Dienstag, 19. Juni 2012

Museologie. Aphorismen, vorläufig


1
Museologie ist (frei nach Richard Rortys Definition von Philosophie) nicht der Name einer natürlichen Art, sondern nur der Name einer der Schubladen, auf welche die humanistische Kultur aus administrativen und bibliografischen Gründen aufgeteilt ist.

2
In dem Moment, da Museologie in Buchhandlungen als Etikett an Regalbrettern aufgetaucht ist und als Suchwort in Bibliothekskatalogen, hat die Entwicklung der Disziplin Museologie begonnen.

3
Die Entwicklung einer Disziplin Museologie, die etwa in England als Universitätsfach weit fortgeschritten ist, wird ihr derzeit Bestes zerstören - daß sie in fast allen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie ein Parasit im Wirtskörper leben kann.

4
Es gibt eine Museologie, die das Museum verstehen, und eine, die es anleiten will. Beide zusammen scheint es, aus unklaren Gründen, nicht geben zu können.

5
Während eine angewandte Museologie der Reflexionslosigkeit der Praxis ein gutes Gewissen verschafft, indem sie die Illusion nährt, man könne das Museum gleichsam handwerklich handhaben, macht die reflexive Museologie, das Unbewußte der Praxis sichtbar, die es blind regiert.

6
Museologie beschäftigt sich mit dem Rätsel, daß seit etwa 1780 in Europa (und dann rasch global) etwas entsteht, was es in keiner Gesellschaft zuvor je gegeben hat. Mit großem finanziellen und sozialem Aufwand Orte zu schaffen, an denen Dinge zu sehen gegeben werden, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind, oder elegenter ausgedrückt, die „ihr reales Nichtsein“ (Joachim Ritter) hinter sich herziehen.

7
Entsprechend der Hybridität des Museums (seiner Zusammensetzung aus sehr vielen und sehr unterschiedlichen Diskursen, Facetten, Ritualen, Wirkungen, Motiven) bleibt es jedem, solange Museologie nicht disziplinär eingehegt und abgegrenzt ist, jedem selbst überlassen, auf beliebigen Splittern des Museums errichtet, sein Mißverstehen des Ganzen zu verwalten.

8
Museologie als Kritik wäre in der Lage und hätte die Aufgabe, den selbstverordneten Somnambulismus zu durchbrechen, den die Eingeborenen der Museumsgemeinschaft pflegen, um der Frage des gesellschaftlichen Sinns der Institution wie ihrer eigenen begrifffslosen Tätigkeit zu entgehen.

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