Mitte des vorigen Jahres habe ich mit der Zuhörerschaft eines Vortrags ein frivoles Spielchen - in didaktischer Absicht, versteht sich -, getrieben. Ich habe alle ihre geliebten Museen abgewickelt, zugrundegehen lassen, in einer Dystopie, in der Museen inkompatibel und überflüssig werden in einer durchökonomisierten Welt. Die Reaktion war ratlos, das überfordert, sich eine Welt ohne Museen vorzustellen. Was dann? Passiert überhaupt etwas? Geht etwas ab? Wer würde sich zu Wort melden, eine Gegenbewegung anstoßen?
Jetzt blitzt die Idee einer, wenn auch nur zeitlich begrenzten, Schließung aller Museen, nein nicht nur der Museen, der kulturellen Institutionen überhaupt. Künstler haben einen Aufruf erlassen, aus Anlaß der Inauguration von Donald Trump am 20.Jänner. Es sind prominente Namen dabei und der Aufruf hat selbstverständlich große mediale Aufmerksamkeit. Am 8. Jänner berichtete z.B. die New York Times über den"Art Strike". Und darüber, daß er kaum zustandekommen wird. Den viele Institutionen wie Kulturschaffende können der Idee nicht viel abgewinnen. Und manche von ihnen machen was andres draus: offene Häuser, die ihre Diskussion über die politische Situation führen werden. Der Direktor des Bard College: "Inauguration Day is symbolic but let`s not just make it a day of symbolism. What we have to worry about is the next four years."
Die Phantasien, wie man Trump ärgern könnte, treibt weiter Ihre Blüten. Dem "Perlentaucher" entnehme ich heute dies: "Angesichts des Wahlerfolgs von Donald Trump sollten die Amerikaner "ausflippen", meint Mark Greif, Gründer der linken New Yorker Zeitschrift n+1 in der taz. Und er fordert das auch von den Repräsentanten: "Präsident Obama sollte nicht weiter von einem 'reibungslosen Übergang' sprechen, sondern den Übergang zu Trump so holprig wie möglich und so rau wie Sandpapier gestalten. Die Clintons sollten ihre Zusage, an der Inauguration teilzunehmen, zurückziehen. Das Capitol sollte die Bühne für die Inauguration nicht bauen. Der Partyservice sollte kein Essen liefern. Der Oberste Richter sollte nicht auftauchen, um den Amtseid abzunehmen. Keine Bibel sollte bereitgestellt werden. Soll Trump doch auf das schwören, was er gerade zur Hand hat: eine Ausgabe von 'Trump - Die Kunst des Erfolges'."
Samstag, 14. Januar 2017
Sonntag, 1. Januar 2017
Das Jüdische Museum Hohenems. Ein außergewöhnliches Museum feierte sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum
Der Standard hat in seiner Ausgabe vom 31.12./1.1. - also gerade noch im letzten Moment - meinen schon vor Monaten verfassten Artikel veröffentlicht (im Album), den ich aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des Hauses verfasst habe. Der Text, den der Standard mit "Im Zeichen der Achtung des Anderen" übertitelte", enthält hier im Blog einige kleiner Korrekturen.
Das Jüdische
Museum in Hohenems
Ein kleines „Spezialmuseum“, das bald zwanzigtausend Besucher im
Jahr hat, dessen Freundesverein über fünfhundert Mitglieder auf allen
Kontinenten zählt, das weit über die Grenzen seines Bundeslandes und Staates hinaus
bekannt ist und das eine buchstäblich weltweite Community hat – so ein Museum
soll es in Österreich geben? Ja, in der kleinen Vorarlberger Stadt Hohenems -
ich spreche vom Jüdischen Museum, das in diesem Jahr sein
fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert.
Hier geht es aber ausnahmsweise mal nicht um die Statistik der
Besuche oder Events, sondern um die Einbettung eines Hauses, seiner
Ausstellungen, seines Teams und deren Arbeit in einen vielstimmigen
Zusammenhang, in unterschiedlichsten Öffentlichkeiten und um eine höchst
lebendige und produktive Beziehung des Museums zu Besuchern, Experten,
Unterstützern, Trägern, Förderern, Gästen.
Und so kann der heutige Direktor des Museums, Hanno Loewy mit
Recht und Selbstbewußtsein sagen: „Ich kenne keine Institution, die von so
vielen Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aus Überzeugung und mit
Emotion, aus Neugier, mit Witz und politischer Wachheit getragen wird.“
Dieses Museum habe ich im Jahr seiner Gründung 1991,
kennengelernt, als ein sorgfältig geführtes Haus mit einer klug gestalteten
Dauerausstellung, untergebracht in der umsichtig restaurierten Villa
Heimann-Rosenthal. Nun war dieses Haus ein Erinnerungsort geworden, der an die
einst vom Hohenemser Fürsten protegierte und nun gänzlich verschwundene
Jüdische Gemeinde erinnerte.
Der Gründung ging eine jahrelanger, zeitweise heftig geführter
Konflikt voraus, in dem der Stellenwert der Geschichte des Judentums in
Vorarlberg erörtert wurde, aber auch in welcher Form und mit welchen
Schwerpunkten man diese Geschichte in einem Museum darstellen sollte. Dieser
vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer
Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine
Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern konzeptuell,
architektonisch und museumspolitisch als kraftvoll und innovativ erwies.
Wer das Museum besucht, wird nichts vordergründig Spektakuläres
vorfinden. Es gibt keine glanzvolle Judaikasammlung, sondern eine
Dauerausstellung die, zusammengesetzt aus Spuren, Überlebseln und Relikten, die
von vielen Leerstellen durchsetzte Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenems,
die Umständen ihrer gewaltsamen Vertreibung und Vernichtung und die
Einzeichnung dieser Geschichte in das Stadtbild und –gedächtnis erzählt.
Was dem zufällig ein- oder zweimal vorbeikommenden Besucher
verborgen bleiben wird, sind die vielen Veranstaltungen, die sich in vielen
Formaten, an vielerlei Adressatenkreise wenden und in denen ebenso vielfältige
Themen diskutiert werden. Das reicht von der Debatte über ein bemerkenswertes
einzelnes Objekt aus der derzeit laufenden Sonderausstellung „Übrig“, in der
sowohl die vom Museum betriebene genealogische Forschung als auch die
dokumentarische Bedeutung von Sammlungsobjekten zur Sprache kommt bis zur
großen Diskussion mit an die fünfzig Expertinnen und Experten aus Anlass des
Jubiläums. Dort ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die wünschbare
Zukunft Jüdischer Museen generell und des Hohenemser Museums im besonderen.
Was unser Einmal-Besucher vielleicht spüren wird, ist, wie sehr
das kleine Museum Ort der Vergesellschaftung ist, das heißt einer an dem
Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu
ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu
deuten, die Beziehung zu ihren sozialen Umwelten zu erforschen, auch zum
allgemein Fremden und Anderen. Denn zu den herausragenden Möglichkeiten von
Museen gehört die Möglichkeit dem „Anderen“ in einem geschützten Raum und
zivilen Rahmen zu begegnen.
Deswegen sind Museen auch geeignet, eine wesentliche
demokratische Aufgabe wahrzunehmen, die Sorge um Minderheiten, um die immer
wieder von Konflikten bedrohte Beziehung von Mehrheit und Minderheit. Jüdische
Museen bleiben auch deswegen unausweichlich an historische und aktuelle
Konflikte gebunden. Denn während die ersten Jüdischen Museen von Jüdischen
Gemeinden gegründet wurden, zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Symptome der
Assimilation und des Selbstbewusstseins dieser Gemeinden, sind die jüngeren
Gründungen, die seit den 80er-Jahren in den deutschsprachigen Ländern
entstanden sind, unausweichlich von der Dialektik von Täterschaft und Opfer,
von Schuldbewusstsein und Anerkennung von Schuld geprägt. Und immer mehr auch
vom Blick auf die „Anderen“ von heute, auf die komplexen Fragen von
Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung,
Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also die Frage, wer
eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht. Wer „wir“ sind und
wer zu „uns“ gehört und gehören soll.
Deswegen ist es von belang, daß das Museum aus einem Konflikt
heraus gegründet wurde: es hat früh die Fähigkeit ausgebildet und sich
erhalten, konflikthafte Themen zu bearbeiten, in Debatten, Projekten und
Ausstellungen. Die laufende Ausstellung „Übrig“ zum Beispiel, die Objekte aus
der Sammlung zeigt, zeigt sie nicht nur als glücklich überlieferte Zeugnisse,
sondern auch als Dokumente vielfältiger Konflikte, solcher der Überlieferung,
des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung.
Anders gesagt, das Museum übt sich in der in der avancierten
Museologie nachdrücklich geforderten Kunst der Selbstreflexion. Damit bin ich
beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums.
Ein Museum das sich entwickelt, das in gewisser Weise „lernt“ – als Organisation,
als Wissensraum, als besondere Form von Öffentlichkeit -, hat immer auch einen
Blick auf das, was es ist und wie es etwas tut. Es geht
verantwortlich damit um, wie es seine Themen wählt und welcher Vermittlung es
bedarf. Und vor allem wird es sich immer und immer wieder die Frage stellen, welche
Verantwortung es gegenüber seinen Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat.
Denn das ist der Sinn des Museums als öffentlicher Institution: Es verwaltet
und bearbeitet gesellschaftliche Interessen treuhänderisch.
Ich erläutere
das an der Projektreihe „Ein Viertel Stadt“. Der Umgang mit dem historischen Stadtkern
von Hohenems, dem Jüdischen Viertel, war in den 90er-Jahren vielfach ins Gerede
gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege erwog
eine komplette Unterschutzstellung. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum
Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können. Tatsächlich
brannte ein wichtiges Objekt unter ungeklärten Umständen ab.
In dieser
Situation intervenierte das Museum in den kommunale Debatten, verließ dazu sein
Haus und ging in die Stadt um an ausgewählten Fassaden über Projektionen die
Geschichte der Häuser und ihrer Nutzer und Bewohner zu erzählen und zu
erinnern. Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der
Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum
herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst
aktiv wurde, war erst recht originell - und wirksam. Die Projektreihe Projekts
„Ein Viertel Stadt“ holte verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und
Geschichten zurück und verankerte sie neu im Gedächtnis der Stadt und ihrer
Bevölkerung.
Die Bedeutung
dieses Projekts liegt auch in der aktiven Beziehung des Museums zum Publikum
bzw. zu den Stadtbewohnern. Es verhielt sich nicht passiv im Warten auf
Besucher, die etwa schöne alte Dinge ansehen wollen, sondern erzeugte eine
Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Menschen zusammenfinden, sich sammeln,
erinnern und debattieren konnten.
Das Museum gab
keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat
nicht so, als hätte es die eine „richtige“ Lösung. Sondern es stellte einen
sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der
Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu
regeln. Genau das meint ja „Res publica“ – die öffentlichen Angelegenheiten und
genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit. Sie gehört zum
Kostbarsten und Grundlegenden, das eine demokratische Gesellschaft besitzt und
meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum dazu leisten kann.
Daß die
Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der
praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, daß das Zentrum
der Kleinstadt mit „Judengasse“ und „Christengasse“ heute wieder Leben
zurückgewinnt, dass man in Hohenems öffentlich darüber diskutieren kann, wie denn
ein „ortsübliches“ Minarett aussehen könnte, all das wurde durch solches Projekt
erst möglich.
Räume zu
besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung
des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und unterschiedliche
Interessen miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell
harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die
Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen
immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwickeln, seine Anliegen
an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was
ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Angesichts der akuten
gesellschaftlich-politischen Entwicklung wird es immer wichtiger, solche Orte
zu haben und zu fördern.
Aber wie
das Hohenemser Museum das
macht, dafür gibt es viele
Wege. Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen
Friedhof über das außergewöhnliche Nachkommentreffen mit hunderten von
Teilnehmern, die sich ihrer Vorfahren erinnern und die das kleine Museum mit
seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankern,
bis zu zur Serie von Sonderausstellungen, die die Dauerausstellung thematisch
interpunktieren, vom Betreiben einer informativen Webseite, die eben mehr ist
als nur ein übliches Marketingtool bis zur Forschungstätigkeit im Haus und zur
jährlichen Europäischen Sommeruniversität für Jüdische Studien.
-->
Dieses
beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, im Wissen um die Schwierigkeiten
Geschichte vermitteln, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp
„Jüdisches Museum“ hinaus - auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die
beispielhaft für andere Museen sein kann und sollte. Diese „doppelte Qualität“
– als jüdisches Museum mit
seinen spezifischen Aufgaben und Verpflichtungen einerseits und als innovatives
und reflexives Museum andrerseits, das sich seiner öffentlichen Verantwortung
stets bewußt ist – das macht Hohenems zum einzigartiges Museum.
Mittwoch, 21. Dezember 2016
Sokratische Frage Nr.16
Museen bewahren ihre Sammlung auf unbestimmte Dauer auf - im Grunde "für alle Ewigkeit".
Warum eigentlich?
Oper - Museum 1:0
Der Neid könnte die Museen fressen. Kampf um Aleppo, Anschlag in Berlin, Diplomatenmord in Istanbul - nichts toppt die Bestellung eines Wiener Staatsoperndirektors. Im Mittagsjournal ist das die Spitzenmledung, inklusive Infomation, Pressekonferenz-Mitschnitt und Interview und dann noch (säuerlichem) Kommentar. Genau ein Viertel der Gesamtsendezeit.
Dienstag, 20. Dezember 2016
Kritikersprech
"Von jeher war ihr Anliegen die Überführung der amerikanischen Landschaft, des Naturerlebens in die Abstraktion. Diese genuin amerikanischen Solitäre sollten den Fokus von der Dominanz europäischer Ismen auf das Potenzial der im besten Wortsinn nationalen Schaffenskraft samt dazugehörigen motivischen Eigenheiten lenken. Gleichzeitig lotete sie die Grenzen der minimalistischen Hard-Edge-Malerei aus, suchte nach einem malerischen Weg das Bild hinter dem Bild, den Raum hinter der Tür aufscheinen zu lassen."
Frage: Wer ist gemeint? Antwort: Giorgia O'Keefe
Frage: Wer ist gemeint? Antwort: Giorgia O'Keefe
Sonntag, 18. Dezember 2016
Freitag, 16. Dezember 2016
Sokratische Frage Nr.15
Museen sind Häuser, in denen sich Menschen versammeln, um dort aufbewahrte Gegenstände zu betrachten.
Wenn Sie an jemanden, den Sie dort antreffen, und der gerade in Betrachtung versunken ist, herantreten würden, um ihn zu fragen, warum er das tut - welche Antworten hätten sie zu erwarten?
Sokratische Frage Nr.14
In der Schule lernen wir, wie man leichthin sagt, "fürs Leben".
Und im Museum?
Donnerstag, 8. Dezember 2016
Samstag, 3. Dezember 2016
Sokratische Frage Nr.13
Stellen Sie sich vor, sie gehen in ihrem Leben nie wieder in eine Museum?
Das geht nicht?
Wieso nicht?
Kulurstadel für Berlin, oder?
"Jahrhundertfehler". "Stadtzerstörung". Das ist für Hanno Rauterberg in der ZEIT (hier) jenes Projekt von Herzog / de Meuron, das eigentlich zunächst von der Kritik wohlwollend bis begeistert aufgenommen wurde: als Lösung für ein jahrzehntelang anhaltendes städtebauliches Problem und als Erweiterungsbau für die Neue Nationalgalerie. Berlin hat viele kulturpolitische Baustellen und Konfliktfelder, das in jeder Hinsicht monumentalste ist das Humboldt-Forum. Aber nun schein ein neuer Streit zu beginnen - über ein Projekt, das so an die 200 Millionen Euro kosten wird und doch, Hanno Rauterberg zufolge, der Einwand auf Einwand stapelt, nicht viel mehr als ein Stadel sein wird...
Freitag, 2. Dezember 2016
Die Abramović-Methode
"Ich lasse die Leute in Workshops Reiskörner oder Linsen zählen oder eine leere Wand anstarren. Sie dürfen für eine gewisse Zeit weder sprechen noch essen. Sie werden in den Wald geführt und müssen mit verbundenen Augen wieder hinausfinden. Das Publikum wird damit auf die Teilnahme an Langzeitwerken vorbereitet – nicht nur an meinen Langzeitwerken, sondern auch an solchen junger Künstler, die ich unterrichte. Es lernt, sich auf immaterielle Kunst, auf Erfahrung schlechthin einzulassen.
Meine Performances können Sie sich tatsächlich nicht wie Bilder an die Wand hängen. Aber Sie können eines meiner transitorischen Objekte kaufen. Die betrachte ich nicht als Skulpturen, sondern als Instrumente der Abramović-Methode: Die Leute können jeden Morgen vor ihrem Frühstückskaffee ihre Stirn, ihr Herz und ihren Magen an eines meiner Kristallkissen pressen, um einen Energieraum zu schaffen. Sie können mit nackten Füßen in ein Paar meiner 70 Kilo schweren Amethyst-Schuhe schlüpfen und damit zwar nicht körperlich, aber dafür geistig abheben. Ist das geschehen, brauchen sie diese Objekte nicht mehr. Deshalb nenne ich sie "transitorisch", "vorläufig", "vorübergehend".
Als ich mit meinen Performances begann, kam ich gar nie auf den Gedanken, dass ich je von meinen Arbeiten würde leben können. Ich wollte auch nicht, dass meine Kunst zur Ware wurde. Deshalb unterrichtete ich 25 Jahre lang an verschiedenen Kunstakademien auf der ganzen Welt, in Berlin und Paris ebenso wie in Kitakyushu in Japan. Nun veranstalte ich meine Workshops, halte Vorträge, ich mache Fotografien und Videoinstallationen und habe sieben Galerien, die mich vertreten.
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