Sonntag, 11. September 2011

Noch ein 'erstes Museum' - und noch dazu 'kein normales' (Was ist ein Museum? 13)


In diesem Jahr feiert das Universalmuseum Joanneum (bis vor kurzem: Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum) die zweihundertste Wiederkehr seiner Gründung. Zu den öffentlichen Werbemitteln gehört auch der Slogan vom 'ersten Museum Österreichs'.
Nun, das kommt darauf an, was man unter 'Museum' versteht (da gibt es mehr als nur einen Forscher, der die Entstehung des Museums anders datiert) und was man unter 'Österreich' versteht. Wenn der geopolitische Raum zu Zeiten der Gründung gemeint ist, dann müsste man die Frühgeschichte des Ungarischen Nationalmuseums diskutieren (die 1804) beginnt oder die bahnbrechende Museumspolitik der Habsburger in Florenz im ausgehenden 18. Jahrhundert.
Aber ich will weder kleinlich noch beckmesserisch sein, sondern nur noch einmal auf den methodischen Zirkel hinweisen, der uns hier seit dem ersten museumshistorischen Post (Was ist ein Museum?) begleitet, und der in der Verschränkung von Begriff und Genealogie (Wann ist das erste Museum entstanden?) Schwierigkeiten macht.
Schön sind die abzulesen an einem Zitat, das mich vor über 30 Jahren veranlasst hat, mich gerade mit der Geschichte des Grazer Museums zu beschäftigen, und das meinen Widerspruch herausforderte:
"Aber Erzherzog Johann gründete kein 'normales' Museum, für ihn war dieses Joanneum eine Forschungs- und Unterrichtsanstalt, eine wissen­schaftliche Institution mit Schausammlungen, die den unmittelbaren Be­zug zur Bevölkerung und deren Unterrichtung als Ziel hatte."
Dieses Urteil, das wohlmeinend die Besonderheiten des historischen Steiermärkischen Landesmuseums Joanneum zum Zeit­punkt seiner Gründung, also im Jahre 1811, hervorheben möchte, illustriert unfreiwillig die Diskrepanz zwischen einer heutigen Auffassung von den Aufgaben der Institution Museum einerseits und dem Anspruchsniveau des historischen Joanneums andrerseits.
Die Diskrepanz wird deutlich, wenn man die zitierte Charakterisierung des Joanneums gleichsam umstülpt und aus ihr eine Definition des Mu­seums herauszulesen versucht: ein ‚normales’ Museum also wäre dann eine Institution, die weder Forschungs- noch Unterrichtsanstalt ist, an der keine Wissen­schaft betrieben wird, die ihre Objekte nicht in einer Schausammlung zugänglich macht und die den unmittelbaren Bezug zur Bevölkerung und deren Unterrichtung vermeidet. Schwer zu sagen, was dann eigent­lich noch als Funktionsbestimmung des Museums übrigbleibt.
In der Formulierung vom 'nicht normalen' Museum schwingt eine aus der Perspektive der heutigen Museumsauffassung geäußerte Skepsis - wogegen eigentlich? - mit, die ein anderer zeitgenössischer Autor sogar als Entschuldigung des Joanneums glaubt formulieren zu müssen:
"Obschon die bisher geschilderte Entwicklung des Joanneums unseren heutigen Auffassun­gen über Aufgaben und Wirkungsbereiche eines Museums entgegenge­setzt scheint, war es eigentlich nur eine Schwerpunktverlagerung des musealen Auftrages, nämlich Erforschen, Sammeln, Bewahren, Vermit­teln, auf letzteres." 
War das Joanneum - eine, wenn auch interessante -, Abweichung vom 'Kanon der Museumsaufgaben'? War das Neue dieser Museumsgründung eine, im Grunde 'abnormale', Abweichung von der Museumsentwick­lung? Seltsam welche Schwierigkeiten selbst die Museumsgeschichts­schreibung mit der Gründung hat, die das Besondere des Grazer Museums herausar­beiten und würdigen möchte.
Bis heute schwankt die Beurteilung der frühen Geschichte des Joanneum. Noch in jüngerer Zeit ist es - was es auch aber eben nicht nur und nicht in erster Linie war -, als Kompensation für das Fehlen einer Universität als eine Art Unterrichtsanstalt dargestellt worden.
Das 1811 gegründete Steiermärkische 'Nationalmuseum' aber ist nichts weni­ger als die 'Abweichung' von einem - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorgezeichneten und festgelegten - Weg der Entwicklung des Sammlungswesens, sondern es konstituierte, mit anderen, zeitgleichen europäischen Gründungen, überhaupt erst einen epochal neuen Begriff der Institution Museum als öffentliche Bildungseinrichtung.
In Österreich ist das Joanneum das zweitälteste aller Landesmuseen (nach Budapest), und vor Prag, Linz und Salzburg, und im europäischen Kontext betrachtet, muss man es zu den frühesten Verwirklichungen jenes ‚Museumsmodells’ rechnen, das im Kontext von Aufklärung und bürgerlicher (Französischer) Revolution entstanden ist. 
Das Joanneum ist nur eines, wenn auch ein besonderes Museum in der Reihe von Gründungen in der österreichischen Monarchie, die, so unterschiedlich sie im einzelnen gewesen sein mögen (und heute noch sind), die Entwicklung eines frühbürgerlichen, ideellen wie utilitären, jedenfals aber ‚staatlichen’, das heißt auch öffentlichen und kollektiven Zwecksetzungen gewidmet waren. 
Was uns heute ungewohnt ist und was die zitierten Einordnungen provoziert hat, ist die ungewöhnlich pragmatische Ausrichtung. Das frühe Joanneum war vor allem den Naturwissenschaften und ihrer Lehre gewidmet und das zum Zweck der Förderung der materiellen Prosperität des Landes. Das steht noch ganz in der Tradition der einschlägigen Fürstenmuseen des späten 18. Jahrhunderts und einer physiokratischen Wirtschaftstheorie.
Zugleich war aber das Joanneum auch eine Art Transformationsraum gesellschaftlicher Identität. EH Johann benutzte auch das Wort 'Nationalmuseum' und seine Anstrengungen, eine Dokumentation, Forschung und 'Erzählung' der Geschichte und Kulturgeschichte des Landes zuwege zu bringen, gehen über die Modelle der 'nützlichen' Fürstenmuseen der Aufklärung hinaus.
Man übersieht gerne, daß das Joanneum in ein Netzwerk vieler anderer Institutionen, Vereine, Strategien eingebunden war, die zusammen ein Art Laboratorium der Selbstfindung bildeten. Vereine waren per se, in postrevolutionärer Politik, verdächtige und kontrollbedürftige Veranstaltungen. Überhaupt war jede Form bürgerlicher Öffentlichkeit verdächtig. Um so erstaunlicher ist, daß gerade die Etablierung einer Sphäre bürgerlicher Diskursivität - unter partieller Umgehung der Zensur -, eines der Zentren des damaligen Museums war: die Bibliothek und der Leseverein. Auch die ständische Trägerschaft des Museums - erst über 60 Jahre später wird das Museum 'staatlich' (ein Landesmuseum) - war ausdrücklich politisch fortschrittlich besetzt. EH Johann suchte die Unterstützung nicht weniger ehemaliger (verfolgter) Jakobiner, die seine Politik der ökonomischen und kulturellen Reform unterstützen sollten. 
Was das Museum meiner Meinung nach also tatsächlich zu einem 'ersten' macht, ist, daß es zu den frühesten Beispielen eines Museums gehört (nicht nur österreichweit, sondern europaweit), das die Idee einer kollektiven Identifizierung über gemeinsame Kultur und Geschichte konsequent anstrebte. 
Was das Museum aber unikal macht, ist seine praktische Aufgabe. Zwar gab es schon lange Industrieausstellungen, aber noch keinen Museumstyp - vielleicht mit der einzigen Ausnahme des in der Französischen Revolution gegründeten Musée des Arts et des Metiers -, das eine in der Entwicklung von Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Industrie so zentrale Rolle spielen sollte.
Später setzte in der Museumsentwicklung schnell eine Differenzierung nach Aufgaben ein. Das Fabriksproduktenkabninett in Wien hat keine ideologisch-kulturellen Aufgaben, wie sie das Joanneum hatte und das gilt erst recht für das über 50 Jahre später gegründete k.k. Museum für Kunst und Industrie.
Das Festhalten an einem so umfassenden 'Zivilisierungsprogramm', das aus ökonomischen und kulturellen Bemühungen zusammengesetzt war, macht das frühe Joanneum für seine Geschichtsschreiber offenbar sehr sperrig und fremd. Wie umfassend und emphatisch seine gesellschaftliche, ökonomische und politische Rolle gedacht war, kann man aus den sogenannten, von EH Johann selbst verfasssten, Statuten von 1811 herauslesen, eine Art von Mission Statement, das seinesgleichen sucht:
"Stäte Entwickelung, unaufhörliches Fortschreiten ist das Ziel des Einzel­nen, jeden Staatenvereines, der Menschheit. Stillestehen und Zurückblei­ben ist … einerley. Das Vorbild jener Wachsamkeit, Willenskraft und Er­findungen, wodurch Heere, Regierung, Kunstfleiß musterhaft werden, muß den Geist unaufhörlich emporhalten, um bei jedem Aufrufe des Ver­gangenen würdig, der Gegenwart gewachsen, für die Zukunft wohlthätig zu seyn. Die Nothwendigkeit, gründliche Kenntnisse an die Stelle hohler Vielwisserei, Kraft und Festigkeit an jene der immer weiter umgreifen­den Frivolität und egoistischen Zurückziehens, reges Leben und uner­schütterliche Fassung an die Stelle dumpfen Hingebens, einer schmähli­chen Gleichgiltigkeit, eines kargen Abfindens mit seinen Pflichten zu set­zen, mit ganzem Herzen sich anzuschließen ans theure Vaterland, auf die höchste National-Angelegenheit, auf die Erziehung unablässig sein Au­genmerk zu richten, hat sich wohl nie so stark als in unseren Tagen aus­gesprochen …  Dasselbe  [das Museum] soll alle in den  Umkreis der National-Literatur gehörigen Gegenstände in sich begreifen. Alles, was in Innerösterreich die Natur, der Zeitwechsel, der menschliche Fleiß und Be­harrlichkeit hervorgebracht haben, was die Lehrer der verschiedenen öffentlichen Anstalten ihren wißbegierigen Zöglingen vortragen. Es soll dieselben versinnlichen, dadurch das Lernen erleich­tern, die Wißbegierde reitzen, jenes dem Selbstdenken und hiemit der Selbständigkeit so nachtheilige bloße Memoriren, jene schädliche Kluft zwischen dem Begriff und der Anschauung, der Theorie und der Praxis mehr und mehr ausfüllen helfen."
 

Im November, wenn das 200-Jahr-Jubiläum gefeiert wird, wird das auch eine Probe daruf sein, was die Gegenwart noch mit einer solchen Museumsidee anzufangen weiß.

Text als Museum (Texte im Museum 225)

Anette Kraus, Lili Scholtes: Vermutungen zur Planlosigkeit. Schriftinstallation 2005

Wunderkammer (Texte im Museum 224)

Foto: J.D. (2011)

Samstag, 10. September 2011

Bildungsauftrag

Bei der Lektüre einer Onlinepublikation stolpere ich über das Wort. BILDUNGSAUFTRAG. Ein Wort, das gut ein Unwort des Jahres abgeben könnte. Den Bildungsauftrag, den hat wer? Den haben Museen. Auch in Zukunft. Bezeichnenderweise, so lese ich nämlich, habe der Deutsche Museumsbund 2006 und 2007 gerade den Bildungsauftrag als zukunftsweisende Aufgabe der Museen bezeichnet.
Wer hat beauftragt? Wer soll gebildet werden? Von wem? In wessen Namen? Wer autorisiert sich? Wozu? Geht es um ein egalitäres oder hegemoniales Projekt?

Worum geht es, wenn Bildung in den Mund genommen wird? Um das qualitative, nachhaltige Besuchererlebnis, um abwechslungsreiche und individuelle Aneignungsprozesse. Oft schon gehört. Und seit langem.
Ein Repertoire von Schlagwörtern, das seit den 70ern kursiert. Warum muß noch immer davon geredet werden? Weil der Auftrag nicht ausgeführt wurde? Warum ist er dann aber zukunftsweisend? Weil dessen Erfüllung, wenn er in die Zukunft verschoben wird, nicht jetzt und aktuell ernstgenommen werden muß? Zukunftsweisend? Weil bislang nichts geschehen ist? Weil er weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit eingelöst wurde? Andernfalls wäre er eine Selbstverständlichkeit und müsste nicht immer wie ein Mantra wiederholt werden, oder?
Das repetitive Wiederholen von Bildungsauftrag ist das zentrale Legitimationsritual der Museumspädagogik. Sie rückt Bildung in die Nähe von Unterricht, Lehre, Unterweisung, Anleitung. So lange der Mangel an Bildung durch das Museum andauert, ist man als Pädagoge des Museums unentbehrlich und berechtigt. Einerseits.
Andrerseits, dort, wo der Bildungsauftrag als gegenwärtig und zukünftig angerufen wird, als etwas erst Herzustellendes, erst Auszufüllendes, geht das Bewußtsein dafür verloren, daß Bildung strukturell sowieso zum Museum gehört. Muß man die Feuerwehr daran erinnern, daß sie Brände löschen soll?
Es geht die Erinnerung daran verloren, daß das Museum und seine Aufgaben eine Geschichte haben. Es geht damit die Erfahrung von Differenz verloren, aus der doch die Frage nach dem Bildungsauftrag möglichweise ganz anders gestellt und beantwortet würde.
Freilich wird am Beginn dessen, was wir unter Museum verstehen, das was in der deutschen Sprache Bildung genannt wird, universaler verstanden als in den einschlägigen Museumsdebatten. Nämlich als Zivilität stiftende soziale Praxis, in die identifikatorische und reflexiv-öffentliche Prozesse ineinandergreifen, in der sich Bürger mit dem demokratischen Nationalstaat identifizieren und der Staat seinerseits das Museum als öffentliches unterhält und betreibt.
Er garantiert damit, daß es einen Ort der kollektiven wie individuellen Selbstverständigung gibt, der Weltbemächtigung, der rituellen Erneuerung der Gemeinschaft im Medium der gesammelten und ausgestellten common objects.
Wie sehr dieses wohlfahrtstaatliche (der Staat finanziert und administriert zum Wohle aller...) Konzept des Museums (das derzeitig gewaltig unter (Spar)Druck steht) mit der Idee der Demokratie verknüpft ist und ihr - gewaltfrei und diskursiv – zuarbeitet, läßt sich an der Genese des Museums in der Französischen Revolution ablesen.
Die Verfassung, die am 10. August 1793 feierlich deklariert wird verankert das uneingeschränkte Recht auf Bildung für jedermann. Freilich steht dort, im ersten Satz (dieser ältesten europäischen demokratischen Verfassung) anstelle von Wohlfahrt oder Bildung ein anderes Wort: Glück.

Barcode statt Bargeld (Texte im Museum 223)

In einem Harzer Klostermuseum aufgefallen der Auslandskorrespondentin J.D. Danke! Man staunt, worauf Museen in urschöpflicher Innovativität so kommen.

"There is no...." (Das Museum lesen 20)

Von Eilean Hooper-Greenhill gibts ja schon den schönen Satz "There is no essential museum" (Punkt), nur übertroffen von Sharon McDonalds "The museum doesn't exist".
Jetzt mal im Ernst, und das Objekt? "There is no essential truth of the object" (wiederum EHG) und weiter "Their meaning is fluid, changeable, relational and contextual".
Dazu ein echter Haim Steinbach:

Mittwoch, 7. September 2011

Genug zum Lesen (Texte im Museum 222)

Gipsoteca Possagno

Entmusealisierung

Musealisierung ist ein prinzipiell zwiespältiger Vorgang, nämlich dann, wenn es um nicht mehr geht, als um Konservierung von Resten. Wo eine erschließende Vermittlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht stattfindet, kann schwerlich ein lebendiges, arbeitendes Gedächtnis entstehen.
Dennoch kommt es selten vor, daß solche Prozesse der Erhaltung um der Erhaltung willen gestoppt werden oder rückgebaut.
Jetzt findet so etwas statt. Wie die Kleine Zeitung (hier) berichtet, wird das zum Universalmuseum Joanneum gehörige kleine, moderne Museum, das die Ausgrabung des römischen Flavia Solva zeigt, nicht nur geschlossen, das war schon länger bekannt, und zu einer Art 'Museumsvitrine' umfunktioniert. Der Sparzwang, den die Landespolitik dem Museum verordnet hat, trifft auch die Grabungen, über denen das Museum wie eine luftige Brücke schwebte. Da ihre Erhaltung und nötige Sanierung nicht finanzierbar sind und die Reste als ausreichend dokumentiert und erforscht gelten, wird das Gelände zugeschüttet und begrünt.
Selbst die Kürze des Zeitungsartikels vermittelt etwas vom Zwiespalt des Konzepts Musealisierung: während der wissenschaftliche Wert als abgearbeitet gelten kann, verweisen Formulierungen wie "bedeutendster römerzeitlicher Fundplatz des Landes" auf eine offenbar noch lebendige identitäre Bedeutung dieses 'Gedächtnisortes' - wenn auch vielleicht nur mehr im Kopf eines Journalisten...

Samstag, 3. September 2011

Piu Fragile (Texte im Museum 221)


? Ein Neuanfang ! Jüdisches Museum der Stadt Wien

Im aktuellen Newsletter (September 2011) des Jüdischen Museums der Stadt Wien kündigt die Direktorin Danielle Spera an: "In exakt 47 Tagen ist es soweit. Wir werden unser Haupthaus in der Dorotheergasse nach einer umfassenden Sanierung wiedereröffnen."
Nachdem es anläßlich des Abbruchs eines Teils der Dauerausstellung zu wochenlangen Debatten und Auseinandersetzungen gekommen war und die Museumsleitung von Experten und Museumsleitern heftig kritisiert worden war, geht nun das Museum sehr vorsichtig zu Werk. "Wir werden Ihnen ganz neue, spannende Einblicke in die Sammlungen des Jüdischen Museums bieten und Sie auch bitten, uns auf dem Weg zu einer neuen Dauerausstellung zu begleiten und dazu beizutragen."
Mehr über die kommende Erneuerung der Dauerausstellung des Museums ist derzeit nicht zu erfahren, auch nicht auf der Webseite des Museums, die mit "Ein Neuanfang!" öffnet, konnte ich keine weiteren Angaben zur Eröffnung und zur Konzeption der Dauerausstellung entdecken. Gedacht ist offenbar an eine Art Preview, an ein Testen von und Experimentieren mit Themen. Gespannt darf man sein, wie das 'Begleiten' und 'Beitragen' verstanden und organisiert werden wird.

Marktgerecht


Freitag, 2. September 2011

Wounded Art (Texte im/vor dem Museum 220)


Gipsoteca Possagno. Canovas Vermächtnis



Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln, die sich zwischen Alpen und Ebene schieben, gelegen, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.

Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, Gemälde, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem für die Ausstellung seiner Werke realisierten Bau gezeigt.

Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreijochige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts. Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Straße und dann eine Treppe hinaufführen. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet. Noch heute, wo Possagno relativ dicht verbaut ist, nimmt sich die monumentale, im Grund städtische Planung ausgesprochen überdeterminiert aus. Canovas Geburtshaus ist offenbar weitgehend unverändert erhalten geblieben und dient ebenfalls als Museum.


Das Bemerkenswerteste der eigentlichen Gipsoteca  sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Nägeln überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren und die Verwirklichung der Gipse in Marmor erlaubte. Diese 'Punktierung', mit denen viele der Figuren überzogen sind, das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.

Im zweiten Weltkrieg wurde der Ort und das Museum von Bomben und Granaten beschädigt, das Museum schwer, viele Objekte wurden vollständig oder teilweise zerstört. Ob manche massive Beschädigung, die man an den Figuren heute sieht, auf diese Zerstörungen zurückgehen oder modernem Vandalismus geschuldet sind, läßt sich nicht erkennen. Ein martialischer Text, in dem mit der Polizei gedroht wird, ist das einzig 'Prohibitive', das sich schützend vor die freistehenden Objekte schiebt.

Manches Werk scheint offensichtliche Spuren von Überarbeitung zu zeigen, denn bildhauerische Ergänzungen kriegsbeschädigter Figuren scheinen im großem Umfang gemacht worden zu sein. Hier kann man die Denkmäler für George Washington finden (in mehreren Varianten), die Theseusgruppe (in Originalgröße), die im Auftrag Napoleons geschaffen wurde und die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet, Porträts, mythologische Gruppen wie Daedalus und Ikarus oder auch (ebenfalls in Originalgröße) das Grabmal von Marie Christine von Österreich.

1957 wurde die Disposition dieses höchst merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten jener Zeit fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer, vor allem kleinformatigere Werke hinzu. Anders als die Gipsoteca kommunizieren die schmalen Räume mit dem von Scarpa mit Pflanzen und Wasser gestalteten Außenraum und werden mit natürlichem Licht, z.T. durch eine Art von Laternen (vielleicht von John Soanes Museum inspiriert?) ziemlich dramatisch beleuchtet.

Der kleine Garten mit Zierpflanzen und Obstbäumen bildet zwischen Geburtshaus und 'Museumstempel' eine kleine Oase - inmitten eines unikalen Ensembles.






Zu viel Text im Museum (Texte im Museum 219)

Gipsoteca Possagno

Canova (Entrée 32)


Musealisierung

Gipsoteca Possagno