Vor einer Woche erschien im FALTER (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.
Als kürzlich Franz
Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich
argumentierte und dessen Emanzipation aus
einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits
existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht
dieses, die Geschichte Niederösterreichs
eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen,
während man sich Wien erst einmal
mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss.
In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum
Österreichs“.
Ein erster, sehr
ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte
des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen
Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr
kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus
interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen
herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im
Abschnitt zum eher knapp
abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer
überproportional breiten Darstellung wird.
Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert
diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was
diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen
Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des
Nationalsozialismus?
Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit
bricht die Ausstellung überraschend ab, um in
einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen
Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph
der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den
Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt
in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus
Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von
Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber
platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des
Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider
vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß
und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen
Landeshauptfrau bei der
Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift
wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried
Ludwig).
Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.
Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten
Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren
ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der
Sprecherposition - „was will
das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und
Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als
abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich
Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese
positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit
hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus
den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten
Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.
Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der
Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres
Hindernis ist, die vorhergehenden
zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die
Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs-
und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart -
Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein
österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht
als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an
dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig
gesellschaftlich handeln können und wollen.