitionierte Konzept.
Der Ausgangspunkt ist der identitätsbildende Wunsch der Zugehörigkeit, und der, so wird argumentiert ist sowohl in der Außenwahrnehmung als in der Selbstrepräsentation mit der 'ndrangheta verknüpft - keine kalabrische Identität ohne diese Organisation.
Dieses doppelt codierte Image Kalabriens, seine Geschichte und sein Mythos, das stellt sich dem Museum als Aufgabe. Sowohl der long term als auch die Synchronizität dieser Geschichte und Mythe liegt im Rechercheinteresse des Museums, aber das Projekt ist wesentlich ehrgeiziger: es geht um den transformierenden und akkulturierenden Prozess, mit dem diese Mythologisierung wirksam wird, vor allem bei der Jugend.
This is the framework around the initiative of the Museum of ‘ndrangheta and the functions it will perform: as an archive of memory, it will be a place where the symbolic reach of the ‘ndrangheta phenomenon can be defined with precision; as an economic enterprise, it will be an institution capable of translating a complex subject into several languages; as “center”, the museum will indicate a “permanent emergency”, in order to avoid the silence that surrounds and favours all types of mafia.Worum es sich dabei dreht, ist der Aufbau einer starken Gegenidentität, die, so die These des Museums, deswegen kaum ausgebildet sei, weil die 'gut arbeitende Akkulturierung' der 'ndrangheta sich fast unsichtbar und lautlos bilde und weiterbilde. Die 'ndrangheta werde deswegen weitgehend ignoriert, ja man habe nicht mal richtig Angst vor ihr, stattdessen gäbe es eine 'Vor-Angst', vor allem eine 'Pre-Omerta', eine Verschwörung des Schweigens.
Dabei ist man sich der Tatsache bewußt, daß das Primat der Bekämpfung der kriminellen Organisation bei der Polizei liegt und außerdem, daß es sehr schwierig sei, unter gegenwärtigen ökonomischen und politischen Bedingungen, kulturelle Modelle zu entwickeln, die Enthusiasmus und Zustimmung erzeugen könnten.
Was über das Museum erreicht werden soll, ist offenbar nicht mehr und nicht weniger, als in die Narrationen und Rituale, in die Mythologie und das Geschichtsbewußtsein einer Gesellschaft einzugreifen, um das zu verändern, was - derzeit - 'nicht gesehen wird', gewissermaßen eine Erinnerung an das, was 'wir nicht sind'.
Folgerichtig zieht man in dem Grundsatztext den Schluß, daß eine solche Ambition Folgen für das Selbstverständnis des Museums haben muß. Neu ist das nicht, was man an dieser Stelle liest, aber vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Ziels erscheint der museological turn, den man vollziehen möchte, besonders dramatisch. Im Grunde bedeutet das, daß das Museum eine Art von Gegenöffentlichkeit organisiert mit partiell subversiven Qualitäten aber hoher ethischer Selbstlegitimierung.
In a museum context, the problem becomes this: does an object that is displayed express the logic of those who made it, of those who selected it and decided to exhibit it, or of those who observe it through the glass? Who decides what is important to display? Is a museum an intellectual operation directed at an audience of experts or it can become a centre for the promotion of culture also for the inhabitants of the place? Who owns the copyright for memory? Finding answers to these and other important questions raised in this context means to take part in an International debate. It also means to connect to wider circuits and insert a place into them that is usually “far away”: Calabria. This part of the Mediterranean must not be betrayed in its specificity, it must not be observed through the looking-glass of a superficial modernism that would reject folklore out of hand in the hope of changing what we have been. We have to find ways of narrating ourselves because existing often means to be able to narrate yourself.Fällt damit das Konzept nicht unweigerlich auf die autoritative Perspektivität der meisten Museen zurück? Wie kann es eine derart starke Botschaft entwickeln und vermitteln ohne gleichzeitig nur (s)einen Blick zu verabsolutieren? Hier fällt die Antwort eher zurückhaltend aus.
Greenblatt, the museologist, speaks of a museum that can invite to resonance or wonder. A museum functions, in our opinion, when resonance and wonder are well designed by the curator who has to be aware of the fact that he cannot represent a culture, but that he can offer many possibilities to visitors - to their aesthetic sense, their intelligence, their emotions – that, well combined, can give account of many aspects of a culture.Und wenn dann, als Abschluss, auf Multimedialität gesetzt wird (Multimedialität als etwas, was dem Museum schon immmer inhärent ist und nicht einfach nur als technische Apparatur gemeint), dann spitzen sich die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von Ziel und Mittel zu.
Dieses Mission Statement oder ideologisches Grundsatzpapier bleibt erstaunlich - als durchdachte und avancierte theoretische Grundlegung und als gesellschaftspolitische Ambition. Wenn es gegen Schluss heißt, A museum exhibit a society but at the same time it is a product of that same society, dann hat man in Reggio nicht weniger vor, als ein Museum als gesellschaftliches 'Organ' zu implementieren, das diese Logig zumindest auf Zeit oder partiell durchbricht und einen die Gesellschaft verändernden und meliorisierenden 'Zivilisierungsprozess' intiiert.
Das war aber immer schon die zentrale Idee des bürgerlich-aufklärerischen Museums.
PS.: Am 11.3.2010 erschien in der taz ein Interview mit zwei der Initiatoren des Museums, in dem die aktuelle Situation beschriebn wird
Dienstag, 2. Februar 2010
Montag, 1. Februar 2010
Wenn es ein neuntältestes Museum gibt, muß es auch ein ältestes geben. (Was ist ein Museum? 02)
Wenn es ein neuntältestes Museums der Welt gibt (siehe Blog vom 10. Jänner 2010), dann muß es auch ein ältestes geben. Das neuntälteste behauptete, daß das das British Museum sei (1759 wird dort angegeben, das Jahr der Eröffnung, meist wird 1753 genannt, das Jahr, in dem der Parlamentsbeschluß zur Übernahme der Sammlung Hans Sloane und die Gründung des British museum beschlossen wurde).
Verwirrenderweise gibt es aber viele „älteste Museen“. Ich besitze eine kleine Sammlung von ihnen, das heißt von Museen, die in der museologischen Literatur oder in Lexika als „erste“ genannt werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: in keinem Fall hat sich der Autor die Mühe gemacht, seine Kriterien zu nennen. Es wird forsch drauflos behauptet: „A Côme, le premier musée d’histoire… “ schreibt wie mit Rufzeichen Roland Schaer (1993) in seiner kleinen Museumsgeschichte, oder Donald Preziosi (2003) „…the original Ashmolean, the first public museum in Europe…“. Da wären wir einmal im 16. und einmal im 18. Jahrhundert. Das Britische Museum meldet sich sozusagen selbst zu Wort: The British Museum has the distinction of being the first national, public and secular museum in the world. (Marjorie Caygill: The Story of the British Museum. London 1981). Aber wenn es darum geht, daß Museen sich selbst zum ‚Sieger’ ausrufen, erweitert sich das Spektrum schlagartig. Da findet man dann ein sehr bescheidenes fürstliches Naturalienkabinett in Braunschweig neben den Kapitolinischen Museen in Rom, die sich auf eine päpstliche Denkmalstiftung berufen: „...decretando l’istituzione del più antico museo pubblico del mondo: la Lupa, posta sulla facciata del Palazzo die Conservatori, diventa il simbolo della città...“. (Musei capitolini. Roma 2000). Da sind wir dann sogar schon im 15. Jahrhundert.
Aber mit dem vermutlich mit dem British Museum als ‚erstes’ meistgenannten ‚Museum’, kommen noch mal einige hundert Jahre dazu. Und das ist das Alexandrinische Museion. Der Brockhaus von 1815: „Museum, eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände aus dem ganzen Umkreise der Naturgeschichte und Künste, und in Zimmern und Gebäuden zur Ansicht der Kenner und Liebhaber entweder auf Kosten einer Privatperson oder einer Regierung aufgestellt. Zuerst wurde diese Benennung, die eine Musengrotte, oder einen Musentempel bezeichnet, dem Theile des königlichen Palastes in Alexandrien gegeben, welchen Ptolemäus Philadelphus für die Gelehrten und die Bibliothek bestimmte.“
Bleiben wir gleich einmal bei dem letzten Beispiel. Der Brockhaus legt uns nahe, daß wir die Beschreibung – eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände usw. – mit dem Wort Museum gleichsetzen, das in Alexandria erstmals („zuerst’...) angewendet worden sei. Aber gerade nicht, wie es der Text nahelegt, für eine Sammlung. Das sehr wenige, was man nämlich über das museion von Alexandria weiß, ist, daß es eine Priester-Gelehrtengemeinschaft unter dem Protektorat eines Fürsten war, eine große und legendäre – sowie untergangegangene – Bibliothek mit eingeschlossen. Nirgends gibt es auch nur Die Spur einer Sammlung. Museion bedeutet seit der Gründung der Platonischen Akademie einen Wissensort, der alle Künste und Wissenschaften vereint und der zugleich ein religiöses Zentrum bildet. In dieser Tradition steht auch noch das museion in Alexandria.
Die Stiftung einiger bedeutender historischer Objekte durch den Papst an die Stadt Rom ist nicht mal eine Sammlung, sondern die entsteht erst in einer langen Entwicklung bis definitiv erst nach der Rückkehr von durch Napoleon nach Paris gebrachten Kunstwerken nach Rom ein Museum entsteht.
Die Villa des Gelehrten und Bischofs Paolo Giovio am Comer See enthielt einen Raum, der gelehrten Studien gewidmet war, dessen Ausstattung auf die antiken Musen anspielte und eine Galerie von kopierten Porträts ‚bedeutender Männer’. Interessant ist dieser Ort als ein frühes Besipiel für die Belebung des antiken Musenmythos, der im Mittelalter fast untergegangen war. Aber museion bedeutet hier, wie in Alexandria, ehr noch den Wissensort und nicht so sehr den Ort der Sammlung, geschweige denn der öffentlichen Ausstellung.
Mit dem British Museum scheint es eindeutig zu sein. Staatliche Trägerschaft, also auch staatliche Obsorge für eine Sammlung ohne definierten Zeithorizont und öffentliche Zugänglichkeit – das ist doch ‚unser’ Museum.
Bei genauerem Hinsehen, erweist sich aber der ‚nationale’ Charakter der Gründung als unter Museologen und Historikern umstritten und die tatsächliche Einrichtung des Museums muß eher einer jener überlebten ‚Raritätenkammern’ geglichen haben, wie es sie damals noch viele gab. Über die Unzulänglichkeit der Aufstellung gibt es aufschlussreiche zeitgenössische Quellen. Die Kritik betraf aber vor allem die extrem restriktiv gehandhabte Zugänglichkeit. Lange im Voraus notwendige Anmeldungen, Zulassung nur kleiner Gruppen und miserable Betreuung beim Besuch begleiten durch Jahrzehnte das in Montague House untergebrachte Museum.
Die vier Beispiele genügen, um ein Dilemma sichtbar zu machen. Es gibt vor allem zwei Schwierigkeiten. Das Wort Museum bezeichnet sehr unterschiedliche, untereinander kaum vergleichbare kulturelle Praktiken. Wobei ich hier gar nicht auf Wortbedeutungen eingegangen bin, die kaum oder überhaupt nicht mehr mit ‚Sammlung’ oder ‚Ausstellung’ oder ‚Haus’ in Verbindung zu bringen sind.
Die zweite Schwierigkeit liegt in einem methodischen Zirkel. Für eine historische Untersuchung bräuchte man einen Begriff, der aber wiederum nur aus einer Geschichte von Praktiken und Riten, von Zuschreibungen und Institutionalisierungen gewonnen werden könnte.
Im Grunde sind wir so gescheit, wie nach den vom neuntälteesten Museum provozierten Überlegungen. Aber doch etwas weiter, weil das Problem besser, die Aufgabe als komplexer und anspruchsvoller sichtbar geworden sind. Und weil einige Schlüsselbegriffe in den wenigen zitierten Beispielen aufgetaucht sind: Sammlung, national, Gegenstände, öffentlich...
Fortsetzung folgt.
Verwirrenderweise gibt es aber viele „älteste Museen“. Ich besitze eine kleine Sammlung von ihnen, das heißt von Museen, die in der museologischen Literatur oder in Lexika als „erste“ genannt werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: in keinem Fall hat sich der Autor die Mühe gemacht, seine Kriterien zu nennen. Es wird forsch drauflos behauptet: „A Côme, le premier musée d’histoire… “ schreibt wie mit Rufzeichen Roland Schaer (1993) in seiner kleinen Museumsgeschichte, oder Donald Preziosi (2003) „…the original Ashmolean, the first public museum in Europe…“. Da wären wir einmal im 16. und einmal im 18. Jahrhundert. Das Britische Museum meldet sich sozusagen selbst zu Wort: The British Museum has the distinction of being the first national, public and secular museum in the world. (Marjorie Caygill: The Story of the British Museum. London 1981). Aber wenn es darum geht, daß Museen sich selbst zum ‚Sieger’ ausrufen, erweitert sich das Spektrum schlagartig. Da findet man dann ein sehr bescheidenes fürstliches Naturalienkabinett in Braunschweig neben den Kapitolinischen Museen in Rom, die sich auf eine päpstliche Denkmalstiftung berufen: „...decretando l’istituzione del più antico museo pubblico del mondo: la Lupa, posta sulla facciata del Palazzo die Conservatori, diventa il simbolo della città...“. (Musei capitolini. Roma 2000). Da sind wir dann sogar schon im 15. Jahrhundert.
Aber mit dem vermutlich mit dem British Museum als ‚erstes’ meistgenannten ‚Museum’, kommen noch mal einige hundert Jahre dazu. Und das ist das Alexandrinische Museion. Der Brockhaus von 1815: „Museum, eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände aus dem ganzen Umkreise der Naturgeschichte und Künste, und in Zimmern und Gebäuden zur Ansicht der Kenner und Liebhaber entweder auf Kosten einer Privatperson oder einer Regierung aufgestellt. Zuerst wurde diese Benennung, die eine Musengrotte, oder einen Musentempel bezeichnet, dem Theile des königlichen Palastes in Alexandrien gegeben, welchen Ptolemäus Philadelphus für die Gelehrten und die Bibliothek bestimmte.“
Bleiben wir gleich einmal bei dem letzten Beispiel. Der Brockhaus legt uns nahe, daß wir die Beschreibung – eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände usw. – mit dem Wort Museum gleichsetzen, das in Alexandria erstmals („zuerst’...) angewendet worden sei. Aber gerade nicht, wie es der Text nahelegt, für eine Sammlung. Das sehr wenige, was man nämlich über das museion von Alexandria weiß, ist, daß es eine Priester-Gelehrtengemeinschaft unter dem Protektorat eines Fürsten war, eine große und legendäre – sowie untergangegangene – Bibliothek mit eingeschlossen. Nirgends gibt es auch nur Die Spur einer Sammlung. Museion bedeutet seit der Gründung der Platonischen Akademie einen Wissensort, der alle Künste und Wissenschaften vereint und der zugleich ein religiöses Zentrum bildet. In dieser Tradition steht auch noch das museion in Alexandria.
Die Stiftung einiger bedeutender historischer Objekte durch den Papst an die Stadt Rom ist nicht mal eine Sammlung, sondern die entsteht erst in einer langen Entwicklung bis definitiv erst nach der Rückkehr von durch Napoleon nach Paris gebrachten Kunstwerken nach Rom ein Museum entsteht.
Die Villa des Gelehrten und Bischofs Paolo Giovio am Comer See enthielt einen Raum, der gelehrten Studien gewidmet war, dessen Ausstattung auf die antiken Musen anspielte und eine Galerie von kopierten Porträts ‚bedeutender Männer’. Interessant ist dieser Ort als ein frühes Besipiel für die Belebung des antiken Musenmythos, der im Mittelalter fast untergegangen war. Aber museion bedeutet hier, wie in Alexandria, ehr noch den Wissensort und nicht so sehr den Ort der Sammlung, geschweige denn der öffentlichen Ausstellung.
Mit dem British Museum scheint es eindeutig zu sein. Staatliche Trägerschaft, also auch staatliche Obsorge für eine Sammlung ohne definierten Zeithorizont und öffentliche Zugänglichkeit – das ist doch ‚unser’ Museum.
Bei genauerem Hinsehen, erweist sich aber der ‚nationale’ Charakter der Gründung als unter Museologen und Historikern umstritten und die tatsächliche Einrichtung des Museums muß eher einer jener überlebten ‚Raritätenkammern’ geglichen haben, wie es sie damals noch viele gab. Über die Unzulänglichkeit der Aufstellung gibt es aufschlussreiche zeitgenössische Quellen. Die Kritik betraf aber vor allem die extrem restriktiv gehandhabte Zugänglichkeit. Lange im Voraus notwendige Anmeldungen, Zulassung nur kleiner Gruppen und miserable Betreuung beim Besuch begleiten durch Jahrzehnte das in Montague House untergebrachte Museum.
Die vier Beispiele genügen, um ein Dilemma sichtbar zu machen. Es gibt vor allem zwei Schwierigkeiten. Das Wort Museum bezeichnet sehr unterschiedliche, untereinander kaum vergleichbare kulturelle Praktiken. Wobei ich hier gar nicht auf Wortbedeutungen eingegangen bin, die kaum oder überhaupt nicht mehr mit ‚Sammlung’ oder ‚Ausstellung’ oder ‚Haus’ in Verbindung zu bringen sind.
Die zweite Schwierigkeit liegt in einem methodischen Zirkel. Für eine historische Untersuchung bräuchte man einen Begriff, der aber wiederum nur aus einer Geschichte von Praktiken und Riten, von Zuschreibungen und Institutionalisierungen gewonnen werden könnte.
Im Grunde sind wir so gescheit, wie nach den vom neuntälteesten Museum provozierten Überlegungen. Aber doch etwas weiter, weil das Problem besser, die Aufgabe als komplexer und anspruchsvoller sichtbar geworden sind. Und weil einige Schlüsselbegriffe in den wenigen zitierten Beispielen aufgetaucht sind: Sammlung, national, Gegenstände, öffentlich...
Fortsetzung folgt.
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