Sonntag, 9. Januar 2011

Wir gehen ins Museum - zum Beispiel in die Kunsthalle in Wien

Es gibt wenige 'Ecken' im Museumsquartier in Wien, die so verschroben sind, wie das Foyer von dem aus man die Kunsthalle - und andere Veranstaltungen als die Ausstellungen - betritt. Die Beharrlichkeit, mit der seinerzeit das Denkmalamt auf der Erhaltung der historistischen Halle bestand, hat, so scheints, zu irreparablen Kompromissen zwischen Alt und Neu geführt. Nur die gute Qualität des Cafes lenkt einen davon ab, die mit Vorhängen und anderem Brimborium dürftig kaschierten Nahtstellen zu bemerken. Als Besucher der Kunsthalle muß man aber durch durch den verwirrenden Mix von Räumen und unklaren Funktionen, ehe man den eigentlichen Ausstellungsraum betreten kann. Garderobe, Lift, Treppenhaus, das alles atmet eine verkorkste Kompromisshaltung und Notlösung aus, die dieses Entrée zu einem der ungemütlichsten macht, die ich kenne. Besonders trostlos das Sitzangebot. In einer Ecke gibt es im Geviert zusammengeschobene Sofas, wo man den Eindruck hat, das Betreten dieses sakralen Gevierts sei ohnehin unerwünscht, so eng ist das dort alles. Außerdem käme man in einem fast leeren Raum zu sitzen, in dem es nichts zu sehen gibt, wo es aber auch zu ungemütlich fürs Rasten ist. Schräg gegenüber dann dieses gelbe Sitzmöbel, das vielleicht mehr eine Gebärde ist, die zeigen soll, wir denken auch an unsere Kunden, als wirklich ein Angebot zu verweilen. Das empfiehlt sich auch nicht. Vor der Anschlagtafel käme man unangenehm Lesern der dort ausgehängten Informationen und Pressekritiken in die Quere und das Sitzen wäre - mit einem vorstehenden Metallbord für Folder im Rücken kein Sitzen, sondern eher ein erzwungener Bandscheibenvorfall. Direkte Flucht ist unerwünscht, mittels perfid platzierter Topfpflanzen und von einem Wegweiser gelenkt muß man durch den Museumsshop entweichen.

Altonaer Museum. "Wir sind Museum".

Eine bemerkenswerte Entwicklung bahnt sich bezüglich des Altonaer Museums in Hamburg an. Die Bürgerinitiative “Altonaer Museum bleibt!” hat gestern, am 8.1., damit begonnen, die Bürger - also sich selbst - in die Beratungen und Entwicklungen einzubeziehen: Wir wollen die Wünsche und Ideen der Bürgerinnen und Bürger, der Nutzer, der Öffentlichkeit einbringen in das vielfältige Konzert der ExpertInnen und “Museumologen” (sic!), der ParteipolitikerInnen und diversen “Entscheider”. Die Sache ist zu wichtig, als dass wir sie ihnen überlassen können. Es ist unsere Sache!

Wunderbar, sage ich mir, das ist etwas anderes als Partizipation, der ja immer auch etwas patrimoniales anhaftet, die immer das Einverständnis derjenigen voraussetzt, die Partizipation zulassen und deren Grenzen festlegen. Hier gehts um Selbstermächtigung einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, die völlig zu recht sagt: das ist unsere Sache, sie geht uns an, wir reden und entscheiden mit.

"Unsere Sache", das ist das "Ding der Gemeinschaft", die öffentlichen Angelegenheiten, res publica, etwas was konkret und imaginär zugleich ist, die Summe alles dessen was uns betrifft; was die Altonaer da beginnen (oder schon längst begonnen haben) ist also 'republikanisch', führt zu den Wurzeln eines Verständnisses von Gesellschaft und Staat, das sich um das alle verpflichtende gemeinsame Wohlergehen zentriert. In diesem Fall um das Weiterbestehen aber vor allem auch die Aufgaben eines - ihres - Museums.

Die kulturellen Güter, die beni culturali, das patrimoine, Heritage, Erbe, sind ebenfalls Dinge der Gemeinschaft, Dinge, die um die diese Gemeinschaft sich sammelt (im Thing, der altgermanischen Volks- und Gerichtsversammlung, ist der Zusammenhang evident), Dinge, die sie aber auch repräsentiert und die sie nutzt, um sich über sich selbst zu verständigen.

Die Altonaer haben sich im Museum getroffen. Wie die Balance zwischen dem Museum, seiner Leitung und den Kuratoren einerseits und der Bürgerversammlung andrerseits aussieht, weiß ich nicht. Jedenfalls ist damit die Machtbeziehung Publikum / Bevölkerung - Politik - Museum neu definiert. Denn im Grunde ist die 'staatliche Gewalt' (ein Kultursenator usw.) immer nur ein Treuhänder gesellschaftlicher Willensbildung. Aber wo diese nicht stattfindet - und wann und wo findet die im Feld der Kultur, beim Museum denn statt? - bekommen die Politiker die Entscheidungsmacht. Das sieht jetzt anders aus. Die Suche und das Verhandeln darüber, was 'unsere Sache' ist, wird die Politik in ganz andrer Weise verpflichten, als das bisher denkbar war. Und es wird auch die Frage auftauchen, wie sich das Verhältnis zwischen 'Bewegung' und 'Institution' gestaltet und ob nicht auch ein Museumsdirektor ein Treuhänder ist...

Ich bin gespannt.

Samstag, 8. Januar 2011

film über "forbidden art" im stalinismus und ein museum in uzbekistan

ich habe einen interessanten film gesehen über ein museum in uzbekistan in dem eine vielzahl von regional "partikularer" kunst waehrend des stalinismus überlebte. auch ein dokument über einen obsessiven sammler und eine andere art des "kunstraubens".

mehr über den film:
http://www.desertofforbiddenart.com/

und eine dazugehörige Ausstellung im Kunstmuseum in Groningen/NL:
"Russia's Unknown Oient. Orientalist painting 1950 - 1920".
http://www.groningermuseum.nl/en/press/2010/russias-unknown-orient-orientalist-painting-1850-1920

Samstag, 1. Januar 2011

Das Trennungsmuseum

Vielleicht die richtige Art und Weise, den Blog im neuen Jahr zu starten: das Museum der zerbrochenen Partnerschaften vorzustellen. Das Museum existiert schon länger als ambulante, an vielen Orten gezeigte Ausstellung. Nun hat es einen festen Sitz in Zagreb, ist täglich von 9 bis 21 Uhr offen und hat eigenem Bekunden nach bis zu tausend Besucher pro Tag.
Eine ästhetisch wie funktionell ansprechende und professionelle Webseite gibt einem nicht nur die nötigen Informationen und eine Vorstellung vom Museum sondern öffnet verschiedene Wege sich zu beteiligen, mit dem Überlassen von 'Trennungsobjekten', dem Schreiben von e-mails, dem Zuschicken von Fotos.
Last but not least kann man sich (alle?) Ausstellungsobjekte anschauen - mit den 'anhängenden' Trennungsgeschichten. Eine Axt etwa diente einem Berliner, die Möbel der Frau, die ihn verlassen hatte, zu Kleinholz zu machen: Als sie die Möbel abholen wollte, hatte ich alles fein säuberlich zu Haufen arrangiert. Sie nahm sie mit und wir trennten uns im Guten.
Gefällt mir sehr, eine schöne Idee, die intelligent mit dem Status von Museumsobjekten umgeht, die ja immer so etwas wie Lebensspuren hinter sich herziehen.
Möglicherweise kommt ja bald ein zweites Museum, mit einer verwandten Idee. Orhan Pamuk, der türkische Nobelpreisträger, arbeitet ja schon länger an einem 'Museum der Unschuld', dessen ihm zugrundeliegende Trennungsgeschichte Thema des gleichnamigen Buchs ist, das Pamuk selbst als 'Katalog' des kommenden Museums bezeichnet.
Wer Pamuks Buch lesen will, der sei gewarnt. Ich habe viele Freunde, die die Lektüre aufgegeben haben. Es gibt da eine Entwicklung einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte über die Trennung zu einem sprachlosen Nebeneinander, das der 'Held' der Geschichte herbeiführt, indem er regelmäßig die Verwandten seiner Geliebten besucht. Tag um Tag, Stunde um Stunde sitzt er vorm Fernseher und sonst passiert nichts. Außer daß er manisch alles aufliest (oder auch klaut) was an Dingen mit seiner Geliebten in Verbindung zu bringen ist. Das geht so an die oder mehr als 200 Seiten, und an der langen Passage des Buchs, wäre ich auch fast gekentert. So etwas quälend Leeres und Langsames hatte ich noch selten gelesen. Aber aus dieser Aufsammlung, die der etwas Irre da zusammenliest, entsteht das 'Museum der Unschuld'.
Das dann 2010, als Istanbul Kulturhauptstadt war, schon hätte eröffnen sollen, aber wegen Querelen um die Subvention noch nicht eröffnet wurde.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Beachtlich!

Dem Wiener Naturhistorischen Museum ist eine ungewöhnliche klare Webseite geglückt. Schnörkellos, einfach, auch in die Tiefe gut zu navigieren und übersichtlich. Knappe Informationen, auch (ausführlich) zur wissenschaftlichen Arbeit, zu den Sammlungen sowie (weniger ergiebig)  zur Geschichte und zur Architektur. Schwachpunkt: wenige und nur briefmarkengroße Fotos ohne jede Erläuterung. Aber das kann ja noch kommen.

Montag, 27. Dezember 2010

Unter Palmen (Entrée 05)

Atatürk (Texte im Museum 168)

Historisches Museum Amsterdam (2010; Foto: GF)

Über Stadtmuseen oder Wie (nicht nur anlässlich des Wien Museums) über einen sonderbar kriselnden Typ von Museum diskutiert werden könnte.

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Stadtmuseen leisten sich kleine Identitätskrisen. Das zeigten zwei Tagungen, die in jüngerer Zeit in Berlin und in Graz stattgefunden haben. Das Selbstwertgefühl dieser Museen schrumpft, wenn sie sich mit anderen, von Medien und Publikum verwöhnteren Museumstypen vergleichen und auch angesichts der schwindenden finanziellen Mittel der öffentlichen Hand. Davon sind nun gewiss nicht nur Stadtmuseen betroffen, aber es ist vielleicht kein Zufall, daß das erste bedeutendere Museum, das in Deutschland geschlossen werden sollte, ein Stadtmuseum war. Das Altonaer Museum in Hamburg war eins jener typischen lokalhistorischen Museen, die sehr heterogene Sammlungen haben und die sich chancenlos glauben im Wettbewerb gegen neue Gründungen und Konzepte.
Hamburg etwa forciert das Stadtmarketing, und das mit beträchtlicher Auswirkung auf traditionelle Institutionen (Museen, Theater, Bibliotheken, Kinderkultur), denen Einsparungen bis an den Rand des Verkraftbaren zugemutet werden, während spektakuläre, zum Teil private Initiativen, sehr hohe Summen von der Stadt bekamen. Das betraf und betrifft auch weit über Hamburg hinaus bekannte und wirkende Einrichtungen, wie das Deutsche Schauspielhaus oder die Kunsthalle.  Am Beispiel Hamburg wird auch klar, daß es nicht ums Sparen geht, sondern um ein anderes Verteilen der Mittel als bisher. Die prestigeträchtige „Elphilahrmonie“, die eine neue kulturelle Identität Hamburgs als ‚Musikstadt’ beschaffen soll, wird Unsummen bis zur Fertigstellung verschlingen. Die privaten Museen, Schiffahrtsmuseum und Ballin-Stadt, haben sehr hohe Anschubfinanzierungen bekommen und jetzt dürfte die Stadt große Mittel zum Ankauf einer privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst locker machen. An traditionellen Institutionen wird der Rotstift angesetzt.
Hamburg ist sicherlich ein besonderer Fall – noch. Man kann an ihm lernen, wie gleichgültig und rücksichtslos eine komplett von wirtschaftlichen Imperativen beherrschte Politik werden kann. Und wie sich Hand in Hand damit ein ideologischer Wandel vollzieht, weniger aufmerksam beobachtet, weniger scharf analysiert als medienträchtige ‚skandalisierbare’ Einsparungsbeschlüsse. Lange aufgebaute kulturelle Vereinbarungen brechen weg oder werden mit einem Handstrich weggewischt und neue etabliert: der ideologisch fragwürdigen Schifffahrtssammlung einen prominenten Platz in der boomenden Speicherstadt einzuräumen und gleichzeitig die traditionellen historischen Museen auf Hungerration zu setzen, ist mehr als nur als ‚Sparsamkeit’, sondern eine zur ökonomischen parallel laufende ideologische Umverteilung.
In einer solchen Situation sind die Institutionen gezwungen, ihre Daseinsberechtigung zu überprüfen, unter Umständen neu zu formulieren und ihre Bedeutung für ihr Publikum praktisch zu beweisen. In Hamburg ist immerhin eine anhaltende Mobilisierung gelungen, die zu einer Lockerung der Sparauflagen – nicht zu deren Aufhebung – geführt hat. Noch interessanter war, daß sich jener ‚Bürgersinn’ formiert hat, dem ja die meisten der erwähnten Einrichtungen ihre Gründung verdanken. Mehr noch und weitaus freier als die der Administration unterstellten Einrichtungen selbst, können Bürgerforen zu herausfordernden Kontrahenten der Politik werden. Das zeigte sich grade an der Entwicklung der Stiftung historischer Museen (zu der das Altonaer Museum gehört und auf das der Sparimperativ ‚verteilt’ wurde, um das Altonaer Museum – vorerst – zu ‚retten’), wo sich ein offenbar nachhaltiger ziviler Ungehorsam etabliert hat. Daß nun die Koalition aus CDU und Grünen in der Stadtregierung gescheitert ist, hat mehrere Gründe, aber das Desaster der Kulturpolitik dieser Koalition hat eine Rolle gespielt. Grund zur Hoffnung?

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Aus der Hamburger Entwicklung lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen, keine aber, wie mir scheint, die eine Antwort auf die eingangs benannte ‚Krise’ der Stadtmuseen bietet. Das Altonaer Museum war um 1900 eine inhaltlich, medial und methodisch hochinnovative (ideologisch dagegen problematisch durchwachsene) Gründung, die weit über die Region und Deutschland hinaus Modellcharakter hatte. Von der Resonanz, die das Museum damals hatte, kann man sich kaum eine Vorstellung machen, der enorme Anfangserfolg ermöglichte sogar eine erhebliche, der Gründung rasch folgende bauliche und sammlungspolitische Erweiterung. Das Museum der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts muß ein vitaler sozialer und kultureller Umschlagplatz gewesen sein. Auf Kongressen wurde es als nachahmenswertes Beispiel herumgereicht und sein Leiter und ‚Erfinder’ wurde von weit her eingeladen, um das Museumskonzept zu erläutern.
Was es heute im Altonaer Museum zu sehen gibt (ich war erst vor wenigen Monaten und zufällig wenige Wochen vor dem politischen Entscheid, es mit Jahresende zu schließen, dort), erinnerte an diese Vitalität nicht mehr. Das war ein spärlich besuchtes Haus, durch dessen vielfältige Sammlungen kein rechter Zusammenhang, keine rechte Haltung mehr erkennbar war. Manche der Sammlungen der Museums-Gründungszeit hatten sich wie Denkmäler ihrer selbst erhalten, interessant anzuschauen für jemanden wie mich, der an der Geschichte von Museen interessiert ist. Sperrige, unklare Übergänge, offensichtlich fragmentierte Ausstellungsteile vermittelten den Eindruck, daß das Museum ein Notprogramm fuhr, was dann auch durch eine kleine Ausstellung bestätigt wurde, in der der politische Umgang mit dem Museum direkt thematisiert wurde.
Einerseits war das eine schon recht verzweifelte Aktion, in die die Ohnmacht des Museums eingeschrieben war, direkt aus dem Museum heraus gegen die Förderpolitik zu polemisieren. Andrerseits warf der in Form einer Ausstellung erhobene Notschrei der Kuratoren die Frage auf, warum das Museum offenbar alleine war oder sich alleingelassen fühlte und (bis dahin) keine öffentliche Mobilisierung angestoßen hatte.
Diese setzte ein, als es ernst wurde und der alle überraschende Schließungsauftrag erteilt wurde - jetzt mobilisierten das Museum u n d die Bevölkerung. Und mit Erfolg. Jetzt entstand jene zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit, die auf die Bedeutung des Museums hinwies, zum Beispiel auf die Funktion des Museums als lokal bedeutsamer kultureller und sozialer Raum, wo die Erinnerung an Altonas kommunale Selbständigkeit (zur Zeit der Museumsgründung) in Form eines wiedererwachenden lokalen Geschichtsbewußtseins erneuert wurde. Mit welcher Nachhaltigkeit das alles ausgestattet ist, das wird man sehen.

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Wenn ich über Stadtmuseen nachdenke und über Ihre Besonderheit, also auch darüber, worin ihre ‚besondere’ Krise denn liegen könnte, dann denke ich am ehesten genau an diese Wechselbeziehung von Museum und gesellschaftlichem Umfeld. Jedes Museum hat sein Publikum, hat es vielleicht organisiert, in Museumsvereinen, hat möglicherweise Veranstaltungen, Events usw., um es an sich zu binden, seine Loyalität zu pflegen. Aber bei keinem Museumstyp ist diese Wechselbeziehung so zwingend, wie bei den Stadtmuseen.
Einer meiner kunsthistorischen Lehrer hat das Wiener Kunsthistorische Museum (und er meinte es sicher nicht herablassend), ein „gutes zweitklassiges“ genannt. Gemeint war damit die Sammlung, ihre Bedeutung im Kanon der kulturellen Werte. Da hat dieses Museum nun mal nicht jene Dichte an erstrangigen Gemälden und nicht jene Repräsentativität der diversen Epochen und Schulen wie etwa die National Gallery in London oder der Madrider Prado.
Was ich damit sagen will, dieser Museumstyp hat ein Bezugssystem, das außerhalb jeder politischen Topografie liegt und das allein seine Situierung im Feld der kulturellen Werte bestimmt. Selbstverständlich ist es (auf eine widersprüchliche Weise) das ‚österreichische’ (und damit eine Art ‚nationales’) Museum, aber es könnte seinen ‚Platz’ wechseln, ohne daß dessen Bedeutung Schaden nimmt. So wie es ja auch neuerdings geschieht und der Louvre (Teile davon) nach Dubai geht oder die Eremitage nach Amsterdam. Das ist denkbar. (Das wäre auch bei einem technischen Museum denkbar, bei einem naturhistorischen usw.).
Sich das Musée Carnavalet nach Stockholm oder das Amsterdams Historisch Museum nach Dresden versetzt zu denken, wäre blanker Unsinn. Diese Museen sind mit dem ‚Ort’, an dem sie sich befinden in einer so vielfältigen Weise verbunden, daß sie auch nur an diesem Ort Sinn machen.
Umgekehrt kann man sich fragen, ob man es dem ‚Ort anmerken würde’, wenn diese Museen einfach verschwinden würde – würde man es Paris oder Amsterdam anmerken, oder Altona? Oder Wien? Andersrum gefragt: spiegeln diese Museen etwas von den für ihre Existenz notwenigen sozialen, topografischen, historischen, politischen usw. Kontexten dem Ort zurück, der Bevölkerung, ihrem Publikum?

Wenn ich in Paris bin, versäume ich es möglichst nie, ins Musée Carnavalet zu gehen. Das hat sehr viel mit einer besonderen Art von Nostalgie zu tun, mit der einem Geschichte hier entgegentritt. Das von einem Massenpublikum verschonte, ein wenig verträumte, ausstellungstechnisch altmodische Museum, habe ich als ein Puppenhaus der Vergangenheit in Erinnerung. Es ist ein Gang durch die bekannte Enfilade der kulturgeschichtlichen Epochen, die mit der für viele Stadtmuseen typischen Exponatklasse instrumentiert wird, die aber auch eine ihrer Hypotheken ist. Möbel und Kleider, Kandelaber und Degen, Tafelsilber und Memorabilia, Gemälde und Stiche, Rüstungen und Porzellan, Ansichtskarten und Schreibtische, Geräte und Uhren...
Der leise Ton der vergangenen und beruhigten Zeiten liegt auch über jener Epoche, die so ganz und gar das Gegenteil von ruhig und beherrschbar war. Die wenigen Räume, die der Großen Revolution gewidmet sind, erzählen sie aus der Perspektive der kleinen Dinge. Die Aktentasche Bareres, die Bastille als Nippes, der Abbruch einer Kirche als Kabinettstück. Die Revolution – ein kunstgewerbliches Arrangement mit nostalgischem Charme.

Nicht viel anders ging es mir kürzlich in Amsterdam. Auch dieses Stadtmuseum besuche ich immer und immer wieder. Und jedesmal bin ich von der komplizierten Wegführung veblüfft und eingeschüchtert, die einen durch vier (oder mehr?) Geschosse führt, auf und ab, bis man jede Orientierung verwirrt hat und sich mit eiserner Entschlossenheit dem Leitsystem ausliefern muss, will man nicht verloren gehen zwischen den Gruppenporträts des ‚Goldenen Zeitalters’, der Darstellung der langsamen ‚Landnahme’ der Stadt an der Amstel oder der bemerkenswert ausführlichen Dokumentation der sozialfürsorglichen Institutionen der historischen Zeit.
Für hartnäckige Museumskunden läßt sich, wenn man zwischen den Zeilen liest und die fordernde Qualität der Gemälde gegen den Strich liest, manches erfahren über die sozialen und politischen Grundlagen des Goldenen Zeitalters, darüber, daß etwa fünf Familien die Niederlande ‚regierten’, oder daß in Amsterdam die größte Schiffswerft der Welt stand, die potenter war als das Arsenal in Venedig wo man immerhin zeitweilig ein Schiff pro Tag fertigstellen konnte. Da kann man, wenn man scharf aufpasst, weit auseinanderliegende Informationen zusammenfügen, etwa, daß die mindersten, gesundheitsschädlichen Arbeiten in der Werft von Waisen verrichtet wurden, die gegen Geld vermietet wurden. Das relativiert dann ein wenig den Glanz der Münzen, die den Altruismus des Bürgertums auf großformatigen Gemälden feiern.
Nur – was hat das mit Amsterdam zu tun?

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Ist das die Stadt, die ich besuche? Ist das die Stadt, in der die Amsterdamer leben. Schön, ganz am Schluß des Rundganges (wenn man sich bis dahin nicht im Labyrinth der Räume verheddert hat), da kommen die vor, die Amsterdamer, in ihrer ethnischen, dem Kolonialismus geschuldeten Buntheit, mit ihren Geschichten, ihren Ansichten, ihren Sorgen. Gleich daneben geht’s dann auch (ein ganz klein wenig) um Drogen, um den Verkehr, die Stadtplanung und – Ajax Amsterdam. Ich lerne (in einem Kurzfilm, der zugleich ein schönes Stück Kulturgeschichte des Fußballs darstellt), daß das ‚niederländische System’ den Spitzen-Weltfußball prägt. As you may know: Bayern München, FC Barcelona...
Das wahre Stadtmuseum finde ich (diesmal) in einem ganz anderen Museum, das allerdings auch ‚Stadt’museum heißt, aber eigentlich ein (eins der bedeutendsten) Museum Moderner Kunst ist. Die nagelneue Direktorin hat sich entschlossen, die wegen Umbau und neuem Zubau jahrelange Schließzeit des Stedelijk Museum kurzfristig zu unterbrechen. Es gibt im Haus eine Reihe von Installationen, den großen Saal im Stockwerk hat Barbara Kruger mit einer ihrer monumentalen Textinterventionen erobert. In ihrer Nachbarschaft gibt es einige interessante, witzige, bemühte Reflexionen des Museums als solches. Roman Ondrak läßt die Besucher vermessen, Luise Lawler hat aus den Namen ihrer männlichen Künstlerkollegen ein irrwitziges Vogelgezwitscher collagiert und Willem de Rooij hat, nachdem er das 1993 schon mal gemacht hat, 2010 noch einmal die leeren Ecken der Ausstellungssäle fotografiert...
Im Erdgeschoß aber sind unter dem Titel Monumetalism Arbeiten von in Amsterdam lebenden, jungen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Was für eine Ausstellung! Keines der großen und brennenden Zeitthemen wird ausgespart, Nationalismus, die Ökonomie des Kleptokapitalismus, Alterität und Identität, die Traumata der Kolonialzeit, postkommunistische Erinnerung. Und all das in ästhetisch wie intellektuell fordernden, vielschichtigen Arbeiten. Eine Ausstellung, die derart dicht an der Zeit, so ermutigend reflexiv agiert, habe ich noch nie gesehen.
Sicher, die Ausstellung könnte auch in München oder in Mailand gezeigt werden, aber es ist, jedenfalls war es das für mich, auch eine Ausstellung, die etwas über die Stadt Amsterdam (vielleicht über Stadt überhaupt) aussagte: über die Kraft und das (künstlerische) Potential, Gegenwart analytisch zu erfassen und zur Diskussion zu stellen.
Das hier war das Amsterdamer Stadtmuseum. So stelle ich mir ein Stadtmuseum (auch) vor.
Und noch in einer anderen Hinsicht war die Ausstellung bemerkenswert. Monumentalism verhandelte, wie ihr Untertitel bedeutete, Geschichte und nationale Identität in der zeitgenössichen Kunst und – sie bestand (als ein jährlich wiederkehrendes Ausstellungsritual) aus den „Proposals for Municipial Art Acquisitions 2010“, war also die Ausstellung, die, von der Stadt Amsterdam gefördert, die – öffentlich sichtbare und zur Diskussion gestellte – Grundlage der Erwerbungen des Stedelijk Museum 2010 bildete.
Die Ausstellung realisierte also ein Stück weit jene einzigartige Beziehung von Museum, Ort und Öffentlichkeit, die Stadtmuseen womöglich ausmacht – und das aktiv und von sich aus und auf den Ebenen Werk, Zeitbezug und Kommunikation zugleich.
So einfach / schwierig kann’s sein...

Global survey (Museumsphysiognomien 10)

Mehr und mehr Kunstmuseen nutzen das Internet nicht nur für Werbung, sondern auch für Information. Große (Kunst)Museen bieten ihre Sammlungsbestände großzügig digitalisiert an, mit aufwendigen Suchmaschinen, exzellenten Abbildungen und gelegentlich auch mit sehr ausführlicher und fundierter Information.
Die Bilddatenbank etwa der Vereinigung der Französischen Nationalmuseen läßt keine Wünsche offen. Jedes einzelne Objekt ist mit allen nur erdenklichen und wünschbaren Daten versehen, es gibt zahllose Ordnungs- und Suchkriterien, die Abbildungen sind ausgezeichnet.
Von der Sorgfalt, mit der etwa das Rijksmuseum seine Interims-Ausstellung auf seiner Webseite nicht nur dokumentiert, sondern ein 'Nachlesen' und 'Nach-Denken' mit viel über die Ausstellung hinausgehender Information begleitet, war hier schon die Rede.
Abbildungen aus der, wenn ich mich recht erinnere, etwa 50.000 Fotografien umfassenden Fotothek des Museum of Natural History in New York, die dieses kürzlich rechtefrei ins Netz gestellt hat, habe ich hier auch schon verwendet; diese Sammlung ist einzigartig wegen ihrer dokumentarischen Qualität nicht so sehr was Objekte betrifft, sondern den Betrieb und 'Alltag' des Museums: Aufbau von Ausstellungen, pädagogische Aktivitäten, Besucher, Bau von Dioramen, Präparierung von Tieren für die Ausstellungen u.v.a.m.
Das Metropolitan-Museum hat über 30.000 Objekte in seinem Netz gestellt, Sammlungsobjekte buchstäblich aus 'aller Herren Länder', ebenfalls mit vielen verschiedenen Parametern abrufbar. Luxuriöse 'Werkzeuge' ermöglichen es einem, die 'unsichtbare Sammlung' des Museums chronologisch, ikonografisch, topografisch usw. zu 'sichten' und zu 'besichtigen'.

Beim Arbeiten mit dieser eindrucksvollen Bilddatenbank sind mir einige Dinge aufgefallen.
Eines der 'Portale', die den Zugang zum virtuellen Archiv öffnet, ist eine Weltkarte. Klar, dieses Museum hat eine Sammlung, die 'die ganze Welt' abdeckt. Hier findet man nicht nur Relikte der bekannten Hochkulturen, mittelalterliche Glasfenster, nordamerikanische indianische Vorratsgefäße, assyrische Reliefs, gotische Kathedralplastik, chinesische Landschaftszeichnungen, ein Renaissencestudiolo..., hier gibt es, oft nur in einem oder einigen wenigen Exemplaren,  Exponate von nie gehörten, halb versunkenen, kaum erforschten Kulturregionen.
Dieses Museum sagt uns, die Welt (hier, Abbildung unten, die von 500 bis 1000 n.Chr.) steht Dir zur Verfügung, wir sind imstande sie zu präsentieren und zu repräsentieren. Suche Dir irgendeinen Punkt der Welt (a la Earth View) und wir zeigen Dir unsere passenden Schätze...















"Global survey" ist eine Formel, mit dem gelegentlich solche Museen charakterisiert werden - oder womit sie sich selbst charakterisieren. Survey ist ein vieldeutiges Wort, es läßt sich mit Zusammenstellung (in gewissem Sinn also als Sammlung) ebenso übersetzen, wie im Sinn von Prüfung, Bewertung, aber auch Erkundung, Studie oder auch Besichtigung.

Bestandsaufnahme ist eine weitere 'Übersetzung' des Wortes und sie trifft doch gut und genau diese Form der digitalen Repräsentation und die Art und Weise, wie sie sich an uns wendet.
Der 'Bestand' der Kulturen der Welt - das ist eine große, eine in gewisser Weise auch anmaßende Geste, eine einladende und verführende, was die Bequemlichkeit der Verfügbarkeit betrifft. Wir brauchen uns nicht mehr in Bewegung zu setzen, um 'Zugang' zu den 'kulturellen Werten und Schätzen' zu bekommen.
Die Tatsache und die Tücken der technischen Reproduktion - jedes Objekt in gleich großer Abbildung, egal ob es 'in Wirklichkeit' 3 oder 300 Zentimeter groß ist, immer nur frontal und in einer einzigen Ansicht usw. -, verdrängt man dabei gerne, genau so wie alle Bedingungen, die eine solche 'Übersicht' und 'Bestandsaufnahme' erst ermöglicht haben.
Zum Beispiel, die Art und Weise des Erwerbs. Angaben zur Provenienz gibt es, wie es scheint für alle Objekte, aber immer nur jene Angaben, die sich auf den Akt beziehen, mit dem das Objekt in den Besitz des Museums gelangte - hier, beim Metropolitan Museum, sind das sehr häufig Schenkungen von privater Seite. Zur Provenienzgeschichte erfährt man nichts.
Eine andere Beobachtung: das Suchen nach Objekten ist mit einer Distinktion möglich, die auf einer vom Museum für uns bereits getroffenen Entscheidung zusammenfällt. Wir können 'Alles' durchsuchen oder die 'Highlights'. Auch hier fehlen die Kriterien der Auswahl, aber interessant war für mich, was man sieht, wenn man 'Alles' sucht. Man sieht nämlich etwas, was man so in Museen nie zu sehen bekommt und nie zu sehen bekommen kann - die 'Summe' buchstäblich aller deponierten Dinge und das sozusagen gleichzeitig, also von der Kollossalstatue bis zum ephemeren Bruchstück in einer endlosen Reihe von Fotos und Texten den gesamten Sammlungsbestand. Man sieht und ahnt etwas von der possesistischen Gier der Institution, der Zufälligkeit des Sammlens, der Fragmentierung und Beliebigkeit der Sammlung.
Man sieht endlose Listen (s. Abb. unten) von Objekten, von Objeketen, die wohl kaum je das 'Licht' einer Ausstellung sehen werden und kaum über eine mehr oder weniger oberflächliche Inventarisierung hinaus Gegenstand der Forschung werden. Gar nicht werden können, angesichts der schieren Unmenge von Objekten.


















Das Museum hat für diesen Fall eine Formel bereit, nämlich, daß alle Angaben vorbehaltlich einer späteren und genaueren Erforschung und Überprüfung gemacht werden.

Und noch eine Beobachtung: diese oft kleinen, bescheidenen Objekte, die unterm puren Augenschein nichts vermitteln und die ohne einen dinglichen oder deutenden Kontext kaum mehr sind als deponiertes Strandgut - hier im Museum bedeuten sie nahezu nichts, solange sie nicht (was dann ja auch nur auf Zeit geschähe) ausgestellt und damit bearbeitet und in einen wie immer formierten Kontext gestellt würden.
In ihrem - wenn er so oder so noch existierte - ursprünglichen Kontext, aber auch in einem inzwischen 'fremden', aber politisch-gesellschaftlich und kulturell ihrer Herkunft gemäßeren, was würden sie da bedeuten? Wohl ungleich mehr. Sie hätten im glücklichen Fall schon ob einer geschichtlich-kulturell 'passenderen' Anwesenheit ganz andere Chancen der Wahrnehmbarkeit und ganz andere Potentiale an Bedeutungen.
Wenn gelegentlich an einzelnen, spektakulären Objekten, die komplexe Frage der Restiution diskutiert wird, stellen die Massen an 'fremdem' Strandgut in so vielen ('westlichen') Museen nicht auch die Frage nach einem strukturellen und umfassendem 'Entzug'?

"Global survey", von großen Museen als argumentative Waffe in der Abwehr von Restitutionsforderungen benutzt (wir hielten so lange Jahre die schützende Hand über die Schätze der Menschheit....), ist nur möglich durch eine Art ursprünglicher Akkumulation kultureller Güter und Werte, die dann eben wo anders 'fehlen'.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Wo die weissen Ratten wohnen (Entrée 04)

Entrée - Eine neue Sammlung

Mich hat es selbst überrascht, was dabei herauskommt, wenn man über viele Jahre gesammelte Fotos von Museumstexten nach und nach zusammensucht und, wenn man sie, wie hier im Blog geschehen, veröffentlicht, wieder genauer liest und anschaut. Aus der Versammlung springen allerlei Beobachtungen heraus, die - jedenfalls ich - nicht alle in den konventionellen Rahmen einordnen konnte, in dem über Texte gesprochen, in dem mit Texten gearbeitet wird. Allein schon die Fülle der Funktionen und Orte von Texten geht weit über das hinaus, was mir bis jetzt bewußt war. Interessant sind zum Beispiel die Texte (von denen es mehr gibt, als ich annahm), die der 'Habituierung' der Besucher dienen: Einstimmung in die Würde des Ortes, Anmahnung eines einschlägigen Verhaltens, ostentatives Vorzeigen der Kultiviertheit der Dinge bis hin zu regelrechten Verhaltensge- und verboten.
Wie selten sind dagegen Texte, die den buchstäblich (be)herrschenden Diskurs unterlaufen oder wenigstens relativieren und wie extrem rar der regelrechte Einspruch, der dann schon als Intervention gelten könnte.
Jetzt also eine neue Sammlung. Ohne viel darüber nachzudenken und ziellos (die Textsammlung war immerhin brauchbar bei der Lehrtätigkeit und beim praktischen Arbeiten) habe ich Eintrittskarten aufgehoben, kleine Bildengramme oder Texbotschaften, mit denen Museen wie nebenbei und scheinbar absichtslos auch etwas über sich sagen.
So wie die jetzt grade flottierende Weihnachtspost etwas über die Institutionen aussagt, über ihren Geschmack, ihre Haltung, ihren Witz oder ihre Phantasielosigkeit, so sind auch Eintrittskarten kleine symptomatische Gucklöcher ins institutionelle Seeleneleben.
Wer immer was beitragen mag - Beispiele oder Kommentare, ist herzlich willkommen!