Mittwoch, 13. Juni 2018

Arbeit ist unsichtbar. Museum Arbeitswelt Steyr. Ein Ausstellungsrundgang mit Fragen


Ungewöhnlicherweise gibt es zur Ausstellung Arbeit ist unsichtbar zwei "Besprechungen", zwei Texte, die auf ungewöhnliche Weise zustandegekommen sind. Durch einen gemeinsamen Besuch im Museum mit meinem Bruder (der fachlich mit Museen nie etwas zu tun hatte, der also als "Museumsbesucher" geschrieben hat, während ich immer museologische flausen im Kopf habe, wenn ich in eine Ausstellung gehe).
Seinen Text habe ich schon gestern (hier) veröffentlicht. Heute folgt meiner:

Ankunft

Die freundliche Museums-Mitarbeiterin an der Kassa erklärt das Museum für frei zugänglich, mit EU-Mitteln aus einem speziellen Förderprogramm ist das, wenn ich das richtig verstanden habe, eine zeitlang möglich. Fein. Noch toller ist diese Mitarbeiterin selbst. Sie ist kompetent, freundlich, auskunftsfreudig, was wichtig ist, denn in der Ausstellung selbst gibt es (nur an diesem Tag?) keine Aufsicht, keinen Ansprechpartner. Und dann weiß sie auch noch das beste Eisgeschäft in Steyr.
Das ist Frau Bettina Ebner, auch für die Bibliothek und das Archiv zuständig. Sie macht uns (ich bin in Begleitung meines Bruders unterwegs, der übrigens so wie ich längst in Pension ist aber einen völlig anderen beruflichen Hintergrund hat, also eine Ausstellung anders sieht als ich) darauf aufmerksam, daß es ein wenig unorthodox losgeht. So!? Wie?

White Cube

In der großen Halle, in der bis zu ihrer Zerstörung durch Hochwasser die drei riesigen Energiemaschinen standen, die dem Museum Rückgrat gaben, grenzen jetzt fast raumhohe weiße Vorhänge einen Raum ab. Wie früher beim Hausarzt bei heiklen Behandlungen - nur viel größer. Hier nimmt man auf harten Holzfauteuils Platz, zusammen mit anderen Besuchern (an diesem Tag, der Samstag vor Muttertag und strahlend schön, sind es nicht so viele), klemmt sich Kopfhörer über und bekommt eine neun Minuten dauernde Einführung. Ein Text zu Verwandlung und Arbeit als Verwandlung und zur Unsichtbarkeit der Verwandlung. „Arbeit ist unsichtbar“.
Ein fast schon poetischer Text, klar, gut fasslich, ruhig gesprochen, von einem Mann. Wenns ums Erklären Welt geht, und hier geht es erst einmal um alles, sind immer Männer zuerst zur Stelle.


Arbeit ist Veränderung der natürlichen Umgebung. Heute gäbe es kaum noch etwas, was nicht durch den Menschen verändert worden sei. (Karl Marx schimmert durch: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit“).

Transformation

Einige Wochen zuvor im Kunsthaus Bregenz. Auf einem Großbildschirm sind dicht an dicht an einem langen Tisch sitzende Frauen zu sehen, die eine kleine Schale vor sich stehen haben, in die zwischen Bruchstücke eines Ziegels jeweils ein Muschel geklemmt ist. In die wird ein ein Stückchen aus einer anderen Muschel geschnittenes Fleisch mit einer Art Pinzette implantiert. In diesen Muscheln werden Perlen entstehen. Ohne miteinander Worte zu wechseln arbeiten die Frauen rasch mit immergleichen Handgriffen. Ein Kritiker schrieb zu diesem Film der Künstlerin Mika Rottenberg: „Wenn man da eine Weile zuschaut, spürt man förmlich, wie sich die Arbeiterinnenkörper mit ihren ameisenartigen Repetitivhandgriffen demnächst in Roboter verwandeln werden (…)“.
Genau darum geht es (auch) in hier, in der Ausstellung in Steyr, um Transformation, einerseits als Wesensmerkmal aller Arbeit, andrerseits um die (zeitliche) Transformation der Arbeitsweisen, also auch um die anstehende, in Gang begriffene Entwicklung, die Ersetzung der menschlichen durch maschinelle Arbeit.

Black Box

Dann heißt es, schützendes Plastik über seine Schuhe zu ziehen, denn im folgenden stockdunklen Raum, haben wir sandigen, unebenen Boden unter unseren Füßen. Wieder werden wir in einen vorgegebenen Zeitrahmen eingefügt und wieder sind wir Hörer, diesmal noch ausschließlicher als zuvor. Der „Ausstellungssinn“, der Sehsinn, ist hier weggeschaltet. Der Raum ist so dunkel, daß sich die Augen kaum adaptieren können. Umso konzentrierter hört man einer Stimme zu, die in fremder Sprache zu uns spricht. Die Übersetzung läßt verstehen, daß hier Arbeiter sprechen, die in einem kongolesischen Bergwerk arbeitet und die jene seltenen „Erden“ fördert, die für die Produktion von Handys und Smartphones unerlässlich notwenig sind. (Später werde ich in der Ausstellung erfahren, daß es v.a. wegen dieser Rohstoffe kein fair produziertes Smartphone geben kann). Was ich mir gut gemerkt habe, ist daß ein Arbeiter von neun Stunden Arbeit täglich spricht und davon, daß er von dieser Arbeit nicht leben kann.
Wie soll das möglich sein? Kann er mit dieser Arbeitszeit einen Nebenverdienst haben, braucht er Familie, Verwandtschaft, um zu leben? Warum nimmt er eine solche Arbeit an, warum muß er sie annehmen? Wer kann ihm diese Arbeit zumuten?




Später versuche übers Internet herauszufinden, unter welchen Bedingungen diese kostbaren und seltenen Stoffe abgebaut werden, und erfahre Erstaunliches. Etwa daß die Vertriebswege derart vielgliedrig sind, daß die konsumierenden - und profitierenden - Firmen nicht in der Lage sind, die Arbeitsverhältnisse vor Ort zu beeinflussen oder gar zu kontrollieren. Schwer zu glauben, daß der reichste Konzern der Welt, Apple, keinerlei Einfluß auf die Produktionsbedingungen nehmen kann. Apple wird demnächst zum ersten Konzern der Welt werden, dessen Wert mehr als eine Billiarde Dollar beträgt. Der Konzern kooperiert angeblich so eng mit China, weil China die größte Marktmacht hat hat, was die Verarbeitung der einschlägigen Rohstoffe betrifft. Auf der einen Seite als der Profit der Big Player auf der andren Seite der nigerianische Arbeiter am Rande seiner Existenz. Kinderarbeit gibt es in den Minen auch und die lokale Wertschöpfung geht in Waffengeschäfte, in lokale Kriege. Was ich noch im Internet erfahre: Es gibt, erstaunlicherweise etwa in Kanada oder den USA abbaugeeignete Lagerstätten, doch nationale Auflagen machten die ungeeignet. Dieses Wikipedia-Wort „ungeeignet“ übersetze ich mir mit „unrentabel“.

Globalisierung

Hier, im Museum in Steyr, geht es aber nicht um eine moralische Bewertung, sondern darum, verständlich zu machen, und das an einem einzigem Beispiel, was Globalisierung bedeutet und wie sehr sie unsere Vorstellungskraft fordert. Oder eher überfordert. Denn im zweiten Teil der Toninstallation hören wir - hörbar oberösterreichisch gefärbte - Stimmen von Personen, die ihrer Hilflosigkeit nicht nur gegenüber dem Verstehen von Zusammenhang von Produktion und Gebrauch Ausdruck geben. Wer weiß das schon mit diesen seltenen Rohstoffen und woher die kommen und wie die Arbeit aussieht, die ganz am Beginn der Produktion steht? Hilflosigkeit hört man auch was den Umgang mit dem Handy und seiner Konstruktion betrifft.  Da kann ich mitreden. Mein Smartphone macht ständig etwas, was ich nicht verstehe. Und das kommt übrigens aus China.
Mitreden, sich ins Gespräch mischen kann man hier nicht. Nur zuhören. Wobei der kleine Trick der ist, daß durch die Alltagssprachlichkeit alles an Information ganz niederschwellig daherkommt. Man könnte sich also sofort einschalten ins Gespräch, mitreden, nachfragen, eigene Erfahrungen dazumischen. Aber auch das Museum pflegt lieber Einwegkommunikation. Gleich in den nächsten Räumen aber wird sie uns einholen, die akademische Belehrungssprache.

Glücksversprechen

Wenn wir die beiden einführenden und interessanten Räume mit ihrer kommunikativen Ungewöhnlichkeit verlassen, landen wir im „alten Museum“. Buchstäblich. Das ist der Raum, wo bis vor nicht allzu langer Zeit noch Maschinen der Hack-Werke standen, deren Konkurs die Bedingung für das Freiwerden des Gebäudes und seine Nutzung als Museum war. Unter dem Titel „Fabrik wird Museum“ hat der Museologe Krysztof Pomian mal sehr schön die Transformation von Lebenswirklichkeit in Museen beschrieben. Er hätte das Museum in Steyr als Beispiel wählen können.
Die Maschinen sind verschwunden, aber ein Einbau aus den ersten Tagen ist geblieben, ein Gasthaus, komplett eingerichtet. Vor einem Jahr saß ich hier in einer vergnüglichen Runde, während eines interessanten Museumstages, den das Museum sehr klug konzipiert hatte.
Jetzt ist der Raum leer, aber es liegen Bierdeckel herum. Statt Gösser oder Puntigamer liest man da z.B. „Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“ Tick, Trick und Track (in der Übersetzung der genialen Erika Fuchs, ohne die meine Kindheit weniger lustig gewesen wäre („Dem Ingeniör ist nichts zu schwör…“).


Da werde ich gleich bestechlich, wenn ein Museum (Selbs)tironie zeigt, das tun Museen selten, denn Museen haben meist einen Wahrheitsanspruch und eine Autoritätsanmutung, die sich gewaschen hat und da läßt man selten locker. „Radfahrer aller Länder“, noch so ein Bierdeckel, „vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten!“. Und dann auch noch das: „Das Ziel der Gesellschaft ist das Allgemeine Glück.“ Artikel 1. der Erklärung der Menschen der Bürgerrechte von 1793, vorangestellt der zeitgleich deklarierten Verfassung Frankreichs.
Ob der „Arbeitskreis Bierdeckel“ auch wußte, daß der Tag der Verabschiedung, der 10. August 1793, auch der Tag der Eröffnung des Louvre war? Die Geburtsstunde des (öffentlichen) Museums? Daß Museum, Aufklärung und Revolution engstens zusammenhängen? Aber das ist eine andere Geschichte.
Das große emanzipatorische Glücksversprechen der Aufklärung, der Demokratie als Gadget. Später mal an der Kassa zu erwerben. Na ja.
Die erwähnte Verfassung kannte eine aktive Verpflichtung des Staates, Arbeit zur Verfügung zu stellen. Also etwas, was, wenn ich es recht verstehe, ein Kern dessen was sozialen Demokratie ausmacht. Aber davon ist nicht die Rede in dieser Ausstellung.
Und wohin sind eigentlich die am Beispiel der Handy-Produktion angerissenen Fragen und Widersprüche hingekommen, der Neokolonialismus (ist der überhaupt „neo“, hat der je aufgehört?), die globalen Ungleichheiten und Abhängigkeiten? Davon wird nicht mehr die Rede sein. 
Bierdeckel gibts, kühles Bier (heute) nicht, im Wirtshaus Zum Pflug. Wieso eigentlich „Zum Pflug“, wenn es ein Arbeiterwirtshaus ist? Das fällt meinem Bruder auf. So viel zur unterschiedlichen Beobachtungsgabe von sogenannten Laien und sogenannten Fachleuten. Mir ist das nie aufgefallen.

Eisen

Aber zurück in die Ausstellung. Hier kommen wir einerseits zur Geschichte der Industrialisierung und andrerseits zur Lokalgeschichte. Steyr als Ort, der vom nahen Erzberg profitiert und zu einem Zentrum der Eisenverarbeitung wird. Dioramen - ich mag Dioramen sehr -, veranschaulichen das Flößen von Holz, die Eisenbahn, das Abholzen der Wälder, den Abbau am Erzberg. Ein großes Modell zeigt die Ausdehnung der Waffenfabrik Werndl, ihre Lage entlang des Wehrgrabens, wo das Museum ja steht. Ein andres Modell veranschaulicht die Fabrik ehe sie Museum. Man bekommt eine Vorstellung von der Topografie von Steyr, der des Wehrgrabens, von der Bedeutung der Flüsse und Kanäle, der Ausdehnung der industriellen Anlagen.



Das zweit Medium der Vermittlung sind „Schatzkisten“, mit allerlei Dingen gefüllt und am Deckel mit von Fotografien unterstützten Texten versehen. Warum diese Kisten am Boden stehen müssen und man die Texte nur lesen und die Fotos nur würdigen kann, wenn man sich kreuzwehfördernd tief bücken muß? Interessant wäre es, wenn man in den Kisten kramen, Dinge herausnehmen und betrachten könnte und mit jemandem mit Hilfe dieser Objekte diskutieren könnte. Ich erinnere mich an das Open Museum in Glasgow, wo ich so etwas gesehen hatte. Da werden solche “Schatztruhen“ zu verschiedene Themen gebastelt, ungemein liebevoll und sorgfältig, z.B. zu „Radfahren“ oder zu bestimmten Religionen. Diese Kisten werden an jedermann verliehen, Personen, Vereine, Gruppen, Institutionen usw., aber das Museum (eigentlich: Museumszentrum der kommunalen Museen von Glasgow) greift nicht ein, nirgends. Man verleiht, und nimmt zurück. Das wars dann. Eine der weitgehendsten Formen von Partizipation, die ich kenne.
Von Nigeria nach Steyr wars ein sehr kurzer Weg. Vermittelt wurde da nichts. Der Wechsel zum Lokalen und Begrenzten ist, nach der geschickten Thematisierung von Globalität, schroff.


Hinter der nächsten Museumswegbiegung setzt sich die Erzählung zur Industrialisierung in Steyr fort und wir stoßen auf den zweiten großen mit Steyr (auch namentlich) verbundenen Betrieb: Die Automobilwerke. Hier wird in Stationen und an Objekten etwas über die Entwicklung der Produktion, die Arbeitsbedingungen, die Motoren- und Automobilproduktion und dann über die Waffenproduktion erzählt.




Man dokumentiert die Rolle der Waffenproduktion während der NS-Zeit und die Zwangsarbeit sowie die Rolle (ich hoffe, ich erinnere mich da richtig) des KZ Melk und der dazugehörigen unterirdischen Produktionsanlage bei Loosdorf. Ich entdecke Dokumente, die ich vor Jahrzehnten kennengelernt habe, als ich zusammen mit dem Zeithistoriker Bertrand Perz an der Dauerausstellung für das ehemalige Krematorium des KZ Melk arbeitete. Täusche ich mich, ist hier wirklich die Rolle der Steyr-Werke eher in Form eines Kooperationspartners der NS-Politik und -verwaltung dargestellt, denn als, gerade was das KZ und die Zwangsarbeit betraf, aktiver und fordernder - und massiv profitierender - Konzern? (Auch im Begleitbuch wird dieses Kapitel der Kollaboration der Steyr-Werke mit dem NS-System sträflich oberflächlich abgehandelt).
Hier tragen die Objekte tragen wenig zur Veranschaulichung bei (ein Schlüsselproblem bei so vielen historischen Ausstellungen) und die giftigsten Fragen sind explizit ausgelagert. Auf einem auf grellgelbem Papier gedruckten, also schon recht auffallenden, aber eher klein gehaltenen „Abreißkalender“, der jeweils eine Frage aufwirft und illustriert. Hier wird der lokale Horizont gesprengt und es geht plötzlich um globale Dimensionen aber auch methodische. Denn eine Ausstellung, die das Unsichtbare an Arbeit sichtbar machen möchte, hat selbstredend ein Darstellungsproblem. Wie macht man etwas sichtbar, das es eigentlich nicht ist? (Deswegen auch der Kunstgriff mit den drei Hörräumen). Gelegentlich glückt das mit Hilfe des „Abreisskalenders“ auf schlaue und witzige Weise.: Das riesige Projekt von Google, weltweit Bücherbestände zu scannen, wird im Text problematisiert. Was dem vorausgeht, ehe wir bequem am Bildschirm die Bücherwelt durchsuchen können, sehen wir ja nicht. Ein Dutzend Fotos zeigt, wie im Arbeitsprozess immer wieder unabsichtlich Hände der Menschen an den Geräten ins Bild geraten und automatisch auch gescannt werden. Ein wunderbarer „Bildwitz“, mit dem das Fragen erst eröffnet wird.

Sozialdemokratische Erzählung

Das Unbehagen an diesem Ausstellungsabschnitt hat nicht in erster Linie mit der Gestaltung zu tun, nicht nur damit, daß die einzelnen Stationen, Vitrinen usw. sich nicht recht schlüssig zu einer Erzählung zusammenfügen lassen. (Vielleicht war ich zu ungeduldig?). Was das Unbehagen auslöste, wurde mir eher zufällig und nachträglich klar. Nämlich als ich Harun Farockis Film „Wie man sieht“ zufällig kurz nach dem Ausstellungsbesuch gesehen habe. Hier geht es um den strukturellen Zusammenhang von Industrialisierung, Waffentechnologie und Aggression und die Gewaltförmigkeit des Industrialisierungsprozesses selbst (ich glaube, in der Ausstellung wird ein Video von Farocki gezeigt, ich hab das übersehen). Wenn man diesen Zusammenhang unberücksichtigt läßt, bleibt eine moralische Bewertung übrig, etwa was die skandalträchtige Waffenproduktion und -ausfuhr der 60er und 70er-Jahre betrifft, kaum mehr. Das ist dann ein „Unfall“, der berühmte Einzelfall, der aber nicht prinzipiell die fortschrittsoptimistische Entwicklung stört, als die die „Geschichte“, auch hier, wie meist in historischen Museen oder erst recht technischen Museen erzählt wird.
Das ist überdies ein Rückfall in der Geschichte des kritischen sozialhistorischen Ausstellens. Schon vor etwa vierzig Jahren konnte man im kleinen Stadtmuseum Rüsseslheim sehen, wie an - ebenfalls an einem Automobilkonzern (Opel) entwickelt, die Gewaltförmigkeit der industriellen Produktion immer wieder in kriegerische Katastrophen mündet und wie tiefgreifend der Zivilisationsbruch ist. (Die Ausstellung existiert nicht mehr) So wurde die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht einfach zur Triumphgeschichte einer unweigerlich sich vollziehenden geschichtlichen Notwendigkeit, und nicht nur, berechtigterweise zur Schilderung des Widerstandes gegen Ausbeutung, Drangsalierung und Unterwerfung sondern zum immer wieder zum Scheitern verurteilten Einspruch gegen inhumane gesellschaftliche Zustände.

So zufällig wie ich auf Farockis Film gestoßen bin, der im übrigen ungemein ausstellungsaffin ist, weil er über weite Strecken seine Thesen aus der Analyse der visuellen Tatbestände entwickelt, (gibt es auf Youtube, große Empfehlung!), so zufällig bin ich auf einen (nicht gerade unbekannten) Text gestoßen, der den Sachverhalt deutet, der mich beschäftigte. „Der Konformismus, der von Anfang an in der Sozialdemokratie heimisch gewesen ist,“ schreibt Walter Benjamin in seinen geschichtsphilosophischen Thesen, „haftet nicht nur an ihrer politischen Taktik, sondern auch an ihren ökonomischen Vorstellungen. Er ist eine Ursache des späteren Zusammenbruchs. Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar. Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung. Das Gothaer Programm trägt bereits Spuren dieser Verwirrung an sich. Es definiert die Arbeit als ‚die Quelle alles Reichtums und aller Kultur‘“.

Wiederholungen

Während wir eben mit den Steyr-Werken beschäftigt waren, geht es im folgenden noch einmal um den Kontext, noch einmal um Industrialisierung, Arbeit, Arbeiterbewegung, Zwang zur Arbeit, Blaumachen, Zeitmessung und v.a.m. Daß ich mir gerade von dem Raum wenig gemerkt habe und meine Fotos zu Hilfe rufen muß, hängt mit der Gestaltung zusammen. Hier gibts das was im Ausstellungsmacher-Jargon „Flachware“ heißt, zweidimensionale Medien, Texte, Fotos. Eingepasst in eine Setzkasten-Ästhetik, die die Wände füllt. Kästchen um Kästchen und Lesen im Stehen.


Immerhin kommt da sogar mal die „Frauenfrage“ vor, an einem Spieltisch, ein Puzzle: „Wenns ein Mädchen wird, nennen wir es Einkommensunterschied“. Witzig. Aber das wars?
Ich lese: „Um Frauen in armen Ländern wirklich zu helfen, muss nach den Worte von Oxfam-Chefin Winnie Byanyima auch gegen die wachsende wirtschaftliche Ungerechtigkeit gekämpft werden. ‚Frauen leiden besonders unter der Ungleichheit in der Welt‘ (…) ‚Frauen sind die größten Verlierer von Steuervermeidung‘, sagte Byanyima. Entwicklungsländer verlören jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen, weil internationale Konzerne ihre Gewinne nicht in den Ländern versteuerten. Damit fehle Geld in ärmeren Ländern für Gesundheitsversorgung, Transport, Energiesysteme, Bildung und andere öffentliche Dienste, auf die Frauen angewiesen seien. Da die Länder deswegen auch noch ihre Verbrauchssteuern auf Waren erhöhten, zahlten Frauen doppelt den Preis. ‚Wir brauchen eine Reform des globalen Steuersystems.‘ Da türmt sich ein Berg von Fragen auf. Nichts dazu in der Ausstellung. Gender-Fragen werden in (österreichischen) Museen nahezu nirgends thematisiert. Nur das Frauen-Museum in Hittisau ist eine der Ausnahmen. Im Vorjahr hat dieses Museum den Österreichischen Museumspreis bekommen und wurde nach seiner Vorstellung frenetisch gefeiert, wie ich das noch nie erlebt habe. Wo? Im Museum Arbeitswelt Steyr. Also auch hier gibt es eine Rückschritt hinter etwas schon längst Erreichtes.


Das was ich hier erfahre, das kenne ich schon, aus anderen Ausstellungen, aus den Medien, aus der Geschichtswissenschaft und - aus dem „alten“ Arbeitsweltmuseum Steyr. Das arbeitete schon einmal denselben Stoff durch. Schon in der ersten Ausstellung. Damals war das sehr wichtig und verdienstvoll. Das Museum war inhaltlich und gestalterisch neuartig. Neu war die Thematisierung der Arbeitswelt und der Geschichte und Lebenswelt der Arbeiter, neu war die szenografische Gestaltung (Hans Hoffer).
Die zwanzig Jahre, die seither verstrichen sind, lassen eine solche „Wiederholung“ der Erzählung eigentlich nicht mehr zu. Der Wandel der Arbeit ist so tiefgreifend, daß die Wiedererzählung nicht mehr mit der Gegenwart abgeglichen werden kann. Die Frage ist, was kann man von dieser Geschichte mitnehmen, das heißt, was hilft mir dieses Wissen beim Verstehen der Gegenwart und in meiner Handlungsfähigkeit jetzt?
Hier ist z.B. von der Erwerbsarbeit, der „Brotarbeit“ die Rede. Aber was ist mit denen, die nicht arbeiten, also von denen, die keine Arbeit „bekommen“ und denen, die man vom Arbeitsmarkt fernhält, z.B. Zugewanderte?
Und was ist mit denen, die nicht arbeiten, weil sie „das Geld arbeiten lassen können“, das Geld das als Mehrwert aus der Arbeit anderer, die sie arbeiten lassen können, in ihre Verfügung übergegangen ist oder die Maschinen arbeiten lassen, die ihnen gehören? Also wie ist das mit Kapital und Arbeit? Reichtum und Armut? Gewalt und Ohnmacht? Waren das Fragen, die den AusstellungsmacherInnen zu langweilig, zu altbacken, zu oft durchgekaut usw. erschienen sind, die sie als jedermann geläufig, immer schon vorausgesetzt nicht mehr behandeln wollten?
Darauf deuten die Zeilen ganz am Anfang des Einleitungstextes der Ausstellungskuratoren hin, wo sie erklären, daß sie nicht noch einmal erzählen wollten, nicht Technikgeschichte, Fortschrittsgeschichte, Arbeitergeschichte von unten, Geschichte der Arbeiterbewegung. (Robert Misik, Christine Schörkhuber, Harald Welzer (Hrsg.): Arbeit ist unsichtbar. Picus Verlag, Wien o.J. (2018) S.10)
Und was ist mit denen, die gerade jetzt, in gewisser Weise vor unser aller Augen (in den Medien wird berichtet, diskutiert) zwar Arbeit haben, aber davon nicht leben können. Die sich mit Jobs abfinden sollen und mit sozialpolitischen Ausgrenzungen, die kein wertes Leben mehr ermöglichen. Nicht nur dem kongolesischen Arbeiter geht das so, auch vielen Menschen mitten in Europa, in Österreich. Sagt die Ausstellung dazu etwas? Habe ich das übersehen?


Arena

Dann kommt noch einmal ein weißer immersiver Hörraum, diesmal nicht mit hartsitzigen Bretterstühlen sondern mit breiten, aufsteigenden Stufen, wo man sitzen oder lümmeln oder liegen darf.
Vierzehn Menschen beschäftigen sich hier mit der Frage, was Arbeit für sie bedeutet. Wieder reden die, „wie ihnen der Schnabel gewachsen“ ist, leicht in Dialekten gefärbt, mit oft bruchstückhaften, abbrechenden Sätzen, nachdenklich, schnell drüberredend, in Klischees, mit übernommenen Gedanken, oder mit Sätzen, die sich erst im Reden bilden und dann ihren Autor selbst überraschen oder erschrecken. Dann folgt meist ein „Katastrophenlachen“ (wie das der Religionswissenschafter Klaus Heinrich genannt hat). Der Sprecher/die Sprecherin ahnt den und erschrickt über dem Abgrund.
Es ist unglaublich, was da in wenigen Minuten alles aufblitzt. Man kommt mit dem Mitdenken und Mitfühlen gar nicht nach. „Meine Arbeit ist meine Heimat“ sagt jemand. Habe ich noch nie gehört. Da möchte man gerne nachfragen, ins Gespräch kommen. Ist jetzt grade nicht möglich, nur Zuhören.
Dieser Raum wird jedenfalls für mich der eindrucksvollste bleiben. Jenseits medialer Entstellung, akademischer Abstraktion, literarischer Bearbeitung kommen hier die Grundfragen dessen was Arbeit ist, heute und für die Mehrzahl der Menschen, „zur Sprache“ wie sonst nirgendwo in der Ausstellung.
„Wer spricht, muß auch sprechen lassen“, hieß eine der Parolen am Museumstag 2017 in Steyr.
Nun, das Museum Arbeitswelt macht viele Veranstaltungen, Lesungen, Diskussionen, ständig laufen die Veranstaltungshinweise über Facebook wie ein nicht aufhaltbarer Newsticker. Also gut möglich, daß da sehr viel passiert in Zusammenhang mit der Ausstellung und speziell mit diesen Räumen, die dann von Hör- zu Diskussionsräumen mutierten. Darüber kann ich also nichts sagen.
Die Demokratiewerkstatt „Demos“, die das Museum schon seit Jahren betreibt, sollte ja in die Ausstellung integriert werden. Ich habe ihn und ihren Leiter (Robert Hummer, auch er soll genannt werden, wie die Dame an der Kassa) im Vorjahr kennengelernt und war sehr beeindruckt. Das scheint es nur hier zu geben, ich habe so etwas in noch keinem anderen österreichischen Museum gesehen. (Das neue Geschichtsmuseum in St. Pölten hat das irgendwie nachzuahmen versucht, aber da das ganze Museum derart ideologisch-parteipolitische durchgefärbt ist, mißtraue ich dem sehr).

Was ist eigentlich unsichtbar?

Die Antwort, die die Kuratoren geben hat mich überrascht. Es geht um vorwiegend psychologische Fragen. Selbstwert, Selbstbewußtsein, Identität, Anpassung, Angst, aber auch um soziale Beziehungen, um - (hier überwiegend) individuellen - Widerstand. Das zweite überraschende ist der Ort, an dem sich die Kuratoren deklarieren: im Begleitbuch. Ich hatte nie das Gefühl in der Ausstellung, daß diese Fragen die Ausstellung strukturieren oder gar tragen. Über weite Strecken spielen sie überhaupt keine Rolle. (Allerdings gibt es einen auführlichen Text unter dem Titel Sichtbarkeit & Unsichtbarkeit, der die Überlegungen der Kuratoren ausführlich darlegt.)
Zusammengefasst wird das im Begriff des Eigensinns (Negt & Kluge lassen grüßen!). „Die Welt funktioniert nicht nach den Maximen der sichtbaren Oberflächengeschichte der formalen Ökonomie, sondern nach Prinzipien der moralischen Ökonomie (…) nach der Überzeugung, was gut oder schlecht für das eigene Beziehungsgefüge ist. Das gilt insbesondere für für die Geschichte der industriellen Arbeit, die immer auch durch individuelle und kollektive Aneignungen und Modulationen mitgestaltet wird. Industriearbeiter erfüllen nicht einfach abstrakte Anforderungen, sondern eignen sich diese an und antworten mit eigensinniger Ausgestaltung darauf (…)“. Was mögen die kongolesische Bergarbeiter dazu sagen, die wir im zweiten Hörraum gehört haben?


Ich verstehe, wenn die Autoren der Ausstellung eine pessimistische Erzählung vermeiden wollten und die Zukunft der Arbeit nicht als Dystopie ausmalen. Aber den Handlungsspielraum bloß zu behaupten, den Eigensinn als Faktum zu postulieren verharmlost die neuen Zwänge und Abhängigkeiten globaler Arbeitsverhältnisse. Wäre es da nicht besser und vorsichtiger und auch produktiver gewesen, diese Handlungsmacht - ja, von Macht der Arbeiter ist explizit im Vorwort des Katalogbuches die Rede, nicht nur von Eigensinn -, erst einmal zu untersuchen, ihr Potential zu erforschen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten.
Harald Welzer, einer der beiden Kuratoren wird mit seiner Eröffnungsrede so zitiert: „Denn die Gesellschaft entscheidet, in welcher Art und Weise wir für uns arbeiten lassen“. Wirklich? Kein Nationalstaat ist noch in der Lage, die Steuervermeidung und -flucht großer Konzerne einzudämmen. Kein Nationalstaat ist mehr in der Lage, massiv nachteilige Handelsregeln abzuwehren. Man mag Welzers Satz als Forderung, als praktische Utopie auffassen, aber gemeint ist er wie eine Tatsachenfeststellung.


Keine Angst!

Daß am Ende der Ausstellung keine Bilanz gezogen wird, verstehe ich. Die enorme Komplexität der Fragen wird beim einzigen Thema, das aufgegriffen wird, überdeutlich. Was Digitalisierung tut, erfahren wir am eigen Leib aber zugleich rutsch das in eine Abstraktion, die sich dem Verstehen verweigert. Wer verfügt noch über das Wissen aus unterschiedlichsten Feldern und überblickt es souverän? So werden in den Medien aber auch in unseren politischen small talks die großen Themen in Einzelteile zerlegt und hin und her gewendet. Aber wer kann das wieder zusammenfügen?
Allein die diversen Rückkoppelungseffekte, die die Entstehung der „neuen“, der „sozialen Medien“ auf die klassischen Medien hat, auf Zeitung, Rundfunk und Fernsehen, sind kaum durchdringbar und die Folgen noch unübersehbar. Die Auswirkungen nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern auf unser privates Leben, die Politik, die Demokratie uvam. machen das Thema schwer fassbar.
Dementsprechend zurückhaltend ist man hier im Museum. „Keine Angst vor Robotern“ heißt die Überschrift über einem der Texte. Dieser Text ist symptomatisch für die unentschiedene, vielleicht auch unentscheidbare Situation. Da scheint sich keine Haltung mehr einnehmen zu lassen. Es gibt nichts sicher Prognostizierbares, es gibt nur noch Ambivalenzen zwischen den segensreichen Funktionen und den destruktiven.
Zentrales, jedenfalls auffallendes Objekt im Raum ist ein menschenähnlicher kindergroßer Roboter, der gleich bei der ersten - von ihm selbst gestellten - Aufgabe versagt. Er erkennt nicht, daß wir uns gesetzt haben und fotografiert bloß unsere Scheitel. Ich bekomme also kein Doppelporträt, das ich mir per Mail nach Hause zustellen lassen kann. Und die Interaktion mit dem blechernen Männlein funktioniert über seinen Touchscreen, da ist mein mit SIRI ausgestattetes iPad schon weiter.


Was sagt uns das? Roboter als nettes harmloses Spielzeug? Vor so etwas muß ich mich wirklich nicht fürchten, könnte die Botschaft lauten. Aber selbst er, der Museumsroboter, könnte jemandem Arbeit wegnehmen, einem „Vermittler“, einer Person, die ich hier in der Ausstellung ansprechen kann, die aber zugunsten des Blechspielzeugs schon wegrationalisiert wurde?
Und auch hier ist man anderswo schon weiter. Die schwedische TV-Serie Real Humans schickte uns mit den menschenähnlichen Robotern, den Hubots, die als eine Art erweiterte Haushaltshilfe gedacht waren, in eine Abenteuerreise, in der die Zukunft der Digitalisierung witzig und beängstigend zugleich vielfältig erforscht wurde.
Und wiederum viele Fragen: Geht „uns“ die Arbeit aus? Was dann? Wer bleibt übrig? Wer gewinnt dabei, wer verliert (was)? Und um noch etwas geht es: in welcher „Verfassung“ werden wir uns wiederfinden, das heißt, was passiert mit der Verfassung der Gesellschaft, mit der Demokratie. Es gibt weltweit nur eine Minderheit von Staaten, die man in vollem Wortsinn als Demokratien bezeichnen kann. Es werden - erstmals seit längerer Zeit -, weniger und das auch in Europa, um „uns“ herum. Das Thema ist präsent, seltsamerweise nicht hier, nicht in diesen beiden letzten Räumen, in denen es um Zukunft geht.

Nach der Arbeit

Und so kommt es, daß der allerletzte Raum mit der doppeldeutigen Wendung „Nach der Arbeit“ uns die „arbeitslose“ Zukunft überwiegend als ein Versprechen auf ewige Freizeit schmackhaft macht, mit einer nur leichten Abschwächung (im Raumtext). Es könnte so schön werden. Was uns die Zeichnungen rundum an den Wänden aber zeigen, das ist keine Zukunft, das ist der jetzige kleinbürgerliche Alltag. Und wenn man selber keine Antwort hat, dann fragt man eben das Publikum (ohne eine Antwort wirklich wissen zu wollen): „Wie malen Sie sich Ihre Zukunft aus?“ und dazu Schultafel und Kreide.
Was für ein Absturz! Was für ein Mißgriff. Schon nachvollziehbar, daß man sich in der Ausstellung keine Dystopie antun wollte, keinen Alarmismus, keine depressiven Fantasien. Aber uns dann unsere schlechte, banale Gegenwart unter die Nase zu reiben - als Glücksversprechen. Wenn das das „allgemeine Glück“ ist, das uns 1793 als „Ziel der Gesellschaft“ deklariert wurde, dann stimmt was gewaltig nicht.


Schlussatz

Ich hätte da doch einen Satz, der vielleicht nicht alles zusammenfasst, aber das worauf das alles vermutlich hinauswollte, auf den Punkt bringt: „Der solidarische Zusammenhalt der Gesellschaft steht heute auf dem Prüfstand. Mühsam erkämpfte soziale Rechte werden in Frage gestellt. Im Zentrum dieser Diskussion steht der Anspruch auf Existenzsicherung für all jene, die nicht selbst für sich sorgen können. Hand in Hand damit geht eine Aushöhlung des politischen Systems der Demokratie: rechtspopulistische Bewegungen, die Sozialleistungen nur ‚unseren Leuten‘ zuerkannt wissen wollen, sind europaweit im Aufwind. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass demokratische und soziale Rechte untrennbar zusammengehören. Sozialer Ausgleich und gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind Schlüsselfragen der Gegenwart. Die Antwort auf diese Fragen wird entscheidend dafür sein, ob ein Leben in Würde für alle Mitglieder unserer Gesellschaft möglich ist.“
Der Satz ist nicht von mir. Er wurde vom Museumsteam formuliert. Für eine Vorgänger-Ausstellung. Dort bildete er den Schlußpunkt. So ein Satz hätte der Ausgangspunkt für alles sein können. Aber den Satz gibt es nicht mehr.



Und?

Ich hätte gerne ungleich freundlicher über die neue Ausstellung geschrieben. Ich kenne das Museum seit seiner Gründung, habe dort manche Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des damaligen Teams gemacht. Das Museum war inhaltlich, geschichtspolitisch und gestalterisch innovativ. Es war und ist bis heute einer der ganz wenigen Orte, an denen über die Geschichte der Arbeit und damit der Arbeiter und der Arbeiterbewegung erzählt wird. In dieser Ausschließlichkeit, in der das geschieht, ist das Museum in Österreich einzigartig. In jüngerer Zeit habe ich das Museum und das Team als energisch streitbar in Sachen Demokratie erlebt und am Museumstag 2017 fand ich die Idee wunderbar, zwei Öffentlichen miteinander zu verschränken, eine urbane und die museologische in einer großen Debatte unter dem Titel „Welche Gesellschaft wollen wir sein?“. Noch nie habe ich eine österreichische Museumsveranstaltung erlebt, in der so etwa stattgefunden hat. Der damalige keynote speaker, Harald Welzer, ist nun einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, der andere der Journalist Robert Misik.
Der gesellschaftspolitischen Haltung des Museumsteams unter der Leitung von Katrin Auer - das übrigens im Verhältnis zum Aufwand einer solchen Ausstellung und den viel Veranstaltungen, die hier stattfinden, erstaunlich klein ist - ist anerkennenswert und hat meinen Respekt.
Museen, Museumsteams, die sich derart engagieren, eine solche Haltung vertreten braucht es dringend. Allenthalben knirscht es im Gebälk demokratischer Strukturen und Überzeugungen. Keineswegs nur in Polen oder Ungarn, in Italien oder in Slowenien, nein auch in Österreich. Museen sind es nicht gewohnt, sich engagiert zu positionieren. Politik gilt weithin verpönt, was angesichts des enormen Einflusses der Politik auf Museen auf so gut wie allen Ebenen (Finanzierung, Personalpolitik usw.) schwer vertretbar ist. Es braucht das „demokratische Museum“, es bräuchte mehr solcher Museen wie Steyr, mehr an einschlägigen Ausstellungen und Diskussionsforen.
Deshalb tut es mir wirklich leid, daß diese Ausstellung so schwer verständliche Leerstellen läßt, so vielen Fragen ausweicht - oder sie gar nicht stellen wollte.





Dienstag, 12. Juni 2018

Arbeit ist unsichtbar. Die neue Ausstellung im Museum Arbeitswelt Steyr. Fragen eines kritischen Besuchers


Vor einigen Wochen habe ich meinen Bruder gefragt, ob er mich nach Steyr begleitet, um die neue Ausstellung „Arbeit ist unsichtbar“ anzusehen. Wir hatten einen schönen Tag in Steyr und einen vielstündigen Ausstellungsbesuch, unterbrochen nur von einem Mittagessen im schönen Gastgarten des ausgezeichneten Gasthauses Knapp, das neben dem Museum liegt.
Am Abend überraschte mich mein Bruder mit einem Text, den er direkt an die Leiterin des Museums gerichtet hatte. Sozusagen ein Leserbrief, bemerkenswert, weil sich Besucher normalerweise nicht so ausführlich und schriftlich äußern. Sieht man mal vom „Sehr interessante Ausstellung“ oder anderen aufschlussreichen Kurzmitteilungen in einem Besucherbuch ab.
Mein Bruder hat einen ganz anderen beruflichen Hintergrund als ich und das macht den Text besonders. Ich habe ihn gefragt ob ich ihn, aus diesem Grund, weil man so etwas normalerweise nicht zu lesen bekommt, veröffentlichen darf.
Morgen werde ich den Text in den Blog stellen, den ich geschrieben habe. Dann ist das eine Premiere - die erste „Familienkritik“, die erste „Doppelconference“ (hier der inzwischen veröffentlichte Text von mir) in der Geschichte der Museumskritik. Und nun sein Text:



Das Foyer empfängt den Besucher geräumig einladend mit Glas und Licht; eine gelungene Anbindung an die Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert. Eine freundlich aktiv Auskunft gebende Dame an der Kassa verstärkt das Willkommen. Eine große Tafel mit den Namen all jenen vielen Personen, die diese neue Dauerausstellung mitgestaltet haben zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Ich finde das wirklich nett, dass da nicht nur die Chefs angeführt sind.
Weiter, und hinein in die weißen Sessel, Einstimmung auf das Kommende. Ein lichtloser Raum. Eine wunderbare Idee, die Sinne des Besuchers zu konzentrieren. Ich spüre unebenes Weich unter meinen Füßen. E c h t e   kongolesische Bergwerkserde, erfahre ich. Whow! Und? Nichts und. Von den Stimmen dreier Bergleute erfahre ich, dass sie hart, sehr hart arbeiten um gerade mal das Essen für ihre Kinder zu verdienen. Für etwas anderes geht es sich in diesem ihrem Leben nicht aus. WARUM ist das so, frägt sich der Besucher. Ich bin gespannt. Im nächsten Raum lerne ich, dass es früher bei uns auch so war. Und WARUM jetzt nicht mehr?

Und noch etwas lerne ich: Den Ausstellungskuratoren dürfte die einschläfernde Wirkung mancher Museen auf Besucher bewusst gewesen sein, sodass sie diese Herausforderung progressiv lösten:
Die Körper der Besucher werden zu zusätzlichen Bewegungen durch Truhen mit dem Nachlass früherer Arbeitswelten animiert, auf deren offenen Deckeln in etwa Kniehöhe Erläuterungen und Fotos mit kleinen Figuren angebracht sind. Ich gehe mehrmals in die Knie um zu sehen worum es hier geht, bis ich bemerke, dass von den sieben Besucherinnen, die sich durch den Raum bewegen, nur ein Mann sich  zu so einer schlecht beleuchteten Schrifttafel hinunterbeugt um sich nach wenigen Sekunden wieder aufzurichten und die Kisten keines Blickes mehr zu würdigen. Alle anderen nehmen nicht einmal Notiz von diesen für sie vielleicht wichtigen Informationen.


Oder vielleicht sind sie gar nicht wichtig? Sondern nur die Taktik der Didaktik damit sich die Besucher nicht zu sehr ins Detail verlieren? Das Maschinengewehr sieht man auch ohne sich zu bücken und das Waffenrad das nichts mit Waffen zu tun hat, auch. Anhand z.B. auch dieser Objekte kann ich erfahren, dass die „Werndler“ und deren Hilfsarbeiter in präziser Arbeit hochwertige Produkte herstellten, was auch ein k.u.k. Soldat in seinem Tagebuch bestätigt, als er erlebt, wie solch eine „Tötungsmaschine“ fliehenden Russen nachfeuert.
Langsam werde ich nachdenklich. WAS will dieses Museum eigentlich über Arbeit vermitteln? Über welche Arbeit? Neugierig wandere ich weiter.
Am „Spieltisch“ auf dem Erhellendes auszuprobieren wäre,  gehen die Besucher nach einem kurzen Blick darauf achtlos vorbei. Warum eigentlich? Selber schuld, wenn sie`s nicht checken.

Mein Blick fällt irgendwann auf ein Plakat aus der 2. Hälfte des 19. Jhdts. Ein Arbeitgeber teilt darauf seinen Arbeitern mit, dass er morgen die Bude dicht macht, wenn sie für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Er würde erst wieder aufsperren, wenn sie für die bisherigen Bedingungen wieder arbeiten wollten. Aha, denke ich, wir kommen doch noch zu Ursachen und Wirkungen.
Und übrigens, warum hängt nicht ein zeitnaheres Dokument zu diesem Thema daneben? Z.B. die Worte des Heros von Steyer aus der 2. Hälfte des 20. Jhdts.: Uncle Frank from Canada trat vor die versammelten Arbeiter der heruntergewirtschafteten Staatsbetriebe in Steyer und sagte: Alle die wollen und anständig bei mir arbeiten, können kommen. Ich werde sie auch anständig bezahlen.
Was er nicht sagte, aber alle verstanden, war: Und WAS anständig ist, bestimme ich. – Eigentlich ein Knackpunkt des Arbeitslebens, der im Museum nicht weiter vorkommt.
Als drittes könnte ein Beispiel aus dem 21. Jhdt. daneben hängen: Als  Mitarbeiter des Servus TV einen Betriebsrat gründen wollte sagte dessen allseits beliebter Eigentümer Didi Mateschitz: Ich brauch den Sender eh nicht, ich sperr ihn zu. Heißt auf deutsch, 300 Leute auf der Straße. Minuten später schwor die Gewerkschaft nie, nie, nie sei es Absicht gewesen eine …

Wieder kehrte ich zu meinen bisher unbeantworteten Fragen zurück.
WARUM arbeiten Menschen, obwohl sie dabei kaum das Leben verdienen
WARUM gibt es horizontale Arbeitsteilung weltweit
WARUM gibt es vertikale Arbeitsteilung
WARUM Lohnunterschiede?


Ich war auch einmal im Naturhistorischen Museum in Wien. Dort lernte ich, dass es Berge gibt, die Feuer speien. Vulkane. Ich lernte aber auch, dass es diese nicht nur in Italien gibt sondern weltweit, und eine anschauliche Weltkarte der Vulkane zeigte dies. Es wurde auch ausreichend und verständlich erklärt WARUM der Vulkan Feuer speit. Hier im Museum der Arbeit gibt es keine Weltkarte der durchschnittlichen Lohnniveaus. Und es ist nicht erfahrbar, WARUM es diese Lohnunterschiede gibt.

Nun wissen beide Kuratoren mit Sicherheit, dass die Frage WARUM das Tor zu Wissen und Erkenntnis ist: WARUM ist der Himmel blau. WARUM heißt die Vogelspinne Vogelspinne. Sie kann ja gar nicht fliegen – außer sie vergisst sich anzuhalten, dann fliegt sie hinunter. Und Papa, WARUM schaust Du jetzt bös? Weil ich gerade ein e-mail an das Museum der Arbeit schreibe, Du ewiges WARUM!

Also kann es nur die selbst auferlegte Beschränkung der Kuratoren auf das Anregen zum Denken sein?

Weiter. In den wunderbar stillen weißen Raum. Verschiedene Stimmen, verschiedene Satzteile. Eine Frauenstimme: …natürlich antworte ich meinem Kollegen, aber dann fällt mir auf, ich arbeite jetzt in meiner Freizeit … Eine junge Männerstimme: ….die Arbeit gibt mir Sinn ….
Worum geht es dem Museum, was will es vermitteln?

Weiter. Als ich auch den Raum der Jetztzeit Zukunft durchwandert und die wunderbar sprechenden Handbewegungen des kleinen Roboters bewundert hatte, fragte ich mich, aus einem der grünen Liegestühle auf die Freuden der Freizeit blickend, was ich aus diesen vergangenen Stunden als Handlungsimpuls für mein eigenes Leben mitgenommen habe. . .
. . .

Ein bisschen verwundert trete ich nochmals vor die Tafel mit den vielen Mitarbeitern an dieser Ausstellung. Toll, wie viele da drauf sind! Da fällt mir auf, dass die Namen der Tischlerinnen für die Vitrinen fehlen und auch die der Elektrikerinnen, die die Kabel verlegten, fehlen. Und wer hat die gelbe Farbe aufgetragen, die Vorhänge genäht, die Objektstücke transportiert . . . aber eh klar, ALLE kann man hier nicht nennen!  WARUM aber hat man von einer solchen überlangen Liste das untere Drittel weggelassen und nicht das obere? Ist doch ein Museum der Arbeit?  Sei´s geistig oder manuell. Es ist klar: die geistig an der Ausstellung arbeitenden, DIE hätte man keinesfalls wegfallen lassen können! Die beiden Kuratoren sind renommierte Wissenschaftler mit anerkannt gutem Ruf in ihren Kreisen. Und niemand kann wissen, ob z.B. die Putzfrauen, die wöchentlich durch´s Museum fegen, in ihren Kreisen den gleich guten Ruf haben.

Das Museum hat alle meine WARUM Fragen nicht beantwortet.  WARUM also haben die beiden Kuratoren einen so guten Ruf? Auch diese Frage beantwortet die Ausstellung nicht.



Liebe Frau Direktor Auer!
Es war gut, dass ich dieses einzige Museum für Arbeit in Österreich besucht habe.
Es hat zwar meine Fragen nicht beantwortet, aber viele neue aufgeworfen. Und ein besseres Ergebnis, glaub ich, kann ein Museum gar nicht leisten.
Ich  danke Ihnen und allen Beteiligten für die hier gewonnenen Einsichten.
Wolfhard Fliedl


Die Leiterin des Museums, Katrin Auer, hat auf das an sie gerichtete Schreiben mit einer Korrektur geantwortet: Bitte erlauben Sie mir aber die Anmerkung, dass auf der Namenstafel wirklich alle Mitwirkenden, von den Putzmännern und -frauen, bis zu den Tischlern, MalerInnen, ElektrikerInnen, Bodenleger, Vorhangnäherinnen usw. genannt sind, und mit der Mitteilung, daß sie den Text an das Ausstellungsteam weitergegeben hat.

Eine Antwort ist ausständig.

Sonntag, 10. Juni 2018

Betrachter und Betrachterin


Moment

A woman stops and photographs "Man Pointing," a 1947 bronze sculpture at a retrospective exhibition of work by Swiss sculptor and artist Alberto Giacometti at the Guggenheim Museum in New York City on June 7, 2018. 
Drew Angerer

Freitag, 8. Juni 2018

Über die Nützlichkeit des Ausstellens

Lewis George P.: Crowd of children throng an exhibition of official war photographs, titled "See the War", at the City Art Gallery in Leeds. 5,000 school children visited the exhibition. 1919

Mittwoch, 6. Juni 2018

Geschützter Text (Texte im Museum 678)

Alte Beschriftung. Schattenburg Feldkirch. Angeblich steht diese Beschiftung unter Denkmalschutz

Entwaffnend bezaubernde KuratorInnenpoesie

"Nun hängen die Monarchinnen einträchtig nebeneinander im Wiener Kunsthistorischen Museum: links das Bildnis der jungen Katharina, deren Griff nach der Macht eher subtil mit einem das Zepter berührenden Fächer dargestellt ist, rechts das Porträt der verwitweten Habsburgerin, die mit dem Plan von Schönbrunn in der Hand als Bauherrin in Zeiten des Friedens auftritt."
Das ist eine Passage aus einer Kritik, oder ist es nur ein Bericht?, von Anne Katrin Fessler (von der ich schon viele interessante und informative Texte gelesen habe) im heutigen Standard. Es geht um eine Leihgabe einiger Gemälde aus der Eremitage in Petersburg ans Kunsthistorische Museum.

Der Anlaß ist ein Staatsbesuch des russischen Präsidenten. Der wird so in die "Bildbetrachtung" eingeschmuggelt: "Als Bild für die Götter imaginiert man sich vor den überlebensgroßen Majestäten die Pose eines Staatsmannes; von einem, der nicht nur an die Heiligkeit staatlicher Macht anknüpft, sondern auch um imperiale Inszenierungen seines Amts nicht verlegen ist. Russlands Präsident Wladimir Putin eröffnete am Dienstagabend die Schau Die Eremitage zu Gast."

Gut. Ironie. Und sonst? Auch daß Gaszprom und OMV gesponsert haben, wird mitgeteilt. Aber sehr viel weiter über die kunsthistorische Würdigung hinaus kommt man nicht. Dabei ist die Ausdehnung des Einflusses privater Sammler, Firmen, Banken, großer Konzerne auffallend und wäre ein Gegenstand der Analyse. Unlängst hat mir der Leiter eines großen österreichischen Museums von einem besonders dreisten Versuch erzählt, gleich eine ganze Ausstellung durchzudrücken. Unterstützung vom Aufsichtgremium und von der Politik bekam er nicht. Im Gegenteil.

Zu Gazprom und OMV: "Da greift man in nicht ganz friktionsfreien außenpolitischen Zeiten wie diesen freilich gern auf die Kunst zurück. Wo anders lässt sich das Gemeinsame schon so schön feiern?"

Also sind wir freundlich und mild wie die österreichische Politik gegenüber Russland und Putin und lassen uns "entwaffnen": "Über diesen wunderlichen diplomatischen Kunstgriff unter Hilfestellung staatlicher Museen soll man den Kopf schütteln. Trotzdem darf man sich die russischen Bildgäste nicht entgehen lassen: etwa den in Wien abgängigen Botticelli, das rare Bild des früh verstorbenen Holbein-Bruders Ambrosius, einen Strozzi von entwaffnendem Zauber und einen van Dyck als Dandy."



Der ganze Text hier: https://derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-Putin
Der ganze Text hier: https://derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-Putin diesen wunderlichen diplomatischen Kunstgriff unter Hilfestellung staatlicher Museen soll man den Kopf schütteln. Trotzdem darf man sich die russischen Bildgäste nicht entgehen lassen: etwa den in Wien abgängigen Botticelli, das rare Bild des früh verstorbenen Holbein-Bruders Ambrosius, einen Strozzi von entwaffnendem Zauber und einen van Dyck als Dandy. - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-PutinÜber diesen wunderlichen diplomatischen Kunstgriff unter Hilfestellung staatlicher Museen soll man den Kopf schütteln. Trotzdem darf man sich die russischen Bildgäste nicht entgehen lassen: etwa den in Wien abgängigen Botticelli, das rare Bild des früh verstorbenen Holbein-Bruders Ambrosius, einen Strozzi von entwaffnendem Zauber und einen van Dyck als Dandy. - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-Putin  Da greift man in nicht ganz friktionsfreien außenpolitischen Zeiten wie diesen freilich gern auf die Kunst zurück. Wo anders lässt sich das Gemeinsame schon so schön feiern? - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-PutinDa greift man in nicht ganz friktionsfreien außenpolitischen Zeiten wie diesen freilich gern auf die Kunst zurück. Wo anders lässt sich das Gemeinsame schon so schön feiern? - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-Putin
Nun hängen die Monarchinnen einträchtig nebeneinander im Wiener Kunsthistorischen Museum: links das Bildnis der jungen Katharina, deren Griff nach der Macht eher subtil mit einem das Zepter berührenden Fächer dargestellt ist, rechts das Porträt der verwitweten Habsburgerin, die mit dem Plan von Schönbrunn in der Hand als Bauherrin in Zeiten des Friedens auftritt. Als Bild für die Götter imaginiert man sich vor den überlebensgroßen Majestäten die Pose eines Staatsmannes; von einem, der nicht nur an die Heiligkeit staatlicher Macht anknüpft, sondern auch um imperiale Inszenierungen seines Amts nicht verlegen ist. Russlands Präsident Wladimir Putin eröffnete am Dienstagabend die Schau Die Eremitage zu Gast. - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-PutinNun hängen die Monarchinnen einträchtig nebeneinander im Wiener Kunsthistorischen Museum: links das Bildnis der jungen Katharina, deren Griff nach der Macht eher subtil mit einem das Zepter berührenden Fächer dargestellt ist, rechts das Porträt der verwitweten Habsburgerin, die mit dem Plan von Schönbrunn in der Hand als Bauherrin in Zeiten des Friedens auftritt. Als Bild für die Götter imaginiert man sich vor den überlebensgroßen Majestäten die Pose eines Staatsmannes; von einem, der nicht nur an die Heiligkeit staatlicher Macht anknüpft, sondern auch um imperiale Inszenierungen seines Amts nicht verlegen ist. Russlands Präsident Wladimir Putin eröffnete am Dienstagabend die Schau Die Eremitage zu Gast. - derstandard.at/2000081026789/Kunsthistorisches-Museum-Gruppenbild-mit-Putin

Montag, 4. Juni 2018

Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen


Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen

Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes


01 Das Museum ist für alle da

Nein, ist es nicht. Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um 50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung  erzeugen - gestützt auf ein Schul- und Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes festlegt.


02 Das Museum sollte für alle da sein

Nur wenn Museen die Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren, ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung hegemonialer Praktiken.


03 Das Museum ist demokratisch

Da es normalerweise keinen formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel, Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen, die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“, das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von Öffentlichkeit.


04 Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung

Museen gelten als wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat, ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer, museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen angekommen.


05 Das Museum ist wichtig, ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar

Museen haben einen sehr guten Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst, mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen: Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht die Museen verschwinden. Was passiert dann?


06 Die Daseinsberechtigung des Museum liegt in seinen Dingen

Museen pflegen häufig ein verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“ er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt, die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit ihre Bildungsaufgabe.


07 Das Museum benötigt Vermittler und Vermittlung

Seit es Sammlungen gibt, gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“ hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um 1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels, Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.


08 Das Museum hat es mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun

Ein Gemeinplatz besagt, daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im Grunde nie.
Geschichtstheoretisch stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“ hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht, dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt, vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso vergessen, wie erinnert wird.


09 Das Museum stiftet Identität

Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu „bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen. Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie sicher.
Museen, Dinge, stiften nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig, Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als "fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form "narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe (Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.


10 Das Museum ist öffentlich

Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen, nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat. Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region, Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität des Diskurses.

11 Museen sind professionell

Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere) nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht, denn den meisten Museen fehlt es an  Professionalität. Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen (Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement, Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.

12 Museen sind fraglos anerkannt

Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder, wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse. Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen Unrechtsbesitzes ankündigt.   
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“ Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite Anfang.


Sonntag, 3. Juni 2018

Trennung (Texte im Museum 677)

Einer der Texte zugehörig zu: Sophie Calle LÈrouve de Jerusalem 1996 - zu sehen in der Ausstellung "Sag Schibboleth!" im Jüdischen Museum Hohenemens