Sonntag, 4. Mai 2014

Das Archäologische Museum Istanbul



Das 1891 eröffnete Archäologische Museum in Istanbul ist das älteste Museumsgebäude (Architekt: Alexandre Vallaury) der Türkei. Anlass zur Errichtung waren ungewöhnlich reiche und besondere Funde in einer Nekropole in Sidon (heute im Libanon gelegen). Fund und Museumsgründung stellen eine Zäsur in der türkischen Museumspolitik dar. Bislang hatte man antike Reste und Spolien eher beiläufig gesammelt und aufbewahrt (in einem Hof der innerhalb der Mauern des Topkapi-Palastes gelegenen Haghia Eirene), die Sorge um die Sammlungen wurde meist aus dem Ausland kommenden und einschlägig ausgebildeten Experten überlassen. Jetzt kam der Ausgräber und Spiritus rector des Museums aus der türkischen Elite, ein Maler und Wissenschafter, Osman Hamdi Bey, Sohn eines Großwesirs. Er war an den Grabungen in Sidon beteiligt, setzte sich für den Bau des Museums ein, gründete, dem Museum gegenüberliegend eine Kunstakademie - heute das Museum für den Nahen Osten und den Orient (auch: Altorientalisches Museum; 1935 gegründet) -, und veranlasste eine Gesetzgebung, die die türkischen archäologischen Funde vor Plünderung und Ausfuhr schützten.

Zum Komplex des Archäologischen Museums gehört ein drittes Bauwerk und Museum, das Fayencen-Museum, das im ältesten islamischen Profanbau Istanbuls untergebracht ist (1472 als Lustschloss errichtet, im 18. Jahrhundert verändert).
Die aus Sidon stammenden Funde, unter anderem wurden dort 18 phönizische Königsgräber gefunden, gehören zu den berühmtesten des Museums, darunter der sogenannte Alexandersarkophag und der Sarkophag der Trauernden Frauen. Die danach gemachten Grabungskampagnen im osmanischen Reich und weitere zahllose Funde machten die rasch aufeinanderfolgende Erweiterung des Baues des Museums, 1903 und 1907 eröffnet) nötig, bis zur heutigen Größe.
Derzeit wird das Museum restauriert, was auch nötig ist, denn als Bau und Schauraum ist das Museum seit seiner Gründung kaum vom Fleck gekommen. Namentlich die Lichttechnik ist problematisch, die Beschriftung karg - bis auf eine sehr informative, den ganzen Eingangsraum einnehmende Ausstellung zur Geschichte des Museums, die Vitrinen und die Ausstellungsarchitektur veraltet.
Überall in Istanbul wird an den Museen verbessert, gebaut, modernisiert. Die Stadt entwickelt sich gerade zu einer der weltweit größten Tourismusmetropolen und man ist sichtlich bemüht, die kulturellen Institutionen zu modernisieren. Im Komplex der drei Häuser umfassenden archäologischen Museen hat man einen kleinen neuen Shop zur Verfügung und einen Kiosk, um den herum man in diversen Spolien wie in einem Antikengarten (nicht nur) Tee trinken kann. Man kann aber auch in den riesigen Park unterhalb ausweichen, um sich für andere Must Sees frisch zu halten, die in unmittelbarer Nähe liegen: Topkapi Serail und Hagia Sophia.

Um die Bedeutung des berühmtesten Objekts zu charakterisieren, den Alexandersarkophag, der als attisches Werk der Zeit um 325 v.Chr. gilt, kommt mir ein Text von Franz Winter von 1912 gelegen, der auch meine - durchaus laienhafte - Überraschung angesichts des Sarkophags spiegelt: "Ein Werk feinster attischer Marmorkunst auf der reifen Stufe der Entwicklung, in die das vollendete Schaffen des Praxiteles in noch unmittelbar frischer Tradition hineinwirkte, gibt er uns in seinem Bildwerk einen ganzen Zyklus von Darstellungen der Art, wie sie das Erleben einer großen Zeit hervorrief, als Alexanders Taten die Welt erfüllten, Schilderungen glänzender Waffentaten, Bilder von Kampf und Mord und von abenteuerlichen Jagdzügen in den persischen Landen. Aber von dem Gegenständlichen zieht an diesem Denkmal die Ausführung doch immer als das überwiegend Wirkende den Blick zu sich hin und wir meinen deutlich zu spüren, daß auch dem Künstler selbst in diesem Falle die Form mehr als der Inhalt, die Aufgabe der künstlerischen Dekoration mehr als die der Mitteilung bedeutet hat. Wir besitzen kein zweites Werk von ähnlich reicher Fülle der Schmuckausstattung."

Der zweite unmittelbar auffallende Sarkophag - inmitten einer Sammlung unglaublich vieler und herausragender Objekte -, ist der Sarkophag der trauernden Frauen, der möglicherweise um 360 v. Chr. für König Straton von Sidon bestimmt war. Die Oberfläche des Sarges ist mit Reliefs verziert, die die anlässlich des Todes des Königs klagenden Frauen und seine Leichenbegängnisse darstellen.

Montag, 28. April 2014

Objekte des Begehrens (Texte im Museum 477)

Museu d'Art Contemporani de Barcelona


Occupy Museum - Protestaktionen am Guggenheim Museum New York

Am 22. 2. ist es im Guggenheimmuseum in New York zu eider aufsehenerregenden Protestaktion gekommen. "Over 40 protesters staged an intervention inside the Guggenheim Museum in Manhattan during Saturday night’s pay-what-you-wish admission hours. Unfurling mylar banners, dropping leaflets, chanting words, handing out information to museum visitors, and drawing attention with the use of a baritone bugle, the group worked to highlight the labor conditions on Saadiyat Island in the United Arab Emirates, where Guggenheim Abu Dhabi, a franchise of New York’s Guggenheim, is being built." (Hyperallergic, 23.02.2014)
Die Aktion, die unter anderem von Occupy Museum (hier zur Webseite) und Gulf (hier zur Webseite) unterstützt wurde, und von Künstlern und Wissenschaftern (u.a. der New York University) unterstützt wird, richtet sich gegen die Expansionspolitik von Guggenheim mit Schwerpunkt auf einer Kritik der Arbeitsbedingungen bei der Errichtung der Gebäude und generell dem ökonomischen Kontext dieser Politik.
Etwa ein Monat später kam es zu einem weiteren Protest: "Protesters dropped thousands of pieces of paper from the Guggenheim rotunda this weekend. Hyperallergic reports that 9,000 "1 percent" bills of a satirical currency rained down on visitors Saturday evening in an act to draw attention to the Guggenheim's alleged use of "slave labor" to build a satellite site in Abu Dhabi." (Huffington Post 31.3.2014).



Totalerklärung (Texte im Museum 476)

Cosmos Caixa Barcelona

Die Stadtpolitik stellt das Grazer Kunsthaus zur Disposition

Das Kunsthaus in Graz steht unvermittelt in Kritik. Der Bürgermeister höchstselbst regt ein Überdenken nicht nur der Programmierung des Ausstellungshauses an sondern stellt dessen Finanzierungsmodus und Organisationsgrundlage in Frage. Das ursprünglich als Ausstellungshaus der Stadt Graz gedachte Institut wurde, als die finanzielle Überforderung der Stadt sich abzeichnete, in das Landesmuseum eingegliedert und seine Finanzierung zwischen Stadt und Land gesplittet.
Nun soll das Kunsthaus wieder an die Stadt zurück, also aus dem Landesmuseum ausgegliedert werden, allerdings bei Beibehaltung der Landesunterstützung. Als Grund wird der geringe Zuspruch zu den Ausstellungen genannt und die Äußerungen mehrerer Politiker gehen denn auch in Richtung "Popularisierung" des Programms. Diese Vorschläge hören sich beunruhigend simpel an und die Kritik am Kunsthaus kommt über das Referieren der Besuchszahlen kaum hinaus.
Bürgermeister Nagl versichert, daß das keine Kritik an Joanneums-Intendant Peter Pakesch ist. Aber was soll es denn sonst sein? Zwar ist Peter Peer nominell Leiter des Kunsthauses, aber für Peter Pakesch war und ist das Kunsthaus sein zentrales Betätigungsfeld, sein persönlichstes Anliegen, seine authentische Kompetenz. Ihm das zu nehmen, kann man schon als außergewöhnlichen Schritt des Misstrauens und der Schwächung bezeichnen, zumal die Vorschläge zur Reorganisation und die Kritik am Programm aus dem ihm gewöhnlich wohlgesonnenen politischen Umfeld kommen.
Eine Herauslösung aus dem Joanneum schwächt auch das Landesmuseum, denn das Kunsthaus und die Neue Galerie und deren Ausstellungen sind die am weitesten in die internationale Wahrnehmung vorgeschobenen Aktivposten des Hauses. Das Joanneum verlöre an Resonanz in der internationalen Museumsszene und dem Kunsthaus drohte, wenn man die diversen Politikerideen mal ernst nimmt, eher eine Provinzialisierung. Denn vieles an der Kritik riecht nach antimoderner Attitude, etwa im Geiste des jüngsten Vorstoßes, "Österreichisches" im ORF via Quote zu "schützen". Andrerseits stand das Kunsthaus unter einer Art Käseglocke und durfte gerade in der regionalen Zeitung, die jetzt Bericht erstattet (bezeichnenderweise hat noch keine andere Zeitung die Meldungen übernommen), nie wirklich kritisiert werden. So fehlt es an einer substantiellen Bewertung der Arbeit des Kunsthauses als Grundlage einer seriösen Diskussion.
Sie könnte im übrigen kaum geführt werden, ohne den institutionellen Kontext miteinzubeziehen, in dem das Ausstellungshaus agierte - das "übrige" Joanneum. Seine architektonische und ausstellungsgestalterische Erneuerung ist abgeschlossen, aber dieser Oberflächenglanz verhüllt, an wie wie vielen Stellen das Großmuseum provinziell geblieben ist.
Peter Pakesch dachte, mit großen Marketinganstrengungen und der Umbenennung in "Universalmuseum", könne man die Schwächen des Museums kompensieren. In diesen "Relaunch" sind enorme Ressourcen investiert worden, es wird so bald keinen wie diesen mehr geben, und so wird das Joanneum noch lange an der versäumten Chance einer wirklich in die Tiefe gehenden und konzeptuellen Modernisierung (wie sie etwa in Bregenz geglückt ist) laborieren.

Samstag, 19. April 2014

Ottomanisches Revival oder: Das Museum als nationale Bundeslade








Das Panorama schien ein Medium des 19. Jahrhunderts zu sein, aber in vielen, vor allem jungen gationalstaaten, hat man es als Medium der Selbstdarstellung und Identifizierung wiederentdeckt. Ein Beispiel dafür ist das erst 2009 eröffnete "Panorama 1453 Historisches Museum" in Istanbul. Das in beachtlich illusionistischer Qualität gemalte Rundgemälde stellt die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet II. dar, also den welthistorischen Augenblick des Falls des Byzantinischen Reiches unter dem Ansturm ottomanischer Truppen. Das Gemälde zeigt den turning point des Angriffs - den Einbruch der Angreifer durch die mit Hilfe riesiger Kanonen Sturmtief geschossene Befestigung. 
Es ist das erste Rundgemälde, das ich gesehen habe, das mit martialischen Kampfegeräuschen untermalt ist, mit Militärmusik, Geschrei, Zischen, Krachen und dem Wummern der schweren Kanonen. Anders als fragmentierte Museumsszeneroen bietet ein Panorama ein buchstäblich immersives Erlebnis, eine Art "Totalerfahrung", bei der die relative Primitivität des Mediums keine Rolle zu spielen scheint, deren pädagogischer Mehrwert aber um so mehr. Der Großteil der Besucher des 1453-Panorams waren denn auch Kinder und Jugendliche, in Gruppen, vermutlich Schulklassen. Wobei ich nicht so sicher bin, ob der ideologische Zweck hier wirklich durchschlagend ist. Der Modus, in dem die Kids das historisch-gloriose Getümmel wahrnehmen, ist der Handy-Snapshot, bei dem das staatstragenden Ereignis zum Hintergrund wird für Freund oder Freundin.
Ministerpräsident Erdogan betreibt eine historisierende Retropolitik, womit er im Gezipark eine mittlere Staatskrise ausgelöst hat. Zu dieser Politik gehört wohl auch dieses sonderbare "patriotische" Museum.