Dienstag, 6. Dezember 2011

Rundgänge (Texte im Museum 245)


Fundsache "Indianermuseum"

Eine Zufalls-Fund in einem Internet-Bildarchiv. Identifizierbnar daran ist über die beigefügten Daten nichts, außer daß es sich um eine Museum in Middle Island im Staat New York handelt. Das Bild ist undatiert, ob das Museum noch existiert, habe ich auch noch nicht rausgekriegt. Eher ja, und wenn, dann eher ohne 'Indianer'. Derentwegen kann man sich bei dem Bild schöne Geschichten ausdenken: Indianer verteidigen ein Prohibitionsmuseum gegen eine Bande weisser Säufer oder Bewohner eines Reservates verjagen Museologen mit Kriegstanz. Irgendwie scheint Betreten bei dem Museum nicht nur wegen der wehrhaften Indsmen etwas problematisch - auch das unübersehbare Schild "Entrance" ist nicht gerade in eine vertrauenerweckernde Richtung montiert. Aber offen hat es, das Museum. Bloß für wen? Nweugierig bin ich schon. Wer kann den martialischen Doppelposten passieren ohne seinen Skalp zu riskieren? (Apropos: kommt irgendwo bei Karl May ein Museum vor?)

Den Hass erzählen. Eine internationale Tagung zu Museum und Krieg


Ein Bericht von Angelika Fitz

Erinnert wird, was persönlich berührt, lehrt die Psychologie. Erinnert wird, was medial präsent ist, weiß die Kulturindustrie. Gedächtniskultur ist ein boomender Markt und der Krieg nimmt darin immer noch oder vielleicht sogar wieder eine prominente Rolle ein. Nicht nur in unzähligen fürs Fernsehen produzierten historischen Dokumentationen wird Geschichte als Abfolge von Kriegen erzählt, auch in vielen Museen ist das weiterhin der Fall. Unter den historischen Museen nehmen die spezialisierten „Kriegsmuseen“ – militärhistorische Museen, Waffenkammern, Gedenkstätten – eine argwöhnisch beäugte Sonderstellung ein. Sie galten lange als Erinnerungsorte für Veteranen und ein Blick in die Besucherstatistiken konnte das meistens bestätigen. Müssen solche Orte nicht in einer Glorifizierung des Krieges und in nationalen Rhetoriken enden? Nicht mehr zwangsläufig, wie eine Tagung zeigte, die vom Universalmuseum Joanneum in Graz gemeinsam mit dem internationalen Komitee der militärhistorischen Museen, ICOMAM, veranstaltet wurde.

Es weht ein frischer Wind durch die Zunft der Militärhistoriker. Spektakuläre Projekte wie das britische Imperial War Museum und jetzt das Militärhistorische Museum in Dresden sind nur die sichtbarsten Zeichen einer museologischen Umorientierung. Die gesellschaftliche und repräsentationskritische Reflexion des eigenen Tuns und die Suche nach neuen Zielgruppen gehen dabei Hand in Hand. Die Zeitzeugen der Weltkriege werden weniger, was sich in den letzten Jahren negativ auf die Besucherzahlen auswirkte. Ähnlich wie in anderen Museen werden Schulkinder als unerschöpflicher Markt entdeckt. Aus diesem Trend spricht nicht nur eine pädagogische Seele, sondern auch eine betriebswirtschaftliche. Mit speziellen Kinder- und Jugendprogrammen sollen die Lehrer überzeugt werden, mit ihren Klassen in Scharen für volle Häuser zu sorgen. Aber wie vermittelt ein Museum den Krieg? Darf ein Kinderprogramm unterhaltsam sein oder gar Spaß machen? Wie macht man Gewalt und Schrecken nachvollziehbar, ohne die Kinder zu verstören? Oder sind es eher die Erwachsenen, die Betroffenheit spüren, während sich die jugendliche „Generation Ego-Shooter“ an der Gewalt im Museum genauso ergötzt wie in Computerspielen? Mit ihren Waffensammlungen verfügen Militärhistorische Museen über hochgradig emotionale Objekte. Wie nimmt man mit diesen Attraktionen am Museumsboom teil, ohne sich an der Verherrlichung von Gewalt zu beteiligen? Wie erzeugt man Mitgefühl für die Opfer – mit immersiven Strategien der Überwältigung, mit hautnahem Re-Enactment oder mit reflexiver Distanz? Das sind nur einige Fragen, die auf der Tagung in Graz unter dem Titel „Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“ diskutiert wurden.

Militärhistorische Museen haben eine Doppelfunktion als museale Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten, so der Hauptredner Jay Winter, Historiker an der Yale Universität und ausgewiesener Experte für den Ersten Weltkrieg. Sie seien der Inbegriff des Museums als „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“. Orientierung könnten sie dann geben, wenn sie Beziehungen zu den Familiengeschichten der Besucher herstellen. Diese Betonung von individueller Biografie und Betroffenheit mag auch mit Winters Tätigkeit als Berater von historischen Fernsehdokumentationen zu tun haben. Darüber hinaus hat er an beeindruckenden Museumskonzeptionen mitgewirkt, wie dem „Historial de la Grande Guerre“ in Peronne. Hier liegen Uniformen und Ausrüstungsgegenstände in horizontalen, bündig in den Boden eingelassenen Vitrinen und erzählen so eindringlich von der alltäglichen Gegenwart von Tod und Leid auf den Schlachtfeldern. Im Mittelpunkt stehen nicht die Generäle, sondern die gemeinen Soldaten. Das ist eine Sicht, die dem Wandel der akademischen Militärgeschichte in den letzten Jahrzehnten entspricht, so Barton CHacker, Kurator für Armeegeschichte am SmithsonianInstitut in Washington. Die ersten modernen Militärmuseen im 19. Jahrhundert standen ganz im Dienst des erstarkenden Nationalstaates und auch im 20. Jahrhundert dominierten lange die Helden der Nation. Erst ab den 1980er Jahren gewinnt mit der sogenannten „Neue Militärgeschichte“ der sozialgeschichtliche Fokus an Einfluss. Der einfache Soldat und die Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung rücken ins Blickfeld.  


In den letzten Jahren hat sich die Kontextualisierung des Krieges in Museen noch mehr erweitert. Von der institutionalisierten zur persönlichen Gewalterfahrung lässt sich diese Verschiebung beschreiben. Sie kündigt sich bereits in der Einladung zur Tagung an, wo die Rede ist vom „pädagogischen Impuls, Gewalt zu erklären und durch Deutung verarbeitbar bzw. vermeidbar zu machen“. Pter Armstrong vom „Royal Armouries“, der königlichen Waffenkammer, in Leeds hat sich stark dieser pädagogischen Ausrichtung verschrieben. Es scheint ihm unmöglich, seine Sammlung an glänzenden Waffen den Jugendlichen einfach zu zeigen. Stattdessen sind die Objekte nur mehr Anlassgeber für Gewalt- und Konfliktprävention. Gemeinsam mit Schulen organisiert das Museum Seminare zur Einübung in gewaltfreie Konfliktlösung. Gleichzeitig gibt Armstrong unumwunden zu, dass das Museum mit diesem Ansatz immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten und Kompetenzen stößt – Museumsvermittler sind keine Jugendarbeiter.

„Man muss staatliche Gewalt und individuelle Gewalt kurzschließen“, sagt Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des MHM in Dresden. „Wir erzählen Hass und wollen zum Nachdenken darüber anregen, dass es wenig Frieden gibt in der Welt und verdammt wenig Frieden in uns.“ Dazu passt der Doppelpack, der auf die Besucher in Dresden am Beginn der Ausstellung wartet: Auf Zitate aus Carls von Clausewitz strategischem Werk „Vom Kriege“ folgt die raumgreifende Installation „Love and Hate“ des britischen Künstlers Charles Sandison. Eine solche Hinwendung zur individuellen Gewaltbereitschaft verspreche zwar Involvierung, gefährde aber die Wahrnehmung der politischen und wirtschaftlichen Dimension der Kriege, wie Jay Winter in der Diskussion anmerkt. Und überhaupt halte er es für unerlässlich, dass nicht über das Universelle des Krieges philosophiert wird, sondern über konkrete Ausformungen. Krieg ist nicht Krieg. So seien die beiden Weltkriege, insbesondere der Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands mit keinem anderen Krieg vergleichbar. Nicht um sonst widme das britische „Imperial War Museum“ in London dem Holocaust eine eigene Dauerausstellung. Gorch Pieken betont, dass in der chronologischen Erzählung im Dresdner Altbau ein ganzes Stockwerk der Kontextualisierung der beiden Weltkriege gewidmet ist. Und es gibt den Neubau von Daniel Libeskind, der die chronologische Kontinuität der Kriegsgeschichte im Altbau mit Vehemenz durchschneidet. Die Ausstellungsgestaltung auf der Ebene des „Dresden-Blicks“ verkörpert paradigmatisch die Hinwendung von einer nationalen zu einer europäischen Geschichtsschreibung. Materielle Zeugen der Zerstörung durch die NS-Luftwaffe treten neben die Aussicht auf das wiederaufgebaute Dresden.


All diese Selbstreflexivität darf nicht darüber hinweg täuschen, dass militärhistorische Museen Eigentümer und Auftraggeber haben und dass es trotz Globalisierung noch große Ungleichzeitigkeiten gibt. Das zeigten unter anderem Vorträge zu Museen in Zypern, der Türkei oder Weißrussland, wo von den Ausstellungen deutliche Beschwörungen einer nationalen Identität ausgehen. Aber auch vom MHM in Dresden erwartet die Bundeswehr als Eigentümerin Lernort für ihre Soldaten zu sein. Welche Botschaft kann ein Museum hier geben? Krieg ist schlecht oder Krieg ist unvermeidbar? Soll es in böse und gerechte Kriege unterteilen? „Wir sagen nicht, dass wir ein Pazifismus-Museum sind “, stellt Gorch Pieken klar und fügt hinzu: „Auschwitz ist von Soldaten befreit worden.“ Sein Museum soll den Soldaten Orientierung geben, indem es deutlich macht, dass im Krieg Entscheidungen zu treffen sind.

Viele existenzielle und museologische Fragen konnten auf der ungewöhnlich dichten dreitägigen Konferenz nur gestreift werden: Wie lassen sich die neuen assymetrischen Kriege verstehen, in denen sich Söldnertruppen statt nationale Armeen gegenüber stehen? Oder was, wenn man das Augenmerk nicht mehr darauf legt, wie Kriege ausbrechen, sondern wie sie beendet werden? Es blieben mehr Fragen als Antworten. Nicht anders sollte es den Besuchern eines guten Militärmuseums ergehen.


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„Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“, eine Tagung der Museumsakademie des Universalmuseums Joanneum, in Kooperation mit  ICOMAM - International Council of Museums and Collections of Arms and Military history und dem Landeszeughaus Graz, Graz 21.-23.09.2011. Es erscheint eine Publikation bei transkript. www.museum-joanneum.at/museumsakademie


Sonntag, 4. Dezember 2011

Das Kriegsmuseum, das dem Krieg zum Opfer fiel



So etwas gibt es auch: ein War Museum, das im Krieg 'untergeht'.  Für 2011 war die Eröffnung des War Museum in Tripolis vorgesehen, dessen Bau 2009 begonnen hatte.
Der offizielle Titel war "Museum of Conflict", ein neutrales Cover für ein wohl eher national-patriotisches Museum, das die militärische Geschichte der Unabhängigkeit Lybiens bis zur Gegenwart darstellen sollte.
Der Ehrgeiz des Projekts zeigt sich auch daran, daß man einen Museumsentwurf wählte, der einem Mainstream heutigen Museum-Bauens folgt. In der Wüste sollte ein expressiv-skulpturaler Bau entstehen, der allerdings auch metaphorisch mit der Zelt-'Architektur' der Beduinen arbeitet.
Der Entwurf kam von Metropolitan Workshop, London.
Ghadaffi soll sich noch während des Bürgerkriegs um eine Vorverlegung der Eröffnung bemüht haben, aber die Ereignisse überrollten das Projekt.
Dasselbe Schicksal traf das Museum Islamischer Kunst, das der Gadaffi-Sohn Saif betrieb.
2011 wäre der 100. Jahrestag der Okkupation Lybiens durch italienische Truppen, eines der brutalsten und mörderischesten europäischen Kolonialkriege.
Bemerkenswerterweise berichtet eine lybische Tourismus-Seite ausführlich über das Projekt, den aktuellen Stand der Dinge, den geschichtlichen Hintergrund und den Kontext der aktuellen Gedächtnispolitik.
Zerstörung und Plünderung Ghadaffis Haus

Aus dem Krieg sind im Land vorerst Gedenkorte für die Toten des Konflikts entstanden, ein Kriegsmuseum braucht niemnd. Allerdings ist eine fragwürdige und kuriose 'Kriegs'-Ausstellung dennoch entstanden, in den Niederlanden, in Breda.
Der Journalist Harald Dornboos war Zeuge der Plünderung von Ghadaffis Haus und er hat Dinge mitgenommen wie Fotos, den Tierausweis einer Katze, Rechnungen einer österreichischen Klinik, ein Poster mit Winnie the Pooh.
Man bezichtigt den Journalisten des Diebstahls und es gibt auch schon Rückgabefordeerungen. Er vertedigt sich, daß es sich um vollkommen wertlose Dinge handelt, die wie tausende andere auch zerstört worden wären. Außerdem würde er die Dinge gern an ein künftiges lybisches Nationalmuseum zurückgeben. (Hier ein ausführlicher Artikel zu der Ausstellung)





Samstag, 3. Dezember 2011

Die Demokratie der Denkmäler


Die unendliche Geschichte der Hamburger Museumspolitik

Als ich mit Sympathie und Solidarität über die drohende Schließung des Altonaer Museums in Hamburg schrieb (ich hatte das Museum wenige Monate zuvor gesehen, als ein schon von politischer Vernachlässigung gezeichnetes Haus), ahnte ich nicht, daß daraus eine unendliche Geschichte werden würde, erweitert um Querelen um nahezu alle Museen für die Hamburg zuständig ist. Das deutsche Feuilleton berichtet nur noch in gequältem aber einheitlichen Ton: so gehts nun wirklich nicht. Den neuesten, wie man so schon sagt: ergebnisoffenen Stand der 'Diskussion' fasste jüngst ein Artikel in taz zusammen. (Hier). Bis auf Weiteres...
In Zeiten einer schleichenden, aber nichts desto weniger garvierenden Museumskrise, ist die Hamburger Politik ein anschauliches Beispiel, was man sich in naher Zukunft an Umgangsformen mit Museen alles noch erwarten darf.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Entrée 54


Verschwindende Museen - noch eins

Jetzt verschwindet noch ein Museum: das Wiener Opernmuseum.
Es wird mir nicht schrecklich abgehen. Ich habe mich gefragt, wozu es je gut war, es gibt ja ein Theatermuseum in Wien und die Oper braucht kein solches Marketing-Museum.
Jetzt wird es zugemacht.
Nicht aus Einsicht, sondern aus - relativer - Not. Die Deckelung der staatlichen Mittel für die Bundestheater führt zu einer jährlich sich zuspitzenden Budgetsituation. Es muss gespart werden, wo es nur geht.
Auch wenn Museen nicht nur geschlossen werden - grade ist das 21er-Haus wie ein Phoenix aus der Asche des 20er-Hauses wiederstanden -, als Krisensymptom darf man es schon nehmen, wenn Museen (ich habe ja nur von Wien berichtet) zumachen.

Museumsblick

Günter Brus

Zeitgenössische Karikatur zur ersten Impressionistenausstellung

Memoria



Sentenz (Das Museum lesen 21)


Mittwoch, 30. November 2011

Vielleicht auch nicht... (Texte im Museum 244)

Atomic Testing Museum Las Vegas. Mit Dank an T.Z.

Das Joanneum


Dieser Text wurde 2008 publiziert. Als populärste aller Texte, die ich zum Joanneum geschrieben habe, scheint er mir geeignet, jetzt, zum Jubiläum des Museums, im Blog erneut veröffentlicht zu werden.

Alljährlich am 26. November feiert das Steiermärkische Landesmuseum Joanneum den Stiftungstag. Kontinuierlich und seit beinahe 200 Jahren.
Es gibt weltweit sehr wenige Museen, die ein solches Gedächtnisritual begehen könnten, denn das Joanneum zählt zu den ältesten Museen überhaupt. Als es 1811 von Erzherzog Johann gegründet wurde, war die Idee einer öffentlichen Institution, die der Sammlung von Kulturgütern und Dokumenten, der intellektuellen und ästhetischen Erfahrung, Bildung und Genuss diente, nicht einmal 20 Jahre alt.
Diese Idee entwickelte sich in der Aufklärung und wurde erstmals in der Französischen Revolution, im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, verwirklicht. Neu an diesem Modell war gegenüber allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns, die Vorstellung, dass der gemeinsame Besitz und Genuss kultureller Überlieferung die Gemeinsamkeit der Gesellschaft und Nation gleichsam ausdrücken und darstellen konnte. Museen sollten so etwas wie Medien der Beschreibung, Erzählung und Veranschaulichung des Gemeinsamen sein.
Während bis dahin Sammlungen, mit wenigen Ausnahmen, privat waren und einem oft nur sehr beschränkten Publikumskreis zum Zweck von Bildung, Wissensvermittlung und Erbauung oder Repräsentation zugänglich waren, gehört der Unterhalt und Betrieb von Museen von da an zu den ‚wohlfahrtsstaatlichen’ Leistungen im Interesse aller Bürger. Der Staat finanziert Museen im Interesse aller.
Während wir heute gewohnt sind, den Besuch von Museen als eine Freizeitbeschäftigung anzusehen, in der Unterhaltung, Wissenserwerb, Vergnügen oder Bildung miteinander beliebig gemischt sein können, hatten Museen im 19. Jahrhundert häufig noch sehr praktische Aufgaben. Kunstgewerbliche Museen waren dazu gedacht, die nationalen Produktkulturen zu ‚veredeln’ und damit konkurrenzfähig zu halten, in technische Museen setzte man Hoffnungen auf Sammlung von Erfahrungen und Wissenstransfer. So zeigte das in der Französischen Revolution (1793) gegründete Museum im Louvre nicht nur Kunst, sondern am Beginn seiner Entwicklung regelmäßig gewerblich-technische Ausstellungen.
Bei kaum einem anderen Museum war diese praktische Funktion so wichtig, wie beim  Joanneum während der Gründungsjahrzenhte. Es bestand zwar aus Schausammlungen und war für ein breites Publikum geöffnet, zugleich war es aber eine Lehranstalt mit Lehrkanzeln und kompensierte damit das Fehlen einer Universität in Graz.
Wichtig waren vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer, also jenes Wissen, das für die Entwicklung von Gewerbe, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie nützlich war. In den Sammlungen fand man „Medicinalpflanzen“, eine „Holzbibliothek“, ein Chemielabor, Mineralien, zoologische Präparate, physikalische und astronomische Geräte, aber auch Objekte von historischem und kunstgeschichtlichem Wert.
Wenn man sich Objekte aus der frühesten Geschichte der Sammlung ansieht, wird diese nützliche Funktion des einstigen Museums anschaulich und lebendig, etwa in der wunderbaren Sammlung von Modellen von Geräten, Werkzeugen und Maschinen der landwirtschaftlichen Sammlung. 1817 wurde eine Mustersammlung heimischer Fabriks- und Gewerbeerzeugnisse angelegt.


Dieser praktische, auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steiermark gerichtete Zweck des Museums, mag uns heute merkwürdig vorkommen, wenn wir als Maßstab die uns heute gewohnten Vorstellungen vom Museum anlegen.
Aber er war nicht der einzige Zweck. Einen anderen kann man unter den Begriffen Landeskunde und Landesbeschreibung beschreiben. Um zu wissen, was ein Land ist, was seine Besonderheiten sind, was es von anderen unterscheidet und was seine Gemeinsamkeit stiftende Eigenschaften sind, muss man es zuallererst ‚erkunden’. Archivalien und Dokumente sollten gesammelt und zur Grundlage einer chronologischen und statistischen Landeserfassung werden und schließlich einer Landesgeschichte. Die Initiativen, die Erzherzog Johann dazu setzte, gingen weit über das Museum hinaus. Er schuf, um es mit einem modernen Wort zu bezeichnen, ein Netzwerk von Initiativen, Aktivitäten und Institutionen, Vereine, Dokumentationen, die alle dem Zweck dienten, das Land zu beschreiben und zu ‚erzählen’ und das öffentliche und wirtschaftliche Leben zu entfalten. 1819 wurde die „Landwirtschafts Gesellschaft in Steier­mark“ gegründet, in den Dreißigerjahren gab es Industrieausstellungen und 1839 wurde der „Ver­ein zur Ermunterung und Unterstützung der Industrie und der Gewerbe für Innerösterreich“ gegründet.
Eine Geschichtsschreibung im Sinne einer die Landesgeschichte in ihrer Dauer und zeitlichen Tiefe großen Erzählung existierte damals nicht, und deshalb wurde das Sammeln von Quellen veranlasst und zur Erforschung der Geschichte aufgerufen. „Sind diese Materialien in gehöriger Vollständigkeit beysammen, so werde unverzüglich an eine Historie Innerösterreichs, soweit geschichtliche Spuren nur immer hinaufreichen, bis auf unsere Tage Hand angelegt. Sie soll ebenso kritisch in Rücksicht ihrer Quellen, als pragmatisch in Rücksicht der großen Wirkungen aus ihren Ursachen, zur Lehre, Warnung und Nacheiferung seyn.“
Alle diese Maßnahmen, die hier keineswegs vollständig aufgezählt sind, erschöpfen sich nicht im Erfassen und Beschreiben. Diese Umfassende ‚Landesbeschreibung’ gab dem Land ein Bewusstsein seiner selbst, seiner kulturellen, topografischen, historischen Eigenheiten. Warum ist das so wichtig? Gesellschaften in der Moderne zeichnen sich durch die Freiwilligkeit ihrer Zusammengehörigkeit aus. Sie sind „Solidargemeinschaften“, die sich immer wieder ihrer Zusammengehörigkeit versichern müssen. Ein Weg dazu ist, das Gemeinsame im Kulturellen zu suchen: in einer gemeinsamen Geschichte, im Besitz kultureller Güter und Werte, in der Pflege von Traditionen.
Landesbeschreibung bedeutet daher mehr als nur eine auf Grund zusammengetragener Dokumente das Land zu ‚beschreiben’. Mit und durch die Beschreibung entsteht etwas Neues – ein Wissen von der Einheit und Besonderheit des Landes, wie es das vorher so nie gegeben haben konnte. Diese Beschreibung ist ‚Nation Building’ und es interessant, dass zu dieser Zeit für die Steiermark auch der Begriff Nation auftaucht und für das Museum ‚Nationalmuseum’, obwohl die Steiermark Teil der Habsburgermonarchie war.
Bei anderen Landesmuseen der Monarchie, bei dem früher als dem Joanneum gegründeten Ungarischen und dem späteren Tschechischen, hatte diese Berufung auf eine eigenständige Nation mit besonderer kultureller und historischer Identität eine eindeutig politisch-emanzipatorische Funktion. Diese Museen waren so etwas wie Fabriken kultureller Identität, auf die ein politisches Selbstbewusstsein aufbauen konnte und auch aufbauen sollte, bis hin zur Deklaration der politischen Unabhängigkeit, die beispielsweise in Ungarn 1848 von den Treppen des Nationalmuseums herab verkündet wurde.
Eine solche nachdrücklich politische Funktion hatte das Steiermärkische Museum nicht, aber gesellschaftlich war es in seiner frühen Entwicklung sehr fortschrittlich dadurch, dass es bürgerliche Interessen vertrat und das Museum als ein dafür geeignetes Gefäß konzipiert wurde. Wiewohl von einem Mitglied des Kaiserhauses – aber als Privatperson – initiiert, war das Museum ein Umschlagplatz bürgerlicher Öffentlichkeit. Erzherzog Johann bewegte die Stände, die Verantwortung für das Museum zu tragen und es als mächtiges Werkzeug der kulturellen Bildung und des materiellen Fortschritts zu entwickeln und zu nutzen.
Wir sind heute gewohnt unter der Öffentlichkeit von Museen nur noch das Recht zu verstehen, sie – gegen Zahlung von Eintrittsgeld – betreten und besuchen zu dürfen. Museen funktionieren so, weil sie zu jenen staatlichen Leistungen und Vorsorgen gehören, die uns, allen Bürgern, zu unserem Wohl zur Verfügung stehen, wie auch der öffentliche Verkehr, das Gesundheitswesen oder die Wasserversorgung. Der ‚Wohlfahrtsstaat’ versorgt uns über Museen, so könnte man etwas profan sagen, mit dem Grundnahrungsmittel Wissen und Bildung.
Öffentlichkeit bedeutet aber zur Zeit der Gründung des Joanneum etwas Umfassenderes, nämlich aktive Teilhabe der Bürger an allen ihren Angelegenheiten und aktive Unterstützung dieser Teilhabe durch das Museum. Bürgerliche Öffentlichkeit organisierte sich in den vielen Vereinen, die mit dem Joanneum vernetzt waren und in speziellen sozialen Räumen: etwas wie eine allgemein nutzbare Bibliothek – die im Museum zur Verfügung stand, einschließlich von Büchern und Zeitschriften, die eigentlich unter Zensur standen -, war damals ebenso ungewöhnlich wie eine öffentlich nutzbare Sammlung. Ein weiterer Kristallisationspunkt kultureller Öffentlichkeit war die Leseanstalt des Museums. Die Bibliothek war auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet, das sogenannte Konversationszimmer von 10 - 21. „In kurzer Zeit“ berichtet der erste Biograf des Museums, „vereinigten diese Lesezimmer die gebildetsten Männer aller Stände und die hoffnungsvollsten Jünglinge in sich...".
Mit heutigen Begriffen müsste man die dichte Verschränkung von Museum und Öffentlichkeit als Selbstverwaltung und Partizipation beschreiben, etwas was in der ein oder anderen Form auch bei anderen Landesmuseen, weniger deutlich entwickelt aber doch, existierte. Diese Öffentlichkeit mach eindeutig Rückschritte. Bei den meisten Landesmuseen sind die letzten Reste der Selbstorganisation, etwa durch Trägervereine verschwunden. Auch beim Joanneum kann man die Rückschritte an öffentlichem Einfluss verfolgen. Die jüngste Etappe der organisatorischen Entwicklung, die sogenannte Ausgliederung und Umwandlung in eine GesmbH, schraubte den Einfluss der Öffentlichkeit auf bloße Beratung in einem Kuratorium zurück.
Heute, einige Jahre nach dieser Organisationsreform, ist das Joanneum, gemessen an Ausstellungsflächen, Sammlungsbestand und MitarbeiterInnen eines der größten Museen in Österreich. Die große Vielfalt seiner Sammlungen erlaubt, ein sehr breites Spektrum von Themen zu exponieren, aber die Ausstellungen allein geben noch kein Bild vom Arbeitsfeld des Museums. Zahllose Veranstaltungen, Tagungen, spezielle Workshops, Führungen, Kinderprogramme, Interventionen, Performances und vieles andere mehr fügen sich zu einer wahrlich „dichten Packung“ zusammen, mit der man als nicht leicht erschöpfbarer Besucher gut und gerne das Jahr über die Zeit verbringen könnte.
Die Chance, sich als „Universalmuseum Joanneum“ zu etablieren, wie man das vorhat, hat freilich einen Preis. Nämlich den Aufwand, den inhaltlichen und organisatorischen Zusammenhang zu wahren. Das Joanneum ist heute vieles aber eben auch vielerlei, wie ein Blick ins Veranstaltungs- und Ausstellungsprogramm zeigt. Das Museum konkurriert mit anderen österreichischen Museen um Besucher und um mediale Aufmerksamkeit, mit manchen Ausstellungen auch international.
Das Museum ist derart groß, dass es – wie in keinem anderen Bundesland – die regionale „Museumsszene“ dominiert und eine zentrifugale Kraft entwickelt in dessen Sog in den letzten Jahrzehnten manche Sammlung und manches Haus eingegliedert wurde. Das architektonisch spektakuläre Kunsthaus war bekanntlich ursprünglich nicht als teil des Joanneum geplant.
Unorganisches Wachstum – das könnte ein Stichwort für die gesamte Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert sein. Politische Zufälligkeiten, starke Persönlichkeiten, wissenschaftliche Moden führten zu sehr unterschiedlichen Gründungen, die heute alle friedlich koexistieren und kooperieren sollen. Ob das – organisatorisch wie inhaltlich – noch ein ‚Ganzes’ ist, wird am Haus selbst immer wieder diskutiert, und ob es noch ein Landesmuseum im herkömmlichen identitären und repräsentativen Sinn ist, scheint manchmal fraglich und daher das Ersetzen von „Landes-„ durch Universalmuseum in dieser Hinsicht konsequent.
Das Museum steuert auf das zeitlich nahe und einzigartige 200-Jahr-Jubiläum mit dem größten Umbruch seiner Geschichte zu. Ganze Sammlungen wurden schon und werden noch verlegt und vollkommen neu präsentiert, es wird gebaut, konzipiert, geplant, verändert wie seit der Gründung 1811 nicht. Mit dem unterirdischen Ausbau zwischen Raubergasse und Neutorgasse wird nicht einfach nur eine zentrale Erschließung zweier wichtiger Häuser geschaffen, sondern eine neue städtebauliche Situierung, die auch symbolisch wirksam sein wird.
„Raubergasse 10“, die älteste und noch immer privilegierte Adresse, war schon immer ein höchst unspektakulärer Zugang. Mit dem neuen Entree wird das Museum im architektonischen und sozialen Gefüge der Stadt aber auch in der ‚Museumslandschaft’ national und international neu positioniert werden.