Heimatmuseum Trofaiach (Steiermark) |
Sonntag, 31. Oktober 2010
Fundsache "Eventualexponat"
Ausstellung des rekonstrierten und sogenannten Mozart-Geburtshauses. Da alles erfunden ist, kommts auf Kleinigkeiten schon gar nicht an. |
Lesefolter (Texte im Museum 136)
Das Stedelijk Museum legt seinen Besuchern einen Reader auf das Sitzbankerl, mit kopierten Textin von Homi Bhaba an aufwärts. Hartes Sitzen, hartes Lesen. |
Gerettet! Gerettet? Die 'Hamburger Museumskrise' und die Frage, ob man was draus lernen kann...
Gerettet! Gerettet? - Die Schließung des Altonaer Museums ist vom Tisch. Am Einsparungsziel wird aber festgehalten. Es wird auf die gesamte Stiftung der Historischen Museen ausgedehnt und muß auch nicht in einem, sondern in drei oder vier Jahren 'eingebracht' werden. Mit der Forderung nach einem Museumskonzept wird eine Neuorientierung von der Politik an die Museen adressiert, die mit der Hypothek verkürzter Mittel verbunden ist.
Was das für Konsequenzen haben wird, scheint niemand abschätzen zu können. Vorerst wird mal von allen Seiten 'freudig begrüßt', nämlich der Abstand vom Schließungs-Beschluß.
Was an dieser - vorerst befristet scheinenden - 'Museumskrise' interessant ist, daß die Logik der ökonomischen Rentabilität triumphiert. Befürworter wie Gegner teilen dieselbe Logik, in deren Rahmen die Debatte geführt wird. Es wird über die Höhe von Geldmitteln geredet, die Attraktivität - zuletzt die der Protesttage - in Besucherzählung quantifiziert, der Ausweg in rechtlichen Tüfteleien am Stiftungsgesetz gesucht.
Die deftige Politik der Gefühle, die Medien immer anspricht und immer mobilisiert, kam vom Altkanzler Schmidt. Seine "Museums-Heimat Hamburg", könnte die Wortspende gewesen sein, die alles entschied.
Das Museum und seine Befürworter hatte nicht so viel mehr als die üblichen Formeln, die aber den Nachteil haben, abgegriffen zu sein und nicht nur auf alle Museen, sondern im Prinzip auf alles und jedes anwendbar zu sein, was 'Kultur' sein soll.
Der Filter, durch den ich beobachten musste (hunderte Artikel in den wenigen Wochen des 'Aufruhrs'), war vielleicht zu dichtmaschig und ließ die Feinheiten lokaler Debatten nicht durch. Aber ich beobachte, daß Museen nicht gut vorbereitet sind, auf Verteilungskämpfe, die noch in einem Ausmaß kommen werden, wie man es sich jetzt kaum vorstellen mag. (Kleiner Blick zum Nachbarn: die neue Regierung Großbritanniens erwägt ernsthaft, den universitären Geisteswissenschaften alle staatliche Mittel zu streichen und eigenverantwortliche Refinanzierung anzustreben).
Der Umbruch, der vor sich geht (schnell, gewaltförmig, eskalierend) betrifft sicher nicht die Befindlichkeit einzelner kultureller Institutionen. Hinter dem seit Jahren als regierendes Prinzip der Politik durchgesetztem 'Sparzwang', verbirgt sich nicht, was das Wort Sparen eigentlich verspricht: Vorsorgen für die Zukunft. Sondern eine Umverteilung von Werten im Großmaßstab unter der Bedingung einer immer schneller eskalierenden Erosion des politischen.
Das trifft nun das Museum nicht bloß 'etatistisch'. Es trifft es, weil der öffentliche Diskurs, das vergesellschaftende Raisonement ein zentrales strukturelles Merkmal des Museums (seit seinen Anfängen…) ist. Das Museum verliert nicht nur Geld, es verliert die Möglichkeit, jene Öffentlichkeit mit herzustellen, in der allein noch gestritten und debattiert werden kann, ob es z.B. so etwas wie Museen überhaupt noch geben soll.
Deshalb ist interessant, daß sich die Öffentlichkeit formiert. In 'Altona', einer Webzeitung für den Stadtteil, lese ich: "Am 1. November werden interessierte Bürgerinnen und Bürger zu dem “Großen Volksratschlag” ab 19.00 Uhr ins Altonaer Theater geladen. Für die Initiatoren des Begehrens steht fest, es darf zunächst gefeiert werden. “Den Worten müssen jetzt entsprechende Taten folgen” ist die Forderung an die Öffentlichkeit. Der Garant des Erfolges lang in der Bereitschaft der Bürger, sich für die Kultur in dieser Stadt zu engagieren, stellen Aram Ockert, Elisabeth von Dücker und Peter Schwanewilms fest. Und man ist sich sicher: Hieran hat sich und wird sich auch für die Zukunft nichts ändern." Vielleicht ist es ja so, daß das Museum schon erkannt hat und daran arbeitet, daß diese Öffentlichkeit sich nicht nur 'vorm' Museum konstituiert, sondern mit dem Museum verwoben wird. Mir schiene das eine Gegenstrategie gegen nicht nur diese Krise: Gegenöffentlichkeiten, wo immer es nur geht, zu etablieren, wobei die Museen eine aktive Rolle spielen sollen und müssen.
Was das für Konsequenzen haben wird, scheint niemand abschätzen zu können. Vorerst wird mal von allen Seiten 'freudig begrüßt', nämlich der Abstand vom Schließungs-Beschluß.
Was an dieser - vorerst befristet scheinenden - 'Museumskrise' interessant ist, daß die Logik der ökonomischen Rentabilität triumphiert. Befürworter wie Gegner teilen dieselbe Logik, in deren Rahmen die Debatte geführt wird. Es wird über die Höhe von Geldmitteln geredet, die Attraktivität - zuletzt die der Protesttage - in Besucherzählung quantifiziert, der Ausweg in rechtlichen Tüfteleien am Stiftungsgesetz gesucht.
Die deftige Politik der Gefühle, die Medien immer anspricht und immer mobilisiert, kam vom Altkanzler Schmidt. Seine "Museums-Heimat Hamburg", könnte die Wortspende gewesen sein, die alles entschied.
Das Museum und seine Befürworter hatte nicht so viel mehr als die üblichen Formeln, die aber den Nachteil haben, abgegriffen zu sein und nicht nur auf alle Museen, sondern im Prinzip auf alles und jedes anwendbar zu sein, was 'Kultur' sein soll.
Der Filter, durch den ich beobachten musste (hunderte Artikel in den wenigen Wochen des 'Aufruhrs'), war vielleicht zu dichtmaschig und ließ die Feinheiten lokaler Debatten nicht durch. Aber ich beobachte, daß Museen nicht gut vorbereitet sind, auf Verteilungskämpfe, die noch in einem Ausmaß kommen werden, wie man es sich jetzt kaum vorstellen mag. (Kleiner Blick zum Nachbarn: die neue Regierung Großbritanniens erwägt ernsthaft, den universitären Geisteswissenschaften alle staatliche Mittel zu streichen und eigenverantwortliche Refinanzierung anzustreben).
Der Umbruch, der vor sich geht (schnell, gewaltförmig, eskalierend) betrifft sicher nicht die Befindlichkeit einzelner kultureller Institutionen. Hinter dem seit Jahren als regierendes Prinzip der Politik durchgesetztem 'Sparzwang', verbirgt sich nicht, was das Wort Sparen eigentlich verspricht: Vorsorgen für die Zukunft. Sondern eine Umverteilung von Werten im Großmaßstab unter der Bedingung einer immer schneller eskalierenden Erosion des politischen.
Das trifft nun das Museum nicht bloß 'etatistisch'. Es trifft es, weil der öffentliche Diskurs, das vergesellschaftende Raisonement ein zentrales strukturelles Merkmal des Museums (seit seinen Anfängen…) ist. Das Museum verliert nicht nur Geld, es verliert die Möglichkeit, jene Öffentlichkeit mit herzustellen, in der allein noch gestritten und debattiert werden kann, ob es z.B. so etwas wie Museen überhaupt noch geben soll.
Deshalb ist interessant, daß sich die Öffentlichkeit formiert. In 'Altona', einer Webzeitung für den Stadtteil, lese ich: "Am 1. November werden interessierte Bürgerinnen und Bürger zu dem “Großen Volksratschlag” ab 19.00 Uhr ins Altonaer Theater geladen. Für die Initiatoren des Begehrens steht fest, es darf zunächst gefeiert werden. “Den Worten müssen jetzt entsprechende Taten folgen” ist die Forderung an die Öffentlichkeit. Der Garant des Erfolges lang in der Bereitschaft der Bürger, sich für die Kultur in dieser Stadt zu engagieren, stellen Aram Ockert, Elisabeth von Dücker und Peter Schwanewilms fest. Und man ist sich sicher: Hieran hat sich und wird sich auch für die Zukunft nichts ändern." Vielleicht ist es ja so, daß das Museum schon erkannt hat und daran arbeitet, daß diese Öffentlichkeit sich nicht nur 'vorm' Museum konstituiert, sondern mit dem Museum verwoben wird. Mir schiene das eine Gegenstrategie gegen nicht nur diese Krise: Gegenöffentlichkeiten, wo immer es nur geht, zu etablieren, wobei die Museen eine aktive Rolle spielen sollen und müssen.
Samstag, 30. Oktober 2010
Freitag, 29. Oktober 2010
Im Kinderhassermuseum (Texte im Museum 133)
Hier gilt es auch das Kleingedruckte zu lesen, die letzte Zeile. Was nicht alles ein Glück ist, daß es nicht etwa heißt Zutritt für Hunde und Kinder verboten... (Dank an Chr.W.) |
Donnerstag, 28. Oktober 2010
Gerettet! Gerettet?
Nach einem "Kulturgipfel" wird bekannt, daß das Altonaer Museum nicht (am Jahresende) geschlossen wird.
Auch andere Sparmaßnahmen im Kulturbereich wurden 'heruntergefahren'.
Wenn man das von Auszehrung schon gezeichnete Museum in Altona gesehen hat, kann man sich fragen, ob das allein das Museum 'retten' wird.
Zumal in dem Gespräch über dem Museum ein Damoklesschwert aufgehängt wurde: die gewünschte Einsparungssumme bleibt aufrecht, soll aber erst bis 2014 in Raten erbracht werden, allerdings von der gesamt Stiftung der historischen Museen. Es wird eine strukturelle Reform eingefordert, die im Falle des Altonaer Museums innerhalb sechs Monaten konzeptionell vorliegen soll.
Auch andere Sparmaßnahmen im Kulturbereich wurden 'heruntergefahren'.
Wenn man das von Auszehrung schon gezeichnete Museum in Altona gesehen hat, kann man sich fragen, ob das allein das Museum 'retten' wird.
Zumal in dem Gespräch über dem Museum ein Damoklesschwert aufgehängt wurde: die gewünschte Einsparungssumme bleibt aufrecht, soll aber erst bis 2014 in Raten erbracht werden, allerdings von der gesamt Stiftung der historischen Museen. Es wird eine strukturelle Reform eingefordert, die im Falle des Altonaer Museums innerhalb sechs Monaten konzeptionell vorliegen soll.
Sonntag, 24. Oktober 2010
Goldene Zeit mit bleiernem Hintergrund
Cornelis de Man: Walfangstation auf Amsterdam Island/Smeerenburg in der Nähe von Spitzbergen, 1639 |
Der Kaufmann der Ostindien Compagnie Jacob Mathieusen mit seiner Frau und einem Sklaven; c. 1640-1660 |
Henrik van Schuylenburg: Faktorey in Hugley. 1665. Hugley war eine Niederlassung der Ostindischen Compagnie in Bengalen und lag am Ganges. Die Ostindische Compagnie war damals das größte Handelsunternehmen der Welt. |
Die Überraschung ist der Auftakt, der dem ganzen einen Rahmen gibt und der daran erinnert, daß das Rijksmuseum nicht nur ein Kunstmuseum sondern auch ein nationales historisches Museum mit einer einschlägigen Sammlung ist.
Im Gestus eines Geschichtsmuseum wird in den ersten Räumen eine Skizze dessen gegeben, was das "Goldene Zeitalter" der Niederlande ausmachte:
die Seemacht, der Fernhandel, die Kolonisierung entlegenster Gebiete, die Unterwerfung oder Versklavung der dortigen Bevölkerungen, geschickte Bündnispolitik, die den Kleinstaat lange Zeit in prekärer Balance zwischen den Großmächten hielt, ein Regime der wohlhabenden (männlichen) Bürgerschaft, die jederzeit militant ihre Privilegien und ihren Status zu verteidigen bereit war aber und effizient zu ihrem Vorteil verwaltete.
Nirgends entwickeln die Ausstellungsmacher den Ehrgeiz, aus der Ansammlung von Trophäen und Dokumente eine Gegenerzählung gegen den nationalen Mythos des "golden" genannten Zeitalters zu machen. Aber die Exponate selbst mit ihrer knappen Beschriftung genügen, um einem etwas von der 'anderen Seite' der Macht sehen zu lassen.
Seestücke, als Memorabilia für gefallene Admiräle sind eben auch Dokumente eines Gemetzels unter Schiffen, bei denen alles auf dem Spiel stand; ein Bürgerporträt eines Funktionärs-Ehepaares der Handelsgesellschaft zeigt auch deren Leibsklaven; die minutiöse Schilderung einer kolonialen Siedlung zeigt diplomatische wie gewaltförmige Aspekte der Aufrechterhaltung der Macht und die Instrumentalisierung der Einheimischen für deren eigene Unterdrückung.
Die beispiellose Brutalität, mit der innere Konflikte ausgetragen wurden, wird in einem ebenso beispiellosen Gemälde dokumentiert, das die gefolterten, verstümmelten, ausgeweideten und aufgehängten Körper von Cornelius und Johan de Witt in einem beängstigend beklemmenden Nachtstück zeigt, mit demselben Realismus unbestechlich festgehalten, der die niederländische Malerei jener Zeit so berühmt macht.
Diese hoffnungsvolle Nachwuchskraft malte Bartholomeus van der Hulst 1642. Gerard Bicker wird in die damals mächtigste Familie Amsterdams geboren. Etwa Zehn Patrizierfamilien halten die Macht in der Stadt und in den Niederlanden. |
Obwohl dann, im Stockwerk darüber, die Hochkunst ganz bei sich sein darf und die Kunsthistoriker-Texte kaum über die Angaben über Lage des Horizonts, Strich des Pinsels oder Würdigung bestimmter Malweisen hinauskommen, verschiebt sich die Wahrnehmung dennoch. So manches Porträt ist dann eben nicht nur ein malerisches Glanzstück eines glanzvollen Malers, sondern das Dokument patriarchaler, auf Reichtum gegründeter Macht, des Luxus einer kleinen Kaste von Händlern und Geschäftsleuten, des Repräsentationsbedürfnisses von Männern und Männerbünden, deren Eitelkeit heute auch schon mal lächerlich wirken darf. Plötzlich kontrastieren die berühmten Interieurs als detaillierte Schilderungen eines ganz und gar weiblichen Haushaltes mit den offiziös-bombastischen Gruppenporträts.
Gerrit Adriansz Berckheydes Ansicht der Herrengracht - ein besispiellos sachlicher Blick auf eins der größten Immobilienprojekte des Goldenen Zeitalters und der Erweiterung Amsterdams |
Solche und andere Werke lassen sich mühelos doppelt lesen: als Dokumente der (Sozial)Geschichte wie der Geschichte ihrer absichtsvollen Repräsentation, aber auch als symptomatische Dokumente, die gleichermaßen ästhetisch faszinieren, wie überraschende Aufschlüsse vermitteln.
Der historische 'Vorspann' ist ganz selbstbewußt unter dem Titel "Weltmacht" zusammengefasst, dennoch betreibt er nicht nur die Affirmation einer historischen 'goldenen Zeit'. Jedes einzelne der Exponate läßt sich so oder so lesen. Der unglaublich kostbare Pokal, der dem siegreichen Admiral von der Stadt gestiftet wurde, ist nicht nur ein Zeugnis höchster Kunstfertigkeit, er macht auch deutlich, wie - buchstäblich - kostbar ein solcher Seesieg war. Das Gemälde, das das neue Rathaus zeigt, einen Bau von unglaublichem Volumen, entpuppt sich beim genaueren Studium des 'Gegenstücks' als Dokument der Transformation des Politischen. Das Gemälde des kleinen mittelalterlichen Rathauses, sichtlich vom Verfall gezeichnet, war mit seinen Arkaden (wie viele Rathäuser in jener Zeit in ganz Europa), Brennpunkt der städtischen Öffentlichkeit. Hier fanden Gerichtsverhandlungen statt - vor dem Volk, hier war die 'Börse' und hier war der Sitz der Verwaltung und des Bürgermeisters. Das bombastische neue Rathaus dagegen ist ein abweisendes Gehäuse für nichtöffentliches Verwalten und für elitistische Politik.
Willem van de Velde: Die Seeschlacht von Terheide, 1653. Die zwei Eckpfeiler des "Goldenen Zeitalters": Die Seestreitkräfte - die größten der damaligen Welt und die Ostindische Compagnie |
Das Wenige, was sich über das dann 'neue' Rijksmuseum derzeit erfahren läßt, protzt mit Quantitäten: Erweiterung der Ausstellungsflächen, auf denen etwa 7000 (!) Objekte gezeigt werden können; aber es wird auch angedeutet, daß die hier im überschaubaren Maßstab eines starken Dutzends von Räumen (wie angenehm, einmal in einer so 'handlichen' Ausstellung zu sehen) gezeigte Durchdringung von historischer und ästhetischer Perspektive beibehalten werden könnte. Die Ausstellung zeigt, wie mit sparsamsten Mitteln, das heißt mit Verzicht auf lange Texte und bemühte Pädagogisierung allein durch Wahl, Hängung und - knappste, gezielte - Betextung, vielfache Wechselbeziehung zwischen Werken und Deutungsmöglichkeiten entstehen können.
Wer tiefergehende Informationen sucht, wird auf der - technisch tadellosen - Webseite des Rijksmuseum und der Ausstellung fündig. Gleichsam aufeinandergestapelt, mit den einfachsten Informationen ganz 'oben', kann man sich gut in Historische oder Kunsthistorische Fragen einlesen, die hervorragenden und ausreichend großen Reproduktionen nutzen, diverse Register und die Suchfunktion zum Stöbern nutzen und last but not least Texte auch hören.
Bartholomeus van der Helst: Schützenmahlzeit zur Feier des Friedens von Münster, 1648. Dieser Frieden bedeutete die Anerkennung der politischen Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Niederlande. |
Samstag, 23. Oktober 2010
Die leere Mitte Berlins und die Sprachlosigkeit der Gesellschaft
Mit dem Beschluß, die 'Rekonstruktion' des Berliner Schlosses aufzuschieben, kommt offenbar nicht die Debatte über die Sinnhaftigkeit dieses Projekts zu Stillstand. Eine besonders scharfe Kritik übt der Schriftsteller Ingo Schulze in der Frankfurter Rundschau vom 22.10.2010 (hier).
Sein Kernsatz ist ein Argument, das sich auf die Unfähigkeit der Gestaltung als Unfähigkeit zur Formulierung einer gesellschaftlich vermittelten Idee bezieht: "Die Unsicherheit, welche Funktion die historische Mitte erhalten und wie sie dementsprechend gestaltet werden soll, hat ihren Grund auch darin, dass wir als Gesellschaft über Wachstumsbestrebungen hinaus kaum noch sagen können, was wir wollen."
Er wendet sich vor allem gegen die Behauptung, beim Schloß ginge es um eine Rekonstruktion. Was da geplant sei, se ein Surrogat, so fragwürdig, daß es durch kein auch noch so gutes Konzept zu retten sei. Das "Imitat" Schloß sei so ziemlich das Gegenteil dessen, was es seinen Befürwortern nach sein soll: "Wer die Schlossattrappe als Reaktion auf die Geschichtsvergessenheit der Moderne sieht, als Kompensation globaler Gleichförmigkeit, übersieht bewusst oder unbewusst, dass es gerade hier um Geschichtsvergessenheit und das Aufgeben des Eigenen geht.
Was hat das Selbstverständnis einer föderalen Republik mit dem Bau der Attrappe eines preußisch-deutschen Königs- bzw. Kaiserschlosses zu tun? Leben wir im Zeitalter der Restauration?"
Das Beste am langen Artikel ist ein langes Zitat von Franz Fühmann, das mehr als eine Breitseite gegen die Schlosspläne ist, sondern eine Kritik an Musealisierung generell als Surrogatkultur. "„Der Höllenbezirk der Surrogate: ... der Bürger, der zum Adel aufschaut und sich sehnt, dessengleichen zu werden (...) will, da Grund und Boden mobil wird, das Rittergut nicht nur als Produktionsmittel, sondern auch als seine Standeserhöhung durch den konkreten historischen Ort. Sein Geld, das alles zu können scheint, zielt auf das verbürgt wahre Alte samt Chronik und Ahnengalerie und Hausspuk, doch das verkaufte Schloß ist das Schloß schon nicht mehr, wiewohl es das alte Gemäuer ist. – Die Gespenster verschwinden als erste. –
Und dann war auch das alte Gemäuer nicht mehr, sein Stein wurde Staub, seine Balken wurden Rauch, doch das Schloß ist getreu wieder aufgebaut, Zierde des Naherholungsgebietes, und wir nennen es anheimelnd, was unheimlich ist (...) doch viel unheimlicher, ein anderes Unheimlich, ist die Bereitwilligkeit der das Bürgertum ablösenden Gesellschaft, die Attrappe als das Echte zu nehmen und, weiterhin Altes beharrlich tilgend, keine Mühen für einen Schein zu scheuen, dem das Sein so demonstrativ mangelt. – Was geht da vor? – Darf ich niederzuschreiben wagen, dass mich vor diesen Fassaden schaudert, die ohne einen alten Stein uns den Fortbestand des Alten heucheln? – Surrogate eines Surrogats. (...) Diese Attrappen sind ein grauenvoller Spiegel unseres Mangels an Eigensinn. – Sie sehen gut aus, wir belügen uns selbst. – Wir täuschen Tradition vor, die wir nicht haben, denn es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man sie sich linienweise aussuchen kann. Was juridisch vom Erbe gilt, gilt auch historisch: Man hat es ganz, oder man hat es gar nicht, das jeweils Passende gibt es da nicht, und am wenigsten das so gierig Begehrte: ein Widerspruchloses von gestern als Ahnherr des Widerspruchlosen von heute und morgen.“
Sein Kernsatz ist ein Argument, das sich auf die Unfähigkeit der Gestaltung als Unfähigkeit zur Formulierung einer gesellschaftlich vermittelten Idee bezieht: "Die Unsicherheit, welche Funktion die historische Mitte erhalten und wie sie dementsprechend gestaltet werden soll, hat ihren Grund auch darin, dass wir als Gesellschaft über Wachstumsbestrebungen hinaus kaum noch sagen können, was wir wollen."
Er wendet sich vor allem gegen die Behauptung, beim Schloß ginge es um eine Rekonstruktion. Was da geplant sei, se ein Surrogat, so fragwürdig, daß es durch kein auch noch so gutes Konzept zu retten sei. Das "Imitat" Schloß sei so ziemlich das Gegenteil dessen, was es seinen Befürwortern nach sein soll: "Wer die Schlossattrappe als Reaktion auf die Geschichtsvergessenheit der Moderne sieht, als Kompensation globaler Gleichförmigkeit, übersieht bewusst oder unbewusst, dass es gerade hier um Geschichtsvergessenheit und das Aufgeben des Eigenen geht.
Was hat das Selbstverständnis einer föderalen Republik mit dem Bau der Attrappe eines preußisch-deutschen Königs- bzw. Kaiserschlosses zu tun? Leben wir im Zeitalter der Restauration?"
Das Beste am langen Artikel ist ein langes Zitat von Franz Fühmann, das mehr als eine Breitseite gegen die Schlosspläne ist, sondern eine Kritik an Musealisierung generell als Surrogatkultur. "„Der Höllenbezirk der Surrogate: ... der Bürger, der zum Adel aufschaut und sich sehnt, dessengleichen zu werden (...) will, da Grund und Boden mobil wird, das Rittergut nicht nur als Produktionsmittel, sondern auch als seine Standeserhöhung durch den konkreten historischen Ort. Sein Geld, das alles zu können scheint, zielt auf das verbürgt wahre Alte samt Chronik und Ahnengalerie und Hausspuk, doch das verkaufte Schloß ist das Schloß schon nicht mehr, wiewohl es das alte Gemäuer ist. – Die Gespenster verschwinden als erste. –
Und dann war auch das alte Gemäuer nicht mehr, sein Stein wurde Staub, seine Balken wurden Rauch, doch das Schloß ist getreu wieder aufgebaut, Zierde des Naherholungsgebietes, und wir nennen es anheimelnd, was unheimlich ist (...) doch viel unheimlicher, ein anderes Unheimlich, ist die Bereitwilligkeit der das Bürgertum ablösenden Gesellschaft, die Attrappe als das Echte zu nehmen und, weiterhin Altes beharrlich tilgend, keine Mühen für einen Schein zu scheuen, dem das Sein so demonstrativ mangelt. – Was geht da vor? – Darf ich niederzuschreiben wagen, dass mich vor diesen Fassaden schaudert, die ohne einen alten Stein uns den Fortbestand des Alten heucheln? – Surrogate eines Surrogats. (...) Diese Attrappen sind ein grauenvoller Spiegel unseres Mangels an Eigensinn. – Sie sehen gut aus, wir belügen uns selbst. – Wir täuschen Tradition vor, die wir nicht haben, denn es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man sie sich linienweise aussuchen kann. Was juridisch vom Erbe gilt, gilt auch historisch: Man hat es ganz, oder man hat es gar nicht, das jeweils Passende gibt es da nicht, und am wenigsten das so gierig Begehrte: ein Widerspruchloses von gestern als Ahnherr des Widerspruchlosen von heute und morgen.“
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