In diesem Jahr feiert das Universalmuseum Joanneum (bis vor kurzem: Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum) die zweihundertste Wiederkehr seiner Gründung. Zu den öffentlichen Werbemitteln gehört auch der Slogan vom 'ersten Museum Österreichs'.
Nun, das kommt darauf an, was man unter 'Museum' versteht (da gibt es mehr als nur einen Forscher, der die Entstehung des Museums anders datiert) und was man unter 'Österreich' versteht. Wenn der geopolitische Raum zu Zeiten der Gründung gemeint ist, dann müsste man die Frühgeschichte des Ungarischen Nationalmuseums diskutieren (die 1804) beginnt oder die bahnbrechende Museumspolitik der Habsburger in Florenz im ausgehenden 18. Jahrhundert.
Aber ich will weder kleinlich noch beckmesserisch sein, sondern nur noch einmal auf den methodischen Zirkel hinweisen, der uns hier seit dem ersten museumshistorischen Post (Was ist ein Museum?) begleitet, und der in der Verschränkung von Begriff und Genealogie (Wann ist das erste Museum entstanden?) Schwierigkeiten macht.
Schön sind die abzulesen an einem Zitat, das mich vor über 30 Jahren veranlasst hat, mich gerade mit der Geschichte des Grazer Museums zu beschäftigen, und das meinen Widerspruch herausforderte:
"Aber Erzherzog Johann gründete kein 'normales' Museum, für ihn war
dieses Joanneum eine Forschungs- und Unterrichtsanstalt, eine wissenschaftliche
Institution mit Schausammlungen, die den unmittelbaren Bezug zur Bevölkerung
und deren Unterrichtung als Ziel hatte."
Dieses Urteil, das wohlmeinend die Besonderheiten des historischen Steiermärkischen
Landesmuseums Joanneum zum Zeitpunkt seiner Gründung, also im Jahre 1811,
hervorheben möchte, illustriert unfreiwillig die Diskrepanz zwischen einer
heutigen Auffassung von den Aufgaben der Institution Museum einerseits und dem
Anspruchsniveau des historischen Joanneums andrerseits.
Die Diskrepanz wird deutlich,
wenn man die zitierte Charakterisierung des Joanneums gleichsam umstülpt und
aus ihr eine Definition des Museums herauszulesen versucht: ein
‚normales’ Museum also wäre dann eine Institution, die weder Forschungs- noch
Unterrichtsanstalt ist, an der keine Wissenschaft betrieben wird, die ihre
Objekte nicht in einer Schausammlung zugänglich macht und die den unmittelbaren
Bezug zur Bevölkerung und deren Unterrichtung vermeidet. Schwer zu sagen, was
dann eigentlich noch als Funktionsbestimmung des Museums übrigbleibt.
In der Formulierung vom 'nicht
normalen' Museum schwingt eine aus der Perspektive der heutigen
Museumsauffassung geäußerte Skepsis - wogegen eigentlich? - mit, die ein anderer
zeitgenössischer Autor sogar als Entschuldigung des Joanneums glaubt
formulieren zu müssen:
"Obschon die bisher geschilderte Entwicklung des Joanneums unseren
heutigen Auffassungen über Aufgaben und Wirkungsbereiche eines Museums
entgegengesetzt scheint, war es eigentlich nur eine Schwerpunktverlagerung des
musealen Auftrages, nämlich Erforschen, Sammeln, Bewahren, Vermitteln, auf
letzteres."
War das Joanneum - eine, wenn auch
interessante -, Abweichung vom 'Kanon der Museumsaufgaben'? War das Neue
dieser Museumsgründung eine, im Grunde 'abnormale', Abweichung von der
Museumsentwicklung? Seltsam welche Schwierigkeiten selbst die Museumsgeschichtsschreibung mit der Gründung hat, die das
Besondere des Grazer Museums herausarbeiten und würdigen möchte.
Bis heute schwankt die Beurteilung der frühen Geschichte des Joanneum. Noch in jüngerer Zeit ist es - was es auch aber eben nicht nur und nicht in erster Linie war -, als Kompensation für das Fehlen einer Universität als eine Art Unterrichtsanstalt dargestellt worden.
Das 1811 gegründete
Steiermärkische 'Nationalmuseum' aber ist nichts weniger als die 'Abweichung' von einem
- zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorgezeichneten und festgelegten - Weg der
Entwicklung des Sammlungswesens, sondern es konstituierte, mit anderen,
zeitgleichen europäischen Gründungen, überhaupt erst einen epochal neuen
Begriff der Institution Museum als öffentliche Bildungseinrichtung.
In Österreich ist das Joanneum
das zweitälteste aller Landesmuseen (nach Budapest), und vor Prag, Linz und
Salzburg, und im europäischen Kontext betrachtet, muss man es zu den frühesten
Verwirklichungen jenes ‚Museumsmodells’ rechnen, das im Kontext von Aufklärung
und bürgerlicher (Französischer) Revolution entstanden ist.
Das Joanneum ist
nur eines, wenn auch ein besonderes Museum in der Reihe von Gründungen in der
österreichischen Monarchie, die, so unterschiedlich sie im einzelnen gewesen
sein mögen (und heute noch sind), die Entwicklung eines frühbürgerlichen,
ideellen wie utilitären, jedenfals aber ‚staatlichen’, das heißt auch
öffentlichen und kollektiven Zwecksetzungen gewidmet waren.
Was uns heute ungewohnt ist und was die zitierten Einordnungen provoziert hat, ist die ungewöhnlich pragmatische Ausrichtung. Das frühe Joanneum war vor allem den Naturwissenschaften und ihrer Lehre gewidmet und das zum Zweck der Förderung der materiellen Prosperität des Landes. Das steht noch ganz in der Tradition der einschlägigen Fürstenmuseen des späten 18. Jahrhunderts und einer physiokratischen Wirtschaftstheorie.
Zugleich war aber das Joanneum auch eine Art Transformationsraum gesellschaftlicher Identität. EH Johann benutzte auch das Wort 'Nationalmuseum' und seine Anstrengungen, eine Dokumentation, Forschung und 'Erzählung' der Geschichte und Kulturgeschichte des Landes zuwege zu bringen, gehen über die Modelle der 'nützlichen' Fürstenmuseen der Aufklärung hinaus.
Man übersieht gerne, daß das Joanneum in ein Netzwerk vieler anderer Institutionen, Vereine, Strategien eingebunden war, die zusammen ein Art Laboratorium der Selbstfindung bildeten. Vereine waren per se, in postrevolutionärer Politik, verdächtige und kontrollbedürftige Veranstaltungen. Überhaupt war jede Form bürgerlicher Öffentlichkeit verdächtig. Um so erstaunlicher ist, daß gerade die Etablierung einer Sphäre bürgerlicher Diskursivität - unter partieller Umgehung der Zensur -, eines der Zentren des damaligen Museums war: die Bibliothek und der Leseverein. Auch die ständische Trägerschaft des Museums - erst über 60 Jahre später wird das Museum 'staatlich' (ein Landesmuseum) - war ausdrücklich politisch fortschrittlich besetzt. EH Johann suchte die Unterstützung nicht weniger ehemaliger (verfolgter) Jakobiner, die seine Politik der ökonomischen und kulturellen Reform unterstützen sollten.
Was das Museum meiner Meinung nach also tatsächlich zu einem 'ersten' macht, ist, daß es zu den frühesten Beispielen eines Museums gehört (nicht nur österreichweit, sondern europaweit), das die Idee einer kollektiven Identifizierung über gemeinsame Kultur und Geschichte konsequent anstrebte.
Was das Museum aber unikal macht, ist seine praktische Aufgabe. Zwar gab es schon lange Industrieausstellungen, aber noch keinen Museumstyp - vielleicht mit der einzigen Ausnahme des in der Französischen Revolution gegründeten Musée des Arts et des Metiers -, das eine in der Entwicklung von Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Industrie so zentrale Rolle spielen sollte.
Später setzte in der Museumsentwicklung schnell eine Differenzierung nach Aufgaben ein. Das Fabriksproduktenkabninett in Wien hat keine ideologisch-kulturellen Aufgaben, wie sie das Joanneum hatte und das gilt erst recht für das über 50 Jahre später gegründete k.k. Museum für Kunst und Industrie.
Das Festhalten an einem so umfassenden 'Zivilisierungsprogramm', das aus ökonomischen und kulturellen Bemühungen zusammengesetzt war, macht das frühe Joanneum für seine Geschichtsschreiber offenbar sehr sperrig und fremd. Wie umfassend und emphatisch seine gesellschaftliche, ökonomische und politische Rolle gedacht war, kann man aus den sogenannten, von EH Johann selbst verfasssten, Statuten von 1811 herauslesen, eine Art von Mission Statement, das seinesgleichen sucht:
"Stäte Entwickelung, unaufhörliches Fortschreiten ist das Ziel des
Einzelnen, jeden Staatenvereines, der Menschheit. Stillestehen und Zurückbleiben
ist … einerley. Das Vorbild jener Wachsamkeit, Willenskraft und Erfindungen,
wodurch Heere, Regierung, Kunstfleiß musterhaft werden, muß den Geist
unaufhörlich emporhalten, um bei jedem Aufrufe des Vergangenen würdig, der
Gegenwart gewachsen, für die Zukunft wohlthätig zu seyn. Die Nothwendigkeit,
gründliche Kenntnisse an die Stelle hohler Vielwisserei, Kraft und Festigkeit
an jene der immer weiter umgreifenden Frivolität und egoistischen
Zurückziehens, reges Leben und unerschütterliche Fassung an die Stelle dumpfen
Hingebens, einer schmählichen Gleichgiltigkeit, eines kargen Abfindens mit
seinen Pflichten zu setzen, mit ganzem Herzen sich anzuschließen ans theure
Vaterland, auf die höchste National-Angelegenheit,
auf die Erziehung unablässig sein Augenmerk zu richten, hat sich wohl nie so
stark als in unseren Tagen ausgesprochen … Dasselbe [das Museum] soll alle in den Umkreis der
National-Literatur gehörigen Gegenstände in sich begreifen. Alles, was in
Innerösterreich die Natur, der Zeitwechsel, der menschliche Fleiß und Beharrlichkeit
hervorgebracht haben, was die Lehrer der verschiedenen öffentlichen Anstalten ihren
wißbegierigen Zöglingen vortragen. Es soll dieselben
versinnlichen, dadurch das Lernen erleichtern, die Wißbegierde reitzen, jenes
dem Selbstdenken und hiemit der Selbständigkeit so nachtheilige bloße
Memoriren, jene schädliche Kluft zwischen dem Begriff und der Anschauung, der
Theorie und der Praxis mehr und mehr ausfüllen helfen."
Im November, wenn das 200-Jahr-Jubiläum gefeiert wird, wird das auch eine Probe daruf sein, was die Gegenwart noch mit einer solchen Museumsidee anzufangen weiß.