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Mittwoch, 15. August 2012

Wie hindert man Besucher daran, in zehn Minuten durch eine Ausstellung zu rennen?

Fundsache beim 'Perlentaucher'. 2014 wird die Künstlerin Marina Abramovic in New York ein Institute for the Preservation of Performance Art leiten. Die Künstlerin, die es satt hat, daß "das Publikum in zehn Minuten durch Galerien rennt", hat Maßnahmen vorgesehen, daß sich die BesucherInnen Zeit nehmen:

"'First, you will sign a contract that says you must stay for six hours, regardless if there are events scheduled for the entire time or not,' she began. 'Then you will surrender your Blackberry, your iPhone, your watch, your computer… anything that reminds you of time. Then you will be given a white lab coat, because you have become an experimenter. You will also be given sound-cancelling headphones which you can wear when you like.' But that wasn't all. 'You will have an attendant that will move you from room to room. You will be sitting inside a futuristic wheelchair that I'm creating specifically for the institute with designers and architects. It will be designed to have hot food contained in one arm, cold food inside another, and a place for liquids to drink. You will never have to get out of the chair unless you need to. The attendant will take you where you want. Even if you fall asleep - which people might after a 6- or 24-hour performance - you will dream of the performance because you will have in a sense not left it. This is all designed for long-duration experience.'"

Sonntag, 5. August 2012

Ein inkompententer Dialog? Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum in Wien

Ein Möbelstück in einem Kunstgewerbemuseum, ein Fahrzeug in einem Technischen Museum, ein Totem in einem Völkerkundemuseum können ohne Eingriff in ihre materielle Integrität ein Museumsdasein fristen. Ins Naturmuseum aber kommen Dinge, deren soziales wie semantisches Leben ebenso zu ende gegangen sein muß, wie deren biologisches. Dazu ist aber hoher artifizieller Aufwand nötig, weil dort dem Verfall des Stofflichen Einhalt geboten werden muss, um etwas als Exponat zeigen- und das auf Dauer - oder als Objekt deponieren zu können. So ,lebendig‘, wie es nun einmal war. (1) 

Der Gemeinplatz, daß es das Museum mit dem Tod zu tun hat, der alltagssprachlich in der pejorativen Verwendung von 'museal' ziemlich tief sitzt, der aber ein Gemeinplatz der Theorie und nicht der musealen Praxis ist, die dieses Faktum verdrängt, gilt nirgendwo so sehr, wie in den sogenannten Naturmuseen. (2)

Die Konservierung, deren Techniken biologisches 'Material' zu erhalten, seit der Mitte des 16. Jahrhundert entwickelt wurden - wovon eindrucksvolle Beispiele in den ältesten tradierten Natursammlungen zeugen, etwa denen der Universität Bologna -, ist nur der erste Schritt. Um Naturhaftigkeit zu erzeugen, bedarf es meist einer Rekonstruktion, Ergänzung, Formung oder gar Inszenierung.

Naturmuseen erzeugen daher oft ein mehr oder minder ausgefeiltes Ambiente. Ein Sandboden kann genügen, um die Illusion eines Meeres zu erzeugen und am anderen Ende der Skala der Illusionstechniken (die diesen Museumstyp verwandt macht mit den ältesten und populärsten Schaustellungspraktiken) stehen komplette Szenen, (3) nahezu naturidente Ausschnitte einer Lebenswelt, bei der selbst  die Perspektivität und Räumlichkeit der Wahrnehmung - wie z.B. im Diorama - erzeugt wird.

Das Naturmuseum ist deshalb in gewissem Sinn künstlicher als alle anderen Museumstypen, nicht nur weil es großen Aufwand an Konservierung und Präparation (4) erfordert, sondern weil der Schein ,authentischer‘ Natur aufrecht erhalten werden soll und gleichzeitig der Aufwand der nötig ist, diesen Eindruck zu erzeugen, nicht offensichtlich werden darf.

Dem Naturmuseum hilft dabei, daß wir generell dazu neigen, alles an Gestell, das zum Zeigen, zum Zu-Sehen-Geben im Museum nötig ist, zu 'übersehen'. All die Sockel, Vitrinen, Bühnen, Lichter uvam. blenden wir aus. So dürften wir wie viele Besucher gar nicht recht registrieren, wie groß die Diskrepanz zwischen einer zur 'Familie' zusammengestellten Löwengruppe auf einer angedeuteten Landschaft zur historischen Vitrine aus der Gründerzeit des Museums ist, in der diese Gruppe ihren theatralischen Auftritt hat.

Verschleiert wird der hohe Aufwand im Namen einer ordnenden und klassifizierenden Wissenschaft, die es mit Natur, der sie diese Klassifikation als ihr immanente zu entnehmen glaubt, und mit nichts anderem zu tun haben will.

Eine Konsequenz dieser Spaltung in rationale Ordnungswissenschaft einerseits und ,lebensweltliche‘ Darstellung andrerseits, die selbst ein Museum, das so sehr wie das Wiener von wissenschaftlichen Ordnungssystemen geprägt ist, ist zum Beispiel die Trennung von Sammlung und wissenschaftlicher Arbeit einerseits vom Ausstellen und den nötigen Zurichtungen der Dinge zu Exponaten sowie von der Pädagogik bzw. Vermittlung andrerseits. Daß das Naturhistorische Museum in Wien das erste Bundesmuseum mit einer eigenen Vermittlungsabteilung und einem großen, der Vermittlung reservierten Saal mitten in den Dauerausstellungen war, verstehe ich als Konsequenz der genannten 'Spaltung'.

Bei einem Gang durch das Wiener Museum quert man heute mehrere sehr unterschiedliche Museen, in denen man spürt, wie groß die Versuchung ist, den popularen Schaustellungstechniken im Interesse eines Publikums nachzugeben, das über einschlägige Formate in Kino, TV oder Computeranimationen längst raffinierteste 'Animationstechniken' bzw. im Namen authentischer Bilder die Natur manipulierende Filme gewohnt ist. Wahrscheinlich wird von Besuchern auch erwartet, daß im Museum etwas Adäquates zu sehen ist, während die Verpflichtung auf wissenschaftliche Korrektheit und Kriterien noch bleischwer an den Sammlungen hängt und von den Kuratoren verteidigt wird.

Im Sauriersaal, der jüngst neu gestaltet wurde, kann man den Zwiespalt der Haltungen gut studieren. Es fanden sich hier ohnehin schon, ohne daß einem das bewußt werden musste, Originale Fundstücke, Faksimiles (Abgüsse) und Rekonstruktionen, deren oft sehr hoher spekulativer Anteil nicht so ohne weiteres gewusst werden kann und soll und dementsprechend zurückhaltend kommuniziert wurde und wird. Neu im Saal ist aber nun eine Art Puppe, ein Saurier, der ein wenig den Kopf drehen und brüllen darf, dezent, fast lieb und daher von fragwürdiger Konkurrenzfähigkeit zu Jurrasic Parc.
So geht das Museum mit seinem Widerspruch (5) um, unsicher, unentschlossen, kompromissbereit, notwendgerweise inkonsequent, experimentell.

*


Wenn ein Künstler wie Daniel Spoerri im Naturmuseum auftritt, kann man sicher sein, daß er es partiell wieder in einen Ort des Staunens verwandelt, indem er ihn zu einem Ort des Changierens der Dinge, ihrer Formen und Bedeutungen macht und die Grenze zwischen 'Natur' und Kunst sowie der dem Naturmuseum eigentümlichen Künstlichkeit zwar nicht ignoriert, aber sie verschiebt, thematisiert, bewußt macht, wieder verwischt. Plötzlich tauchen alle stillschweigenden, dem Museum zugrundeliegenden Techniken und Riten, wieder ins Licht der Reflexion, das Sammeln, Auflesen, Zusammenstellen, Benennen, Ordnen, Hierachisieren, Vergleichen. 

Ein ganzes Jahr lang stöberte Spoerri, begleitet von zwei Mitarbeitern des Hauses, Margit Berner und Reinhard Golebiowski, in den Speichern und Depots, in den Arbeitsräumen und Schausälen, er erhielt überall Zugang, aber, mit einer Ausnahme, nie das Recht, Objekte 'anzutasten'. Das Museum, auch das Naturmuseum, das ja so viel beherbergt, was ja ohnehin längst Artfakt ist, wacht dennoch über keinem Tabu strenger als über dem der materiellen Unversehrtheit. Was in Kunstmuseen oder historischen Museen im Namen einer potentiellen kulturellen Bedeutung geschieht, die es offenzuhalten gilt, betreibt das Naturmuseum im Interesse ihrer Erkenntnismöglchkeiten. ,Sachbeweise‘ werden dauerhaft für künftige methodische und heuristische Innovationen zur erneuten Befragung bereitgehalten, nicht unbedingt aber um als kulturelle Bedeutungen im öffentlichen und sozialen Raum Museum kommuniziert zu werden.

Man sieht es der Ausstellung  „Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum“ (Zur Webseite des Naturhistorischen Museums: http://www.nhm-wien.ac.at/presse/daniel_spoerri_im_naturhistorischen_museum) an, daß auf Ihre Vorbereitung so viel Zeit verwendet wurde. Vor allem im Vergleich mit den teilweise problematischen Ausstellungen, die Spoerri in Österreich gemacht hat, seit er hier lebt, ich meine die in Krems („Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/02/alles-war-sehr-gut-und-lustig.html)  und Graz („Grazgeflüster. Ein Musée sentimental, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2011/12/grazgefluster.html) , fällt die ungleich reichere Entfaltung von Ideen, die größere Sorgfalt der Konzeption und Ausführung auf.

Die Ausstellung ist ein Kompositum aus älteren Werken Spoerris, Objekten, die er inspiriert von den Museumssammlungen neu gemacht hat, Arrangemts aus Museumsdingen, an denen sowohl er als auch die genannten Kuratoren beteiligt waren. Die relativ große Ausstellung wurde letztendlich nach der der Museumsordnung zugrundeliegenden fachlichen Gliederung, Zoologie, Mineralogie, Botanik usw., gegliedert, verhält sich aber dazu sowohl experimentell-ästhetisch als auch museologisch-reflexiv.

Die Ausstellung fasziniert mit etwas, was man von Sporrri schon kennt, von der überbordenden Phantasie eines physiognomischen Blicks, der Dingen innewohnende Eigenschaften erkennt und ihr Potential für ein Neuaragement, für eine Art von Reanimation, die nichts mit der musealen des Naturmuseums zu tun hat, aber auch etwas abwirft für das Sichtbarmachen seiner Mechanismen. Spoerri hat sich den unbefangenen und staunenden Blick bewahrt, der Dinge jenseits kodifizierter Bedeutungen wahrzunehmen bereit ist und er versteht es, den Besucher mit demselben Blick zu belehnen.

Spoerris Misch- und Fabelwesen sind in erster Linie ästhetisch faszinierend lassen sich aber in gewissen Grenzen auch im Kontext kultureller Bedeutungen lesen. Ein Teil der Faszination hat wohl auch mit Spoerris Respekt vor den Dingen zu tun und mit der Neugier, mit der er der dahinterstehenden wissenschaftlichen aber auch etwa präparatorischen Arbeit umgeht. Spoerris 'Reanimationen' sind subtil, sie gelten allem, was im Museum Ding geworden ist, dem Meteorit oder der Muschel ebenso wie dem Waffeleisen oder der Möbelzierleiste. Animistisches Denken wie im Märchen läßt die Dinge ein spukhaftes Dasein zurückgewinnen, bedrohlich, schrill, skurril, drollig, rätselhaft. Manchmal zielt das direkt auf die Techniken und Riten des Naturmuseums. Galvanisierte Tiere z.B. erhalten eine vermeintlich ewig haltbare Plastizität aber auch eine unheimliche Lebendigkeit durch ihre das Licht reflektierende metallene Oberfläche.



Seine Arbeit ist die Schaffung einer Art von zweiter Natur, die darin vielleicht im Grundsatz mit der artifiziellen Museumsnatur einer solchen Institution eng verwandt ist, aber er kommt zu ganz anderen Resultaten. Was dabei an Kritik, Analyse der institutionellen Praktiken und Riten abfallen könnte dürfte ihn weit weniger interessieren, als die ästhetische Faszination. Darin unterscheidet er sich prinzipiell von Mark Dion (Siehe „Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum?“. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Dion), dessen 'Naturmuseen' weit über das Museum hinaus den gesellschaftlichen Umgang mit Natur und auch damit die Verfasstheit des Naturmuseums zur Disposition stellt. Diese explizit kritische Haltung ist Spoerri fremd, wenngleich er genauso witzig und ironisch sein kann wie Dion.

Was daran an Kritik dennoch abfällt und die Verunsicherung, die davon dem Selbstverständnis eines Wissenschaftsmuseums drohen könnte, begegnet man mit einer räumlichen Separierung und einer gedanklichen. Die Ausstellung wird als ,Sonderschau‘ in getrennten Räumen und nicht etwa als Intervention in der Dauerausstellung präsentiert - Spoerri ist "Kunst" im und für das Haus und nur unter diesen Bedingungen kann und darf sie Gastrecht bekommen. Die Grenzen, die man Spoerris Arbeit setzte, sichern das Museum vor jeder Art der Kontamonation. Dabei wäre vor allem der Prozess selber und dann auch das Resultat, die Ausstellung, eine Chance der institutionellen Selbstbefragung gewesen.

Statt das anzustreben einigte man sich auf eine Art von Stillhalteabkommen mit dem Untertitel der Ausstellung, „Ein inkompetenter Dialog?“. Das Fragezeichen läßt dem Museum das durch das Fragezeichen diplomatischen gemilderten Vorurteil, daß jeder ein Laie, Dilettant ist, der sich nicht der Kriteriologie der Institution unterwirft, während das Fragezeichen für Spoerri das Schlupfloch ist, durch das er seine Kompetenz als Künstler, Zauberer, Erzähler, Arrangeur, Sachensucher, Sammler dennoch ins Museum schmuggelt. (6)

*


Museen sind extrem geschickt und zäh im Festhalten an den Mißverstandnissen, die sie ihrem eigen Tun entgegenbringen. Das gilt ganz besonders für das Naturmuseum. Naturwissenschafter haben meist wenig Verständnis dafür, daß Ausstellungen (wenn es nicht bloß dienstbare Maschinerien zur Propagierung ihrer Forschungsergebnisse sind) kategorial etwas anderes sind als Wissenschaft im Sinne ihrer eigenen Tätigkeit (7), daß das ,museale Zeigen‘ anderen, komplexen Gesetzen unterworfen ist und auch anderen Zielen dient als nur der ,Darstellung‘ von ,Natur‘ und ihrer Erforschung. Selbst der ohnehin milde und respektvolle ,inkompetente Dialog‘, den Spoerri führt, wird aufmerksam in Schranken gehalten.

Dabei wankt die Bastion Naturmuseum längst und es wird nicht lange dauern, bis sich der jetzt noch teddybärenhafte Museumssaurier nicht nur wie im Youtubevideo auf die Jagd nach kleinen Kindernmacht, sondern auf die nach großen Kuratoren...

Das Buch zur Ausstellung, zweisprachig und bibliophil sowie sehr schön bebildert: Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - ein inkompetenter Dialog? Kerber Art. Bielefeld und New York 2012

Parallel zur Ausstellung zeigt Daniel Spoerri eine von ihm kuratierte in seinem Ausstellungshaus (siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/eat-ab-art-daniel-spoerri-in-hadersdorf.html) in Hadersdorf am Kamp, „Natürlich Natur? Paralipomena“, zu der es eine - ebenfalls sehr schön gestaltete - (gleichnamige) Begleitpublikation gibt.

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1) Jedes Museum hat es mit ,Lazarisation‘ zu tun. Das größte Problem, das glaubwürdig zu inszenieren, hat verständlicherweise das Naturmuseum. Ein spektakulräses Beispiel für die Ambivalenz von musealem Tod und musealer Auferstehung ist der große Zug der Tiere - ins Museum als Arche Noah als letzte Rettung oder aus dem Museum als Bewegung zur Erlösung vom Museum bleibt offen. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/07/der-zug-der-tiere-im-pariser-museum-d.html   
Die Verlebendigung kann freilich in der Übertreibung scheitern, siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/06/spazierganger-museumsphysiognomien.html

2) Es gibt aber auch das Naturmuseum, das einen mit beispielloser Direktheit mit Tod und Sterblichkeit konfrontiert gerade weil es es seine Ordnung wie skelettiert zeigen möchte. Suehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/musee-des-mondes-perdu.html

3) Früheste Naturmuseen trieben einen Illusionierungsaufwand, der heutige Inszenierungen in nichts nahesteht, beziehungsweise sie überbietet. Vom Naturalienkabinett, dem Vorläufer des Naturhistorischen Museums in Wien, existiert eine ausführliche Beschreibung, die belegt, daß es schon kurz nach 1800 um die Schaffung ganzheitlicher ,Bilder‘ und ,Biotope‘ ging. Willson Peales Museum in Philadelphia, das als ältestes der USA gilt, wurde von seinem Autor nicht nur mit sorgfältig inszenierten Szenen ausgestattet, zeitgenösische Beschreibungen berichten von erfindungsreichen Maschinerien zu filmähnlicher Bildprojektion, von echtem Wasser und technisch erzeugter Hintergrundmusik. Peales wunderbares Selbstporträt - vor seinem Museum, dessen ,Vorhang er lüftet‘ -, kann man als ingeniöse Auseinandersetzung mit der hier diskutierten Dialektik von Mortifizierung und Lebendigkeit lesen. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Peale

4) Präparatoren haben ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein von ihrer Tätigkeit als Kunstfertigkeit. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/ausgezeichnet-texte-im-museum-000.html

5) Der Widerspruch schlägt sich im Wiener Museum sogar in der Möblierung nieder. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/mikromuseum-evolution-des.html

6) „Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden“, schreibt Alberto Manguel in seinem lesenswerten Essay zum Sammeln und Ausstellen, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/03/dracheneier-und-phonixfedern-das-museum.html

7) In den Worten des derzeitigen Direktors hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/saurier-und-forschung-noch-einmal-wie.html und hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/da-bekommt-die-mineralogie-sofort.html








Donnerstag, 2. August 2012

Der Elch im Supermarkt. Nicht alles, was eine Intervention ist, ist auch interessant

"Die Künstlergruppe Steinbrener/Dempf nimmt die drastisch gestiegene Bedeutung des Kulturlandschaftstypus «Stadt» zum Anlass, sich mit der Koexistenz von Menschen, Tieren und Pflanzen im Rahmen urbaner Strukturen auseinanderzusetzen und präsentiert das Ausstellungsprojekt „Freeze!“ im Mai 2012 im Naturhistorischen Museum in Wien. Für das Aufeinandertreffen von Tier und Mensch wird ein für naturwissenschaftliche Museen traditionelles Ausstellungsmittel revitalisiert: das Diorama."

Vollmundig will und das Naturhistorische Museum Wien eine Installation schmackhaft machen, über deren Bedeutung, die man ihr im Museum gibt, der bereitgestellte Ausstellungsort einiges aussagt: das 'Dachstübchen' im zweiten Stockwerk ist der so ziemlich entlegenste Raum des Museums, und das ist auch gut so.

Denn so leer sich die zitierten Sätze der offiziellen Museumswebseite anfühlen, so leer fühlen sich die drei 'Dioramen', die es dort zusammen mit eineigen Fotografien zu sehen gibt. Bildkalauer mit begrenztem Unterhaltungswert, äußerst schwach strahlendem Aufklärungspotential, und außerdem keine Dioramen (für die es übrigens im Museum auch keine Tradition gibt), sondern bloß rasch eingeräumte Guckkästen.

Schmunzelkunst, aber humorlos. Eher nur peinlich im Vergleich zu der gleichzeitig laufenden Ausstellung von Daniel Spoerri.

Dienstag, 31. Juli 2012

Eat & Ab Art. Daniel Spoerri in Hadersdorf

2009 erwarb Daniel Spoerri zwei Häuser im niederösterreichischen Hadersdorf am Kamp, die als Gastronomie - Eat Art - und Ausstellungshaus fungieren. Es gibt dort Veranstaltungen und das Refugium ist auch ein Art Depot der Werke des inzwischen in Wien lebenden Künstlers.
Im Ausstellungshaus finden regelmäßig Ausstellungen statt.

Derzeit (und bis 28. Oktober) ist "Natürlich Natur - Paralipomena" zu sehen, eine Art Trabantenausstellung oder Parallelveranstaltung zu der derzeit im Naturhistorischen Museum in Wien zu sehenden Ausstellung, an der Spoerri dort zusammen mit zwei Kuratoren des Hauses ein Jahr lang gearbeitet hat, "Ein inkompetenter Dialog".

Beide Häuser in Hadersdorf bieten aber in den Veranstaltungsräumen wie in den Gärten so etwas wie eine permanente Spoerri-Installation, unter anderem ist die vielteilige Assemblage "Genetische Kette des Flohmarktes" zu sehen.
Ich habe in einem Post mal über die meiner Meinung nach ziemlich mißlungene Variierung des Musée sentimantal geätzt, die Spoerri in Krems gemacht hat und auch seine drei Räume im Stadtmuseum Graz im Kontext der Ausstellung "Grazgeflüster" waren nicht unbedingt restlos glückliche Erfindungen.

Der Wiener Ausstellung, ich hoffe ich komme zu einem ausführlicheren Bericht, merkt man eine lange, sorgfältige Vorbereitung an und Hadersdorf zehrt von den höchst elaboriert und doch nicht überfrachteten wunderbaren Räumen, Häusern wie Gärten - wobei man durch die (offenbar wunderbare) Bewirtung sein irdisches Glück nicht bloß in gepflegter Kunstbetrachtung allein verwirklicht sehen muß.

Hier der Text zu Spoerris (und Bazon Brocks) Ausstellung in Krems, "Alles war sehr gut und lustig..." und hier der Text zur Ausstellung "Grazgeflüster" im Stadtmuseum Graz.

Und hier der Link zum Ausstellungshaus Spoerri in Hadersdorf am Kamp

Montag, 6. Februar 2012

Das witzigste Museum der Welt

Es ist wieder zu sehen -: das witzige, wunderbare Mouse Museum von Claes Oldenburg, und zwar im Museum Moderner Kunst in Wien, das dieses 'Objekt' ja besitzt, aber nur gelegentlich ausstellt. In der laufenden Ausstellung "Claes Oldenburg. The sixties" (bis 28.Mai) ist es nun mal wieder ausgestellt.
Eine Empfehlung, mehr als das: ein "unbedingt" oder "nicht versäumen"!





Alle Fotos: G. Fliedl


Donnerstag, 15. Dezember 2011

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Grazgeflüster. Ein Musée Sentimental


Das 'Musée sentimental' ist ein fester Begriff in der Geschichte der 'Künstllermuseen' und gilt als eines der der interessantesten und erfolgreichsten Projekte, mit denen Künstler sich seit den 70er-Jahren (Claes Oldenburg, Andy Warhol, Marcel Broodthaers uva.) mit der Idee des Museums auseinandergesetzt haben.
 Daniel Spoerri hat selbst immer wieder und in unterschiedlichsten Rollen an seiner für den Kölner Kunstverein (1979) entwickelten Idee weitergestrickt, zuletzt etwa in Krems/Stein (in einer ziemlich verunglückten Form) und nun in Graz im Stadtmuseum in wiederum einer neuen Variante.
Sowohl Spoerri als auch die beiden Kuratoren sind am Grazer Stadtmuseum stark von der ursprünglichen Idee abgewichen. Spoerri steuerte drei 'Installatuionen' bei wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können, während unter dem Titel "Grazgeflüster" (wie werbewirksam und wie informativ ist so ein Titel eigentlich?) graztypische Objkete mit Geschichten, Anekdoten und Infos verknüpft und gezeigt werden.
Eine solche Ausstellung soll weder eine Stadgeschichte erzählen noch repräsentativ eine Stadt sozusagen abbilden. Es funktioniert eher wie ein Auslegen von Spuren, bei denen man eineige Indizien zusätzlich mitbekommt, im übrigen aber selbst dann weiterfahnden sollte. Nicht bloß die intellektuelle Auseiunandersetzung kommt dabei ins Spiel, das Wissen un geschichtliche Ereignisse und Abläufe, sondern eine emotionale Disposition wie sie religiösen wie profanen Reliquien eigentümlich ist (Einer der _ mehreren - Untertitel der Kölner Ausstellung lautete denn auch 'Entwurf zu einem Lexikon von Reliquien und Relikten). Als Dinge, die mit einem großen Ereignis oder einer bedeutenden Person buchstäblich einmal 'in Berührung' gestanden haben, vermittelt sich uns noch im Museum etwas von dieser einstigen Nähe - das aber in der zeitlichen und apparativen (Vitrinen, Sockel, Beschriftung) Distanz des Museums, die eine eigentümliche Dialektik der Museumserfahrung in Bewegung hält: daß uns nämlich, wie es Walter Bejamin formuliert hat, zeitlich und räumlich nahe ist, was ja unter Umständen zeitlich und räumlich unendlich entfernt sein kann.
Im glücklichsten Fall kommt im Spiel mit "Spur" und "Aura" (so die Begriffe Benjamins) eine witzige und gleichwohl politisch aktuelle Installation zustande wie bei der Dokumentation des juristischen Umgangs mit einem feinstaubgeschädigten Kind (mit echten Akten und echtem Husten), im schlechteren Fall, bleibt es eim Beliebigen und Anekdotischen stecken, wie z.B. bei Spoerris Sammlung Steirischer Panther, an denen ihn offenbar nur deren - gelegentlich zensierte, gelegentlich schamhaft entsorgte -, flammende Virilität interessiert hat.

Die Konjunktur des Musée sentimental hat mit der offenkundigen Irritation herkömmlicher Museumsparadigmen zu tun. Die beim 'Original', dem Kölner Musée sentimentale verwendete alphabetische Ordnung, war zur Zeit ihrer Entstehung eine befreiende Geste gegenüber der oft zwanghaften und sowieso fragwürdigen Ordnungssysteme aus den einschlägigen Wissenschaften. Zusätzlich bedeutete die Wahl alltäglicher, bescheidener, fragmentarischer usw. Objekte noch einmal einen kleinen Aufstand gegen das hochkulturelle Pathos des Museums zu inszenieren.
Wie es ist mit den Gesten der Avantgarde, irgendwann werden sie vereinnahmt oder ergeben sich freiwillig dem Sog der Institutionen. Museologisch kariöse Museen greifen zur Intervention, zur Installation zum Künstlermuseum wie sich nach physischer Wiederherstellung Sehnende zu Frischzellenkuren und Botoxspritzen.
Bei der Eröffnung war Daniel Spoerri ganz schön grantig. Angeblich wegen eines Ärgers mit seinem Hotel. Vielleicht aber auch, weil er selber, inzwischen über 80 Jahre alt, merkt, daß er selbst viel zur Erschöpfung einer Idee beiträgt, die einmal frischer und jünger gewesen sein könnte, als man auf den ersten Blick sieht. Denn neben neuartiger, spielerischer Repräsentation von 'Geschichte' hatte das Musée noch eine andere, weniger offenkundige Bedeutung.
Unter großem Zeitdruck entstanden, als Arbeit mit einer Gruppe von Studenten, und daher weit mehr kollektiv generiertes Projekt als 'Genie'-Künstler-Museum, könnte das Kölner Musée Sentimental etwas gewesen sein, was es wohl extrem selten gibt: eine kollektiv kuratierte Ausstellung.
"Grazgeflüster" hat über die Fortsetzung und Entwicklung einer Idee hinaus eine spezifische Funktion für das Museum selbst: in der Zeit der Vorbereitung einer neuen Dauerausstellung ist dieses Musée auch ein Probelauf für eine andere Art der Erzählweise, die jedes Pathos, jede Meistererzählung, jedes Anlehnen an kanonisierte Highlights vermeidet. In der Praxis zeigt sich etwas Erstaunliches: nicht jede Stadt scheint für eine derartige doppelbödige, ironische Repräsentation geeignet. In den Diskussionen um das Musée sentimental, die wir auf der Sommerakademie 2011 mit Susanne Padberg*) geführt haben, schien Köln auf Grund vieler lokaler Eigenheiten, Eigenheiten seiner Alltagskultur, seines Dialekts, seiner karnevalesken Tradition und anderes mehr, für ein solches Experiment wie das Musée sentimental besonders geeignet. Vielleicht ist ja Graz ironifreier, feinstaubbedeckter und eindimensionaler als man denkt.

Ich habe eine Grundsympathie für jede Form des experimentellen, tentativen Ausstellens, deswegen möchte ich hier weniger als Kritiker, denn als Berichterstatter auftreten und dazu ermutigen - die Ausstellung ist noch bis Februar zu sehen -, "Grazgeflüster" zu besuchen.

Definitiv empfehlen möchte ich den 'Katalog', der aufwändig gestaltet die Idee des 'Musée transformiert und einer der schönsten und intelligentesten Ausstellungskataloge seit langem ist.**)

*) Durch ein Projekt des Ludwig-Uhland Instituts der Universität Tübingen ist das Musée sentimental inzwischen zur Ehre einer Dokumentation und Analyse gekommen, die in Buchform und von Anke te Heesen und Susanne Padberg herausgegebenen 2011 publiziert wurde: Musée sentimental 1979. Ein Ausstellungskonzept, bezieht sich mit der Jahreszahl 1979 explizit überwiegend auf das Projekt im Kölner Kunstverein. Das Buch ist bei Hatje und Cantz erschienen.

**) Gerhard Schwarz, Otto Hochreiter, Beat Gugger (Hg.): Grazgeflüster. Einige Stichworte zu einem Musée Sentimental de Graz mit Daniel Spoerri. Graz 2011
Der Katalog wurde eben mit dem Award des Deutschen Designer Clubs ausgezeichnet.


Samstag, 10. September 2011

"There is no...." (Das Museum lesen 20)

Von Eilean Hooper-Greenhill gibts ja schon den schönen Satz "There is no essential museum" (Punkt), nur übertroffen von Sharon McDonalds "The museum doesn't exist".
Jetzt mal im Ernst, und das Objekt? "There is no essential truth of the object" (wiederum EHG) und weiter "Their meaning is fluid, changeable, relational and contextual".
Dazu ein echter Haim Steinbach:

Freitag, 2. September 2011

Gipsoteca Possagno. Canovas Vermächtnis



Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln, die sich zwischen Alpen und Ebene schieben, gelegen, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.

Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, Gemälde, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem für die Ausstellung seiner Werke realisierten Bau gezeigt.

Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreijochige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts. Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Straße und dann eine Treppe hinaufführen. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet. Noch heute, wo Possagno relativ dicht verbaut ist, nimmt sich die monumentale, im Grund städtische Planung ausgesprochen überdeterminiert aus. Canovas Geburtshaus ist offenbar weitgehend unverändert erhalten geblieben und dient ebenfalls als Museum.


Das Bemerkenswerteste der eigentlichen Gipsoteca  sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Nägeln überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren und die Verwirklichung der Gipse in Marmor erlaubte. Diese 'Punktierung', mit denen viele der Figuren überzogen sind, das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.

Im zweiten Weltkrieg wurde der Ort und das Museum von Bomben und Granaten beschädigt, das Museum schwer, viele Objekte wurden vollständig oder teilweise zerstört. Ob manche massive Beschädigung, die man an den Figuren heute sieht, auf diese Zerstörungen zurückgehen oder modernem Vandalismus geschuldet sind, läßt sich nicht erkennen. Ein martialischer Text, in dem mit der Polizei gedroht wird, ist das einzig 'Prohibitive', das sich schützend vor die freistehenden Objekte schiebt.

Manches Werk scheint offensichtliche Spuren von Überarbeitung zu zeigen, denn bildhauerische Ergänzungen kriegsbeschädigter Figuren scheinen im großem Umfang gemacht worden zu sein. Hier kann man die Denkmäler für George Washington finden (in mehreren Varianten), die Theseusgruppe (in Originalgröße), die im Auftrag Napoleons geschaffen wurde und die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet, Porträts, mythologische Gruppen wie Daedalus und Ikarus oder auch (ebenfalls in Originalgröße) das Grabmal von Marie Christine von Österreich.

1957 wurde die Disposition dieses höchst merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten jener Zeit fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer, vor allem kleinformatigere Werke hinzu. Anders als die Gipsoteca kommunizieren die schmalen Räume mit dem von Scarpa mit Pflanzen und Wasser gestalteten Außenraum und werden mit natürlichem Licht, z.T. durch eine Art von Laternen (vielleicht von John Soanes Museum inspiriert?) ziemlich dramatisch beleuchtet.

Der kleine Garten mit Zierpflanzen und Obstbäumen bildet zwischen Geburtshaus und 'Museumstempel' eine kleine Oase - inmitten eines unikalen Ensembles.






Montag, 13. Juni 2011

Marcel Broodthaers: Museum Museum *1971* (Museumsphysiognomien 13)

Marcel Broodthaers: Museum – Museum, 1972
Zwei Siebdrucke mit je 16 Goldbarren auf schwarzem Grund, die Goldbarren scheinbar identisch, aber individuell, wie Illustrationen oder Objekte beschriftet. Links mit Namen berühmter Künstler, Mantegna, Bellini ... Duchamp, Magritte usw., unter der untersten Reihe der Goldbarren: IMITATION, KOPIE, COPIE, ORIGINAL. Das Gegenstück rechts mit Butter, Speck, Kanone, Fleisch, Schokolade, Kupfer, Zucker, Blut, Puder, Benzin, Gold, Tabak und wiederum abweichend in der untersten Reihe IMITATION, FALSCH, KOPIE, ORIGINAL.
Beide Blätter sind in Blockbuchstaben ‚übertitelt’ mit MUSEUM.
Die Goldbarren werden uns nicht wie in einer Bank, einem schließfach präsentiert, sondern als Tableau, wie in einer zoologischen oder mineralogischen Sammlung. Sie sind sorgfältig angeordnet und präzis ausgerichtet.
Es geht um Ordnung, die symbolische Ordnung der kulturellen Werte, repräsentiert durch die Namen bedeutender Künstler, also die ‚Ordnung des Museums’. Das ist im Kunstmuseum die Ordnung der Kunstgeschichte, die Chronologie der Stile und Schulen und die Hierachie der großen Namen. Das ist eine Ordnung, die das Museum hervorgebracht hat, die aber auch durch das Museum repräsentiert wurde und wird.
Es geht um eine sichtbare Ordnung, um die ‚Präsentation’ der Goldbarren als eine Art von gezeigter, ausgestellter Sammlung von ‚Werten’. Die Ordnung scheint visuell zwingend, klar, von Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit bestimmt, auch das ein Strukturmerkmal des Museums, aber die ‚Objektbeschriftungen’ entpuppen die Ordnung als zufällig, ausgewählt, willkürlich. Wir könnten jederzeit die Namen austauschen durch andere – und wer hat hier überhaupt ausgewählt?
Auf dem linken Siebdruck geht es um jene Werte, die das Museum ausmachen, um symbolische, immaterielle, kulturelle Werte. Um ‚bedeutende’ Künstler, um ‚bedeutende’ Kunst, deren ‚museale Sehenswürdigkeit’ außer Zweifel zu stehen scheint.
Rechts geht es um Gebrauchs- und Tauschwerte, um Dinge, die eine praktische Bedeutung haben, Fleisch oder Butter sind Lebensmittel, Benzin ein wichtiger Rohstoff, Blut kann konserviert Leben retten. Genannt wird auch jener Rohstoff, der ein besonders Tauschmittel ist: Gold, das unserem Geldsystem und der Geldwirtschaft, der Real- und der Finanzwirtschaft zugrunde liegt.
Genau diese durch das Gold und die ‚Bildlegenden’ unter den Barren repräsentierten Werte dürfen im Museum keine Rolle spielen, wir dürfen museale Gegenstände weder gebrauchen oder veräußern. Die Dinge haben im Museum keine Funktion mehr, außer der gezeigt zu werden und Bedeutungen zu vermitteln. Sie sind – buchstäblich - unberührbarer Gemeinbesitz. Ein „heiliger Schatz“, wie der französische Museologe DeLoche sagt, ein Schatz, aber ein imaginärer.
Die Metapher des Schatzhauses für das Museum ist uns geläufig, aber es ist nicht nur eine Metapher. Der sakrale und der profane Schatz sind reale Wurzeln des Sammelns und damit des Museums; lange Zeit sind Schätze sowohl symbolische als materielle Werte, bis ein Prozess der Ausdifferenzierung einsetzt und beides voneinander getrennt wird. Man sondert allmählich aus dem Schatz, der immer auch Geldbesitz ist, der jederzeit veräußert werden kann, zur Finanzierung von Kriegen, Bauten, Wahlbestechung usw., Dinge aus, die auf Dauer bewahrt werden. Kostbare Reliquien, Memorabilia. Durch das Tabu, dem Dinge hinsichtlich ihrer Zirkulation unterworfen werden, kann – mit anderen strukturellen Vorkehrungen -, später so etwas wie das Museum entstehen.
Broodthaers dreht diesen Prozess um und spielt darauf an, daß man den ‚Wert’, den ein Museum repräsentiert, jederzeit gewissermaßen zu Gold / zu Geld machen kann. Kurz zuvor hat er sein Museum – darunter müssen wir uns eine lange Serie sehr unterschiedlicher Projekte vorstellen, mit denen er die Idee und die Praktiken des Museum untersuchte, analysierte, paraphrasierte -, zum Verkauf angeboten, wegen Konkurses. Und zwar in Form eines Plakates, eines Art Anschlages, Aufrufes (Musée d’ Art Moderne à vendre – Pour cause de Faillité 1970/71). Dieses Plakat lancierte er auf der Kölner Kunstmesse, wo er sich, nach eigenem Bekunden in der „heutigen gesellschaftlichen Realität“ befand – man darf hinzufügen: im Gegensatz zu der des Museums, „mit ihrem niedrigsten kommerziellen Aspekt“, wo die Kunst denselben Kriterien von Angebot und Nachfrage unterworfen ist wie jede andere Ware.
Vor dem Hintergrund dieser wenig älteren Arbeit, lassen sich die beiden Drucke mit den Goldbarren als Visualisierung der unterschiedlichen Wertsysteme in ihren unterschiedlichen Funktionen, den ‚realen’ und den ‚musealen’ verstehen, Wertsysteme, die Broodthaers gegeneinander ausspielt. Schlägt man sich ganz auf die Seite der materiellen Werte, die wie Broothaers sagt ‚in der Realität herrschen’, dann kann man auch das Museum zu Gold machen.
Dem System von symbolischen und kulturellen Werten, mit den Broodthaers hier spielt, liegen Kriterien zugrunde. Wir halten etwas für wertvoller, wenn es echt ist, wir ziehen ein Original einer Kopie vor usw. Doch spätestens seit der Geste Duchamps – den Broodthaers unter den angeführten Künstlern nennt, als einen seiner Inspiratoren -, mit der er ein industriell und seriell gefertigtes Gebrauchsding, ein Urinoir, in eine Kunstausstellung reklamierte (das war 1917), ist diese Kriteriologie außer Kraft gesetzt. Ab jetzt ist es nicht mehr die Frage, was ist Kunst, sondern wann ist Kunst. Kunst ist eine Setzung, eine Zuschreibung, in einem sozialen, kulturellen und institutionellen System. Wenn ein Urinoir in einer Ausstellung, in einem Museum gezeigt wird, dann ist es Kunst, demonstriert uns Duchamp. Der „Wert“ eines Exponats ist keine seiner Eigenschaften, sondern eine komplexe Zuschreibung, die sich verändern kann oder die widerrufen werden kann.
Die ‚Unterschriften’ unter der untersten Reihe der Goldbarren weist auf dieses System der Unterscheidung hin, irritiert und attackiert das gleichsam Naturgesetzliche von Begriffen wie KOPIE, IMITATION, ORIGINAL. Abermals stiftet dieses System von Begriffen keine Ordnung, sondern richtet eher Verwirrung an, etwa wenn ‚Kopie’ zweimal vorkommt in zwei Schreibweisen, einmal mit „C“, einmal mit „K“, und man darf darüber brüten, ob die Unterscheidung im sprachlichen Zeichen auch eine in Hinblick auf das Bezeichnete nach sich zieht.
Wir können die Begriffe auch direkt auf Broodthaers Siebdrucke anwenden und kommen in eine ähnliche Endlosschleife von Verweisen. Ist ein Siebdruck ein Original? Läßt sich mit dem Begriff der Echtheit auch etwas mit den Goldbarren anfangen, die ja nur Wert haben, wenn sie echt sind? Muß nicht was unter der Chiffre „Museum“ firmiert unbedingt echt sein?


Broodthaers spielt auch damit: er versichert uns dieser Echtheit wie bei Goldbarren üblich mit Punzierungen, aber die sind seine eigenen und machen sie damit – zu Kunst. Noch einmal öffnet er die Dinge und Zeichen der irritierenden Vieldeutigkeit, Echtheit ist ebenfalls keine materielle Eigenschaft von Dingen, sie wird ebenfalls behauptet, bezeugt, bestritten, erzeugt, beglaubigt, so wie es Broodthaers in einer Arbeit von 1971 gemacht hat, wo er zum regelrechten Vertrag griff, als Grundlage für den Verkauf eines Goldbarren zum Doppelten des Tagespreises, eines Barren, der aber gewissermaßen auch ein Kunstwerk war, weil er das Emblem eines Adlers punziert hatte. Mit diesem Verkauf wollte er sein Musé des Aigles ‚retten’ (das dann, wie wir wissen, doch in ‚Konkurs’ gegangen ist). Der Adler war ein Art Logo für Broodthaers Musée d’ Art Moderne dessen bekannteste Manifestation dann die im Düsseldorfer Kunstverein gezeigte Ausstellung „Der Adler vom Oligozän bis heute“ (1972) war. Der Verkauf eines Goldbarren zum doppelten Handelspreis zur Absicherung des – freilich fiktiven – Museumsprojektes, war nur plausibel, wenn durch die Punzierung der Goldbarren als Kunstwerk deklariert war und damit einem anderem Wertsystem zurechenbar als nur dem des in Gold messbaren.
Broodthaers hat also das Museum als Ganzes im Blick, seine Strukturen, seine Ordnungs- und Bedeutungssysteme. Das Museum selbst ist ein Symbolsystem voller gesetzter, konstruierter Bedeutungen, in dem den Dingen Bedeutung verliehen und in dem diese Bedeutungen kommuniziert werden. In ersten seiner vielen Museumsprojekte reduzierte er auch das Museum auf ein kleines Setting der nötigsten Gesten: ein paar Kunstdrucke, eine Einladung, ein paar Verpackungskisten für Kunsttransporte, eine Einladung, eine Vernissage und ein Direktor ( er selbst) genügen um ein Museum zu konstituieren, auch wenn es sich nur um den ansonst privaten Raum der Wohnung Broodthaers handelte.
Aber weder bei diesem Siebdruck noch bei den diversen Aktionen, Projekten, Werken, Interventionen, die eine Serie von – meist fiktiven – Museen bilden, geht die Reflexion, die ausgelöst wird, in irgendeiner fassbaren und abschließenden Erkenntnis auf; die Reflexion selbst ist das eigentliche Objekt, der beständig in Schwebe gehaltene Diskurs über Kunst und die Definitionsmacht, durch die sie entsteht, wie der über das Museum und seine Riten und Praktiken, durch die es sich konstituiert. Broothaers Reflexivität ist, vorausgesetzt man lässt sich überhaupt auf sie ein, immer beunruhigend und verunsichernd und vor allem: sie ist nie stillzustellen.

Sonntag, 15. Mai 2011

Ein Palast der Projekte

Ein Palast der Projekte. Sechzig Vorschläge, die Welt und sich zu verbessern, zu heilen, zum Staunen zu bringen. Ilya und Emilia Kabakov haben dieses Eldorado der Projektmacherei gabeaut und seit ziemlich genau zehn Jahren steht der Palast in einer der riesigen Industriehallen der Kokerei Zollverein Essen - ein luzides, fragiles, weisses Schneckengebilde, das auch ein wenig an Tatlins Monument der III.Internationale erinnert.
60 Tische, 60 Sessel davor, 60 schriftliche Erläuterungen, 60 Skizzen und 60 Modelle. Hier habe ich Stunden verbracht, ja, von Projektmacherei verstehe ich was, vom Basteln, vom Probieren, vom Probehandeln, vom Erträumen, Erfinden und vom Scheitern.
Mit alledem arbeiten und spielen die Kabakovs, sie parodieren und ahmen nach die sowjetische Utopien, sie offerieren Lebnshilfe und heilende Selbstexperimente, sie spielen mit musealen Versatzstücken, sie pflegen einen behutsamen Umgang mit Dingen, sie rücken der Entfremdung mit Skurrilität zu Leibe. Von der Auferweckung der Toten (eine Philosophische Utopie des ausgehenden 19.Jahrhunderts in Russland) bis zur Begegnung mit Engeln (in etwa 1400 Metern Höhe), von der Lösung von Problemen mit einem eigenen Projekt mit Hilfe eines geliehenen Pferdes bis zur Anleitung zum Verfassen öffentlicher Erzählungen, von der Errichtung eines (Natur)Denkmals für sich selbst bis zur Anbringung rätselhafter Gegenstände in der Wohnung zur Stimulierung überraschender  Gespräche mit Gästen findet sich hier alles, was das Herz eines Projektemachers nur begehren kann.
Einen so wunderbaren Ort habe ich schon lange nicht mehr gesehen und ich dachte, es wäre auch eine Art von Initiationsraum für museale Projektemacher, ein Ort der Lockerungsübungen für Aus- und Darsteller.
Diesen wunderlichen Ort zu besuchen lohnt einen weiten Umweg!

Eines von sechzig: "Behandlung mit Erinnerungen"