Montag, 4. Juni 2018

Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen


Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen

Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes


01 Das Museum ist für alle da

Nein, ist es nicht. Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um 50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung  erzeugen - gestützt auf ein Schul- und Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes festlegt.


02 Das Museum sollte für alle da sein

Nur wenn Museen die Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren, ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung hegemonialer Praktiken.


03 Das Museum ist demokratisch

Da es normalerweise keinen formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel, Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen, die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“, das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von Öffentlichkeit.


04 Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung

Museen gelten als wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat, ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer, museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen angekommen.


05 Das Museum ist wichtig, ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar

Museen haben einen sehr guten Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst, mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen: Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht die Museen verschwinden. Was passiert dann?


06 Die Daseinsberechtigung des Museum liegt in seinen Dingen

Museen pflegen häufig ein verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“ er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt, die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit ihre Bildungsaufgabe.


07 Das Museum benötigt Vermittler und Vermittlung

Seit es Sammlungen gibt, gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“ hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um 1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels, Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.


08 Das Museum hat es mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun

Ein Gemeinplatz besagt, daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im Grunde nie.
Geschichtstheoretisch stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“ hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht, dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt, vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso vergessen, wie erinnert wird.


09 Das Museum stiftet Identität

Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu „bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen. Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie sicher.
Museen, Dinge, stiften nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig, Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als "fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form "narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe (Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.


10 Das Museum ist öffentlich

Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen, nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat. Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region, Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität des Diskurses.

11 Museen sind professionell

Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere) nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht, denn den meisten Museen fehlt es an  Professionalität. Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen (Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement, Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.

12 Museen sind fraglos anerkannt

Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder, wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse. Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen Unrechtsbesitzes ankündigt.   
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“ Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite Anfang.


Sonntag, 3. Juni 2018

Trennung (Texte im Museum 677)

Einer der Texte zugehörig zu: Sophie Calle LÈrouve de Jerusalem 1996 - zu sehen in der Ausstellung "Sag Schibboleth!" im Jüdischen Museum Hohenemens

Dienstag, 29. Mai 2018

Das "Alte Zeiten - Museum" in Hohenems

Die kleine Vorarlberger Stadt Hohenems ist eine Museumsstadt wie keine zweite. Ein Nibelungenmuseum gibt es da, ein Schubertmuseum, ein "Museum auf Zeit", ein Irmgard-Seefried-Museum und nicht zu vergessen natürlich das Jüdische Museum. Das ist eine sehr unvollständige Aufzählung. Statistisch ist Hohenems vermutlich die Gemeinde mit den meisten Museen pro Bewohner in Österreich.
Und jetzt das "Alte Zeiten - Museum". 2016 wurde es gegründet. Und das kam so.
Da wo der Emsbach aus den Bergen kommend langsam flacher wird und sich durch unregelmäßig stehende Häuser schlängelt, verläuft etwa dem Bach entlang die Sägerstraße. Und da steht ein altes Haus. Das verfiel zusehends und niemand war an Kauf und Erhalt interessiert und da kann man ja so was auch gleich ganz abreissen und den Autos Gelegenheit geben etwas rasanter die Kurve zu kratzen.
Also erließ die Gemeinde einen Abruchbescheid. Das störte aber Viele, die in der Umgebung des Haus wohnten, schließlich war das ein über 400 Jahre altes Gebäude.
Wie bringt man einen Bürgermeister davon ab, ein Haus abzubrechen, einen Bescheid zurückzuziehen? In einer kleinen Gemeinde redet man direkt mit ihm. Und wo findet man ihn mit Sicherheit? In der Kirche. So wurde mir die Geschichte jedenfalls erzählt. Und der Bürgermeister meinte, wenn ihr mir ein schlüssiges Konzept bringt, hebe ich den Bescheid auf.
Und die Anrainer brachten ihm ein Konzept und schlossen sich zu einem Trägerverein zusammen und begannen in ehrenamtlicher Arbeit mit dem Rückbau und der Sanierung des Baues. Auf die Art, wie man das an vielen Orten in Vorarlberg sehen kann - in sehr subtiler, zurückhaltender Bastelei, die das Neue kenntlich läßt und das Alte nicht unbedingt vollständig rekonstruiert oder auch halb beschädigt stehen lassen kann.
Und was macht man un mit einem alten Haus, in dem ja niemend wohnen will oder wohnen solll? Man richtet ein Museum ein. Also schon ein Alibi für etwas anderes. Ein Museum, um das Haus erhalten zu können. Da hätte vieles schief gehen können. Zu amateurhaft, zu ehrgeizig, zu unpassend das Thema.


Aber so kams nicht. Das kleine Museum (im Erdgeschoss) wurde gestalterisch ebenso klug errichtet, wie die Sanierung des Hauses erfolgte. Mit großer Zurückhaltung, Sparsamkeit, Einfachheit. Erzählt wird die Geschichte der Stadt, und wenn man wenig Platz hat für Grafiken, Fotografien oder Texte, dann konzentriert man sich auf strukturelle Fragen. Zum Beispiel auf "Herrschaft und Untertanen".
Die gestalterische Schlichtheit und die inhaltliche Knappheit sind in diesen Räumen sehr angenehm zu konsumieren, es macht Spaß, sich mal nicht mit 3000 Objekten ermüdend herumschlagen zu müssen, sondern in kurzer Zeit dichte Informationen zu bekommen.

Nun hat ja Hohenems schon ein Museum, das von der Gemeinde und ihrer Geschichte handelt - das Jüdische. Aber dort liegt der Schwerpunkt auf der Jüdischen Gemeinde, ihrer Gründung, ihrer Geschichte, ihrer Vertreibung. Man kann das "Alte Zeiten - Museum" also als eine Art von Ergänzung lesen, als eine Erweiterung. Beide Museen zusammen ergeben nun auch so etwas wie ein Stadtmuseum.
An diesem kleinen Museum sieht man, wie wenig es auf Geld und Ressourcen, auf Größe und Repräsentation ankommt, sondern auf Engagement, Ideen, Konzepte. Es ist ein schönes Beispiel, daß ehrenamtliche Museumsarbeit nicht von der Hypothek der Amateurhaftigekeit beschädigt oder erdrückt werden muß.
Ich weiß nicht, ob an einen weiteren Ausbau des Hauses und des Museums gedacht ist, wenn ja, dann würde das sich als kleines, feines Stadtmuseum weiter entwickeln. Vielleicht auch als Ort, wo man über den Ort und seine Entwicklung redet.




Mittwoch, 16. Mai 2018

Steirische Museumsalchemie

Im April wurde bekannt, daß das Freilichtmuseum in Stübing in das Universalmuseum Joanneum eingegliedert werden soll. Ursprünglich wurde dieses Museum von allen österreichischen Bundesländern und Südtirol in einer Stiftungskonstruktion finanziert. Dann nur noch von der Steiermark. Zuletzt mit einem Subventionsbedarf von 1,5 Mio Euro.

Das Museum Joanneum hat seinen Betrieb auf Grund der Sparmaßnahmen des Landes seinen Betrieb einschränken müssen, z.B. die Öffnungszeiten. Es ist auch zum Sparen gezwungen.
Nach steirischer Logik ist Minus und Minus ein Plus. Darum bemüht sich das Museum darum, die Länder wieder ins Finanzierungsboot zu holen. Schließlich war Stübing ja mal so etwas wie ein Österreich-Museum.

„Stübing hat für 33 seiner 98 Gebäude einen erhöhten Förderbedarf" sagt der zuständige Landesbeamte, "diese Häuser müssen ständig saniert und restauriert werden."
Wird ein Museum "billiger", wenn es expandiert? „Ich habe aber den intensiven Willen, das sehr sorgsam zu machen." Sagt ("voller Tatendrang", die Kleine Zeitung) Alexia Getzinger, Leiterin des Universalmuseums. "Wir wollen Synergien finden.“

Übers Finanzielle hinaus fragt man sich, was denn das strategisch und inhaltlich fürs Joanneum bedeutet, ein Museum dieses Typs und dieser Größe sich einzugliedern. Wird es "universaler", und dann, mit der Einrichtung eines Science Center, noch mal ein Stückchen mehr als universal.

Erst vor wenigen Monaten wurde ernsthaft überlegt, das Volkskundemuseum praktisch aufzulasssen und jetzt integriert man die "nimmermüde Stätte zur Pflege des Brauchtums"? So liest mans in der Kleinen Zeitung. Und dort auch das: "Spannend ist auch, dass an eine eigene Abteilung Volkskultur im Joanneum gedacht wird." Wie jetzt?





Wer weiß etwas über die Tätigkeit von Alexia Getzinger als Leiterin des Universalmuseum Joanneum?

Unlängst habe ich (hier) nach dem Verbleib und der Tätigkeit der neuen Joanneums-Direktorin Alexia Getzinger gefragt und dabei rasch von der den Blog nutzenden schwarmintelligenz profitiert: Sehr viel mehr als ein Statement zur Einliederung des Stübinger Freilichtmuseums (hier) und die Anwesenheit bei der ein oder andren Ausstellungseröffnung hat sich dabei nicht ergeben.
Aber warum sollen/wollen wir wissen, was die Leiterin des größten Kultur- und Museumsinstitutes des Landes macht und vorhat?

Der Fairneß halber hüllen wir uns hier (auch) in Schweigen und überlassen Alexia Getzinger in "Mein Bezirk" das Wort: "Kultur als Lebenselixier: "Gefragte Frauen" mit Alexia Getzinger". Hier der Link.

Freitag, 11. Mai 2018

Sigmund Freud Museum 2020. Renovation and Reorganisation


Sigmund Freud Museum 2020

As of 2020, Sigmund Freud’s former place of work at Vienna’s Berggasse 19—the birthplace of psychoanalysis—will be presented to the public in a form that does justice to the standards of this unique museum and scientific venue.
Renovation of Berggasse 19
Plans include the renovation of the façade. The historical entrance as it welcomed Sigmund Freud’s patients and visitors at the beginning of the last century will continue to admit museum visitors to Berggasse 19, an address in Vienna that is steeped in history.
In line with elemental international museum standards, a reception and ticket desk area will be installed on the ground floor, adjoined by a small café and museum shop, with cloakrooms and toilets below, to provide appropriate facilities for more than 100,000 visitors a year. The exhibition area of the Sigmund Freud Museum on the mezzanine is to be extended to 400 m2 and further enlarged by around 150 m2 by additional exhibition areas on the upper ground floor.
Access to the Museum and library will be barrier-free with a lift and cater for the needs of disabled people while observing the requirements of monument preservation and current building legislation.
Reorganisation of the Museum
The Museum as a place of experience: Respecting the character of Sigmund Freud’s workplace and home from the Gründerzeit period, the aim is also to make the family’s private rooms open to the public for the first time. These rooms give an insight into the family’s eventful history and tell the story of the everyday life of a Viennese family at the turn of the century, putting Freud’s work in the social context of his day. In Sigmund Freud’s psychoanalytic office the original furnishings of the waiting room give visitors a sense of the atmosphere of a 19th-century interior that is so characteristic of Vienna. The museum presentation in the office’s study focuses on the formation of psychoanalytic theory and Freud’s writings on cultural theory. The display recalls his wide-ranging correspondence with colleagues, friends and patients, comprising a total of almost 20,000 letters. In Freud’s treatment room we deal with core aspects of the psychoanalytic treatment method and practice. The empty space left behind by the absence of the couch in this room plays a special role in the new permanent exhibition. The absence of this piece of furniture, that has meanwhile become an icon of psychoanalysis, characterises the Museum as a vestigial memory space and is a symbol of the losses written in our history: Freud’s flight from the Nazis stands pars pro toto for millions of refugees and murdered people.
Freud’s “first office” on the upper ground floor at Berggasse 19, where he treated patients such as “Dora” between 1896 and 1908, is also where the “father of psychoanalysis” wrote the central works in the formative phase of his science such as The Interpretation of Dreams or Three Essays on the Theory of Sexuality. Here, a selection of works from the collection of contemporary conceptual art of the Sigmund Freud Museum—including pieces by Paolo Calzolari, Joseph Kosuth, Franz West, Heimo Zobernig, Sherri Levine and Georg Herold—will help illuminate key aspects of psychoanalysis and the history of its effects in the sphere of art production.
The new concept of the Museum allows us to explore the former importance and function of the historic rooms at Berggasse 19. With the aid of modern educational instruments the show deals with the many different aspects of this cultural site—from presenting the development of psychoanalysis as a science of the unconscious to the danger of its eradication in the Nazi era and a discussion of its current importance—in a form commensurate with the subject matter, subjecting them to critical scrutiny and presenting them to a wide public.
The architects Hermann Czech, Walter Angonese and ARTEC, Bettina Götz and Richard Manahl sum up the concept of their design for the “SIGMUND FREUD MUSEUM 2020” as follows:
The information content of the Sigmund Freud Museum comprises two aspects:
Information about the subject: scientific, historical and biographical information about psychoanalysis and its origins, its creator Sigmund Freud and his family, particularly Anna Freud. This aspect is not tied to the Freud house or certain rooms.

Local and spatial presence: the physical experience of the most important authentic locality where this scientific work and the personal lives of the protagonists took place. In this respect, the house is a museum of itself. This aspect can only be perceived in the Freud house and by understanding its rooms and their context.
The two aspects are presented and experienced concurrently and as a whole at the Sigmund Freud Museum; in some cases there will even be a direct link. However, it is nevertheless important to keep them distinct so as to ensure the methodical clarity and comprehensibility of the content being presented.
In principle, the aspect of general information and the aspect of the locality itself should thus not be mingled with regard to presentation. Translated into exhibition terms, this means that information not pertaining to a particular room should generally be removed from the walls. The only information left on the walls will be facts concerning the rooms themselves and their former use, furnishings and their surfaces (and findings regarding conservation and restoration).
On the one hand, the pathway through the Museum therefore allows visitors to experience the rooms and their layout, their former use and history, providing information about their one-time appearance, while on the other presenting graduated general information in the form of texts and images that is largely independent of the rooms in terms of content.
Visitors should to a large extent be left to take their own route; however, they should be able to form a mental map as early as possible that encourages finding their own way back and between different areas.
(Excerpt from the concept of the competition entry by Hermann Czech, Walter Angonese and ARTEC, Bettina Götz and Richard Manahl, 2017)
 “Library of Psychoanalysis”—renovation and reorganisation
The storey above the Museum will be fully devoted to the extensive scientific activities of the Sigmund Freud Private Foundation: the “Science Floor” will accommodate the Archive and the Library of Psychoanalysis. With almost 40,000 titles, the library is the largest specialist psychoanalytic library in Europe—and the second-largest in the world. For the first time, all books and sections will be combined on one level and will be accessible to all readers. With its open-shelf system ordered by subject, the borrowing library gives access to historical journals from the early days of psychoanalysis, numerous current specialist journals, and all new international publications that reflect the current state of international research pertaining to the theory and practice of psychoanalysis. Works that link psychoanalysis and other disciplines, for example cultural studies, gender studies, film theory, art history, literary studies, etc., complement the emphasis of collection.
The study library will feature workstations available to its own science staff and visitors from Austria and abroad: cooperation partners, psychoanalysts, researchers from university and non-university facilities, and private individuals. The library runs special programmes for young academics including research workshops for students and provides assistance to school-goers doing their VWA course (pre-scientific paper for A-levels).
The centrepiece of the science section is the lecture and reading room: the “historical salon” on the first floor facing Berggasse is to be carefully renovated, equipped with modern infrastructure and equipment and thus made multifunctional for library users and for various scientific events—lectures, conferences, workshops and film screenings.

LIBRARY OF PSYCHOANALYSIS #FREUD2020 In order to keep the important scientific location Berggasse 19 alive, the “Freud spenden auf respekt.net” scheme was initiated on the RESPEKT.NET platform — please join in and help harness the knowledge of the “Viennese science” of psychoanalysis for the future: respekt.net/freudspenden

Sigmund Freud - Museum, Mai 2018

Sigmund Freud Museum 2020


Sigmund Freud Museum 2020

Sigmund Freuds ehemalige Wirkungsstätte in der Wiener Berggasse 19, der Ursprungsort der Psychoanalyse, wird sich ab 2020 der Öffentlichkeit in einer Form präsentieren, die den Ansprüchen dieses einzigartigen Museums- und Wissenschaftsstandorts gerecht wird.
Renovierung Haus Berggasse 19
Die Planung sieht die Sanierung der Fassade vor. Das historische Eingangsportal, wie es zu Beginn des vorigen Jahrhunderts den PatientInnen und BesucherInnen von Sigmund Freud offen stand, wird  weiterhin dem Museumspublikum Einlass zur geschichtsträchtigen Wiener Adresse Berggasse 19 gewähren.
Grundlegenden internationalen Museumsstandards entsprechend werden mit der Einrichtung eines Empfangs- und Kassaraumes im Erdgeschoss, dem auch ein kleines Café und ein Museumsshop angeschlossen sind, und den darunter liegenden Garderoben- und Sanitäranlagen adäquate Bedingungen für die mehr als 100.000 BesucherInnen jährlich geschaffen. Die Ausstellungsfläche des Sigmund Freud Museums im Mezzanin des Hauses wird auf 400 m2 erweitert und durch zusätzlich gewonnene Ausstellungsflächen im ersten Halbstock eine weitere Vergrößerung um ca. 150 m2 erfahren.
Der Zugang zu Museum und Bibliothek wird durch einen Aufzug barrierefrei erschlossen und unter Wahrung der Auflagen des Denkmalschutzes und der aktuellen Bauordnung den Bedürfnissen für Menschen mit Behinderung angepasst.
Re-Organisation des Museums
Das Museum als Erfahrungsort: Unter Berücksichtigung des gründerzeitlichen Charakters von Sigmund Freuds Wohn- und Arbeitsräumen werden erstmals auch die privaten Räume der Familie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie geben Aufschluss über die bewegte Familiengeschichte, erzählen vom Alltag einer Wiener Familie um die Jahrhundertwende und schreiben Freuds Wirken in den gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit ein. In der psychoanalytischen Praxis von Freud vermittelt die im Original erhaltene Möblierung des Wartezimmers die für Wien so kennzeichnende Atmosphäre eines Interieurs des 19. Jahrhunderts. Die museale Präsentation im Arbeitszimmer der Praxis widmet sich der psychoanalytischen Theoriebildung wie auch Freuds kulturtheoretischen Schriften. Seine vielfältigen Korrespondenzen mit KollegInnen, FreundInnen und PatientInnen, die insgesamt ein Konvolut von knapp 20.000 Briefen umfassen, werden hier vergegenwärtigt. In Freuds Behandlungsraum werden Kernthemen der psychoanalytischen Behandlungsmethode und Praxis verhandelt. Der Leerstelle, die durch die Abwesenheit der Couch in diesem Raum zurückgeblieben ist, kommt in der neuen Dauerausstellung besondere Bedeutung zu. Das Fehlen dieses zur Ikone der Psychoanalyse avancierten Möbels kennzeichnet das Museum als einen entkernten Erinnerungsort und liefert den Verlusten, die unsere Geschichte schrieb, ein Sinnbild: Freuds Flucht vor dem Nationalsozialismus steht pars pro toto für Millionen Geflüchteter und Ermordeter.
Freuds „erste Ordination“ im Hochparterre der Berggasse 19, in der er zwischen 1896 und 1908 PatientInnen wie „Dora“ behandelte, ist auch jener Ort, an dem der „Vater der Psychoanalyse“ die zentralen Texte der Entstehungsphase seiner Wissenschaft wie Die Traumdeutung oder Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie verfasste. Hier werden ausgewählte Werke der  Zeitgenössischen Konzept-Kunstsammlung des Sigmund Freud Museums – unter anderem Arbeiten von Paolo Calzolari, Joseph Kosuth, Franz West, Heimo Zobernig, Sherri Levine und Georg Herold wesentliche Aspekte der Psychoanalyse wie auch deren Wirkungsgeschichte im Bereich der Kunstproduktion beleuchten.
Die Neukonzeption des Museums ermöglicht es, der einstigen Bedeutung und Funktion der historischen Räume in der Berggasse 19nachzuspüren. Durch zeitgemäße Vermittlungsinstrumente werden die vielschichtigen Inhalte dieses Kulturstandortes – von der Darstellung der Entwicklung der Psychoanalyse als Wissenschaft des Unbewussten über die Gefahr ihrer Auslöschung im Nationalsozialismus bis hin zur Befragung ihrer aktuellen Bedeutung – fachgerecht aufbereitet, kritisch beleuchtet und einer breiten Öffentlichkeit vermittelt.
Die ArchitektInnen Hermann Czech, Walter Angonese und ARTEC, Bettina Götz und Richard Manahl fassen das Konzeption ihres  Museumsentwurfs „SIGMUND FREUD MUSEUM 2020“ wie folgt zusammen:
Der Informationsgehalt des Sigmund Freud Museums beinhaltet zwei Aspekte:
Sachliche Information: die wissenschaftliche, historische und biografische Information über die Psychoanalyse und ihre Entstehung, über ihren Schöpfer Sigmund Freud und seine Familie, besonders auch über Anna Freud. Dieser Aspekt ist nicht an das Freud-Haus bzw. an bestimmte Räume darin gebunden.

Örtliche und räumliche Präsenz: die physische Erfahrung der wichtigsten authentischen Lokalität, in der diese wissenschaftliche Arbeit und die persönliche Lebensführung der beteiligten Menschen stattgefunden hat. Insofern ist das Haus ein Museum seiner selbst.  Dieser Aspekt kann nur im Freud-Haus und im Verständnis seiner Räume und ihres Zusammenhangs wahrgenommen werden.
Die beiden Aspekte werden im Sigmund Freud Museum gleichzeitig und als Einheit dargeboten und erfahren; in einzelnen Fällen werden sie sogar in Zusammenhang treten. Es dient aber doch der methodischen Klarheit und Verständlichkeit der vermittelten Inhalte, sie gedanklich auseinanderzuhalten.
Im Prinzip sollten daher der allgemeine Informationsaspekt und der Örtlichkeitsaspekt nicht medial vermischt werden. In die Mittel der Ausstellung übersetzt, bedeutet das, die nicht den Raum betreffende Information im Regelfall von den Raumwänden abzulösen. Auf den Raumwänden verbleiben ausschließlich die Hinweise zu den Hausräumen und ihrer ehemaligen Nutzung, Einrichtung, ihren Oberflächen (und deren konservatorisch-restauratorischen Befunden).
Der Weg durch das Museum liefert also einerseits eine Erfahrung der Räume und ihrer Anordnung, ihrer ehemaligen Nutzung und Geschichte, sowie Hinweise zu ihrem ehemaligen Aussehen, andererseits liefert er eine abgestufte allgemeine Information durch Texte und Bilder, die von den Räumen inhaltlich weitgehend unabhängig ist.
Der Parcours sollte dem Besucher weitgehend freigestellt werden; möglichst früh sollte jedoch eine Orientierung (mental map) entstehen können, die eigenständige Rück- und Querwege begünstigt.
(Auszug aus dem Konzept der Weittbewerbseinreichung von Hermann Czech, Walter Angonese und ARTEC, Bettina Götz und Richard Manahl, 2017)
 „Bibliothek der Psychoanalyse“ – Sanierung und Neuaufstellung
Das über dem Museum befindliche Stockwerk wird zur Gänze den umfassenden wissenschaftlichen Aktivitäten der Sigmund Freud Privatstiftung gewidmet: Der „Wissenschaftsstock“ wird neben dem Archiv die Bibliothek der Psychoanalyse beherbergen, die mit ihrem Bestand von knapp 40.000 Titeln die größte psychoanalytische Fachbibliothek Europas darstellt – weltweit die zweitgrößte. Erstmals werden sämtliche Bücher und Bestandsgruppen auf einer Ebene zusammengeführt und allen LeserInnen zugänglich gemacht. Mit ihrer inhaltlich geordneten Freihandaufstellung bietet die Entlehnbibliothek Zugang zu historischen Zeitschriften der frühen Psychoanalyse, zu zahlreichen gegenwärtigen Fachjournals sowie zu sämtlichen internationalen Neuerscheinungen, die den gegenwärtigen internationalen Forschungsstand rund um Theorie und Praxis der Psychoanalyse abbilden. Werke, die Verbindungslinien zwischen der Psychoanalyse und anderen Disziplinen herstellen, etwa Kulturwissenschaften, Gender Studies, Filmtheorie, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft etc., ergänzen den Sammelschwerpunkt.
In die Studienbibliothek werden Arbeitsplätze integriert, die dem eigenen Wissenschaftspersonal sowie Gästen aus dem In- und Ausland zur Verfügung stehen: KooperationspartnerInnen, PsychoanalytikerInnen, ForscherInnen universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen sowie privaten InteressentInnen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden zusätzlich spezielle Programme wie Rechercheworkshops für Studierende und die Betreuung von SchülerInnen im Rahmen ihrer vorwissenschaftlichen Arbeiten (VWA) angeboten.
Das Herzstück des Wissenschaftsbereichs bildet der Vortrags- und Lesesaal: Der berggassenseitig gelegene „historische Salon“ im ersten Obergeschoß wird umsichtig renoviert, mit zeitgemäßer Infrastruktur und Technik ausgestattet und so multifunktional für die BibliotheksnutzerInnen wie für unterschiedliche wissenschaftliche Veranstaltungsformate – Vorträge, Konferenzen, Workshops und Filmscreenings – nutzbar gemacht.

BIBLIOTHEK DER PSYCHOANALYSE #FREUD2020 Um den bedeutenden Wissenschaftstandort Berggasse 19 lebendig zu halten wurde auf der Plattform RESPEKT.NET die Aktion „Freud spenden auf respekt.net“ initiiert – helfen auch Sie mit, das Wissen der „Wiener Wissenschaft“ Psychoanalyse für unsere Zukunft nutzbar zu machen: respekt.net/freudspenden
 Zur Verfügung gestellt vom Freud-Museum

Mittwoch, 9. Mai 2018

Eine Einladung zur zweiten Nenzinger Klausur. Dinge - Funde und Erfindungen. Juli 2018




EINLADUNG


Dinge. Funde und Erfindungen
Zweite Nenzinger Klausur

Im Juli 2018 wird zum zweiten Mal die Nenzinger Klausur stattfinden. Unter dem Titel „Dinge. Funde und Erfindungen“ werden Objekte des Dachboden-Depots der Artenne Ausgangspunkt einer Erzählung mit offenem Ausgang sein.

Die TeilnehmerInnen sind eingeladen, diese Objekte auf künstlerische, wissenschaftliche oder spielerische Weise zu befragen. Welche Geschichten spiegeln sich in den Objekten wieder?

Arbeitsweise In performativer Arbeitsweise werden wir versuchen, die auf dem Dachboden entdeckten Dinge zum Sprechen zu bringen. Dabei können neue Assoziationsketten gebildet werden und eine andere Wahrnehmung der Dinge möglich werden. Biografische Informationen können auf fiktive Assoziationen treffen, wissenschaftliche Aussagen auf die detaillierte Betrachtung figurativer Details. Dinge können zu seltsamen Unbekannten werden. Inspiriert von Daniel Spoerris Idee des „Musée Sentimental“ und anderen, verwandten Projekten hören wir auf die Geschichten hinter den Gegenständen und assoziieren frei dazu.

Wir arbeiten übrigens draußen und drinnen, in den mehrfach für seine Qualität preisgekrönten Ausstellungsräumen und im wunderbaren Wiesen- und Gartengelände ums Haus. Mit Texten, Übungen, Mini-Referaten, Diskussionen und allerlei das sich aus der Gruppe heraus spontan entwickeln

Auf Grund der schönen Erfahrungen in der Klausur 2017 hoffen wir wiederum auf freundliche Arbeits-Atmosphäre und ein entspanntes und trotzdem ergebnisreiches Arbeitstreffen.

Termin Die Klausur beginnt am Montag 16.07. 2018 um 16 Uhr und endet am Freitag 20.07. 2018 Mittag.

Kosten Der Unkostenbeitrag beträgt 250 Euro p.P. Darin enthalten sind die Übernachtungen, ein reichhaltiges Frühstücksbuffet, Verpflegung über den Tag, gemeinsame Abendessen im Gasthaus, die Moderation der Klausur und ein umfangreicher Reader als Bastelbu.

Wenn das Wetter mitspielt, ist ein Nachmittags-Ausflug in den Nenzinger Himmel geplant.

Moderation
Die Klausur wird moderiert von den beiden Hamburger Künstlerinnen Nicole Noack und Dorothea Koch mit der Unterstützung des Leiters der Artenne, Helmut Schlatter und des Grazer Museologen Gottfried Fliedl.

Anmeldungen oder Nachfragen richten Sie bitte an: Helmut Schlatter. Artenne Nenzing. Plattform für Kunst und Kultur. Kirchgasse 6, Im Walgau. A-6710 Nenzing.

Mobil: 0043 (0)664 73574514 Mail: ARTENNE Homepage Artenne: http://www.artenne.at/news.htmlhttp://www.artenne.at/news.html