Zum neuesten Stand der
Erforschung, Diskussion und Aufarbeitung der Rolle von Eduard Paul Trat
und des von ihm gegründeten naturmuseums durch das Haus der Natur selbst
siehe den Post „Das Haus der Natur stellt sich zum ersten Mal seiner
Gesichte. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2014/10/das-haus-der-natur-stellt-sich-zum.html
Auf meine Kritik, daß das Haus der Natur in Salzburg sich noch immer nicht seiner Geschichte stellt (hier: http://museologien.blogspot.co.at/2013/06/selbstverordneter-gedachtnisschwund-das.html, einschließlich eines Kommentars von Direktor Windung zu meinen Ausführungen), obwohl doch mehrfach in Publikationen die Rolle des Museums und seines Gründers und langjährigen Leiters, Eduard Paul Tratz dargestellt worden war, hat der Leiter des Museums, Norbert Winding reagiert. Es gibt nun auf der Webseite eine wenn auch knappe so doch unmissverständliche Information (hier: http://www.hausdernatur.at/zeittafel.html) und einen ausführlichen Hinweis zum laufenden Forschungsprojekt und der vorstudie dazu (hier: http://www.hausdernatur.at/geschichtsprojekt.html).
Ich möchte die rasche Reaktion von Direktor Winding ausdrücklich anerkennen, auch als Indiz, daß sich das Museum nun langsam aus seiner Belastung emanzipiert und vielelicht aus einem kritischen Blick auf die Institutionsgeschichte auch Freiräume für neue Strategien gewinnen könnte.
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Mittwoch, 24. Juli 2013
Mittwoch, 12. Juni 2013
Zlatorog oder wie ich beim Recherchieren auf Abwege gerate...
Als ich gemeinsam mit Freunden vor Jahren im Auftrag des Österreichischen Alpenvereins an der Ausstellung "Berge - Eine unverständliche Leidenschaft" arbeitete, beschäftigte uns ein merkwürdiges, ja sogar befremdendes Gemälde aus der Sammlung des AV. Es zeigte einen weißen, weinenden (sic!) Gemsbock vor einer Berglandschaft, aus dessen Wunde Blut fließt, das wiederum eine rote Pflanze emporwachsen läßt.
Martin Scharfe, der an der Ausstellung mitgearbeitet hat, widmet dem Zlatorogbild in seinem Buch "Bilder aus den Aplpen" eine knappe Analyse: 1877 hatte der Schriftsteller Rudolf Baumbach ein umfangreiches Gedicht "Zlatorog. Eine Alpensage" veröffentlicht. Darin ist von jenem "heiligen Tier" die Rede, das wir auf em von Karl Huck gemalten Bild von 1923 vor uns haben, das Tier, das bei Strafe des eigenen Todes nicht erlegt werden darf. Wer gegen das Tabu verstößt, stürzt in die Tiefe oder wird vom (was auf dem Gemälde "ungesagt" bleibt) Tier selbst getötet.
Gestern ist er mir wieder begegnet. Der Zlatorog. Beim Recherchieren zum Salzburger Haus der Natur. Und zwar in einer Publikation von 1930 "Das neue Museum für darstellende und angewandte Naturkunde in Salzburg", an der die vielen Fotografien bemerkenswert sind, die ein frühes Stadium der Entwicklung des heutigen Hauses der Natur dokumentieren.
Da war er wieder, der heilige weiße Gemsbock. Ausgestopft und umfangreich mit Texten kommentiert. Also als "historisches" und nicht legendhaftes Tier. Und: Vom Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand im Blühnbachtal (das man in Salzburg findet) am 27. August 1913 getötet. Ja, genau der Franz Ferdinand, der nicht einmal ein Jahr nach seinem Jagdfrevel tot war. Zunächst dachte ich, daß das Haus der Natur da Mythos und Geschichte vermengt hat, wie es das seit seiner Gründung in verschiedenen Abteilungen zur Jagd oder direkt zu Sage und Märchen ja getan hat. Aber der hstorische Schuß des Thronfolgers fiel wirklich
Den ultimativen und emprisch abgestützten Beweis für die Wirkmacht der legendhaften Überlieferung bietet uns das Schicksal eines Waid- und Staatsmannes, der die Jagdmordlust von Franz Ferdinand womöglich weit übertroffen hat: Nicolae Ceauşescu. Ich zitiere ausführlich aus der Zusammenfassunbg einer historischen Forschung zu Ceauşescu dem Jäger (Siebenbürgische Zeitung vom 7. Februar 2010):
"Es ist kaum anzunehmen, dass in der Geschichte der Menschheit je ein anderes Individuum innerhalb von 24 Jahren rund 3 900 Bären getötet hat, wie die rumänische Jagdzeitschrift „Diana“ (Nr. 1/1990) meldete. Der dringendste Wunsch Ceauşescus war indes, alle „Weltrekorde“ bei den Hochwildarten der Karpaten Rumäniens zu brechen. Dieses Vorhaben ist ihm beinahe gelungen. (...) Es sei erwähnt, dass Ceauşescu aus dem Drang heraus, den vom Kronstädter Weidmann Hessheimer 1934 erlegten weltstärksten Gamsbock zu überbieten, sogar die Autohochstraße „Transfăgărăşan“ bauen ließ, um in das hochgelegene Gämsenrevier „Cumpăna“ zu gelangen. Da der Weltrekord auf sich warten ließ, ersann er eine unweidmännische Jagdmethode: Dank dieser erlegte der Diktator im Januar 1989 in Gegenwart seiner Frau Elena aus der Gondel der Drahtseilbahn im Revier Buşteni (Butschetsch-Gebirge) 66 Stück Gamswild, darunter zwei Albinos. Die alten, erfahrenen Gebirgsjäger, die einst Könige und Kaiser auf Bär- und Gamswild in den Karpaten führten, prophezeiten das Ende des Jägers innerhalb eines Jahres. Und sie hatten Recht! Nach elf Monaten, am 25. Dezember 1989, wurde das Ehepaar Ceauşescu von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und danach erschossen.
In den uralten Märchen und Sagen Südost-Europas und des östlichen Alpenraumes rankt sich so manche Legende um den weißen Gamsbock. Der Aberglaube der Jäger und Hirten will es wissen: Wer es wagt, den weißen Bock zu erlegen, ist in Jahresfrist ein toter Mann. Dieser Aberglaube fand neue Nahrung, als Kronprinz Rudolf von Österreich, der eine weiße Gams schoss, innerhalb eines Jahres in Mayerling 1889 (genau 100 Jahre vor Ceauşescus Tod!) tragisch aus dem Leben schied.
Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand erlegte am 27. August 1913 eine weiße Gämse und wurde innerhalb der in der Sage bekannten Frist am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet. Der Anlass für den Ersten Weltkrieg war gegeben! Inzwischen wissen es die Karpatenjäger nun mit höchster Gewissheit: Die Sage stimmt, denn sie wurde durch den gewaltsamen Tod Ceauşescus bestätigt. Die rumänische Jägerschaft hätte dem „größten Jäger aller Zeiten“ (wie Ceauşescu sich gern selbst titulierte) dieses Weidmannsheil schon zu Beginn seiner „Polit-Ära“ gewünscht, wie einer rumänischen Jagdzeitschrift 1990 zu entnehmen ist. Der „Zlatorog“, wie der weiße Gamsbock im Aberglauben der Jäger Südosteuropas heißt, ist mit dem Palladion (Verleiher von Schutz in der griechischen Sage) des weißen Königsmantels gefeit, ist also ein Schützling der Berggeister und Bergfeen. Auch der Teufel zeigt sich bisweilen in der Gestalt des weißen Bockes mit goldenen Hörnern, ist also ein „Satanstier“."
Die Auflösung der Fotos im Salzburger Museumskatalog erlaubt nicht, den umfangreichen Text, der die Albino-Gemse (die sich ja vielleicht im Depot des Museums erhalten hat?) zu entziffern. Man kann nur so viel erkennen, daß dort auch der herrscherliche Jagdeifer mit dem Ausbruch des Weltkeiegs in Zusammenhang gebarcht wurde.
Jetzt verstehe ich, warum die Unterschrift zum bild lautet: "Der 'Zlatorog' der Weltgeschichte"...
Die Revision, die Enthmythologisierung vollzieht sich nicht im frontal artikulierten Widerspruch, nicht in der Anstrengung der rationalen Aufklärung. Sie vollzieht sich unauffällig als Unterminierung, als ironische Auflösung.
Zlatorog ist heute - ein slowenisches Bier...
Martin Scharfe, der an der Ausstellung mitgearbeitet hat, widmet dem Zlatorogbild in seinem Buch "Bilder aus den Aplpen" eine knappe Analyse: 1877 hatte der Schriftsteller Rudolf Baumbach ein umfangreiches Gedicht "Zlatorog. Eine Alpensage" veröffentlicht. Darin ist von jenem "heiligen Tier" die Rede, das wir auf em von Karl Huck gemalten Bild von 1923 vor uns haben, das Tier, das bei Strafe des eigenen Todes nicht erlegt werden darf. Wer gegen das Tabu verstößt, stürzt in die Tiefe oder wird vom (was auf dem Gemälde "ungesagt" bleibt) Tier selbst getötet.
Gestern ist er mir wieder begegnet. Der Zlatorog. Beim Recherchieren zum Salzburger Haus der Natur. Und zwar in einer Publikation von 1930 "Das neue Museum für darstellende und angewandte Naturkunde in Salzburg", an der die vielen Fotografien bemerkenswert sind, die ein frühes Stadium der Entwicklung des heutigen Hauses der Natur dokumentieren.
Da war er wieder, der heilige weiße Gemsbock. Ausgestopft und umfangreich mit Texten kommentiert. Also als "historisches" und nicht legendhaftes Tier. Und: Vom Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand im Blühnbachtal (das man in Salzburg findet) am 27. August 1913 getötet. Ja, genau der Franz Ferdinand, der nicht einmal ein Jahr nach seinem Jagdfrevel tot war. Zunächst dachte ich, daß das Haus der Natur da Mythos und Geschichte vermengt hat, wie es das seit seiner Gründung in verschiedenen Abteilungen zur Jagd oder direkt zu Sage und Märchen ja getan hat. Aber der hstorische Schuß des Thronfolgers fiel wirklich
Den ultimativen und emprisch abgestützten Beweis für die Wirkmacht der legendhaften Überlieferung bietet uns das Schicksal eines Waid- und Staatsmannes, der die Jagdmordlust von Franz Ferdinand womöglich weit übertroffen hat: Nicolae Ceauşescu. Ich zitiere ausführlich aus der Zusammenfassunbg einer historischen Forschung zu Ceauşescu dem Jäger (Siebenbürgische Zeitung vom 7. Februar 2010):
"Es ist kaum anzunehmen, dass in der Geschichte der Menschheit je ein anderes Individuum innerhalb von 24 Jahren rund 3 900 Bären getötet hat, wie die rumänische Jagdzeitschrift „Diana“ (Nr. 1/1990) meldete. Der dringendste Wunsch Ceauşescus war indes, alle „Weltrekorde“ bei den Hochwildarten der Karpaten Rumäniens zu brechen. Dieses Vorhaben ist ihm beinahe gelungen. (...) Es sei erwähnt, dass Ceauşescu aus dem Drang heraus, den vom Kronstädter Weidmann Hessheimer 1934 erlegten weltstärksten Gamsbock zu überbieten, sogar die Autohochstraße „Transfăgărăşan“ bauen ließ, um in das hochgelegene Gämsenrevier „Cumpăna“ zu gelangen. Da der Weltrekord auf sich warten ließ, ersann er eine unweidmännische Jagdmethode: Dank dieser erlegte der Diktator im Januar 1989 in Gegenwart seiner Frau Elena aus der Gondel der Drahtseilbahn im Revier Buşteni (Butschetsch-Gebirge) 66 Stück Gamswild, darunter zwei Albinos. Die alten, erfahrenen Gebirgsjäger, die einst Könige und Kaiser auf Bär- und Gamswild in den Karpaten führten, prophezeiten das Ende des Jägers innerhalb eines Jahres. Und sie hatten Recht! Nach elf Monaten, am 25. Dezember 1989, wurde das Ehepaar Ceauşescu von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und danach erschossen.
In den uralten Märchen und Sagen Südost-Europas und des östlichen Alpenraumes rankt sich so manche Legende um den weißen Gamsbock. Der Aberglaube der Jäger und Hirten will es wissen: Wer es wagt, den weißen Bock zu erlegen, ist in Jahresfrist ein toter Mann. Dieser Aberglaube fand neue Nahrung, als Kronprinz Rudolf von Österreich, der eine weiße Gams schoss, innerhalb eines Jahres in Mayerling 1889 (genau 100 Jahre vor Ceauşescus Tod!) tragisch aus dem Leben schied.
Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand erlegte am 27. August 1913 eine weiße Gämse und wurde innerhalb der in der Sage bekannten Frist am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet. Der Anlass für den Ersten Weltkrieg war gegeben! Inzwischen wissen es die Karpatenjäger nun mit höchster Gewissheit: Die Sage stimmt, denn sie wurde durch den gewaltsamen Tod Ceauşescus bestätigt. Die rumänische Jägerschaft hätte dem „größten Jäger aller Zeiten“ (wie Ceauşescu sich gern selbst titulierte) dieses Weidmannsheil schon zu Beginn seiner „Polit-Ära“ gewünscht, wie einer rumänischen Jagdzeitschrift 1990 zu entnehmen ist. Der „Zlatorog“, wie der weiße Gamsbock im Aberglauben der Jäger Südosteuropas heißt, ist mit dem Palladion (Verleiher von Schutz in der griechischen Sage) des weißen Königsmantels gefeit, ist also ein Schützling der Berggeister und Bergfeen. Auch der Teufel zeigt sich bisweilen in der Gestalt des weißen Bockes mit goldenen Hörnern, ist also ein „Satanstier“."
Die Auflösung der Fotos im Salzburger Museumskatalog erlaubt nicht, den umfangreichen Text, der die Albino-Gemse (die sich ja vielleicht im Depot des Museums erhalten hat?) zu entziffern. Man kann nur so viel erkennen, daß dort auch der herrscherliche Jagdeifer mit dem Ausbruch des Weltkeiegs in Zusammenhang gebarcht wurde.
Jetzt verstehe ich, warum die Unterschrift zum bild lautet: "Der 'Zlatorog' der Weltgeschichte"...
Die Revision, die Enthmythologisierung vollzieht sich nicht im frontal artikulierten Widerspruch, nicht in der Anstrengung der rationalen Aufklärung. Sie vollzieht sich unauffällig als Unterminierung, als ironische Auflösung.
Zlatorog ist heute - ein slowenisches Bier...
Freitag, 11. Oktober 2013
Das Museum als Haus - Die Welt als Museum
Dieser Vortragstext ist 1991 in „Ganz aus dem Häuschen“ erschienen, der Nachlese zu den 12. Museumspädagogischen (Privat-)Gesprächen, die damals in Graz stattgefunden haben. (MuseumspädagogInnen verlassen das Museum. Graz 1991 („...das lebende museum ... STEIERMARK“ im Grazer Stadtmuseum / Kulturvermittlung Steiermark / Kunstpädagogisches Institut Graz). Seite 6-12)
Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.
Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses von Karl Friedrich Schinkel entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken errichtete Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.
Mit der offenen, über beide Geschosse reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.
Doch nicht nur dies und die selbstbewußte Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang. Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt", wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt.
Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger, als zentrale Einrichtung, auf die sich der preußische Staat berufen und fundieren möchte, eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung und Bildung.
1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III. hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828.
Das Wort Museum, das in der deutschen Übersetzung merkwürdiger- und bezeichnenderweise nicht übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum. Mit dem Wort Museum würden, so der erste Gutachter, "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals solche zur" Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß zu demselben ablehnenden Ergebnis.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen usw. auch gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt werden.
Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.
Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinandertreffen. Die eine Tradition, die die Gutachter und Experten gegen die Verwendung des Wortes Museum für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.
Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist offensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ursprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals in der doppelten Bedeutung von Hain, Garten jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein Sammlungshaus - historisch übrigens korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.
In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.
Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.
Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen Stücks Gattungsgeschichte.
.
Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer. .
Als Beschützerinnen der Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien, philosophischen Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.
"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust verknüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen."
So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsistischen Gelehrten in seinem privaten Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.
Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und sammelt dafür Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Vergleichen und Ordnen von Material ein ,Text' gebildet werden kann.
Der Begriff Museum strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden kann.
Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern -, gleichsam mönchische Arkanpraktiken des Wissenserwerbes und der Wissenspflege ihren Platz haben. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. ln der Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das arkanhafte, private Sammeln in eine Krise. Die Integration exotischer Fundstücke in das Sammeln sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Weit wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.
Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer Wahrnehmung.
Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung - auch unerstützt mit didaktischen Hilfsmitteln -, erfahrbar machen.
Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Welt', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. Jahrhundert und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren.“
Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.
Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick urid List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunstwerken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.
Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.
Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue Museen ein. ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.
Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im mer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.
Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. ln einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener
Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu. So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche lnventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.
Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt.
Musealisierung ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.
Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüberstehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter -, verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorische Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.
Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.
Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk) und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.
Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück, die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern.
Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsministranten.
Daher: Raus aus dem Museum!
Sonntag, 5. August 2012
Ein inkompententer Dialog? Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum in Wien
Ein Möbelstück in einem Kunstgewerbemuseum, ein Fahrzeug in einem Technischen Museum, ein Totem in einem Völkerkundemuseum können ohne Eingriff in ihre materielle Integrität ein Museumsdasein fristen. Ins Naturmuseum aber kommen Dinge, deren soziales wie semantisches Leben ebenso zu ende gegangen sein muß, wie deren biologisches. Dazu ist aber hoher artifizieller Aufwand nötig, weil dort dem Verfall des Stofflichen Einhalt geboten werden muss, um etwas als Exponat zeigen- und das auf Dauer - oder als Objekt deponieren zu können. So ,lebendig‘, wie es nun einmal war. (1)
Der Gemeinplatz, daß es das Museum mit dem Tod zu tun hat, der alltagssprachlich in der pejorativen Verwendung von 'museal' ziemlich tief sitzt, der aber ein Gemeinplatz der Theorie und nicht der musealen Praxis ist, die dieses Faktum verdrängt, gilt nirgendwo so sehr, wie in den sogenannten Naturmuseen. (2)
Die Konservierung, deren Techniken biologisches 'Material' zu erhalten, seit der Mitte des 16. Jahrhundert entwickelt wurden - wovon eindrucksvolle Beispiele in den ältesten tradierten Natursammlungen zeugen, etwa denen der Universität Bologna -, ist nur der erste Schritt. Um Naturhaftigkeit zu erzeugen, bedarf es meist einer Rekonstruktion, Ergänzung, Formung oder gar Inszenierung.
Naturmuseen erzeugen daher oft ein mehr oder minder ausgefeiltes Ambiente. Ein Sandboden kann genügen, um die Illusion eines Meeres zu erzeugen und am anderen Ende der Skala der Illusionstechniken (die diesen Museumstyp verwandt macht mit den ältesten und populärsten Schaustellungspraktiken) stehen komplette Szenen, (3) nahezu naturidente Ausschnitte einer Lebenswelt, bei der selbst die Perspektivität und Räumlichkeit der Wahrnehmung - wie z.B. im Diorama - erzeugt wird.
Das Naturmuseum ist deshalb in gewissem Sinn künstlicher als alle anderen Museumstypen, nicht nur weil es großen Aufwand an Konservierung und Präparation (4) erfordert, sondern weil der Schein ,authentischer‘ Natur aufrecht erhalten werden soll und gleichzeitig der Aufwand der nötig ist, diesen Eindruck zu erzeugen, nicht offensichtlich werden darf.
Dem Naturmuseum hilft dabei, daß wir generell dazu neigen, alles an Gestell, das zum Zeigen, zum Zu-Sehen-Geben im Museum nötig ist, zu 'übersehen'. All die Sockel, Vitrinen, Bühnen, Lichter uvam. blenden wir aus. So dürften wir wie viele Besucher gar nicht recht registrieren, wie groß die Diskrepanz zwischen einer zur 'Familie' zusammengestellten Löwengruppe auf einer angedeuteten Landschaft zur historischen Vitrine aus der Gründerzeit des Museums ist, in der diese Gruppe ihren theatralischen Auftritt hat.
Verschleiert wird der hohe Aufwand im Namen einer ordnenden und klassifizierenden Wissenschaft, die es mit Natur, der sie diese Klassifikation als ihr immanente zu entnehmen glaubt, und mit nichts anderem zu tun haben will.
Eine Konsequenz dieser Spaltung in rationale Ordnungswissenschaft einerseits und ,lebensweltliche‘ Darstellung andrerseits, die selbst ein Museum, das so sehr wie das Wiener von wissenschaftlichen Ordnungssystemen geprägt ist, ist zum Beispiel die Trennung von Sammlung und wissenschaftlicher Arbeit einerseits vom Ausstellen und den nötigen Zurichtungen der Dinge zu Exponaten sowie von der Pädagogik bzw. Vermittlung andrerseits. Daß das Naturhistorische Museum in Wien das erste Bundesmuseum mit einer eigenen Vermittlungsabteilung und einem großen, der Vermittlung reservierten Saal mitten in den Dauerausstellungen war, verstehe ich als Konsequenz der genannten 'Spaltung'.
Bei einem Gang durch das Wiener Museum quert man heute mehrere sehr unterschiedliche Museen, in denen man spürt, wie groß die Versuchung ist, den popularen Schaustellungstechniken im Interesse eines Publikums nachzugeben, das über einschlägige Formate in Kino, TV oder Computeranimationen längst raffinierteste 'Animationstechniken' bzw. im Namen authentischer Bilder die Natur manipulierende Filme gewohnt ist. Wahrscheinlich wird von Besuchern auch erwartet, daß im Museum etwas Adäquates zu sehen ist, während die Verpflichtung auf wissenschaftliche Korrektheit und Kriterien noch bleischwer an den Sammlungen hängt und von den Kuratoren verteidigt wird.
Im Sauriersaal, der jüngst neu gestaltet wurde, kann man den Zwiespalt der Haltungen gut studieren. Es fanden sich hier ohnehin schon, ohne daß einem das bewußt werden musste, Originale Fundstücke, Faksimiles (Abgüsse) und Rekonstruktionen, deren oft sehr hoher spekulativer Anteil nicht so ohne weiteres gewusst werden kann und soll und dementsprechend zurückhaltend kommuniziert wurde und wird. Neu im Saal ist aber nun eine Art Puppe, ein Saurier, der ein wenig den Kopf drehen und brüllen darf, dezent, fast lieb und daher von fragwürdiger Konkurrenzfähigkeit zu Jurrasic Parc.
So geht das Museum mit seinem Widerspruch (5) um, unsicher, unentschlossen, kompromissbereit, notwendgerweise inkonsequent, experimentell.
*
Wenn ein Künstler wie Daniel Spoerri im Naturmuseum auftritt, kann man sicher sein, daß er es partiell wieder in einen Ort des Staunens verwandelt, indem er ihn zu einem Ort des Changierens der Dinge, ihrer Formen und Bedeutungen macht und die Grenze zwischen 'Natur' und Kunst sowie der dem Naturmuseum eigentümlichen Künstlichkeit zwar nicht ignoriert, aber sie verschiebt, thematisiert, bewußt macht, wieder verwischt. Plötzlich tauchen alle stillschweigenden, dem Museum zugrundeliegenden Techniken und Riten, wieder ins Licht der Reflexion, das Sammeln, Auflesen, Zusammenstellen, Benennen, Ordnen, Hierachisieren, Vergleichen.
Ein ganzes Jahr lang stöberte Spoerri, begleitet von zwei Mitarbeitern des Hauses, Margit Berner und Reinhard Golebiowski, in den Speichern und Depots, in den Arbeitsräumen und Schausälen, er erhielt überall Zugang, aber, mit einer Ausnahme, nie das Recht, Objekte 'anzutasten'. Das Museum, auch das Naturmuseum, das ja so viel beherbergt, was ja ohnehin längst Artfakt ist, wacht dennoch über keinem Tabu strenger als über dem der materiellen Unversehrtheit. Was in Kunstmuseen oder historischen Museen im Namen einer potentiellen kulturellen Bedeutung geschieht, die es offenzuhalten gilt, betreibt das Naturmuseum im Interesse ihrer Erkenntnismöglchkeiten. ,Sachbeweise‘ werden dauerhaft für künftige methodische und heuristische Innovationen zur erneuten Befragung bereitgehalten, nicht unbedingt aber um als kulturelle Bedeutungen im öffentlichen und sozialen Raum Museum kommuniziert zu werden.
Man sieht es der Ausstellung „Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum“ (Zur Webseite des Naturhistorischen Museums: http://www.nhm-wien.ac.at/presse/daniel_spoerri_im_naturhistorischen_museum) an, daß auf Ihre Vorbereitung so viel Zeit verwendet wurde. Vor allem im Vergleich mit den teilweise problematischen Ausstellungen, die Spoerri in Österreich gemacht hat, seit er hier lebt, ich meine die in Krems („Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/02/alles-war-sehr-gut-und-lustig.html) und Graz („Grazgeflüster. Ein Musée sentimental, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2011/12/grazgefluster.html) , fällt die ungleich reichere Entfaltung von Ideen, die größere Sorgfalt der Konzeption und Ausführung auf.
Die Ausstellung ist ein Kompositum aus älteren Werken Spoerris, Objekten, die er inspiriert von den Museumssammlungen neu gemacht hat, Arrangemts aus Museumsdingen, an denen sowohl er als auch die genannten Kuratoren beteiligt waren. Die relativ große Ausstellung wurde letztendlich nach der der Museumsordnung zugrundeliegenden fachlichen Gliederung, Zoologie, Mineralogie, Botanik usw., gegliedert, verhält sich aber dazu sowohl experimentell-ästhetisch als auch museologisch-reflexiv.
Die Ausstellung fasziniert mit etwas, was man von Sporrri schon kennt, von der überbordenden Phantasie eines physiognomischen Blicks, der Dingen innewohnende Eigenschaften erkennt und ihr Potential für ein Neuaragement, für eine Art von Reanimation, die nichts mit der musealen des Naturmuseums zu tun hat, aber auch etwas abwirft für das Sichtbarmachen seiner Mechanismen. Spoerri hat sich den unbefangenen und staunenden Blick bewahrt, der Dinge jenseits kodifizierter Bedeutungen wahrzunehmen bereit ist und er versteht es, den Besucher mit demselben Blick zu belehnen.
Spoerris Misch- und Fabelwesen sind in erster Linie ästhetisch faszinierend lassen sich aber in gewissen Grenzen auch im Kontext kultureller Bedeutungen lesen. Ein Teil der Faszination hat wohl auch mit Spoerris Respekt vor den Dingen zu tun und mit der Neugier, mit der er der dahinterstehenden wissenschaftlichen aber auch etwa präparatorischen Arbeit umgeht. Spoerris 'Reanimationen' sind subtil, sie gelten allem, was im Museum Ding geworden ist, dem Meteorit oder der Muschel ebenso wie dem Waffeleisen oder der Möbelzierleiste. Animistisches Denken wie im Märchen läßt die Dinge ein spukhaftes Dasein zurückgewinnen, bedrohlich, schrill, skurril, drollig, rätselhaft. Manchmal zielt das direkt auf die Techniken und Riten des Naturmuseums. Galvanisierte Tiere z.B. erhalten eine vermeintlich ewig haltbare Plastizität aber auch eine unheimliche Lebendigkeit durch ihre das Licht reflektierende metallene Oberfläche.
Seine Arbeit ist die Schaffung einer Art von zweiter Natur, die darin vielleicht im Grundsatz mit der artifiziellen Museumsnatur einer solchen Institution eng verwandt ist, aber er kommt zu ganz anderen Resultaten. Was dabei an Kritik, Analyse der institutionellen Praktiken und Riten abfallen könnte dürfte ihn weit weniger interessieren, als die ästhetische Faszination. Darin unterscheidet er sich prinzipiell von Mark Dion (Siehe „Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum?“. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Dion), dessen 'Naturmuseen' weit über das Museum hinaus den gesellschaftlichen Umgang mit Natur und auch damit die Verfasstheit des Naturmuseums zur Disposition stellt. Diese explizit kritische Haltung ist Spoerri fremd, wenngleich er genauso witzig und ironisch sein kann wie Dion.
Was daran an Kritik dennoch abfällt und die Verunsicherung, die davon dem Selbstverständnis eines Wissenschaftsmuseums drohen könnte, begegnet man mit einer räumlichen Separierung und einer gedanklichen. Die Ausstellung wird als ,Sonderschau‘ in getrennten Räumen und nicht etwa als Intervention in der Dauerausstellung präsentiert - Spoerri ist "Kunst" im und für das Haus und nur unter diesen Bedingungen kann und darf sie Gastrecht bekommen. Die Grenzen, die man Spoerris Arbeit setzte, sichern das Museum vor jeder Art der Kontamonation. Dabei wäre vor allem der Prozess selber und dann auch das Resultat, die Ausstellung, eine Chance der institutionellen Selbstbefragung gewesen.
Statt das anzustreben einigte man sich auf eine Art von Stillhalteabkommen mit dem Untertitel der Ausstellung, „Ein inkompetenter Dialog?“. Das Fragezeichen läßt dem Museum das durch das Fragezeichen diplomatischen gemilderten Vorurteil, daß jeder ein Laie, Dilettant ist, der sich nicht der Kriteriologie der Institution unterwirft, während das Fragezeichen für Spoerri das Schlupfloch ist, durch das er seine Kompetenz als Künstler, Zauberer, Erzähler, Arrangeur, Sachensucher, Sammler dennoch ins Museum schmuggelt. (6)
*
Museen sind extrem geschickt und zäh im Festhalten an den Mißverstandnissen, die sie ihrem eigen Tun entgegenbringen. Das gilt ganz besonders für das Naturmuseum. Naturwissenschafter haben meist wenig Verständnis dafür, daß Ausstellungen (wenn es nicht bloß dienstbare Maschinerien zur Propagierung ihrer Forschungsergebnisse sind) kategorial etwas anderes sind als Wissenschaft im Sinne ihrer eigenen Tätigkeit (7), daß das ,museale Zeigen‘ anderen, komplexen Gesetzen unterworfen ist und auch anderen Zielen dient als nur der ,Darstellung‘ von ,Natur‘ und ihrer Erforschung. Selbst der ohnehin milde und respektvolle ,inkompetente Dialog‘, den Spoerri führt, wird aufmerksam in Schranken gehalten.
Dabei wankt die Bastion Naturmuseum längst und es wird nicht lange dauern, bis sich der jetzt noch teddybärenhafte Museumssaurier nicht nur wie im Youtubevideo auf die Jagd nach kleinen Kindernmacht, sondern auf die nach großen Kuratoren...
Das Buch zur Ausstellung, zweisprachig und bibliophil sowie sehr schön bebildert: Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - ein inkompetenter Dialog? Kerber Art. Bielefeld und New York 2012
Parallel zur Ausstellung zeigt Daniel Spoerri eine von ihm kuratierte in seinem Ausstellungshaus (siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/eat-ab-art-daniel-spoerri-in-hadersdorf.html) in Hadersdorf am Kamp, „Natürlich Natur? Paralipomena“, zu der es eine - ebenfalls sehr schön gestaltete - (gleichnamige) Begleitpublikation gibt.
_______________________________________________________________________
1) Jedes Museum hat es mit ,Lazarisation‘ zu tun. Das größte Problem, das glaubwürdig zu inszenieren, hat verständlicherweise das Naturmuseum. Ein spektakulräses Beispiel für die Ambivalenz von musealem Tod und musealer Auferstehung ist der große Zug der Tiere - ins Museum als Arche Noah als letzte Rettung oder aus dem Museum als Bewegung zur Erlösung vom Museum bleibt offen. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/07/der-zug-der-tiere-im-pariser-museum-d.html
Die Verlebendigung kann freilich in der Übertreibung scheitern, siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/06/spazierganger-museumsphysiognomien.html
2) Es gibt aber auch das Naturmuseum, das einen mit beispielloser Direktheit mit Tod und Sterblichkeit konfrontiert gerade weil es es seine Ordnung wie skelettiert zeigen möchte. Suehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/musee-des-mondes-perdu.html
3) Früheste Naturmuseen trieben einen Illusionierungsaufwand, der heutige Inszenierungen in nichts nahesteht, beziehungsweise sie überbietet. Vom Naturalienkabinett, dem Vorläufer des Naturhistorischen Museums in Wien, existiert eine ausführliche Beschreibung, die belegt, daß es schon kurz nach 1800 um die Schaffung ganzheitlicher ,Bilder‘ und ,Biotope‘ ging. Willson Peales Museum in Philadelphia, das als ältestes der USA gilt, wurde von seinem Autor nicht nur mit sorgfältig inszenierten Szenen ausgestattet, zeitgenösische Beschreibungen berichten von erfindungsreichen Maschinerien zu filmähnlicher Bildprojektion, von echtem Wasser und technisch erzeugter Hintergrundmusik. Peales wunderbares Selbstporträt - vor seinem Museum, dessen ,Vorhang er lüftet‘ -, kann man als ingeniöse Auseinandersetzung mit der hier diskutierten Dialektik von Mortifizierung und Lebendigkeit lesen. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Peale
4) Präparatoren haben ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein von ihrer Tätigkeit als Kunstfertigkeit. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/ausgezeichnet-texte-im-museum-000.html
5) Der Widerspruch schlägt sich im Wiener Museum sogar in der Möblierung nieder. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/mikromuseum-evolution-des.html
6) „Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden“, schreibt Alberto Manguel in seinem lesenswerten Essay zum Sammeln und Ausstellen, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/03/dracheneier-und-phonixfedern-das-museum.html
7) In den Worten des derzeitigen Direktors hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/saurier-und-forschung-noch-einmal-wie.html und hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/da-bekommt-die-mineralogie-sofort.html
Der Gemeinplatz, daß es das Museum mit dem Tod zu tun hat, der alltagssprachlich in der pejorativen Verwendung von 'museal' ziemlich tief sitzt, der aber ein Gemeinplatz der Theorie und nicht der musealen Praxis ist, die dieses Faktum verdrängt, gilt nirgendwo so sehr, wie in den sogenannten Naturmuseen. (2)
Die Konservierung, deren Techniken biologisches 'Material' zu erhalten, seit der Mitte des 16. Jahrhundert entwickelt wurden - wovon eindrucksvolle Beispiele in den ältesten tradierten Natursammlungen zeugen, etwa denen der Universität Bologna -, ist nur der erste Schritt. Um Naturhaftigkeit zu erzeugen, bedarf es meist einer Rekonstruktion, Ergänzung, Formung oder gar Inszenierung.
Naturmuseen erzeugen daher oft ein mehr oder minder ausgefeiltes Ambiente. Ein Sandboden kann genügen, um die Illusion eines Meeres zu erzeugen und am anderen Ende der Skala der Illusionstechniken (die diesen Museumstyp verwandt macht mit den ältesten und populärsten Schaustellungspraktiken) stehen komplette Szenen, (3) nahezu naturidente Ausschnitte einer Lebenswelt, bei der selbst die Perspektivität und Räumlichkeit der Wahrnehmung - wie z.B. im Diorama - erzeugt wird.
Das Naturmuseum ist deshalb in gewissem Sinn künstlicher als alle anderen Museumstypen, nicht nur weil es großen Aufwand an Konservierung und Präparation (4) erfordert, sondern weil der Schein ,authentischer‘ Natur aufrecht erhalten werden soll und gleichzeitig der Aufwand der nötig ist, diesen Eindruck zu erzeugen, nicht offensichtlich werden darf.
Dem Naturmuseum hilft dabei, daß wir generell dazu neigen, alles an Gestell, das zum Zeigen, zum Zu-Sehen-Geben im Museum nötig ist, zu 'übersehen'. All die Sockel, Vitrinen, Bühnen, Lichter uvam. blenden wir aus. So dürften wir wie viele Besucher gar nicht recht registrieren, wie groß die Diskrepanz zwischen einer zur 'Familie' zusammengestellten Löwengruppe auf einer angedeuteten Landschaft zur historischen Vitrine aus der Gründerzeit des Museums ist, in der diese Gruppe ihren theatralischen Auftritt hat.
Verschleiert wird der hohe Aufwand im Namen einer ordnenden und klassifizierenden Wissenschaft, die es mit Natur, der sie diese Klassifikation als ihr immanente zu entnehmen glaubt, und mit nichts anderem zu tun haben will.
Eine Konsequenz dieser Spaltung in rationale Ordnungswissenschaft einerseits und ,lebensweltliche‘ Darstellung andrerseits, die selbst ein Museum, das so sehr wie das Wiener von wissenschaftlichen Ordnungssystemen geprägt ist, ist zum Beispiel die Trennung von Sammlung und wissenschaftlicher Arbeit einerseits vom Ausstellen und den nötigen Zurichtungen der Dinge zu Exponaten sowie von der Pädagogik bzw. Vermittlung andrerseits. Daß das Naturhistorische Museum in Wien das erste Bundesmuseum mit einer eigenen Vermittlungsabteilung und einem großen, der Vermittlung reservierten Saal mitten in den Dauerausstellungen war, verstehe ich als Konsequenz der genannten 'Spaltung'.
Bei einem Gang durch das Wiener Museum quert man heute mehrere sehr unterschiedliche Museen, in denen man spürt, wie groß die Versuchung ist, den popularen Schaustellungstechniken im Interesse eines Publikums nachzugeben, das über einschlägige Formate in Kino, TV oder Computeranimationen längst raffinierteste 'Animationstechniken' bzw. im Namen authentischer Bilder die Natur manipulierende Filme gewohnt ist. Wahrscheinlich wird von Besuchern auch erwartet, daß im Museum etwas Adäquates zu sehen ist, während die Verpflichtung auf wissenschaftliche Korrektheit und Kriterien noch bleischwer an den Sammlungen hängt und von den Kuratoren verteidigt wird.
Im Sauriersaal, der jüngst neu gestaltet wurde, kann man den Zwiespalt der Haltungen gut studieren. Es fanden sich hier ohnehin schon, ohne daß einem das bewußt werden musste, Originale Fundstücke, Faksimiles (Abgüsse) und Rekonstruktionen, deren oft sehr hoher spekulativer Anteil nicht so ohne weiteres gewusst werden kann und soll und dementsprechend zurückhaltend kommuniziert wurde und wird. Neu im Saal ist aber nun eine Art Puppe, ein Saurier, der ein wenig den Kopf drehen und brüllen darf, dezent, fast lieb und daher von fragwürdiger Konkurrenzfähigkeit zu Jurrasic Parc.
So geht das Museum mit seinem Widerspruch (5) um, unsicher, unentschlossen, kompromissbereit, notwendgerweise inkonsequent, experimentell.
*
Wenn ein Künstler wie Daniel Spoerri im Naturmuseum auftritt, kann man sicher sein, daß er es partiell wieder in einen Ort des Staunens verwandelt, indem er ihn zu einem Ort des Changierens der Dinge, ihrer Formen und Bedeutungen macht und die Grenze zwischen 'Natur' und Kunst sowie der dem Naturmuseum eigentümlichen Künstlichkeit zwar nicht ignoriert, aber sie verschiebt, thematisiert, bewußt macht, wieder verwischt. Plötzlich tauchen alle stillschweigenden, dem Museum zugrundeliegenden Techniken und Riten, wieder ins Licht der Reflexion, das Sammeln, Auflesen, Zusammenstellen, Benennen, Ordnen, Hierachisieren, Vergleichen.
Ein ganzes Jahr lang stöberte Spoerri, begleitet von zwei Mitarbeitern des Hauses, Margit Berner und Reinhard Golebiowski, in den Speichern und Depots, in den Arbeitsräumen und Schausälen, er erhielt überall Zugang, aber, mit einer Ausnahme, nie das Recht, Objekte 'anzutasten'. Das Museum, auch das Naturmuseum, das ja so viel beherbergt, was ja ohnehin längst Artfakt ist, wacht dennoch über keinem Tabu strenger als über dem der materiellen Unversehrtheit. Was in Kunstmuseen oder historischen Museen im Namen einer potentiellen kulturellen Bedeutung geschieht, die es offenzuhalten gilt, betreibt das Naturmuseum im Interesse ihrer Erkenntnismöglchkeiten. ,Sachbeweise‘ werden dauerhaft für künftige methodische und heuristische Innovationen zur erneuten Befragung bereitgehalten, nicht unbedingt aber um als kulturelle Bedeutungen im öffentlichen und sozialen Raum Museum kommuniziert zu werden.
Man sieht es der Ausstellung „Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum“ (Zur Webseite des Naturhistorischen Museums: http://www.nhm-wien.ac.at/presse/daniel_spoerri_im_naturhistorischen_museum) an, daß auf Ihre Vorbereitung so viel Zeit verwendet wurde. Vor allem im Vergleich mit den teilweise problematischen Ausstellungen, die Spoerri in Österreich gemacht hat, seit er hier lebt, ich meine die in Krems („Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/02/alles-war-sehr-gut-und-lustig.html) und Graz („Grazgeflüster. Ein Musée sentimental, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2011/12/grazgefluster.html) , fällt die ungleich reichere Entfaltung von Ideen, die größere Sorgfalt der Konzeption und Ausführung auf.
Die Ausstellung ist ein Kompositum aus älteren Werken Spoerris, Objekten, die er inspiriert von den Museumssammlungen neu gemacht hat, Arrangemts aus Museumsdingen, an denen sowohl er als auch die genannten Kuratoren beteiligt waren. Die relativ große Ausstellung wurde letztendlich nach der der Museumsordnung zugrundeliegenden fachlichen Gliederung, Zoologie, Mineralogie, Botanik usw., gegliedert, verhält sich aber dazu sowohl experimentell-ästhetisch als auch museologisch-reflexiv.
Die Ausstellung fasziniert mit etwas, was man von Sporrri schon kennt, von der überbordenden Phantasie eines physiognomischen Blicks, der Dingen innewohnende Eigenschaften erkennt und ihr Potential für ein Neuaragement, für eine Art von Reanimation, die nichts mit der musealen des Naturmuseums zu tun hat, aber auch etwas abwirft für das Sichtbarmachen seiner Mechanismen. Spoerri hat sich den unbefangenen und staunenden Blick bewahrt, der Dinge jenseits kodifizierter Bedeutungen wahrzunehmen bereit ist und er versteht es, den Besucher mit demselben Blick zu belehnen.
Spoerris Misch- und Fabelwesen sind in erster Linie ästhetisch faszinierend lassen sich aber in gewissen Grenzen auch im Kontext kultureller Bedeutungen lesen. Ein Teil der Faszination hat wohl auch mit Spoerris Respekt vor den Dingen zu tun und mit der Neugier, mit der er der dahinterstehenden wissenschaftlichen aber auch etwa präparatorischen Arbeit umgeht. Spoerris 'Reanimationen' sind subtil, sie gelten allem, was im Museum Ding geworden ist, dem Meteorit oder der Muschel ebenso wie dem Waffeleisen oder der Möbelzierleiste. Animistisches Denken wie im Märchen läßt die Dinge ein spukhaftes Dasein zurückgewinnen, bedrohlich, schrill, skurril, drollig, rätselhaft. Manchmal zielt das direkt auf die Techniken und Riten des Naturmuseums. Galvanisierte Tiere z.B. erhalten eine vermeintlich ewig haltbare Plastizität aber auch eine unheimliche Lebendigkeit durch ihre das Licht reflektierende metallene Oberfläche.
Seine Arbeit ist die Schaffung einer Art von zweiter Natur, die darin vielleicht im Grundsatz mit der artifiziellen Museumsnatur einer solchen Institution eng verwandt ist, aber er kommt zu ganz anderen Resultaten. Was dabei an Kritik, Analyse der institutionellen Praktiken und Riten abfallen könnte dürfte ihn weit weniger interessieren, als die ästhetische Faszination. Darin unterscheidet er sich prinzipiell von Mark Dion (Siehe „Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum?“. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Dion), dessen 'Naturmuseen' weit über das Museum hinaus den gesellschaftlichen Umgang mit Natur und auch damit die Verfasstheit des Naturmuseums zur Disposition stellt. Diese explizit kritische Haltung ist Spoerri fremd, wenngleich er genauso witzig und ironisch sein kann wie Dion.
Was daran an Kritik dennoch abfällt und die Verunsicherung, die davon dem Selbstverständnis eines Wissenschaftsmuseums drohen könnte, begegnet man mit einer räumlichen Separierung und einer gedanklichen. Die Ausstellung wird als ,Sonderschau‘ in getrennten Räumen und nicht etwa als Intervention in der Dauerausstellung präsentiert - Spoerri ist "Kunst" im und für das Haus und nur unter diesen Bedingungen kann und darf sie Gastrecht bekommen. Die Grenzen, die man Spoerris Arbeit setzte, sichern das Museum vor jeder Art der Kontamonation. Dabei wäre vor allem der Prozess selber und dann auch das Resultat, die Ausstellung, eine Chance der institutionellen Selbstbefragung gewesen.
Statt das anzustreben einigte man sich auf eine Art von Stillhalteabkommen mit dem Untertitel der Ausstellung, „Ein inkompetenter Dialog?“. Das Fragezeichen läßt dem Museum das durch das Fragezeichen diplomatischen gemilderten Vorurteil, daß jeder ein Laie, Dilettant ist, der sich nicht der Kriteriologie der Institution unterwirft, während das Fragezeichen für Spoerri das Schlupfloch ist, durch das er seine Kompetenz als Künstler, Zauberer, Erzähler, Arrangeur, Sachensucher, Sammler dennoch ins Museum schmuggelt. (6)
*
Museen sind extrem geschickt und zäh im Festhalten an den Mißverstandnissen, die sie ihrem eigen Tun entgegenbringen. Das gilt ganz besonders für das Naturmuseum. Naturwissenschafter haben meist wenig Verständnis dafür, daß Ausstellungen (wenn es nicht bloß dienstbare Maschinerien zur Propagierung ihrer Forschungsergebnisse sind) kategorial etwas anderes sind als Wissenschaft im Sinne ihrer eigenen Tätigkeit (7), daß das ,museale Zeigen‘ anderen, komplexen Gesetzen unterworfen ist und auch anderen Zielen dient als nur der ,Darstellung‘ von ,Natur‘ und ihrer Erforschung. Selbst der ohnehin milde und respektvolle ,inkompetente Dialog‘, den Spoerri führt, wird aufmerksam in Schranken gehalten.
Dabei wankt die Bastion Naturmuseum längst und es wird nicht lange dauern, bis sich der jetzt noch teddybärenhafte Museumssaurier nicht nur wie im Youtubevideo auf die Jagd nach kleinen Kindernmacht, sondern auf die nach großen Kuratoren...
Das Buch zur Ausstellung, zweisprachig und bibliophil sowie sehr schön bebildert: Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - ein inkompetenter Dialog? Kerber Art. Bielefeld und New York 2012
Parallel zur Ausstellung zeigt Daniel Spoerri eine von ihm kuratierte in seinem Ausstellungshaus (siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/eat-ab-art-daniel-spoerri-in-hadersdorf.html) in Hadersdorf am Kamp, „Natürlich Natur? Paralipomena“, zu der es eine - ebenfalls sehr schön gestaltete - (gleichnamige) Begleitpublikation gibt.
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1) Jedes Museum hat es mit ,Lazarisation‘ zu tun. Das größte Problem, das glaubwürdig zu inszenieren, hat verständlicherweise das Naturmuseum. Ein spektakulräses Beispiel für die Ambivalenz von musealem Tod und musealer Auferstehung ist der große Zug der Tiere - ins Museum als Arche Noah als letzte Rettung oder aus dem Museum als Bewegung zur Erlösung vom Museum bleibt offen. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/07/der-zug-der-tiere-im-pariser-museum-d.html
Die Verlebendigung kann freilich in der Übertreibung scheitern, siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/06/spazierganger-museumsphysiognomien.html
2) Es gibt aber auch das Naturmuseum, das einen mit beispielloser Direktheit mit Tod und Sterblichkeit konfrontiert gerade weil es es seine Ordnung wie skelettiert zeigen möchte. Suehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/musee-des-mondes-perdu.html
3) Früheste Naturmuseen trieben einen Illusionierungsaufwand, der heutige Inszenierungen in nichts nahesteht, beziehungsweise sie überbietet. Vom Naturalienkabinett, dem Vorläufer des Naturhistorischen Museums in Wien, existiert eine ausführliche Beschreibung, die belegt, daß es schon kurz nach 1800 um die Schaffung ganzheitlicher ,Bilder‘ und ,Biotope‘ ging. Willson Peales Museum in Philadelphia, das als ältestes der USA gilt, wurde von seinem Autor nicht nur mit sorgfältig inszenierten Szenen ausgestattet, zeitgenösische Beschreibungen berichten von erfindungsreichen Maschinerien zu filmähnlicher Bildprojektion, von echtem Wasser und technisch erzeugter Hintergrundmusik. Peales wunderbares Selbstporträt - vor seinem Museum, dessen ,Vorhang er lüftet‘ -, kann man als ingeniöse Auseinandersetzung mit der hier diskutierten Dialektik von Mortifizierung und Lebendigkeit lesen. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Peale
4) Präparatoren haben ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein von ihrer Tätigkeit als Kunstfertigkeit. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/ausgezeichnet-texte-im-museum-000.html
5) Der Widerspruch schlägt sich im Wiener Museum sogar in der Möblierung nieder. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/mikromuseum-evolution-des.html
6) „Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden“, schreibt Alberto Manguel in seinem lesenswerten Essay zum Sammeln und Ausstellen, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/03/dracheneier-und-phonixfedern-das-museum.html
7) In den Worten des derzeitigen Direktors hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/saurier-und-forschung-noch-einmal-wie.html und hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/da-bekommt-die-mineralogie-sofort.html
Donnerstag, 28. Februar 2013
Das Museum als Haus - Die Welt als Museum
Der folgende Text ist über 20 Jahre alt. Es war die Grundlage für einen Vortrag der 12. Museumspädagogischen (Privat)Gespräche gewesen, die in Graz 1991 unter dem Titel "Ganz aus dem Häuschen stattfand." Von Taliman Sluga organisiert und überaus souverän und liebenswürdig geleitet.
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).
Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.
Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses von Karl Friedrich Schinkel entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken errichtete Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.
Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.
Doch nicht nur dies und die selbstbewußte Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang. Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt.
Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger, als zentrale Einrichtung, auf die sich der preußische Staat berufen und fundieren möchte, eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung und Bildung.
1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III. hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. (2)
Das Wort Museum, das in der deutschen Übersetzung merkwürdiger- und bezeichnenderweise nicht übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum. Mit dem Wort Museum würden, so der erste Gutachter (3), "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals solche zur " Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß zu demselben ablehnenden Ergebnis.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen usw. auch gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt werden.
Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.
Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinandertreffen. Die eine Tradition, die die Gutachter und Experten gegen die Verwendung des Wortes Museum für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.
Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist offensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ursprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der doppelten Bedeutung von Hain, Garten, jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.
In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.
Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.
Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer. .
Als Beschützerinnen der Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien, philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.
"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust verknüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)
So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsistischen Gelehrten in seinem privaten Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.
Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und sammelt dafür Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Vergleichen und Ordnen von Material ein ,Text' gebildet werden kann.
Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden kann.
Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkanpraktiken des Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das arkanhafte, private Sammeln in eine Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.
Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer Wahrnehmung.
Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung - auch unterstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.
Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)
Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.
Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.
Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.
Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein. ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.
Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird immer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.
Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.
Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.
Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.
Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.
Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." (8)
Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9) und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.
Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)
Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.
Daher: Raus aus dem Museum!
Anmerkungen:
1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler, 1844, zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2 Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3 Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5 Vgl. dazu und zum Folgenden Paula Findlen: The Museum: Its classical etymology and renaissance genealogy. ln: Journal of the History of Collections, I no.l 1989
6 Michel Foucault: Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1991, S.43
7 Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt 1969, S.94
9 Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition und Experiment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg 1988, S.288ff.
10 Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Museums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).
Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.
Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses von Karl Friedrich Schinkel entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken errichtete Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.
Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.
Doch nicht nur dies und die selbstbewußte Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang. Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt.
Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger, als zentrale Einrichtung, auf die sich der preußische Staat berufen und fundieren möchte, eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung und Bildung.
1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III. hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. (2)
Das Wort Museum, das in der deutschen Übersetzung merkwürdiger- und bezeichnenderweise nicht übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum. Mit dem Wort Museum würden, so der erste Gutachter (3), "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals solche zur " Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß zu demselben ablehnenden Ergebnis.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen usw. auch gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt werden.
Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.
Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinandertreffen. Die eine Tradition, die die Gutachter und Experten gegen die Verwendung des Wortes Museum für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.
Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist offensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ursprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der doppelten Bedeutung von Hain, Garten, jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.
In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.
Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.
Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer. .
Als Beschützerinnen der Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien, philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.
"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust verknüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)
So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsistischen Gelehrten in seinem privaten Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.
Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und sammelt dafür Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Vergleichen und Ordnen von Material ein ,Text' gebildet werden kann.
Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden kann.
Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkanpraktiken des Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das arkanhafte, private Sammeln in eine Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.
Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer Wahrnehmung.
Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung - auch unterstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.
Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)
Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.
Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.
Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.
Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein. ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.
Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird immer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.
Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.
Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.
Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.
Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.
Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." (8)
Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9) und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.
Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)
Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.
Daher: Raus aus dem Museum!
Anmerkungen:
1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler, 1844, zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2 Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3 Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5 Vgl. dazu und zum Folgenden Paula Findlen: The Museum: Its classical etymology and renaissance genealogy. ln: Journal of the History of Collections, I no.l 1989
6 Michel Foucault: Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1991, S.43
7 Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt 1969, S.94
9 Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition und Experiment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg 1988, S.288ff.
10 Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Museums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7
Sonntag, 26. März 2017
Land – Museum – Identität
Land – Museum – Identität. Das Steiermärkische Landesmuseum
als Modellfall
Überarbeiteter und erweiterter Vortrag, Würzburg Universität und Mainfränkisches Museum, Jänner 2017
1 Das Joanneum – Ein Werkzeug der
Landeswohlfahrt und des Landesbewußtseins
Alljährlich am 26. November feiert das Steiermärkische
Landesmuseum Joanneum, das inzwischen den Namen Universalmuseum Joanneum trägt,
den Jahrestag seiner Gründung, den Stiftungstag. Und das kontinuierlich und
seit 205 Jahren.
Es gibt weltweit wohl sehr wenige Museen, vielleicht keines, die
ein solches Gedächtnisritual begehen können. Als das nach seinem Stifter
benannte Joanneum 1811 von Erzherzog Johann, also von einem Mitglied des Kaiserhauses
und Angehörigen des Hochadels, gegründet wurde, war die Idee des Museums als
einer öffentlichen Institution, die der Sammlung von Kulturgütern und ihrer
intellektuellen und ästhetischen Erfahrung diente, nicht einmal 20 Jahre alt.
Das Museum wie wir es kennen entwickelte sich in der
Aufklärung und wurde erstmals in vollem Umfang in der Französischen Revolution
mit der Gründung des Louvre-Museums 1793 verwirklicht. Neu an diesem Modell war
gegenüber allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns und Ausstellens, die
Vorstellung, dass der gemeinsame Besitz und Genuss kultureller Überlieferung
die Gemeinsamkeit der Gesellschaft und Nation nicht nur ausdrücken und
darstellen sondern gewissermaßen auch herstellen konnte.
Während bis dahin Sammlungen, mit wenigen Ausnahmen, privat
waren und einem oft nur sehr beschränkten Publikumskreis als Gunsterweis des
Besitzers zum Zweck von Bildung, Wissensvermittlung oder Repräsentation
zugänglich waren, gehört der Unterhalt und Betrieb von Museen von da an zu den
„wohlfahrtsstaatlichen“ Leistungen im Interesse aller Bürger, die in der Regel
auch Besitzer der Sammlungen sind. Der Staat finanziert und unterhält Museen
treuhänderisch im Interesse aller und auf ihren Besuch hat jedermann ein Recht.
Während wir heute gewohnt sind, den Besuch von Museen als
eine Freizeitbeschäftigung anzusehen, in der Unterhaltung, Wissenserwerb,
Vergnügen oder Bildung miteinander beliebig gemischt sein können, hatten Museen
im 19. Jahrhundert häufig noch sehr praktische Aufgaben. Kunstgewerbliche
Museen waren dazu gedacht, die nationalen Produktkulturen zu ‚veredeln’ und
damit konkurrenzfähig zu halten, in technische Museen setzte man Hoffnungen auf
Sammlung von Erfahrungen und Wissenstransfer und Kunstmuseen hatten über ihre
Ausbildungsfunktion noch Einfluß auf die Kunstpraxis.
Bei kaum einem anderen Museum war diese praktische Funktion
so wichtig, wie beim Joanneum während der Gründungsjahrzehnte. Es gab zwar
Schausammlungen und war für ein breites Publikum zu festgelegten geöffnet,
zugleich war es aber eine Lehranstalt mit Lehrkanzeln und kompensierte damit
das Fehlen einer Universität in Graz.
Die Sammlungen und Ausstellungen galten in der Frühzeit der
Institution überwiegend den naturwissenschaftlichen Fächern, und damit jenem
Wissen, das für die Entwicklung von Gewerbe, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie
nützlich war. So fand man im Museum eine „Holzbibliothek“ oder - bis heute erhaltene - Wachsnachbildungen von
Obstsorten, Modelle moderner landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen. Im
botanischen Garten gediehen „Medicinalpflanzen“, es gab ein Chemielabor,
Mineralien, zoologische Präparate, physikalische und astronomische Geräte, aber
auch Objekte von historischem, archäologischem und kunstgeschichtlichem Wert.
Mineralien waren nicht, was sie heute für den Besucher meist sind,
bunte Steine, sondern Studienobjekte zur Erschließung neuer Rohstoffe und die
Pflanzen dienten der Entwicklung neuer landwirtschaftlich verwertbarer
Nutzpflanzen oder der Heilkunde.
Es ging um die Entwicklung der Wirtschaft des Landes. Auf
Betreiben EH Johanns wurde etwa die Eisenindustrie nach englischem Vorbild
modernisiert, der Wein- und Hopfenanbau initiiert oder frühe Experimente mit
Kunstdünger gemacht. Er gründete in 900 Meter Seehöhe ein Landgut, wo Versuche
gemacht wurden, ob und welche Nutzpflanzen in solcher Höhe anbaufähig wären. Er
schuf Versicherungen für die Bauernschaft und die Industriearbeiter, deren
medizinische Versorgung er erheblich verbesserte. Und das ist nur ein kleiner
Ausschnitt aus seinen Aktivitäten.
Die Bedeutung des Museums lag darin, die wirtschaftliche
Krise überwinden zu helfen, in der sich das Land befand und Handwerk, Industrie
und Landwirtschaft zu entwickeln.
Die Initiativen Erzherzog Johanns, der in der Steiermark als
Privatperson agierte und das mit eigenen finanziellen Mitteln, gingen dabei weit
über das Museum hinaus. Er schuf ein Netzwerk von Initiativen, Aktivitäten,
Institutionen und Vereinen.
1819 wurde die Landwirtschafts
Gesellschaft in Steiermark gegründet, ab 1832 gab es Industrieausstellungen
und 1839 wurde der Verein zur Ermunterung
und Unterstützung der Industrie und der Gewerbe für Innerösterreich
gegründet.
Komplementär zu den wirtschaftsfördernden Initiativen ging es
um – heute würden wir sagen – Identitätspolitik. Das war die zweite bedeutende
Aufgabe des Joanneums. EH Johann forderte zur Abgabe von historischen
Archivalien und Objekten auf, beauftragte die Abfassung einer Landesgeschichte,
die 1815 erschien. Ab 1821 konnte die Steyermärkische
Zeitschrift erscheinen, die auf die Idee zurückgeht, periodisch
wissenschaftliche Literatur zu exzerpieren und daraus eine Art von
wissenschaftlichem Literatur-Bericht herauszugeben, ein Volksblatt zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse. 1843 wird von
Mitgliedern des Lesevereins – auf den ich gleich zu sprechen komme -, der Historische Verein für Innerösterreich gegründet,
der etwas später mit der Herausgabe einer historischen Zeitschrift beginnt.
EH Johann veranlasste sowohl eine statistische
Landesaufnahme, als auch eine, ziemlich einmalig, bildliche. Er schickte seine
sogenannten Kammermaler durchs Land, die Landschaften, Bauten, Brauchtum,
Kleidung, Handwerk, vereinzelt auch industrielle Produktionsstätten
dokumentierten. Eine zusammenhängende Geschichte der Steiermark hatte es bis
dahin nicht gegeben, geschweige denn eine bildliche Erfassung. Was da vor sich
ging war einerseits eine umfassende Landesbeschreibung, eine Dokumentation, die
die Grundlage für die Entstehung eines Landesbewußtseins wurde und damit in
gewisser Weise für die Konstruktion eines Landes.
2 Österreichische
Museumsentwicklung der zwei Geschwindigkeiten
Wenn man sich ein wenig und in
groben Zügen mit der Geschichte der Museumsentwicklung vertraut macht, oder
wenn man an das denkt, was man an Museen kennengelernt hat, wird man ein Gefühl
für die vergleichsweise enorm dichte Bündelung von Initiativen um ein einziges
Haus bekommen haben.
Selbst in der hinsichtlich bürgerlicher Gründungen ungleich
lebendigeren Museumsentwicklung in den deutschen Staaten wird man
Vergleichbares nicht finden. Sicher, Museen hatten fachliche Forschungsaufgaben,
z.B. im naturwissenschaftlichen Bereich, aber daß ein Museum so etwas wie eine
Agentur der Landesentwicklung und der Formierung von Landesbewußtsein ist, wie
es das Joanneum von 1811 bis etwa 1848 war, dafür kenne ich kein vergleichbares
zweites Museumsprojekt.
Eine andere Besonderheit wird aber erst vor dem Hintergrund
der österreichischen Museumsentwicklung deutlich. Hier dominierten die
habsburgischen Sammlungen, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert nach und
nach in uneingeschränkt zugängliche Einrichtungen umgewandelt wurden. Die
kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die unter Leopold II. vollkommen
erneuerten kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen in Florenz bildeten die
Avantgarde der europäischen Museumszene nach 1770. Dann kam es zu einem bis in
die heutige Museumsentwicklung stark nachwirkenden Bruch. Die nach 1800
betriebene Neuordnung der kaiserlichen Sammelbestände blieb auf einem
vormodernen Zustand stehen. Anders als in vielen europäischen Metropolen kam es
in Wien nicht zur Errichtung einer großen, repräsentativen Museumsinstitution.
Gleichzeitig gab es in Wien kaum nennenswerte bürgerliche
Initiativen, mit der Ausnahme des kunstgewerblichen Museums, des ersten
kontinentalen, das von der Weltausstellung in London 1851 inspiriert war. Dessen
Errichtung im Verbund mit den Hofmuseen wurde von den Hofbehörden bezeichnenderweise
verhindert und das Museum dann an einer weit weniger prominenten Stelle der
Ringstraße errichtet und 1864 eröffnet.
Einen großen musealen Neubau für die kaiserlichen Sammlungen
gab es vergleichsweise zur europäischen Entwicklung sehr spät, erst kurz vor
der Jahrhundertwende, und dann waren das explizit Hofmuseen, also in erster
Linie Museen, die die Sammlungstätigkeit und das Mäzenatentum des
Herrscherhauses repräsentativ feierten. Sowohl die Architektur als auch die
Lage dieser Museen waren spektakulär. Etwa in der Mitte der Ringstraße liegen
die beiden Museen, das kunsthistorische und das naturhistorische, genau
gegenüber der Hofburg. Wäre das Gesamtprojekt vollendet worden, das eine
Verbindung aller Bauten zu einem Forum vorsah, dann wäre die Längsachse der
Anlage vom Thronsaalbau der Residenz dominiert worden und die Beziehung
zwischen Macht, Kunst und Wissenschaft und seine Zu- und Unterordnung unter das
Herrscherhaus noch sinnfälliger erfahrbar.
Für die Museumsentwicklung in Österreich ist das nach wie vor
von großem Belang, weil die aus habsburgischen Sammlungen entstandenen Museen heute
die größten staatlichen sind und alle, mit Ausnahme der Ambraser Sammlungen
(Teil des Kunsthistorischen Museums), in Wien liegen. Und weil der Versuch,
dieses Erbe nach 1918 gleichsam zu republikanisieren gründlich fehlschlug. Der
Versuch Hans Tietzes, des bedeutenden Kunsthistorikers, Kunstförderes und
Publizisten, in seiner Funktion als höchster Ministerialbeamter die Museen zu transfomieren,
scheiterte vollkommen. Bis heute fehlt es an einer staatlichen Museumspolitik,
das diesen ungelösten und folgenreichen Erbfall erneut aufgreift und die Museen
neu ordnet.
3 Die österreichischen Landesmuseen als Produktionsorte
regionaler Identität
Es sind die Landesmuseen, die im 19.Jahrhundert, vor allem in
der ersten Hälfte, aufklärerische Ideen repräsentieren und bürgerliche
Ansprüche im Feld der Kultur verwirklichen. Es gibt somit eine Entwicklung der
zwei Geschwindigkeiten. Auf der einen Seite mit den eher konservativen, bescheiden
und im Stil fürstlicher Kabinette präsentierten Sammlungen des Kaiserhauses auf
der andren Seite die beachtliche Dynamik der Gründungen in den habsburgischen
Ländern.
Die ersten Landesmuseen entstanden - nicht einmal zehn Jahre
nach der Eröffnung des Louvre –, 1802 in Budapest, im oberschlesischen Teschen
und im siebenbürgischen Hermannstadt. 1811 folgten Graz, 1817 Brünn, 1818 Prag,
damals schon und heute als Nationalmuseum, 1821 das Krainisch Ständische Museum
in Laibach, das heute das Slowenische Nationalmuseum ist, 1823 folgte Innsbruck
mit dem Tiroler Landesmuseum. Die letzte Gründung war das Landesmuseum für das
Burgenland, das 1921, im Jahr der Entstehung dieses Bundeslandes eröffnet wurde.
Heute hat jedes der neun Bundesländer sein Museum – wenn man
den Sonderfall Wien, das ja Stadt und Land zugleich ist, mit seinem Stadtmuseum
hinzunimmt.
Für das Reich bildeten die Dynastie, das Haus Österreich, das
Gefäß für eine Art von Koexistenz unterschiedlichster Länder, Kulturen und
Ethnien. In einem Konzept, das heute oft als vorbildlich im Sinne vereinigter
europäischer Staaten gilt. So etwas wie nationale Identität taugte nicht als
Form symbolischer Integration für das habsburgische Imperium und es entstand
auch kein Nationalmuseum.
So etwas gibt es bis heute nicht, wenngleich zwei derzeit in
Planung befindliche zeithistorische Museen wohl so etwas sein werden, bei denen
national als Adjektiv aber wohlweislich vermieden wird.
Die Länder hatten im 19. Jahrhundert hingegen sehr wohl die
Freiheit moderne Formen kollektiver Identität zu entwickeln. Um zu zu wissen,
was ein Land ist, was seine Besonderheiten sind, was es von anderen
unterscheidet und was seine Gemeinsamkeit stiftende Eigenschaften sind, muss
man es zuallererst ‚erkunden’.
Das war der Sinn des Sammlens von Archivalien und Dokumente in
der Steiermark und der sogenannten statistischen Landeserfassung. Beides war
wiederum Grundlage der Abfassung einer Landesgeschichte. Es geht um ein making of, um das Arbeiten am
Selbstbewußtwerden einer territorial und verwaltungspolitisch gefassten
Gemeinschaft.
Die umfassende ‚Landesbeschreibung’ gab dem Land ein
Bewusstsein seiner selbst, seiner kulturellen, topografischen, historischen
Eigenheiten. Warum ist das so wichtig? Gesellschaften in der Moderne zeichnen
sich durch die Freiwilligkeit ihrer Zusammengehörigkeit aus. Sie sind
„Solidargemeinschaften“, die sich immer wieder ihrer Zusammengehörigkeit
versichern müssen. Ein Weg dazu ist, das Gemeinsame im Kulturellen zu suchen -
in einer gemeinsamen Geschichte, im Besitz kultureller Güter und Werte, in der
Pflege von Traditionen, in der gemeinsamen Sprache. In der Sprachpflege haben
einige der frühesten Museumsgründungen in den Ländern ihre Wurzeln.
Landesbeschreibung bedeutet daher mehr als nur eine auf Grund
zusammengetragener Dokumente das Land zu ‚beschreiben’. Mit und durch die
Beschreibung entsteht etwas Neues – ein Wissen von der Einheit und Besonderheit
des Landes, wie es das vorher so nie gegeben haben konnte. Diese Beschreibung
ist ‚Nation Building’ und es
interessant, dass zu dieser Zeit für die Steiermark auch der Begriff Nation
auftaucht und für das Museum in Graz der Begriff ‚Nationalmuseum’.
Eine identitäre Funktion läßt sich für alle Landesmuseen
beobachten. Beim Vorarlberger Landesmuseum zum Beispiel entdeckte man im
Prozess der Abnabelung von der kulturpolitischen Hegemonie, die das benachbarte
Tirol und das Landesmuseum in Innsbruck ausübten, in archäologischen Grabungen
bei Bregenz römische Siedlungsreste und baute darauf eine eigene Landesidentität
auf.
Die Landesmuseen werden gelegentlich zu Medien der
Selbstbehauptung im Vielvölkerstaat und 1848 sogar zu Katalysatoren der
Freiheitsbewegung. Das bereits 1804 gegründete Ungarische Nationalmuseum und das
1818 gegründete Tschechische Nationalmuseum erhielten beide im Jahr 1848 eine
überragende nationalpolitische Bedeutung. Während das Prager Museum zeitweilig
unter Kuratel der Wiener Behörden gestellt wurde, um zu verhindern, daß es zur
Plattform revolutionärer Bestrebungen wurde geschah genau das in Budapest: Von der
Freitreppe des Ungarischen Nationalmuseums verkündete der Dichter Sandor Petöfi
die Unabhängigkeit der Ungarischen Nation.
Hier spitzte sich die immer schon latent vorhandene
dissidente Funktion zu, die Museen vor 1848 haben konnten. Die Museen wurden zu
Trägern der Idee der politischen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.
Die Subversivität bürgerlicher Öffentlichkeit als praktisches
Instrument der Herrschaftskritik und Sphäre der protodemokratischen Beteiligung
der Bürger an den Staatsangelegenheiten explodierte 1848. Mit dem Scheitern der
Revolution bricht das rasch zusammen und entmutigt alle bürgerlichen
Ambitionen, auch die im Feld des Kulturellen, nachhaltig.
4 Museum und Öffentlichkeit am Beispiel Joanneum
Die erstaunliche politische Rolle einiger Landesmuseen ist in
erster Linie nicht ihrer Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit zuzuschreiben.
Sie wird von der aktiven Formierung bürgerlicher und liberaler Öffentlichkeit
getragen - mit der erwähnten dramatischen Zuspitzung, wie sie an der Rolle der
Museen in Prag und Budapest 1848 ablesbar ist.
Während wir heute dazu neigen, in Museen Orte der Bewahrung
zu sehen und der Vermittlung ästhetischer und historischer Werte, liegt der
Schwerpunkt der frühen Museumsgründung auf einem Diskurs der Bürger.
Bürgerliche Öffentlichkeit meint ja, sehr verkürzt formuliert, daß sich tendenziell
Gleiche unter Achtung und Anerkennung des Anderen zum Gespräch und zur Beratung
zusammenfinden können um ihre Angelegenheiten vernünftig zu regeln. Insofern
agieren sie als Staatsbürger, die als solche nicht ihre privaten, sondern die
öffentlichen Angelegenheiten erörtern, genau das, was res publica bedeutet: Diese unsere gemeinsame Sache.
Meine weiteren Überlegungen gehen deshalb in zwei Richtungen.
Ich möchte einerseits zum Joanneum zurückkehren und genauer an diesem Beispiel
die praktische Form von Öffentlichkeit beschreiben, die mit dem Museum
bereitgestellt wurde. Und andrerseits später die Frage stellen, was denn aus
dieser musealen Öffentlichkeit geworden ist und was sie heute bedeuten könnte.
Wir verständigen uns ja normalerweise schnell und zustimmend
über den öffentlichen Charakter von Museen, weil sie als allgemein zugänglich
gelten, was uns in den jährlich meist triumphalistisch verkündeten
Besuchsstatistiken scheinbar bestätigt wird.
1919 konnte ein ehrenwerter Museumsdirektor wie Gustav Pauli
auf einer Konferenz vom Museum als einer der "demokratischesten aller Bildungsinstitute", weil es "jedermann ohne Legitimationsprüfung
den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“ Die paternalistische Wendung
von der „stummen Belehrung“ lassen
wir ihm mal durchgehen, aber das mit dem Zugang für jedermann stimmt nun mal
empirisch nicht. Das Museum ist kein Ort der Bildung, es ist ein Ort der
Gebildeten, es wirkt sozial distinktiv, es schließt aus. Und zwar etwa die
Hälfte der Bevölkerung. Ist es nicht erstaunlich oder gar ein Symptom einer
Krise der Institution, daß heute die statistische Messung der Besuche das
einzige Kriterium zu sein scheint, das als Maßstab des Erfolgs und des Wertes
von Museen gilt?
Also kehre ich später zur Museumsgeschichte zurück, um nach
den Spuren des Museums als öffentlicher und demokratischer Institution zu
fahnden. Zunächst in der Geschichte des Joanneum, dann in der allgemeinen
Geschichte der Institution.
Ich bin auf die Geschichte des Grazer Joanneums schon in
meiner Studentenzeit gestoßen. Es war eines der ersten Museen, dessen
institutionelle Biografie mich interessierte. Ich war auf der Suche nach
Gegenpositionen zu einem elitistischen Verständnis vom Museum als Sammlungs-
und Forschungsinstitution, das damals von manchen namhaften Museumsleitern
vertreten wurde.
Beim Joanneum fand ich eine Form einer Öffentlichkeit, die
sowohl nach innen als nach außen wirkte. Wiewohl von einem Mitglied der
kaiserlichen Familie gegründet, hatte das Museum organisatorisch eine modere
Form. Es wurde von Vertretern der Stände getragen und vom Sekretär des
Kuratoriums geleitet. Einen Direktor erhielt das Joanneum nach über 120 Jahren
erst 1936. Das erste, von EH Johann zusammengesetzte Kuratorium bestand
maßgeblich aus radikalliberalen, aufklärerischen Bürgerlichen. Manche von ihnen
hatten der Jakobinerbewegung angehört, die unter Josef II. als republikanisch
und mit der Französischen Revolution sympathisierend barbarisch verfolgt worden
war.
Bürgerliche Öffentlichkeit organisierte sich in den vielen
Vereinen, die mit dem Joanneum vernetzt waren aber auch im Museum selbst: Es
hatte eine allgemein nutzbare Bibliothek, in der auch Bücher und Zeitschriften,
die unter Zensur standen, verfügbar waren. Das war nur durch persönliche
Intervention von EH Johann bei den Hofbehörden oder beim Kaiser möglich.
Die Bibliothek war auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet, das
zugehörige sogenannte Konversationszimmer von 10 – 21 Uhr.
„In kurzer Zeit“ berichtet der erste Biograf des Museums, „vereinigten diese Lesezimmer die
gebildetsten Männer aller Stände und die hoffnungsvollsten Jünglinge in sich
(...)“. Ein zweiter Kristallisationspunkt von Öffentlichkeit war die
Leseanstalt des Museums, etwas was im Vormärz eigentlich strikt verboten war.
Um eine eigene Vereinsgründung zu umgehen, die höchstwahrscheinlich keine
Genehmigung bekommen hätte, wurde deshalb 1817 eine sogenannte Erweiterte Leseanstalt als Einrichtung
des Museum gegründet. Den bis zu 250 Mitgliedern standen 5 Zimmer zur
Verfügung, 3 davon für wissenschaftliche, 2 für politische und
Unterhaltungsblätter. Die Leseräume waren täglich von 10-21 Uhr offen. Bis zu
200 in- und ausländische Zeitschriften lagen auf. Ein ‚Wünschebuch’ ermunterte
die Mitglieder, Vorschläge für Anschaffungen zu machen. Der Leseverein wurde damals
als "bedeutendste Anstalt dieser Art
in Deutschland" bezeichnet.
Bürgerliche Öffentlichkeit hatte im Vormärz subversive
Qualitäten und wurde entweder unterbunden oder überwacht. EH Johann dazu im
Jahr 1812: „Der Wißbegierde der Jugend
muß man keine Schranken setzen, nur sie gut leiten (…) Laut darf aber diese
Idee nicht werden, sonst streket die Censur ihre lange Hand über uns aus und
manch Gutes wird verbothen und das Institut verfällt unter einer Vormundschaft,
welcher wir bis izt klug entgiengen.“
Mit dem Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848
zerfiel diese Museumsöffentlichkeit. 1871 wurde der Leseverein aufgelöst. Das
Museum kam nach und nach unter stärkeren Einfluß der Landesbehörden. Schon 1850
hatte die Landesverwaltung verlangt, die Kuratoren selbst zu bestellen und 1861
wurde das Museum, ein Jahr nach dem Tod von EH Johanns, der Steiermärkischen
Landesvertretung unterstellt.
Seit damals hat sich das Museum schrittweise erweitert, aber
nie entlang einer konzeptionellen Leitvorstellung. Gründungen neuer Abteilungen
kamen aus höchst unterschiedlichen Gründungen zustande. Das zieht sich bis in
die jüngste Vergangenheit. Das 2003 eröffnete Kunsthaus war eigentlich als
städtische Einrichtung geplant, erwies sich aber als nicht durch die Stadt
finanzierbar.
Als ich 2005 kurz nach der Umwandlung des Joanneums in eine
GesmbH, das war 2003, in das Museum eintrat, hatte das Museum eigentlich ein
Stück Autonomie zurückgewonnen, aber gleichzeitig wurde gerade der alte Kern
seiner Öffentlichkeit, das Kuratorium, auf eine bloße Beratungsfunktion
zurückgestutzt und die existierenden Vereine vor allem als Ressource für
Einnahmen behandelt. Die größere Unabhängigkeit von der Landespolitik blieb
eine Illusion. Die Abhängigkeit von der finanziellen Förderung macht die
Organisation auch weiter willfährig gegenüber der Politik. Z.B. in der Personalpolitik
aber auch was den Durchgriff der Landespolitik ins Museum bis hin zu
Ausstellungswünschen betraf.
Die Umwandlung bedeutete die Durchsetzung einer überwiegend
ökonomischen Sichtweise, bei der die Betrieblichkeit der Institution,
„überwacht“ von einem genau dazu berufenen Aufsichtsrat, dominierte. Obwohl
sich im Kern am Museum als nicht profitabler Einrichtung nichts änderte,
stellte sich gewissermaßen performativ eine Wahrnehmung ein, die die Profitabilität
überbetonte. Eine Maßzahl wurde dabei, wie inzwischen überall, der
„Besucherumsatz“. Trotz der Ausgliederung blieb der Einfluß der Politik –
gleichzeitig auf mehreren Ebenen – erhalten. Einmal über die Gewährung der
Finanzmittel und der Festlegung ihrer Höhe, über die Gewährung von
Sondermitteln für einzelne Projekte, fallweise auch über die Personalpolitik,
insbesondere der Berufung der Geschäftsführung, und schließlich über die
Besetzung von Aufsichtsrat und Kuratorium im Parteienproporz.
Ein illustrativer Höhepunkt des politischen Einflusses war während
meiner Jahre am Joanneum der Wunsch eines Landesrat gewordenen Altachtundsechzigers
und Harley-Davidson-Fahrers, der sich eine Woodstock-Ausstellung wünschte, in
Graz wohlgemerkt, und sie auch bekam. Teuer, schlecht und kaum besucht. Die
Zeiten, da man, man wie EH Johann einst formulierte, jeglicher Vormundschaft klug entging, waren vorbei. Man wollte und
will das gar nicht mehr.
Im Jahr 2009 wurde dann das Museum von Landesmuseum Joanneum in Universalmuseum
Joanneum umbenannt. Ich hebe dieses Detail hervor, weil es symptomatisch
für die jüngste Entwicklung des Hauses ist. Diese Umbenennung erfolgte unter
nur noch symbolischer Einbeziehung der leitenden Mitarbeiter. Der Vertreter
einer Beraterfirma, der das Gespräch moderierte, das spürbar über eine bereits
gefällte Entscheidung geführt wurde, argumentierte, daß das Wort Landesmuseum ohnehin
bloß ein verwaltungstechnischer Begriff und daher obsolet sei.
Das provozierte meine historischen Kenntnisse und ich
argumentierte damals mit der Frühgeschichte und dem Gründungsstatut von 1811
gegen diese Verkürzung. Ich bin noch immer derselben Überzeugung von damals,
daß ein Museum mit einer derart starken historisch-institutionellen Identität
seinen Namen nicht hätte abstreifen sollen. Sondern daß man ganz im Gegenteil, auf
der Modernität der Gründungsinstitutionen aufbauend, aber das ganz ohne
Nostalgie, das Joanneum unter heutigen Bedingungen hätte rekonstruieren und
strategisch ausrichten können. Denn das Konzept des Joanneum von 1811 – ich
komme gleich darauf zurück -, verfolgte nicht eigensinnige und beliebige
Vorstellungen des Gründers, sondern entfaltete Strukturmerkmale der
aufklärerischen Museumsidee wie Öffentlichkeit, Wissensvermittlung,
gesellschaftliche Verantwortlichkeit und reflexiven Umgang mit kollektiver
Identität. Mit der Beibehaltung des alten Namens hätte man ihn gerade durch die
Aktualisierung ursprünglicher Bedeutung neu mit Bedeutung füllen und mit ihm
die strategische Ausrichtung des Hauses lancieren können.
Während die Leitung beim Namenstausch bei Universalmuseum an die Vielfalt der
Sammlungen und Standorte des Museums dachte - das Joanneum ist eins der größten
Museen Österreichs mit mehreren Dependancen in Graz und in der Steiermark -,
während also mit einer Art Universalität der Repräsentanz durch vielfältige
Sammlungen kokettiert wurde, träumte ich damals von einer Wiederbelebung
radikaler öffentlicher und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit.
Heute ist das Grazer Museum das einzige der Welt, das sich
„universal“ nennt und das sich damit und mit dem impliziten Vergleich mit dem
Metropolitan Museum, dem British Museum oder dem Louvre in Museumskreisen ein
wenig lächerlich gemacht hat. Aufgrund eines sehr rigiden Sparzwanges bekam es
ohnehin kaum Gelegenheit, sich im Glanz dieser Marketing-Idee zu sonnen: der
desaströse Landeshaushalt führte zu dramatischen Einschnitten, sogar die
Schließungen von Kernsammlungen wurde diskutiert, wie die des
Volkskundemuseums. Ganze Sammlungen sind inzwischen im Winter geschlossen und
andere werden auch übers Jahr nur eingeschränkt offen gehalten, die Zahl der
Ausstellungen wurde reduziert, beim Personal wird auf problematische Weise
gespart, indem man Funktionen zusammenlegt und auch Leitungspositionen an sehr
junge MitarbeiterInnen vergibt, weil das, noch dazu im Angestelltenstatus, der
GmbH billiger kommt.
Nach der Ausgliederung verfolgte die Museumsleitung die
Philosophie eines Konzerns mit unabhängigen Teilfirmen, gab also den Aufbau
einer inhaltlichen Identität so gut wie auf. Jede Firma, das heißt in diesem
Fall Abteilung, jeder Standort sollte seine spezifische Entwicklung nehmen
dürfen und zusammengehalten sollte alles letztlich nur durch ein Corpoarate Design
werden, das die Vielfalt in der Großstruktur visualisieren sollte. Man strebte
institutionelle Identität nahezu nur noch durch Marketing und die
Öffentlichkeitsarbeit an. Das verändert aber grundlegend die Beziehung zum
Publikum und zur Öffentlichkeit. Marketing, Vermarktung, betrifft die Bewerbung
und Lancierung von Waren an Konsumenten. Ein solches Modell ist der Idee
kritischer Öffentlichkeit diametral entgegengesetzt. Zur zentralen Prämisse
wurde auch hier der sogenannte Besucherumsatz. Die Museumsleitung träumte auf
der Basis von etwas über 300.000 durchaus problematisch erhobener Besuche, von
einer Million Besucher im Jahr. Also von der zumindest statistischen Konkurrenzfähigkeit
zu den großen Wiener Staatlichen Museen. Dieses Ziel wurde nie auch nur
annähernd erreicht.
Obwohl ich während meiner Zeit nicht weniger als drei Anläufe
zur Schaffung eines Corporate Design und nicht weniger als vier für die
Webseite erlebt habe. Dabei wurde bezeichnenderweise nie entschieden, ob man
sich auf das eigene Land konzentrieren sollte oder darüberhinaus auf ganz
Österreich oder gar international attraktiv sein wollte. Das heißt, daß der
Status als Landesmuseum seither undefiniert ist und daß es derzeit, verschärft
durch den jährlich dringlicheren Sparkurs, keine inhaltlich-strategische Linie
gibt.
Schwer wiegt, daß die Landespolitik keinerlei Auftrag an das
Museum formuliert, daß das dominierende Medium, eine regionale Tageszeitung,
weitgehend affirmativ berichtet und daß auch das Publikum keine Möglichkeit
hat, sich zu artikulieren. Von keiner Seite wird das Museum gefordert. Es
existiert, so kommt mir vor, derzeit in einem luftleeren Raum, unbehelligt von
Ansprüchen, Verpflichtungen und Verantwortlichkeit.
Die Zeit seit 2003 wurde genutzt um nahezu alle
Dauerausstellungen zu modernisieren und noch 2017 kommt es zu einer
schrittweisen thematischen Erweiterung. Die im 19. Jahrhundert gegründete
kulturhistorische Sammlung, die nach ihrer Übersiedlung in ein Innenstadtpalais
unter dem Titel Museum im Palais an mangelnder Akzeptanz litt, wird als
Geschichtsmuseum neu positioniert und es wird ein Science Center entstehen, das
2018 eröffnet werden wird. Damit kommt das Museum dem „Idealplan“ eines
umfassend repräsentativen Museums, also dem des „Universalmuseum“ nahe. Im
Grunde fehlen nur die Anthropologie und die Technik um ein, nach herkömmlichem
Museumsverständnis „komplettes“ Museum zu verwirklichen.
Der „Konzern“ wächst, er diversifiziert sich, aber damit wird
er weder globaler noch lokal spezifischer. Was mit dem historischen Auftrag,
administrativ-politisch ja noch aufrechten, passiert, ein Landesmuseum zu sein,
scheint mir ungewisser denn je.
Ich möchte hier nicht am Fall Joanneum Museumsbashing
betreiben. Die Situation des Museums ist schwierig. Es ist groß, es ist teuer
und es steht unter einem gewissen Druck, diesen Aufwand – vor allem finanziell
-, zu rechtfertigen. Diese Dialektik ist neu und auch ein – wohl unerwünschter
– Effekt der Ausgliederung. Denn in dem Maß, in dem man verwaltungstechnisch
auf eine eigenständige Betrieblichkeit setzt, wird das Kriterium der
wirtschaftlichen Rentabilität zum Erfolgskriterium per se. Wo früher eine zwar
kameralistisch enge und gängelnde Finanzierung immerhin die Windstille steter
Alimentierung garantierte, in der die Kernaufgaben des Museums von
wirtschaftlichen Sorgen und Mühen unbehelligt verrichtet werden konnte, sieht
sich jetzt das Museum (keineswegs nur das Joanneum) der Notwendigkeit
ausgesetzt zumindest ausgeglichen zu bilanzieren und dazu auch diverse
Drittmittel zu akquirieren, die ja selten ohne Erwartungen und Gegenleistungen
überwiesen werden. So darf man sich fragen, welchen Effekt es haben wird, daß
das Science Center von der Industriellenvereinigung gesponsert wird. Welche
Erwartungen hat die, welche Wünsche knüpft sie an ihre Geldspende?
Für die Profilierung von Landesmuseen gibt es eine Grenze,
die im Museumstyp eingeschrieben ist. Seine definitorisch exklusive Funktion.
Im Wort Landesmuseum wird eine Repräsentationsanspruch für eine auf einem
bestimmten Territorium lebende Gemeinschaft ausgedrückt, alles und alle anderen
wird sozusagen per Definition ausgeschlossen. Bei einem Technik- oder
Naturmuseum existiert ein derartiger Ausschluß nicht. Gerade der regionale
Identitäts-Imperativ wirkt hinderlich bei der Entfaltung einer überregionalen
Geltung und Wirkung. Warum soll ich als Kärntner ins Steiermärkische, als
Salzburger ins Tiroler Landesmuseum gehen und wie soll dieser Museumstyp je gar
suprantionale Effekte haben. Meiner Beobachtung nach konnte das Joanneum nur
mit Kunstausstellungen, namentlich denen moderner Kunst im auch architektonisch
spektakulären Kunsthaus, internationales Echo lukrieren. Und im sich permanent
verschärfenden Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, keineswegs nur in dem mit
anderen Museen sondern mit vielen kulturellen Einrichtungen und Events, haben
bestimmte Museen schlechtere Chancen als andere. Dazu gehören Stadtmuseen und
eben auch Landesmuseen.
Dabei hat sich das Joanneum seit 2003 umfassend erneuert: Die
meisten Sammlungen erhielten neue Ausstellungen in umfassend sanierten
Baulichkeiten und der Neubau der unterirdischen Erschließung und Verbindung der
beiden ältesten Standorte und der Titel Museumsviertel,
war vielversprechend. Doch gerade dieser Ausbau glückte nur teilweise und es
entfaltet sich dort kein urbanes Leben, obwohl die Voraussetzungen günstig
gewesen wären. Der architektonischen, ausstellungstechnischen und
inszenatorischen Erneuerung korrespondierte keine gleichermaßen beherzte
inhaltliche Erneuerung. Und der rigide Sparkurs des Landes nötigt nun schon
seit Jahren alles mit gedrosselter Energie zu betreiben.
6 Das Museum – so oder so eine
Entscheidung
Damit habe ich den
Schnelldurchgang durch die Geschichte des Grazer Joanneums fast beendet. Mir
ist diese Kurzgeschichte etwas dramatisch geraten. Der Kontrast zwischen dem
bemerkenswerten Auftakt und der problematischen Gegenwart ist hart ausgefallen.
Gerade weil in der Geschichte einer einzigen Institution mehrere Möglichkeiten
sichtbar werden, gerade weil sichtbar wird, daß es immer wieder
Entwicklungsstufen gibt, an denen eine bestimmte Entscheidung getroffen wird,
so oder so, bewußt oder unbewußt, wie
und zu welchem Zweck ein Museum zu denken und zu betreiben sei, wird jeder
vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und der spezifischen Geschichte „seines“
Museums (in dem er arbeitet), eigene Schlüsse ziehen können.
Worauf es mir ankam, war auf
Optionen hinzuweisen, die in der Entwicklung eines bestimmten Museums, des
Joanneums, aber strukturell im Museum allgemein angelegt waren. Optionen, von
denen manche verschwunden, vergessen, verdrängt oder entstellt worden sind.
Eine Absicht war, zu zeigen, daß in der Geschichte der
Institution Museum, nicht nur der des Joanneums, etwas Entscheidendes angelegt
ist, die Formulierung von nicht mehr und nicht weniger als eines gesellschaftlichen
Sinns des Museums. Auch hier gibt es selbstverständlich eine Wahl, wie man den
bestimmt. Man hat aber immer mehrere Optionen. Verantwortliche Politiker,
Museumsleiter und Kuratoren haben ihre Freiheit, wie sie ein Museum
positionieren. Nur das Publikum und die allgemeine Öffentlichkeit haben keine
Wahl. Sie haben keine Stimme, wenn es um die Konzeption und Gründungen von
Museen geht. Hier liegt ein Problem – eins, das ich hier nicht weiter verfolge.
So sehr man also die Wahl hat - was ich nicht glaube ist, daß
man den „Sinn“ des Museums (man kann von mir aus auch sagen: das Ziel, die
mission oder was immer) offen zu lassen. Meist geschieht dies. Museen, die sich
nicht darüber im klaren sind, was sie eigentlich tun und wozu, verfehlen ihren
Auftrag. Man kann Ideen adaptieren, ändern, modernisieren und daher mehr oder
weniger stark in der historischen Idee des Museums angelegte strukturelle
Elemente ebenfalls adaptieren und reformulieren. Was man meiner Meinung aber
nicht tun kann, sich nicht darüber Rechenschaft abzulegen, wovon man sich bei
der bewußten oder unbewußten Positionierung einer Museumsarbeit verabschiedet,
was man verwirft und aus welchen Gründen man das tut.
Im letzten Teil meines Vortrages möchte ich deshalb die noch
verstreut und unverbunden in meinem Text umhergeisternden Begriffe wie
Öffentlichkeit, Identität und Demokratie miteinander in Verbindung setzen. Mit
anderen Worten, mich mit der Zukunft einer Idee vom Museum beschäftigen, die
neuerdings auch schon mal – nämlich von Walter Grasskamp in seinem Buch über
das Kunstmuseum -, eine erfolgreiche
Fehlkonstruktion genannt worden ist.
7 Der gesellschaftliche Sinn des Museums
Ich kehre ich ein letztes Mal zur Geschichte des Joanneums
zurück, und zwar zum Gründungsstatut, das EH Johann 1811 verfasst hat.
Wegen der altertümlichen und daher gewöhnungsbedürftigen
Sprache zerlege ich den kurzen Textausschnitt gleich in kommentierte Einzelteile.
Am Beginn steht ein allgemeiner gesellschaftspolitischer Imperativ, wie eine
Feststellung einer Tatsache, die Notwendigkeit und Wünschbarkeit von
Fortschritt. Ich zitiere: „Stäte
Entwickelung, unaufhörliches Fortschreiten ist das Ziel des Einzelnen, jeden
Staatenvereines, der Menschheit“. (...) „Stillestehen
und Zurückbleiben ist (…) einerley.“
Um einen Stillstand zu vermeiden, bedarf es etwas, was ich
heute als kollektive Geistesgegenwart bezeichnen würde, als historischen Tastsinn (Dan Diner), als
seismographische Gabe des Museums, auf Gegenwart zu reagieren: „Das Vorbild jener Wachsamkeit,
Willenskraft und Erfindungen, wodurch Heere, Regierung, Kunstfleiß musterhaft
werden, muß den Geist unaufhörlich emporhalten, um bei jedem Aufrufe des Vergangenen
würdig, der Gegenwart gewachsen, für die Zukunft wohlthätig zu seyn.“
Hier ist also von einer
transgenerationellen Erfahrung die Rede, die die drei Zeitdimensionen,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet, also
Geschichtsbewußtsein als Basis für zukunftsoffene und zukunftsfähige Entwicklung
stiftet.
Dann geht es um „Die Nothwendigkeit, gründliche Kenntnisse
an die Stelle hohler Vielwisserei, Kraft und Festigkeit an jene der immer
weiter umgreifenden Frivolität und egoistischen Zurückziehens, reges Leben und
unerschütterliche Fassung an die Stelle dumpfen Hingebens, einer schmählichen
Gleichgiltigkeit, eines kargen Abfindens mit seinen Pflichten zu setzen (..)“.
Man mag das mit Wissen, im
engeren Sinn mit Wissenschaft oder mit Bildung übersetzen, alles steht hier freilich
im Dienst einer überindividuellen Aufgabe der Bewältigung der öffentlichen
Angelegenheiten. Deshalb steht nicht wie noch wenige Jahrzehnte zuvor bei
Sammlungsinstitutionen die Loyalität zum Herrscher im Mittelpunkt und die
Würdigung seines Mäzenatentums, sondern die zum gesellschaftlichen Ganzen. Es
geht darum „ (...) mit ganzem Herzen sich
anzuschließen ans theure Vaterland, auf die höchste National-Angelegenheit, auf
die Erziehung unablässig sein Augenmerk zu richten (…). Und erst jetzt kommt
der Text auf den Gegenstand, den Inhalt des Museums zu sprechen. „Dasselbe soll alle in den Umkreis der National-Literatur gehörigen
Gegenstände in sich begreifen. Alles, was in Innerösterreich die Natur, der
Zeitwechsel, der menschliche Fleiß und Beharrlichkeit hervorgebracht haben,
was die Lehrer der verschiedenen öffentlichen Anstalten ihren wißbegierigen
Zöglingen vortragen. Es soll dieselben versinnlichen, dadurch das Lernen
erleichtern, die Wißbegierde reitzen, jenes dem Selbstdenken und hiemit der
Selbständigkeit so nachtheilige bloße Memoriren, jene schädliche Kluft zwischen
dem Begriff und der Anschauung, der Theorie und der Praxis mehr und mehr
ausfüllen helfen.“
Der Schluß ist das vielleicht Verblüffendste an dem Text,
denn er stellt so etwas wie eine medientheoretische Begründung dar, warum denn
ausgerechnet ein Museum die Kerntugend von Aufklärung, das „Selbstdenken“
fördern und die großen gesellschaftlichen Aufgaben bewältigen helfen soll. Es
ist die Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit, die das Museum auszeichnet, sein
Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu vielen anderen Medien und Institutionen
ist aber nicht als Verdinglichung gedacht wird. Objekte sind hier nicht, wie
das oft im Museumsdenken Platz greift, um ihrer selbst willen das Zentrum,
sondern als Medien der Kommunikation mit spezifischen Eigenschaften.
Das für mich bis heute Beeindruckende an diesem
ausschnittsweise zitierten Statut ist die gesellschaftspolitische Zielsetzung.
Welches Museum leistet sich noch eine derart emphatische Selbstvergewisserung
in Form einer ausformulierten gesellschaftlichen Verantwortung?
So wie das Joanneum bei seiner Gründung konzipiert wurde,
läßt sich manches auf Sammlungspolitiken des späten 18. Jahrhunderts, auf die
Praxis mancher Fürstenmuseen zurückführen, die bereits viel stärker das
Gemeinwohl als die persönliche Repräsentation verfolgten (wie die erwähnten in
Wien oder Florenz). In der betont instrumentellen Rolle des Museums als
Katalysator der wirtschaftlichen Entwicklung erkennt man physiokratische Ideen
derselben Zeit. Aber die Zwecksetzung im Dienst eines Landes, einer Nation, die
in die Hände politisch aktiver Bürger gelegt wird, das ist neu. Und nicht
denkbar ohne die großen Museumsgründungen während der Französischen Revolution
in den Jahren 1793 und 94.
Das Museum d’Histoire Naturelle knüpfte an die große
Wissenschaftstradition des königlichen Naturalienkabinetts an, stellte
Forschung und Experiment aber ganz in den Dienst der Gesellschaft wie auch ein
neuartiger Museumstyp, das Musée des Arts et des Metiers, das handwerkliche und
industrielle Produktion beflügeln sollte, eine Aufgabe der auch die in jenen
Jahren im Louvre ausgerichteten Industrieausstellungen hatten. Ehe ich auf das
dritte Museum zu sprechen komme, das Kunstmuseum im Louvre, ein Wort zum
Stellenwert dieser Gründungen.
In der Museumsgeschichtsschreibungen ist es nur eine
Minderheit von Forschern, die diesen Gründungen den Status einer
grundsätzlichen neuen praktisch wie theoretischen Auslegung des sehr alten
Wortes Museum geben. Museum das ist die latinisierte Fassung von museion, dem Ort, an dem sich in der
griechischen Mythologie die Musen, Töchter der Göttin des Gedächtnisses
Mnemosyne in Tanz und Gesang zusammenfinden. Meist wird über verschiedene
Entwicklungsstationen wie das hellenistische Museion in Alexandria, die
Sammlungsgründungen in der italienischen Renaissance und die fürstliche Sammel-
und Ausstellungspolitik ein großer kontinuierlicher Bogen bis zur Institution
der Gegenwart geschlagen. Andere Forscher sehen in der Zeit der Aufklärung und
bürgerlichen Revolution ein neues Modell vom Museum entstehen. Seit ich mich
mit Museumsgeschichte beschäftige, habe ich mich immer auf die Seite dieser Auffassung
geschlagen und ich vertraue darauf, daß ich hier, wenn auch nur knapp gerafft,
etwas von der Bedeutung dieser Museumsjahre und -gründungen als Zäsur vermitteln
kann.
Als genuin französische Entwicklung wurde das Pariser
Museumsmodell rasch in die Provinzen Frankreichs verpflanzt, mit über einem
Dutzend Gründungen in diversen Departements. Mit den napoleonischen Feldzügen
wurde das Museum nach Europa getragen. Meist wird dabei der die Feldzüge
begleitende Kunstraub diskutiert, der namentlich dem Louvre zugutekam, diskutiert
und die produktive Rolle der Kulturpolitik Frankreichs geflissentlich
übersehen. Manche der heute noch bedeutendsten Museen sind Gründungen der
napoleonischen Administration, wie z.B. das Rijksmuseum in Amsterdam, der
Madrider Prado, das Museum der Schönen Künste in Brüssel, die Brera in Mailand
oder die Accademia in Venedig. Kaum eine Museumsgründung der ersten Jahrzehnte
des 19. Jahrhunderts konnte sich dem Einfluß des neuen Museumsmodells
entziehen, das nahezu augenblicklich auch vom Französischen zum europäischen
Exportschlager wird - mit Museumsgründungen noch im ersten Jahrzehnt in allen
Kontinenten. Heute gibt es praktisch kein Land der Welt ohne Museum und sie
alle folgen mehr oder minder noch immer den im letzten Drittel des
18.Jahrhunderts im Kontext von Revolution und Aufklärung entwickelten
Prinzipen.
Welche das sind kann man am besten am Louvre und der
Geschichte seiner Entstehung studieren - der wichtigsten Gründung während der
Revolution. Als am 10. August 1793 das Museum im Königsschloß eröffnet wurde,
ist das der Tag eines großen Festes und Festzuges in Paris, in der Zigtausende
auf den Straßen sind um einer Zeremonie beizuwohnen. Vertreter aller
Departements ziehen mit der Bevölkerung an ephemeren Denkmäler vorbei um
schlußendlich vor der Statue der Weisheit gemeinsam aus einem Brunnen zu
trinken (unschwer als Kommunion zu erkennen) und in einem Schwur die
Unteilbarkeit der Nation feiern. Die Zusammenlegung der Ereignisse, Fest und
Museumsöffnung, erfolgt genau kalkuliert, politisch vom Innenminister Garard,
inszenatorisch vom Maler David, dem Vorsitzenden des Museumsausschusses des
Parlaments, geplant. Der Historiker Arthur McClellan hat das, was an diesem Tag
passierte in seinem Buch über den Louvre so beschrieben: „The investiture of the Louvre with the
power of a Revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To
the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty,
Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience
of communal ownership, and clearly many did.“
Der Tag ist überdeterminiert. Es ist Jahrestag der Erstürmung
der Tuilerien und der Verhaftung des Königs und der, an dem eine neue, die
erste republikanische Verfassung Frankreichs deklariert wird.
Er verändert nicht nur das Museumspublikum, wie McClellan
schreibt, er verändert das Museum als Ganzes. Museen sind ab nun zivilisierende
Rituale, in denen sich Gemeinschaften über sich selbst, ihre Herkunft, ihrer
Geschichte und der Grundlagen ihrer Gemeinsamkeit versichern.
8 Das Museum – ein
zivilisierendes Ritual des Sich-Sammelns
Museen sind ab nun Medien der
Selbstauslegung und Selbstvergewisserung im Rückgriff auf gesammelte
Gegenstände. Exponate verstehen wir als Dinge, die Geschichte repräsentieren
oder die erlauben, vergangenes Leben und vergangene Ereignisse in die Gegenwart
heraufzurufen.
In der Museumspraxis hat man meist die inhaltliche und
narrative Seite im Auge, das heißt, die Ausstellung als den kommunikativen
Brückenschlag zum Besucher, die Objekte als Medien, die visuelle Erzählung, die
ihm erlaubt Wissen zu erwerben und Erfahrungen zu machen. So besehen ist der
Museumsbesuch ein eigentümlicher Lernort, der sich, wie uns die
Museumssoziologie versichert, eher zerstreute Aufmerksamkeit und selten Lernen
im konventionellen Sinn einstellen. Darüber hinaus ist der Museumsbesuch ein
zivilisierendes Ritual, in dem
sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischen und
in dem der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten reflexiv geprüft
und abgewogen werden kann.
Obwohl die
ungeschriebene Museumsetikette unverbindlicher zu werden beginnt, „wissen“ wir
alle, wie wir uns in Museen zu verhalten haben, dezent, rücksichtsvoll
(gegenüber Besuchern), anerkennend (gegenüber den Exponaten).
Dabei entpuppt
sich das Museum mehrfach als Ort der Sammlung: wir sammeln uns im Sinne von
„Konzentriert-Sein“, „Empfänglich-Sein“ – ehe wir auf eine Sammlung treffen wo
wir die Dinge in ihrer spezifisch erzählerischen oder visuellen Qualität würdigen.
Sie bilden eine Sammlung die deponiert, registriert, konserviert und inventarisiert
wird. Ab der Revolution ist dieser kulturelle Schatz Gemeinbesitz aller Bürger
– das ist ja heute bei den meisten staatlichen Museen so. Das ist also auch neu
und neu ist, daß alle das Recht haben, diesen Schatz, ich verwende ein Wort der
Revolutionszeit, diesen Schatz zu genießen. Nicht wie bisher, wenn ein privater
Sammler aus Gunst den Zutritt gewährte, sondern ab nun als verbrieftes Recht.
Die französische Verfassung erhebt damals das Recht auf Bildung in
Verfassungsrang – übrigens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Recht auf Arbeit.
Das Gesammelte,
dieser museale Schatz, sammelt aber selbst, nämlich das Publikum. Im Museum
versammeln wir uns um Dinge wie um ein symbolisches gut, um eine cosa nostra.
Etymologisch läßt sich die Engführung von Sammlung im Sinn
von Zusammenstellung von Dingen einerseits und Sich-Sammeln im Sinn von
Zusammenkomme um etwas zu sehen und zu erfahren gut nachvollziehen. Das
altnordische Wort thing für die
periodische Volksversammlung zum Zweck der Regelung der gemeinsamen
Angelegenheiten und für den Ort, an dem diese Versammlung stattfindet, die
Thingstätte, wird genau so geschrieben wie das englische Wort thing für Ding, Sache. Die ältere
Bedeutung ist heute noch gegenwärtig in vielen Bezeichnungen, etwa in der
Bezeichnung Storting für das
Schwedische Parlament.
Kaum ein Museumsbau verzichtet auf einen empfangenden
Bedeutungsraum, an dem dieses Ritual des Sich-Sammelns zum Ausdruck kommt und
sich formieren kann. Häufig finden wir in solchen Räume noch keine
Ausstellungsgegenstände, denn das Objekt dieses Raumes ist das sich einfindende
Publikum, das sind „wir“.
Was dann in den
Schauräumen zu sehen gegeben wird, scheint verstörenderweise unter diesem
Gesichtspunkt des rituellen Sich-Sammlens arbiträr zu sein. Archäologische
Relikte, kanonische Kunstwerke, technische Apparaturen oder meinethalben
ländliche Trachten - nahezu alles scheint geeignet zu sein, als Common object eine einerseits
individuelle (jeder Gegenstand ist ein dem Subjekt Gegenständiges) andrerseits
aber auch gemeinschaftliche Erfahrung zu stiften.
Um den Prozeß der Herausbildung des common objects, dieses Dings,
das sammelt, zu verstehen, gehe ich noch einmal zu den Jahren 1789ff.
zurück. Mit dem Beginn der Revolution setzt ein Bildersturm ein, der die
Zeichen des Ancien regime beseitigen will. Bücher, Kunstwerke, Archivalien sind
betroffen, ganze Kirchen werden abgebrochen, verkauft oder mindestens säkularisiert.
Besonderer vandalischer Eifer gilt den Königsdenkmälern, auch die Königsgalerie
an der Fassade von Notre Dame wird zerstört und die Königsgräber in Saint Denis
geplündert. An den einschlägigen Debatten im Nationalkonvent kann man ablesen,
wie sich aus dem Bildersturm heraus die genau gegenteilige Politik des
Bewahrens, Sammelns und Deponierens entwickelt und wie für das Ganze der nun
pfleglicher behandelten kulturellen Werte ein neues Wort in Umlauf gesetzt
wird: Patrimoine, also so viel wie:
väterliches Erbe. Etwas, wofür dann in allen Sprachen Äquivalente geschaffen
werden: Heritage, kulturelles Erbe
oder I beni culturali.
Die Politik der Zerstörung weicht dem Gegenteil, einer der
Bewahrung. Diese Entwicklung mündet in die Gründung erster großer Museen, die
genau in dem Jahr entstehen, in denen der König verurteilt und hingerichtet
wird.
Der Zusammenhang ist auffällig und nicht zufällig. Mit der
Verurteilung und Guillotinierung des Herrschers verliert die französische
Gesellschaft ihr einigendes Band, ihr Zentrum, ihr zentrales Symbol. Die
Versuche, etwas an ihre Stelle zu setzen, die großen politischen Feste, eine
Vernunftreligion und anderes, scheinen nicht zu genügen. Es geht ja nicht nur
um den König. In der Revolution wird mit der gesamten Herkunftsgeschichte
gebrochen, ein Neuanfang gesetzt, wie er sinnfälliger als in der Zerstörung der
Uhren in der Stadt kaum zum Ausdruck kommen kann. Eine neue Zeit soll beginnen,
alles Alte soll abgestreift werden. Aber keine Gesellschaft kann ohne eine
Vorstellung ihrer Herkunft existieren. Die läßt sich nicht abbrechen und
zerstören, wie die Denkmäler im Bildersturm. Der Furor des Verschwindens ist
ängstigend und bedrohlich.
Es scheint mir legitim, auch die Museumspolitik der
Revolution als Versuch zu interpretieren, der drohenden Desintegration der
Gesellschaft entgegenzuwirken. Das kulturelle Erbe ist ja etwas, was bis heute
eine solche Funktion übernehmen kann, manchmal sind es sogar einzelne Objekte, denen
man das zuschreibt, meist genügt die Abstraktion ganz allgemein.
Der Platz, den der Französische König eingenommen hat, wird
aber nie wieder besetzt werden können – nicht unter republikanisch-demokratischen
Bedingungen. Denn in der Demokratie ist der Platz der Macht leer, darf nicht
auf Dauer besetzt werden. Ausübung der Macht unterliegt periodischem, durch
Wahl reguliertem Wechsel.
9 Reflexionsort Museum
Demokratische Gesellschaften existieren mit einem permanenten
Mangel und einer permanenten Auseinandersetzung um den leeren Platz der Macht.
Deshalb kann es unter solchen Bedingungen auch keine kollektive Identität wie
etwas Feststellbares, Endgültiges, Essentielles geben. Auch sie ist ständig umkämpft,
umstritten und die Postulierung gemeinsamer Werte, führt erneut in Widersprüche,
weil auch die umstritten und umkämpft sind. Das muß man in Zeiten wie diesen,
wo die Wertedebatte eine so große Rolle spielt, nicht weiter erläutern.
Das macht Demokratien so verletzlich und anfällig für
Beschädigungen. Vor allem dann, wenn es an Gelegenheiten und der
Entschlossenheit fehlt, sie jederzeit zu verteidigen und lebendig zu halten. Für
die nötige und unvermeidliche Auseinandersetzung braucht es Orte und Formen,
braucht es Öffentlichkeit.
In den späten 50er-Jahren hat Jürgen Habermas seine große
Studie zum Strukturwandel der
Öffentlichkeit dieser zentralen politischen Kategorie gewidmet. Was er
untersucht ist die liberale, bürgerliche Öffentlichkeit, ohne die Demokratie
nicht denkbar und nicht lebbar ist. Nebenbei gesagt identifizierte er
ausgerechnet das Museum und die Ausstellung als Geburtsort dieser
Öffentlichkeit. Nämlich die Ausstellungen der Königlichen Akademie der Künste
in Paris und ihre seit dem späten 17. Jahrhundert periodisch ausgerichteten
Kunstausstellungen, die nach ihrem Veranstaltungsraum im Louvre bis weit ins
19. Jahrhundert als Salon bekannt
sein werden. Der Zerfall normativer ästhetischer Vorstellungen bewirkt, daß die
Geltung und Qualität von Kunst ab nun dem Urteil der öffentlichen Meinung
unterworfen ist.
Merkmale bürgerlicher Öffentlichkeit sind die Zusammenkunft
unter tendenziell Gleichen, Herrschaftsfreiheit, Zwanglosigkeit, und die
Achtung und Anerkennung des Anderen. Allessamt Bedingungen unter denen ein
vernünftiges Aushandeln der öffentlichen Angelegenheiten stattfinden kann.
Insofern das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher
Öffentlichkeit ist, kommen wir zum erstaunlichen Schluß, das das Museum nicht
einfach nur politisch im Sinne einer ideologischen Zuschreibung oder Haltung sein
kann, sondern daß es (unter demokratischen Bedingungen wohlgemerkt) ein Ort des
Politischen selbst ist. Ein paradoxer Ort, an dem die Integration der
Gesellschaft hergestellt werden soll und das im Wissen, daß dies immer auch
scheitern wird und muss. Paradox aber noch dazu zweitens, weil das Museum ja
selbst ein umkämpfter Ort des Symbolischen ist, als, ich zitiere die Wiener
Museologinnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, „... Teil der kulturellen Praktiken, in denen sich
Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und kollektive Narrationen sowie
gesellschaftliche Wissensformen und Diskurse manifestieren.“
Das Museum neigt als Medium und Institution dazu, die Werte,
die es vertritt als unumstößlich auszugeben. Die lange Dauer der Formierung
etwa eines Kunstkanons erscheint uns im Museum als objektiv und wahr, als
natürlich, obwohl in den Prozeß der Kanonisierung Ausschlüsse, Zuschreibungen,
Deutungen usw. eingegangen sind, die aber nun im Museum gleichsam unsichtbar
geworden sind. Es gibt so etwas wie eine Macht der Anordnung (im weitesten
Sinn), die in jedem Museum wirkt und als Wahrheitsgeschichte erzählt wird. Da
die Interessen, die in den Prozess der Auswahl und Deutung eingegangen sind,
immer die kleiner gesellschaftlicher Gruppen, Eliten gewesen sind, aber als
unumstößlich und allgemein gültige, also im sozialen Sinn auch allgemein
verbindlich für jedermann ausgegeben werden, hat das Museum eine hegemoniale
Funktion.
Hier liegt ein weiterer Grund, warum das Museum selbst
Öffentlichkeit herstellen sollte, weil nur unter dieser Bedingung die Macht der
Anordnung, die Macht einer versteckten Autorschaft gebrochen werden und die
Unumstößlichkeit von Deutungen relativiert oder auch verworfen und ersetzt
werden kann. Öffentlichkeit des Museums besteht ganz und gar nicht in seiner
(ohnehin begrenzten) Zugänglichkeit, sondern in der aktiven Teilhabe der
Besucher und möglichst der Allgemeinheit. Museen können nicht bloß darauf
warten, daß Besucher kommen, sondern müssen selbst Öffentlichkeit aktiv
herstellen. Das ist aber eher selten der Fall, die Museen haben dafür und für
die Tragweite dieser Frage kein ausreichendes Problembewußtsein. Alles was sie
an mehr oder weniger neuen Formen der Zuwendung zum Publikum entwickeln, vom audience development bis zum
Kindergeburtstag, von der Seniorenführung bis zum partizipativen Projekt, vom
ermäßigten Eintritt für Kinder und Jugendliche bis zur langen Nacht im Museum,
ist so lange irrelevant, solange nicht qualitativ eine diskursive und reflexive
Öffentlichkeit hergestellt wird. Nur an diesen diskursiven und reflexiven
Qualitäten dürfte man all diese Anstrengungen und Maßnahmen messen.
Es gibt noch eine andere Bedeutung von Öffentlichkeit. Sie zu
erläutern klärt etwas über das Verhältnis von Gesellschaft, Staat einerseits
und Allgemeinheit und Publikum andrerseits auf. Öffentlich ist das Museum als
vom Staat im Interesse der Gesellschaft
eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus
Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen
Institutionen, die wir deswegen öffentlich nennen, einem Gesellschaftsziel
dient.
Das Museum ist eine Einrichtung des Wohlfahrtsstaates wie
Schulen, Kliniken, Bäder, Verkehrsmittel, Universitäten, Gefängnisse und vieles
andere mehr. Deren Sinn erschöpft sich ja auch nicht in ihrer Zugänglichkeit
(wir rechnen nicht damit, je freiwillig ein Gefängnis betreten zu „dürfen“),
sondern sie heißen allesamt öffentlich insofern sie gesellschaftliche
Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten bedienen. Wohlfahrt mag ein Wort sein,
das wenig attraktiv klingt. Aber es umfasst weit mehr als das, was wir heute
unter Sozialstaat verstehen, also nicht bloß die Transferleistungen, die einen
sozialen Ausgleich und ein Minimum an Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten für
jedermann garantieren. Wohlfahrt meint das Wohlergehen ausnahmslos aller.
In den ältesten demokratischen Verfassungen, der amerikanischen
und der erwähnten französischen von 1793 steht an Stelle des Wortes Wohlfahrt
noch ein anderes, das auf einen Schlag klar macht, was auf dem Spiel steht, nämlich
das Wort Glück. Und das als höchstes Staatsziel als zentraler Zweck der
Gesellschaft.
Seinen gesellschaftlichen Sinn könnte man beim Museum ganz
allgemein in der Bereitstellung eines Aushandlungsraumes sehen, an dem in Form
eines zivilisierenden Rituals Menschen zum Zweck der Selbstdeutung und
Selbstauslegung zusammenkommen. Hier verständigen sie sich über ihre Herkunft
und Zukunft, über gemeinsame Werte, über ihr Eingespanntsein in die Dialektik
von Eigenem und Fremden oder Natur und Kultur wie über das Verhältnis von
Mehrheit und Minderheiten oder die Differenz von biologischem und kulturellem Geschlecht.
Jede dieser Funktionen ließ sich an den einschlägigen Museumstypen bis ins
Detail der Museumsroutinen beobachten und beschreiben, egal ob wir vom
Heimatmuseum oder vom Technikmuseum, vom Kunstmuseum oder vom ethnologischen
sprechen. In jedem Museum ließen sich diese Themen wie in homöopathischen Spuren
lesen, an einzelnen Objekten und Arrangements, an Texten oder Ensembles. Oft
nur wie Symptome, die das Museum, also die MitarbeiterInnen immer dann bilden,
wenn sie sich dem Ungewußten in ihrem Tun nicht stellen und allenfalls in
Versprechern und Fehlleistungen uns das Unausgesprochene in ihrer Intention indirekt
zugänglich wird. Reflexive Öffentlichkeit ist also auch eine Frage der
Museumspraxis, sie zwingt dazu, alle Entscheidungen bis in die organisatorischen
oder gestalterischen Feingriffe hinein, zu bedenken und zu begründen. Auch
davon sind viele Museen weit entfernt.
Reflexivität ist auch gefordert, wo es um das „unmögliche
Objekt“ geht. Diese Reflexivität müsste auf der Ahnung beruhen, dass es
unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu
konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie
immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali,
dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, oder besitzen
wollen und suchen, es entzieht sich uns ständig.
Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und
festzuschreiben, muß ein Museum, das dieser Problemlage standhält, die Fähigkeit
besitzen, reflexiv mit sich selbst umgehen. Es bedarf einer Reflexivität, die
sich freilich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort
demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer mehrfachen, auf sein Tun
gerichteter Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz
des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen
der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen. Dazu
gehört das Wissen, daß Museen auch repräsentieren „...was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden
sollte oder jedenfalls verborgen blieb (...) Die Präsentation wachsender
Naturbeherrschung verweist auf die Naturzerstörung, die Musealisierung fremder
und vergangener Kulturen auf deren gewalttätige Eroberung und Vernichtung durch
eben die gesellschaftlichen Kräfte, die ihnen im Museum ihr Interesse
bekunden.“ (Sabine Offe).
Im Ausmaß der Reflexionsfähigkeit und der Fähigkeit Räume zur
Reflexion sich selbst und für andere zu schaffen, entscheidet sich, ob und wie
weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der
gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst
als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas)
ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“,_ wo Demokratie immer
wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.
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