Mittwoch, 13. März 2013

Innenansichten eines Museums. Der Rechnungshofbericht zum Museum fürAngewandte Kunst Wien

Rechnungshofberichte zu lesen ist nicht jedermanns Sache. Die literarische Unergiebigkeit ist die Kehrseite ihrer besonderen Qualität: pedantische und akribische Notation. Wer es schafft, sich dieser Textsorte anzuvertrauen, kann einem museologisch ergiebigen Text begegnen, wie im Fall des nun im Volltext im Internet verfügbaren Berichtes zum Museum für Angewandte Kunst in Wien unter der Direktion von Peter Noever. (http://www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/2013/berichte/teilberichte/bund/Bund_2013_02/Bund_2013_02_2.pdf).
Wer es durchhält, an einem Text wie an einem strohtrockenen Knäckebrot zu kauen, wird dann eben nicht nur die sattsam bekannten persönlichen Anwürfe vorfinden, sondern Informationen, die in die Untiefen der Organisation und ihrer Verwaltung durch das Ministerium und den Aufsichtsrat des Museums führen. Da zeigt sich, daß es gespenstisch unprofessionell zugehen kann, daß möglicherweise manchmal auch mit Absicht etwas übersehen oder stillschweigend geduldet wird, selbst wenn es mit Gesetzen und Regelungen nicht so ohne weiteres vereinbar ist. Hier hat man also Stoff genug, nicht nur einzelne Fehlleistungen zu finden, die sich schön skandalisieren lassen wie "Direktor feiert Muttertag auf Kosten des Hauses", sondern Schwächen der Konstruktion, der Trägerschaft, der Aufsicht.
Unter den vielen Informationen fand ich die besonders erstaunlich, die ein Versagen gerade dort dokumentieren, wo man die Stärke gerade dieses Museumskonzepts, wie es uns weisgemacht wurde, vermutet hätte, bei der Verwaltung der Gelder, der Effizienz der Verwaltung, der Medienarbeit oder der Acquirierung von Drittmitteln und Kooptierung von Partnern. Daß das MAK etwa nie ein Sponsoringkonzept besessen hat (und sein Eigendeckungsgrad zeitweiße ins Bodenlose abgesackt ist) ist doch erstaunlicher, als festzustellen, daß es nie ein Sammlungs- und Inventarierungskonzept hatte, oder?
Müßig anzumerken, daß es inhaltlich ohnehin nie so etwas wie ein Konzept gegeben hat, allerdings hält sich da der Rechnungshof nobel zurück, denn das würde vermutlich seine selbstgesteckten Grenzen sprengen. Da müssten die Medien einspringen. Aber die klauben sich die Rosinen für eine kurzlebige Alarmierung heraus und dann sinken alle wieder zurück in ihre Routinen.

Freitag, 8. März 2013

Entrée 99


Die Reichsten (Texte im Museum 388)

Ausstellung "In Arbeit". Technisches Museum Wien (Foto: GF, 2013)

Verpackungskünste. Das Grazer Volkskundemuseum übt den Ausbruch

Der Trachtensaal, wie er bis vor kurzem aussah
In der Ausstellung des Grazer Volkskundemuseums "Dirndl, Jeans und Seidenstrumpf" gibt es einen Text mit der Überschrift "Abschied von der Tracht." Was in der Ausstellung bloß theoretische Reflexion über aktuelle Entwicklungen ist, hat man im Obergeschoss der Dauerausstellung in Form einer zeitlich begrenzten Intervention in die Praxis umgesetzt.
;Man hat sich verabschiedet, durch wegpacken. Die Vitrinen mit den Trachtenfigurinen der 30er-Jahre sind - nahezu - verschwunden, hinter - Trachtenstoffen. Ein paar Fenster geben den Blick frei auf Bruchstücke, einige von ihnen mit applizierten Zitaten aus höchst unterschiedlichen Zeiten und aus ebenso unterschiedlichen ideologischen Kontexten.

Der verhüllte Trachtensaal

Beim ersten Anblick des so überraschenden Raumeindrucks wirkte das wie eine Befreiung. Die klobigen, ungeschlachten, buchstäblich und metaphorisch 'hölzernen' Figuren mit ihrer oft groben Kleidung, die dicht gestellten Vitrinen, in denen sich die Figuren zusammendrängen mussten, das allein wirkte schon immer unangenehm.
Dazu musste man noch nicht einmal wissen, daß dieser sogenannte Trachtensaal eine genuine Schöpfung staändestaatlicher Ästhetik und Wissenschaft ist. Protegiert vom damaligen Landeshauptmann Karl Maria Stepan, der seit 1934 Bundesleiter der Vaterländischen Front war, konnte der mit ihm persönlich befreundete, deutschnational-katholische Leiter des Volkskundemuseums, Viktor von Geramb, sich einen Traum erfüllen.
Was im aktuellen Begleittext im Museum als "neue Sachlichkeit" bezeichnet wird ist nichts weniger als das, es Ausdruck eines von Geramb immer wieder auffallend bellizistisch vorgetragenen pädagogischen Sendungsbewußtseins.
Im kleinen Musuemsführer von 1931 schreibt er unter anderem: "...für die Heimat und ihre Kultur zu leben, muß nun unsere heiligste Pflicht sein. In der Wahrung des guten Geistes der Heimat und ihrer gesunden Eigenart, in der Förderung, Verwertung und Vermittlung heimischer Sitten, Trachten und heimatlicher Kunst, in der liebevollen Pflege aller bodenständigen Werte und im heißen Kampfe gegen das Eindringen zerstörender, volksfremder Gifte wird wohl die ersten und wichtigste Aufgabe unserer Zeit zu sehen sein.“

Dem allem einfach etwas überzustülpen hat schon Witz und man kann es wohlwollend als ersten Probelauf deuten, sich von der Hypothek einer das Museum stark prägenden Geschichte langsam zu entlasten. Auch die erwähnte kleine Ausstellung hat manche Züge einer solchen befreienden Fingerübung.
Viktor Geramb im Kreis seiner Schülerinnen, wie die einschlägige Beschriftung festhält

Verhüllen ist noch nicht bearbeiten, aufarbeiten, und wenn der Stoff wieder von den Vtrinen gezogen wird, dann bleibt ein bislang merkwürdig heimlich-unheimliches Erbe zurück, dem man bis jetzt glaubte treu bleiben zu müssen. 
Doch die Geste ist stark und witzig, und mit Witz kann man mich immer überrumpeln, und auch optimistisch stimmen, daß etwas in Bewegung geraten ist...

Ein gutes Museum (Texte im Museum 387)


Der immer noch sterbende Kaiser. Maximilian von Mexico, ausgestellt

Als Schulkind war ich ein veritabler Maximilian von Mexico - Experte. Ich hatte nämlich alle fünf Bände des Kolportageromans gelesen, der ursprünglich Waldröschen hieß und dessen Autor sich Capitain Ramon Diaz de la Escosura nannte. In der Buchhandlung meiner Kindheit, in der ich nach und nach Schloß Rodriganda, Die Pyramide des Sonnengottes, Benito Juarez, Trapper Geierschnabel und endlich Der sterbende Kaiser (das war Maximilian) um einige Groschen entlehnte, wurden die Bände freilich unter dem Namen des wirklichen Autors entliehen - Karl May.


Mein Expertentum verblasste, Kolportageromane des 19. Jahrhunderts vermögen offenbar bei mir kein nachhaltiges Geschichtsbewußtsein zu stiften. An den Inhalt habe ich keinerlei Erinnerung mehr, aber Wikipedia, dieses supranationale Großgedächtnis ließ einige Gedächtnissplitter wieder aufblitzen: An Karl Sternau, den Namen des Arztes aus Deutschland erinnerte ich mich, der den spanischen Grafen Emanuel de Rodriganda heilen und dessen Tochter Rosa heiraten soll, was aber vom ruchlosen Schurken Cortejo beinahe vereitelt wird indem er Sternau in Mexiko in eine Pyramide einsperrt. Zuvor hatte er seinen eigenen Sohn gegen den Erben des Grafen ausgetauscht, um Rodriganda in seine Hand zu bekommen. Es geht klarerweise alles gut aus - bis auf den leidigen Umstand, daß der Kaiser erschossen wird.
 
Diese Geschichte ist auch ein Kolportageroman, denn daß sich die Europäischen Großmächte (mit Ausnahme Frankreichs, das die Idee dazu lieferte) und vor allem Mexico selbst mit der Idee anfreunden könnten, daß ein Mitglied des österreichischen Herrscherhauses mal rasch mit einem Schiff übersetzt um dort drüben in Südamerika Kaiser zu werden, das konnte doch nicht mal Maximilian selbst ernsthaft glauben. Hat er aber. Aber nur kurz.
Mexico war ein selbständiges und selbstbewusstes Land, das einen beliebten Präsidenten hatte, der die Politik der Unabhängigkeit gegenüber Europa energisch vorantrieb (erinnert ja an was, oder?). Also, lange hat das nicht gedauert, das mit dem Kaisertum. Maximilian wurde verhaftet, vor Gericht gestellt, verurteilt und erschossen. Mit einem Schiff nach Österreich gebracht und in der Kapuzinergruft beigesetzt.

Und? Nun, er ist ausstellungstauglich geworden. Und das Hofmobiliendepot oder auch Möbel Museum Wien genannt, das so manches Relikt dieses Maximilian besitzt (sein Sombrero hatte es mir schon immer angetan, schon als er nur ein beiläufig abgelegtes Depotobjekt und anderen war) zeigt eine Ausstellung, noch bis zum 18. August dieses Jahres. Samt zerschossenem Rock und richtigem Sarg,
Und wenn Edouard Manet nicht ein weltberühmtes Bild von der Erschießung gemalt hätte, wer weiß, wer sich noch an Maximilian erinnerte? Karl Mays Kolportagen liest wohl niemnd mehr.

Sonntag, 3. März 2013

Was will uns dieses sagen? (Texte im (am) Museum 385)

Volkskundemuseum Graz (2013)

Böse! Gut! Museen im Umgang mit ihren Besuchern

Direkt neben einer Schranke, an der auch noch eine zusätzliche persönliche Kontrolle stattfindet (sehr freundlich) hängt die Hausordnung, eine 15 Punkte umfassende Auflistung von Verboten, in einem, nun sagen wir, ganz schön strengen Ton formuliert und mit erstaunlichem Inhalt (Videoüberwachung z.B.). Gott kam mit zehn Geboten aus, das TMW benötigt fünfzehn für zur Prävention der Besucher-Todsünden. Zwei Plastikküberln nehmen die Schirme auf, eine Uhr zeigt vermutlich an, wie weit es noch bis zum Verlassen des Museums hin ist (Assoziation: Stechuhr). Eine Schengengrenze, die klar das Foyer vom Museum trennt, in dem vor allem eins zu herrschen hat: Ordnung. Am Pult, an dem die die Eintrittskarten kontrollierende Person steht (etwa drei Meter von der Kassa entfernt) dan noch ein Verbotsschild (keine Rucksäcke!) prangt. BÖSE! (Technisches Museum Wien)


Höflichkeit ist eine Zier. Es wird um Verständnis für diverse Anweisungen, Ge- und Verbote geworben. Zweisprachig. Es geht ums ungestörte Ausstellungserlebnis. Minus: zuviel Aufwand, Kinder unter Generalverdacht der Störanfälligkeit zu stellen. Da könnte man sich eine große Scheibe an englischen, schottischen oder niederländischen Museen abschauen. Hier ist nicht von Ordnung, sondern von Regeln die Rede und der Anschlag hat auch nicht die Dimension einer Werbefläche (wie im TMW) und drängt sich nicht in das Niemandsland zwischen Foyer und Ausstellung, sondern hängt ganz friedlich an einer Wand, direkt neben einer Orientierungstafel. Und am Schluß noch mal eine persönliche, freundliche Ansprache. GUT! (Universalmuseum Joanneum Graz / Joanneumsviertel)

Ich war hier! (Texte im Museum 384)

Volkskundemuseum Graz (2013)

Samstag, 2. März 2013

Großstädtisches Heimatmuseum

Alle reden über die Kunstkammer (des Wiener Kunsthistorischen Museums). Alle? Nein. Der Standard widmet eine halbe Seite seiner Wochenendausgabe einem Wiener Bezirksmuseum. Dem ältesten. Dem Meidlinger. Hier: http://derstandard.at/1362107189036/Im-aeltesten-Bezirksmuseum-Wien-in-Meidling-wird-Geschichte-konserviert

Donnerstag, 28. Februar 2013

Das Museum als Haus - Die Welt als Museum

Der folgende Text ist über 20 Jahre alt. Es war die Grundlage für einen Vortrag der 12. Museumspädagogischen (Privat)Gespräche gewesen, die in Graz 1991 unter dem Titel "Ganz aus dem Häuschen stattfand." Von Taliman Sluga organisiert und überaus souverän und liebenswürdig geleitet.
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).

Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit,  um Zusammenfassung, Ordnung, um Ver­gleichbarkeit und Zugänglichkeit.  Erst durch die Fixierung  des Ortes, die Dauerhaf­tigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum  nicht besonders  alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.

Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes  und errichtetes  Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen  Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses  von Karl Friedrich Schinkel  entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken  errichtete  Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und  durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.

Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigent­lichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutio­neller und  städtischer   Öffentlichkeit vermittelnden Raum,  die  obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.

Doch nicht nur dies und die selbstbewußte  Entgegensetzung der bürgerlich-öffentli­chen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bil­dungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang.  Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle  u.a. das Götter-­ und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitge­nössischen Interpretation heißt. 

Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Hu­manisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger,  als zentrale  Einrichtung, auf die sich der preußische  Staat berufen und fun­dieren möchte,  eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint  hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung  und Bildung.

1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste  Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE ET ARTIVUM  LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen  Übersetzung: Friedrich Wilhelm III.  hat dem  Studium jeder Art Alterthümer und der freien  Künste  diesen Ruheort  gestiftet 1828. (2)

Das Wort Museum, das in der deutschen  Übersetzung merkwürdiger- und bezeich­nenderweise nicht  übersetzt   und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum.  Mit dem  Wort Museum  würden,  so  der  erste  Gutachter (3),  "im  ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet,  aber niemals  solche  zur " Aufbe­wahrung  von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachge­brauch  Museum  der populäre, niemals   aber der klassische  und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutach­ten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß  zu demselben ablehnenden Ergebnis.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Muse­um noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Samm­lungen  usw. auch  gebräuchlich ist, können umgekehrt  museale  Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt  werden.

Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.

Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinan­dertreffen. Die eine Tradition,  die die Gutachter und  Experten gegen die Verwen­dung des Wortes  Museum  für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt,  von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts  Vergangenes,  Historisches aufbewahrt wurde.

Die andere  Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist of­fensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ur­sprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der  doppelten Bedeutung von Hain,  Garten,  jedenfalls  den  Musen  gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung  und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Be­griffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens  korrekt - als unantik  ablehnt, am Begriff  Mu­seum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser  älteren  Tradition zu geben.

In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl  an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang  zurückliegenden, längst verschüt­teten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale,  textgebundene von den  ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.

Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töch­ter der Mnemosyne,  der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus.  Zuerst  ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und le­ben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deu­ten.

Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Ge­schichte und Wissenschaft hatten spezielle  Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen  Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet,  Bilder der Musen aufgestellt und der  Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer.                               .
Als Beschützerinnen der  Künste und  des Geistigen wurden die  Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien,  philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet  wird. Aus dem museion  als mythischem, vage lokalisier­baren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.

"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser  fast mit himmlischer Lust ver­knüpften Betrachtung  der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrück­lich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle  angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber  seine Sinnen und Gedanken  zusammen  ruft,  und  einzig  und allein  zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen  und umgeben  mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sa­chen, über deren Anschauung  seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)

So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsis­tischen Gelehrten in seinem privaten Refugium.  Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu­ erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.

Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und  sammelt  dafür  Material, nun aber  nicht  nur  schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder  Inschriften, sondern  Gegenstände, wie Kleinplastiken, Mün­zen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservie­ren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Verglei­chen und Ordnen von Material  ein ,Text' gebildet werden kann.

Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs  mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Presti­ge', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden  kann.

Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkan­praktiken des  Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt  das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation,  auch durch die dadurch ausgelösten politi­schen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Ent­deckungen gerät das arkanhafte,  private Sammeln in eine  Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke  in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsord­nungen. Das Sammeln  spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, plu­ralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.

Zum  qualitativ  Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die  Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokra­tischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann  das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Samm­lung und ihrer Wahrnehmung.

Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schu­len gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung  - auch un­terstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.

Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen  Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)

Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epo­chen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee be­herrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestat­tete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.

Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.

Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen her­vorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Ex­peditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst­ werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.

Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.

Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müll­halden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, son­dern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein.                                                      ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.

Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Wi­derspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im­mer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Din­gen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.

Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer  Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftli­che Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jähr­lich 4000 Skelettreste anfallen.

Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung  ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtge­lände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits­ und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstands­lose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.

Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftig­keit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber­ stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Muse­umspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Ma­schinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.

Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ih­ren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ih­nen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.

Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bil­det sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erin­nerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänome­ne aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dia­lektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Be­wußtsein verloren ist." (8)

Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könn­ten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9)  und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.

Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohn­macht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ih­nen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)

Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung  glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operie­ren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.

Daher: Raus aus dem Museum!



Anmerkungen:

1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich  Schinkel  als Mensch und als Künstler,  1844,  zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2  Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3  Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia  oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen  zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5  Vgl. dazu und zum Folgenden  Paula Findlen:  The Museum:  Its classical  etymology  and re­naissance  genealogy.  ln: Journal  of the History  of Collections, I no.l 1989
6  Michel Foucault:  Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis.  Wahrnehmung  heute oder Perspektiven einer anderen  Ästhetik.  Leipzig 1991, S.43
7  Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie  der Wissenssoziologie. Frankfurt  1969,  S.94
9  Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition  und Ex­periment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg  1988, S.288ff.
10  Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Muse­ums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7

Montag, 25. Februar 2013

Mikroausstellung "Saliera"



"Schatzfund" im Waldviertel

Innen- und Bildungsministerien

Wilfried Seipel nimmt die wiedergefundene Saliera in Empfang

Einer der (milderen) Vorwürfe gegen den Generaldirektor: er habe die wiedergefundene Saliera mit bloßen Händen angegriffen. Hier steckt er den Dreizack, den der Dieb als beweis seines Besitzes verschickt hatte, in die Saliera


TV-Werbung für die Kunstkammer. Maximilian Schell

Die Saliera, ein Salz- oder Pfefferfass, wurde vom italienischen Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini (1500-1571) für Franz I. von Frankreich von 1540 bis 1543 anfertigt. Es ist Cellinis einzige erhaltene Goldschmiedearbeit.
Dargestellt sind Neptun, der Gott des Meeres, mit einer Hand ein Schiff als Salzbehälter haltend und von vier pferdeartigen Wesen mit Rossleib und Fischschwänzen getragen, und Tellus, die römische Göttin der Erde. Sie sitzen einander gegenüber, "die Beine anmutsvoll ineinander geschoben" (Cellini). An ihrer Seite befindet sich ein Tempelgebäude, das als Behälter für Pfeffer dient, sowie die Darstellungen von Landtieren und einem von Blüten und Früchten strotzendem Füllhorn. In den acht Nischen des Sockels findet man Darstellungen der Jahreszeiten sowie der Morgenröte, des Tags, der Dämmerung und und der Nacht.

Kardinal Ippolito d’Este von Ferrara hatte bei Cellini das Salzfass in Auftrag gegeben, zog den Auftrag aber zurück. Cellini nahm das Modell mit auf seine Reise nach Frankreich und zeigte es dort Franz I. Er erteilte Cellini den Auftrag zur Ausführung des Salzfasses. Es gelangte später als Geschenk des französischen Königs Karl IX. an Erzherzog Ferdinand II. von Tirol und damit in habsburgischen Besitz. Das Salzfass war Teil der Kunstsammlung von Schloss Ambras und wurde im Zuge der Auflösung dieser Sammlung in das Kunsthistorische Museum in Wien überführt. 

Im Mai 2003 wurde die Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlen. Der Diebstahl wurde durch die Einrüstung des Museums erleichtert. 2006 wurde der Dieb gefasst und die Saleria, die er in einem Waldstück in eine Kiste verpackt vergraben hatte, geborgen. Der Täter, Chef einer Alarmamlagenfirma, wurde zu fast drei Jahren Haft verurteilt und ist inzwischen vorzeitig entlassen. Der damalige Generaldirektor des Museums Wilfried Seipel wurde wegen der mangelhaften Sicherheitsstandards des Museums massiv angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert.

»Durch den Diebstahl hat das Kunsthistorische Museum seine Unschuld verloren«, erinnert sich Georg Leithe-Jasper, der frühere Direktor der Kunst- und Schatzkammer des KHM, des eigentlichen Standorts der Saliera. »Die Reaktion meiner Kollegen vom Louvre bis zur Eremitage war erschütternd. Es stimme also doch, sagten sie, das KHM sei ein unseriöses Haus geworden.« (Rainer Himmlefreundpointner: Gelegenheit, Nacht, Diebe.Wie es gelang, die "Saliera" aus dem angeblichen "Bollwerk" zu stehelen. In: DIE ZEIT online, 9.2.2006)

Mit der Eröffnung der sogenannten Kunstkammer im März 2013 rückt die Saliera als eines der kostbarsten Stücke des Museums wiederum ins Zentrum der Aufmerksamkeit.