Auf der Suche nach dem kaum existenten Genre "Ausstellungskritik" bin ich auf etwas gestoßen, was schon dadurch interessant ist, weil mal öffentlich ein Disput um eine Kritik ausgetragen wurde, was ja eher auch selten ist.
Isabelle Graw hatte in der taz vom 24.1.2011 die von Klaus Herding kuratierte Courbet-Ausstellung kritisiert. In ihrem Text "Der Traum des Realisten" wirft sie dem Kunsthistoriker vor, die politische Rolle Courbets und seiner Malerei hinter einer Stilisierung des Malers zum "Träumer der Geschichte" zum Verschwinden zu bringen.
Ihre Argumente zieht sie fast ausschließlich aus den Bildern selbst und dem Katalogtext des Kurators, genauso wie Klaus Herding, der im Rückgriff auf Bildinterpretationen erwidert (Wirksamer als hundert Flugschriften; taz 2.2.2011). An der Debatte ist interessant, daß eine Ausstellung überhaupt noch jenseits ihres kulinarischen Schauwertes diskutiert wird und von Graw explizit als 'rar gewordene programmatische Thesenausstellung' zur Diskussion gestellt wird. Das impliziert, daß die Kritik selbst sich dieser These annimmt und programmatisch wird, zumal wenn es um den "politisch radikalsten Maler des 19. Jahrhunderts geht" (Graw).
Und wenn Klaus Herding das "Erträumen anderer Verhältnisse" bei Courbet nicht als Eskapismus verstanden wissen will, hinter dem das Politische verschwindet, sondern als Komplement der politischen Haltung, als Potential eines über die Verhältnisse hinausweisenden Träumens, das seine eigene Sprengkraft hat - wird da nicht auch die Rolle des Ausstellens und des Museums befragt? Als der Ort der Vermittlung einer Haltung, einer Idee oder eines Traums, der durch seine Gestaltung und Disposition, Auswahl und Erzählweise mit entscheidet über die Geltung oder das Verschwinden historischer Utopien.
Da wird in Umrissen etwas von den Möglichkeiten der Ausstellungs- (Museumskritik) sichtbar, das gesellschaftliche potential nicht nur des Gegenstandes einer Ausstellung, sondern des Ausstellens (des Museums) zu debattieren.
Mittwoch, 2. Februar 2011
Sonntag, 30. Januar 2011
In Russland muss der Archäologe schon mal mit dem Landrat Wodka trinken
Ich finde, daß ein Satz "In Russland muss der Archäologe schon mal mit dem Landrat Wodka trinken" durchaus die Lektüre eines Interviews rechtfertigt. Eines das über den Horizont und Reflexionsstand der Archäologie in Deutschland aus berufenem Munde Auskunft gibt: Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Archäologe. Hier, im SPIEGEL, das Gespräch.
Samstag, 29. Januar 2011
Die nicht gewürdigten Verdienste des Bruno Kreisky
Immer diese schlamperten Nachrufe! Dauernd wird was vergessen. Das war schon so bei Rudolf Leopold und ist jetzt so bei Bruno Kreisky; dabei wird doch bei Bruno Kreisky dermaßen viel nachgerufen, daß man gerne denkt: kann ja nichts schiefgehen. Aber doch! Aber wie!
Da sitzen fast zwei Dutzend Kulturschaffende im Burgtheater, die Männer in Fauteuils, die Frauen auf Holzsesseln (wahrscheinlich eine beinhart analytisch-selbstreflexive Gender-Intervention!) und reden in Tranchen a sechs, sieben K-Schaffende über KKK, Kreisky, Kunst und Kultur.
Ganze zwei Seiten hat der Standard dem reserviert, als Mitveranstalter und Leihgeber von Moderatorinnen und Moderatoren. Wie das so ist, bei schriftlich zusammengefassten und gekürzten Diskussionen - man kriegt weder recht mit, was da so geredet wurde, noch wer eigentlich was genau gesagt hat, noch worum es denn überhaupt ging.
Franz Schuh zum Beispiel. Dem höre ich doch ganz gerne zu. Selbst wenn er in narzißtisches Geraune verfällt. Aber hier! Im Burgtheater! Was hat er gesagt? Der Standard protokolliert nur eine einzige Bemerkung. Daß es kein Pendant zum männlichen Apostel gibt, soll er gesagt haben.
Das muß sicher eine unglaubliche Wuchtel gewesen sein, möglicherweise gegen eine Frau, so eine aus dem Hinterhalt des tief in sein gelbes Ledersofa versunkenen Intellektuellen gegen eine auf ihrem Sessel rutschende K-Schaffende. Lissman war da, Weibel war da, Kaup-Hasler war da, Andrea Schurian war da, Wolf D. Prix war da, Dagmar Koller war da. Nein. Das war jetzt ein Witz.
Jetzt ist es schon wieder ein paar Stunden her, daß ich den Standard gelesen habe, und ich hatte nur zwei Kaffee inzwischen, da kann man sich nicht alles merken. Aber es muß so in etwa zwei Hauptmeinungen gegeben haben in der großen Kreisky-Exegeten-Runde: Kreisky hat mehr Bücher gelesen als Erwin Pröll. Und Kreisky hat Kunst als Politiker für politische Zwecke instrumentalisiert.
Dann gings da auch noch um die Avantgarde und die die glauben, daß sie Avantgarde sind, wie Wolf D. Prix, lobten die Avantgarde und daß demnächst gleich wieder eine ausbrechen wird (derselbe), und die, die keine Avantgarde sein wollen, sagten, die Avantgarde wurde schon 1964 von Peter Bürger zu Grabe getragen. Das hatte zwar nix mit Kreisky zu tun, hörte sich aber so an, als hätte ich gerne dabeigewesen sein wollen.
Im letzten Drittel der Lektüre der zwei Seiten dachte ich mir: Hergott! Da fehlt ja schon wieder was. Dieses ganze Nachrufen und dann von so vielen Leuten, die alle dabei waren und Kreisky persönlich getroffen haben und sich Autogramme von ihm haben geben lassen, auf den Unterarm, und die dann Haarspray draufgetan haben und die seither den Unterarm konservatorisch pflegen lassen, von Spezialisten des MUMOK, damit das Autogramm nicht runtergeht, beim Händeschütteln oder beim Baden in der Alten Donau (na, das stimmt jetzt natürlich auch schon wieder nicht!, das mit dem Konservieren, aber das mit dem Unterarm schon), und dann passiert's trotzdem, daß die was vergessen.
Dabei war ich doch selber dabei! Ja! Wirklich! Ich auch! Als da Karl Blecha mit seinem IFES Studien zum Kulturverhalten der Österreicher machte und ein kulturpolitischer Maßnahmenkatalog ausgearbeitet wurde, und die Roten Markierungen erschienen, ein Stück ideologischer Unterbau zur sozialdemokratischen Politik, mit Texten von Heinz Fischer, Leopold Gratz oder Karl Blecha, und ein eigenes Essay zur Kulturpolitik gabs da auch. Und was für eins, ganz schön rabiat. Von Fritz Herrmann. Mitarbeiter im Büro von Fred Sinowatz, Unterrichtsminister. Ja, darüber hat niemand geredet, neulich im Burgtheater. Daß dann der Fritz Herrmann ziemlich schnell von der Bildfläche verschwand und ins Burgenland zum Karpfenzüchten geschickt wurde (das hab ich nicht erfunden). Und zwar nachdem er (im Neuen Forum) Heiligenschändung betrieben hatte, an Herbert von Karajan (Trara, die Hochkultur! - „Es scheißt der Herr von Karajan / bei jedem falschen Ton sich an / und wascht sein Arsch im Goldlawua / anal sein g´hört / zur Hochkultur!“), daß der gar nimmer dirigieren wollte und Sinowatz nach Salzburg fuhr und Karajan umstimmen musste. Weg war er, der Fritz Herrmann. Und damit war so ziemlich auch das Bemühen verschwunden, eine Kulturpolitik neuer Art zu entwerfen, jenseits der Festspiele und Elitentheater usw. zu etablieren.
Und da war dann eben übrig eine sozialdemokratische demoskopisch gestützte (IFES) Verteilungsbeglückungskulturpolitik, die nach dem aus Deutschland importierten Motto Kultur für alle (ein Slogan, den Hilmar Hoffmann in Umlauf brachte, der Kulturdezernent von Frankfurt am Main) Kunst und Kultur definitiv warentauglich und konsumförmig machte. Im Versprechen auf Demokratisierung der Kultur wurde vor allem die Verbreiterung des Konsums, die Erweiterung des Kulturgütermarktes betrieben. Die Entwicklung neuer Formen der Produktion jenseits der Hochkultur blieb halbherzig, zahm. Das funktionierte genau so, wie es Walter Benjamin notiert hatte, als Mobilisierung eines kleinbürgerlichen Konsuminteresses: "Die Massierung der Kunstwerke im Museum nähert sie den Waren an, die, wo sie sich dem Passanten in Massen darbieten, die Vorstellung in ihm wecken, auch auf ihn müsse ein Anteil daran entfallen."
Aber das ganze wirkte - wie so oft - ambivalent: Aus wars mit der verschrobenen Museumspolitik, für die Besucher Störenfriede waren, jetzt gings um Quoten, aus mit dem altbackenen Klassikertheater, aus mit den staubigen, erstarrten Festivals! Und rein gings in Strategien und Techniken der Popularisierung und Vermarktung, rein gings in die Grundversorgung des neuen Marktes! Da gabs einen Relaunch der Festwochen, die Berufung Peymanns ans Burgtheater, plötzlich eine Wiener Kunsthalle, ein in neuartiger 'private partnership' (hieß noch nicht so) mit einem Schokoladefabrikanten erweitertes Museum Moderner Kunst, Großausstellungen wie Wien um 1900, und, wenden wir mal den sich damals erweiternden Kulturbegriff an, eine in Grenzen demokratisierende Wissenschafts (Uni-) Politik (mit Herta Firnberg, die so toll ihre Handtasche auf- und zuklappen konnte und damit ihren Unmut in Verhandlungen, Gesprächen, Diskussion grandios kommunizierte), eine sich öffnende Medienpolitik.
Zilk, der die Stadtgespräche erfand, Hrdlicka auf den Albertina-Platz schickte und das Jüdische Museum gründete.
Nicht alles war der Ära Kreisky zuzuordnen und schon gar nicht ihm persönlich, aber seine Intellektualität, Bildung und Souveränität trugen viel zu einem Klima bei, in dem derlei denkbar und realisierbar wurde. Sehr vieles, was heute an Restbeständen weltoffener Kulturpolitik existiert hat der Zeit etwas zu verdanken, allerdings ist auch die Vermarktung und Popularisierung nicht am damaligen Level stehengeblieben, sondern setzt sich als regierendes Prinzip mehr und mehr durch das nun auch ökonomischer Rationalität folgen soll.
Da sitzen fast zwei Dutzend Kulturschaffende im Burgtheater, die Männer in Fauteuils, die Frauen auf Holzsesseln (wahrscheinlich eine beinhart analytisch-selbstreflexive Gender-Intervention!) und reden in Tranchen a sechs, sieben K-Schaffende über KKK, Kreisky, Kunst und Kultur.
Ganze zwei Seiten hat der Standard dem reserviert, als Mitveranstalter und Leihgeber von Moderatorinnen und Moderatoren. Wie das so ist, bei schriftlich zusammengefassten und gekürzten Diskussionen - man kriegt weder recht mit, was da so geredet wurde, noch wer eigentlich was genau gesagt hat, noch worum es denn überhaupt ging.
Franz Schuh zum Beispiel. Dem höre ich doch ganz gerne zu. Selbst wenn er in narzißtisches Geraune verfällt. Aber hier! Im Burgtheater! Was hat er gesagt? Der Standard protokolliert nur eine einzige Bemerkung. Daß es kein Pendant zum männlichen Apostel gibt, soll er gesagt haben.
Das muß sicher eine unglaubliche Wuchtel gewesen sein, möglicherweise gegen eine Frau, so eine aus dem Hinterhalt des tief in sein gelbes Ledersofa versunkenen Intellektuellen gegen eine auf ihrem Sessel rutschende K-Schaffende. Lissman war da, Weibel war da, Kaup-Hasler war da, Andrea Schurian war da, Wolf D. Prix war da, Dagmar Koller war da. Nein. Das war jetzt ein Witz.
Jetzt ist es schon wieder ein paar Stunden her, daß ich den Standard gelesen habe, und ich hatte nur zwei Kaffee inzwischen, da kann man sich nicht alles merken. Aber es muß so in etwa zwei Hauptmeinungen gegeben haben in der großen Kreisky-Exegeten-Runde: Kreisky hat mehr Bücher gelesen als Erwin Pröll. Und Kreisky hat Kunst als Politiker für politische Zwecke instrumentalisiert.
Dann gings da auch noch um die Avantgarde und die die glauben, daß sie Avantgarde sind, wie Wolf D. Prix, lobten die Avantgarde und daß demnächst gleich wieder eine ausbrechen wird (derselbe), und die, die keine Avantgarde sein wollen, sagten, die Avantgarde wurde schon 1964 von Peter Bürger zu Grabe getragen. Das hatte zwar nix mit Kreisky zu tun, hörte sich aber so an, als hätte ich gerne dabeigewesen sein wollen.
Im letzten Drittel der Lektüre der zwei Seiten dachte ich mir: Hergott! Da fehlt ja schon wieder was. Dieses ganze Nachrufen und dann von so vielen Leuten, die alle dabei waren und Kreisky persönlich getroffen haben und sich Autogramme von ihm haben geben lassen, auf den Unterarm, und die dann Haarspray draufgetan haben und die seither den Unterarm konservatorisch pflegen lassen, von Spezialisten des MUMOK, damit das Autogramm nicht runtergeht, beim Händeschütteln oder beim Baden in der Alten Donau (na, das stimmt jetzt natürlich auch schon wieder nicht!, das mit dem Konservieren, aber das mit dem Unterarm schon), und dann passiert's trotzdem, daß die was vergessen.
Dabei war ich doch selber dabei! Ja! Wirklich! Ich auch! Als da Karl Blecha mit seinem IFES Studien zum Kulturverhalten der Österreicher machte und ein kulturpolitischer Maßnahmenkatalog ausgearbeitet wurde, und die Roten Markierungen erschienen, ein Stück ideologischer Unterbau zur sozialdemokratischen Politik, mit Texten von Heinz Fischer, Leopold Gratz oder Karl Blecha, und ein eigenes Essay zur Kulturpolitik gabs da auch. Und was für eins, ganz schön rabiat. Von Fritz Herrmann. Mitarbeiter im Büro von Fred Sinowatz, Unterrichtsminister. Ja, darüber hat niemand geredet, neulich im Burgtheater. Daß dann der Fritz Herrmann ziemlich schnell von der Bildfläche verschwand und ins Burgenland zum Karpfenzüchten geschickt wurde (das hab ich nicht erfunden). Und zwar nachdem er (im Neuen Forum) Heiligenschändung betrieben hatte, an Herbert von Karajan (Trara, die Hochkultur! - „Es scheißt der Herr von Karajan / bei jedem falschen Ton sich an / und wascht sein Arsch im Goldlawua / anal sein g´hört / zur Hochkultur!“), daß der gar nimmer dirigieren wollte und Sinowatz nach Salzburg fuhr und Karajan umstimmen musste. Weg war er, der Fritz Herrmann. Und damit war so ziemlich auch das Bemühen verschwunden, eine Kulturpolitik neuer Art zu entwerfen, jenseits der Festspiele und Elitentheater usw. zu etablieren.
Und da war dann eben übrig eine sozialdemokratische demoskopisch gestützte (IFES) Verteilungsbeglückungskulturpolitik, die nach dem aus Deutschland importierten Motto Kultur für alle (ein Slogan, den Hilmar Hoffmann in Umlauf brachte, der Kulturdezernent von Frankfurt am Main) Kunst und Kultur definitiv warentauglich und konsumförmig machte. Im Versprechen auf Demokratisierung der Kultur wurde vor allem die Verbreiterung des Konsums, die Erweiterung des Kulturgütermarktes betrieben. Die Entwicklung neuer Formen der Produktion jenseits der Hochkultur blieb halbherzig, zahm. Das funktionierte genau so, wie es Walter Benjamin notiert hatte, als Mobilisierung eines kleinbürgerlichen Konsuminteresses: "Die Massierung der Kunstwerke im Museum nähert sie den Waren an, die, wo sie sich dem Passanten in Massen darbieten, die Vorstellung in ihm wecken, auch auf ihn müsse ein Anteil daran entfallen."
Aber das ganze wirkte - wie so oft - ambivalent: Aus wars mit der verschrobenen Museumspolitik, für die Besucher Störenfriede waren, jetzt gings um Quoten, aus mit dem altbackenen Klassikertheater, aus mit den staubigen, erstarrten Festivals! Und rein gings in Strategien und Techniken der Popularisierung und Vermarktung, rein gings in die Grundversorgung des neuen Marktes! Da gabs einen Relaunch der Festwochen, die Berufung Peymanns ans Burgtheater, plötzlich eine Wiener Kunsthalle, ein in neuartiger 'private partnership' (hieß noch nicht so) mit einem Schokoladefabrikanten erweitertes Museum Moderner Kunst, Großausstellungen wie Wien um 1900, und, wenden wir mal den sich damals erweiternden Kulturbegriff an, eine in Grenzen demokratisierende Wissenschafts (Uni-) Politik (mit Herta Firnberg, die so toll ihre Handtasche auf- und zuklappen konnte und damit ihren Unmut in Verhandlungen, Gesprächen, Diskussion grandios kommunizierte), eine sich öffnende Medienpolitik.
Zilk, der die Stadtgespräche erfand, Hrdlicka auf den Albertina-Platz schickte und das Jüdische Museum gründete.
Nicht alles war der Ära Kreisky zuzuordnen und schon gar nicht ihm persönlich, aber seine Intellektualität, Bildung und Souveränität trugen viel zu einem Klima bei, in dem derlei denkbar und realisierbar wurde. Sehr vieles, was heute an Restbeständen weltoffener Kulturpolitik existiert hat der Zeit etwas zu verdanken, allerdings ist auch die Vermarktung und Popularisierung nicht am damaligen Level stehengeblieben, sondern setzt sich als regierendes Prinzip mehr und mehr durch das nun auch ökonomischer Rationalität folgen soll.
Samstag, 22. Januar 2011
Freitag, 21. Januar 2011
Das Ende der Kunst? Das Ende des Museums? (Was ist ein Museum 11)
Quatremere de Quincy |
Man übersieht dabei leicht, daß buchstäblich 'von Anfang an', und zwar mit großer Hellsichtigkeit und Schärfe, strukturelle Merkmale des Museums kritisiert wurden. Es gibt eine Kritik am Museum, die nicht mehr oder minder nebensächliche Aspekte betrifft, sonder die das Modell als solches analysiert.
Vordergründig nimmt das seinen Ausgangspunkt mit der Dialektik von Bildersturm, Kunstraub und Musealisierung im Frankreich der Revolution und dann Napoleons. Die Kritik wendet sich gegen die Plünderung europäischer Galerien und gegen die Zentralisierung von Kulturgütern an einem einzigen Ort, nämlich Paris.
Die bemerkenswerteste Kritik kam von einem Archäologen, Architekturtheoretiker und Kunstschriftsteller, der sich beim Aufbau des Louvre-Museums beteiligt hatte, und der aktiv in den ersten Jahren der Revolution an der Kultur- und Museumspolitik beteiligt war, der sich aber dann so weit von ihr entfernte, daß er schließlich als ein Feind des Staates und der Revolution 1796 in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.
Antoine-Chrysostome Quatremère de Quincy veröffentlichte genau in diesem Jahr, sozusagen aus dem Untergrund heraus, also mit großem persönlichen Risiko, eine Schrift gegen den Kunstraub in Italien. Sein zentrales Argument war die Herauslösung der Kunstwerke aus ihrem Umfeld, die einer Zerstörung gleichkäme. De Quincy hatte nicht nur das architektonische Ambiente im Auge, sondern sondern alle, auch lebensweltliche Bedingungen der Geltung eines Kunstwerkes, einschließlich des Gebrauchs, der Wahrnehmung, der Einbettung in Rituale usw.
Er spielte Rom (als Ort der Beraubung) gegen Paris (den Ort der musealen Akkumulation und Zentralisierung) aus. Rom verkörperte ihm das 'ideale' Museum, wo die Kunst noch ihren angestammten Platz einnahm, während die Museumsgründungen in Paris, namentlich die im Louvre, zu einer umfassenden Entfremdung der Kunst führen müssten. Und zwar auf doppelte Weise. Einmal wegen der Entkontextualisierung der Werke und ihrer Transformation zu Exponaten, dann aber auch wegen der Veränderung der Gebrauchsweisen von Kunst.
Das 'totale Museum', wie man es in Paris grade verwirklichte, so ahnte er, würde die Wahrnehmung der Kunst vollkommen verändern, es werde bloß ein „Magazin mit allen Schulen der Malerei“ werden, das mit seinem Nebeneinander zu einer Relativierung der Kunstwerke führen würde. Dagegen Rom: „Das wirkliche Museum von Rom, von dem ich hier spreche, besteht zwar aus Statuen, Colossen, Tempeln, Obelisken, Triumph-Säulen, Bädern, Circi, Amphitheatern, Gräbern, Stuccaturarbeiten, Fresco-Mahlereyen, Basreliefs, Inschriften, Fragmenten von Zierrathen, Baumaterialien, Meublen, Hausgeräthen u.s.w. Aber es gehören dazu auch die Orte, Gegenden, Berge, Steinbrüche, alte Wege, die Lagen der verschiedenen zerstörten Städte, die geographischen Vergleichungen, die nur im Lande selbstgemacht werden können.“
Quincy verschließt allerdings seine Augen vor jener Musealisierung der Kunst, die auch in Rom längst eingesetzt hat, mit den päpstlichen Regelungen zum Schutz und dem Ausfuhrverbot von Kunstwerken und der Schaffung des riesigen Museumskomplexes im Vatikan, dem Museo Pio Clementino. Noch zu seinen Lebzeiten wird im Vatikan die Pinakothek geschaffen und die Kapitolinischen Sammlungen in ein Museum verwandelt.
Das nimmt der Kritik am Museum aber nicht seine Brisanz: An dem, was im Louvre entsteht, kritisiert er den umfassenden Funktionswandel, die Verzeitlichung (in den Chronologien der Hängung), die einen „abergläubischen Respekt für das Alte“ fördere, aber auch die (Kunst)Kritik, die das 'Sentiment' ersetze, und schließlich das Entstehen eines neuen Publikums aus Künstlern, Amateuren und Laien. Diesen drei Publikumsgruppen mit ihren höchst unterschiedlichen Ansprüchen gefallen zu müssen, führe dazu, daß die ‚arts du génie’ aufhörten gesellschaftliche Leitbilder zu sein und stattdessen zu ‚arts de luxe’ würden, die der Unterhaltung des Publikums dienten.
Der „Missbrauch des Museums“ und der „Missbrauch der Kritik“ begünstige die Bewunderung von Eigenschaften, die der Kunst äußerlich seien. Die radikalste Schlussfolgerung betrifft aber die Konsequenzen der Musealisierung der Kunst für deren Produktionsbedingungen. Wenn Quincy argumentiert, daß das Museum der Kunst ihren 'Ort im Leben' nimmt, dann heißt das auch, daß das für die Herstellung von Kunst Konsequenzen hat. "Seit man Museen gegründet hat, um Meisterwerke zu schaffen (sic!), entstehen keine Meisterwerke mehr, um die Museen zu füllen.“
Wovon de Quincy spricht ist das Ende der Kunst - herbeigeführt von einer Institution, die doch gerade deren Geltung neu begründen soll. Wenn die alten Rahmenbedingungen sowohl für die Rezeption als auch für deren Produktion verschwinden, dann kann offenbar das Museum das nicht kompensieren. Es wird zum Ort der Kunst der Vergangenheit, ein "Ruheort der Kunst", wie man das anläßlich der Errichtung des Neuen Museums Berlin (1830 eröffnet) formulierte.
De Quincy deckt einen Grundwiderspruch des Museums auf, die Dialektik einer Transformation, die alles, keineswegs nur die Kunst, in etwas so radikal anderes verwandelt, daß das, was es vorher, vor dem Prozess der Musealisierung einmal war, vernichtet, zerstört.
Niemand hat das so präzise beschrieben und analysiert wie der Philosoph Joachim Ritter, der Musealisierung soziologisch als Reaktion auf umwälzende Prozesse der Moderne zurückführt: "Wo er (der Prozess der Modernisierung GF) einsetzt, ist immer die reale Bewegung das Erste, in der das alte geschichtliche Gut: Trachten, Einrichtungen, Gerät aus den Häusern und Orten des Wohnens und Lebens, verdrängt wird. Aber dazu gehört, daß das so aus der gegenwärtigen Wirklichkeit Entfernte gleichsam sein Sein verändert; es wird ‚das Historische’ und zieht – als dieses sein reales Nichtsein hinter sich lassend – nunmehr der Bewahrung würdig in die Museen ein, die für es geschaffen werden."
Das liest sich wie ein spätes Echo auf de Quincys lakonischen Satz „Wenn man aus einer solchen Ansammlung (von Kunst im Museum GF
De Quincy ist der erste, der den immanenten Widerspruch des Museums benennt, der die europäischen Avantgarden immer wieder gegen das Museum aufbringen und mobilisieren wird. Ausgerechnet die Institution, die der Erhaltung und Pflege der Kunst dient, arbeitet an ihrer Abschaffung.
Alfred Barr: entwicklung der abstrakten Kunst |
Mittwoch, 19. Januar 2011
Museumskrise. Die Niederlande
In einem launig geschriebenen Artikel berichtet Christoph Lüthy in der NZZ über den bevorstehenden Kahlschlag in der niederländischen Bildungspolitik. "Mit einem militärisch anmutenden Zangenangriff wurden da einerseits die Zuschüsse an Theater und Museen dramatisch gekürzt, anderseits wurde die Umsatzsteuer auf deren Eintrittskarten von 6 auf 19 Prozent ebenso eingreifend erhöht. Dass dies das Ende zahlreicher Museen, Orchester, Chöre und Festivals bedeuten wird, nimmt die Regierung hin."
Zugleich wird eine ganz paradoxe Wissenschafts- und Bildungspolitik betrieben. Die Niederlande sollen zu einer der fünf stärksten «Wissensökonomien» (wo man sich Museen offenbar nicht als einer ihrer Bestandteile vorstellen kann) der Welt werden, aber man denkt dran Gewinne aus der Erdgasförderung in Zukunft nicht mehr in die Forschung zu investieren. Wohin denn? Irgendwas wird man mit dem Geld ja machen?!
Wie in Österreich und anderswo (siehe die Streichung der Mittel für die Geisteswissenschaften in Großbritannien) werden besonders die Universitäten ge- und erwürgt: für jeden sogenannten Langzeitstudenten sollen, wenn es nach der Niederländischen Regierung geht 3000 Euro Strafgeld gezahlt werden, an sich schon eine tolle Idee, aber auch die Studenten sollen 3000 Euro zahlen. Ja, eine gerechte Verteilung.,
So und zum Schluß die Rechenaufgabe: fünftbeste Wissensgesellschaft der Welt bei 10 Prozent weniger Mittel für die Forschung, 15 Prozent weniger für den Unterricht und Entlassung von etwa 2500 Professoren und Dozenten.
Zugleich wird eine ganz paradoxe Wissenschafts- und Bildungspolitik betrieben. Die Niederlande sollen zu einer der fünf stärksten «Wissensökonomien» (wo man sich Museen offenbar nicht als einer ihrer Bestandteile vorstellen kann) der Welt werden, aber man denkt dran Gewinne aus der Erdgasförderung in Zukunft nicht mehr in die Forschung zu investieren. Wohin denn? Irgendwas wird man mit dem Geld ja machen?!
Wie in Österreich und anderswo (siehe die Streichung der Mittel für die Geisteswissenschaften in Großbritannien) werden besonders die Universitäten ge- und erwürgt: für jeden sogenannten Langzeitstudenten sollen, wenn es nach der Niederländischen Regierung geht 3000 Euro Strafgeld gezahlt werden, an sich schon eine tolle Idee, aber auch die Studenten sollen 3000 Euro zahlen. Ja, eine gerechte Verteilung.,
So und zum Schluß die Rechenaufgabe: fünftbeste Wissensgesellschaft der Welt bei 10 Prozent weniger Mittel für die Forschung, 15 Prozent weniger für den Unterricht und Entlassung von etwa 2500 Professoren und Dozenten.
Restitutionen. Ägypten. Schweiz
Ägypten: Eine neue Facette der Restitutionspolitik
Zahi Hawass, Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, der in der deutschsprachigen Presse keinen besonders guten Stand hat, schrieb dem New Yorker Oberbürgermeister. Der Obelisk im Central Park, den der ägyptische Vizekönig Mehrmed Ali 1881 Amerika geschenkt hatte, sei bedroht, seine Hyroglyphen durch Erosion unleserlich. Und weiter: "Ich habe die Pflicht, alle ägyptischen Monumente zu schützen, ob in Ägypten oder außerhalb. Wenn aber die Behörde zur Erhaltung des Central Parks und die Stadt New York nicht ordentlich für den Obelisken sorgen können, werde ich die notwendigen Schritte unternehmen, dieses wertvolle Denkmal nach Hause zu holen und vor dem Ruin zu bewahren."
Man mag über Herrn Hawass denken was man will, sein Argument ist, ob absichtlich oder unabsichtlich ist nicht zu erkennen, ein beliebter Topos der Argumentation zentraleuropäischer Museen gegen Rückgaben. Denn da wird oft der überlegene konservatorische Standard der eigenen Museen gegen den der fordernden Länder ins Treffen geführt.
Die Welt, 19.1. 2011
Schweiz: Kein Musterland
Über 500 Museen wurden bezüglich ihrer Restitutionspolitik angefragt. Drei Viertel de Museen fühlten sich von der Problematik nicht berührt, und nur 25 Institutionen fühlten sich überhaupt von der Raubkunstproblematik betroffen.
Der Standard 17.1.2011
Zahi Hawass, Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, der in der deutschsprachigen Presse keinen besonders guten Stand hat, schrieb dem New Yorker Oberbürgermeister. Der Obelisk im Central Park, den der ägyptische Vizekönig Mehrmed Ali 1881 Amerika geschenkt hatte, sei bedroht, seine Hyroglyphen durch Erosion unleserlich. Und weiter: "Ich habe die Pflicht, alle ägyptischen Monumente zu schützen, ob in Ägypten oder außerhalb. Wenn aber die Behörde zur Erhaltung des Central Parks und die Stadt New York nicht ordentlich für den Obelisken sorgen können, werde ich die notwendigen Schritte unternehmen, dieses wertvolle Denkmal nach Hause zu holen und vor dem Ruin zu bewahren."
Man mag über Herrn Hawass denken was man will, sein Argument ist, ob absichtlich oder unabsichtlich ist nicht zu erkennen, ein beliebter Topos der Argumentation zentraleuropäischer Museen gegen Rückgaben. Denn da wird oft der überlegene konservatorische Standard der eigenen Museen gegen den der fordernden Länder ins Treffen geführt.
Die Welt, 19.1. 2011
Schweiz: Kein Musterland
Über 500 Museen wurden bezüglich ihrer Restitutionspolitik angefragt. Drei Viertel de Museen fühlten sich von der Problematik nicht berührt, und nur 25 Institutionen fühlten sich überhaupt von der Raubkunstproblematik betroffen.
Der Standard 17.1.2011
Dienstag, 18. Januar 2011
REKORD! REKORD! REKORDJAHR! REKORDMUSEEN!
Rekordjahr! Das Naturhistorische Museum durchbricht eine Schallmauer, die HALBE MILLION. Mit Hilfe von Gunther von Hagens "fantastischer Ausstellung" (Marketingabteilung NHM) "Körperwelt der Tiere" im "berühmten Haus am Ring" (Marketingabteilung NHM). Schönbrunn meldet auch ein REKORDJAHR 2010 und kündigt gleich Maßnahmen an, die dazu beitragen werden, diesen REKORD zu brechen. "Das imperiale Wien" teilt man uns mit "ist bei Touristen so beliebt wie nie zuvor: Das Schloss Schönbrunn zählte im Vorjahr 2,6 Millionen Eintritte, was einem Zuwachs von sieben Prozent im Vergleich zu 2009 entspricht." Und noch ein REKORD: "Die Hofburg und das Hofmobiliendepot, die ebenfalls zur Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H (SKB) gehören, verzeichneten mit 647.000 beziehungsweise 57.000 Gästen Besucherrekorde." Das KHM meldet REKORD - in allen Häusern. Mit "1.194.101 Besuchern und einem Plus von vier Prozent an allen Standorten" war 2010 "das erfolgreichste Jahr für das Kunsthistorische Museum seit der Ausgliederung". Und die Albertina ist REKORDMEISTER. "Die Albertina ist auch 2010 wieder das bestbesuchte Museum Österreichs". (Presseabteilung Albertina). "1,2 Millionen Besucher" nennt die Presseaussendung. Und das geht so: man nimmt die Besucher (in Wirklichkeit werden Besuche gezählt, aber diese Kleinigkeit kümmert uns jetzt mal gar nicht), die die Ausstellungen in der bekanntlich in Wien stehenden Albertina und zählt die Besucher der Ausstellungen hinzu, die die Albertina im Ausland gemacht haben. (Dort werden diese Besuche/r auch gezählt, von der veranstaltenden Institution, aber diese Kleinigkeit kümmert uns jetzt mal gar nicht). Das ergibt - REKORD - 5% mehr Besucher gegenüber 2009. Ob die Albertina so innovativ ist, nun nicht nur die Statistik mit Zahlen von externen Ausstellungen aufzufetten sondern auch Leihgaben und 'konzipierte' Ausstellungen hochrechnet, wir werden es 2011 erfahren, das sicher wieder ein REKORDJAHR werden wird. Kurzum: "Auf den Standort gerechnet, ist die Albertina auch in diesem Jahr
wieder das am besten besuchte Museum Österreichs gewesen." (Pressabteilung Albertina). Ich verstehe zwar den Satz nicht, aber ich freue mich, daß dieses Rechnen wieder einen REKORD gebracht hat. Es kann natürlich auch sein, daß in diesem Jahr der Gratiseintritt für Jugendliche statistisch zu Buche schlägt, dazu hat seltsamerweise niemand Zahlen, aber wer weiß, vielleicht kommt ja demnächst ein REKORD jugendlicher Besucher zustande.
Ist es nicht an der Zeit, eine Museums-Nationalliga und Museums-Champions-League zu gründen, mit wöchentlich im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen veröffentlichten Tabellen einschließlich - siehe Albertina -, Heim- und Auswärtstabellen, Direktübertragungen aus den Ausstellungsräumen, Korrespondenten- und Online-Berichten von den Museumseingängen und -kassen, Wettbüros, festlicher Pokalverleihung, Wahl des in der Besucherzählung innovativsten Museum des Jahres, Aufstellung von Zähluhren an öffentlichen Plätzen, sonntäglichem Sport-, pardon Museums-Studio, Zertifikats- und Plaketten-Vergabe (Bestbesuchtes Museum des Jahres 20XX), EU- und Weltkulturerbe-Ranking, Gehaltsprämien für meistbesuchte Direktorinnen und Direktoren…
Montag, 17. Januar 2011
Die sogenannte Federkrone des Montezuma. Eine Restitution auf Zeit?
Hello Austria!
I'm mexican, and of course we want it back, it's very important to us.
I really hope to see the "Penacho de Moctezuma" in México, where it belongs.
I'm mexican, and of course we want it back, it's very important to us.
I really hope to see the "Penacho de Moctezuma" in México, where it belongs.
Never!
You shot our Emperor....forget it!
Leserreaktion und Antwort im Online-Standard zur Meldung,
die sogenannte Federkrone des Montezuma würde möglicherweise auf Zeit verleihen.
Die Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums hat angedeutet, daß es zu einer befristeten Ausleihe der so genannten Federkrone des Montezuma kommen könnte. Vorsichtig und diplomatisch läßt sie sich mit dem Hinweis auf die Überprüfung auf den Zustand des Objekts eine definitive Entscheidung offen. Aber es gibt Verhandlungen mit Mexiko und es ist die Rede von zwei - ebenfalls befristeten - 'Gegengaben', einem altmexikanischen Federschild und der Kutsche Maximilian I. Vermutlich nicht zufällig relativ kurz nach der Demission des Direktor des Völkerkundemuseums kann dessen als interimistische Leiterin fungierende Generaldirektorin diesen Schritt setzen.
Die Federkrone ist kein Objekt offizieller Rückgabeforderungen. Aber als ein seltenes und kostbares Objekt, das es erst durch die Zerstörungen abertausender Objekte im Zuge der europäischen Eroberung und später auch durch achtloses Sammeln und Musealisieren geworden ist, ist es für Mexiko und vor allem dessen indigen geprägte Identität von großer Bedeutung.
Das Völkerkundemuseum hat durch eine unglückliche Politik die Federkrone immer wieder ins Gespräch gebracht. Ansprüche wurden abgewiesen, wegargumentiert und gelegentlich sogar lächerlich gemacht und auch die sehr merkwürdige 'Doppelstrategie', den Kopfschmuck eines Priesters als Federkrone zu vermarkten, während sorgfältige hauseigene Forschung das längst widerlegt hatte, nahm sich recht merkwürdig aus.
Zu einem breit wahrgenommenen Thema wurde die so genannte Federkrone, als Bundespräsident Thomas Klestil die Rückgabe ankündigte, möglicherweise schlecht oder gar nicht beraten. Die aufflammende Verlegenheit und Peinlichkeit der Situation - kulturbeflissen patriotische Museumsleute wollten sich gegen die Rückgabe stemmen, konnten aber nicht die von höchster politischer Stelle angekündigte Rückgabe wie bis dahin einfach ignorieren -, mündete in einige bemerkenswert akrobatische Relativierungen und Rückzugsgefechte.
Ich habe mich damals für diese Debatte und dann für die - gut erforschte aber lückenhafte - Überlieferungsgeschichte interessiert, für die Umgangspraktiken mit "Raubkunst" (das war noch vor der NS-Raubkunstdebatte, die dann ihrerseits auch in die Rückgabedebatten a la Federkrone eine andere Dynamik bringen sollte) und sogar ein schmales Buch dazu publiziert. "...das Opfer von ein paar Federn". Die so genannte Federkrone Montezumas als Objekt nationaler und musealer Begehrlichkeiten. (Ist vergriffen, vielleicht hortet der Verlag Turia & Kant noch ein paar Exemplare...).
Ob die am Schluß des Buches geäußerte Hoffnung auf Abkehr von juridisch-politischer Unbeweglichkeit hin zu museologischer Kreativität - ich habe an Kooperationen auch an befristeten Abtausch von Ausstellungen gedacht -, nun erfüllt ist, bleibt dahingestellt. Denn was man sich auf österreichischer Seite so sehnlich wünscht, ist ein ziemlich kurioses Objekt, weit davon entfernt jene komplexe Bedeutung zu haben, die die Federkrone historisch, politisch, kulturell für Mexiko hat. Die goldene Kutsche Kaiser Maximilian I. soll es werden, was "wir" (in der Wagenburg in Schönbrunn) dann (einige Zeit) bewundern dürfen.
Die sogenannte Federkrone des Montezuma könnte nun also nach Mexiko kommen, wo sie als ein common object in einer komplexen und widersprüchlichen nationalen Identitätskonstruktion eine ganz andere Funktion hätte als als Schauobjekt und Touristenmagnet.
Der Schritt der Generaldirektorin kommt überraschend und er ist erfreulich. Es ist eine bemerkenswerte Geste gegenüber Mexiko aber auch als Zeichen einer veränderten Wahrnehmung der Verantwortung eines Museums gegenüber den komplizierten und schwierigen Fragen der 'globalen Restitution'.
Der Schritt kommt vielleicht auch zustande und wird vielleicht erleichtert durch den Umstand, daß die 'Federkrone' (unverständlicherweise) schon lange nicht mehr im Völkerkundemuseum ausgestellt ist und angesichts der unklaren Zukunft des Museums seine Dauerausstellung betreffend wohl auch so bald nicht ausgestellt werden dürfte.
Das Ruhr Museum in Essen. Eine Kritik
Ausstellungskritik ist selten, Museumskritik erst recht. Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Vera Hierholzer und H-Soz-u-Kult, wo ich diese Museumskritik zum Ruhr Museum gefunden habe, übernehme ich sie gerne - und ungekürzt. Zumal sie ein wichtiges Museum betrifft, das für kulturhistorische Museen schon lange ein Modell war und das sich nun vollkommen neu präsentiert.
Keiner Sparte zurechnen lassen will sich das Essener Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein und schon gar nicht „nur“ ein Industriemuseum sein. Dementsprechend bezeichnet es sein Direktor Ulrich Borsdorf auch gerne als „Hybrid“. Und tatsächlich fällt eine Einordnung des im Januar 2010 als Auftakt zum Kulturhauptstadtjahr eröffneten Museums schwer – im positiven Sinne: Das Ruhr Museum bietet nicht nur eine Melange aus Kultur-, Heimat-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern stellt auch eine reizvolle Verbindung zur Naturgeschichte her, die in der Auseinandersetzung mit dem Ruhrgebiet durchaus naheliegt, aber deshalb längst nicht selbstverständlich ist. Wie sein Vorgänger, das Ruhrlandmuseum, in den 1980er-Jahren verlässt das Ruhr Museum die ausgetretenen Pfade der Museumsgestaltung. Wie dieses wuchert es mit seinen Pfunden – den umfangreichen, facettenreichen Sammlungen –, verabschiedet sich aber von der nach Sparten getrennten Präsentation. Die Verknüpfung der disziplinär geprägten Perspektiven wird zum roten Faden der neuen Dauerausstellungen.
In der ehemaligen Kohlenwäsche der einst größten und modernsten Zeche Europas, im Schatten des mächtigen Förderturms, der zum Wahrzeichen der Region geworden ist, empfängt die Nachfolgeinstitution des Ruhrlandmuseums ihre Besucher. Wie einst die Kohle, die in der Kohlenwäsche in verschiedenen Etappen von Ton, Mergel und Schiefer reingewaschen wurde, durchmessen die Besucher das Gebäude von oben nach unten. Die zu diesem Zweck von außen angebaute, 25 Meter lange Rolltreppe zum neu geschaffenen Eingang auf der obersten Ebene ist die wohl umstrittenste bauliche Veränderung der 1928 errichteten, unter Denkmalschutz stehenden Kohlenwäsche. Da eher gigantische Maschine als von Menschen zu nutzender Raum musste der Bau nach der Entscheidung, hier das Ruhr Museum unterzubringen, einer Reihe von Umbauten unterworfen werden, um geeignete Bedingungen für die Besucher und musealen Objekte zu schaffen. Der Stararchitekt Rem Koolhaas führte Regie bei der „Bauertüchtigung“, in Vielem sehr zum Missfallen der Denkmalschützer.
Im Inneren verbindet eine mächtige, durch leuchtend orange Lichtbänder an glühenden Stahl erinnernde Treppe die verschiedenen Ebenen der rund 5.000 qm und 6.000 Objekte umfassenden Dauerausstellung.[1] Diese folgt keiner chronologischen, sondern einer thematischen Ordnung. Auf der „17-Meter-Ebene“ werden die Besucher zunächst mit der Gegenwart konfrontiert, mit dem also, was das Ruhrgebiet heute ist oder zu sein scheint. Den Einstieg in den Rundgang bilden Projektionen ikonenhafter Fremd- und Selbstbilder – rußgeschwärzte Gesichter, feuerspeiende Hochöfen und rauchende Schornsteine, heldenhafte Industriebarone, Fußballszenen und Männer am Büdchen. Diese „Mythen“ werden in der ersten eigentlichen Ausstellungseinheit aufgegriffen: Fotoserien dokumentieren – flankiert durch Medienstationen und serielle Objektzusammenstellungen – charakteristische „Phänomene“, die das Ruhrgebiet prägen – sei es die gesichtslose, gleichförmige Architektur der Städte, die durch den Bergbau geprägte, aber überraschend grüne Landschaft, die allerorten präsente Vereinskultur oder der Schrebergartenkitsch der Vororte. Humorvoll werden Brüche geschaffen und so die Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Region herausgestellt: liturgische Geräte stehen Sportpokalen gegenüber, Videoinstallationen spielen mit den Klischees von Mantafahrern, Laubenpiepenbesitzern und Dönerbudenbetreibern. Reviergrößen wie der unvermeidliche Herbert Grönemeyer kommen zu Wort und die eigenwillige Sprache des Ruhrgebiets wird aufs Korn genommen. Teils finden sich überraschende, vielfach aber auch allzu erwartbare Themen und Exponate, so dass die Klischees eher liebevoll gepflegt als hinterfragt werden. Erst in der angrenzenden Ausstellungseinheit „Strukturen“ erfolgt eine Unterfütterung dieser Impressionen: Projektionen und Medienterminals liefern hier eine fast schon erschlagende Fülle an sorgfältig recherchierten Hintergrunddaten und -fakten.
Abgetrennt durch eine Glaswand, die wie ein überdimensioniertes Herbarium filigrane, gepresste Pflanzen aus der Region zeigt, folgt ein kontemplativ inszenierter Ausstellungsteil. Dezidiert selektiv und assoziativ werden unter der Überschrift „Zeitzeichen“ Erinnerungsstücke der heutigen Ruhrgebiets-Bewohner in gläsernen Stelen präsentiert; das einzelne Objekt und seine Geschichte stehen im Vordergrund. Es finden sich persönliche Andenken wie Teile eines Porzellanservices, das an langjährige Krupp-Beschäftigte verschenkt wurde, aber auch Kuriositäten wie Flaschen der chinesischen Biermarke „Hans“, benannt nach einem Ingenieur aus dem Ruhrgebiet, der nach dem Strukturwandel als Berater nach Fernost ging. Durchmischt wird dieses Musée sentimental mit Naturobjekten – versteinerten Schachtelhalmen, Baumstümpfen und Fossilien, die als Zeugen des „ewigen“ Naturgedächtnisses den subjektiven und kurzlebigen menschlichen Erinnerungen gegenübergestellt werden. Die Abteilung regt so zum Nachdenken über das Funktionieren menschlicher Erinnerung und des „kollektiven Gedächtnisses“ an.
Auch die folgende, dem „Gedächtnis“ gewidmete „11.80-Meter-Ebene“ legt derartige Reflektionen über die Speichermedien der Geschichte und das Museum als Sacharchiv nahe. In der Manier frühneuzeitlicher Wunderkammern zeigen Sammlungsräume ausgewählte Schätze aus den Antiken-, ethnologischen, geologischen und naturhistorischen Sammlungen des Museums, die auf den Beständen des Historischen Vereins der Stadt und des Stifts Essen fußen und damit auch die lange Geschichte des Ruhr Museums spiegeln. Die Sammlungspräsentation fügt sich in den ersten historisch-chronologisch gegliederten Ausstellungsteil ein, der die Geschichte der Region von der Bronze- und Römerzeit über die Siedlungen der Franken und Sachsen, die Christianisierung und Hansezeit bis zur Reformation und Aufklärung nachzeichnet. Ganz bewusst beschränkt sich das Museum so nicht mehr auf die Zeit ab der Industrialisierung, die das Ruhrgebiet als solches überhaupt erst erschuf, sondern spürt auch den weiter zurückreichenden, lokal teils sehr unterschiedlich ausgeprägten Entwicklungslinien und Traditionen nach, die durch die Industrialisierung verschüttet, modifiziert oder abgeschnitten wurden. Regelrechte Kleinodien wie der Grabstein des römischen Offiziers Marcus Caelius, Stücke aus dem Essener Domschatz und Urkunden hanseatischer Städtebündnisse finden sich unter den Exponaten.
Auch ästhetisch gesehen ist diese Ausstellungsebene die überzeugendste: Ägyptische und griechische Skulpturfragmente erstrahlen vor technischen Maschinenteilen, kultische Tiermasken und Bronzestatuetten kontrastieren mit den dunkel verwitterten Wänden und Jahrtausende alte Ammoniten ragen wie aufgespießte Insekten aus Kohletrichtern empor. Dieses von den Ausstellungsarchitekten des Stuttgarter Büros HG Merz kunstvoll inszenierte Zusammenspiel von Exponaten und Gebäude ist in den anderen Ebenen nicht in derselben Weise gelungen. Die Maschinen der Kohlenwäsche werden ebenso wie die Geschichte des Gebäudes bedauerlich wenig in die Ausstellung einbezogen – ihre Erläuterung wird ganz dem räumlich getrennten Denkmalpfad überlassen.
Gerade beim dritten und letzten Ausstellungsteil auf der „6-Meter-Ebene“, der abschließend die „eigentliche“ Geschichte des Reviers erzählt, fällt dies auf. Seine sehr kompakten und starr wirkenden Vitrinen- und Sockelbauten greifen zwar die Formen und Strukturen der Förderbänder und anderer Maschinenteile auf, lassen diese selbst aber vielfach regelrecht verschwinden und wirken im Vergleich zu den vorherigen Sammlungsräumen recht konventionell. Die Industriegeschichte wird hier zum „Drama“: Umrahmt von einem Prolog zu den naturräumlichen und geologischen Voraussetzungen und einem bilanzierenden Epilog handeln fünf „Akte“ von den ersten industriellen Anfängen im frühen 19. Jahrhundert, vom eigentlichen take off um die Jahrhundertmitte mit seinen technischen und unternehmerischen Innovationen, von der Hochindustrialisierung und ihrer fortschreitenden Rationalisierung und Kartellbildung, den folgenden Wechseln von Krisen- und Aufschwungszeiten sowie vom langsamen Niedergang der alten Industrien und allmählichen Strukturwandel. Äußerst dicht ist die Erzählung, kaum ein Thema wird ausgespart. Aber gerade durch ihre Fülle und Bemühtheit um Vollständigkeit bleibt sie seltsam unpersönlich, zumal die sehr vom Ende her gedachte Konzeption als „Schauspiel“ etwas gekünstelt wirkt. Originell ist aber erneut die Integration von geologischen und naturkundlichen Sammlungsstücken. Geschickt wird die Natur- mit der Industriegeschichte verwoben – etwa durch die Thematisierung der Bodenschätze, die die Basis der rasanten Industrialisierung bildeten, aber auch durch die Darstellung der Kleingartenkultur und der Umweltzerstörung. Hier wird der Bogen zur gegenwartsbezogenen Eingangsebene besonders deutlich: Was dort als Phänomen beschrieben, aber nicht tiefer ergründet wird, erhält auf dieser letzten Ausstellungsebene seine historische Erklärung – mal mehr, mal weniger direkt und offensichtlich. Ein ambitioniertes, gut durchdachtes, aber in Teilen möglicherweise auch zu komplexes Konzept.
Die drei Ausstellungsebenen haben jeweils eine ganz eigene Formensprache, Ästhetik und Atmosphäre, die mit den Inhalten korrespondieren – von der bunten Vielfalt gegenwärtiger Eindrücke über die fast sakralen Räume des kollektiven und des kulturellen Gedächtnisses bis zur Meistererzählung der Industrialisierung. In Vielem knüpft das Ruhr Museum an das Ruhrlandmuseum an: Wie dieses setzt es Medientechnik wohltuend zurückhaltend ein. Zwar finden sich hochmoderne Touchscreens mit allerlei Applikationen, Filmpräsentationen, Geruchsstationen und Klangduschen, aber die in vielen neueren Museen übliche audiovisuelle Dauerberieselung unterbleibt.[2] Setzte bereits das Ruhrlandmuseum Inszenierungen nicht als Anmutungen des Authentischen ein, sondern als höchst artifizielle „Objektbilder“, die die Objekte als Zeichen verstanden und ihre Materialität betonten, führt das Ruhr Museum diesen Ansatz konsequent fort und inszeniert ganze „Raumbilder“. Dem Auratischen wird jedoch – insbesondere in den Ausstellungsteilen, die sich dem kollektiven Gedächtnis und den Sammlungen widmen – deutlich mehr Raum gewährt. Ergänzende Ausstellungstexte – auf die das Ruhrlandmuseum in seinen ersten Jahren ganz verzichtete – erhalten einen größeren Stellenwert. Das Historische muss nun erläutert werden – nicht nur, weil das neue Museum einen viel weiteren Bogen schlägt und die Konzentration auf die Zeit seit der Industrialisierung aufgibt. Viele der lange Zeit selbstverständlichen Strukturen, Abläufe und Techniken sind inzwischen erklärungsbedürftig. Das Historische aber soll seinerseits die Gegenwart erklären, so der Anspruch des Museums, den es insbesondere durch die vielen gebotenen Perspektiven auch tatsächlich einlöst. Gerade im Vergleich mit seinem Vorgänger wird das Ruhr Museum so selbst zum Anschauungsobjekt der von ihm erzählten Geschichte und trägt damit dem eigenen Anspruch Rechnung, über seine Funktion als „Gedächtnis" der Region hinaus den noch andauernden Prozess der „Neufindung“ der Region zu beeinflussen.
Anmerkungen: [1] Der Katalog zur Dauerausstellung stellt nicht nur einzelne Ausstellungsebenen mit ausgewählten Objekten vor, sondern informiert auch ausführlich über die Geschichte des Ruhr Museums, die Kohlenwäsche und ihre Sanierung sowie das Gestaltungs- und Medienkonzept der Ausstellung. [2] Auch sogenannte Hands-on-Stationen sucht man vergebens, für Kinder wurde stattdessen eine Ralley samt Quiztasche mit (Original-)Exponaten zum Anfassen entwickelt.
Vera Hierholzer: Ausstellungs-Rezension zu: Ruhr Museum 10.01.2010, Ruhr Museum Essen, in: H-Soz-u-Kult, 15.01.2011,.
Copyright (c) 2011 by H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Vera Hierholzer studierte in Münster Geschichte und öffentliches Recht. Nach ihrer Promotion am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte absolvierte sie ein wissenschaftliches Volontariat am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim. Im Anschluss war sie freie Kuratorin am Museum für Kommunikation in Frankfurt. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt. Im Rahmen eines Drittmittelprojektes kuratiert sie derzeit eine Ausstellung am Frankfurter Goethe-Haus zum Thema "Goethe und das Geld. Der Dichter als Ökonom".
Keiner Sparte zurechnen lassen will sich das Essener Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein und schon gar nicht „nur“ ein Industriemuseum sein. Dementsprechend bezeichnet es sein Direktor Ulrich Borsdorf auch gerne als „Hybrid“. Und tatsächlich fällt eine Einordnung des im Januar 2010 als Auftakt zum Kulturhauptstadtjahr eröffneten Museums schwer – im positiven Sinne: Das Ruhr Museum bietet nicht nur eine Melange aus Kultur-, Heimat-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern stellt auch eine reizvolle Verbindung zur Naturgeschichte her, die in der Auseinandersetzung mit dem Ruhrgebiet durchaus naheliegt, aber deshalb längst nicht selbstverständlich ist. Wie sein Vorgänger, das Ruhrlandmuseum, in den 1980er-Jahren verlässt das Ruhr Museum die ausgetretenen Pfade der Museumsgestaltung. Wie dieses wuchert es mit seinen Pfunden – den umfangreichen, facettenreichen Sammlungen –, verabschiedet sich aber von der nach Sparten getrennten Präsentation. Die Verknüpfung der disziplinär geprägten Perspektiven wird zum roten Faden der neuen Dauerausstellungen.
In der ehemaligen Kohlenwäsche der einst größten und modernsten Zeche Europas, im Schatten des mächtigen Förderturms, der zum Wahrzeichen der Region geworden ist, empfängt die Nachfolgeinstitution des Ruhrlandmuseums ihre Besucher. Wie einst die Kohle, die in der Kohlenwäsche in verschiedenen Etappen von Ton, Mergel und Schiefer reingewaschen wurde, durchmessen die Besucher das Gebäude von oben nach unten. Die zu diesem Zweck von außen angebaute, 25 Meter lange Rolltreppe zum neu geschaffenen Eingang auf der obersten Ebene ist die wohl umstrittenste bauliche Veränderung der 1928 errichteten, unter Denkmalschutz stehenden Kohlenwäsche. Da eher gigantische Maschine als von Menschen zu nutzender Raum musste der Bau nach der Entscheidung, hier das Ruhr Museum unterzubringen, einer Reihe von Umbauten unterworfen werden, um geeignete Bedingungen für die Besucher und musealen Objekte zu schaffen. Der Stararchitekt Rem Koolhaas führte Regie bei der „Bauertüchtigung“, in Vielem sehr zum Missfallen der Denkmalschützer.
Im Inneren verbindet eine mächtige, durch leuchtend orange Lichtbänder an glühenden Stahl erinnernde Treppe die verschiedenen Ebenen der rund 5.000 qm und 6.000 Objekte umfassenden Dauerausstellung.[1] Diese folgt keiner chronologischen, sondern einer thematischen Ordnung. Auf der „17-Meter-Ebene“ werden die Besucher zunächst mit der Gegenwart konfrontiert, mit dem also, was das Ruhrgebiet heute ist oder zu sein scheint. Den Einstieg in den Rundgang bilden Projektionen ikonenhafter Fremd- und Selbstbilder – rußgeschwärzte Gesichter, feuerspeiende Hochöfen und rauchende Schornsteine, heldenhafte Industriebarone, Fußballszenen und Männer am Büdchen. Diese „Mythen“ werden in der ersten eigentlichen Ausstellungseinheit aufgegriffen: Fotoserien dokumentieren – flankiert durch Medienstationen und serielle Objektzusammenstellungen – charakteristische „Phänomene“, die das Ruhrgebiet prägen – sei es die gesichtslose, gleichförmige Architektur der Städte, die durch den Bergbau geprägte, aber überraschend grüne Landschaft, die allerorten präsente Vereinskultur oder der Schrebergartenkitsch der Vororte. Humorvoll werden Brüche geschaffen und so die Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Region herausgestellt: liturgische Geräte stehen Sportpokalen gegenüber, Videoinstallationen spielen mit den Klischees von Mantafahrern, Laubenpiepenbesitzern und Dönerbudenbetreibern. Reviergrößen wie der unvermeidliche Herbert Grönemeyer kommen zu Wort und die eigenwillige Sprache des Ruhrgebiets wird aufs Korn genommen. Teils finden sich überraschende, vielfach aber auch allzu erwartbare Themen und Exponate, so dass die Klischees eher liebevoll gepflegt als hinterfragt werden. Erst in der angrenzenden Ausstellungseinheit „Strukturen“ erfolgt eine Unterfütterung dieser Impressionen: Projektionen und Medienterminals liefern hier eine fast schon erschlagende Fülle an sorgfältig recherchierten Hintergrunddaten und -fakten.
Abgetrennt durch eine Glaswand, die wie ein überdimensioniertes Herbarium filigrane, gepresste Pflanzen aus der Region zeigt, folgt ein kontemplativ inszenierter Ausstellungsteil. Dezidiert selektiv und assoziativ werden unter der Überschrift „Zeitzeichen“ Erinnerungsstücke der heutigen Ruhrgebiets-Bewohner in gläsernen Stelen präsentiert; das einzelne Objekt und seine Geschichte stehen im Vordergrund. Es finden sich persönliche Andenken wie Teile eines Porzellanservices, das an langjährige Krupp-Beschäftigte verschenkt wurde, aber auch Kuriositäten wie Flaschen der chinesischen Biermarke „Hans“, benannt nach einem Ingenieur aus dem Ruhrgebiet, der nach dem Strukturwandel als Berater nach Fernost ging. Durchmischt wird dieses Musée sentimental mit Naturobjekten – versteinerten Schachtelhalmen, Baumstümpfen und Fossilien, die als Zeugen des „ewigen“ Naturgedächtnisses den subjektiven und kurzlebigen menschlichen Erinnerungen gegenübergestellt werden. Die Abteilung regt so zum Nachdenken über das Funktionieren menschlicher Erinnerung und des „kollektiven Gedächtnisses“ an.
Auch die folgende, dem „Gedächtnis“ gewidmete „11.80-Meter-Ebene“ legt derartige Reflektionen über die Speichermedien der Geschichte und das Museum als Sacharchiv nahe. In der Manier frühneuzeitlicher Wunderkammern zeigen Sammlungsräume ausgewählte Schätze aus den Antiken-, ethnologischen, geologischen und naturhistorischen Sammlungen des Museums, die auf den Beständen des Historischen Vereins der Stadt und des Stifts Essen fußen und damit auch die lange Geschichte des Ruhr Museums spiegeln. Die Sammlungspräsentation fügt sich in den ersten historisch-chronologisch gegliederten Ausstellungsteil ein, der die Geschichte der Region von der Bronze- und Römerzeit über die Siedlungen der Franken und Sachsen, die Christianisierung und Hansezeit bis zur Reformation und Aufklärung nachzeichnet. Ganz bewusst beschränkt sich das Museum so nicht mehr auf die Zeit ab der Industrialisierung, die das Ruhrgebiet als solches überhaupt erst erschuf, sondern spürt auch den weiter zurückreichenden, lokal teils sehr unterschiedlich ausgeprägten Entwicklungslinien und Traditionen nach, die durch die Industrialisierung verschüttet, modifiziert oder abgeschnitten wurden. Regelrechte Kleinodien wie der Grabstein des römischen Offiziers Marcus Caelius, Stücke aus dem Essener Domschatz und Urkunden hanseatischer Städtebündnisse finden sich unter den Exponaten.
Auch ästhetisch gesehen ist diese Ausstellungsebene die überzeugendste: Ägyptische und griechische Skulpturfragmente erstrahlen vor technischen Maschinenteilen, kultische Tiermasken und Bronzestatuetten kontrastieren mit den dunkel verwitterten Wänden und Jahrtausende alte Ammoniten ragen wie aufgespießte Insekten aus Kohletrichtern empor. Dieses von den Ausstellungsarchitekten des Stuttgarter Büros HG Merz kunstvoll inszenierte Zusammenspiel von Exponaten und Gebäude ist in den anderen Ebenen nicht in derselben Weise gelungen. Die Maschinen der Kohlenwäsche werden ebenso wie die Geschichte des Gebäudes bedauerlich wenig in die Ausstellung einbezogen – ihre Erläuterung wird ganz dem räumlich getrennten Denkmalpfad überlassen.
Gerade beim dritten und letzten Ausstellungsteil auf der „6-Meter-Ebene“, der abschließend die „eigentliche“ Geschichte des Reviers erzählt, fällt dies auf. Seine sehr kompakten und starr wirkenden Vitrinen- und Sockelbauten greifen zwar die Formen und Strukturen der Förderbänder und anderer Maschinenteile auf, lassen diese selbst aber vielfach regelrecht verschwinden und wirken im Vergleich zu den vorherigen Sammlungsräumen recht konventionell. Die Industriegeschichte wird hier zum „Drama“: Umrahmt von einem Prolog zu den naturräumlichen und geologischen Voraussetzungen und einem bilanzierenden Epilog handeln fünf „Akte“ von den ersten industriellen Anfängen im frühen 19. Jahrhundert, vom eigentlichen take off um die Jahrhundertmitte mit seinen technischen und unternehmerischen Innovationen, von der Hochindustrialisierung und ihrer fortschreitenden Rationalisierung und Kartellbildung, den folgenden Wechseln von Krisen- und Aufschwungszeiten sowie vom langsamen Niedergang der alten Industrien und allmählichen Strukturwandel. Äußerst dicht ist die Erzählung, kaum ein Thema wird ausgespart. Aber gerade durch ihre Fülle und Bemühtheit um Vollständigkeit bleibt sie seltsam unpersönlich, zumal die sehr vom Ende her gedachte Konzeption als „Schauspiel“ etwas gekünstelt wirkt. Originell ist aber erneut die Integration von geologischen und naturkundlichen Sammlungsstücken. Geschickt wird die Natur- mit der Industriegeschichte verwoben – etwa durch die Thematisierung der Bodenschätze, die die Basis der rasanten Industrialisierung bildeten, aber auch durch die Darstellung der Kleingartenkultur und der Umweltzerstörung. Hier wird der Bogen zur gegenwartsbezogenen Eingangsebene besonders deutlich: Was dort als Phänomen beschrieben, aber nicht tiefer ergründet wird, erhält auf dieser letzten Ausstellungsebene seine historische Erklärung – mal mehr, mal weniger direkt und offensichtlich. Ein ambitioniertes, gut durchdachtes, aber in Teilen möglicherweise auch zu komplexes Konzept.
Die drei Ausstellungsebenen haben jeweils eine ganz eigene Formensprache, Ästhetik und Atmosphäre, die mit den Inhalten korrespondieren – von der bunten Vielfalt gegenwärtiger Eindrücke über die fast sakralen Räume des kollektiven und des kulturellen Gedächtnisses bis zur Meistererzählung der Industrialisierung. In Vielem knüpft das Ruhr Museum an das Ruhrlandmuseum an: Wie dieses setzt es Medientechnik wohltuend zurückhaltend ein. Zwar finden sich hochmoderne Touchscreens mit allerlei Applikationen, Filmpräsentationen, Geruchsstationen und Klangduschen, aber die in vielen neueren Museen übliche audiovisuelle Dauerberieselung unterbleibt.[2] Setzte bereits das Ruhrlandmuseum Inszenierungen nicht als Anmutungen des Authentischen ein, sondern als höchst artifizielle „Objektbilder“, die die Objekte als Zeichen verstanden und ihre Materialität betonten, führt das Ruhr Museum diesen Ansatz konsequent fort und inszeniert ganze „Raumbilder“. Dem Auratischen wird jedoch – insbesondere in den Ausstellungsteilen, die sich dem kollektiven Gedächtnis und den Sammlungen widmen – deutlich mehr Raum gewährt. Ergänzende Ausstellungstexte – auf die das Ruhrlandmuseum in seinen ersten Jahren ganz verzichtete – erhalten einen größeren Stellenwert. Das Historische muss nun erläutert werden – nicht nur, weil das neue Museum einen viel weiteren Bogen schlägt und die Konzentration auf die Zeit seit der Industrialisierung aufgibt. Viele der lange Zeit selbstverständlichen Strukturen, Abläufe und Techniken sind inzwischen erklärungsbedürftig. Das Historische aber soll seinerseits die Gegenwart erklären, so der Anspruch des Museums, den es insbesondere durch die vielen gebotenen Perspektiven auch tatsächlich einlöst. Gerade im Vergleich mit seinem Vorgänger wird das Ruhr Museum so selbst zum Anschauungsobjekt der von ihm erzählten Geschichte und trägt damit dem eigenen Anspruch Rechnung, über seine Funktion als „Gedächtnis" der Region hinaus den noch andauernden Prozess der „Neufindung“ der Region zu beeinflussen.
Anmerkungen: [1] Der Katalog zur Dauerausstellung stellt nicht nur einzelne Ausstellungsebenen mit ausgewählten Objekten vor, sondern informiert auch ausführlich über die Geschichte des Ruhr Museums, die Kohlenwäsche und ihre Sanierung sowie das Gestaltungs- und Medienkonzept der Ausstellung. [2] Auch sogenannte Hands-on-Stationen sucht man vergebens, für Kinder wurde stattdessen eine Ralley samt Quiztasche mit (Original-)Exponaten zum Anfassen entwickelt.
Vera Hierholzer: Ausstellungs-Rezension zu: Ruhr Museum 10.01.2010, Ruhr Museum Essen, in: H-Soz-u-Kult, 15.01.2011,
Copyright (c) 2011 by H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Vera Hierholzer studierte in Münster Geschichte und öffentliches Recht. Nach ihrer Promotion am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte absolvierte sie ein wissenschaftliches Volontariat am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim. Im Anschluss war sie freie Kuratorin am Museum für Kommunikation in Frankfurt. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt. Im Rahmen eines Drittmittelprojektes kuratiert sie derzeit eine Ausstellung am Frankfurter Goethe-Haus zum Thema "Goethe und das Geld. Der Dichter als Ökonom".
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