Donnerstag, 1. Juli 2010

Die nicht gewürdigten Verdienste des Rudolf Leopold

Die Nachrufe auf den Sammler Rudolf Leopold in den österreichischen Zeitungen und in der internationalen Presse halten sich an das Gesetz, über Tote nichts Schlechtes zu sagen. Kritik wird in Watte verpackt, zwischen den Zeilen versteckt. Im übrigen bedient man sich meist der von den Nachrichtenagenturen vorgestanzten Textbausteine. Wirklich Neues oder Überraschendes liest man nirgends.
Zwei 'Verdienste' Rudolf Leopolds habe ich nirgends erwähnt gefunden. Es sind Verdienste, die er nicht absichtsvoll erworben hat, sondern die Effekte seiner Interessen und Handlungen waren.

Da ist zum einen das sogenannte "Museumsquartier". Der dazu seinerzeit ausgeschriebene Wettbewerb brachte ein Siegerprojekt hervor, das allgemein sehr wohlwollend, wenn nicht enthusiastisch begrüßt wurde. Städtebaulich wurde es als offensive und sebstbewußte Auseinandersetzung mit der historischen monumentalen Bebauung der Nachbarschaft gewürdigt, architektonisch als Ensemble kontrastierender Module, die flexibel nutzbare öffentliche Räume definierte, inhaltlich als Aufbruch in eine nicht mehr herkömmlicher Musealität gehorchender Repräsentanz aller modernen Künste und Medien.
Der Widerstand der Kronen-Zeitung, die Mobilisierung von Ressentiments gegen moderne Architektur und moderne Kunst hatte zur Folge, daß es eine langes und unerfreuliches Gezerre um die Bebauung gab und der preisgekrönte Plan mehrfach verändert wurde.
Der definitive Bruch in der Konzeption des Ganzen war nicht die medial sehr stark wahrgenommene Verhinderung der Errichtung des Bibliotheksturmes, sondern die Entscheidung des damals zuständigen Ministers Erhard Busek, die Sammlung Leopold anzukaufen und dem Privatsammler auf Staatskosten ein Museum im Museumsquartier zu errichten. Wer erinnert sich noch an die austro-patriotische Rechtfertigung dieser überraschenden Wende durch Minister Busek? Wer erinnert sich noch an die unsägliche Begutachtung der Sammlung? Wer erinnert sich noch daran, daß der Ankauf erfolgte, ohne daß die Öffentlichkeit erfuhr, woraus diese Sammlung eigentlich bestand? Und vor allem, wer erinnert sich noch daran, daß aus dem großen avantgardistischen Museumsprojekt ein nur noch in Maßen modernes, zaghaftes Pasticcio eher zufällig und nach und nach gefundener und nachgebesserter Funktionen und Inhalte wurde? Es war Erhard Busek, der der Einrichtung einer Stiftung zustimmte und - mit großen Konsequenzen -, die Einsetzung des Sammlers als Direktor des Museums auf Lebenszeit ermöglichte. Ohne diese Regelung, auf deren Fragwürdigkeit als einzige Zeitung bisher - heute - die Neue Zürcher Zeitung hinweist, gäbe es kein Restitutionsproblem Leopold-Museum.

Aber der Satz, "ohne Rudolf Leopold gäbe es kein Restitutionsproblem", hat noch eine zweite Bedeutung. Die Beschlagnahme zweier Gemälde der Sammlung Leopold in New York, brachte eine Lawine ins Rollen. Erst dadurch wurde einer breiten Öffentlichkeit bewusst, daß in Museen (nicht nur in Österreichischen) hunderte, tausende von Objekten als rechtmäßiger Besitz ausgestellt oder deponiert waren (und sind), die im Zuge der 'Arisierung' der NS-Zeit oder durch andere rechtsbrüchige oder sittenwidrige Umstände in Museumsbesitz gelangt waren. Ohne diese Beschlagnahme in New York hätten sich Öffentlichkeit, Medien, Wissenschafter und Politik nicht mit der Tatsache konfrontiert gesehen, daß nach 1945 mit der widerrechtlichen Aneignung von jüdischem Besitz neuerlich jenseits oder am Rande der Legalität umgegangen worden war, die Interessen und Ansprüche der Beraubten missachtet oder negiert wurden und das museale kulturelle Erbe der Museen in nicht unwesentlichen Teilen - etwa Teile der Klimt-Sammlung des Belvedere -, 'Raubkunst' war.
Wenn die beiden in der Ausstellung Egon Schiele. The Leopold Collection Vienna im Museum of Modern Art New York, Wally und Tote Stadt III, nicht 1998 beschlagnahmt worden wären, wäre in Österreich nie eine Raubkunstdebatte entstanden, die weit über diesen einzelnen Fall und weit über die umstrittene Ankaufspolitik von Rudolf Leopold hinaus zur Beschäftigung mit der ganzen und komplexen Geschichte der Kunstpolitik der NS-Zeit, auch über Österreich hinaus, führte. Ohne die durch einen Artikel der New York Times ausgelösten Beschlagnahme, hätte es kein Restitutionsgesetz in Österreich gegeben, keine Provenienzforschung und auch keine dann vorbildliche Restitutionspolitik einzelner Museen.

So viel zu den 'Verdiensten' von Rudolf Leopold.

PS.: Die Medien rühmen besonders ein Verdienst Rudolf Leopolds: daß er die Bedeutung der Kunst Egon Schieles als erster erkannt hat. Das Argument wird oft mit dem Hinweis auf die Wertsteigerung von Schiele-Werken verknüpft. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß einige der Schiele-Werke in der Sammlung Leopold im Verdacht stehen unrechtmäßig jüdischen Besitzern geraubt oder abgepresst worden zu sein, Sammler, die offenbar die Werke Schieles lange vor Leopold sehr geschätzt haben.


Die Abbildungen stammen von einer Protestaktion der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von 2008

Mittwoch, 30. Juni 2010

Ausschluss / Einschluss (Texte im Museum 71)


Kunsthaus Graz

Private View (Museumsphysiognomien 6)


Das ist eine Eintrittskarte für eine Sammlung. Sie wurde nicht verwendet, das Datum, das auf dem Vordruck mit der Hand hätte eingetragen werden sollen fehlt. Bis auf die Jahreszahl: 1774. Gleichzeitig ist sie eine Art Hausordnung mit einer Reihe von Regeln: Gültigkeitsdauer, Besuchszeit, und Besucheranzahl. Vier Personen, das galt für einen Tag.
Eine ebenfalls erhaltene detailliertere Anweisung ist in diesem Punkt penibler. Erschienen mehr als vier Personen, wurde die ganze Gruppe abgewiesen. Das konnte auch geschehen, wenn eine Gruppe nicht vollzählig erschien und sich die abwesende Person nicht rechtzeitig entschuldigen hatte lassen. Man mußte sich schriftlich voranmelden. Man konnte die Sammlung nur zur angegebenen Zeit und nur von Mai bis Oktober besuchen. An der restriktiven Regelung scheint sich lange Zeit nichts geändert zu haben. Ein grafisch aufwendig gestaltetes Ticket von 1842 gestattet Mr. Thomas and 5 friends einen Private View.
Horace Walpole ist der Urheber dieser Regeln, vierter Earl of Oxford, Schriftsteller, Autor eines einflussreichen Werkes über Modern Gardening und Bauherr eine gotischen Schlosses, das er aus einem Anwesen namens Strawberry Hill entwickeln ließ (zwischen 1749 und 1776) und das auch Aufbewahrungs- und Ausstellungsort einer - teils von seinem Vater geerbten Sammlung und Bibliothek - wurde. Unter den genannten Bedingungen durfte man seine Sammlung besichtigen.
Solche Regulierungen für die Besichtigung gibt es seit es private Sammlungen gibt. Ihr Eigentümer konnte nach Gutdünken Regeln aufstellen, bestimmte Gruppen ausschließen - wie Walpole zum Beispiel Kinder -, oder überhaupt niemanden zulassen. Man kann annehmen, daß allein durch das Procedere im Verein mit dem Status des Eigentümers viele Menschen gar nie auf die Idee kamen, je Besucher des Landsitzes zu werden. Sozialer Ausschluß muß nicht immer explizit geregelt werden, er wirkt subtil, versteckt hinter unscheinbaren Anweisungen wie z.B. zur erwünschten Kleidung.
Private View, wie es auf der Eintrittskarte von 1842 heißt, bedeutete daß privates Besitztum willkürlichen Regelungen unterworfen werden kann. Das gilt bis heute. Es kann kommerziell genutzt werden - Eintrittsgelder gibt es seit dem 16. Jahrhundert -, im kleinen Kreis von Kennern, Liebhabern oder Experten oder für breite öffentliche Bildung, Belehrung oder Unterhaltung. Das liegt allein am Besitzer und niemand kann ein Recht beanspruchen, gegen seinen Willen, Zutritt zu erhalten.
Der Unterschied von privat und öffentlich liegt also nicht in Zugänglichkeit im Sinne der Zahl der Besucher. In der Sammlungsgeschichtsschreibung oder Museologie generell wird mit dem Begriff 'öffentlich' häufig unglaublich unbedacht umgegangen. Wo sich Besuch nachweisen läßt, ist man schnell mit dem Wort öffentlich zur Hand. In diesem Sinn würden viele Historiker oder Museologen Horace Walpoles Haus und Sammlung als öffentlich bezeichnen - nur weil sie, wie wir gesehen haben, lange Zeit zwar nur maximal vier Personen pro Tag zugänglich war, aber eben zugänglich.
Aber das 'staatliche' British Museum der Gründungsjahrzehnte pflegte eine, immer wieder beklagte und kritisierte ähnlich restriktive Publikums-Politik. Nur Gruppen bis zu einer bestimmten Größe waren zugelassen, gegen Anmeldung und Bezahlung. Worin liegt der Unterschied? Er liegt in der Qualität und Funktion von Öffentlichkeit, die sich im Zeitalter der Aufklärung und mit den Museumsgründungen der Französischen Revolution grundlegend wandelte. (Siehe dazu den Post 'Museum und Guillotine'). Ab da war der Museumsbesuch als Anspruch auf Bildung für jedermann ein egalitäres Recht und die Ansprüche und Anmutungen des Museums als kultureller Einrichtung allgemein gültig und nicht nur für eine mehr oder minder idiosynkratisch definierte Gruppe.
Die Praxis des Private View verschwand deswegen nicht, viele Privatsammlungen sind nie zu sehen oder nur mit engen Eingrenzungen - man kann zum Beispiel an das Schaulager in Basel denken. Aber im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entsteht etwas vollkommen Neues, die Idee des Museums als gesellschaftlicher Institution und Praxis die - dem Anspruch nach - ausnahmslos jedem nützlich (gemeinnützig nennen das die ICOM-Statuten) und dienlich sein soll.

Keine Zeit zu verlieren (Texte im Museum 70)



Ausstellung nonstop. Stapferhaus Lenzburg. Foto GF 2010

Begehbare Lüge

Eine Kritik der Jörg Haider - Ausstellung in Klagenfurt findet sich in der heutigen WELT Online, wo Elmar Krekeler die Schau eine "begehbare Lüge" nennt und "eine einzige, seltsam verdruckste, unangenehme, extrem provinzielle Form von Vorwärtsverteidigung."

Letzte Chance hier auf Erden (Texte im Museum 69)



Jahreskalender einer Bäurin. Heimat bist Du starker Frauen. Sonderausstellung im Salzburger Landesskimuseum Werfenweng. Foto GF 2010

Sparen an der Kultur. Noch immer keine Museumskrise?

0,3 des Budgets sind für Kultur vorgesehen. Im 'Haushalt' Griechenlands und Italiens. In beiden Ländern wird von diesem bescheidenen Niveau aus weiter "eingespart" werden. In Griechenland begann es mit etwa 30% Kürzungen, in Italien sind die staatlichen Subventionen um fast ein Drittel heruntergefahren worden. Bis 2012 sollen 50% des Kulturetats eingespart werden. Über 200 kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen sollen ihre Unterstützung verlieren. Es trifft Festivals, Opernhäuser, Theater, die Denkmalpflege, Museen. In Italien wird gestreikt und demonstriert, in Griechenland scheint sich der Protest in die kulturellen Institutionen zu verlegen und schlägt sich im zurückhaltenderen Kulturkonsum der von drastischen "Sanierungsmaßnahmen" betroffenen Bevölkerung nieder.

Dienstag, 29. Juni 2010

Arme Kinder! (Texte im Museum 68)


Besucherbuch der Ausstellung "Berge. Eine unverständliche Leidenschaft". Innsbruck Hofburg. Foto Gottfried Fliedl 2010

Fundsache: "Rettung"


Schaffhausen wurde gegen Ende des 2. Weltkriegs bombardiert. Von US-Fliegern. Der Grund scheint unklar. War es ein Angriff, der einem anderen Ziel galt, aber eine Stadt der neutralen Schweiz traf? Oder ein Bombardement, das die Rüstungsbetriebe Schaffhausens zerstören sollten, die zu diesem Zeitpunkt nur noch das Deutsche Reich belieferten, nachdem sie gleichzeitig auch die Allierten ausgestattet hatten? Aus dem Museum wurde gerettet, was gerettet werden konnte, wie hier Teile der zoologischen Sammlung - auf offener Straße.... Foto Museum Allerheiligen Schaffhausen.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Blätterwald (Texte im Museum 67)


nonstop. Über die Geschwindigkeit des Lebens. Stapferhaus Lenzburg. Von Besuchern beschriebene Blätter im dunklen Dachboden des Ausstellungsgebäudes.

Neuerscheinung - In eigener Sache



Eben erschienen: Gottfried Fliedl, Gabriele Rath, Oskar Wörz (Hg.): Der Berg im Zimmer. Zur Genese, Gestaltung und Kritik einer innovativen kulturhistorischen Ausstellung. transcript. Bielefeld 2010
148 S., kart., zahlreiche farbige Abbildungen, 21,80 € ISBN 978-3-8376-1248-6

In dem Band wird die Ausstellung vorgestellt, der Produktionsprozess erläutert, in drei Evaluationen analysiert und mit je einem historischen, alpinistischen und psychoanalytischen Beitrag zur "Unverständlichen Leidenschaft" kontextualisiert.

Zur Ausstellung und ihren Auszeichnungen siehe den Post dazu.

Freitag, 18. Juni 2010

Warteschlange (Texte im Museum 66)



Alpines Museum München

Spaziergänger (Museumsphysiognomien 5)



Dieses traute Paar spaziert durch ein Diorama des American Museum of Natural History in New York. Die beschützende Geste des Mannes kann kaum allenfalls bedrohlichen Tieren gelten, die damals natürlich 'wild' waren, denn die im Hintergrund friedlich mit Nahrungsaufnahme beschäftigten Rebhühner (?) bilden ja keine drohende Gefahr. Auch das vulkanische Geschehen im Hintergrund ist kein Grund einen kleinen Morgenspaziergang zu unternehemn, ohne Bekleidung, ohne Waffen, ohne Proviant. Aber vielleicht sind die beiden ja zum Brunch in die Nachbarwüste unterwegs oder in ihre Behausung zu längst überfälligen Höhlenmalerarbeiten.
Die 'Spur', aus der die Rekonstruktion sich legitimiert, ist die Spur, die die beiden im Sand hinterlassen. Sie hat Jahrtausende überdauert und aus der unterschiedlichen Beschaffenheit der Fußabdrücke wurde auf ein heterosexuelles (?) Paar geschlossen. Papa und Mama auch, Ureletern, Ahnen. Denn die anthropologische Suche nach dem Ursprung der Menschheit (dem ersten Wesen, das man Memsch nennen darf) ist eine Bedingung für die Beantwortung der Frage "Wer bin ich" / "Wer sind wir"?
Nun, so sagt uns das Diorama, ein Paar wie Du und ich, zweisam, monogam, liebevoll, unerschrocken, etwas mehr behaart und etwas mehr nackt als heute, aber was solls. Das ist eben der zivilisatorische Fortschritt. Aber Männer aren schon immer Gentleman.
Was man sehen könnte: daß es im Museum weniger um Wissenschaft geht (dann verböte sich so eine zu 98% spekulative 'Rekonstruktion', die als authentisch auftritt), sondern um die Verbildlichung von Phantasmen, Begehren - nach dem 'Sehen', dem Beiwohnen des 'Ursprungs', nach einer anthropologischen Versicherung unserer modernen Verhaltensweisen - 'Paarbildung'.
Ist das Bild 'falsch'? Wird 'gelogen'? 'getäuscht'? - Man könnte so sagen, wenn es wie ein Symptom und nicht wie eine authentische Spur gelesen wird: nein. Aber das ist nicht leicht, solange das Museum sich selbst nicht klar wird, wovon es 'eigentlich' spricht.
In einem Spielfilm von Alain Tanner beschließt ein Landwirt seine Kinder selbst zu unterrichten, im Glashaus, wo er ihnen auch diese Frage stellt "weiß das Wasser, daß es kocht?".
Wir fragen: "Weiß das Museum, was es zu sehen gibt?".

Human remains (Texte im Museum 65)




Museum Victoria, Melbourne
Bildspende: Bernhard Purin

Tiroler Museumsqualifikation

Die heutige KRONEN-Zeitung (Tiroler Ausgabe) würdigt nicht nur auf vielen Seiten ihren eben verstorbenen Herausgeber, sie berichtet auch über die designierte Leiterin des Bergisel-Museum und wie diese - in einer Militärzeitschrift - ihre Qualifikation definiert: drei Generation ihrer Familien haben Militärdienst geleistet oder leisten ihn eben.
Für alle, die bei "Bergisel" an Brennerautobahn oder Skispringen denken - der Bergisel ist seit 1809, seit den Kämpfen der von Andreas Hofer angeführten Tiroler, der  Heilige Berg des Landes. Mit Denkmälern, Schießstand, Kaiserjäger-Museum, Kaiserjäger-Kapelle und einem militärisch-monarchisch-katholischen Symbolcluster. Jetzt wird das 1896 eröffnete Riesenrundgemälde, das eine der Bergisel-Schlachten darstellt und das im Tal, in der Stadt stand, auf den Berg transferiert (gegen vielfachen Widerstand) und dazu eine Museum errichtet.

Dienstag, 15. Juni 2010