Mittwoch, 21. Juli 2021

Kleine Geschichte des Museums. Teil 01. Das neuntälteste Museum der Welt

 

Beim zerstreutem Recherchieren über irgendetwas, was ich längst vergessen habe, bin ich, wie das halt beim Googeln so passieren kann, auf einen überraschenden Eintrag auf der Webseite eines Museums in Indien gestoßen: „The ninth oldest regular museum of the world, INDIAN MUSEUM, Kolkata, INDIA is the oldest institution of its kind in Asia Pacific region and repository of the largest museum objects in India.“
 
Mir war mir das sympathisch. Wer will in Zeiten, wo selbst der zweite oder dritte Platz - im Abfahrtslauf, bei Deutschland sucht den Superstar, bei den Städten mit der höchsten Lebensqualität, wo auch immer sonst - kaum noch zählt, schon Neunter und auch noch sichtlich stolz drauf sein?
 
Verblüfft hat mich dann aber auch die Sicherheit, mit der da ein ganz bestimmter Platz im Museums-Ranking behauptet wurde, und zwar einer unter den regular museums. Das mit dem regular muß ich beiseitelassen, weil die Webseite keine Auskunft darüber gab, was denn nun regular und was - noch interessanter - nicht regular an einem Museum sein soll.
 
Wenn man exakt ein neuntältestes Museum ist, muss man über die geschichtliche und weltweite Entwicklung des Museums ebenso sicher Bescheid wissen, wie über die Entwicklung des Sammlungswesens, die Errichtung von Museumsbauten oder die Einrichtung von Trägerschaften. Den überall daran könnte ja die chronologische Einstufung und die Plaqtzierung als erstes Museum anknüpfen. 
 
Und wenn man von einem regular museum spricht, muss man über sehr haltbare Kriterien verfügen, einen sicheren Begriff von dem haben, wsa man unter Museum versteht, das Museum (als Idee, als Modell, als Institution) von anderen Institutionen und kulturellen Praktiken unterscheiden können.
 
Vor allem aber man muss wissen was ein Museum überhaupt ist. Das heißt, man muss sich einen sehr soliden Begriff vom Museum allgemein gemacht haben. Man muß sich sicher sein, daß es einen eindeutig definierbaren und verbindlichen Museumsbegriff überhaupt gibt gibt und einen ebenso eindeutig feststellbaren ‚Ursprung’, das heißt schließlich auch ein Museum, das unzweifelhaft ein erstes ist.
 
Wenn wir selbst mal uns auf die Suche nach einem ersten Museum machen, wenn wir alle mal alle kurz in unseren Köpfen kramen, werden wir rasch auf ein Durcheinander von Assoziationen und Erinnerungen stoßen, aber kaum auf ein solch eindeutiges Geburtsdatum. 
 
In Lexika und in einschlägigen Publikationen werden wir Angaben finden, die über viele Jahrhunderte hinweg streuen. Da kommt dann das hellenistische Alexandrinische Museum ebenso vor, wie ein privates Museion am Comer-See aus der Mitte des 16.Jahrhunderts oder das Kapitolinische Museum, das sich auf eine Bild-Stiftung des 15. Jahrhunderts beruft oder das British Museum, dessen Gründung 1753 sehr oft als Ursprung der Institution Museum genannt wird, weil hier erstmals ein Staat ein Museum gründet.
 
Das British Museum ist denn auch wirklich die Nummer eins auf der Bestenliste aus Kalkutta, denn freundlicherweise ist der Textinformation der indischen Webseite auch eine Grafik beigegeben, zwar nur etwas größer als eine Briefmarke, aber immerhin mit dem Anspruch, Weltkarte zu sein und mit Einträgen zu den ältesten Museen.
 
 
Die Podestplätze haben diesem museologischen Weltatlas im Bonsaiformat zufolge nach an zweiter Stelle die kaiserliche Gemäldegalerie im Belvedere in Wien inne und das Charleston Museum in Philadelphia.
 
Jetzt könnte ich beckmesserisch sein, und an der Liste rummäkeln. Da ist z.B. das Gründungsdatum des Gewinners falsch. Fehler der Zeitmessung sozusagen, aber macht nichts, es kommen sogar noch sechs Jahre dazu, denn korrekt ist für das British Museum 1753. Dennoch: Der erste Platz ist innerhalb dieses Rankings nicht gefährdet. Auch das Ungarische Nationalmuseum ist mit 1802 falsch datiert, richtig ist 1804.
 
Aber darum geht es gar nicht. Die Frage ist, warum wurden diese Museen ausgewählt, warum wurde nichts in Erwägung gezogen, was früher und sonst noch alles an Institutionen existierte, die das Wort Museum  trugen, warum wird nicht Oxfords Ashmolean Museum oder die Museen, die die Habsburger in Florenz gegründet haben erwähnt. Warum kommen nicht noch ältere Sammlungen vor, etwa die bedeutenden Natursammlungen Italiens? Warum keine fürstlichen? Dreseden? Stockholm? Paris - die königliche Galerie im Palais du Louxembourg. Rom- das Museo Pio Clementino?
 
Kurz gesagt, es wäre interessant, was man in Kolkata/Kalkutta unter „Museum“ versteht.
Aber darauf gibt die Webseite (1) leider keine Antwort. Das Indian Museum weiß es so sicher, sagt aber nichts weiter begründend dazu.

Das Gründungsdatum des Indian Museum ist übrigens der 2. Februar 1814. Es ist das erste Museum Indiens, das ist korrekt und es ist das erste im asiatisch-pazifischen Raum. Anders gesagt, es gehört zu den frühesten Museen, die die Idee des Museums, das in Europa entstand, importiert haben. Und. Es ist eine koloniale Gründung, hervorgegangen aus der ausschließlich von einer britischer Elite 1794ff. gegründeten (und noch bestehenden) Asiatic Society. Viele Mitglieder waren zugleich Wissenschafter und Kolonialbeamte sowie Mitglieder der mächtigen East India Company. 
 
Abgesehen von einigen ganz wenigen Gründungen in den jungen Vereinigten Staaten von Amerika, ist das Indian Museum eins der frühesten Beispiele für den Export der genuin europäischen Idee des Musuems. Wir stoßen hier auf eine doppelte Kolonialisierung. Eine politisch-kulturelle, verkörpert in einer Institution wie der Asiatic Society, und einer museologischen. Das heißt der (beginnenden) Durchsetzung eines Modeölls kultureller Repräsentation, das sich nach und nach weltweit durchsetzen wird und sich insbesonders im Museumsboom der letzten Jahrzehnte (einer überproportional anwachsenden Zahl an Museumsgründungen) durchgesetzt hat.
 
Zurück zur Frage, die das Indian Museum aufgeworfen hat. Warum ist es denn so interessant, welches das erste Museum ist? Die triviale Antwort lautet: weil Ursprünge immer Interesse wecken. Die paradigmatische Frage ist die nach unserem Ursprung - woher komme ich -, biografisch, anthropologisch usw. - woher kommen wir? Eine solche Neugier nach dem woher und warum gibt es auch bei Institutionen, wann entstand der Film, das Kino, die Fotografie, das Theater?
 
Wir werden bei den Versuchen solche Ursprungsfragen zu klären, auch beim Museum auf den Umstand stoßen, daß es Antworten gibt, plausible und weniger plausible, aber keine endgültigen. Etwas rationaler gesagt: Die Frage nach dem Ursprung ist die nach dem Wesen, nach dem Sinn der Institution. Darauf kann man Antworten finden, aber eben nicht nur eine.

Als ich, am Beginn meiner beruflichen Laufbahn, den gewissermaßen unschuldigen Gebrauch des Museums als Ort, wo ich auf Kunst oder Geschichte treffen konnte, verlernte und die reflexive Frage stellte, war es genau die: was ist denn das - ein Museum? Und wann und vor allem: warum entsteht so etwas?

Das Museum in Kalkutta und seine Geschichte geben uns keine Antwort. Aber es provoziert die nötigen Fragen.

Fortsetzung folgt
 
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(1) Die Webseite, von der ich die (Selbst)Einschätzung des Indian Museum als neuntältestes bezogen habe, existiert nicht mehr. Offenbar nutzte die englischsprachige Wikipedia, dieselbe Quelle, weil es dort, als ob es eine Tatsache wäre, als neuntältestes Museum der Welt genannt wird. Hier die aktuelle Webseite des Museums, aufgeschlagen auf der Seite mit den Informationen zu seiner Geschichte.
Die Abbildung zeigt den ersten Sitz der Indian Society. Leider kenne ich die Quelle dieser Darstellung nicht. Es existiert eine andere, detaillierte Ansicht und die stammt von 1828. Das heutige Indian Museum ist in einem im Kolonialstil errichteten großen Museumsbau untergebracht. Es ist das größte und eines der prominentesten Museen Indiens.
 
 

Samstag, 17. Juli 2021

Eine Million „Leser“ des Blogs Museologien

 
 
 
EINE MILLION ZUGRIFFE AUF DEN BLOG MUSEOLOGIEN
Heute wurde auf den seit Ende 2011 bestehende Blog Museologien zum einmillionsten Mal zugegriffen.