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Dienstag, 21. April 2020

Öffnet die Museen! Eine Petition zur Situation der Museen von Helmut M. Bien

Der Text geht weit über eine aktuellen Appell an die Politik hinaus, doch endlich die Museen wieder zu öffnen. Helmut Bien spricht über gesellschaftliche Aufgaben, die Museen übernehmen sollten, also über eine wie mir scheint auch neue Aufgabenstellung. Während Museen während der Coronakrise überwiegend auf Digitalisierung setzten, auf oft nicht mehr als eine Transformation schon vorhandener Informationen ins Netz, wird hier eine weitaus umfassendere und anspruchsvolle Rolle der Museen diskutiert. Das interessiert mich und deswegen stelle ich den Text in meinen Blog. GF
Und hier meine Replik

Helmut M. Bien

Öffnet die Museen! Eine Petition

Der #Shutdown, diese Vollbremsung des Alltagslebens, war nötig. Auch die Letzten müssen begreifen, dass es in der Krise auf alle ankommt. Besonders in Gesellschaften, in denen man zuerst an sich selbst denkt, geht es nur so. Das Soziale kann sich kaum anders als durch Regeln effizient zur Geltung bringen. Das war auch schon 1973 bei den autofreien Sonntagen inmitten der Ölkrise so. Seit diesen Tagen hat uns die Energiefrage nie wieder verlassen. Dass jetzt und künftig die persönliche Gesundheit auf dem Spiel steht, haben alle kapiert. Auch diese Sorge wird nicht wieder verschwinden wie eine Grippe. Das ahnen wir. Und weiter?
Wir sehen, dass die Politik ‚auf Sicht’ durch die Krise navigiert, dass selbst die beratenden Experten vor allem wissen, dass sie zu wenig wissen oder sich sogar wechselseitig Unwissen vorwerfen. Alle, die Entscheidungen für sich und andere treffen müssen, brauchen Zugang zu den Wissensspeichern der Gesellschaft. Deshalb war es eine kontraproduktive Entscheidung, die Museen zu schließen. Dieser Fehler muss umgehend korrigiert werden. Öffnet sofort die Museen! Dort findet sich all das, was wir bisher an Wissen gesammelt haben über den Umgang mit Krisen und Seuchen, ihren Folgen und zu ihrer Bewältigung.
Geschichte ist die beste Zukunftswissenschaft, die wir haben. Weil wir im Rückblick auf die Vergangenheit sehen können welche Zukunftsoptionen, Szenarien und Entwicklungspfade wir wählen können, wollen oder sollen. Der Kulturhistoriker Egon Friedell hat seine ‚Geschichte der Neuzeit’ 1348 mit der Pest in Florenz beginnen lassen und die Seuche als einen Treiber für Literatur, Philosophie und Technologie identifiziert, aber auch als Anlass für Hexenverfolgung und Antisemitismus. Die Muster und Mechanismen haben sich viel weniger geändert als uns lieb wäre. In der Geschichte sehen wir welcher Weg wohin geführt hat. Aus dieser Erfahrung ergibt sich keine Zwangsläufigkeit für das Heute aber zumindest eine Warnung zu Risiken und Nebenwirkungen.
Das betrifft auch die Kunstgeschichte, die Beispiele zeigt, welche Strategien Künstler gewählt haben, um heil durch Krisen zu kommen. Claude Monet malte seine Seerosenbilder in Giverny, um mit der Verzweiflung über den ersten Maschinenkrieg 1914 – 1918 fertig zu werden. Das sind Geschichten der Krisenerfahrung, die nur die Museen im Angesicht ihrer Exponate erzählen können. Natürlich sind dabei auch digitale Wahrnehmungshilfen dienlich, aber immer auch ein wenig fahl und flau gegenüber den analogen Objekten. Deshalb öffnet die Museen und zeigt in den Sammlungen Objekte, die verstehen helfen. Beschäftigt Künstler nicht dafür, dass sie nichts tun sondern beispielweise Führungen machen, in denen sie ihre Sichtweisen und Strategien veranschaulichen. In der großen Depression in den USA gab es ein Künstlerprogramm, das Photographen beauftragte das Leben in der Krise zu dokumentieren. Aus diesem Programm gingen künftige Weltstars wie Walker Evans hervor, es entstand überhaupt erst etwas, das man als amerikanische Kultur bezeichnen konnte.
Öffnet auch die archäologischen Sammlungen und zeigt die Cloaca Maxima der Römer, ohne die eine Millionenstadt wie Rom niemals möglich gewesen wäre. Denn diese Cloaca schuf die Voraussetzung für die ungeheuere Verdichtung von Menschen an einem Ort. In Hamburg brauchte es erst einen Robert Koch, der 1892 zur Bekämpfung der Cholera in der Stadt engagiert wurde und den Zusammenhang von Seuche und fehlender (Abwasser)Infrastruktur aufdeckte.
Öffnet die Museum! Schöne Idee, aber wie soll das praktisch gelingen? Für den kommerziellen Raum gibt es die Regel, dass 1 Kunde auf 10 qm zulässig sein soll. Eine übliche Sonderausstellungsfläche im Museum hat 800 qm und damit Platz für 80 Besucher gleichzeitig. Für die meisten Museen in Deutschland dürfte das nicht wenig sein. Mundschutz-Benutzung und Hygienekonzept lassen sich leichter umsetzen als in jedem Geschäft. Sanitäre Anlagen werden sowieso penibel gewartet. An der Kasse lassen sich Plexiglashauben installieren wie an der Supermarktkasse. Selbst Führungen über Headphones sind machbar, weil die Zuhörer nicht dicht gedrängt um einen Guide herum stehen müssen.
Blockbuster-Ausstellungen arbeiten mit einem digitalen Ticketsystem, das online Karten verkauft und Zeitslots für den Besuch zuweist, damit nicht unnötig Warteschlangen entstehen. In kleineren Häusern ließe sich leicht eine Rezeption einrichten, die man telefonisch kontaktieren kann, um Karten und Besuchszeiten je nach Kapazität zu buchen. Jedes Restaurant macht es so mit seinen Reservierungen.
In Krisenzeiten erweist sich was Sonntagsreden wert sind. Systemrelevanz und Unverzichtbarkeit sind da wohlfeil, um dann in der Krise die Kultureinrichtungen sofort und reflexartig dichtzumachen und den hilfesuchenden Künstlern Einmal-Zahlungen anzubieten mit der impliziten Empfehlung, sich ein anderes Geschäftsmodell zu suchen.
Es wäre gut, wenn die Kulturverwaltungen eher Arbeit organisieren würden als Unterstützungsbedürftige zu betreuen. Niemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Kultur wichtiger als im Augenblick. Die Bedeutung der Kultur wird genau in dem Augenblick unterschätzt (übrigens auch von vielen Künstlern) wo die Gesellschaft dringend auf sie angewiesen wäre.
Die phantasievollen Streaming-Aktivitäten im Internet sind nur dann eine nachhaltige Lösung, wenn sie mit Bezahlmodellen verknüpft sind und nicht weitere Selbstausbeutungsinstrumente der Künstler, denen bei der nächsten Vertragsverhandlung nach der Krise vorgehalten wird, sie wären ja auch damals für umsonst aufgetreten.
Lasst die Museen vorangehen, sie sind für das #PersonalDistancing bestens geeignet im Unterschied zu den darstellenden Künste, die ihr Publikum in Raum und Zeit konzentrieren. Lasst 2020 zum Museumsjahr werden!

Helmut Maternus Bien
westermann kulturprojekte

Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Berlin. Redakteur, Autor, Zeitschriften- und Katalogmacher. Ausstellungskurator. Seit 1976 publizistisch tätig für Tageszeitungen wie die WAZ, Fernsehsender wie SAT 1, Zeitschriften-Legenden wie Transatlantik oder das FAZ-Magazin. Schwerpunkte: Kunst und Kultur, Kulturgeschichte des Alltags (Tourismus, Werbung, Esskultur) und wirtschaftsnahe Themen wie Unternehmens- und Produktkarrieren, Design, Marketing und Messewesen. Seit 2002 Animator und Kurator der Luminale.

Inzwischen hat Helmut Bien, der den Text geschrieben hat, ehe der Öffnung der Museen angekündigt wurde (in Deutschland und in Österreich Mitte Mai bzw. Anfang Juni), auf diese Ankündigung reagiert: Die Berliner Museen gehen voran und eröffnen am 11.Mai ! DANKE an alle, die mitgeholfen haben, die Petitition 'ÖFFNET DIE MUSEEN" zu verbreiten. Die Resonanz (nicht nur auf FB) war nachhaltig. Bitte verbreitet die Petition weiter. Denn die Öffnung ist nur der erste Schritt. Die Museen können jetzt die Rolle annehmen, zu Orten der Selbstverständigung unserer Gesellschaft zu werden. Sie haben die Lage in der Stadt, die Multirfunktions-Räume, die Kontakte in die Stadtgesellschaften. Die Museen können Kerne eines öffentlich geförderten PUBLIC ART PROGRAM bilden, das Beschäftigung für Kulturschaffende aus allen Sparten schafft und vor allem dafür sorgt, dass #PersonalDIstancing nicht zu #SocialDistancing mutiert...

Freitag, 29. November 2019

Dresdner Juwelenraub. Unschätzbare Werte. Geglückte Ausbeutung

Am 25.November wurden aus dem Grünen Gewölbe in Dresden Kunstwerke gestohlen. Inzwischen weiss man, welche und wie viele. Ueber den Wert liess man sich in Zahlen nur unklar aus. Denn was meinte man mit den veröffentlichten zahlen? Den Versicherungswert? Den Verkaufswert im Falle einer Veräusserung? Da ist es schon besser von "unschätzbar" zu reden.
Um so sicherer schienen in ersten Reaktionen die Journalisten zum symbolischen Wert, der da eben verloren gegangen war. Andreas Platthaus sah in der Frankfurter Allgemeinen das "Sieges- und Heimatgefühl" der Sachsen "zerstört". Das Siegesgefühl? Das Heimatgefühl? Zerstört? Ja, denn: "Es gibt anderswo auf der Welt größere Diamanten als in Dresden, aber die Besonderheit etwa der sogenannten Brillantgarnitur als bedeutendste der drei liegt darin, dass hier ein Generationenprojekt zu besichtigen war: August der Starke kaufte den Großteil der Diamanten, sein Sohn August III. ergänzte weitere höchst bedeutende Steine, darunter den legendären 'Dresdner Grünen', und sein Urenkel Friedrich August III. schließlich ließ aus Juwelen seiner beiden Vorfahren die jetzige Brillantgarnitur anfertigen - als 'Brücke zwischen den Fürstengenerationen', wie Dirk Syndram, der Direktor des Grünen Gewölbes, das Schmuckensemble charakterisiert hat." Ja dann! Wenn daran bis jetzt die sächsische Identität hing!
Aber es geht auch ins andere Extrem, und das scheint mir interessanter, weil hier Abschied von einer genuin bürgerlichen Affirmation kultureller Tradition genommen wird: "Wer von uns hat sich je dafür interessiert, welchen Manschettenknopf August der Starke, zu welchem Fingerring trug?" Fragt sich und uns Arno Widmann in der Berliner Zeitung und spottet über die Anbetung der Tradition. "Wer von uns interessiert sich für die Veränderungen in der Kunst der Diamantenschleiferei in den vergangenen dreihundert Jahren?" Und: "Ganz sicher haben die Sachsen weniger hart an diesen Gegenständen gearbeitet, als sie vielmehr geschröpft wurden, damit die Majestäten sie erwerben konnten. Das gehört auch zur Wahrheit des Grünen Gewölbes: Hier zeigte der Herrscher, was er sich alles leisten konnte. Es ist ein Dokument rundum geglückter - verwenden wir das alte Wort - Ausbeutung. Deren Opfer zu sein, gehört ganz sicher zur sächsischen Identität."
Wenn der Regierungschef des Landes sagt, "Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen", dann meint er das natürlich etwas anders.

Samstag, 24. August 2019

Kunstmuseen - Zu viele? Grade genug? Oder? (Sokratische Frage 46)



Seit 1990 sind allein in Deutschland 700 Kunstmuseen entstanden

Sind das viel zu viele?

Grade genug?

Zu wenige (kann es nicht genug Kunst geben...?)

Oder ist das gar ein Krisensymptom?

Dienstag, 9. Juli 2019

Über die angebliche Überlegenheit westlicher ethnologischer Museen über die fehlenden Standards afrikanischer Museen

Zu den am häufigsten vorgebrachten Vorbehalten gegenüber der Restitution ethnologischer Sammlungsbestände gehört, daß namentlich afrikanische Museen den Objekten nicht jenen Schutz bieten könnten, der nötig ist, um sie dauerhaft zu bewahren. Während das für europäische Museen fraglos gelte.
In der Süddeutschen Zeitung vom 9.Juli widerlegt Jörg Häntzschel diese Behauptung, indem er das Argument an deutschen ethnologischen Museen überprüft. Deren Depots, Archivierungspraktiken und Inventarisierung erweist sich als erstaunlich desolat. Häntzschel stützt sich auf offenbar recht freimütig gegebene Auskünfte von Direktoren und Kuratoren namhafter Museen.
Fehlender Brandschutz, desolate Klimaanlagen, schädigende Umweltbedingungen gefährden das Deponierte. Noch erstaunlicher ist, daß die meisten befragten Museen nicht nur keine vollständigen Inventare haben, sondern nicht mal den Umfang ihrer Sammlungen kennen, unter anderem weil im Zweiten Weltkrieg erlittene Verluste bislang gar nicht erfasst wurden. In so manchem Museum lagern Bestände aus Grabungen und ampangen, die nie bearbeitet wurden. Ihr Umfang überfordert die Museen.
Technische Modernisierung der Inventarisierung schleppt meist die alten Defizite mit und verbessert nichts, für viele Objekte ist der Standort nicht mehr eruierbar und der Schwund ist beträchtlich.
Die Hoffnung, daß sich das mit mehr Personal schon noch aufholen und bereinigen lasse, wird von Museumsexperten bezweifelt. Es ist nicht nur eine Frage, wie unter diesen Umständen überhaupt Restitution betrieben werden kann, es ist auch die Frage, wie an solchen Museen, die nicht mal über die Grundlagen ihres Objektwissens verfügen Forschung betreiben sollen.
Hier der ganze Artikel.

Freitag, 7. Juni 2019

Leerstand. Das Humboldt-Forum wird vielleicht in einem leeren Schloß eröffnet werden

Und das bei der Wohnungsnot in Berlin - Ein leeres Schloß mit hunderten leeren Zimmern
Als ich vor vielen Jahren zum letzten Mal in Berlin war, befand sich an der Stelle, an der das Schloß wiedererrichtet werden sollte, noch ein riesiger Rasen. Menschen lagen in der Sonne, Fahrradfahrer querten gemächlich das Brachland.
Wunderbar dachte ich - eine Stadt mit einer Leerstelle in der Mitte. Was könnte hier nicht alles performativ entstehen! Statt einer definitiven Bebauung eine performatives Stadtzentrum, mit wechselnden Akteuren, wechselnden Themen, wechselnden Medien.
Klar war da schon, so bleibt es nicht. Und so wurde geradezu fatalistisch der Bau hochgezogen, obwohl man noch keine Idee für eine Nutzung hatte aber eine Art riesiger Kulisse, bisschen historisch-rekonstruktiv, bisschen modern-monumental.
Das Nachdenken über das, was in dem Schloß eigentlich stattfinden sollte, brachte viel Ratlosigkeit, viele einander abwechselnde und sich kannibalisierende Ideen und Konzepte und schließlich einen heißen öffentlichen Konflikt um den Umgang mit ethnologischem Raubgut, der bis heute anhält.

Jetzt soll alles eröffnet werden. Und siehe da - ich bekomme vielleicht meine leere Mitte wieder. Zeitungen berichten, daß die Eröffnungsausstellung wegen technischer Probleme und daraus resultierenden Absagen wichtiger Leihgaben nicht stattfinden wird. Das wird zwar dementiert, aber es könnte so kommen, daß man ein leeres Haus eröffnen muß - und vielleicht, in der Not auch will.
Was für eine Chance! Ich würde sofort in den leeren Räumen Sofas, Fauteuils, Hängematten, Teppiche, Polsterlandschaften zum Liegen installieren und tausend Diskussionsblumen blühen lassen, sagen wir mal hundert Tage lang in zehn Räumen zehn Debatten (auch vor dem Haus, klar, in der Stadt, warum nicht...).
Wird es nicht geben, klar. Ich spinne bloß ein bisschen.
Dabei sind Museen "schon immer" (auch) "leere Mitten" gewesen. Orte des Sich-Sammelns eng verwoben mit dem (Ver)Sammeln (der Dinge) und die Museumsarchitektur hat immer wieder, von Schinkel bis Hollein, von Semper bis Sterling, von Soane bis Piano solche Räume bereitgestellt. Von Sammlungsobjekten fast oder ganz leergehaltene empfangende überdeterminiert ausgestattete meist runde, überkuppelte Architekturen. Gedacht für jenes seltsame "Ding", um das sich Gemeinschaften, Gesellschaften, Besucher zusammen-finden (B. Latour) und mit dem und an dem sie sich auseinandersetzen, als Öffentlichkeit.
Wird es nicht geben. Ich weiß. Stattdessen irgendetwas gegen die Peinlichkeit der Leere. Und gegen die Peinlichkeit der immer noch anhaltenden Konzeptlosigkeit, von der die Berliner Zeitungen von gestern und heute (und nicht zum erstenmal und nicht zum letzten Mal) übel gelaunt sprechen.

PS.: Wenige Tage nach den Meldungen wurde die Verschiebung der Eröffnung auf 2020 bekanntgegeben. Begründung: Die Klimaanlage wird nicht fertig.

Sonntag, 30. Dezember 2018

Currywurst als Musealie (Ein Museum, eins das zusperrt)


Es musste schon "Deutsches" heißen - Deutsches Currywurstmuseum Berlin, wiewohl Berlin als der Hauptort des Verzehrs dieser schwer einzuschätzenden Speise sein soll, mit mehreren Millionen Konsumationen per anno, achtzig in ganz Deutschland.
Wieso sperrt ein Museum, das erst 2009 gegründet wurde, über eine so erfolgreiche Mahlzeit zu? Wahrscheinlich genau deshalb. Currywurst essen und anschauen sind halt doch zwei sehr verschiedene Genüsse.
Halten wir der spät im Jahr bekannt gewordenen schlechten Nachricht von einer Museumsschließung mit dem Gedanken stand: Es gibt Dinge, die sich nicht musealisieren lassen.









Samstag, 22. Dezember 2018

Zusperren wegen Kritik? (Sokratische Fragen 36)

Im Oktober 2018 forderte Israels Ministerpräsident Netanjahu Bundeskanzlerin Merkel schriftlich dazu auf, die finanzielle Unterstützung diverser deutscher NGOs zu „überdenken“, darunter das Jüdische Museum Berlin.
Begründung: Das Museum sei israelkritisch, habe z.B. den Anspruch Israels auf Jerusalem nicht als alleinigen anerkannt.

Sokratische Frage dazu: Sind Museen derart wichtig? Zusatzfrage: Sind Nationalmuseen derart wichtig?

Freitag, 21. Dezember 2018

Schutz des Urheberrechts oder Einschränkung der Öffentlichkeit des Museums? Das Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum und der Österreichische Museumsbund sägen am eigenen Ast

Das Reiss-Engelhorn,Museum Museum hat gegen die Wikipädia-Stiftung prozessiert, weil sie ein an sich rechtefreies Richard-Wagner-Porträt aus dem Museum abgebildet hatte. Gestützt hat sich das Museum auf das in der Hausordnung verankerte Fotografierverbot und das Urheberrecht eigener Fotografien. 

Das hat paradoxe Konsequenzen: Bilder, die gemeinfrei wären, weil der Urheber seit 70 oder mehr Jahren tot ist, verlieren die Gemeinfreiheit, weil das fotografische Abbild, das das Museum selbst - etwa für einen Katalog - angefertigt hat, selbst keine Gemeinfreiheit hat und das auf 50 Jahre. Da auch das Fotografieren - eines an sich gemeinfreien Werkes - verboten wird, gibt es keine gemeinfreien Museums-Bilder mehr

Dieser Sicht der Dinge hat sich nun der Deutsche Bundesgerichtshof im Fall des Reiss-Engelhorn-Museum versus Wikimedia-Stiftung angeschlossen. Eine Entscheidung, die überwiegend als katastrophale urheberrechtliche Entscheidung eingeschätzt wird. 

Denn: "Wenn ein Museum die von ihm selbst erstellten Digitalisate mit Verweis auf Lichtbildrechte rechtlich unter Verschluss hält und zusätzlich auch von seinem Hausrecht Gebrauch macht und keine Fotografien durch Besucherinnen und Besucher zulässt, gibt es keinen Weg, unser aller kulturelles Erbe so frei zugänglich zu machen, wie es die Gemeinfreiheit dieser Werke rechtlich eigentlich vorsieht." (Blog der Wikimedia-Stiftung)

Praktisch betrifft der Richterspruch vor allem die digitale Verbreitung. Er trifft aber auch eine Grundlage des Museums - dessen Öffentlichkeit als steuerfinanzierter, also von der Allgemeinheit erhaltener Institution, deren eine Grundlage der daraus resultierende Gemeinbesitz der Museumsobjekte selbst ist. Das Paradoxe der Entscheidung des OGH geht also übers Urheberrecht hinaus. Er trifft, initiiert vom Museum selbst, als Kollateralschaden die Öffentlichkeit des Museums selbst, also auch seinen umfassenden Bildungsanspruch und das Recht auf umfassende und uneingeschränkte freie Zugänglichkeit.

Was immer man von der Digitalisierung von Museumsobjekten (zu welchem Zweck auch immer) halten mag: das Mannheimer Museum stemmt sich gegen eine breite Entwicklung des - auch technisch einfach geworden Fotografierens in Museen und Ausstellung und das mit einem - vermutlich einzigem - Motiv, die entgeltliche Verwertung selbst in der Hand zu behalten. Aber auch das ist eine grundsätzlicher Regelverstoß bei einer Institution deren Sinn gerade darin liegt eben keiner wirtschaftlichen Verwertung unterworfen zu sein.

Sowohl in der Konkurrenz der Museen untereinander als auch in der Außenwahrnehmung der Museen als - etwa für den Tourismus - wirtschaftlich relevant, scheint die "Rentabilität" des Museums zunehmend zum Thema zu werden. Erst kürzlich hat der österreichische Museumsbund eine Studie vorgestellt, die von ihm selbst und dann in der medialen Rezeption vor allem als Nachweis diente, daß Museen "sich rechnen".

Der Versuch, die Legitimität von Museen dadurch zu stärken, daß man ihre Wirtschaftlichkeit nachweist, wird dazu führen, daß man kulturpolitisch in Zukunft Museen vermehrt auch danach bemißt. Und das kann bei einer Institution, die traditionell in der wohlfahrtstaatlichen Idee der uneingeschränkt zugänglicher Bildung verankert ist, nur schief gehen. Die allermeisten Museen sind nun mal nicht wirtschaftlich "rentabel". Und sollen das auch gar nicht sein. Und eigentlich sollten Museen und der sie vertetende Museumsbund, genau diesen unikalen und wichtigen Status des Museums mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Was das Mannheimer Museum macht und was der österreichische Museumsbund lanciert gehört zu einer Entwicklung, die man unter der Schlagzeile "Das Museum - eine erfolgreich aufgegebene Institution" zusammenfassen kann.

Donnerstag, 19. April 2018

Ein Schloß, ein Präsident, eine Kanzlerin. Museumspolitik im Großmaßstab.

Ich arbeite gerade an einem Text zum Berliner Humboldt-Forum (ohne Auftrag, ohne Vorstellung, wo ich das veröffentlichen könnte), eien Text zur politisch-ideologischen Bedeutung dieses Großprojektes, mit dem sich die Berliner Republik unter die führenden Museumsnationen einschreiben und eine strahlende, selbstbewußte staatliche Identität gegenüber der Welt geltend machen will.
Und ich staune nicht schlecht, als ich in ZDF "Heute" (vom 19.4.2018) Macron und Merkel, Staatspräsident und Kanzlerin, vor einer riesigen Bildtapete, die das Berliner Schloss zeigt, ihre Pressekonferenz zu EU-Fragen und zur EU-Reform abhalten sehe.

Pressekonferenz Emanuel Macron, Angela Merkel vor einer Fototapete des Schlosses, inklusive Fahnen.

Das läßt keinen Zweifel an der identitätspolitischen Bedeutung, die die deutsche Bundesregierung dem Museumsbau und der Teilrekonstruktion des Schlosses zumißt. Das hat sogar etwas von jener Großzügigkeit, wenn man so will auch vom Pomp, mit dem in Frankreich seit Jahrzehnten präsidiale Museumsprojekte lanciert und gefeiert wurden. Mit dem Höhepunkt des Ausbaues des Louvre zum Grande Louvre unter Mitterand mit seiner berühmten Pyramide und der Eröffnung im Jahr der 200. Wiederkehr der Französischen Revolution.
Unter dem Eindruck dieser Pläne soll Helmut Kohl die Gründung des Deutschen Historischen Museums angeordnet haben, das zunächst ja in einem Neubau untergebracht werden sollte, nach der Wiedervereinigung aber im barocken Zeughaus etabliert wurde, also in unmittelbarer Nachbarschaft zum jetzt teilrekonstruierten Schloß.
Daß Deutschalnd auf seine preußische also auch militärische und koloniale Vergangenheit zurückgreift (in dem Schloß residierte auch Wilhelm der II., in dessen "Amtszeit" die Deutsche Kolonialpolitik fällt) ist angesichts der Gespräche, in der es um eine Reform der EU geht, schon bemerkenswert und interpretationsbedürftig. Die, die der Spiegel anbot, frei praphrasiert "über die Baustelle EU wird eben in einer Baustelle gesprochen", dürfte nicht ausreichen.

Macron, Merkel und der "Generalintendant" des Humboldt-Forum-Projektes, Neil MacGregor, ehemals Direktor des British Museum, bei einer Führung durch die Schloßbaustelle 19.04.2018
Eine andere Pointe dieses Ereignisses ist die, daß Macron kürzlich eine umfassende Restitution ethnologischer Sammlungsbestände angeordnet hat, während ja grade um das koloniale Erbe, den Umgang damit und die Probleme der Restitution in Berlin ein Streit entbrannt ist. Macron hat dabei ausgerechnet Benédicte Savoy von der TU Berlin  beauftragt, die mit ihrer Kritik an der neokolonialen Politik Mitte 2017 die von Beginn an laute Kritik am neokolonialen Konzept des Humboldt-Forums (Übersiedlung der ethnologischen Sammlungen aus Berlin-Dahlem) dermaßen in Schwung gebracht hat, daß das Triumvirat an der Spitze des Projeketes, einschließlich Neil MacGregor ganz schön in der Defensive ist.
Aber wenns so wichtig ist, wird das, so oder so, schon wie geplant 2019 eröffnet werden. Aber mit welchen Kompromissen? Und wirds der EU helfen?

Mittwoch, 11. April 2018

Geschichte für Eilige. Das Nürnberger Stadtmuseum

Ein raum, eine halbe Stunde Stadtgeschichte
"Das Stadtmuseum Fembohaus ist das Stadtmuseum zur Geschichte Nürnbergs. 950 Jahre Stadtgeschichte werden anschaulich dargestellt. Es präsentiert in neuartiger Museumsatmosphäre mit ambitionierten Ausstellungen zu aktuellen Themen der Stadtgeschichte einen umfassenden Blick auf die Stadtgeschichte."

So stellt Wikipedia das Nürnberger Stadtmuseum vor.

Das Museum wurde 1953 gegründet, kurz bevor die Reichskleinodien, die in der Zeit des Nationalsozialismus nach Nürnberg gebracht worden waren, wieder nach Wien zurückgegeben wurden. Das Museum befindet sich im sogenannten Fembohaus, einem Haus eines sehr wohlhabenden Kaufmanns, errichtet im Stil der Spätrenaissance.

Schon als bauliches Dokument stellt das Stadtmuseum ein Problem in der (Re)Präsentation der Stadtgeschichte Nürnbergs dar. Es ist ein Zeugnis der Bau- und Wohnkultur der reichsten und lange Zeit allein herrschenden Schicht. Es wurde zwar im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, konnte aber als in Teilen erhalten und zumindestens teilweise wiederhergestellt werden - als eines jener meist städtebaulich isolierten historischen Bauten inmitten der modernen Bebauung nach 1945, die in der Stadt vorherrscht. Eine Reihe inmitten der modernen Nachkriegsbebauung singulär gewordenen Architekturobjekte behaupten etwas vom einstigen spätmittelalterlichen Glanz der Stadt inmitten ihrer die Geschichte auslöschenden Überbauung über den Kriegsruinen. Sowohl seine sozialhistorische Repräsentativität als auch seine unversehrtes Überdauern vortäuschende Rekonstruktion und Sanierung stellen ein Dilemma dar, dem man im Museum (und in Nürnberg) auch anderswo begegnet.

So beginnt der Rundgang durchs Museum im obersten, vierten Stock (ich komme später zum inzwischen neuesten Ausstellungsraum, der als in sich geschlossene Einheit gesehen werden will, und den man als jetzt als ersten betritt, später zurück), wo man sich vor einem großen Stadtmodell einfindet. Mithilfe eines gesprochenen Textes, an die Wand projizierten Fotos und einem wandernden Spot, der die jeweils angesprochenen Lokalitäten in der Stadt kenntlich macht, wird zunächst die mittelalterliche Geschichte der Stadt andeutungsweise erzählt. Also deren herausgehobene Bedeutung als Kaiserresidenz, Ort von Reichstagen, Stadt des Handels.
Genau diese blühende mittelalterliche Stadt wird ja auch im Modell gezeigt, in den Grenzen der heute noch umfangreich erhaltenen Stadtbefestigung.

Das Schicksal der Jüdischen Bevölkerung wird an den Erläuterungen zum Marktplatz und der Frauenkirche erzählt. An der Stelle des Platzes befanden sich die Häuser der jüdischen Bevölkerung, von denen über 500 in einem Pogrom 1349 getötet wurden. Nur fünfzig Jahre zuvor waren bereits über 600 Juden umgebracht worden. Nun zerstörte man ihre Häuser, an deren Stelle der "Große Markt" angelegt werden konnte und die Synagoge wurde durch die Frauenkirche ersetzt. Erst 1850 konnten durften sich wieder Juden in der Stadt ansiedeln.
Es wurde nun eine dritte, große Synagoge errichtet, die aber noch vor der sogenannten Reichskristallnacht zerstört wurde. Auf dem Stadtmodell sieht man die Synagoge nicht mehr, denn das stammt aus dem Jahr 1939 und zeigt daher eine leere Stelle an dem Ort der kurz zuvor beseitigten Synagoge. So wird ausgerechnet das aus der NS-Zeit stammende, die mittelterliche Stadt wenige Jahre vor ihrer Zerstörung noch intakt zeigende Modell zum Zeugen der antijüdischen Barbarei des NS.

Wer die großflächige Verheerung der Stadt nachvollziehen will, findet einige Räume später ein kleineres, einschlägiges Modell - und dann auch v.a. fotografische Dokumente der verwüsteten Stadt.

Man darf aber nicht glauben, daß die folgenden Ausstellungsteile die Hoffnung auf eine kritische Durchdringung der Stadtgeschichte erfüllen oder auch nur das Versprechen von Wikipedia einlösen wird, in "neuartiger Museumsatmosphäre" (...) "ambitionierte Ausstellungen zu aktuellen Themen" zu bieten.


Wir befinden uns ja in einem sorgfältig restaurierten Patrizierhaus, also in maßstäblich eher "heimeligen" Zimmern und Stuben mit Stuck, Deckenmalerei, Kasettendecken, Kachelöfen, Butzenscheiben-Fenstern, geschnitztem Holz usf. Die Ausstellungsmacher haben sich vom Ambiente zu einer eher altbackenen Gestaltung verführen lassen. Das erlaubt dennoch immer noch überraschende Einsichten, etwa in der knappe Vorstellung mancher Handwerke, wo man schnell begreift, worauf der Erfolg des Nürnberger Handwerks wohl beruht hat. Auf großer Innovativität, eignen Erfindungen, die man sorgsam schützte und einer hoch arbeitsteiligen Herstellung von Waren. Die Informationen zur Sozialstruktur geben eine Ahnung von den Machtverhältnissen in der Stadt und zwischen Stadt und Burg. Aber viele Informationen und Themen haben einen Schwerpunkt bei den reichen Schichten, eine Einseitigkeit, die immer noch viele Museen allein schon auf Grund ihrer langjährigen Sammlungsschwerpunkte pflegen. Aber für eine 2000 eröffnete Ausstellung ist das schon erstaunlich.
So gilt ausgerechnet dem protzigen Bau des allerreichsten Handelsherrn eine umfassende Dokumentation, mit Plänen, Modell und Lebenslauf, in dem aber so viele Fragen, die man gehabt hätte, nicht gestellt werden.

Objekte werden einzeln - z.B. historische Gemälde - oder in Gruppen als kunsthistorische oder auch historische Zeugnisse vorgeführt aber je näher es zur Gegenwart geht, desto weniger ergibt das noch so etwas wie eine anschauliche Erzählung. Fürs 17. Jahrhundert gibt es ein großformatiges Gemälde, das ein aus Anlass des Westfälischen Friedens gehaltenen Mahles entstanden ist, fürs 18.Jahrhundert muß ein bedeutender Landkarten-Verlag herhalten, der allerdings auch hier, im Fembohaus seinen Sitz hatte. Das ist interessant, aber eben nur eine Facette der Stadtgeschichte.

Ausgerechnet die Industrialisierung "entfällt" - bis auf dokumentarische Fotografien, ich glaube nicht einmal die älteste deutsche Eisenbahn wird erwähnt (?) die von Nürnberg nach Fürth führte, damit entfällt auch die moderne sozial-, alltags und politische Geschichte. Und das geht nun doch bei einer Stadt wie Nürnberg gar nicht. Für den NS und die verheerende Zerstörung der Stadt stehen wiederum nur dokumentarische Fotos zu Verfügung.
Wer wirklich etwas über Nürnberg in der NS-Zeit erfahren will, über die Stadt der Reichsparteitage und die Instrumentalisierung der Stadt im NS, der muß das Dokumentationszentrum in den Ruinen des Reichsparteitag-Geländes zu besuchen.

Doch inzwischen hat man einen neuen Ausstellungsabschnitt geschaffen, der aus einem einzigen großen Raum besteht. Ihn betritt man, so wird es einem beim Betreten nahegelegt, über die Sonderausstellungsräume und verläßt ihn dann über einen Lift, mit dem man vors Stadtmodell im vierten Stock kommt. Es ist also einerseits der erste Raum zur Stadtgeschichte, andrerseits gehört er nicht wirklich zur permanenten Ausstellung, denn er bildet so etwas wie ein abstract.


Nur 30 Minuten zum Stadtexperten

Atemlos durch die Geschichte
Vorher/Nachher. Zerstört/Wieder aufgebaut
Dieser Raum ist eher ein Schrein, ein großer Raum voller Dokumente, Repros, Fotos, Büsten, Fakes usw. dicht an dicht und an allen Wänden appliziert und von Gewölben - Fotoreproduktionen mittelalterlicher Architektur -, herabhängend, hüllt einen immersiv mit Stadtgeschichte ein. Hier werde man, versprechen einem Plakate in der Stadt, in einer halben Stunde zum Experten. "Nürnberg auf einen Blick" steht auf anderen Plakaten zu lesen. Und ein Motto hat diese Wunderkammer auch, nämlich "Krone - Macht - Geschichte". Ein Motto, das einen grübeln läßt, ob hier bloß die Macht der Krone gemeint sein könnte, das "kaiserliche" Nürnberg und daher nur "ihre" Geschichte.

Nun, es gibt eine Vitrine im Raum, und in ihr werden der Kronschatz gezeigt, als Replik, die Originale befinden sich ja in der Wiener Schatzkammer. Für Nürnberg (für wen genau eigentlich?) scheint der "Verlust" dieser Zimelien ein fortdauerndes Trauma, mindest eine Kränkung zu sein. Gleich mehrere Objekte beziehen sich auf das Kaisertum, aber insgesamt ist dieses Pasticcio aus Originalgemälden, Fotos, Büsten, Faksimiles - eines vom Heiltum in Wandhöhe -, usw. "ausgewogener" als die Dauerausstellung. Indes, es können die vielen Themen nur angerissen werden, ein bisschen NS hier, ein bisschen sozialdemokratisches Nürnberg dort, ein bisschen mittelalterliche Religiosität.

Die einzige Struktur ist eine lockere Chronologie und neun oder zehn Biografien, alles Männer, überwiegend politisch Mächtige, Kaiser, Bürgermeister - und Künstler, etwa Richard Wagner. Keine Frau. Kein Durchschnittsbürger.

Mit einem Audioguide dürfte das dann wirklich auf in einer halben Stunde zu schaffen sein. Also für ausländische Touristengruppen, die es eilig haben, weil sie noch Lebkuchen kaufen und Rostbratwürste essen gehen müssen. Für südkoreanische Touristen, die selbst für Wien nur vier Stunden haben, könnte das für Nürnberg genügen.

Stadtmuseen scheinen ein Problem zu haben. Es hat in den letzten jähren mehrere Veranstaltungen gegeben, in denen sie sich versammelt haben, um sich ihre Wunden zu zeigen. Eine dieser Veranstaltungen habe ich moderiert, aber mir ist auch da nicht so recht klar geworden, was das Problem ist gerade dieser Museen ist. In der Konkurrenz mit urbanem Kulturangebot und größeren, namhafteren Museen, namentlich den klassischen und moderne Kunstmuseen, scheinen sich Geschichtsmuseen als häßliche Entlein der Museumslandschaft zu sehen. Das ist vielleicht (auch) eine Frage des Selbstbewusstseins. Das andere Problem könnte sein, daß die Stadtmuseen kein rechtes Verhältnis zu "ihrer" Stadt finden. Wie auch, wenn die Gegenwart einer Stadt überhaupt nicht vorkommt, wie etwa im Nürnberger Museum. Auf die Schnelle fällt mir überhaupt nur ein einziges Museum ein, in dem Gegenwart ausdrücklich und ausführlich stattfindet. Das ist das Amsterdamer Stadtmuseum. Da habe ich gelernt, daß das berühmte Tiki-Taka des FC Barcelona bei Ajax Amsterdam erfunden und von Spielertrainern, die nach Spanien gegangen sind, als extrem beweglicher, schneller, athletischer Fußball exportiert wurden. Cool. Das war aber nicht alles. Dort traten mir Bewohner und Bewohnerinnen Amsterdams entgegen, über die ich etwas erfahren konnte und damit über deren Alltag und somit weiter über die Stadt als heutigen Lebensraum.

Womit sich alle diese Museen sehr schwer tun, ist die sinnvolle Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Dazu kommt die finanzielle und politische Abhängigkeit, die es schwer macht, sich mit konflikthaltigen Gegenwartsfragen zu beschäftigen.

Das erste, was zu tün wäre, wäre das "Historische" an diesen Museen, die Differenzerfahrung, in der Einsichten über Ursachen, Wirkungen, Lösungen zu forcieren. Ein Beispiel. Im Nürnberger Stadtmuseum Stadtmuseum stößt man auf eine ökologische Krise: die Waldgebiete schrumpften und damit die extrem wichtigen Holzvorräte. Da erfindet ein Nürnberger eine Methode der rationellen gewinnung von Baumsamen und Methoden der rationellen Aufforstung. Diese wird erfolgreich lange geheim gehalten und sichert Nürnberg einen weiteren "Standortvorteil". Das erinnert doch an etwas?! Da könnte man doch Anknüpfen, oder? Aber ein solcher Faden bleibt lose liegen.

Das gilt erst recht über alle Machtfragen. Wie ein Museum mit Machtverhältnissen umgeht, für die kann man die Frage in jedem Museum wie einen Lackmustest anwenden. Da setzt es meist ganz aus und wer eine historische Ausstellung "evaluieren" will (nicht nur in Stadtmuseen), der soll sich die Frage der Macht an Hand der gezeigten Dokumente und "Erzählungen" und Deutungen stellen. Da gabs doch einen Handwerkeraufstand, der die göttliche Nürnberger Gesellschaftsordnung für einen Herzschlag aussetzen ließ? Aber in all der feierlichen Vorführung patrizischer Kultur hats dafür keinen Platz im Museum.
Und Gegenwart? Die, in der ich mich als Tourist bewege. Die gibt es im Nürnberger Stadtmuseum nicht.