Sonntag, 26. Mai 2019

Ieoh Ming Pei und seine Louvre-Pyramide. Auch ein Nachruf



Kein Nachruf auf den im Alter von 102 Jahren verstorbenen Architekten Ieoh Ming Pei verzichtete auf die Erwähnung seines bekanntesten Bauwerkes: die Louvre-Pyramide. Sie erst hat dem schon damals meistbesuchten und weltweit bekanntesten Museum ein unverwechselbares identifizierendes Zeichen gegeben. Denn bis dahin war das über Jahrhunderte riesige Konglomerat von Bauten, das nur zum Teil als Museum aber ansonst für Ministerien genutzt wurde, nicht als Museum ausgewiesen. Als Schloß der Französischen Könige errichtet und diversen späteren Monarchen mit Erweiterungsbauten des 19.Jahrhunderts dienend, war ja nichts an dem Komplex für museale Nutzung gedacht.
Der quantitativ weit größere und funktional wichtigere Teil des von Pei geplanten Louvre wurde unterirdisch errichtet, als Erschließung des weitverzweigten Museums, das dem immer weiter wachsenden Massenpublikum gewachsen war. Hätte man sich damit begnügt, die gewaltige baulich-funktionale Erweiterung wäre unsichtbar geblieben.
Die Pyramide setzte ein unverwechselbares Zeichen, mit dem ab da an der Louvre identifiziert werden und als einzigartig kommuniziert werden könnte. Das ist die eine große Leistung des Architekten, die andere, daß er sich unter verschiedenen geometrischen Formen schließlich für die Pyramide als oberirdisches Bauwerk entschloß und dabei eine proportionale Balance von Pyramide und umgebenden Bauwerken zustande brachte. Gegenüber den zur Wahl stehenden Formen Kubus und Zylinder hatte die Pyramide den Vorteil die verschiedenen Sichtbeziehungen am geringsten zu beinträchtigen. Allerdings schleppt die Pyramide eine mehrtausendjährige Symbolik mit. Die des herrscherlichen Grabes, also eine Symbolik, die für ein Museum prekär sein kann. Denn, wie Theodor W. Adorno bemerkte, ist die phonetische Assoziation von Museum und Mausoleum sehr naheliegend. Auch in der Alltagssprache schleppt „museal“ Assoziationen von „rettungslos vergangen, überholt, tot“ mit sich.
Pei hat sich stets vehement gegen diese Assoziation gewehrt, auf die Vorbildlichkeit der Gartenarchitektur des 18.Jahrhunderts verwiesen, vor allem aber auf die transparente Glaskonstruktion, die bei bestimmten Lichtverhältnissen, eine Entmaterialisierung bewirkt und das zentrale Gebäude zur Lichterscheinung macht. Aber unsere tiefe kulturelle Prägung einer nie unterbrochen Formerinnung haftet nun mal bei einer Pyramide am identitätspolitischen Monumentalbau der ägyptischen Pharaonen und die Proportionen hat Pei denn auch der Cheopspyramide entnommen.
Das postmoderne Spiel Peis, mit der er die Symbolik der Pyramide relativiert, übersieht man leicht. Die kleinen, um die zentrale herum gelegenen Trabantenpyramiden nimmt man wie Gadgets wahr und kaum als ironische Repliken. Aber es gibt eine weitere große Pyramide. Die liegt von der nach außen sichtbaren so weit entfernt und unterirdisch, so daß ihre „Verkehrung“ – sie „hängt“ von der Decke herab -, nicht sofort als etwas erkennbar wird, das die große sichtbare Pyramide kontaminiert und kommentiert.
An der Wegkreuzung, wo der Zugang von der U-Bahn her in die sogenannte „Galerie“ einbiegt finden wir eine, außen nicht sichtbare auf die Spitze gestellte Pyramide, die den Boden nicht berührt sondern über einer kleinen Spielzeug-Pyramide schwebt. Das nun ist ein weiteres postmodernes Spiel: Die Waren-Longue wie einen musealen Ausstellungsraum „Galerie“ zu nennen, also mit der, gerade in Paris mit seinen Passagen naheliegenden Doppeldeutigkeit des Wortes zu spielen. Diese von ausgesucht, dem Status des Louvre angemessenen Labels bespielte Galerie bildet architektonisch gleichberechtigt mit den drei weiteren, zu den Sammlungen führenden Wegen, das riesige Achsenkreuz über deren Knoten, der Empfangshalle, die Pyramide schwebt.
Außerdem: Die Pyramide, die den Louvre repräsentiert, hat mit der ägyptischen kaum etwas zu tun. Die abweisende steinerne Massivität ist ganz in Transparenz und Licht aufgelöst und die für den Totenkultbau erwünschte Unzugänglichkeit wird hier transformiert – ausgerechnet in einen Eingangsbau. Hier liegen aber auch einige bemerkenswerten Unstimmigkeiten der Idee. Für das breite Portal muß die symmetrische Stereometrie gleichsam „beschädigt“ und ein Einbau mit senkrechten Wänden eingezogen werden, die öffnende Türen ermöglicht. Seither sorgen die dort unmittelbar hinter dem Eingang platzierte Sicherheitskontrolle für jenes Nadelöhr, das für extrem lange Schlangen und für einen Stau sorgt, der sich gleich noch mal wiederholt, weil die Rolltreppen, die nach unten in die große Halle führen, viel zu schmal bemessen sind.
Diese ganze Eingangssituation habe ich immer als architektonisch unzulänglich empfunden. Denn wohin kommt man eigentlich, wenn man die gläserne Pyramide betritt? Ein durchgehender Fußboden hätte sie zum isolierten Raum gemacht, ohne jede Wirkung nach unten in den empfangenden Bedeutungsraum, den jedes große Museum hat und braucht. Ein völliges Öffnen ist nicht denkbar, weil dann überhaupt kein Platz mehr für das Sammeln und Verteilen des Publikums vorhanden wäre. Also hat Pei sich für eine strikt geometrische Lösung entschieden, und aus dem Quadrat des Pyramidengrundrisses nur ein Viertel als Plattform gestaltet, von wo aus man in die Tiefe blicken kann und mit Stempellift und den erwähnten Rolltreppen nach unten gelangt.
Erst so wird die Pyramide nicht zum bloßen Dach, sondern zu einer Art monumentaler Vitrine, die sich über das Museum stülpt.
Der Zugang, der durch sie hindurch und dann nach unten auf das Niveau der erschließenden Räume führt, war mal repräsentativer gedacht, als er jetzt ist. Denn an der Spitze jenes Dreiecks, das die Plattform bildet, hätte die Nike von Samothrake stehen sollen. Warum die Vorrichtung, an der sie wie ein Denkmal hätte befestigt werden sollen, unschön stehengeblieben ist, ist eins der Rätsel dieser unausgegoren wirkenden Anlage.
Pei hat angeblich, bei der National Gallery in Washington, als erster Rolltreppen in einem Museum verwendet. Die eigentümliche Bewegungsweise von Stehen und passiv Bewegtwerden, reüssierte davor bei Warenhäusern, wo diese neue Erfindung das window shopping mit dem Flanieren verband.
Aber das Museum als Warenhaus? Das ist noch eine andere museumskritische Metapher, neben der des Mausoleums und Peis Architektur gibt beidem Nahrung.
Die gewaltige Halle, in die man hinunterschwebt, ist eine akustisch unzulängliche (in weiten Teilen kann man sich kaum miteinander unterhalten, schon gar nicht in Gruppen) autoritäre und kalte Architektur, austauschbar mit Abflughallen oder Lobbys von Großkonzernen. Wir begegnen hier keinem einzigen Kunstwerk.
Der mittige Pfeiler, der die Eingangsebene trägt, wirkt unterdimensioniert und belanglos, obgleich er an einem überdeterminierten Punkt steht. Nämlich genau im Zentrum jener architektonischen und symbolischen Achsen, die oberirdisch bis La Defense reichen (über 10 Kilometer weit) und so etwas wie das Rückgrat der Stadt Paris bilden und den Louvre in der Stadt und in ihrer Geschichte verankern.
Wie die Belanglosigkeit der Stützkonstruktion zeigt, konnte Pei mit diesem Zentrum der gesamten Anlage nicht so viel anfangen, um so mehr der auftraggebende Präsident Mitterand, der Pei auswählte und seine Pläne gegen Widerstände durchsetzte. Er ließ an diesem Pfeiler seine Widmungsinschrift als Bauherr anbringen. Einer seiner zeitgenössischen Spitznamen lautete: Mitterramses.

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