Dienstag, 31. August 2010

Spüren Sie die Elemente! Das "Internationale Maritime Museum" in Hamburg

Schiffe. So weit das Auge reicht.
Uniformen. So weit das Auge reicht.
Haben Sie schon mal die Webseite des "Internationalen Maritimen Museums" Hamburg geöffnet ? Kleine Warnung: Es wird Ihnen eine bombastische Musik entgegendröhnen, wie sie Sie nur aus hochpatriotischen Hollywood Blockbustern kennen. Dazu ebenso großartige Versprechungen, was das Museum alles können wird, wenn Sie es besuchen…
Spüren Sie die Elemente! Werden Sie Forscher! Seien Sie wieder Kind!
Mit 30.000 Schiffsmodellen beginnt es. Im obersten Stockwerk, des neun Geschosse hohen, in der Speicherstadt gelegenen Museums. Von dort an gehts Stock um Stock abwärts durch alle nur erdenklichen Themenfelder, Ozeanografie, Schiffahrt, nochmal Schiffsmodelle, diesmal aus Silber und Elfenbein, Bilder und Grafiken von Schiffen, Unmengen davon, Uniformen, Handelsschiffsfahrt, Kriegsmarinen, Militärkaplane zur See, die auch international, Auszeichnungen.
Alles das, dieser gigantische 'Speicher' mit seinen abertausenden Objekten, ist das Resultat privaten und wie es scheint weder finanziell noch thematisch eingegrenzten Sammeleifers. Mit sechs Jahren soll Peter Tamm zu sammeln begonnen haben. Jetzt gilt seine Sammlung als weltweit größte zur Seefahrt.
Ideologisch läßt sich allerdings eine gewisse Neigung zu Militaria mit einer gewissen besonderen Neigung zur NS-Zeit feststellen. Das funktioniert so, daß diese besondere Zeit zu einer nicht besonderen Zeit gemacht wird, eben zu einer wie jede andere. Man rückt sie einfach in einen Gänsemarsch der geschichtlichen Abschnitte ein und neutralisiert damit alle Dokumente. Die heftige Kritik an diesem Umstand, hat den spendablen Hamburger Senat nicht beeindruckt.
So außergewöhnlich der Raum (ein alter Speicherbau) ist, so wenig ambitioniert ist die Ausstellung; wie anders als endlose Serien soll man auch 30.000 Modelle zeigen? Häufung, Reihung sind vorherrschende Prinzipien. Nur nicht genau hinschauen, es ist einfach zu viel, auch wenn Sie sich nachher an der Austernbar zu laben gedenken.
Schiffsmodelle. So weit das Auge reicht.
Erst vor wenigen Jahren wurde das Trumm hingestellt, mit viel Geld aus der Kasse der Stadt Hamburg. Es gibt also Geld in der Stadt für Museen, sagt sich der als Tourist angereiste Laie, erschöpft im untersten Stockwerk angekommen. Ja, sagt Wikipedia, etwa 35 Millionen. "Hinzu kommt," sagt Wikipedia, "dass die für den Beschluss zuständige Senatorin Dana Horáková eine Bekannte Peter Tamms aus jener Zeit ist, als sie beim Axel-Springer-Verlag als Journalistin Karriere machte und Tamm dort Vorstandsvorsitzender war. Das Projekt fand in der Hamburger Bürgerschaft breite Zustimmung. Der Beschluss vom 12. Februar 2004 kam ohne Gegenstimmen und mit Stimmenthaltung der GAL zustande."
Schiffsmodelle. So weit das Auge reicht.
Die Süddeutsche Zeitung ging mit dem frischeröffneten Museum noch böser um, und sprach von fetischhafter Distanzlosigkeit. (25.06.2008) Hier ist Frau Horákóva übrigens nicht "Bekannte", sondern "ehemalige" Angestellte.
"Was man dort nämlich faktisch lernen kann, ist, wer mit 196 Schiffen die meisten Versenkungserfolge in der Geschichte des U-Boot-Krieges vorzuweisen hat und wie toll die Kameradschaft auf einem deutschen Kriegsschiff der Nazizeit war. Sachliche Information besteht aus unkritischer Kolonialgeschichte und ausführlichen Erinnerungen der kaiserlichen Admiralität, deren Ordensnachlass und Hutschachteln dazu noch prunkvoll inszeniert werden. Statt die Gräueltaten der Herrenmenschen in Afrika und Europa zu dokumentieren, beschreibt die Ausstellung lieber in ermüdender Ausführlichkeit die technischen Details von Torpedos und Panzerschiffen."
Ich kann nach meinem Besuch auch nicht viel anderes sagen, als daß es tatsächlich erstaunlich ist, daß dem Militaria-Sammler ein solches Haus errichtet wird und gleichzeitig ein Museum wie das in Altona sichtbare Spuren der Implosion zeigt. Außerdem: eine private Sammlung ist das eine. Ein Museum das andere. Eine Transformation setzt immer einen Bedeutungs- und Funktionswechsel voraus. Es muß plausibel werden, welches öffentliche Interesse eine individuelle Sammlerobsession zu überformen und zu transzendieren imstande ist. Das ist hier nicht oder kaum ins Spiel gekommen und die Notwendigkeit, das Museum (seine Gestaltung, seine Botschaft...), wurde nicht erkannt. Deswegen ist das Museum in weiten Teilen vor allem eins: langweilig.
Auch eine Museumskrise. Aber eine happig kostspielige.

Sonntag, 29. August 2010

Fundsache "Cash Register"

Mit dem National Cash Register der Weltausstellung in New York 1939 wurden laufend die Besucher sichtbar gezählt

Feststellungen (Texte im Museum 99)

Das Museum und seine vergessene Herkunft - Walter Grasskamp (Das Museum lesen 14)

Mir ist es einmal passiert, daß ein Teilnehmer an einem Seminar die gemeinsame Lektüre eines Texte schroff mit dem Hinweis zurückwies, der sei ja schon fast zehn Jahre alt.
Der Text, den ich gerne in Erinnerung bringen möchte (und der, soweit ich sehe, in der museologischen Debatte, selten auftaucht), ist schon dreißig Jahre alt. 
Das Buch von Walter Grasskamp, einem Kunsthistoriker mit journalistischer Berufserfahrung, Museumsgründer und Museumsstürmer, nennt sich im Untertitel eine Sozialgeschichte des Kunstmuseums. (München 1981).
Das Buch ist aber als Kritik der herrschenden (bundesrepublikanischen) Kulturpolitik weit umfassender angelegt und in dieser Hinsicht auch partiell überholt. Auch museologisch hat sich seither unglaublich viel entwickelt und manches, was nicht ganz fugenlos argumentiert ist, läßt sich heute deshalb präziser und differenzierter formulieren.
Das Buch hat auch keine geschlossene 'Erzählung', sondern besteht aus einem Kaleidoskop untereinander verbundener Kapitel, setzt mit museumsgeschichtlichen Ausführunge ein, widmet sich einer - breit verstandenen - Kunst- und Kulturvermittlung, kommt auf eine damals virulente Debatte einer nationalen Kunstgalerie zu sprechen,  auf die Dialektik von Hauptstadt und Provinz sowie auf die "kulturelle Verelendung".
Sicher, der Vorbehalt, das Buch sei ja dreißig Jahre alt, trifft so manche seiner Passagen, aber das Programmatische an ihm und viele Themen sind so wenig erledigt, wie nur etwas. Trotz einer wachsenden museumsgeschichtlichen Forschung mangelt es noch immer eklatant an einer geschichtsbewussten und - wie bei Grasskamp - kulturpolitisch und soziologisch kontextualisierten Museumsdebatte. So reich an Themen, Motiven und Fragen eine rasant bommende Museologie auch ist, es ist eine über weite Strecken geschichtsvergessene Disziplin, erstaunlich angesichts der strukturellen und immanenten Historizität der Institution.
Grasskamp beklagte in der Einleitung zu seinem Buch etwas, was heute so aktuell ist wie je - daß die Museumsverantwortlichen den tiefgreifenden Wandel der Institution nicht beschreiben könnten, weil sie nicht die "Geschichtlichkeit ihrer Institution und ihrer Aufgaben" begriffen. "Ein erstaunlicher Mangel" bei einer institution, "die der Vermittlung von Geschichtsbewußtsein dienen sollte." (...) "Dabei verdiente die Geschichte der Institution durchaus mehr Interesse als die Sammlungen."
In den Kapiteln, in denen die Transformation der fürstlichen Sammlungen in das bürgerliche Museum beschrieben werden, finden sich, trotz einfacher Linienführung der Argumentation, bis heute standhaltende Beobachtungen. Grasskamp hat damit ein Fundament einer (deutschsprachigen) Museumshistoriografie und -soziologie gelegt, deren Anregungen entweder so gut wie nie mehr aufgegriffen oder als fragmentierte Teilprobleme in disziplinärer Arbeitsteilung um ihre Brisanz gebracht wurden. So wie etwa in der Besucherforschung kaum noch ein Bewußtsein von der öffentlichen Funktion von Museen vorhanden ist, um nur ein Beispiel zu nennen.
Man versteht Museen nicht nur nicht ohne deren Geschichte, man kann auch schwer Transformationen ihrer Funktionen und Bedeutungen analysieren, ohne die Geschichtelichkeit der Probleme anzuerkennen. Vor allem aber kann man kaum eine Idee eines wünschbaren und künftigen Museums, es sei denn eine vollkommen dezisionistisch, entwickeln, wenn man sich nicht der Ideen- und Sozialgeschichte des Museums stellt.
Museen "verdanken ihre Existenz der Tendenz aller Systeme, sich selbst am Leben zu erhalten. Sie haben sich längst als Bürokratien verselbständigt und die Zwecke ihrer Arbeit zu bloßen Mitteln ihres Fortbestehens  pervertiert." (Bazon Brock)
Möglich daß der Autor selbst auf das vor so langen Jahren und in einem scheinbar 'fernen' kulturpolitischen Umfeld entstandene Buch nur noch freundlich-skeptisch zurückblickt. Als Kompendium, das das museologische Geschichtsbewußtsein stärkt ist es unbedingt immer noch lesens- und empfehlenswert.

So fing es an... (Texte im Museum 98)

Maritimes Museum Hamburg

Knappe Zeiten - Hamburger Museumskrise

So macht das Altonaer Museum auf seine durch Sparzwang offenbar extrem triste Situation aufmerksam:

Freitag, 27. August 2010

Ich über mich (Texte im Museum 97)

Museum für Völkerkunde Hamburg

Sommerakademie 2010









































Einige Bemerkungen zur Sommerakademie haben mich veranlasst, Julia Debelts, freie Ausstellungsmacherin und Teilnehmerin, zu bitten, ausführlicher über Ihre Erfahrungen mit der diesjährigen Sommerakademie zu schreiben:

Die Ankündigung der Sommerakademie liest sich interessant. Ich stelle mir vor, sie behandelt das Verhältnis von Museum und Text mal grundlegender als gewöhnlich, also ohne Grammatik und Hierarchie, Zeilenlänge und Lesehöhe. Keine Schreibwerkstatt, steht in der Ankündigung. Das könnte heißen: a) keine Schreibwerkstatt à la Drosendorf und b) dass keine Museumstexte um-, neu oder besser geschrieben werden. Gut so.
Die Fotos sehen vielversprechend aus, Sommer, gutes Wetter, ein bisschen Schloss, Liegestühle, gruppenorientiertes Arbeiten. Auch das Programm klingt gut, interessante Leute, interessante Museen, über das Projekt wissen&museum wollte ich immer schon mal mehr wissen. Ich vermute, dass sich hauptsächlich am Diskurs interessierte Praktiker und ein paar zurzeit Promovierende anmelden werden. Beim Stöbern in den Ankündigungen und Programmen der vorhergehenden Sommerakademien entdeckte ich das Veranstaltungsschema wieder, oft auch die gleichen Referenten, die Generalthemen sind grundsätzlich ähnlich. Hat sich also wohl in dieser Form bewährt.

Die Sommerakademie ist immer auch ein bisschen wie Urlaub, hast du gesagt. Immerhin liegt sie am Rande des Hochsommers, unglücklicherweise aber ohne Abstimmung mit den niedersächsischen Sommerferien. An deren Ende sind nämlich gerade alle aus den Urlauben zurück und fangen das Arbeiten wieder an; ein paar EU-Abrechnungstermine-Termine liegen außerdem im September, so dass im August hektisches Berichte-Schreiben und Abrechnen ansteht, auch bei uns. Ich reiche meinen Antrag auf freie Tage für den Sommerakademie-Besuch in der Agentur ein, stehe dem aber gleichzeitig sehr skeptisch gegenüber, eine ganze Woche raus…, aber die anderen sagen, das machen wir schon, fahr du nur. Also fahre ich. 

Nachher

Mit Urlaub hatte das wenig zu tun, denke ich nach der Sommerakademie. Das ist einerseits ein persönliches Problem, weil ich Urlaub mit Entspannung und nicht mit der eigentlichen Definition des Wortes, mit berechtigtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz gleich setze; außerdem war es kein Versprechen der Ankündigung. Andererseits las sich das Programm in der Vorankündigung weniger dicht als es tatsächlich war. Vielleicht habe ich in der einen Woche Arbeitszeit zwischen meinem Sommerurlaub und der Sommerakademie auch nur zu viele Nachtschichten gemacht, aber mir fehlte zwischendrin mehr Raum für mich. Auch zum Sacken-Lassen und Verdauen. Viel Transfer passiert normalerweise auch in den Gesprächen im abendlichen Nachgang, - das ging aber nicht, denn da stand Arbeitsgruppenarbeit auf dem Programm, die andrerseits auch wieder viel Spaß gemacht hat.

Erwartet habe ich eine stärkere Konzentration auf das Thema Text. Die Referenten haben sehr stark mit der Frage nach den grundlegenden Texturen gearbeitet, ich hatte die Ausschreibung aber stärker als Frage nach dem Text bzw. der Rolle des Textes in der Textur (einer Ausstellung, nicht eines Konzeptes Museum) verstanden. Das war zwar in den Beiträgen immer wieder auch Gegenstand, insgesamt war  die Akademie aber eher aus einem deduktiven, museologischen Fokus heraus angelegt, was sich bei mir manchmal damit biss, dass ich eher die handfest-konkret-praktischen Themen zum Abarbeiten erwartet habe.

Gut im Sinne von erwartungskonform fand ich z. B. die Exkursion und Fragen wie Was macht Text mit den Ausstellungen? (vor allem bei Roswita Muttenthaler und bei dir). Was ich mir sonst so vorgestellt hatte an Fragen, wurde mir aber oft nicht explizit genug eingeholt, das schwang eher hintergründig mit, war nicht Leitfrage der Beiträge sondern eher so nebenbei. Wie die Frage nach Text als Objekt (auch bei Literaturausstellungen, aber vor allem auch bei objektreduzierten Ausstellungen, die stark über Textobjekte, wie Ursula Gillmann das nannte, funktionieren) und wie es sich verhält mit der Beziehung von Schauen und Lesen (Das hätte ich gerne von Heike Gfrereis noch vertiefter und deutlicher gehabt, fand ich dafür dann bei Ursula Gillmann am Rande, in diese Richtung ein paar Stunden weiter wäre wahrscheinlich viel von dem, was ich erwartete, aufgetaucht.) und überhaupt die Frage von Text und bzw. als Architektur, die irgendwie zu kurz kam, da wäre Till Velten vielleicht noch interessant geworden, das war halt schade, dass er krank wurde.

In der allmählichen Verdichtung beim Schreiben sehe ich, dass das, was ich erwartet hatte, zwar schon (mehr oder weniger deutlich) da war, ich es aber in der Veranstaltung nicht so richtig gemerkt habe. Ich hätte also benötigt, dass mich die erkenntnisleitende Grundströmung mehr in diese Richtung trägt. Ging das nur mir so? Im Verlauf der Sommerakademie hab‘ ich mit einzelnen TeilnehmerInnen gesprochen, von denen sich einzelne auch eher konkrete Textarbeit erwartet hatten; da finde ich dann schon, dass das in der Ausschreibung deutlich ausgeschlossen war. Am Ende war die Zufriedenheit und auch das Glücksgefühl, das man hat, wenn man spannende Fragen bewegt, bei mir (und in der Gruppe, soweit ich das gesehen habe) groß. Interessant fand ich die übrigens die Zusammensetzung der Gruppe, einfach nur, weil ich sie mir anders vorgestellt hatte.

Die besondere Qualität der Sommerakademie, das Anregende, die engagierte Diskussion auch mit den Referenten (was ja im Zwischenfeedback sogar als manchmal zu dominant kritisiert wurde, fand ich aber nicht) und das konzentrierte Arbeiten an einem museologischen Thema über einen längeren Zeitraum, was ja auch Luxus ist und vielleicht vor allem das Besondere ausmacht, versteckt sich in der Ausschreibung gut hinter eher trockenen Worten. Habe ich, wie angekündigt wurde, eine neue Stufe reflektierter Museumspraxis erreicht? Naja, das passt schon. Mindestens hab ich eine schöne Bescheinigung darüber bekommen.

Um abschließend auf deine Frage zurück zu kommen: War die Sommerakademie das, was ich erwartet habe?
Nein, gar nicht. Dazu hatte ich eine viel zu genaue Vorstellung davon, was ich gerne hören wollte. Das macht aber gar nichts. Wenn man sich immer alles so genau vorstellen könnte, wär das ziemlich langweilig.
Und ja, die Sommerakademie war genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte. In einer geschlossenen und konzentrierten Atmosphäre lustvoll über mehrere Tage an einem museologischen Thema zu arbeiten, ist einfach toll, anregend, inspirierend …


Donnerstag, 26. August 2010

Fußnote (Texte im - vorm - Museum 97)

Text im Freigelände vor der "Ballinstadt" Hamburg

National Treasure (In eigener Sache)

Der Film "National Treasure" (USA 2004), ein typischer Hollywood-Abenteuerfilm, hat mich wegen seines 'museologischen' Subtextes interessiert. Die Schatzsuche als zentraler Plot gilt hier nämlich nicht nur einem unermesslichen, legendären Schatz, sondern auch der Gründungsgeschichte der Vereingten Staaten Amerikas und der Idee der Demokratie, auf die eine Schatzkarte auf der Rückseite - ausgerechnet - der Unabhängigkeitserklärung hinweist...

Auszug aus dem Text, der nun erschienen ist. Gottfried Fliedl: Eine Frage der Französischen Revolution, beantwortet von Hollywood. Braucht Demokratie Museen?, in: Torsten Meyer, Adrenne Crommelin, Manuel Zahn (Hg,): Sujet Supposé Savoir. Berlin 2010.

"Wenn der Platz der Macht nie definitiv besetzt werden kann, dann heißt das, daß es in einer Demokratie eine permanente Krise der Repräsentation gibt, ein nicht lösbares Problem, das Gemeinsame stabil zu symbolisieren. Sichtbar wird das in einer besonders dramatischen Weise, dort, wo dieser Prozess der Etablierung von Nation und Demokratie gewaltförmig vor sich geht und das bis dahin den Staat symbolisierende „Ding“ beseitigt wird: in der Französischen Revolution wird der König als Bürger Capet auf das Schafott geschickt, aber mit dem physischen Leib wird auch der imaginäre des Königs zerstört und der Schnitt, der geführt wird, geht auch durch die geschichtlich-politische Kontinuität des sozialen Körpers.
Es ist alles andere als ein Zufall, daß parallel zu diesem Prozeß die Debatte um den Bildersturm sich zu einer Politik der Musealisierung wandelt und der Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien zum Gründungsdatum des ersten (Louvre) von mehreren Museumsgründungen der Revolution wird. Es ist als ob der ‚Körper des Königs‘ durch einen ‚Corpus‘ der kulturellen Güter, durch die Sammlungen der Museen, Verkörperungen eigener Art, substituierbar wäre. Jedenfalls wird verständlich, warum ab da, das Museum topografisch, sozial und politisch buchstäblich ‚ins Zentrum‘ rückt. Ins Zentrum der Stadt, ins Zentrum der Nation. Ins Zentrum der Gesellschaft und des Prozesses der Vergesellschaftung.
Der Mangel an Visualisierbarkeit oder Repräsentierbarkeit sucht nach Kompensierung, nach einer ‚Sache‘, von der es scheint, als müssten wir sie stets begehren, um unser individuelles und kollektives Selbst zu garantieren.
Beide Objekte in National Treasure, der materielle Schatz und die Idee der Demokratie als ideeller Schatz (verdinglicht im Dokument), können als Common Objects verstanden werden, beide repräsentieren die Genealogie und (politisch-demokratische) Identität der Nation. Und so wie der Schatz gesucht und gefunden werden will, um eine Verpflichtung der Väter einzulösen, so muß auch die Gründungsidee der Nation ‚wiedergefunden‘ werden, in einer nie endenden Re-Lektüre, einer immer wieder erneuerten Erinnerung ihrer Bedeutung."

Was ist ein Schiff? (Texte im Museum 96)

Altonaer Museum 2010

Das Berliner Weltzentrum des Scheiterns

Einer der bislang schönsten Beiträge zur "Berliner Schlossdebatte": Vier Herren sitzen auf der "leeren Wiese als Monument des Möglichkeitsraums" (Zitat) mitten in Berlin und reden was das Zeug hält. Der Architekt Diébédo Francis Keré aus Burkina Faso, Arno Brandlhuber Professor für Architektur und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und Benjamin Foerster-Baldenius, „darstellender Architekt“ und Mitbegründer des Berliner „Raum­labors.
Matthias Dell vom "Freitag" stellt Fragen, die fröhlich-salopp beantwortet werden. Befreunden mit dem Wiederufbau des Schlosses kann sich da niemand. Zum Trost gibts schräge Ansichten: "Ein Weltzentrum des Scheiterns etwa, das wäre Deutschland angemessen. Sich einzugestehen, dass Berlin einer der Orte ist, von dem die größten Misserfolge der Menschheit ausgegangen sind."

Der Freitag, 26. August 2010.




.

Samstag, 21. August 2010

Ohne Worte (Texte im Museum 95)

Internationales Maritimes Museum Hamburg

Apokalypse Now!?

Durch die Medien geistert seit Tagen eine Studie einer Unternehmensberaterfirma (Kearney), die das Verschwinden vieler Kultureinrichtungen, vor allem von Museen, vorhersagt. Die Rechnung ist einfach: prozentueller Rückgang der Zahlungen der öffentlichen Hand aufgerechnet mit erwartbarer Kostensteigerung + Feststellung eines nahezu gleichbleibenden Aufkommens aus Sponsoring = minus 10% Museen.
Meine Einschätzung ist, daß diese 'Studie' in die Reihe jener Beraterfirmen-Expertisen gehört, in denen genau jene Krankheit diagnostiziert wird, auf deren Heilung die Firma spezialisiert ist. Der Diagnose der Krise des Museums folgt das Angebot zu ihrer Behebung.
Und wie ausnahmslos immer ist der gute Rat solcher Firmen, die Ökonomisierung der Kultur weiter voranzutreiben. Kearny versteht dabei das Museum als Dienstleistungsbetrieb. Hat man dieses Bild vom Museum erst mal verfestigt, kann man ungeniert die Diversifiezierung des Angebots - ohne Rücksicht auf Ziele und Aufgaben des Museums und auf die Sinnhaftigkeit solcher Leistungen - nach Rentabilität suchen: Gastronomie, Einzelhandel, Veranstaltungsservice sind Gelegenheiten, dem Besucher mehr Geld abzunehmen, als nur einen Eintritt.
Als ob das nicht ohnehin schon versucht würde, als ob es nicht recht brauchbare Erfahrungen gäbe, zum Beispiel ab welcher Museums- und Shopgröße überhaupt Gewinne zu erzielen sind, als ob das guter Rat für die überwältigende Mehrzahl der Museen sei, die auf Grund ihrer kleinen Dimension und begrenzten Ressourcen zu solcher Erweiterung des Angebots gar nicht in der Lage sind.
Museen wären sehr schlecht beraten, wenn sie auf diesen Rat hörten. Als öffentlicher, wohlfahrtsstaatlicher Einrichtung muß auf der Finanzierung der öffentlichen Hand bestanden werden und es muß eine aktive und selbstbewußte Auseinandersetzung sowohl mit der staatlichen Zumutung zum sogenannten Sparen (das kein Sparen ist, sondern ein umschichten, ein Paradigmenwechsel in den politischen Zielen) als auch mit der Zumutung seltsamer Beratung stattfinden.
Museen sind dafür aber nicht besonders gut gerüstet, wenn sie selbst mehr und mehr dem Druck, der auf sie ausgeübt wird, dadurch zu entkommen, wenn sie Kriterien betrieblicher Effizienz und ökonomischer Bilanzierung selbst nach und nach ins Zentrum ihres Selbstverständnisses rücken.
Hier findet - nicht von außen erzwungen, sondern intern - ein schleichender Paradigmenwechsel statt, der ein tragendes Strukturelement des Museums betrifft: die staatliche treuhänderische Bereitstellung von Bildung, deren Mehrwert nicht in Geld gegengerechnet werden kann.

Donnerstag, 19. August 2010

Bitte nicht....! (Texte im Museum 94)


Museum für Völkerkunde Hamburg

Mission (impossible)


Wir haben Respekt vor allen Kulturen. Wir verschaffen allen Kulturen Respekt.




Wir sind ein lebendiges Museum, das mit vielfältigen Aktivitäten alle Sinne anspricht.




Wir bieten ein Forum für den partnerschaftlichen Austausch zwischen Menschen aller Kulturen.



Als Welt-Kultur-Archiv sammeln, bewahren und erschließen wir Zeugnisse aller Kulturen, um sie zugänglich zu machen.



Unsere Objekte in ihrer Qualität und Einzigartigkeit sind die unverzichtbare Grundlage unserer gesamten Arbeit.



Wie bieten wissenschaftlich fundierte, verständliche Informationen unter partnerschaftlicher Einbeziehung der Eigensicht der jeweiligen Kultur.



Mit einem qualitätvollen, attraktiven und breit gefächerten Ausstellungs- und Veranstaltungsangebot wenden wir uns an viele unterschiedliche Zielgruppen.




Bei unseren vielfältigen Aktivitäten fühlen wir uns dem Bezug zur Aktualität verpflichtet.




Der wirtschaftliche Einsatz und der Ausbau unserer Ressourcen sind wichtige Bestandteile unserer Arbeit.




Wir sorgen dafür, dass unsere Besucher sich bei uns wohl fühlen und die Nutzer unserer sonstigen Angebote mit uns zufrieden sind.


Text: Leitbild des Museums für Völkerkunde Hamburg (Webseite). Fotos von einem Besuch des Museums August 2010 (GF).

Mittwoch, 18. August 2010

Das Wissen der Mitarbeiter (Texte im Museum 93)



Das Gedächtnis des Herrn Holz. Intervention/Installation von Isi Kunath "A Strong Desire to See the World" im Völkerkundemuseum München, 2010

Das Bürgertum ist am Ende! Wo? In Hamburg!

Museumskrise? - Ein Nebelmeer
Ich sammle hier ja nach und nach Indizien zu zwei Fragen: gibt es so etwas wie eine Museumskrise (wir tappen noch im Dunkeln) und wenn es eine gibt, worin bestünde sie?
Die heutige Ausgabe der WELT hilft uns, indem sie zunächst alarmistisch verlautbart: "In der Musterstadt des deutschen Bürgertums verliert die Kultur den Boden unter den Füßen."
Es gibt aber gleich Entwarnung, denn was da am Beispiel der Museumspolitik recherchiert wurde, entpuppt sich nach und nach weniger als Krise des Bürgertums, noch der Kulturpolitik, ja nicht einmal der Museumspolitik, sondern eher als eine Führungskrise der Kunsthalle. Hier aus Österreich neutral beobachtet gilt jede nur erdenkliche Unschuldsvermutung. Originell an dem Artikel - in Hinblick auf unsere bunte Sammlung "Krise ja oder nein" ist allein, daß hier nachdrücklich die Leitung eines Museums ins Visier gerät, die Ideen- und Visionenlosigkeit der am Museum Verantwortlichen. Das unterscheidet sich erheblich von der Einschätzung, die die Medien am Beginn der Auseinandersetzung der Hamburger Kunsthalle mit der Kulturbehörde hatten (hier dazu in diesem Blog). Wenngleich der Maßstab, den der Autor des Artikels, Hans-Joachim Müller anlegt, auch nicht grade viel zur Analyse beiträgt. Die leicht masochistische Kur empfiehlt jemanden, der imstande sein soll, das Bürgertum zur Kultur (zurück) zu treiben: "Wenn man sieht, mit welchem Erfolg der agile Max Hollein in Frankfurt seine Teams von einem Publikums- und Wissenschaftsereignis zum anderen treibt, dann sieht man zugleich, woran es Hamburg gebricht." Ja?

Montag, 16. August 2010

Vor Kunst wird gewarnt! (Texte im Museum 92)



Kristallwelten Wattens

Streit um David

Zugänglichkeit als Recht und Gemeinbesitz der kulturellen Güter sind zwei strukturelle Merkmale, die das 'wohlfahrtsstaatliche' Modell des Museums als öffentlicher Bildungseinrichtung tragen. Kurios, wenn sich diese öffentliche Verantwortung plötzlich teilt, und miteinander im Clinch liegt, wie jetzt die kommunale und die staatliche - was zwar rechtlich und administrativ einen Sinn macht, aber weit weniger in Hinblick auf die notwendigerweise ungeteilte Idee allgemeiner gesellschaftlicher Verantwortung.
Jetzt streiten die Gemeinde Florenz und der Italienische Staat um den berühmtesten nackten Mann der Kunstgeschichte, der Staat will sich fraglos als Schützer und Besitzer aller bedeutsamen kulturellen Monumente verstehen, die Gemeinde sieht sich als Nachfolgerin der Florentinischen Republik.
Und die sei nun mal Auftraggeber Michelangelos gewesen, der ab 1504 den David schuf.
Worum geht es? Um Geld. Angeblich um 8 Millionen Euro, die jährlich Besuchern des steinernen Mannes abgeknöpft werden (man darf annehmen, allen Besuchern der Accademia, aber wer wird keinen Blick auf den David werfen...?).

Mittwoch, 11. August 2010

Das Museum als Ort der umkämpften und traumtisierenden Erinnerung

Der peruanische Bürgerkrieg kennt nur einen einzigen Erinnerungsort - ein Museum in Ayacucho. Es wurde von Angélica García Mendoza gegründet, die 1983 eine nationale Vereinigung der Familien der Entführten, Verhafteten und Verschwundenen ins Leben rief, die ihrerseits das «Museum der Erinnerung» als privates Museum der Angehörigen gründete, um der Opfer zu gedenken.
Nun soll ein Museum in einer Kaserne, die Zentrums des Terrors und der Folter war, zum Museum werden.
Vielleicht schon in einem Jahr soll ein Museum in Lima eröffnet werden. Eine Kommission unter der Leitung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa bereitet einen Ort vor, an dem die überfällige Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg stattfinden soll.
Hier ist nicht private Initiative im Spiel, nicht einmal peruanische, sondern deutsche Entwicklungshilfe, die die von der peruanischen Wahrheitskommission konzipierte Ausstellung «Yuyanapaq» mit1700 Fotos und rund 15000 Zeitzeugenberichten in einem eigens neu gebauten Museum fortgeführt wissen will. Dieser Intervention von außen begegnet die Regierung in Peru mit Skepsis, das Militär mit Ablehnung. Bemerkensert bleibt, wie hier Museen ins Zentrum der Aufarbeitung von Traumata rücken. NZZ 11. August 2010

Ausstellen gegen Globalisierung und Unrechtssysteme

Potisi - im 17. Jahrhundert eine der größten Städte der Welt
Warum stellen sich Museen nicht den zahllosen großen Gegenwartsthemen? Wären das nicht wichtige Werkzeuge historischer Deutung und Orientierung wie Reflexion?Bemerkenswert: ein berühmtes Museum Moderner Kunst beauftragt drei Künstler und einen Soziologen mit einer Ausstellung, die Globalisierung nicht als leere Wortetikette verwendet, sondern an einem Beispiel recherchiert und repräsentiert.
Und noch bemerkenswerter: «Die Welt befindet sich in einer tiefen Strukturkrise. Es ist an der Zeit, herkömmliche Paradigmen zu hinterfragen», sagt der Leiter des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Manuel Borja-Villel. Neun weitere Ausstellungen mit politischem Inhalt sind bereits geplant, die aktuelle, Principio Potosí, über die die NZZ  vom 5. August 2010 berichtet, beschäftigt sich mit Ereignissen und Verhältnissen, die das Verhältnis Spaniens zu Lateinamerika thematisieren.
Potosí war eine Abbaugebiet von Silber, das weltweit gehandelt wurde und dessen Förderung acht Millionen Indios das Leben kostete. Etwa 20 Künstler in Dubai, Peking, Moskau und London haben recherchiert und setzen sich in der Ausstellung mit dem Thema Globalisierung auseinander, die, so der Museumsleiter, in Spanien mit der Eroberung Amerikas beginne. Mit Konzeptschauen wie dieser will er erreichen, daß sein Haus nicht als Teil eines etablierten Unrechtssystems fungieren soll.

Sonntag, 8. August 2010

Leutasch und Kawi Mura sind jetzt Freunde (Texte im Museum 90)


Freundschaftsabkommen. Ganghofer-Museum Leutasch (2010)

Zugang als Vergünstigung - Zugang als Recht. Der Strukturwandel der Museumsöffentlichkeit. (Was ist ein Museum? 09) (überarbeitet)

Kaiserliche Galerie in der Stallburg, Wien

Die kaiserliche Gemäldegalerie im Belvedere

Der Einschätzung von Aufklärung und Französischer Revolution als Zeit des vollkommen Umbruchs der Museumsidee steht eine andere Sichtweise entgegen. Sie betont die Kontinuität, und führt namentlich fürstliche Sammlungs- und Museumsgründungen des späten 17. und des 18.Jahrhunderts als Beispiele an - als Beispiele einer bereits auf eine breitere Öffentlichkeit berechnete Sammelpraxis und Ausstellungspolitik.
In den meisten Fällen entzaubert ein etwas genauerer Blick auf die tatsächlichen Möglichkeiten, Sammlungen zu besichtigen oder gar zum Studium zu nutzen, den Anspruch auf ein 'öffentliches Museum'. Die Zahl der Besucher war oft auf wenige begrenzt und oft waren mehr oder weniger ausdrücklich untere soziale Schichten ausgeschlossen.
Wo Regelungen fehlen, bestimmten für die Pflege der Sammlung verantwortliche Personen mehr oder minder willkürlich über die Zulassung von Besuchern und darüber ob dies etwas kostete, ob Trinkgeld verlangt wurde oder ob der Zutritt frei war.
Unter diesen Bedingungen läßt sich kaum von einem Aufbruch zu einer neuen Museumsidee sprechen. So lassen sich zwar für die Düsseldorfer Gemäldegalerie, einer zu ihrer Zeit berühmtesten Europas, viele prominente Besucher nennen, denn sie lag sozusagen verkehrsgünstig an diversen Reiserouten und war ein als guter Tipp in Reiseführern ausgwiesen, aber auch hier gab es relativ restriktive Bedingungen der Publikumsnutzung.
Sicher, gegenüber der ehedem übercodierten Begegnung mit dem Schatz oder einer Sammlung in einem höfischen Zeremoniell war die Praxis, ein weitgehend anonymes Publikum zuzulassen, ein Entwicklungsschritt. Was damit möglich wurde, war die wissenschaftliche Beschäftigung, die künstlerische Weiterbildung und die touristische Besichtigung - aber das nur für Wenige.
Öffentlich wird in der museumsgeschichtlichen Literatur in der Regel gleichbedeutend mit Zugänglichkeit verwendet. Und das völlig unabhängig davon, welcher Typ von Sammlung aus welcher Epoche beschrieben wird. Aus der Zugänglichkeit allein (in welchem Umfang auch immer) auf das Vorhandensein von Öffentlichkeit zu schließen, ist zwar gängige Forschungspraxis aber grob irreführend. Im Grunde wird das Wort bloß zur Unterscheidung von unzugänglich und zugänglich verwendet und bloß quantifizierend ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Besucher, den Modus und die Ziele des Besuchs oder Zwecke, die der Sammlungseigner verfolgte. Manchmal hat man den Eindruck, daß schon zwei Besucher eine Öffentlichkeit bilden sollen.
Unterschlagen wird dabei recht großzügig, daß 'Öffentlichkeit' selbst einem zeitlichen Wandel unterliegt und gerade in der Zeit der Aufklärung und bürgerlichen Revolutionen einem dramatischen Funktions- und Bedeutungswandel unterliegt und daß dies eine Zäsur in der Sammlungsgeschichte sein könnte.
Neuland wird tatsächlich dort betreten, wo sich im letzten Drittel des 18. Jahrhundertsphysiokratische Ideen einer für das Staatswesen nützlichen Funktion von Sammlungen durchzusetzen begannen. Dort wo das der Fall war, traten Sammlungen selten ohne begleitende Wissensräume des praktischen Experimentierens oder des theoretischen Diskurses auf, wie etwa in Kassel, oder in der geradezu modellhaften Museumspolitik, die unter der habsburgischen Herrschaft über die Toskana unter Großherzog Leopold betrieben wurde. Hier war sie wie nirgends sonst in eine umfassende verfassungspolitische, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Reform eingebunden.
Auch die habsburgische Museumspolitik in Wien war zu dieser Zeit sehr fortschrittlich, allerdings vorerst nur in Bezug auf eine einzige Sammlung - die Gemäldegalerie.
Ihre Transferierung von der Stallburg in das ehemals von Prinzen Eugen erbaute und bewohnte Schloß Belvedere wurde für eine umfassende Reorganisation genutzt. Man darf sich nicht vorstellen, daß eine fürstliche Sammlung damals ein relativ fest umrissener Bestand von Bildern war, ähnlich einer heutigen Museumssammlung. Bilder wurden erworben, weggegeben, verschenkt, verkauft, getauscht oder zu Ausstattungszwecken an verschiedenste Orte gebracht. Das war in Wien auch noch nach der Eröffnung der Galerie in den 70er-Jahren des 18.Jahrhunderts so und das, obwohl man zuvor eine Generalinventur veranlasst hatte, die erstmals den gesamten habsburgischen Gemäldebesitz erhob.
Was an Wien so interessant und nahezu einzigartig ist, ist die Kombination von expliziter und geregelter freier und kostenloser Zugänglichkeit mit einer Hängung der Sammlung nach damals avancierten Erkenntnissen zur Geschichte der Kunst (vor dem Entstehen einer Kunstwissenschaft).
Der für die Disposition der Sammlung verantwortliche Kupferstecher Christian von Mechel schrieb im ersten Katalog der Galerie: "Der Zweck alles Bestrebens ging dahin, dieses schöne durch seine zahlreiche Zimmer=Abtheilungen dazu voellig geschaffene Gebäude so zu benutzen, daß die Einrichtung im Ganzen, sowie in den Teilen lehrreich, und soviel möglich, sichtbare Geschichte der Kunst werden möchte. Eine solche grosse öffentliche, mehr zum Unterricht noch, als nur zum vorübergehenden Vergnügen, bestimmte Sammlung scheint einer reichen Bibliothek zu gleichen, in welcher der Wißbegierige froh ist, Werke aller Arten und aller Zeiten anzutreffen, nicht das Gefällige und Vollkommene allein, sondern abwechselnde Kontraste, durch deren Betrachtung und Vergleichung (den einzigen Weg zur Kenntnis zu gelangen) er Kenner der Kunst werden kann."
Die Bewertung, wie revolutionär dies war, schwankt, auch die, ob man diese Disposition der Gemälde bereits historisierend nenen kann, aber sicher ging es um eine Vermittlung von Erfahrungen und Kenntnissen an eine breite Öffentlichkeit, die über Zusammenfassung nach Schulen und immanenter chronologischer Ordnung und unter anderem über 'technische' Innovationen wie einheitliche Rahmung und Beschriftung der Gemälde erreicht werden sollte.
Zwar wurde diese Ordnung bald verwässert, aber das offenbar Neue daran wurde vielfach studiert und nachgeahmt. Und es entstand eine breite Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Neuordnung. Mit dem Fortschreiten der kunstgeschichtlichen Erkenntnisse wuchsen nämlich die Ansprüche an solche Sammlungen wie die in Wien rasch, die von einer museologischen Debatte avant la lettre begleitet wurden und ihrerseits auf die Neuaufstellungen von Sammlungen oder Neugründungen von Museen Einfluß hatten. So griff man andernorts, z.B. in Berlin, auf Mechels Disposition zurück, aber nicht ohne Weiterentwicklung seiner Prinzipien.
Während man bezüglich der Beurteilung der Nutzung der Sammlungen durch ein Publikum oft auf Quellen zurückgreifen muß, die aus einer affirmativen Perspektive verfasst wurden, ist es in Wien anders. Reiseberichte, die die 'Gefährdung' der Gemälde durch Besucher bemerken und beklagen, belegen, welche Dynamik diese neue Öffentlichkeit gehabt haben muß. Man stellte tatsächlich Wächter an den Eingang und erließ Verbote, z.B. das Mitnehmen von Stöcken. Das sind Indizien für einen anonymen, nicht oder kaum zensierten 'Massen'besuch, auf den man einerseits 'didaktisch' reagierte (Katalog; Beschriftung), andrerseits disziplinierend (Wächter oder Wärter, also Aufsicht, Hausordnungen; später, in anderen kaiserlichen Kabinetten, kamen noch Veränderungen in der Aufstellung der Sammlung selbst hinzu, die Bewachung und Erläuterung durch Personen weitgehend überflüssig machen sollten).
Reaktionen auf den freizügigen und kostenlosen Zugang zur Wiener Sammlung zeigen klar, daß es aber auch um den 'Skandal' ging, daß offenbar bislang ausgeschlossene soziale Schichten von der 'Einladung' tatsächlich Gebrauch machten. "Dieses Verbot (Stöcke mitzunehmen G.F.) ist sehr billig, man sollte vielen naseweisen Herren, wenn es möglich wäre, auch ihre Finger ablegen lassen. Auch die Kinder sind der Galerie gefährlich; weil sie manchmal mit schmutzigen Fingern die vortrefflichsten Stücke betasten. " (Ein zeitgenössicher Reiseführer).
Das hätte wohl keine Folgen gehabt, wenn nicht der Direktor der Galerie, der Maler Heinrich Füger, selbst Anstoß an der unbeschränkten Zugänglichkeit genommen hätte. Und das gleich in Form eines Schreibens an den Kaiser (1813), in dem er glaubte daran erinnern zu müssen, "daß der öffentliche Einlaß eine Vergünstigung seiner Majestät, aber kein unbedingtes Recht ist. (…) Die willkürliche Zulassung der allergeringsten Volksclassen von der Straße wird dadurch vermindert" (durch Verordnungen, die das Aufsichtspersonal durchzusetzen hätte; G.F. ), "für welche Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen nicht geeignet sind, und den gebildeten Ständen des Publicums wird der Genuß der Gallerie um so viel angenehmer werden, der nur bei geräuschloser Betrachtung der Kunstwerke stattfinden kann..."
Und weiter: "Das Gegenteil" (Von Anstand und Ordnung die in den Kabinetten herrsche; G.F.) "hat eine langjährige Erfahrung bei ehemals aus den besten und humansten Absichten bestehenden unbedingten freyen Einlasse in die Galerie erwiesen (…) Tagwerker und Kellnerburschen, Wäscher- und Kuchelmenscher mit ihren Galanen sowie die gemeinsten Weiber mit halbnackten Kindern gingen aus und ein. Kindergeschrei und Unreinlichkeiten beleidigten öfter die Sinne der Anwesenden."
Das läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Sehr signifikant ist der Satz ganz am Anfang. Hier geht es um genau jene Demarkationslinie, mit der eine Trennlinie zwischen den neuzeitlichen Sammlungspraktiken einerseits und der modernen Museumsidee andrerseits gezogen werden kann. Ist die Zugänglichkeit eine "Vergünstigung" - die gewährt werden kann oder auch eben nicht -, oder geht es um ein "Recht". De jure war es bezüglich der Gemäldegalerie in Wien kein Recht, de facto offenbar ja.
Die Qualität des Museums der Moderne läßt sich genau an diesem Recht festzumachen (erstmals allgemein als Zugang zu Bildung für jedermann in der Französischen Verfassung von 1793 garantiert). Aber nicht allein daran: erst der gemeinsame (staatliche) Besitz und die Vorstellung eines gemeinsamen kulturellen Gutes (in Frankreich: Patrimoine), eines "common object", zusammen mit dem Recht auf (Museums) Bildung machen den Kern der neuen Museumsidee aus. Und dann ist Öffentlichkeit auch keine Vergünstigung mehr für wenige, sondern eine diskursive Sphäre, in der Bildung und Kritik entstehen und zirkulieren kann, auch für die, die Füger unbedingt ausschließen wollte und die bis heute ausgeschlossen blieben, "die allergeringsten Volksclassen".

Selbst über das Fadeste läßt sich schreiben

     
Ein erstaunliches Thema hat sich in die Sonntag-Ausgabe der PRESSE geschmuggelt: Ausstellungsgestaltung. Fast zwei ganze sachkundige Seiten - mit Beispielen und Theoriesplittern -, zu einem Nicht-Thema der Tagespresse unter dem Titel "Selbst das Fadeste läßt sich zeigen". DIE PRESSE, Sonntag, 8. August. S.14/15. Online hier.
Abb.: Dauerausstellung Archäologische Sammlung Eggenberg. Universalmuseum Joannem. BWM Architects

Donnerstag, 5. August 2010

AEIOU (Texte im - vorm - Museum 89)

AEIOU, ein verschlüsselter Wahlspruch Kaiser Friedrich III., für den es mehrere Deutungen gibt, eine davon lautet: Alles Erdreich ist Oesterreich Untertan. Hier in den kremser Weinbergen in der Ausstellung in der aufgelassenen Tabakfabrik Stein von 1986 "AEIOU".

Das Museum als Krankenhaus

Antony Gomley läßt einhundert gusseiserne Abgüsse seines Körpers in der alpinen Region Vorarlbergs aufstellen. Alle in gleicher Meereshöhe, etwas über der Baumgrenze. Kürzlich ist dieses Projekt horizon field gestartet worden.
In hörenswerten und sympathischen Erklärungen fügt Gomley der langen Kette von Museums-Metaphern eine neue hinzu:


"Eine der traurigen Aspekte unserer kulturellen Erfahrung ist für mich, dass wir von der Kunst erwarten, dass sie in Museen lebt. Es ist eine Art Abhängigkeit, wie bei einem Körper im Krankenhaus."



Das Gespräch zum Beispiel hier. (Samt Wanderkarte für Freunde der hochalpinen Begegnung mit den eisernen Gomleys)

Fundsache "Original, in Fraktur"

Ich am Mount Everest (Texte im Museum 88)

Messner Mountain Museum, Sigmundskron (Firmian)