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Ich sitze
in der Brasserie des National Museum of Scotland und verfluche die Architekten,
die für den Umbau verantwortlich
sind. Es zieht und es ist wirklich kalt.
Als ich
vor Jahren mit Kollegen der Hochschule für Angewandte Kunst eine Reise
nach Moskau, Leningrad und andere Städte reiste, vergnügte uns ein Reiseteilnehmer mit Vorlesungen aus seinem
Reiseführer. „Der Russe liest am Abend“ wurde zum geflügelten Wort.
Was der
Schotte am Abend macht weiß ich nicht, aber ich weiß, was er unter Tags macht: er friert. Wie der Tourist auch,
der sich wundert, wieso in einer derartigen Klimazone einfache Fenster üblich und ausreichende Heizungen offenbar verpönt sind.
Das Museumscafé, in dem ich friere, liegt direkt hinter einem der
Haupteingänge und bei dem beachtlichen Besucherstrom
ist der Eingang nie wirklich geschlossen. Eine halbhohe Glaswand gibt es zwar,
aber die dürfte eher zur Intensivierung
der Zugluft beitragen.
Das
Angebot ist gut, für viele Arten von Hunger und
Durst wird gesorgt, das ist ja inzwischen in Museen nahezu schon Standard. Man
könnte es hier schon eine Weile aushalten, um sich etwas zu
erholen vom Stakkato der Eindrücke in diesem riesigen Museum.
Das Café liegt im Untergeschoß, mit dessen Ausbau man eine völlig neue Erschließung unter der ehemaligen Haupttreppe
gewonnen hat, hier gibt es den Infodesk (eine Kassa braucht es nicht, wie die
meisten Museen hier, ist auch dieses kostenlos betretbar, nur um Spenden wird
ersucht), eines der Museumsshops, einige große Ausstellungsobjekte, eine
Garderobe (so winzig, daß sich sehr lange Schlangen
bilden bei Regenwetter – und wann ist hier kein
Regenwetter?) und die – fast versteckte – neue Treppe, durch die man, gleichsam aus dem Untergrund
die riesige Halle des Altbaus betritt (es gibt einen weiteren Eingang im
neueren Teil).
Das sehr
langgestreckte und fast drückend niedrige, nur mit
Kunstlicht ausreichend erhellbare und massive Gewölbe aus unverputztem Stein ist
ein ohnehin schon etwas ungemütlicher Empfangsraum – und die einzige ‚Aussicht’, die man aus dem fensterlosen Café hat.
Während ich mir überlege, ob ich die Hoffnung
auf eine kleine Stärkung aufgeben oder lieber
weiterfrieren soll, erinnere ich mich an ein Objekt, vor dem ich eben gestanden
bin: die, wie die Beschriftung mich belehrt, älteste mit Wasserkraft
betriebene Maschine, natürlich in Schottland erfunden,
als maßstäbliches Modell aus Holz. Und wozu wurde diese Maschine benutzt?
Zum Walken von Loden.
Das
verstehe ich doch gleich, daß man in diesen geografischen
Breiten die Ingenieurskunst erst einmal in den Dienst der Herstellung wärmender und regenabweisender Bekleidung gestellt hat, ehe
man an die Fabrikation von Pumpen für Bergwerke ging oder später dann, als die Dampfmaschine erfunden war, Lokomotiven
baute.
2
Es ist
mein letzter Tag in Schottland, und ich bin nochmal in das Nationalmuseum zurückgekehrt, denn während der Gruppenbesichtigung
war unsere Zeit gerade hier, in diesem riesigen Haus, das erst kürzlich durch Zusammenlegung von Museen und Zubauten
entstanden war, knapp bemessen. Heute bin ich allein unterwegs, nachdem ich
drei Tage mit der Exkursion der Museumsakademie unterwegs war, die Christian
Waltl wunderbar vorbereitet und betreut hat. Er hat ein Gespür für besondere Orte und für interessante Gesprächspartner. „Public Engagement. Bringing Museums to the People“ ist das Thema dieser Museumsakademie-Exkursion, die mehr
als zwanzig ‚Museumsleute’ nach Glasgow und Edinburgh gebracht hat. Den Versuch der
Gruppe, ‚Public Engagement’ ins Deutsche zu übersetzen, lassen wir bald wieder
sein. Das Wort hat einen derart breiten Bedeutungsumfang, auch das
eingedeutschte Engagement, das sich vom Französischen ‚Gage’ (Entgelt, Honorar, Vergütung) ableitet. Jemanden engagieren (vornehmlich bei Künstlern) heißt, jemanden ‚verpflichten’, und möglicherweise geht es genau um die Reziprozität der Bedeutung: sich jemandem (nicht jemanden)
verpflichten.
Public
engagement kann man also als Verpflichtung der Öffentlichkeit und dem Besucher
gegenüber verstehen. Während hier noch eine Wechselseitigkeit oder Gemeinsamkeit
der Verpflichtung von Institution und Öffentlichkeit zwischen den
Zeilen lesbar bleibt, bindet der zweite Teil des Titels diese Mehrdeutigkeit an
die Institution zurück: Bringing Museums to the
People, diese etwas paradoxe Metaphorik bringt die schon etwas abgenutztere
Vorstellung eines Adressaten (Publikum) und eines ‚autoritativen Sprechers’ ins Spiel. Wir haben aber auf
der Exkursion gelernt, dazu komme ich später, daß dieses changierende Formulieren sehr konkret und praktisch
werden kann.
Das
Englische eignet sich hervorragend, komplexe Sachverhalte in einfache
sprachliche Formeln zu gießen, aber das macht solche
Formeln anfällig, zu Slogans zu verkommen.
‚Public Engagement’ und ‚Bringing Museums to the People’ ist etwas das gelebt wird, das man buchstäblich erfahren kann, wenn man die Museen besucht,
zweifellos ist das ein Kern der ‚Museumsphilosophie’ der Museen in den bei8den Städten, die wir besucht haben.
Christian Waltl hat das für sich ganz am Schluß resümiert: als eine ‚Zuwendung’ zum Publikum, als Ausfüllen einer selbstgesetzten Programmatik, wie er sie noch
nie erlebt hat.
Dennoch
blieben meine Erfahrungen ambivalent. Gelegentlich konnten weder die Museen
noch die Experten die Frage nach der Qualität der Erfahrungen beantworten,
noch eine gesellschaftliche Intention vermitteln.
Diese
Ambivalenz wird ein roter Faden in meinem Text sein, der weder Museumskritik
noch Museumsanalyse ist, noch Exkursionsprotokoll, sondern eben ein ‚Tagebuch’, eine Aneinanderreihung
subjektiver Beobachtungen.
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