Dienstag, 13. November 2012

Roussels essbarer Stern (Objet trouvé)

Sternförmiges Biscuit, das der Schriftsteller Raymond Roussel von einem Mahl in Camille Flammarions Observatorium am 29.7.1923 mitführte und wie eine reliquie aufbewahrte. Georges Bataille: "Von einem MIttagessen bei Camille Flammarion ... brachte Raymond Roussel einen kleinen Keks in Form eines Sternes mit fünf Zacken mit. Er ließ eine Silberschachtel von der gleichen Größe und Form mit einem Glasdeckel anfertigen, dann schloß er den Stern mit Hilfe eines winzigen silbernen Vorhängeschlosses darin ein ... Ein an die Silberschachtel gebundenes Pergamentpapier erinnerte an die Herkunft des kleinen Kekses. Der nach Roussels Tod verkaufte Gegenstand wurde zufällig auf dem Flohmarkt entdeckt. Er gehört mir nicht, aber er blieb einige Monate in meiner Schublade, und ich kann nicht ruhig über ihn sprechen. Die dunkle Absicht Roussels scheint sehr mit dem essbaren Charakter des Sternes verbunden zu sein: offenbar wollte er sich den essbaren Stern konsequenter und realer aneignen, indem er ihn nicht verzehrte. Der merkwürdige Gegenstand bedeutet für mich, dass Roussel auf seine Weise den von ihm gehegten Traum erfüllt hatte, 'einen Stern vom Himmel zu essen'. Die Grenzen unserer Gefräßigkeit bis zu den Sternen zu erweitern, ist ohne Zweifel ein ohnmächtiger Anspruch. Der Gedanke eine sich zu eigen gemachten Sternes ist einer der absurdesten Gedanken, die formuliert werden können ... Wenn es aber nicht möglich ist, einen Stern der menschlichen Kleinheit anzupassen, so ist es dem Menschen erlaubt, sich seiner zu bedienen, um seine elenden Grenzen zu sprengen. Derjenige, der sich vorstellt, wie er einen Stern isst, selbst wenn er sich ihn lustig von der Größe eines kleinen Kekses dächte, kann nicht die Absicht haben, ihn auf die Größe dessen zu reduzieren, was er unbehindert in der Hand hält: er muss die Absicht haben, größer zu werden, bis er sich in der blendenden tiefe des Himmels verliert." 2007 wird der Sternenkeks aus der Sammlung Leroy für 26.000 Euro versteigert.

"Wie man sich die Welt erlebt. Das Kunstalltagsmuseum zum Mitnehmen" (Das Museum lesen 29)




Keri Smith: Wie man sich die Welt erlebt. Das Kunstalltagsmuseum zum Mitnehmen. Kunstmann-Verlag. München 2011

Indian Necklace (Texte im Museum 343)

Beschriftung aus Wilson Peales Museum

Montag, 12. November 2012

Handschelle (Entrée 80)

Zutrittsberechtigung zum Museum des Stiftes Klosterneuburg und zu dessen Schauräumen

Altes, aber offenbar bewährtes Modell "Maler und Muse" (Texte im Museum 342)

Ausstellung "Alex Katz" Essl Museum Klosterneuburg

Designerkarte (Entrée 79)

Die von Friedrich Kiesler gestaltete Eintrittskarte zur Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik

Noch immer gibt es bei Friedrich Kiesler etwas zu entdecken. Empfehlung für einen Ausstellungsbesuch

Ausstellungstext

Friedrich Kiesler wurde am 22. September 1890 in Czernowitz, Bukowina, Österreich-Ungarn geboren. Kiesler war Architekt, bildender Künstler, Designer, Ausstellungsdesigner, Typograph und Bühnenbildner. Mit der "Raumbühne" hatte er auf der Internationalen Theaterausstellung in Wien 1924 ein derart großes Echo, daß er im folgenden Jahr nach Paris zu einer ähnlichen Ausstellung eingeladen wurde. Diese wiederum ebnete ihm den Weg in die USA, in die er 1926 emigrierte und wo er unter anderem für Betty Guggenheim ein semipermanentes Museum konzipierte, "Art of this Century". Kiesler beschäftigte sich mit dem Kino, dem Theater, dem Städetbau, aber viele seiner Arbeiten waren ephemer und viele Ideen und Projekte wurden nicht realisiert. Erst im Todesjahr - Kiesler starb am 27. Dezember 1965 -, wurde sein einziges realisiertes und erhaltenes monumentales Bauwerk eröffnet: der "Shrine of the Book" in Jerusalem als Teil des Israel-Museum.
Kiesler hat sich mit vielen Medien, Bautypen und Formgelegenheiten beschäftigt, was ihn so unverwechselbar macht und inspirierend beim Nachdenken über heutiges Ausstellen ist die Konsequenz, mit der ein "theatralisches" Verständnis vom Raum auf alle Aufgaben, Projekte und Ideen bezog. Beim Konzipieren von Ausstellungen bedeutete dies, alles in die Überlegungen einzubeziehen, die Wechselbeziehung zwischen allen Elementen zu beachten und Gestaltung als ein Gestalten der Wahrnehmungsbedingungen insgesamt, vor allem den Betrachter einbeziehend, aufzufassen. Kiesler hat dabei unter anderem dem "Gestell", also all dem, was zum Zu-Sehen-Geben wichtig ist aber vom Betrachter oft ausgeblendet, vom Ausstellungmacher gelegentlich vernachlässigt wird, zur hervorragenden Gestaltungsaufgabe gemacht.
Die Ausstellung "Die Kulisse explodiert" im Österreichischen Theatermuseum in Wien ist zwar den Theater- und Kinoprojekten gewidmet, aber es lohnt allemal sich diese Ausstellung auch mit der "museologischen Brille" anzusehen, zumal es um Prinzipien geht, die Kiesler zwar immer weiter entwickelt hat, aber auf alle Aufgaben zu übertragen versuchte.
Dem Ehepar Bogner und der Friedrich Kiesler-Stiftung muß man dankbar sein für ihr Engagement für Kiesler und das Zustandekommen von Ausstellungen, die immer neue Aspekte von Kieslers Arbeit bekanntmachen. (Bis 25.Februar)



Die Tür ist zu, aber das Museum offen (Texte im Museum 341)

Österreichisches Theatermuseum

Freitag, 9. November 2012

Fundsache: Gebücktes Lesen

Benjamin Ives Gilman über "Museumsfatigue" in seinem Buch "Museum ideals of method and purpose", 1918

Donnerstag, 8. November 2012

Der Schatten Herzls (Entrée 78)


Das Herzl-Museum in Jerusalem

Im August 1949 wurde der 1904 verstorbene und auf dem Döblinger Friedhof in Wien bestattete Theodor Herzl nach Israel überführt und in Jerusalem auf einem nach ihm benannten Hügel beerdigt. Etwas mehr als ein Jahr nach der Gründung des Staates Israel wurde dieser "Founding Father" der Israelischen Nation im Zentrum des jungen Staates beerdigt (gemeinsam mit Golda Meir und Ytzhak Rabin, inmitten eines Militärfriedhofs) und monumental gewürdigt, mit einer öffentlichen Grabanlage in einem Park von dem aus man auf die Stadt sieht. Herzl war nicht der einzige und nicht der erste, der die Idee eines jüdischen Staates propagierte, aber er verfolgte die Idee erfolgreich und hartnäckig, trotz unzähliger diplomatischer Abfuhren. Und so gilt er als der Vater des Zionismus. Denn er löste eine Bewegung aus, die die Idee mit ihm trug und wirkungsvoll verbreitete - bis die Gründung eines Staates Israel tatsächlich 1948 gelang.

Am Fuß des Hügels und am Rand des Parks, in dem Herzl bestattet ist, liegt ein kleines, in dieser Form 2005 errichtetes Museum, das ihm und seinem Lebenswerk gewidmet ist. Es besteht aus einer Abfolge Lebensstationen Herzls szenisch andeutender Räume, die man nacheinander betritt und die chronologisch die Biografie der Person und der Idee "erzählen". In jedem dieser Räume sitzt man wie in einem Kino oder Theater, z.B. inmitten von Teilnehmern des ersten Zionistischen Kongresses, der in Basel stattfand, in einem im Architekturstil des späten 19. Jahrhunderts angedeuteten Raum mit sichtlich fiktionalem Personal - die stummen Zeitzeugen, unter die man sich gesellt, des Kongresses sind aus von innen erleuchtetem Kunststoff.




Die dreidimensionale Geschichtskulisse, die, wie gesagt, nicht abbildungsrealistisch Authentizität erzeugt oder gar die illisionistische (und gespenstische "Lebens-Echtheit" eines Wachsfigurenkabinetts anstrebt, sondern ihr Theatralisches klar zu erkennen gibt, ist tatsächlich Bühne. Aufgeführt werden für das auf Stühlen sitzendem "Museums"Publikum Theater und Film. Genauer gesagt, ein Film, der die Vorbereitung und dann die Aufführung (ausschnittsweise, versteht sich) eines Theaterstückes zeigt, in dem Herzl auftritt. Ein Regisseur, der Herzl-Darsteller und eine Herzl-Expertin diskutieren über ihn, seine Idee und sein Leben, über die Darstellbarkeit seiner Lebensgeschichte, über die theatralische Umsetzung seiner Idee. Die Darstellung springt immer wieder zwischen Probe und Diskussion hin und her um schließlich zur tatsächlichen Aufführung zu kommen.



Während der Beginn der Raumabfolge mit seiner klischeehaften Darstellung eines Café- und Operetten-Wien - man sitzt auf Kaffehausstühlen an den typischen runden Tischchen mit anderen "Gästen" (aus Plastik) -  läppisch wirkte, wurde mit dem Auftakt der (dann alle Räume wie ein roter Faden durchziehend) Filmzuspielung die trickreich gebrochene Repräsentationstechnik immer deutlicher. Die schöne Idee, das Museum einmal wirklich als Theater zu begreifen, womit das Gemachte der Geschichte und die Protagonisten und Autoren der Erzählung sichtbar wurden, allein ist schon sehr intelligent. Theater im Film, noch einmal gespalten in Probe und Aufführung und vorgeführt in "historischen Schauplätzen", auf denen man in der Rolle des Theaterzuschauers und Teilnehmers am Ereignis ebenfalls "doppelt anwesend" war, machen das Herzl-Museum zu einem trickreichen Spiegelkabinett. Damit nicht genug. Einige Feingriffe spitzten das Spiel der oszillierenden Repräsentationesebenen noch zu. Es wurde die Rolle der Bühnentechnik bei der Erzeugung von Bildern, Affekten und Illusionen eingebaut, die "Spaltung" des Schauspielers, der plötzlich aus der ernsthaften Rolle heraustrat, um sich über seinen kratzenden Kunstbart zu beschweren oder die Erzeugung von ethnischen und sozialen Konventionen, als das Leading Team nach einer Szene sich auf den Tausch eines viel zu klischeehaften Darstellers zu einigen.

Dabei war das alles auch noch ziemlich informativ - für mich, sage ich gleich, der sehr wenig über Herzl wusste - und alles andere als hagiografisch. Von Personalmuseen erwartet man die Würdigung einer Person. Über Tote nichts Schlechtes ist das Motto all dieser Stätten. Mit Aufwand hat man den Geburts-oder Sterbeort, den Ort der Entstehung eines bedeutenden Werkes, Ereignisses etc. ja nur deswegen erhalten und mit einer einschlägigen Tafel "Hier...!" versehen, weil der Verblichene längst ins patriotische Pantheon einer Nation eingegangen war, und ein Museum diese Würdigung verpflichtend machen und aufrecht erhalten kann. Doch hier, an der Herzl-Weihestätte, seinem Grabhügel in Jerusalem, der Hauptstadt einer Nation, war der Ton respektvoll und anerkenned aber der Text ließ auch sich auch klar über Widersprüche der Idee und Schwächen der Person aus. Auch im allerletzten Teil, wo das moderne Israel, also der Staat wie er sich seit 1949 entwickelt hat, vor dem gleichsam personifizierten Geist Herzls zur Prüfung antreten muss, wurden nicht nur die Glanzlichter der modernen Gesellschaft angesteckt (in einem extrem schnellen Bilderrap, der manchmal nur die Qualität eines touristischen Werbefilms hatte), sondern klar die geschichtlich ererbten und weitergeschleppten Widersprüche artikuliert, mit dem Tenor: Israel ist ein unvollendetes und - noch - unvollkommenes Projekt. Schade nur, daß dem Film eine jener breiig-wabernden Pathosmusiken unterlegt war, wie ich sie vor allem aus patriotischen Hollywood-Historienfilmen kenne. Das verpickte und verkleisterte wie zäher Honig, was ohne diese immersiv-verblödende Klangwatte schärfer und kontrastreicher gewirkt hätte.


 Das ist aber doch kein Museum, wird mancher einwenden. Dochdochdoch! Die Authentizitätsfetischisten kommen schon nicht zu kurz. Zwei Räume waren mit "echten" Versatzstücken aus Herzls Nachlass, ebenfalls ambiental, gestaltet, mit einigen technisch dezenteren Videoeinspielungen, ansonst aber ganz und gar den Museumskonventionen entsprechend. Ich glaube mich zu erinnern, daß das niemanden dort zur Anbetung einer durch Dinge vermittelten Epiphanie des großen Herzls verleitet hat aber auch nicht, daß man entsetzt sein konnte über eine entwertende Relativierung der Exponate zwischen so viel "Fiction". Die gute alte "Konträrfaszination", sie wirkt wirklich, auch hier, aber in beide Richtungen. Die musealen Räume waren wie Ruhepole Orte der Konzentration und des Eingedenkens  - mit ihren einerseits beliebigen (Schreibzeug, Wanduhr, Schreibtisch, Brille...) andrerseits die Spur der Person anrührend bewahrende Reliquien.

Der "Regisseur"

 Wer oder was spricht hier? Bis zuletzt ließ einen das Setting nicht aus seinem Spiegelkabinett, bis man mit der offenen Frage nach Herzls Lebenslauf als "märchenhaft" noch einmal auf die (mindestens) Zweideutigkeit von Geschichte, Geschichten, Erzählung und Erzähler gestossen und - entlassen wurde.

Das Herzl-Museum werde ich als inspirierend und gewitzt sich an Popularisierung versuchenden Ort in Erinnerung behalten, der sich und seine Besucher nicht als Dumm verkauft und nationales Identitätspathos in einem irisierenden Spiel der Relativierungen auflöst und verdaulich macht.



Alle Fotos (bis auf das Grabmal): G. Fliedl, 2012

Samstag, 3. November 2012

Ein Museum: Biomuseum Panama

Eine verbreitete Spielart moderner Museumsarchitektur ist der skulpturale, expressive, zeichenhaft in den Stadtraum wirkende solitäre Bau. Der Meister dieses funktional oft sehr problematischen Museumstyps ist Frank O. Gehry, der ihn von den Anfängen mit dem Vitra-Museum in Weil am Rhein bis zum megalomanen Projekt eines Guggenheim-Museums an der Spitze Manhattens, das nie gebaut werden wird, entwickelt hat.
Sein jüngter Museumsbau steht kurz vor der Vollendung und er ist für ein Land konzipiert, das keine nennenswerte Museumstradition hat: Panama und es hat einen interessanten Zweck. Marking his first project in latin america, the 'biomuseum' by canadian-born architect Frank Gehry aims to provide a scientific center  to document and display the rich cultures of ocean and land species that originated in the panamanian isthmus that had a large impact on global biodiversity. funded by the amador foundation, backed by the government, with scientific support by the smithsonian institute and the university of panama, the project carries a great social importance for the country and region.

Hier die Webseite des Museums.