Montag, 24. Oktober 2011

Glasgow & Edinburgh. Museumstagebuch (Teil 1)






1
Ich sitze in der Brasserie des National Museum of Scotland und verfluche die Architekten, die für den Umbau verantwortlich sind. Es zieht und es ist wirklich kalt.
Als ich vor Jahren mit Kollegen der Hochschule für Angewandte Kunst eine Reise nach Moskau, Leningrad und andere Städte reiste, vergnügte uns ein Reiseteilnehmer mit Vorlesungen aus seinem Reiseführer. Der Russe liest am Abend wurde zum geflügelten Wort.
Was der Schotte am Abend macht weiß ich nicht, aber ich weiß, was er unter Tags macht: er friert. Wie der Tourist auch, der sich wundert, wieso in einer derartigen Klimazone einfache Fenster üblich und ausreichende Heizungen offenbar verpönt sind.
Das Museumscafé, in dem ich friere, liegt direkt hinter einem der Haupteingänge und bei dem beachtlichen Besucherstrom ist der Eingang nie wirklich geschlossen. Eine halbhohe Glaswand gibt es zwar, aber die dürfte eher zur Intensivierung der Zugluft beitragen.
Das Angebot ist gut, für viele Arten von Hunger und Durst wird gesorgt, das ist ja inzwischen in Museen nahezu schon Standard. Man könnte es hier schon eine Weile aushalten, um sich etwas zu erholen vom Stakkato der Eindrücke in diesem riesigen Museum.
Das Café liegt im Untergeschoß, mit dessen Ausbau man eine völlig neue Erschließung unter der ehemaligen Haupttreppe gewonnen hat, hier gibt es den Infodesk (eine Kassa braucht es nicht, wie die meisten Museen hier, ist auch dieses kostenlos betretbar, nur um Spenden wird ersucht), eines der Museumsshops, einige große Ausstellungsobjekte, eine Garderobe (so winzig, daß sich sehr lange Schlangen bilden bei Regenwetter und wann ist hier kein Regenwetter?) und die fast versteckte neue Treppe, durch die man, gleichsam aus dem Untergrund die riesige Halle des Altbaus betritt (es gibt einen weiteren Eingang im neueren Teil).
Das sehr langgestreckte und fast drückend niedrige, nur mit Kunstlicht ausreichend erhellbare und massive Gewölbe aus unverputztem Stein ist ein ohnehin schon etwas ungemütlicher Empfangsraum und die einzige Aussicht, die man aus dem fensterlosen Café hat.
Während ich mir überlege, ob ich die Hoffnung auf eine kleine Stärkung aufgeben oder lieber weiterfrieren soll, erinnere ich mich an ein Objekt, vor dem ich eben gestanden bin: die, wie die Beschriftung mich belehrt, älteste mit Wasserkraft betriebene Maschine, natürlich in Schottland erfunden, als maßstäbliches Modell aus Holz. Und wozu wurde diese Maschine benutzt? Zum Walken von Loden.
Das verstehe ich doch gleich, daß man in diesen geografischen Breiten die Ingenieurskunst erst einmal in den Dienst der Herstellung wärmender und regenabweisender Bekleidung gestellt hat, ehe man an die Fabrikation von Pumpen für Bergwerke ging oder später dann, als die Dampfmaschine erfunden war, Lokomotiven baute.



2
Es ist mein letzter Tag in Schottland, und ich bin nochmal in das Nationalmuseum zurückgekehrt, denn während der Gruppenbesichtigung war unsere Zeit gerade hier, in diesem riesigen Haus, das erst kürzlich durch Zusammenlegung von Museen und Zubauten entstanden war, knapp bemessen. Heute bin ich allein unterwegs, nachdem ich drei Tage mit der Exkursion der Museumsakademie unterwegs war, die Christian Waltl wunderbar vorbereitet und betreut hat. Er hat ein Gespür für besondere Orte und für interessante Gesprächspartner. Public Engagement. Bringing Museums to the People ist das Thema dieser Museumsakademie-Exkursion, die mehr als zwanzig Museumsleute nach Glasgow und Edinburgh gebracht hat. Den Versuch der Gruppe, Public Engagement ins Deutsche zu übersetzen, lassen wir bald wieder sein. Das Wort hat einen derart breiten Bedeutungsumfang, auch das eingedeutschte Engagement, das sich vom Französischen Gage (Entgelt, Honorar, Vergütung) ableitet. Jemanden engagieren (vornehmlich bei Künstlern) heißt, jemanden verpflichten, und möglicherweise geht es genau um die Reziprozität der Bedeutung: sich jemandem (nicht jemanden) verpflichten.



Public engagement kann man also als Verpflichtung der Öffentlichkeit und dem Besucher gegenüber verstehen. Während hier noch eine Wechselseitigkeit oder Gemeinsamkeit der Verpflichtung von Institution und Öffentlichkeit zwischen den Zeilen lesbar bleibt, bindet der zweite Teil des Titels diese Mehrdeutigkeit an die Institution zurück: Bringing Museums to the People, diese etwas paradoxe Metaphorik bringt die schon etwas abgenutztere Vorstellung eines Adressaten (Publikum) und eines autoritativen Sprechers ins Spiel. Wir haben aber auf der Exkursion gelernt, dazu komme ich später, daß dieses changierende Formulieren sehr konkret und praktisch werden kann.
Das Englische eignet sich hervorragend, komplexe Sachverhalte in einfache sprachliche Formeln zu gießen, aber das macht solche Formeln anfällig, zu Slogans zu verkommen. Public Engagement und Bringing Museums to the People ist etwas das gelebt wird, das man buchstäblich erfahren kann, wenn man die Museen besucht, zweifellos ist das ein Kern der Museumsphilosophie der Museen in den bei8den Städten, die wir besucht haben. Christian Waltl hat das für sich ganz am Schluß resümiert: als eine Zuwendung zum Publikum, als Ausfüllen einer selbstgesetzten Programmatik, wie er sie noch nie erlebt hat.
Dennoch blieben meine Erfahrungen ambivalent. Gelegentlich konnten weder die Museen noch die Experten die Frage nach der Qualität der Erfahrungen beantworten, noch eine gesellschaftliche Intention vermitteln.
Diese Ambivalenz wird ein roter Faden in meinem Text sein, der weder Museumskritik noch Museumsanalyse ist, noch Exkursionsprotokoll, sondern eben ein Tagebuch, eine Aneinanderreihung subjektiver Beobachtungen.



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