Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen
Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes
01 Das Museum ist für alle da
Nein, ist es nicht.
Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung
und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch
gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer
Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei
Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um
50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne
Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer
ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung erzeugen - gestützt auf ein Schul- und
Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes
festlegt.
02 Das Museum sollte für
alle da sein
Nur wenn Museen die
Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren,
ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich
zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig
ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu
beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen
wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische
Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher
eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung
hegemonialer Praktiken.
03 Das Museum ist
demokratisch
Da es normalerweise keinen
formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im
Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel,
Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das
Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen,
die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als
demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann
demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft
ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der
Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das
wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und
Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum
wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“,
das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort
des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu
aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln
würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige
informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende
Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von
Öffentlichkeit.
04 Das Museum ist eine
wissenschaftliche Einrichtung
Museen gelten als
wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im
Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und
Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die
entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die
Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat,
ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche
Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das
Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die
Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus
vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht
sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu
erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer,
museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das
museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen
angekommen.
05 Das Museum ist wichtig,
ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar
Museen haben einen sehr guten
Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und
Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu
Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie
können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken
werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter
und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst,
mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen
können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen:
Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen
nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage
anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht
sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des
Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht
die Museen verschwinden. Was passiert dann?
06 Die Daseinsberechtigung
des Museum liegt in seinen Dingen
Museen pflegen häufig ein
verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem
Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“
er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als
Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als
identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über
sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und
was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die
Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt,
die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre
Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit
ihre Bildungsaufgabe.
07 Das Museum benötigt
Vermittler und Vermittlung
Seit es Sammlungen gibt,
gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit
Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der
Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein
höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“
hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der
repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die
Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung
gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um
1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen
Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch
institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem
Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine
Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der
Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die
ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände
verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell
unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das
Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue
Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast
ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das
verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels,
Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr
notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die
Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler
und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher
oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.
08 Das Museum hat es mit
Vergangenheit und Erinnerung zu tun
Ein Gemeinplatz besagt,
daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche
Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es
daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich
ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue
Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten
Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch
überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen
praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das
unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst
recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein
technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar
und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im
Grunde nie.
Geschichtstheoretisch
stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist
eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim
Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas
Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden
Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“
hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer
ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht,
dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt,
vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge
einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen
zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso
vergessen, wie erinnert wird.
09 Das Museum stiftet
Identität
Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität
stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der
höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu
„bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich
gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem
scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen.
Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten
Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer
etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und
Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein
Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von
Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie
sicher.
Museen, Dinge, stiften
nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine
angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es
tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig,
Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet
oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als
"fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das
Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form
"narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer
Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe
(Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.
10 Das
Museum ist öffentlich
Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum
hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich
ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon
zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen,
nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von
privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter
Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat.
Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts
exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region,
Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum
neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob
er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem
Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand
vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß
das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein
Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die
Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen
Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein
sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich
austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit
hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und
Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter
anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser
Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut
wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität
des Diskurses.
11 Museen sind professionell
Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere)
nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit
der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich
ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die
bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische
Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht,
denn den meisten Museen fehlt es an Professionalität.
Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche
Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele
Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp
und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung
als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die
fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum
Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen
(Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem
Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt
worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter
wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer
Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die
Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement,
Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien
u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es
gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen
vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und
Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.
12 Museen sind fraglos anerkannt
Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch
immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein
Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist
schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen
Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder,
wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und
uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse.
Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis
für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu
besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es
versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de
Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen
der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen
Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich
eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen
des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution
verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem
Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit
der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der
Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das
interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von
Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja
grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da
wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des
Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und
rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter
öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so
nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen
Unrechtsbesitzes ankündigt.
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins
nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es
ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu
sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß
der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“
Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite
Anfang.