Samstag, 13. Februar 2010

Micromuseo Lima - Aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung

Ein ambulanter Ort, an dem angesichts der „grossen musealen Leere“ (dem Fehlen eines Museums Moderner Kunst), nicht einfach nur kompensativ eine private Initiative einspringt, sondern ein  Raum für „kritisches Denken darüber, was Musealität sein kann in einem Land der Dritten Welt wie Peru.“ Dieser Raum ist das Micromuseo in Lima. An ihm ist nicht das Gebäude, der Ort, an dem es sich befindet, wichtig, sondern die Projekte und Interventionen, z.B. im öffentlichen Raum, die unter diesem Namen initiiert werden, und mit denen für ein neues Kulturverständnis geworben wird.
Das Projekt entstand nach einer großen politischen Krise, in der kurzen Phase der Demokaratie „mit extrem hoher Inflation, verzweifelter Sinnsuche, politischem und kulturellem Extremismus und avantgardistischen Strömungen.“ Von Beginn an wurden die „etablierten Vorstellungen von Museen in Frage“ gestellt, z.B. durch die Wahl alternativer Orte, wo man Museen normalerweise nicht erwartet und in Zusammenhängen, um die sich Museen nicht kümmern.
Zu den Mezhoden des Museuo gehört das Mischen der Genres und Ausdrucksformen, der Artefakte und Kunstwerke, es geht um eine ‚Materialsammlung’ ohne Hierachie, um jene Ausdrucksformen der verschiedenen Alltagskulturen, die ein „aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung“ sein soll.
„Ein Ziel von Micromuseo ist auch die Ermächtigung des Lokalen. Wir sind gegen die Praxis eines internationalen Museums-Franchising, wie sie Guggenheim betreibt. Wir bestehen vehement auf der Bedeutung des Lokalen. Das ist kein territorialer Chauvinismus, sondern ein engagiertes Verständnis von Kultur als lebendiger, unmittelbarer Expression.
Ähnlich, so scheint mir, dem hier im Blog vorgestelleten ndrangheta Museum in Reggio Calabria, ist auch hier ein Museum der Ort, an dem sich die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung kristallisiert, die Hoffnung auf Überwindung der Gewaltförmigkeit von Gesellschaft und Poltik. Das „Micromuseo will nicht in die Geschichte eingehen, sondern die Geschichte selbst ändern.
Das lange Gespräch von Eva-Christina Meier mit dem Gründer des Micromuseo Gustavo Buntix ist nachzulesen in: Die Tageszeitung online, 6.2.2010. "Eine Art Weimarer Republik". Die Postmoderne in Peru. Gespräch mit Gustavo Buntinx, Begründer des ambulanten "Micromuseo" in Lima.

Stifter - Authentik (Texte im Museum 21)

 
 

Die Musen und das Museum (Was ist ein Museum 04)

Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und darus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes gebne. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte und daß es verschiedene kulturelle Praktiken, die - manchmal - mit diesem Wort bezeichnet werden, aber auch daß diese Wort Sachen bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten wird. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin grade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine auch heute nicht anders formulierbare Einsicht. Aber dennoch hielt man an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.

Ich  vermute, daß damit die wörtliche Bedeutung gemeint war und aktualisiert wurde: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen. Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne (und des Zeus) sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis. Sie erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann, dem Museion.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierten - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text.
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eiunes Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Aber das noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:

Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris

Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland! 


Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.



Fortsetzung folgt.

Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris

Freitag, 12. Februar 2010

iMuseum

Im Zeitalter des Apple-"i" konnte es nicht ausbleiben, das "iMuseum". Ob es erst heute ins Leben gerufen wurde, durch Jordan Mejias in der FAZ Online, weiß ich nicht. Mir ist es heute zum ersten Mal aufgefallen, in einer kurzen Glosse über eine nächste Etappe der Digitalisierung / Virtualisierung des Museums. Am Beispiel des Cooper-Hewitt National Design Museum, das iPods einsetzt (auf denen zugleich Werbung für Apple läuft). Der Medien- und Bilder-Overkill, so scheints dem Autor, werde das Museum möglicherweise bald überflüssig machen.
Kommt uns die Welt samt Kunstwelt erst in 3 D auf den Schirm, könnte dem unbegrenzten iMuseum einfallen, das begrenzte Museum nicht nur zu ergänzen, sondern zu ersetzen.
Erinnert irgendwie an das Musée imaginaire von André Malraux, oder?

Abb.: Wie das Unglück begann: Das Guide-a-Phone  von 1954, entwickelt vom American Museum of Natural History, New York.  © AMNH

    Mittwoch, 10. Februar 2010

    Das Motto lautet: Hingehen, entdecken und begeistert sein

    Ab Jahresbeginn ist der Eintritt zu Bundesmuseen für Kunder und Jugendliche bis 19 Jahre kostenlos. Das Geld,das den einezelnen Museen dadurch entgeht, wird vom Minsterium refundiert, es soll sich um eine Summe von bis zu drei Millionen Euro handeln.
    Kinder und Jugendliche möglichst früh mit musealer Kunst und Kultur in Kontakt zu bringen, ist Auftrag einer zeitgemäßen Kulturpolitik.
    Die Bundesmuseen sind außerschulische Orte der Bildung und Räume für die Freizeitgestaltung. (Die Bundesministerien auf der Webseite des Ministeriums mit den originalen Hervorhebungen).
    Mit dieser Maßnahme werden heuer auch 600.000.- Euro in innovative Vermittlungsprojekte investiert. Denn, so wird uns versichert, selbstverständlichen seinen Sammeln und forschen weiterhin wichtige Aufgabe, aber Vermittlung ein zentrales Anliegen des Ministeriums.
    Der Freie Eintritt für die „Altersgruppe der Zukunft“ öffnet die Türen der Museen für unsere Jugend. (...) Neben dem kostenlosen Zugang zu den breiten kulturellen Themenfeldern bieten sie (die Bundesmuseen; GF)  umfangreiche und den Altersgruppen entsprechende Vermittlungsprogramme. Der Bogen reicht von Natur und Technik bis zu alter, neuer und neuester Kunst.
    Die Frage, ob alle Museen und Sammlungen gleichermaßen geignet für diese pauschale Geste sind, stellt sich offenbar niemand. Inhalte, Vermittlungsmethoden und Bildungsstrategien gelten, wenn es um das Museum geht, als außer jede Diskussion gestellte, per se wertvolle kulturelle Einrichtungen, die ein per se sehenswertes und zu würdigendes Erbe bewahrt.
    Kulturinteressierte und solche, die es noch werden wollen, sollen die Angebote der Bundesmuseen intensiv nutzen können. Möglichst viele sollen teilhaben an dem kulturellen Erbe und der zeitgenössischen Kunst.
    Daß die Maßnahme nichts bis fast nichts an der bestehenden massiven der durch Sozialisation und Schule vermittelten sozialen Distinktion ändert, die im Museum weitgehend unbeachtet wirksam wird - wen stört es, wen interessiert es?. Wozu in speziellen Fall noch eine topografische Diskriminierung hinzukommt. Alle von der Aktion profitierenden Museen stehen in Wien und sprechen vor allem die wiener Bevölkerung und Touristen an, nicht die Bundesländer.



    Montag, 8. Februar 2010

    Evidence (Texte im Museum 19)

    American Museum of Natural History

    Museumskrise? Welche Krise?

    Im Juni 2008 veröffentlichte die Unternehmensberaterfirma Arthur D. Little eine Mitteilung zur Situation der Museen in Deutschland mit der Schlagzeile „Mehr Unternehmertum für deutsche Museen“.
    Arthur D. Little konstatiert einen „Trend“ zur Erhöhung der Eigenfinanzierung, zur Reduktion der Abhängigkeit von „öffentlichen Subventionen“ und zum „unternehmerischen Handeln“. Gestützt auf eine Untersuchung von „in Europa führenden Museen“ wird der Museumsinsel ein neunter Rang zugewiesen – aufgrund eines einfachen Rankings der Besucherzahlen. Als weitere Indikatoren werden jene Besucher, die mindest einmal im Jahr ein Museum besuchen, im Ländervergleich bewertet. Wenn der „Studienleiter“ Stefan Höffinger aus den Zahlen schließt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen in den „letzten zwölf Monaten kein einziges Mal ein Museum besucht“ hat, dann leitet er daraus die Forderung ab, mit einem „attraktiven inhaltlichen Angebot“ die „Erschließung neuer Erlös- und Ertragsquellen“ zu bewirken.
    Denn: „Die Bedeutung der öffentlichen Hand in der Kulturförderung geht zurück“. Deshalb müssten „eigene Mittel“, vom Verkauf von Eintrittskarten bis zum Merchandising, akquiriert werden. Dies wird im Text als „unternehmerisches Handeln“ und „Professionalisierung“ bezeichnet und diejenigen Institute als „beste“ hervorgehoben, die eine Eigenfinanzierungsquote von „bis zu 75 %“ haben (Guggenheim Bilbao. Albertina Wien).
    Mit Hinweis auf das Museumsquartier Wien empfiehlt das Papier die Schaffung von „Third Places“, „semi-öffentlicher Räume“, wo der „Kunde mit multidimensionalen Bedürfnissen und nicht ‚nur’ als reiner Kunstkonsument betrachtet werden muss“.
    In einem Interview in der Tageszeitung Die Presse (23.10.2008) geht Höffinger so weit, den staatlichen Unterstützungsbedarf um damit ‚nicht wirtschaftliche’ Museen, in Frage zu stellen. Gemessen – wiederum am Eigendeckungsgrad – fordert er Museen, die „ausgeglichen wirtschaften“, das „ist die Startlinie für Kultureinrichtungen. Ein Fass ohne Boden kann sich keiner leisten.“
    Im Gespräch macht Höffinger das Interesse von Arthur D. Little deutlich als ‚Positionierung einer Marke’ durch ‚fundierte Äußerungen’ zu „Effizienzsteigerung, Erhöhung der Erlöse, Professionalisierung der Führung in der Kultur“.
    Dem Einwand der Interviewerin (Barbara Petsch), dass ja nicht alle Bereiche eines Museums profitabel seien, wie z.B. die Forschung, hält Höffinger entgegen: „Meiner Meinung nach kann sich allerdings keine einzige gesellschaftliche Dimension, einfach weil sie lustig ist oder sagt, bei uns geht das alles nicht, z.B. bei Kennzahlen, aus der Diskussion ausnehmen.“
    Stefan Höffinger und damit Arthur D. Little stellen unverblümt die zentrale institutionelle Basis des Museums infrage: Die staatliche Finanzierung und damit den uneingeschränkt öffentlich-wohlfahrtsstaatlichen Charakter des Museums. Basis der Aussagen und Empfehlungen ist ein aggressives neoliberales Verständnis vom Rückzug des Staates und Überlassung nun auch kultureller Institutionen an Private und private Verwertungsinteressen.
    Dabei geht man nicht zimperlich vor: Zu erklären wie man zu den statistischen Grundlagen der Aussagen (Besucherzahlen, Nicht-Besucher) kommt, dazu nimmt man sich nicht die Mühe. Die öffentliche Finanzierung wird irreführend als Subventionen bezeichnet. Indem man von Subvention spricht, kann man leichter deren Sinnhaftigkeit im Ganzen wie in Teilbereichen infrage stellen, mit dem scheinbar stimmigen Argument, auch der Staat müsse sparsam sein.
    In nationalstaatlich verfassten Demokratien wird der Staat als ‚Wohlfahrtsstaat’ insofern verstanden, als er allen Bürgern Leistungen zur Verfügung stellt, die ihrem Wohl dienen – von der Wasserversorgung bis zu den Schulen, vom Verkehr bis zu den Theatern und Museen. Dies muss Rentabilitätsdenken und Gewinnabsichten entzogen sein, weil das übergeordnete Ziel Bildungs- und Sozialisierungsprozesse sind. Diese sind noch dazu, beim Museum als Formen der Selbstrepräsentation und Selbstreflexion Bestandteil der demokratischen Kultur, des Ausverhandelns von Identitäten, der Projektion von Zukunftsentwürfen, des Deutens der Vergangenheit, der Reflexion des Andren, des Fremden, ja unter Umständen des Feindes. Darin liegt die zutiefst zivilisierende Funktion des Museums.
    Die Empfehlungen sind Teil einer im großen Maßstab, ‚global‘ wie wir wissen, betrieben Ökonomisierung, die Zug um Zug alle Bereiche des Öffentlichen durchdringen möchte oder z.T. schon ‚erfolgreich’ durchdrungen hat, etwa das Gesundheitswesen oder die Universität. Während dort aber immer wieder Konflikte und Debatten entstehen – wie jüngst um die ‚Bologna-Universität‘ -, und so auf das Problem aufmerksam machen und sich dabei immer auch Optionen auf Alternativen abzeichnen, gibt es diese Debatten beim Museum kaum. Welche Krise? kann der Präsident zum Beispiel des Deutschen Museumsbundes fragen. Wenn der Repräsentant einer international agierenden und namhaften Beratungsfirma das steuerfinanzierte wohlfahrtsstaatliche Museum kritisiert ist eigentlich Widerstand angesagt. Auch deswegen weil die Motive dafür – vorgetragen als Sorge um die staatlichen Finanzen – alles andere als selbstlos ist. Der herbeigeredete Zustand ist die Stunde der Berater…

    Sonntag, 7. Februar 2010

    Der Klassiker (Texte im Museum 18)

    Kleine Kritik an kleinen Museen

    „Es war schon immer so. Um 1480.“
    Vorschlag für eine Objektbeschriftung von Frank Jürgensen




    Kleine, nichturbane, oft ehrenamtlich betriebene Museen sind hierzulande der am weitesten verbreitete Museumstyp. Er speist mit seiner Verbreitung statistisch den Museumsboom und kann mit der Summe seiner Besuche mit der großer Museen wetteifern.
    Dennoch genießt er wenig öffentliche Aufmerksamkeit und kaum museologisches Interesse, mit Ausnahme vielleicht durch die Volkskunde, für die er wegen des Themenspektrums, des Gegenstandsbereiches und, im bescheidenen Umfang, als berufliches Betätigungsfeld ein Thema ist.
    Diese Museen zeichnen sich (sieht man von hochspezialisierten monothematischen Sammlungen ab) durch große Vielfalt der Sammlung aus sowie stereotype Sammlungsschwerpunkte und häufig identische Präsentationsweisen eines überwiegend lokalen geografisch-geschichtlichen Horizonts. Trotz sozial elitärer Formierung (Einzelinitiativen von Sammlern, Lokalhistorikern etc. oder politischen Funktionären) sind sie dennoch oft tief und häufig über verschiedene Formen der Partizipation in der lokalen Community verankert.
    Viele dieser Museen bedienen sich ein- und derselben Fokussierungen der Repräsentation: in schematischer räumlicher Disposition der Ausstellungen finden wir immer wiederkehrende Themen: lokale Natur, Religiosität (fast immer die katholische), Brauchtum als Inbegriff von Tradition, Ursprungsgeschichten in erd- oder frühgeschichtlicher Erzählung, ländlich-bäuerliches Alltagsleben, Brauchtum und Arbeitswelt, von dieser wiederum meist nur das Handwerk (als ‚Zünfte’), bürgerliche Lebenswelt (meist nur die des 19. Jahrhunderts), Gerichtsbarkeit, Herrschaft (diese meist in Form essentialistischer Faktizität).
    Das Vergangene wird nahe an der vertrauten Lebenswelt – und so als Heimat – repräsentiert (viele dieser Museen führen ja auch den Namen ‚Heimatmuseum’), mit Hilfe von Objekten, die als ‚Werte an sich’ in stereotype Erzählfragmente und Deutungsmuster integriert werden. Die Vergangenheit wird als Abgeschlossenes behandelt, das in musealer Rückschau betrachtens- und erhaltenswert erscheint. Das Fehlen einer Dialektik Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft, und damit der Mangel an Bildung historischen Sinns über Erfahrung von Zeitdifferenz, verbietet von historischen Museen zu sprechen. Im Gegenteil, oft stellt sich ein heimlich-unheimliches Gefühl der Wiederkehr des Immergleichen ein.
    Solche Museen sind allenfalls Mediator einer selektiven lokalen Erinnerungskultur, die das zu bedienen scheinen, was ihnen so gerne – von ihren Gründern und Betreibern, von Vermittlern und Besuchern -, zugesprochen und abverlangt wird: ‚Identität zu stiften’.
    Aber im Gegenteil: Da diese Museen zeitliche, räumliche und kulturelle Differenzerfahrung peinlichst vermeiden, erscheint Identität meist in Gestalt einer entgeschichtlicht-entzeitlichen und verdinglichtigten Unwandelbarkeit. Heimatliche Nahwelt erscheint wie eine zweite Natur - von intentionaler, von Interessen, Wünschen oder Hoffnungen geleiteter sozialer Praxis nicht berührt und berührbar, als ‚Essenz’, die uns emotionales Einverständnis abfordert und beruhigend anbietet.
    Alles Widersprüchliche, Widerständige, Konfliktträchtige, Sperrige bleibt ausgeklammert (Minderheiten, nichtkatholische Religionen, soziale Konflikte, die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, die Verschränkung von ‚Welt’ und ‚Heimat’ uvam.), hat in diesen Museen, mit raren Ausnahmen, keinen Platz. Selbst wenn auffallend oft Elend, Armut, das Leben von Unterschichten thematisiert wird, kann man sich fragen, ob hier nicht eine Kontrasterfahrung vermittelt werden soll, die die fragmentarische sozialstaatliche Kittung sozialer Widersprüche und Konflikte heute als glanzvollen und befriedenden Fortschritt feiern helfen soll. Über Kontinuitäten und Ursachen sozialer oder politischer Konstellationen und Konflikte, werden wir hier sicher nichts erfahren, und somit nichts über mögliche Lösungen, Auswege, Utopien.

    Selbst wenn vermehrt Industrialisierungsprozesse thematisiert werden (meist begrenzt auf die des 19. Jahrhunderts und sehr selten die der Gegenwart einschließlich ihrer Arbeits(losen)welt), Tourismus, die besondere Lebens- und Arbeitswelt von Frauen, die beiden Weltkriege (ohnehin meist nur in Form von Trophäen präsent) uam., kann man davon ausgehen, daß solche Themen harmonisiert, entschärft und in ihrem Erfahrungspotential gnadenlos verstümmelt vorgeführt werden.

    Nicht genug damit daß das Museum als solches schon strukturell konservativ ist (als Medium, als Erzählung, als Sammlung scherinbar ‚sprechender Dinge’…), diese Museen sind es zu oft auch ideologisch: in der Wahl der Sammlungsschwerpunkte, in der Zuweisung und Ausklammerung von Bedeutungen, im Verzicht, die zweifellos und vielfach vorhandene Dialektik von Gegenwart und Vergangenheit, zu thematisieren.
    Erschienen in: Neues Museum, Nummer 4, 2008, S.2-7  

    Samstag, 6. Februar 2010

    Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum (Was ist ein Museum 03)

    Die selbstbewußte Feststellung des Indian Museum in Kalkutta, das neuntälteste Museum der Welt zu sein, hat uns zu der Frage geführt, welches denn das erste wäre und in der Folge zu einer kleinen Studiensammlung von ‚Ersten Museen’, was wiederum schnell gezeigt hat, daß ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens über einen sehr langen Zeitraum hinweg bezeichnet. Ein einziges Wort, um den humanistischen Wissensraum und das nationale Sammlungs- und Schaumuseum zu bezeichnen? Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch noch ganz andere Dinge bezeichnet. Es hat mythologische, religiöse, wissenschaftliche oder zum Beispiel literarische Konnotationen.
    Und dann: es ‚passt’ nicht. Es deckt gar nicht die moderne Idee des allgemein zugänglichen Sammlungsortes ab, den eine Gesellschaft in repräsentativer und diskursiver Absicht einrichtet und unterhält.
    Deswegen kommt es am Beginn des 19. Jahrhunderts, also zu dem Zeitpunkt wo sich dieses neue Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt, zu einer Kritik des Begriffs. Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München verzichtet man auf ihn und wählt das Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen Museum in Berlin (heute: Altes Museum) beginnt man sich zu fragen, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. Es kommt zu einem kurzen gelehrten Disput in die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
    Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals.
    Man entscheidet sich dennoch für ‚Museum’, um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine ‚ältere’ Bedeutung des griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese Bedeutung zu erläutern.
    Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung der staatlichen Sammlung und des nationalen Museums bereits der Weg geebnet.
    Aber ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, noch einmal eine wichtige für die ab nun usuelle Bezeichnung war, und zwar, weil es sich um den ersten Museumsbau (Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedetenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
    Ist die Geschichte damit zu Ende?
    Keineswegs. Denn was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? Warum die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum übersetzte man dieses Wort (entgegen der Wortbedeutung) so ins Deutsche: Ruheort (nämlich der Kunst)?
    FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNI­GENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII - Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828.
    Fortsetzung folgt.

    Freitag, 5. Februar 2010

    Einlass (Texte im Museum 17)

     
    Nationalgalerie Berlin, 90er-Jahre. Foto: GF

    Glasmurmeln und Kanu

    Für manche der schönste belletristische Museums-Text überhaupt - die Passagen aus dem 1951 erschienen Roman Der Fänger im Roggen, in denen der Besuch des Helden des Buches, des 16-jährigen Holden Caulfield, im Museum of Natural History New York geschildert wird. Aus Anlass des Todes des Autors, Jerome David Salinger, hier ein kleines Memorial...

    ... Der Fußboden war durchgehend aus Stein, und wenn man Murmeln in der Hand hatte und sie fallen ließ, sprangen sie wie verrückt über den ganzen Fußboden und machten einen Heidenlärm, und dann ließ die Lehrerin die Klasse anhalten und ging zurück, um zu sehen, was denn los war. Aber Miss Aigletinger, die wurde nie sauer. Dann kam man an einem ganz langen indianischen Kriegskanu vorbei, das ungefähr so lang war wie drei verfluchte Cadillacs hintereinander, mit ungefähr zwanzig Indianern drin, manche paddelten, manche standen aber auch bloß da und machten einen auf hart, und alle hatten sie Kriegsbemalung im ganzen Gesicht. Hinten im Kanu saß ein sehr gruseliger Typ, der hatte eine Maske auf. Das war der Medizinmann. Bei dem lief's mir kalt den Rücken runter, aber ich mochte ihn trotzdem. Noch was, wenn man im Vorbeigehen eins der Paddel oder was anfasste, sagte einer der Wächter zu einem: »Fasst bitte nichts an, Kinder«, aber das sagte er immer mit einer netten Stimme, nicht wie ein verfluchter Polizist oder was. ...

    Foto: Schulklasse vor dem indianischen Kanu, 1911 (Foto: MNH New York)