Kein Nachruf auf den im Alter von 102 Jahren verstorbenen
Architekten Ieoh Ming Pei verzichtete auf die Erwähnung seines bekanntesten
Bauwerkes: die Louvre-Pyramide. Sie erst hat dem schon damals meistbesuchten
und weltweit bekanntesten Museum ein unverwechselbares identifizierendes
Zeichen gegeben. Denn bis dahin war das über Jahrhunderte riesige Konglomerat
von Bauten, das nur zum Teil als Museum aber ansonst für Ministerien genutzt
wurde, nicht als Museum ausgewiesen. Als Schloß der Französischen Könige
errichtet und diversen späteren Monarchen mit Erweiterungsbauten des
19.Jahrhunderts dienend, war ja nichts an dem Komplex für museale Nutzung
gedacht.
Der quantitativ weit größere und funktional wichtigere Teil
des von Pei geplanten Louvre wurde unterirdisch errichtet, als Erschließung des
weitverzweigten Museums, das dem immer weiter wachsenden Massenpublikum
gewachsen war. Hätte man sich damit begnügt, die gewaltige baulich-funktionale
Erweiterung wäre unsichtbar geblieben.
Die Pyramide setzte ein unverwechselbares Zeichen, mit dem
ab da an der Louvre identifiziert werden und als einzigartig kommuniziert
werden könnte. Das ist die eine große Leistung des Architekten, die andere, daß
er sich unter verschiedenen geometrischen Formen schließlich für die Pyramide als
oberirdisches Bauwerk entschloß und dabei eine proportionale Balance von
Pyramide und umgebenden Bauwerken zustande brachte. Gegenüber den zur Wahl
stehenden Formen Kubus und Zylinder hatte die Pyramide den Vorteil die
verschiedenen Sichtbeziehungen am geringsten zu beinträchtigen. Allerdings
schleppt die Pyramide eine mehrtausendjährige Symbolik mit. Die des
herrscherlichen Grabes, also eine Symbolik, die für ein Museum prekär sein
kann. Denn, wie Theodor W. Adorno bemerkte, ist die phonetische Assoziation von
Museum und Mausoleum sehr naheliegend. Auch in der Alltagssprache schleppt
„museal“ Assoziationen von „rettungslos vergangen, überholt, tot“ mit sich.
Pei hat sich stets vehement gegen diese Assoziation gewehrt,
auf die Vorbildlichkeit der Gartenarchitektur des 18.Jahrhunderts verwiesen,
vor allem aber auf die transparente Glaskonstruktion, die bei bestimmten
Lichtverhältnissen, eine Entmaterialisierung bewirkt und das zentrale Gebäude
zur Lichterscheinung macht. Aber unsere tiefe kulturelle Prägung einer nie
unterbrochen Formerinnung haftet nun mal bei einer Pyramide am
identitätspolitischen Monumentalbau der ägyptischen Pharaonen und die
Proportionen hat Pei denn auch der Cheopspyramide entnommen.
Das postmoderne Spiel Peis, mit der er die Symbolik der
Pyramide relativiert, übersieht man leicht. Die kleinen, um die zentrale herum
gelegenen Trabantenpyramiden nimmt man wie Gadgets wahr und kaum als ironische
Repliken. Aber es gibt eine weitere große Pyramide. Die liegt von der nach
außen sichtbaren so weit entfernt und unterirdisch, so daß ihre „Verkehrung“ –
sie „hängt“ von der Decke herab -, nicht sofort als etwas erkennbar wird, das
die große sichtbare Pyramide kontaminiert und kommentiert.
An der Wegkreuzung, wo der Zugang von der U-Bahn her in die
sogenannte „Galerie“ einbiegt finden wir eine, außen nicht sichtbare auf die
Spitze gestellte Pyramide, die den Boden nicht berührt sondern über einer
kleinen Spielzeug-Pyramide schwebt. Das nun ist ein weiteres postmodernes Spiel:
Die Waren-Longue wie einen musealen Ausstellungsraum „Galerie“ zu nennen, also
mit der, gerade in Paris mit seinen Passagen naheliegenden Doppeldeutigkeit des
Wortes zu spielen. Diese von ausgesucht, dem Status des Louvre angemessenen
Labels bespielte Galerie bildet architektonisch gleichberechtigt mit den drei
weiteren, zu den Sammlungen führenden Wegen, das riesige Achsenkreuz über deren
Knoten, der Empfangshalle, die Pyramide schwebt.
Außerdem: Die Pyramide, die den Louvre repräsentiert, hat
mit der ägyptischen kaum etwas zu tun. Die abweisende steinerne Massivität ist
ganz in Transparenz und Licht aufgelöst und die für den Totenkultbau erwünschte
Unzugänglichkeit wird hier transformiert – ausgerechnet in einen Eingangsbau.
Hier liegen aber auch einige bemerkenswerten Unstimmigkeiten der Idee. Für das
breite Portal muß die symmetrische Stereometrie gleichsam „beschädigt“ und ein
Einbau mit senkrechten Wänden eingezogen werden, die öffnende Türen ermöglicht.
Seither sorgen die dort unmittelbar hinter dem Eingang platzierte Sicherheitskontrolle
für jenes Nadelöhr, das für extrem lange Schlangen und für einen Stau sorgt,
der sich gleich noch mal wiederholt, weil die Rolltreppen, die nach unten in
die große Halle führen, viel zu schmal bemessen sind.
Diese ganze Eingangssituation habe ich immer als
architektonisch unzulänglich empfunden. Denn wohin kommt man eigentlich, wenn
man die gläserne Pyramide betritt? Ein durchgehender Fußboden hätte sie zum
isolierten Raum gemacht, ohne jede Wirkung nach unten in den empfangenden
Bedeutungsraum, den jedes große Museum hat und braucht. Ein völliges Öffnen ist
nicht denkbar, weil dann überhaupt kein Platz mehr für das Sammeln und
Verteilen des Publikums vorhanden wäre. Also hat Pei sich für eine strikt
geometrische Lösung entschieden, und aus dem Quadrat des Pyramidengrundrisses nur
ein Viertel als Plattform gestaltet, von wo aus man in die Tiefe blicken kann
und mit Stempellift und den erwähnten Rolltreppen nach unten gelangt.
Erst so wird die Pyramide nicht zum bloßen Dach, sondern zu
einer Art monumentaler Vitrine, die sich über das Museum stülpt.
Der Zugang, der durch sie hindurch und dann nach unten auf
das Niveau der erschließenden Räume führt, war mal repräsentativer gedacht, als
er jetzt ist. Denn an der Spitze jenes Dreiecks, das die Plattform bildet, hätte
die Nike von Samothrake stehen sollen. Warum die Vorrichtung, an der sie wie
ein Denkmal hätte befestigt werden sollen, unschön stehengeblieben ist, ist
eins der Rätsel dieser unausgegoren wirkenden Anlage.
Pei hat angeblich, bei der National Gallery in Washington,
als erster Rolltreppen in einem Museum verwendet. Die eigentümliche
Bewegungsweise von Stehen und passiv Bewegtwerden, reüssierte davor bei
Warenhäusern, wo diese neue Erfindung das window shopping mit dem Flanieren
verband.
Aber das Museum als Warenhaus? Das ist noch eine andere
museumskritische Metapher, neben der des Mausoleums und Peis Architektur gibt
beidem Nahrung.
Die gewaltige Halle, in die man hinunterschwebt, ist eine
akustisch unzulängliche (in weiten Teilen kann man sich kaum miteinander
unterhalten, schon gar nicht in Gruppen) autoritäre und kalte Architektur,
austauschbar mit Abflughallen oder Lobbys von Großkonzernen. Wir begegnen hier
keinem einzigen Kunstwerk.
Der mittige Pfeiler, der die Eingangsebene trägt, wirkt
unterdimensioniert und belanglos, obgleich er an einem überdeterminierten Punkt
steht. Nämlich genau im Zentrum jener architektonischen und symbolischen
Achsen, die oberirdisch bis La Defense reichen (über 10 Kilometer weit) und so
etwas wie das Rückgrat der Stadt Paris bilden und den Louvre in der Stadt und
in ihrer Geschichte verankern.
Wie die Belanglosigkeit der Stützkonstruktion zeigt, konnte
Pei mit diesem Zentrum der gesamten Anlage nicht so viel anfangen, um so mehr
der auftraggebende Präsident Mitterand, der Pei auswählte und seine Pläne gegen
Widerstände durchsetzte. Er ließ an diesem Pfeiler seine Widmungsinschrift als
Bauherr anbringen. Einer seiner zeitgenössischen Spitznamen lautete:
Mitterramses.
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