Donnerstag, 8. Dezember 2011

Beruf ohne Ausbildung, Ausbildung ohne Beruf


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Dieser Text wurde aus Notizen zum Vortrag auf der Herbsttagung des Museumsverbandes Baden-Württemberg e.V. und dem Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen zum Thema Universität und Museum verfasst.*
Die Einladung hat mich – zum ersten Mal – veranlasst, meine etwa dreißigjährige Tätigkeit im Feld der museumsbezogenen Aus- und Weiterbildung nach Erfahrungen und Mitteilungswertem durchzukämmen. Die Überlegungen sind bruchstückhaft, auf das Thema der Tagung fokussiert und als Anstoß zu Diskussionen gedacht.

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Off the record kann man sich unter Museumsleuten rasch darauf einigen, dass es so etwas wie eine Berufsausbildung kaum gibt und vielleicht sogar darauf, dass dies einen Mangel darstellt. Zu viele und zu besondere Anforderungen stellt die Museumsarbeit, als dass eine gezielte Vorbereitung zu entbehren wäre. Aber, wie wir wissen, eine solche Berufsausbildung existiert nicht, und ihrer Verwirklichung stehen nicht nur psychologische – wer will schon eingestehen, dass er möglicherweise ungenügend ausgebildet ist? - oder organisatorische Gründe entgegen, sondern vor allem der Umstand, das es den Museumsberuf nicht gibt.
Kurzum, es gibt so etwas wie eine strukturelle Unprofessionalität der Museumsarbeit, fast jeder weiß das, die wenigsten gestehen sich das ein und fast niemand versucht eine Diskussion darüber in Gang zu bringen oder Abhilfe zu schaffen.
An Museen können je nach Größe und Museumstyp Personen arbeiten, die eine spezifische, auf das Museum bezogene Qualifikation haben wie etwa Restauratoren oder Präparatoren und gleichzeitig solche, die zwar für viele Tätigkeiten qualifiziert sind, aber keine oder kaum museumsspezifischen Kenntnisse haben. So wenig ein hoch qualifizierter Mineraloge auch Ausstellungsmacher ist, so wenig ist ein Kunsthistoriker durch sein Studium mit der Inventarisierung vertraut und so weiter.
Bemerkenswert ist der Status jenes Berufs, an den man meist denkt, wenn man von museumsbezogener Berufsausbildung redet: der des Kurators, des wissenschaftlichen Mitarbeiters, der in der Regel die verantwortlichste und mächtigste Position im Museum innehat. Seine Berufsberechtigung gründet meist in der Absolvierung eines Hochschulstudiums mit Abschluss in einer Wissenschaftsdisziplin, die im Museum vertreten ist. Zwar werden bei der Einstellung von Personal vermehrt zusätzliche, museumsspezifische Kenntnisse verlangt, aber die Regel ist das nicht, es ist meist die fachdisziplinäre Qualifikation allein, die genügen soll.
Das ist problematisch, weil es offensichtlich viele und besondere Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen im Museum braucht, die nicht oder nur unzulänglich im Verlauf eines Fachstudiums vermittelt werden. Das Museum ist nun mal ein Hybrid, eine Institution, ein Medium, ein sozialer Raum, eine Sammlung, ein Schauort und vieles andere mehr, und wer kann sagen, dass ihn ein Studium der Ethnologie, Volkskunde oder Kunstgeschichte auf all das vorbereitet?
Die Einseitigkeit der Qualifikation - der Nachweis einer fachwissenschaftlichen Ausbildung - hat mit einem ebenso einseitigen Verständnis vom Museum zu tun. Wer das Museum nur als wissenschaftliche Anstalt sieht, verengt das breite Spektrum seiner Eigenschaften und Potentiale dramatisch und legt ihm einen ebenso engen Wissensbegriff zugrunde. Dieses Museumsverständnis erschöpft sich in der Vorstellung, dass ein Museum ein Ort der objektbezogenen Forschung ist und im Wesentlichen deren Resultate vermittelt (wenn das überhaupt der Fall ist und das gewonnene Wissen nicht bloß in engsten Fachkreisen und –journalen zirkuliert, ohne jede Auswirkung auf das Museum und seine Ausstellungen). Aus ihm sind zum Beispiel das Wissen der Besucher ebenso ausgeschlossen, also auch ihre Interessen und Fragen, wie das - in den letzten Jahrzehnten unglaublich angewachsene und enorm differenzierte - praktische und theoretische Wissen der Museologie.
Aus einer je nach Museumstyp mehr oder weniger intensiv gepflegten sammlungs- und daher auf Dinge bezogenen Forschung (die statistisch gesehen nur eine kleine Minderheit von Museen betreibt) kann nicht der Schluss gezogen werden, das Museum nahezu ausschließlich mit wissenschaftlichem Wissen zu identifizieren. Museen sind immer auch Orte des Sehens, der sozialen Interaktion, des unabschließbaren Fragens, der immer wieder abgleitenden Suche nach Bedeutung und Sinn, der Selbstauslegung, der Erinnerung und vieles andere mehr.
Es scheint sich immerhin – wenn gleich nur zaghaft, vielleicht auch unter dem Eindruck, den die lange Praxis der Künstlermuseen und der künstlerischen Interventionen hinterlässt - die Ahnung durchzusetzen, dass das Museum etwas zwischen Kunst und Wissenschaft ist, wobei dieses etwas aber auch nicht bloß als deren beider Summe oder Quotient gelten kann. Das heißt, es rückt (nicht überraschend) die Vermittlung, die Darstellung, die Repräsentation stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit, generell der soziale Prozess, der unter Einbeziehung von Architektur, Exponat, Besucher, ‚Autor’ (Kurator), Gestalter und vielem anderen mehr zustande kommt. Hier endet in der Praxis oft auch die Forderung nach Wissenschaftlichkeit (obwohl auch dazu inzwischen ein reiches museologisches Wissen existiert) und man delegiert aus Verlegenheit, nicht selbst als Wissenschafter für die Gestaltung verantwortlich sein zu wollen und zu können, gerne an Architekten, Grafiker oder an einschlägig tätige Büros, ganz zu schweigen vom eben kurz beschriebenen Performanz des Museums und seiner ‚Gestaltung’.

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Beeindruckt zeigt sich die Museumsroutine von solchen Widersprüchen und Problemen freilich wenig. Museumsarbeit reproduziert sich weitgehend aus sich heraus, oft ohne erkennbaren oder nur mit unglaublich langsamem Fortschritt. Daß die Rekrutierung von Personal oft überhaupt nicht nach qualitativen Gesichtspunkten erfolgt, sondern von internen institutionellen Sachzwängen, persönlichen Befindlichkeiten oder von politischen Wünschen von außen erfolgt, darauf möchte ich hier gar nicht eingehen.
Hier liegt eines meiner Motive, für so etwas wie Aus- oder Weiterbildung zu argumentieren. Mein Plädoyer ist eines im Namen der Weiterentwicklung, Kreativität und Innovation, auch - aber das weniger - im Interesse der Professionalisierung der handwerklich-praktischen Fertigkeiten - wofür es aber inzwischen ohnehin viele Plätze der Aus- oder Weiterbildung gibt. Was es braucht, sind Räume und Zeiten der Reflexion des Museums und der Museumsberufe, also Gelegenheiten, ohne Tabus, experimentell, riskant, offen und ohne disziplinäre Scheuklappen zu diskutieren, erproben, basteln zu können. Dabei geht es nicht einfach um dieses oder jenes Museum, sondern um eine Idee Museum, ein Projekt Museum, das durch die konkrete Museumsarbeit weiterentwickelt werden soll.
Mein zweites Motiv für ein Plädoyer zu mehr Ausbildung ist der dem Museum aufgezwungene Strukturwandel. Es gibt nicht nur nicht den Museumsberuf, die Berufe ändern sich auch durch Reprivatisierungen, Ökonomisierung und Rentabilitätsdruck, durch die Konkurrenz der Museen untereinander und mit anderen kulturellen Angeboten, durch das scheinbare Veralten der Medialität der Institution. Das zwingt zur Adaption der Museumsarbeit, was wiederum veränderte Anforderungen an bestehende Berufe nach sich zieht, wenn nicht gar die Notwendigkeit neue Berufe zu integrieren. Hier liegt eine ganz pragmatisch-politische Notwendigkeit, die Frage der Qualifikation zu stellen. Und wie schon bei meinem eher persönlichen Motiv, die Optionen des Museums durch Aus- und Weiterbildung innovativ zu nutzen, ist auch diese Qualifikationsstrategie nicht anders als reflexiv zu haben. Und das deshalb, weil sie es ja mit einer Bewertung der Rolle des Museums zu tun hat, mit anderen Worten, mit einer mehr oder minder gravierenden gesellschaftlichen Neudefinition dessen was ein Museum sein sollte. Auf Privatisierungsstrategien etwa (ich denke, man ahnt gar nicht, was da auf die Museen gerade zukommt) kann man affirmativ, produktiv, kritisch oder verweigernd reagieren. Aber man muss – und sei es um den Preis des Scheiterns - diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen, sich ein Urteil bilden und Schlussfolgerungen bis in die feinen Verästelungen der Museumsarbeit hinein vornehmen. Das ist im übrigen, so meine ich, nicht zu haben, ohne sich auch der Frage zuzuwenden, was Museen einmal waren und wohin sie sich wünschenswerterweise entwickeln sollten, also nicht ohne Museumsgeschichte – ohne Nostalgie und Retrobedürfnisse – zu betreiben.

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Ein weiterer Grund für eine – wiederum reflexive – Aus- und Weiterbildung zu argumentieren, ist eine einzigartige organisatorische Eigentümlichkeit des Museums. Wie etwa Spitäler oder Universitäten ist auch das Museum eine sogenannte Expertenorganisation. In solchen Organisationen gibt es einen Widerspruch der Expertise der einzelnen Mitglieder, die sie innerhalb einer Profession oder Disziplin besitzen und anwenden einerseits und dem sozialen System der Organisation andrerseits.
Expertinnen und Expertinnen identifizieren sich mit ihrem Fach weit mehr, als mit der Organisation und konzentrieren sich hochindividuell auf ihre Facharbeit. Sie haben Kenntnisse und Fertigkeiten in ihrem Gebiet in der Regel aber kaum oder gar keine Kompetenz die Organisation betreffend. Typisch für Expertenorganisationen ist das mangelnde Engagement für das Gesamte der Organisation und ihre Ziele und ein Leitungsdefizit, wo an der Spitze der Organisation die Kluft zwischen fachlicher und organisatorischer Kompetenz besonders dramatische Konsequenzen haben kann.
Ein Resümee aus meinen Erfahrungen ist, dass Professionalisierung der Leitung das akuteste Problem ist.
Es gibt Unterschiede in der Ausformung der Wissensbasiertheit in unterschiedlichen Museumstypen. Für Naturmuseen scheint es eine lange Tradition der Orientierung an einem Verständnis von Forschung zu geben, das relativ isoliert vom Museum, das heißt vor allem von seiner Vermittlungsaufgabe (Ausstellungen) betrieben werden kann und das auf problematische Weise zu einer starken Verengung des Verständnisses vom Museum führt, während etwa Kunstmuseen bis zu einem gewissen Grad immer mit der Vermittlung eines forschungsbegründeten Kanons beschäftigt sind und ganz anders auf das Ausstellen bezogen sind. Traditionell objektorientierte Wissenschaften, wie die Archäologie, Ethnologie oder Volkskunde haben wieder andere Beziehungen zur Museumsarbeit entwickelt.
Die Substituierung der einschlägigen Fachwissenschaftern fehlenden Kompetenz durch Anstellung von Buchhaltern, Personalentwicklern, Kulturmanagern usw. löst das Problem nicht, weil auch diesen Personen erst recht die museumsspezifische Erfahrung fehlt und gerade sie ziemlich blind gegenüber den Notwendigkeiten und Chancen des Museums bleiben.
Damit noch nicht genug der Probleme. In einem Spital oder an einer Universität gibt es eine Kongruenz von Ausbildung, Wissen und Anwendung: wer einen Blinddarm operiert hat das gelernt, wer Kunstgeschichte studiert hat, wendet dieses Wissen z. B. in der Lehre an. Wer aber eine Ausstellung in einem Naturkundemuseum macht, hat als Mineraloge nie etwas von Gestaltungsfragen, Projektmanagement und Textredaktion gehört, eine Historikerin, die in einem Museum mit der Führung einer Medienabteilung betraut ist, hat mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie von restauratorischen, konservatorischen Problemen gehört, mit denen sie es zu tun bekommen wird, und möglicherweise auch wenig von den technischen, ästhetischen, kommunikativen und museologischen Eigenheiten, Tücken und Qualitäten der ihr anvertrauten alten und neuen Medien.
Zu den wirklich erschreckenden Erfahrungen, die ich mir im Laufe der Zeit zugezogen habe, gehört die gelegentlich unbeschreiblich große Kluft zwischen dem Anspruch der Institution Museum einerseits und der spezifischen Kompetenz mancher Beteiligter andrerseits. Das gilt, ich wiederhole mich, leider für die Leitungsfunktion in besonders zugespitzten Ausmaß. Ich kann mir schlecht eine andere kulturelle Institution denken, in der Unerfahrenheit, ja Ahnungslosigkeit bezüglich dessen was die Institution ausmacht, derart groß und weit verbreitet ist.
Während in anderen Institutionen einschlägige Kompetenz – um den Preis des völligen Scheiterns – innerhalb der Produktionslogik unentbehrlich ist (ein Kameramann muss seine Kamera beherrschen, ein Musiker sein Instrument, eine Sängerin eine ausgebildete Stimme besitzen), ist das im Museum nicht der Fall. Der Satz einer Museumskollegin Jeder kann Ausstellungen machen hat schon seine Richtigkeit – wenn auch mit einem ziemlich herben Nebengeschmack.

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Die vier Plätze, an denen Ausbildung stattfindet bzw. stattfinden könnte, haben alle ihre Vor- und Nachteile: Museen haben zu wenig Distanz zu sich und verfügen in der Regel nicht über museologische Metakompetenz, dafür können sie sehr praxisnah agieren. Wegen der eben genannten Widersprüchen der typischen Expertenorganisation werden sie kaum von sich aus auf dem Feld der Aus- und Weiterbildung tätig werden, weil das die Anerkennung eines Mangels voraussetzen würde. Ich glaube, dass der Eindruck nicht trügt, dass unter dem auch Museen erreichenden Spardruck gerade die Weiterbildung des Personals unter die Räder kommt.
Universitäre Ausbildung muss sich ins enge Korsett von Curricula und institutionellen Regeln zwängen, bietet aber z.B. bei Kooperationen viel wissenschaftliche, kaum aber eigene museologische Expertise an. Viele Universitäten stellen Kurse und dergleichen auf, um sich in Konkurrenz mit anderen Universitäten in einem Gebiet zu profilieren, wo sie Studierenden fragwürdige Versprechen auf neue berufliche Anwendungsfelder machen und womöglich diese Studien außerhalb ihrer Curricula und entgeltlich abhalten. Universitäten schieben gerade innovative, neue, auf neue berufliche Anforderungen und Chancen bezogene Inhalte in Curricula ab, die Studierende zusätzlich zum Regelstudium absolvieren sollen und das womöglich auch noch entgeltlich. Ich habe es aus nächster Nähe erlebt, wie Unfähig eine Universitätsorganisation sein kann, ihre eingefahrenen Strukturen nur ein wenig nachzujustieren. Zu den ersten ‚offizielleren’ Aufgaben nach meinem Arbeitsantritt am – damals hieß es noch so -, Landesmuseum Joanneum gehörte der auf Leitungsebene ausverhandelte Letter of Intent, der die Kooperation im Bereich der museologischen Ausbildung betraf. Die gemeinsam it einer sehr professionell agierenden Uni-Kollegin zerrieb sich rasch im Getriebe der Universität und heute, acht Jahre nach dem Pressefoto mit Museums- und Universitätsleitung, gibt es kein substantielles Ergebnis.
Staatliche Ausbildung (gemeint ist eine erforderliche Qualifikation, um an einem Museum überhaupt arbeiten zu dürfen) ist, soweit ich sie kennen gelernt habe, sehr formell und bürokratisch und eher an verwaltungstechnische Bedingungen und das schon recht altbackene Ideal des loyalen Staatsbeamten geknüpft.
Freie Initiativen können sehr flexibel sein und am ehesten generalistisch agieren, das heißt, unterschiedlichste Aspekte, Personen, Institutionen vernetzen. Sie werden aber oft nicht anerkannt, gerade von den Museen nicht, die von der Ausbildung profitieren könnten und dürfen selten Zertifizierungen anbieten.
Das Ideal wären möglichst zwanglose Kooperationen zwischen den diversen Orten, in denen das zentrale Ziel keiner ihrer institutionellen Zwänge geopfert werden müsste.
Was mich an Curricula, die ich kennengelernt habe, sehr stört, dass oft willkürlich einzelne mehr oder weniger wichtige Aspekte aus dem großen Feld der Museumspraxis und –theorie herausgebrochen und zusammengestoppelt werden. Was dabei so gut wie immer verloren geht, ist der Blick auf das Museum als Ganzes, auf seine Historizität, seine gesellschaftliche Funktion, auf sein Potential als Werkzeug der Erfahrung und Erinnerung in individueller wie in kollektiver Hinsicht. Besonders fragwürdig sind Angebote (derzeit vorwiegend an den Fachhochschulen), die nur eine einzige spezielle Fertigkeiten ausbilden, z.B. im Bereich Design, Neue Medien usf. Absolventen solcher schmalspuriger Konzepte werden in Institutionen kaum mehr als abhängige Facharbeiter sein, ohne Orientierungs- und Reflexionskompetenz.
Derartige Ausbildungsgänge sind, könnte man zynisch sagen, enorm praxisgerecht. Denn sie tragen der zunehmenden Arbeitsteiligkeit Rechnung, in die inzwischen Ausstellungsprojekte gewissermaßen zerlegt werden können, setzen aber der Kooperation und Partizipation in einem Projekt Grenzen, weil – auch hier – das Verständnis für das Museum-Machen und Ausstellen in seinem mit seinen gesellschaftlichen Bedingungen und Ansprüchen eher unentwickelt bleibt.
Ich habe es unlängst bei einem – noch dazu ideologisch intensiv aufgeladenen - Museumsprojekt erlebt, wie Gestalter, Texter, Vermittler, Arrangeure, Medienexperten, Wissenschaftler, Manager usw. scharf gegeneinander abgegrenzt und kaum mehr als durch Zeitpläne und Sachzwänge koordiniert nebeneinander arbeiteten, ohne daß deren Arbeit in einem Gruppenprozess je wieder an die Projektziele zurückgebunden worden wäre.
(Zur Ausbildung in Form Volontariaten kann ich mich nicht äußern, weil es eine Deutschland vergleichbare Situation und Diskussion in Österreich nicht gibt und ich keinen Einblick in die Grenzen und Möglichkeiten dieser Form des Berufseinstiegs habe).

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Ungelöst bei dem allem bleibt, wie angesichts der typologischen, organisatorischen, fachlichen, personellen, funktionalen Vielfalt von Museen Ausbildung aussehen und ob es so etwas überhaupt geben könnte. Ich habe darauf keine andere Antwort, als die der praktischen Erfahrung aus der Zeit meiner Tätigkeit in verschiedenen einschlägigen Projekten. Vor allem in der Grazer Museumsakademie des Universalmuseum Joanneum habe stets ich vermieden von Aus- oder Weiterbildung zu sprechen und unsere Veranstaltungen als solche auszugeben.
Es ging mir um Schaffung von Gelegenheiten, Zeiten und Orten der Reflexion, um Ermutigung, um Herstellung von Freiräumen, in denen ohne Einengung praktischer Zwänge experimentiert werden konnte, es ging um Austausch über ein so komplexes Medium, wie es das Museum nun mal ist.
Das paradigmatische Beispiel dafür war die seit 1999 entwickelte Sommerakademie Museologie, die als einwöchige Klausur eine besonders konzentrierte Form der museologischen Reflexion ermöglichte. Sie geht auf die Initiative eines damals in der steirischen Kulturpolitik erfolgreich engagierten Landtagsabgeordneten, Günter Getzinger, zurück, die es mir und meinen Freunden – Eva Grabherr (Gründungsdirektorin des Jüdischen Museum Hohenems) und Helmut Eberhardt (Professor für Volksunde der Universität Graz) erlaubte, mit wohlwollender und konstruktiver Unterstützung die Akademie zu entwickeln.
Mit der Einladung der Geschäftsführung des Landesmuseum Joanneum, die Museumsakademie aufzubauen, brachte ich die Sommerakademie sozusagen als ‚Geschenk’ ein, wo sie bis zuletzt das das Projekt mit dem größten internationalen Echo und der wohlwollendsten Wertschätzung war. (Um vor einigen Wochen von der derzeitigen Leitung der Museumsakademie, trotz deren Erfolgs, und marginaler Kosten eingestellt zu werden).
Für alle anderen Veranstaltungen der Museumsakademie gab es zwar so etwas wie ein verstecktes Curriculum, Felder, in die wir die Museumsanforderungen sortierten, aber der Versuch, daraus ein modulares Angebot zu machen, das individuell zu einem Curriculum zusammengestellt werden konnte, wurde kaum angenommen. Es blieb bei der Idee, unterschiedliche, möglichst offene Formate anzubieten, wobei offen zum einen bedeutete, sehr unterschiedliche Gäste einzuladen, die nicht zwangsläufig aus den klassischen Fächern kommen mussten, und zum andern dieselbe Offenheit bei der Zulassung von Teilnehmern zu unseren Veranstaltungen zu zeigen: Die Vielfalt der Herkünfte und Kenntnisse wie der unterschiedlichen Erfahrungen hat sich sehr oft bewährt und überraschende Aspekte eingebracht.
Eine zentrale methodische Schwierigkeit zeigte sich in allen Formaten, mit denen ich je gearbeitet habe. Aus praktischen Gründen zerlegt man die Komplexität des Museums in kleine und handhabbare Einheiten. In der Weiterbildungspraxis sind das oft eher periphere Aspekte, über die sich keine Kompetenz in Bezug auf das Museum als hybrides Ganzes einstellt. Aber auch da, wo man versucht, die wichtigsten Aspekte des Museums in den Griff zu bekommen, bleibt die Repräsentativität der Auswahl der Aspekte ein Problem und erst recht die generalisierende Verknüpfung der einzelnen ‚Bestandteile’.
Auf dieses Problem haben wir oft mit einer Leitung vor allem der lange dauernden Veranstaltungen durch ein Team reagiert. Mir scheint das noch immer die vernünftigste Form zu sein, wenngleich sie aufwändig und kostspielig ist. Eine Leitung durch eine einzige Person ist fachlich und physisch überfordernd.

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Wenn man Curricula plant, wird einem notorisch die Frage gestellt, welchen Stellenwert denn das fachliche Wissen hat. Hier kehrt die Frage zurück, in welchem Ausmaß eine akademische wissenschaftliche Ausbildung nötig ist und ob man sie voraussetzt und museologische ‚Lehre’ daran anschließt oder ob man beides zusammen anbietet. Für beides gibt es Beispiele und gegenüber beiden Konzepten bin ich deshalb skeptisch, weil ich dazu neige, dem Sachwissen gegenüber dem Reflexionswissen den Nachrang einzuräumen. Freunde mache ich mir damit nicht und auch nicht mit dem Argument, dass das museologische Wissen – z.B. eine für das Museum charakteristische visuelle Kompetenz, als Kompetenz, mit ‚Bildern’ (im weitesten Sinn) argumentieren, deuten, erzählen zu können -, bis zu einem gewissen Grad unbedingt selbst beherrscht werden muss, dagegen das fachliche sozusagen ‚zugekauft’ werden kann. Ich wiederhole damit nur noch einmal die Überlegung, dass das beste Fachwissen einem bei den Kernaufgaben des Museum wenig bis nichts nützt, während ‚Inhalte’ auf vielfältige Weise beschafft werden können. Das ist übrigens keine weltfremde Theoriebildung im Kopf des Schreibtischtäters, sondern aus Beobachtung in Projekten gewonnen. An der Besetzung der Leitungsposition zweier namhafter Wiener Museen kann ich vielleicht anschaulicher machen, was ich meine. Die Bestellung des neuen Direktors des Wiener Naturhistorischen Museums wurde in den Medien sehr begrüßt. Die Liste seiner Kompetenzen und Qualifikationen ist tatsächlich eindrucksvoll: Astronom, Meteoriten-Spezialist, Leiter eines Departments für Lithosphärenforschung sowie Professor für Impaktforschung und planetare Geologie, stellvertretender Leiter des Geowissenschaftlichen Zentrums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Der neue Leiter des Völkerkundemuseums in Wien dagegen ist Mathematiker und Wissenschaftshistoriker und hat sich mit dem Thema Families of Curves and the Origins of Partial Differentiation promoviert. Er stand als Mathematiker am Beginn einer erfolgreichen Universitätskarriere kam aber mit einem Job an einem wissenschaftshistorischen Museum erstmals mit dem Museum in Berührung, erwarb sich offenbar große spezifische Managementkenntnisse, die zu seiner Berufung an eines der berühmtesten europäischen ethnologischen Musen führte, mit dessen Reorganisation und internationalen Vernetzung er erfolgreich war.
Wie eine Quizfrage könnte man jetzt nach dem ‚geeigneteren’ Leiter eines Museums fragen. Natürlich ist beiden zu wünschen, dass sie erfolgreich sind, aber wirft dieses kleine Vergleichsspiel nicht die Frage auf, wie hinderlich eigentlich gerade höchste wissenschaftliche Qualifikation sein könnte oder wie förderlich das ‚Quereinsteigen’?
Dazu kommt eine zweite, ebenfalls aus der Praxis gewonnene Einsicht: inhaltliche Fragen, die bei der Konzeption einer (Dauer)Ausstellung auftauchen, sind oft so originell, idiosynkratisch, individuell und ungewöhnlich, dass dazu weder die universitäre Forschung noch meist die hauseigene, am Objekt und der Sammlung sich abarbeitende Forschung etwas beitragen kann. Gerade wenn Ausstellungen innovative Repräsentationsweisen und Erzählstrategien verfolgen und gerade weil sie es mit vielen Mitteln tun und dabei die beiden ältesten Medien, ‚Bild’ (im weitesten Sinn) und ‚Text’ kombinieren, hilft das fachlich-akademische Wissen (noch dazu das im konventionellen Aggregatzustand des fußnotenverseuchten Aufsatzes verpackte) weniger als man denkt.
Selbstverständlich kann man bei der Planung von Aus- und Weiterbildung Hierarchien bilden, und ein (nicht besonders origineller, aber plausibler) Weg ist der, Kompetenzen, die an einem bestimmten funktionellen ‚Platz’ des Museums unverzichtbar sind, zu bevorzugen und anderen weniger Gewicht zu geben, wo Kenntnisse ohne eigene Anwendungskompetenz erforderlich sind und die Akquisition von Ressourcen, deren Qualität man aber beurteilen können muss.
Immer aber muss meiner festen Meinung nach ein generalistisches Verständnis vom Museum vorangehen, und idealerweise immer wieder die einzelnen Schritte des Lernens, Erprobens, Diskurses an eine Vorstellung und einen Begriff vom Museum rückgekoppelt werden.
Die Aufspaltung in praxisnahes und theoretisches Wissen, die man so oft bei Ausbildung beobachten kann und das notorische Ausspielen der ‚eigentlichen’ Praxis gegen die ‚luxuriöse’ und im Grunde entbehrliche Theorie halte ich für groben Unfug. Nur ein Pragmatismus, der blind geworden ist gegenüber der Theorie, ohne die er nicht Praxis sein könnte, kann Theorie als überflüssig erklären. Die bleibt aber im Spiel, als etwas, wovon der Pragmatiker nicht mehr weiß, dass er sie entbehrt: Der Leiter eines namhaften Museums nimmt aktiv und lebhaft an einem unserer Workshops teil und äußert sich im Feedback, um das wir die Gruppe bitten, sehr positiv. „Aber das anzuwenden“, sagt er, der er an einer Dauerausstellung plant und arbeitet, „dazu haben wir keine Zeit“.

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Dass ein Denken, Lernen und Arbeiten, das von Theorie und Reflexion geleitet ist, anspruchsvoll ist, versteht sich. Das Problem, das dabei – nicht nur ‚didaktisch’ entsteht -, und das der Vernetzung der beim Museum so weit gespannten Themenfelder, habe ich nie wirklich restlos gelöst, da blieb es beim ständigen Erproben und Verändern. Bei der Sommerakademie Museologie führte das schließlich zu einer Beschäftigung mit der Begrifflichkeit, mit der das Museum, möglichst auf der Höhe der museologischen Forschung, angemessen beschreibbar sein sollte. Praktische und theoretische Differenzierungen und das während der Woche laufende Ausstellungsprojekt, das Renate Flagmeier obligatorisch eingeführt hat, als sie von mir die Leitung der Sommerakademie übernommen hat,  wurden, so gut es ging, miteinander verkoppelt.
Schon als ich vor Jahren mit Karl Josef Pazzini ein ‚museologisches Privatgespräch’ (etwas missverständlich ‚Schreibwerkstatt’ genannt) im niederösterreichischen Drosendorf gegründet habe, standen dabei Schlüsselbegriff wie Raum, Ritual oder Intervention im Mittelpunkt. Roswitha Muttenthaler hat dann das in die Sommerakademie eingebracht. Das ist eine interessante, immer noch offene und vielleicht auch nicht abschließbare Frage: welche Begriffe sind geeignet und genügen, um dem Museum als Arbeitsgebiet und als Objekt der Theorie gerecht zu werden?
Einen vergleichbaren Weg ging man in einer 2011 veranstalteten Tagung Museen verstehen: Begriffe (07.04.2011-08.04.2011) der Universität Tübingen / Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaft (hier eine Rezension zur Tagung und hier ein Link zum Projekt in dessen Kontext die Tagung stattfand). Eine Begrifflichkeit zur Beschreibung des Museums zu entwickeln ist didaktisch meiner Meinung nach sehr sinnvoll, weil so von Anfang an auf eine umfassende Deutung des Museums und Analyse seiner zentralen Funktionen hingearbeitet wird und weil damit eine Entwicklung der Museologie zur Wissenschaft weitergetrieben wird.
Generell glaube ich, dass offene, flexible Formen, die sich verändern dürfen, die Adaptionen möglich machen, es gestatten gelegentlich auch auf günstige Situationen, aktuelle Bedürfnisse, interessante Orte zu reagieren, die am besten geeignete Form sind, um Qualifikation zu vermitteln. Dazu dürften eher unabhängige Foren, die punktuell strategische Kooperationen suchen, die am besten geeignete Struktur sein. Ich misstraue sich verfestigenden Strukturen, weil sie tendenziell auf Kontrolle bauen und auf Störungsfreiheit gerichtet sind. Das Potential, das die Museumsakademie am Joanneum hatte, wurde durch eine offene und flexible Haltung der Geschäftsführung möglich und durch eine die Autonomie innerhalb des Museums stärkende weitgehend externe Finanzierung.
Solche offene und komplexe Formen stellen höchste Anforderungen an eine Leitung. Bei manchen Kursen waren wir bis zu sechs Personen, aus denen das Leitungsteam bestand, bei der Sommerakademie waren es nie weniger als drei und wir versuchten, immer alle bei jedem Teil der Veranstaltung anwesend zu sein. Abgesehen von der psychischen und physischen Anstrengung kann ein Team am ehesten auf die vielfältigen inhaltlichen Fragen eingehen (selbstverständlich auch organisatorischen und gruppendynamischen Notwendigkeiten).
Je höher man den Anspruch auf Reflexion schraubt, desto anspruchsvoller wird das für Gruppe und Leitung. Ich habe lange Jahre die daraus resultierenden Probleme als konzeptuelle Schwächen und ungenügende persönliche Kompetenz im Moderieren und Leiten von Gruppen verstanden, bis anlässlich einer Supervision klar wurde, daß ein Konzept, das die Institution im Dienste der Analyse grundlegend infrage stellt, für alle Beteiligten über Grenzen gehen kann und manchmal auch geht. Die schonungslose Frage nach Sinn und Zweck des Museums, muss, wenn sie konsequent gestellt wird, zu einer radikalen Infragestellung führen, mit der aber auch die berufliche und persönliche Identifikation aller Beteiligten mit der Institution generell und mit der, in der sie arbeiten, notwendigerweise einhergeht.
Um nicht missverstanden zu werden: es geht nicht um eine abstrakte Kritik als Negation der kulturellen Praktiken, die wir in Summe ‚Museum’ nennen, sondern um die methodische Redlichkeit, keiner Frage, aber auch wirklich keiner, aus dem Weg zu gehen.
Ein großes Vorbild ist der von mir leider spät ‚entdeckte’ Stephen E. Weil, Direktor und Kurator am Smithsonian Institute in Washington, der mit seinen Texten unter dem Titel To Help Think about Museums More Intensely zur radikalen Befragung des gesellschaftlichen Sinns des Museums einlädt.

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In führe ein langes, durchaus von wechselseitiger Anerkennung und Respekt getragenes Gespräch mit der Mitarbeiterin eines über Österreich hinaus angesehenen universitären Instituts, das sich im Kulturmanagement profiliert hat. Es geht um die Frage, ob beide Institute kooperieren können. Wir reden aneinander vorbei. Ich scheine es nicht zu schaffen, jene Haltung der Distanz zur eigenen Tätigkeit verständlich zu machen, die für mich ein Kern von Reflexion ist. Endlich sagt mein Gegenüber, leicht spöttisch, „Ah! Ich verstehe, sie sind eine sokratische Institution.“

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Ich habe zwei Gründe genannt, warum jede Qualifikation, die diesen Namen verdient, reflexiv sein sollte. Wenn Ausbildung etwas am Status Quo ändern soll, macht das nur Sinn, wenn sie es besser machen will. Dann ist es aber nötig, dieses besser zu bestimmen, und wie sollte das anders möglich sein, als sich Gedanken über Sinn und Zweck, über Ist und Soll zu machen? Weil das Museum (seit etwa zweihundert Jahren) ein gesellschaftliches Projekt ist, muss sich jede Ausbildung mit all jenen gesellschaftlichen, kulturellen oder organisatorischen Rahmenbedingungen beschäftigen, die ins Museum ohnehin hineinwirken - bis in die Feinstrukturen und bis an die Arbeitsplatze der Mitarbeiterinnen. Theorie ist auch hier – das war mein zentrales Motto während der Arbeit an der Museumsakademie - Reflexion der Praxis.
Mit meiner Forderung nach Reflexivität stoße meist auf Zustimmung, aber mit dem Museumsalltag deckt sich dieses freimütige Reflexionsbekenntnis nicht. An den einander rasch abwechselnden Konjunkturen von Modebegriffen wie „Besucherorientierung“, „New Museology“, „Museum 2.0“ und – der Hit des Jahres 2011 – „Partizipation“, läßt sich ablesen, wie kurzatmig und oberflächlich das ist, was man als Reflexion anzuerkennen bereit ist. In der Regel ist das aber weit weg von jeder Institutionenkritik.
Gibt es noch eine andere kulturelle Institution, in und zu es derart wenig Kritik, kaum Auseinandersetzung gibt? Wo existiert diese Kritik in den inneren Abläufen und Entscheidungsprozessen? Wo gibt es so etwas auf einschlägigen Kongressen und Interessensorganisationen? Wo in den Journalen der Verbände? Wo gibt es eine fundierte Ausstellungskritik - ganz zu schweigen von einer Museumskritik - in den Medien?
Reflexivität ist, so meine ich, keine zufällige und nebensächliche ethische Forderung, die man auch bleiben lassen kann, sondern sie gehört strukturell zum – unabgeschlossenen – Museum als Projekt der Moderne. Dieses Museum ist ein eminent politischer und als solcher veritabel unterschätzter Ort.
Das Museum der Moderne etabliert sich im Kontext von Aufklärung und Bürgerlicher Revolution als zivilisierendes Ritual, als öffentlicher Bildungsort, als Agenda des Wohlfahrtsstaates, der treuhänderisch das kulturelle Erbe besitzt, verwaltet und seine Erschließung und Vermittlung finanziert – nicht als Selbstzweck, wie die völlig verschlissene Definition von ICOM es nahe legt, sondern als Grundlage eben der wohlfahrtstaatlichen Idee von Bildung und Zivilisierung. Das Museum ermöglicht auf dieser Grundlage in kollektiver wie individueller Hinsicht Selbsterfahrung und Selbstauslegung, gemeinschaftliche und wechselseitige Identifizierung des Citoyen mit Nation und Demokratie, des Bürgers mit der Gesellschaft. Und es ist einer der Orte, an denen sich öffentlichen Debatten geschützt entfalten kann, jener Diskurs, der dann der Idealvorstellung nach unter Gleichen und unter Achtung und Anerkennung des Anderen möglich wird.
Der Gründungstag des Louvre-Museums, der 10. August 1793, ist das paradigmatische Datum dafür. Das Museum, das damals entstand, ermöglicht bis heute Diskurse über das Eigene und Fremde, über Vergangenheit und Zukunft, über Natur und Kultur, und es ist ein Laboratorium unserer Vorstellung von Ethnie, Gender und Klasse. Das Museum war aber auch immer ein Ort - und ist es vermehrt bewusst und intentional -, in der Gesellschaften ihre katastrophischen Erfahrungen, Schuld, Opfer, Traumata aushandeln, abarbeiten und repräsentieren können. Und es läuft immer auch Gefahr, politisch und kulturell hegemonial zu wirken, mit Einschluß und Ausschluß, mit Entstellung und undurchlässiger Autorität zu agieren. Museen haben raffinierte Strategien entwickelt, ihre Macht zu verschleiern, die sie im Interesse der Repräsentation und Symbolisierung gesellschaftlich elitärer Interessen ausüben.
Dennoch: Solche Orte sind kostbar und sie geraten in Gefahr, ihre besondere Qualität durch Druck von Außen wie durch Sorg- und Gedankenlosigkeit von Innen zu verlieren.
Was in der gängigen und aktuellen Museumspraxis und was in der Ausbildung zu den Museumsberufen davon zur Kenntnis genommen werden wird, das wird darüber entscheiden, ob man das Museum erfolgreich aufgibt oder ob die Ideen des diskursiven, öffentlichen und zivilisatorischen Museums im Licht neuer Entwicklungen und Erfahrungen regeneriert werden.



*Die Beiträge der übrigen Referenten finden sich auf der Website des Museumsverbandes (www.museumsverband-bw.de). Eine Zusammenfassung der Tagung wird in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift "Momente – Beiträge zur Landeskunde" des Staatsanzeigerverlages in Stuttgart erscheinen.
Eine Kurzversion des Vorgetragenen wurde unter dem Titel Beruf ohne Ausbildung, Ausbildung ohne Beruf veröffentlicht in: museums.brief 2/2011, Nachrichten aus Museen und Sammlungen in Baden-Württemberg, hgg. von der Landesstelle
für Museumsbetreuung Baden-Württemberg, S.1-3.







Entrée 56


Heisser Stein (Texte im Museum 246)


Dienstag, 6. Dezember 2011

Rundgänge (Texte im Museum 245)


Fundsache "Indianermuseum"

Eine Zufalls-Fund in einem Internet-Bildarchiv. Identifizierbnar daran ist über die beigefügten Daten nichts, außer daß es sich um eine Museum in Middle Island im Staat New York handelt. Das Bild ist undatiert, ob das Museum noch existiert, habe ich auch noch nicht rausgekriegt. Eher ja, und wenn, dann eher ohne 'Indianer'. Derentwegen kann man sich bei dem Bild schöne Geschichten ausdenken: Indianer verteidigen ein Prohibitionsmuseum gegen eine Bande weisser Säufer oder Bewohner eines Reservates verjagen Museologen mit Kriegstanz. Irgendwie scheint Betreten bei dem Museum nicht nur wegen der wehrhaften Indsmen etwas problematisch - auch das unübersehbare Schild "Entrance" ist nicht gerade in eine vertrauenerweckernde Richtung montiert. Aber offen hat es, das Museum. Bloß für wen? Nweugierig bin ich schon. Wer kann den martialischen Doppelposten passieren ohne seinen Skalp zu riskieren? (Apropos: kommt irgendwo bei Karl May ein Museum vor?)

Den Hass erzählen. Eine internationale Tagung zu Museum und Krieg


Ein Bericht von Angelika Fitz

Erinnert wird, was persönlich berührt, lehrt die Psychologie. Erinnert wird, was medial präsent ist, weiß die Kulturindustrie. Gedächtniskultur ist ein boomender Markt und der Krieg nimmt darin immer noch oder vielleicht sogar wieder eine prominente Rolle ein. Nicht nur in unzähligen fürs Fernsehen produzierten historischen Dokumentationen wird Geschichte als Abfolge von Kriegen erzählt, auch in vielen Museen ist das weiterhin der Fall. Unter den historischen Museen nehmen die spezialisierten „Kriegsmuseen“ – militärhistorische Museen, Waffenkammern, Gedenkstätten – eine argwöhnisch beäugte Sonderstellung ein. Sie galten lange als Erinnerungsorte für Veteranen und ein Blick in die Besucherstatistiken konnte das meistens bestätigen. Müssen solche Orte nicht in einer Glorifizierung des Krieges und in nationalen Rhetoriken enden? Nicht mehr zwangsläufig, wie eine Tagung zeigte, die vom Universalmuseum Joanneum in Graz gemeinsam mit dem internationalen Komitee der militärhistorischen Museen, ICOMAM, veranstaltet wurde.

Es weht ein frischer Wind durch die Zunft der Militärhistoriker. Spektakuläre Projekte wie das britische Imperial War Museum und jetzt das Militärhistorische Museum in Dresden sind nur die sichtbarsten Zeichen einer museologischen Umorientierung. Die gesellschaftliche und repräsentationskritische Reflexion des eigenen Tuns und die Suche nach neuen Zielgruppen gehen dabei Hand in Hand. Die Zeitzeugen der Weltkriege werden weniger, was sich in den letzten Jahren negativ auf die Besucherzahlen auswirkte. Ähnlich wie in anderen Museen werden Schulkinder als unerschöpflicher Markt entdeckt. Aus diesem Trend spricht nicht nur eine pädagogische Seele, sondern auch eine betriebswirtschaftliche. Mit speziellen Kinder- und Jugendprogrammen sollen die Lehrer überzeugt werden, mit ihren Klassen in Scharen für volle Häuser zu sorgen. Aber wie vermittelt ein Museum den Krieg? Darf ein Kinderprogramm unterhaltsam sein oder gar Spaß machen? Wie macht man Gewalt und Schrecken nachvollziehbar, ohne die Kinder zu verstören? Oder sind es eher die Erwachsenen, die Betroffenheit spüren, während sich die jugendliche „Generation Ego-Shooter“ an der Gewalt im Museum genauso ergötzt wie in Computerspielen? Mit ihren Waffensammlungen verfügen Militärhistorische Museen über hochgradig emotionale Objekte. Wie nimmt man mit diesen Attraktionen am Museumsboom teil, ohne sich an der Verherrlichung von Gewalt zu beteiligen? Wie erzeugt man Mitgefühl für die Opfer – mit immersiven Strategien der Überwältigung, mit hautnahem Re-Enactment oder mit reflexiver Distanz? Das sind nur einige Fragen, die auf der Tagung in Graz unter dem Titel „Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“ diskutiert wurden.

Militärhistorische Museen haben eine Doppelfunktion als museale Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten, so der Hauptredner Jay Winter, Historiker an der Yale Universität und ausgewiesener Experte für den Ersten Weltkrieg. Sie seien der Inbegriff des Museums als „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“. Orientierung könnten sie dann geben, wenn sie Beziehungen zu den Familiengeschichten der Besucher herstellen. Diese Betonung von individueller Biografie und Betroffenheit mag auch mit Winters Tätigkeit als Berater von historischen Fernsehdokumentationen zu tun haben. Darüber hinaus hat er an beeindruckenden Museumskonzeptionen mitgewirkt, wie dem „Historial de la Grande Guerre“ in Peronne. Hier liegen Uniformen und Ausrüstungsgegenstände in horizontalen, bündig in den Boden eingelassenen Vitrinen und erzählen so eindringlich von der alltäglichen Gegenwart von Tod und Leid auf den Schlachtfeldern. Im Mittelpunkt stehen nicht die Generäle, sondern die gemeinen Soldaten. Das ist eine Sicht, die dem Wandel der akademischen Militärgeschichte in den letzten Jahrzehnten entspricht, so Barton CHacker, Kurator für Armeegeschichte am SmithsonianInstitut in Washington. Die ersten modernen Militärmuseen im 19. Jahrhundert standen ganz im Dienst des erstarkenden Nationalstaates und auch im 20. Jahrhundert dominierten lange die Helden der Nation. Erst ab den 1980er Jahren gewinnt mit der sogenannten „Neue Militärgeschichte“ der sozialgeschichtliche Fokus an Einfluss. Der einfache Soldat und die Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung rücken ins Blickfeld.  


In den letzten Jahren hat sich die Kontextualisierung des Krieges in Museen noch mehr erweitert. Von der institutionalisierten zur persönlichen Gewalterfahrung lässt sich diese Verschiebung beschreiben. Sie kündigt sich bereits in der Einladung zur Tagung an, wo die Rede ist vom „pädagogischen Impuls, Gewalt zu erklären und durch Deutung verarbeitbar bzw. vermeidbar zu machen“. Pter Armstrong vom „Royal Armouries“, der königlichen Waffenkammer, in Leeds hat sich stark dieser pädagogischen Ausrichtung verschrieben. Es scheint ihm unmöglich, seine Sammlung an glänzenden Waffen den Jugendlichen einfach zu zeigen. Stattdessen sind die Objekte nur mehr Anlassgeber für Gewalt- und Konfliktprävention. Gemeinsam mit Schulen organisiert das Museum Seminare zur Einübung in gewaltfreie Konfliktlösung. Gleichzeitig gibt Armstrong unumwunden zu, dass das Museum mit diesem Ansatz immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten und Kompetenzen stößt – Museumsvermittler sind keine Jugendarbeiter.

„Man muss staatliche Gewalt und individuelle Gewalt kurzschließen“, sagt Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des MHM in Dresden. „Wir erzählen Hass und wollen zum Nachdenken darüber anregen, dass es wenig Frieden gibt in der Welt und verdammt wenig Frieden in uns.“ Dazu passt der Doppelpack, der auf die Besucher in Dresden am Beginn der Ausstellung wartet: Auf Zitate aus Carls von Clausewitz strategischem Werk „Vom Kriege“ folgt die raumgreifende Installation „Love and Hate“ des britischen Künstlers Charles Sandison. Eine solche Hinwendung zur individuellen Gewaltbereitschaft verspreche zwar Involvierung, gefährde aber die Wahrnehmung der politischen und wirtschaftlichen Dimension der Kriege, wie Jay Winter in der Diskussion anmerkt. Und überhaupt halte er es für unerlässlich, dass nicht über das Universelle des Krieges philosophiert wird, sondern über konkrete Ausformungen. Krieg ist nicht Krieg. So seien die beiden Weltkriege, insbesondere der Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands mit keinem anderen Krieg vergleichbar. Nicht um sonst widme das britische „Imperial War Museum“ in London dem Holocaust eine eigene Dauerausstellung. Gorch Pieken betont, dass in der chronologischen Erzählung im Dresdner Altbau ein ganzes Stockwerk der Kontextualisierung der beiden Weltkriege gewidmet ist. Und es gibt den Neubau von Daniel Libeskind, der die chronologische Kontinuität der Kriegsgeschichte im Altbau mit Vehemenz durchschneidet. Die Ausstellungsgestaltung auf der Ebene des „Dresden-Blicks“ verkörpert paradigmatisch die Hinwendung von einer nationalen zu einer europäischen Geschichtsschreibung. Materielle Zeugen der Zerstörung durch die NS-Luftwaffe treten neben die Aussicht auf das wiederaufgebaute Dresden.


All diese Selbstreflexivität darf nicht darüber hinweg täuschen, dass militärhistorische Museen Eigentümer und Auftraggeber haben und dass es trotz Globalisierung noch große Ungleichzeitigkeiten gibt. Das zeigten unter anderem Vorträge zu Museen in Zypern, der Türkei oder Weißrussland, wo von den Ausstellungen deutliche Beschwörungen einer nationalen Identität ausgehen. Aber auch vom MHM in Dresden erwartet die Bundeswehr als Eigentümerin Lernort für ihre Soldaten zu sein. Welche Botschaft kann ein Museum hier geben? Krieg ist schlecht oder Krieg ist unvermeidbar? Soll es in böse und gerechte Kriege unterteilen? „Wir sagen nicht, dass wir ein Pazifismus-Museum sind “, stellt Gorch Pieken klar und fügt hinzu: „Auschwitz ist von Soldaten befreit worden.“ Sein Museum soll den Soldaten Orientierung geben, indem es deutlich macht, dass im Krieg Entscheidungen zu treffen sind.

Viele existenzielle und museologische Fragen konnten auf der ungewöhnlich dichten dreitägigen Konferenz nur gestreift werden: Wie lassen sich die neuen assymetrischen Kriege verstehen, in denen sich Söldnertruppen statt nationale Armeen gegenüber stehen? Oder was, wenn man das Augenmerk nicht mehr darauf legt, wie Kriege ausbrechen, sondern wie sie beendet werden? Es blieben mehr Fragen als Antworten. Nicht anders sollte es den Besuchern eines guten Militärmuseums ergehen.


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„Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“, eine Tagung der Museumsakademie des Universalmuseums Joanneum, in Kooperation mit  ICOMAM - International Council of Museums and Collections of Arms and Military history und dem Landeszeughaus Graz, Graz 21.-23.09.2011. Es erscheint eine Publikation bei transkript. www.museum-joanneum.at/museumsakademie


Sonntag, 4. Dezember 2011

Das Kriegsmuseum, das dem Krieg zum Opfer fiel



So etwas gibt es auch: ein War Museum, das im Krieg 'untergeht'.  Für 2011 war die Eröffnung des War Museum in Tripolis vorgesehen, dessen Bau 2009 begonnen hatte.
Der offizielle Titel war "Museum of Conflict", ein neutrales Cover für ein wohl eher national-patriotisches Museum, das die militärische Geschichte der Unabhängigkeit Lybiens bis zur Gegenwart darstellen sollte.
Der Ehrgeiz des Projekts zeigt sich auch daran, daß man einen Museumsentwurf wählte, der einem Mainstream heutigen Museum-Bauens folgt. In der Wüste sollte ein expressiv-skulpturaler Bau entstehen, der allerdings auch metaphorisch mit der Zelt-'Architektur' der Beduinen arbeitet.
Der Entwurf kam von Metropolitan Workshop, London.
Ghadaffi soll sich noch während des Bürgerkriegs um eine Vorverlegung der Eröffnung bemüht haben, aber die Ereignisse überrollten das Projekt.
Dasselbe Schicksal traf das Museum Islamischer Kunst, das der Gadaffi-Sohn Saif betrieb.
2011 wäre der 100. Jahrestag der Okkupation Lybiens durch italienische Truppen, eines der brutalsten und mörderischesten europäischen Kolonialkriege.
Bemerkenswerterweise berichtet eine lybische Tourismus-Seite ausführlich über das Projekt, den aktuellen Stand der Dinge, den geschichtlichen Hintergrund und den Kontext der aktuellen Gedächtnispolitik.
Zerstörung und Plünderung Ghadaffis Haus

Aus dem Krieg sind im Land vorerst Gedenkorte für die Toten des Konflikts entstanden, ein Kriegsmuseum braucht niemnd. Allerdings ist eine fragwürdige und kuriose 'Kriegs'-Ausstellung dennoch entstanden, in den Niederlanden, in Breda.
Der Journalist Harald Dornboos war Zeuge der Plünderung von Ghadaffis Haus und er hat Dinge mitgenommen wie Fotos, den Tierausweis einer Katze, Rechnungen einer österreichischen Klinik, ein Poster mit Winnie the Pooh.
Man bezichtigt den Journalisten des Diebstahls und es gibt auch schon Rückgabefordeerungen. Er vertedigt sich, daß es sich um vollkommen wertlose Dinge handelt, die wie tausende andere auch zerstört worden wären. Außerdem würde er die Dinge gern an ein künftiges lybisches Nationalmuseum zurückgeben. (Hier ein ausführlicher Artikel zu der Ausstellung)





Samstag, 3. Dezember 2011

Die Demokratie der Denkmäler


Die unendliche Geschichte der Hamburger Museumspolitik

Als ich mit Sympathie und Solidarität über die drohende Schließung des Altonaer Museums in Hamburg schrieb (ich hatte das Museum wenige Monate zuvor gesehen, als ein schon von politischer Vernachlässigung gezeichnetes Haus), ahnte ich nicht, daß daraus eine unendliche Geschichte werden würde, erweitert um Querelen um nahezu alle Museen für die Hamburg zuständig ist. Das deutsche Feuilleton berichtet nur noch in gequältem aber einheitlichen Ton: so gehts nun wirklich nicht. Den neuesten, wie man so schon sagt: ergebnisoffenen Stand der 'Diskussion' fasste jüngst ein Artikel in taz zusammen. (Hier). Bis auf Weiteres...
In Zeiten einer schleichenden, aber nichts desto weniger garvierenden Museumskrise, ist die Hamburger Politik ein anschauliches Beispiel, was man sich in naher Zukunft an Umgangsformen mit Museen alles noch erwarten darf.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Entrée 54


Verschwindende Museen - noch eins

Jetzt verschwindet noch ein Museum: das Wiener Opernmuseum.
Es wird mir nicht schrecklich abgehen. Ich habe mich gefragt, wozu es je gut war, es gibt ja ein Theatermuseum in Wien und die Oper braucht kein solches Marketing-Museum.
Jetzt wird es zugemacht.
Nicht aus Einsicht, sondern aus - relativer - Not. Die Deckelung der staatlichen Mittel für die Bundestheater führt zu einer jährlich sich zuspitzenden Budgetsituation. Es muss gespart werden, wo es nur geht.
Auch wenn Museen nicht nur geschlossen werden - grade ist das 21er-Haus wie ein Phoenix aus der Asche des 20er-Hauses wiederstanden -, als Krisensymptom darf man es schon nehmen, wenn Museen (ich habe ja nur von Wien berichtet) zumachen.

Museumsblick

Günter Brus

Zeitgenössische Karikatur zur ersten Impressionistenausstellung

Memoria



Sentenz (Das Museum lesen 21)