Freitag, 23. Juli 2010

Ordnung muß sein! (Texte im Museum 77)


Besucherordnung der Staatlichen Museen Dresden (2010)

Das Museum kann viel mehr! Aus der Reihe "Große Direktoren sprechen (nicht) über die Museumskrise."

"Was leistet das Museum heute für die gesellschaftliche Debatte?
Die offizielle Meinung dazu ist: Wir sind eine Institution, die sammelt, forscht und bewahrt. Aber die Wahrheit ist doch: Das Museum kann viel mehr! Im Museum sieht man nur die schönen Seiten des Lebens, da stimmt doch irgendwas nicht. Das Museum ist eine soziale Kohäsionseinrichtung. Wenn die Museen mal den Mut hätten, sich richtig auf die Bevölkerung mit all ihren Sorgen einzulassen, die Leute wirklich dort abzuholen, wo sie stehen, keine Angst mehr hätten, sich mit Alltagsthemen auch in die Niederungen zu begeben! Wir haben hier so viel Material, um Welten zu erklären, politische Zusammenhänge herzustellen - und trauen uns nicht ran. Das Museum als zutiefst soziale Einrichtung, das nimmt heute keiner ernst. Asche auf mein Haupt."
So spricht der Generaldirektor der Staatlichen Museen in Dresden, Martin Roth, in ART, 4/2010, dem eine Sonderbeilage zu 450 Jahre staatliche Kunstsammlungen Dresden beigefügt ist. Recht hat er. Warum beschäftigt sich kaum ein Museum mit der Gegenwart, mit dem Alltag, mit den aktuellen, drängenden, umkämpften Fragen. Und ja, das Museum hätte 'Material' für solche Debatten und auch Methoden jenseits des nur Ausstellens, Debatten anzustoßen, zu führen, mit seinen genuinen Mitteln zu visaulisieren und argumentieren. Und abermals ja, das Museum ist eine soziale Einrichtung, eine deren Qualität sich aber nicht darin erschöpft, Publikum anzuwerben und zu zählen, sondern die im und mit der dem Museum impliziten zivilisatorischen und öffentlichen Funktion arbeiten müsste. Und noch einmal ein großes Ja, traut Euch was! Wieso ist das Museum so kleinlaut, so irrelevant im öffentlichen Diskurs, an dem sich doch alle anderen kulturellen Einrichtungen beteiligen? Und auch ja: da stimmt was nicht! Aber was? Und auch ja: Asche aufs Haupt, Herr Roth, denn ihre Museumspolitik ist vom Gegenteil dessen gekennzeichnet, was Sie verkünden.

Abb.: Wolfgang Mattheuer: Sisyphos behaut den Stein. 1974. Derzeit zu sehen in der Jubiläumsausstellung der Staatlichen Museen Dresden Zukunft seit 1560

Warum...? (Texte im Museum 76)



Stadtmuseum Dresden (2010 Foto:GF)

Wally zurück! Alles gut?

Die Leopold Stiftung hat einen 'Vergleich' geschlossen. Sie zahlt viel Geld und behält das Bild. Neunzehn Millionen Dollar. Für das Bild, das in New York beschlagnahmt wurde, weil man es für Raubkunst hielt. Das Bild "Wally".

In 1911, Schiele met the seventeen-year-old Valerie (Wally) Neuzil, who lived with him in Vienna and served as model for some of his most striking paintings. Very little is known of her, except that she had previously modelled for Gustav Klimt and might have been one of his mistresses.The year 1915 marked a turning-point in Schiele's life. Some time in the previous year he had met two middleclass girls who lived opposite his studio. Edith and Adéle harms were the daughters of a master locksmith. Schiele was attracted to both of them, but eventually fixed his sights on Edith; by April 1915 he was engaged to her, and Wally Neuzil was rather cold-bloodedly dismissed. Schiele's last meeting with Wally took place at their 'local', the Café Eichberger, where he played billiards nearly every day. He handed her a letter in which he proposed that, despite their parting, they take a holiday together every summer - without Edith. Not surprisingly, Wally refused. She joined the Red Cross as a nurse and died of scarlet fever in a military hospital near Split in Dalmatia just before Christmas 1917. 
(Bild & Zitat hier)

Wie die FAZ berichtet, soll das Bild "vor seiner Rückführung nach Wien im New Yorker „Jewish Heritage Museum“ als „Erinnerung an Standhaftigkeit und Wille von Opfern und Überlebenden des Holocaust“ kurz ausgestellt werden. Auch auf seine Herkunft muss fortan in Wien hingewiesen werden: „Die wahre Geschichte des Bildes“, so die Anwälte, „wird nun kommenden Generationen erzählt.“
Schon zuvor wurden die ersten Beschlüsse der "Leopold Rückgabe Kommission" bekannt (hier im Wortlaut). Das ist erst der Beginn einer Aufarbeitung der Sammlung. Sie wird sich wohl zügiger vollziehen und schneller praktische Ergebnisse bewirken, seit der Sohn des Sammlers Leopold in einem Gespräch im ORF eine Haltungsänderung hat erkennen lassen.
Wie wenig damit, nicht nur in Bezug auf die Sammlung Leopold, "erledigt" ist, wird an einem Artikel in der heutigen NZZ deutlich, der eine kaum beachtete Entwicklung thematisiert. Die "Privatisierung der Restitution". Stephan Tempel (hier) macht auf eine Doppelgleisigkeit der Aufarbeitung aufmerksam, auf das Nebeneinander von staatlicher Aufarbeitung und - kostspieliger - privater.
Sein Kernsatz: "Dieser Konflikt zwischen öffentlichem Engagement und privatem Profit kennzeichnet weite Teile der Rückstellungswirklichkeit. Da gibt es auf der einen Seite die meist nur mit sogenannten Werkverträgen ausgestatteten Rechercheure, die systematisch und präzise die öffentlichen Sammlungen durchforsten. Die Auffindung von Rückstellungsberechtigten betreibt der Staat jedoch nicht selbst. Diese Arbeit überlässt er Genealogen und Anwälten, die sich vertraglich exorbitante Erfolgshonorare bei erfolgter Rückstellung sichern. Das ist jedoch nach österreichischem Recht verboten, denn hier ist das Anwaltshonorar über eine genaue Tarifordnung geregelt."
In diesem Sinn kritisiert die Israelitische Kultusgemeinde (hier), die Fortsetzung einer Praxis des Vergleichs und der Absprachen: "Restitution" sei "- auch im Sinne des Kunstrückgabegesetzes - die entgeltfreie Rückgabe von Kunstwerken bedenklicher Provenienz und kein 'dealmaking'".

Samstag, 17. Juli 2010

Bilanz (Texte im Museum 75)





Ganghofer-Museum Leutasch

Fundsache: "Hat Saussure den Gipfel des Mont Blanc nicht nur bestiegen, sondern auch geklaut?"









Man kann es drehen und wenden wie man will, was da auf dem Kärtchen mit der Objektbeschriftung steht, kann man nicht anders übersetzen als: Gipfelchen (topje ist das Diminutiv von top = Gipfel, und kann auch mit Zipfelchen übersetzt werden), vom Mont blanc 1787 abgehackt (oder: abgebrochen) von De Saussure.
Und dann sieht dieser im Teylers Museum in Haarlem ausgestellte Stein auch noch so aus, als wäre er die Spitze...
Der Schweizer Naturforscher Horace Bénédicte de Saussure hatte, im Alter von 20 Jahren, 1760 einen Preis für die erste Besteigung des höchsten Berges der Alpen, des Mont Blanc, ausgesetzt. Mit 47, nach mehreren vergeblichen Versuchen, wird er selbst auf dem Gipfel des Mont Blanc stehen, nur ein Jahr, nachdem der Berg erstmals erstiegen wurde. Es war dies die erst dritte dokumentierte Ersteigung des Gipfels.

Das Teylers Museum (hier gehts zur wunderschönen Webseite dieses wunderbaren Museums) hatte eine eignene Mont-Blanc Sammlung mit einem 1799 erworbenen Relief des Gebirges. 1802 erwarb man von Saussures Sohn diesen Stein. Saussure hatte angenommen, daß auf dem höchsten Berg auch das älteste Gestein zu finden sein müsse und deshalb brach er ein Stück - tja - vom Gipfel ab.

 

Freitag, 16. Juli 2010

Das Museum gegen das Vergessen... (Texte im Museum 74)


Ganghofer-Museum, Leutasch (Tirol)

Haus der Kunst? Haus der Geschichte?

Vor kurzem wurde ein architektonisches Projekt zur Erweiterung des Künstlerhauses in Wien vorgestellt. Diesem Projekt liegt eine paradoxe Situation zugrunde: um das Haus betriebswirtschaftlich rentabel erhalten zu können, soll es erweitert werden. Erst unter diesen Bedingungen kann es der Eigentümer, die Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, weiter betreiben. Nur gibt es keine konkrete Idee, was dort auf Dauer ausgestellt werden soll. Für das nahe WienMuseum, das das Künstlerhaus des öfteren für Ausstellungen genutzt hat, kommt es offenbar nicht in Frage.
Obwohl diese Nutzung durch den Verein ausgeschlossen wird, kommt in einem Bericht des Standard auch das Haus der Geschichte (Republikmuseum) vor. Dort wird die Vermutung mit dem Hinweis garniert, daß seit März 2009 eine Konzept-Studie vorliegt, die aber nicht veröffentlicht wurde.
Man kann annehmen, daß das für die Bundesmuseen zuständigen Ministerium deswegen nicht initiativ wird, weil ohnehin kaum die Mittel vorhanden sind, um die notwendigsten Maßnahmen in den vorhandenen Museen zu finanzieren.
Vielleicht ahnt man aber auch, daß bei Veröffentlichung des Konzepts erneut eine Kontroverse um Standort und Inhalt losbricht, die das Projekt schon bisher paralysiert hat. Denn anders als die Auftraggeber möglicherweise glauben, löst die Vergabe einer Studie an eine Expertin nicht das Problem, sondern verschiebt es auf den Zeitpunkt der ihrer Veröffentlichung. Denn Experte oder Expertin wofür? Der Stoff des Museums, die österreichische Zeitgeschichte, ist kontrovers. Es gibt keine Expertise, die von einem Punkt 'außerhalb' eine Entscheidung treffen kann. Das ist auch gar nicht wünschenswert. Es liegt in der Sache, daß sie kontrovers ist und weiter kontrovers debattiert werden muß.
Für eine antagonistische Debatte ist aber ein Museum an sich ohnehin der denkbar schlechteste Ort und deshalb hat die Idee, ein Haus der Geschichte oder ein Republikmuseum einzurichten, von Anfang an einen Webfehler.

Andacht. Nicht Kunst (Texte im Museum 73)



Tiroler Kaiserjägermuseum, Innsbruck (Bergisel)

Sonntag, 11. Juli 2010

Das Museum: eine europäische Idee mit globalem Echo (Was ist ein Museum? 08)

Die Behauptung (im letzten Post zu "Was ist ein Museum?"), die Museumsgründungen der Französischen Revolution hätten eine tiefgreifende Bedeutungsänderung dessen bewirkt hat, was das Wort Museum ab dieser Zeit bezeichnet, ist in dieser Zuspitzung eine sehr persönliche Sicht der Dinge. Mit der stehe ich aber nicht alleine da und in  der sehr langen Beschäftigung mit dem Thema ist meine Überzeugung gewachsen und haben sich die Argumente vermehrt, die die Jahre 1792 bis 1794 als tatsächliche Zäsur erscheinen lassen.

Aber die Museumsgeschichtsschreibung bevorzugt, namentlich die des Louvre, eher eine Darstellung als Kontinuität. Demnach wären die Jahre, in denen der Französische König, auf Druck der Öffentlichkeit, einen Teil seiner Gemäldesammlung zeigte, der erste Baustein zum Museum im Louvre gewesen, aus dem sich die spätere Gründung eines Museums im Louvre gleichsam zwingend und organisch entwickelt hätte. Wer die große historische Ausstellung zur Geschichte im Louvre selbst besucht, die dem Bau und dem Museum gewidmet ist, der wird kaum erkennen, daß da so etwas wie eine Revolution überhaupt stattgefunden hat und auch nicht, wie sehr sie die Museumsgründung im Louvre und die Idee des Museums generell beeinflusst hat.
Gerade weil es keine kontinuierliche und zielstrebige königliche Politik zur Etablierung eines öffentlichen Museums gab, und Paris keine anderen europäischen Metropolen vergleichbare Institution besaß, wurde die Museumsgründung vom 10. August 1793 (dem Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien) zum revolutionären politischen Akt und das Gegenteil einer bloßen Weiterführung königlicher Initiative. Ganz im Gegenteil: es war ein der vielen symbolischen Akte, die zur Gründung der Republik gehörten und wer die Galerie d'Apollon betritt, findet über dem Eingang die Inschrift, die die Museumsgründung als Initiative des Parlaments des Jahres II würdigt.

Das Neue und Bahnbrechende der Gründung spiegelt sich unter anderem in einer paradoxen Reaktion auf den Bilderraub der Revolution. Die militärische Expansion der Französischen Armee wurde von Experten begleitet, die aus bedeutenden Sammlungen wertvollste Kunstwerke nach Paris bringen ließen. Eine der unglaublichsten Aktionen war wohl die Demontage der antiken Quadriga von San Marco in Venedig und ihr Transport nach Paris. Während dieses einzigartige Objekt bald wieder restituiert wurde, blieben viele andere Werke (bis heute) in den Sammlungen des Louvre. Dennoch war der Louvre sofort ein Magnet für die Bildungsschicht vieler europäischer Staaten, die dieses neuartige Museum bewunderten und seinen Ruhm literarisch verbreiteten. Wie rasch das ging, und wie bedeutend man das und andere Pariser Museen einschätzte, kann man z.B. an ungewöhnlich umfangreichen Lexikonartikeln ablesen, die bald nach der Gründung des Musée Napoleon im Louvre ediert wurden. Lexika, mit denen ein Wissen ja kanonisiert und verbindlich wird, waren aber natürlich das einzige Echo. Von Wilhelm von Humboldt sind erstaunte und analytische Zeilen z.B. zum Musée des Monuments Française erhalten. Daß beim Museum, das für die Königliche Sammlung in Berlin errichtet wurde (1830 eröffnet; heute: Altes Museum), Erfahrungen der Französischen Gründungen verarbeitet wurden, ist evident. Vorsitzender der Kommission, die das Konzept entwickelte war - Wilhelm von Humboldt.

Doch der Einfluss auf die europäische Entwicklung war auch sehr direkt. In den von Frankreich annektierten Gebieten wurden nicht einfach nur Galerien und Sammlungen geplündert, um damit den Louvre zu bereichern, sondern es wurden auch Museen gegründet und entwickelt, bzw. unmittelbar - von der politischen Entwicklung getragen - beeinflusst und inspiriert. Darunter sind illustre Museen, wie der (als Naturmuseum errichtete) Prado in Madrid, die Accademia in Venedig, die Brera in Mailand, das Rijksmuseum in Amsterdam, das Kunstmuseum in Brüssel. Gelegentlich ging der Bildtransfer auch den entgegengesetzten Weg. 36 Gemälde, die aus dem Louvre nach Mainz geschickt wurden, bildeten 1803 den Grundstock für eine Museumsgründung.

Noch breiter war der indirekte Einfluss. Daß Museen so etwas wie einen Staatsnutzen haben können - etwa in der Förderung der verschiedenen Wissenschaften -, das galt schon für vereinzelte Gründungen aufgeklärter Fürsten, aber das Hinzutreten einer kollektiven identifikatorischen Aufgabe, im Sinne der Stiftung eines Landes- oder gar Nationalbewusstseins, das ist neu. Neu ist auch, die Sphäre der Öffentlichkeit, die den Resonanzraum des Museums bildete, idealerweise als nicht begrenzt anzusehen. Mit anderen Worten: Die Nutzung des Museums als Recht für jedermann zu deklarieren. Das war aber nicht das Ziel des Museums, sondern die Bedingung, sich als Staatsbürger zu bilden, nicht zuletzt im Interesse des Staates selbst. Dieses Ziel stand im Zentrum der Konzeption, des 1830 eröffneten Museums am Lustgarten in Berlin. Der Anlass zu seiner Entstehung war die feierliche Rückführung der in der napoleonischen Zeit geraubten Kunstwerke von Paris nach Berlin. Das lässt Museumsprojekt einerseits als so etwas wie ein gegenrevolutionäres Projekt erscheinen, aber andrerseits ist es als Ort der Humanisierung der Nation vermittels der Humanisierung seiner Bürger (Hermann Lübbe) tief den Pariser Gründungen verpflichtet.

Das Museum ist in dieser Hinsicht ein europäisches Modell. In der Zeit zwischen etwa 1770 bis 1830 setzt sich eine moderne Idee des Museums durch, die nicht nur bis heute (oft subkutan, fragmentarisch, mißverstanden, entstellt, aber doch nachhaltig) unsere Vorstellung vom Museum bestimmt, sondern die auch eine weltweite Erfolgsgeschichte wird. Dieses Modell unterscheidet sich von allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns und Hortens, Ausstellend und Schaustellens. Keine andere Kultur hat je die - durchaus merkwürdige - Vorstellung ausgebildet, Objekte auf unbestimmte Dauer zum Zweck der Betrachtung aufzuheben und auszustellen.
Aber in dieser Idee bleibt - und das macht das Museum der Moderne noch einmal zu einem genuin europäischen Projekt - eine Idee lebendig, die damals als ebenfalls einzigartig, die antike griechische Kultur im 8. Jahrhundert vor Christus hervorgebracht hat: die Idee einer kollektiven Erinnerungs- und Erzählinstanz - die Musen und das Museion.

Die Verbreitung dieser Idee in der Französischen Revolution erfolgt 'sofort' in allen Weltgegenden noch in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Unser "neuntältestes Museum" in Kalkutta gehört hierher ebenso wie die Gründungen der unabhängigen Staaten von Amerika, die ersten Museum in Australien, Südamerika und Afrika. Daß es dabei eine quantitative Differenz der Entwicklung gibt ist evident. Sie hat aber weniger geografische oder kulturelle Gründe, sondern der wichtigste Indikator für den quantitativen Entwicklungsstand und die spezifische nationale Bedeutung von Museen, hängt eng mit dem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen. Das gilt für unterschiedliche Museumstypen unterschiedlich stark und ist - dazu existieren gute Statistiken -, am extremsten bei Museen moderner bzw. zeitgenössischer Kunst. Sie wurden und überwiegend in den hochentwickeltsten Regionen industriell potenter Staaten errichtet, Kanada, Japan, USA, Europa. Zur Illustration dieser Behauptung kann man auf den eben anlaufenden Boom von Museumsgründungen in China verweisen, der ganz offenbar mit der wirtschaftlichen Entwicklung eng zusammenhängt. 1000 Museen sollen in nur 10 Jahren errichtet werden!

Wenn ich die Rolle der Museumsgründungen in der Französischen Revolution so nachdrücklich betont habe, dann bedeutet das nicht, das damit ein umfassender Bruch vollzogen worden wäre und ab dieser Zeit nur ein einziges Modell Geltung hätte. Auch hier gibt es eine Dialektik von Kontinuität und Bruch. Einerseits gibt es Elemente früherer Entwicklungen, die im neuen Museumsmodell tradiert werden, umgeformt, neu codiert, in neuen Konfigurationen neue Bedeutung erhaltend. Andrerseits existieren ältere Formen des Sammelns, Ausstellend weiter, und das Nebeneinander sehr heterogener Formen, das gilt bis heute. Die strikt private, extrem exklusive Sammlung steht neben dem öffentlichen Schaumuseum, das Wissenschaftsmuseum mit seinen Forschungsobjekten neben der fürstlich-repräsentativen Sammlung (z.B. des englischen Königshauses), das Vereinsmuseum neben der Kunsthalle des Großkonzerns.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Sieh! (Museumsphysiognomien 7)



Ein trüber Tag am Bodensee, eine rotige Eisenplatte mit rechteckigem Ausschnitt, ein Text. Schau! Sieh! Aber was? Die Platte ist ein Wahrnehmungspaasepartout, wohin sie den Blick lenkt, ob sie überhaupt einen bestimmten Punkt anvisiert, ist unklar. Es geht wohl eher um den Bodensee. Er ist das Gemeinsame der Identität. Wessen? Der Bodenseeländer. Hm.
Sehenswürdigkeit entsteht mit dem Massentourismus. Das bahnbrechende englische Reiseunternehmen Thomas Cook erfand die Standardisierung der Reise, ihrer Ziele, der aufgesuchten Orte, der Monumente, der Wege und der Zeit. Was würdig ist, angesehen zu werden, besichtigt zu werden, unterliegt nicht mehr individueller Neigung, Zufall, Ratschlägen, sondern einer vorgängigen Festlegung, die die Notwendigeit der Würdigung und den Wert der Sache schon stillschweigend voraussetzt.
Das kann auch in ebenso standardisierten Bildern, den Drei Zinnen, dem Niagarfall, dem schiefen Turm von Pisa, reproduziert, erwartbar und wiederholbar gemacht werden.
Auch der Blick auf den Bodensee ist vorgestanzt, in Eisen. Aber da es nicht wirklich etwas Erkennbares zu sehen gibt, die Wasserfläche, ein Stück Uferlinie, geht es hier um Performanz. Der Bodensee stiftet Identität. Das sollst Du 'sehen', eine Behauptung, anonym und autoritär, aber es ist Dein Blick.
Es geht hier zu wie im Museum: was Du siehst ist a) wahr b) beständig c) wert, gesehen zu werden. Soviel steht fest. Darüber musst Du nicht mehr nachdenken. So etwas nennt man auch: Musealisierung.
Der (die) Autor(en) des Textes sind sich der Überzeugungskraft seiner Performativität nicht sicher gewesen; wie wäre anders das unsinnige "gemeinsame" vor die "Identität" geraten. Also obacht, vor allen, die das Wort Identität als Beschwörungsformel in den Mund nehmen!

Die nicht gewürdigten Verdienste des Rudolf Leopold

Die Nachrufe auf den Sammler Rudolf Leopold in den österreichischen Zeitungen und in der internationalen Presse halten sich an das Gesetz, über Tote nichts Schlechtes zu sagen. Kritik wird in Watte verpackt, zwischen den Zeilen versteckt. Im übrigen bedient man sich meist der von den Nachrichtenagenturen vorgestanzten Textbausteine. Wirklich Neues oder Überraschendes liest man nirgends.
Zwei 'Verdienste' Rudolf Leopolds habe ich nirgends erwähnt gefunden. Es sind Verdienste, die er nicht absichtsvoll erworben hat, sondern die Effekte seiner Interessen und Handlungen waren.

Da ist zum einen das sogenannte "Museumsquartier". Der dazu seinerzeit ausgeschriebene Wettbewerb brachte ein Siegerprojekt hervor, das allgemein sehr wohlwollend, wenn nicht enthusiastisch begrüßt wurde. Städtebaulich wurde es als offensive und sebstbewußte Auseinandersetzung mit der historischen monumentalen Bebauung der Nachbarschaft gewürdigt, architektonisch als Ensemble kontrastierender Module, die flexibel nutzbare öffentliche Räume definierte, inhaltlich als Aufbruch in eine nicht mehr herkömmlicher Musealität gehorchender Repräsentanz aller modernen Künste und Medien.
Der Widerstand der Kronen-Zeitung, die Mobilisierung von Ressentiments gegen moderne Architektur und moderne Kunst hatte zur Folge, daß es eine langes und unerfreuliches Gezerre um die Bebauung gab und der preisgekrönte Plan mehrfach verändert wurde.
Der definitive Bruch in der Konzeption des Ganzen war nicht die medial sehr stark wahrgenommene Verhinderung der Errichtung des Bibliotheksturmes, sondern die Entscheidung des damals zuständigen Ministers Erhard Busek, die Sammlung Leopold anzukaufen und dem Privatsammler auf Staatskosten ein Museum im Museumsquartier zu errichten. Wer erinnert sich noch an die austro-patriotische Rechtfertigung dieser überraschenden Wende durch Minister Busek? Wer erinnert sich noch an die unsägliche Begutachtung der Sammlung? Wer erinnert sich noch daran, daß der Ankauf erfolgte, ohne daß die Öffentlichkeit erfuhr, woraus diese Sammlung eigentlich bestand? Und vor allem, wer erinnert sich noch daran, daß aus dem großen avantgardistischen Museumsprojekt ein nur noch in Maßen modernes, zaghaftes Pasticcio eher zufällig und nach und nach gefundener und nachgebesserter Funktionen und Inhalte wurde? Es war Erhard Busek, der der Einrichtung einer Stiftung zustimmte und - mit großen Konsequenzen -, die Einsetzung des Sammlers als Direktor des Museums auf Lebenszeit ermöglichte. Ohne diese Regelung, auf deren Fragwürdigkeit als einzige Zeitung bisher - heute - die Neue Zürcher Zeitung hinweist, gäbe es kein Restitutionsproblem Leopold-Museum.

Aber der Satz, "ohne Rudolf Leopold gäbe es kein Restitutionsproblem", hat noch eine zweite Bedeutung. Die Beschlagnahme zweier Gemälde der Sammlung Leopold in New York, brachte eine Lawine ins Rollen. Erst dadurch wurde einer breiten Öffentlichkeit bewusst, daß in Museen (nicht nur in Österreichischen) hunderte, tausende von Objekten als rechtmäßiger Besitz ausgestellt oder deponiert waren (und sind), die im Zuge der 'Arisierung' der NS-Zeit oder durch andere rechtsbrüchige oder sittenwidrige Umstände in Museumsbesitz gelangt waren. Ohne diese Beschlagnahme in New York hätten sich Öffentlichkeit, Medien, Wissenschafter und Politik nicht mit der Tatsache konfrontiert gesehen, daß nach 1945 mit der widerrechtlichen Aneignung von jüdischem Besitz neuerlich jenseits oder am Rande der Legalität umgegangen worden war, die Interessen und Ansprüche der Beraubten missachtet oder negiert wurden und das museale kulturelle Erbe der Museen in nicht unwesentlichen Teilen - etwa Teile der Klimt-Sammlung des Belvedere -, 'Raubkunst' war.
Wenn die beiden in der Ausstellung Egon Schiele. The Leopold Collection Vienna im Museum of Modern Art New York, Wally und Tote Stadt III, nicht 1998 beschlagnahmt worden wären, wäre in Österreich nie eine Raubkunstdebatte entstanden, die weit über diesen einzelnen Fall und weit über die umstrittene Ankaufspolitik von Rudolf Leopold hinaus zur Beschäftigung mit der ganzen und komplexen Geschichte der Kunstpolitik der NS-Zeit, auch über Österreich hinaus, führte. Ohne die durch einen Artikel der New York Times ausgelösten Beschlagnahme, hätte es kein Restitutionsgesetz in Österreich gegeben, keine Provenienzforschung und auch keine dann vorbildliche Restitutionspolitik einzelner Museen.

So viel zu den 'Verdiensten' von Rudolf Leopold.

PS.: Die Medien rühmen besonders ein Verdienst Rudolf Leopolds: daß er die Bedeutung der Kunst Egon Schieles als erster erkannt hat. Das Argument wird oft mit dem Hinweis auf die Wertsteigerung von Schiele-Werken verknüpft. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß einige der Schiele-Werke in der Sammlung Leopold im Verdacht stehen unrechtmäßig jüdischen Besitzern geraubt oder abgepresst worden zu sein, Sammler, die offenbar die Werke Schieles lange vor Leopold sehr geschätzt haben.


Die Abbildungen stammen von einer Protestaktion der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von 2008

Mittwoch, 30. Juni 2010

Ausschluss / Einschluss (Texte im Museum 71)


Kunsthaus Graz

Private View (Museumsphysiognomien 6)


Das ist eine Eintrittskarte für eine Sammlung. Sie wurde nicht verwendet, das Datum, das auf dem Vordruck mit der Hand hätte eingetragen werden sollen fehlt. Bis auf die Jahreszahl: 1774. Gleichzeitig ist sie eine Art Hausordnung mit einer Reihe von Regeln: Gültigkeitsdauer, Besuchszeit, und Besucheranzahl. Vier Personen, das galt für einen Tag.
Eine ebenfalls erhaltene detailliertere Anweisung ist in diesem Punkt penibler. Erschienen mehr als vier Personen, wurde die ganze Gruppe abgewiesen. Das konnte auch geschehen, wenn eine Gruppe nicht vollzählig erschien und sich die abwesende Person nicht rechtzeitig entschuldigen hatte lassen. Man mußte sich schriftlich voranmelden. Man konnte die Sammlung nur zur angegebenen Zeit und nur von Mai bis Oktober besuchen. An der restriktiven Regelung scheint sich lange Zeit nichts geändert zu haben. Ein grafisch aufwendig gestaltetes Ticket von 1842 gestattet Mr. Thomas and 5 friends einen Private View.
Horace Walpole ist der Urheber dieser Regeln, vierter Earl of Oxford, Schriftsteller, Autor eines einflussreichen Werkes über Modern Gardening und Bauherr eine gotischen Schlosses, das er aus einem Anwesen namens Strawberry Hill entwickeln ließ (zwischen 1749 und 1776) und das auch Aufbewahrungs- und Ausstellungsort einer - teils von seinem Vater geerbten Sammlung und Bibliothek - wurde. Unter den genannten Bedingungen durfte man seine Sammlung besichtigen.
Solche Regulierungen für die Besichtigung gibt es seit es private Sammlungen gibt. Ihr Eigentümer konnte nach Gutdünken Regeln aufstellen, bestimmte Gruppen ausschließen - wie Walpole zum Beispiel Kinder -, oder überhaupt niemanden zulassen. Man kann annehmen, daß allein durch das Procedere im Verein mit dem Status des Eigentümers viele Menschen gar nie auf die Idee kamen, je Besucher des Landsitzes zu werden. Sozialer Ausschluß muß nicht immer explizit geregelt werden, er wirkt subtil, versteckt hinter unscheinbaren Anweisungen wie z.B. zur erwünschten Kleidung.
Private View, wie es auf der Eintrittskarte von 1842 heißt, bedeutete daß privates Besitztum willkürlichen Regelungen unterworfen werden kann. Das gilt bis heute. Es kann kommerziell genutzt werden - Eintrittsgelder gibt es seit dem 16. Jahrhundert -, im kleinen Kreis von Kennern, Liebhabern oder Experten oder für breite öffentliche Bildung, Belehrung oder Unterhaltung. Das liegt allein am Besitzer und niemand kann ein Recht beanspruchen, gegen seinen Willen, Zutritt zu erhalten.
Der Unterschied von privat und öffentlich liegt also nicht in Zugänglichkeit im Sinne der Zahl der Besucher. In der Sammlungsgeschichtsschreibung oder Museologie generell wird mit dem Begriff 'öffentlich' häufig unglaublich unbedacht umgegangen. Wo sich Besuch nachweisen läßt, ist man schnell mit dem Wort öffentlich zur Hand. In diesem Sinn würden viele Historiker oder Museologen Horace Walpoles Haus und Sammlung als öffentlich bezeichnen - nur weil sie, wie wir gesehen haben, lange Zeit zwar nur maximal vier Personen pro Tag zugänglich war, aber eben zugänglich.
Aber das 'staatliche' British Museum der Gründungsjahrzehnte pflegte eine, immer wieder beklagte und kritisierte ähnlich restriktive Publikums-Politik. Nur Gruppen bis zu einer bestimmten Größe waren zugelassen, gegen Anmeldung und Bezahlung. Worin liegt der Unterschied? Er liegt in der Qualität und Funktion von Öffentlichkeit, die sich im Zeitalter der Aufklärung und mit den Museumsgründungen der Französischen Revolution grundlegend wandelte. (Siehe dazu den Post 'Museum und Guillotine'). Ab da war der Museumsbesuch als Anspruch auf Bildung für jedermann ein egalitäres Recht und die Ansprüche und Anmutungen des Museums als kultureller Einrichtung allgemein gültig und nicht nur für eine mehr oder minder idiosynkratisch definierte Gruppe.
Die Praxis des Private View verschwand deswegen nicht, viele Privatsammlungen sind nie zu sehen oder nur mit engen Eingrenzungen - man kann zum Beispiel an das Schaulager in Basel denken. Aber im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entsteht etwas vollkommen Neues, die Idee des Museums als gesellschaftlicher Institution und Praxis die - dem Anspruch nach - ausnahmslos jedem nützlich (gemeinnützig nennen das die ICOM-Statuten) und dienlich sein soll.

Keine Zeit zu verlieren (Texte im Museum 70)



Ausstellung nonstop. Stapferhaus Lenzburg. Foto GF 2010