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Mittwoch, 24. Juli 2013

Das Haus der Natur in Salzburg reagiert auf Kritik und berichtet über sein Projekt zur Erforschung der Geschichte des Museums

Zum neuesten Stand der Erforschung, Diskussion und Aufarbeitung der Rolle von Eduard Paul Trat und des von ihm gegründeten naturmuseums durch das Haus der Natur selbst siehe den Post „Das Haus der Natur stellt sich zum ersten Mal seiner Gesichte. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2014/10/das-haus-der-natur-stellt-sich-zum.html  
 
Auf meine Kritik, daß das Haus der Natur in Salzburg sich noch immer nicht seiner Geschichte stellt (hier: http://museologien.blogspot.co.at/2013/06/selbstverordneter-gedachtnisschwund-das.html, einschließlich eines Kommentars von Direktor Windung zu meinen Ausführungen), obwohl doch mehrfach in Publikationen die Rolle des Museums und seines Gründers und langjährigen Leiters, Eduard Paul Tratz dargestellt worden war, hat der Leiter des Museums, Norbert Winding reagiert. Es gibt nun auf der Webseite eine wenn auch knappe so doch unmissverständliche Information (hier: http://www.hausdernatur.at/zeittafel.html) und einen ausführlichen Hinweis zum laufenden Forschungsprojekt und der vorstudie dazu (hier: http://www.hausdernatur.at/geschichtsprojekt.html).
Ich möchte die rasche Reaktion von Direktor Winding ausdrücklich anerkennen, auch als Indiz, daß sich das Museum nun langsam aus seiner Belastung emanzipiert und vielelicht aus einem kritischen Blick auf die Institutionsgeschichte auch Freiräume für neue Strategien gewinnen könnte.

Mittwoch, 12. Juni 2013

Zlatorog oder wie ich beim Recherchieren auf Abwege gerate...

Als ich gemeinsam mit Freunden vor Jahren im Auftrag des Österreichischen Alpenvereins an der Ausstellung "Berge - Eine unverständliche Leidenschaft" arbeitete, beschäftigte uns ein merkwürdiges, ja sogar befremdendes Gemälde aus der Sammlung des AV. Es zeigte einen weißen, weinenden (sic!) Gemsbock vor einer Berglandschaft, aus dessen Wunde Blut fließt, das wiederum eine rote Pflanze emporwachsen läßt.

Martin Scharfe, der an der Ausstellung mitgearbeitet hat, widmet dem Zlatorogbild in seinem Buch "Bilder aus den Aplpen" eine knappe Analyse: 1877 hatte der Schriftsteller Rudolf Baumbach ein umfangreiches Gedicht "Zlatorog. Eine Alpensage" veröffentlicht. Darin ist von jenem "heiligen Tier" die Rede, das wir auf em von Karl Huck gemalten Bild von 1923 vor uns haben, das Tier, das bei Strafe des eigenen Todes nicht erlegt werden darf. Wer gegen das Tabu verstößt, stürzt in die Tiefe oder wird vom (was auf dem Gemälde "ungesagt" bleibt) Tier selbst getötet.

Gestern ist er mir wieder begegnet. Der Zlatorog. Beim Recherchieren zum Salzburger Haus der Natur. Und zwar in einer Publikation von 1930 "Das neue Museum für darstellende und angewandte Naturkunde in Salzburg", an der die vielen Fotografien bemerkenswert sind, die ein frühes Stadium der Entwicklung des heutigen Hauses der Natur dokumentieren.
Da war er wieder, der heilige weiße Gemsbock. Ausgestopft und umfangreich mit Texten kommentiert. Also als "historisches" und nicht legendhaftes Tier. Und: Vom Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand im Blühnbachtal (das man in Salzburg findet) am 27. August 1913 getötet. Ja, genau der Franz Ferdinand, der nicht einmal ein Jahr nach seinem Jagdfrevel tot war. Zunächst dachte ich, daß das Haus der Natur da Mythos und Geschichte vermengt hat, wie es das seit seiner Gründung in verschiedenen Abteilungen zur Jagd oder direkt zu Sage und Märchen ja getan hat. Aber der hstorische Schuß des Thronfolgers fiel wirklich

Den ultimativen und emprisch abgestützten Beweis für die Wirkmacht der legendhaften Überlieferung bietet uns das Schicksal eines Waid- und Staatsmannes, der die Jagdmordlust von Franz Ferdinand womöglich weit übertroffen hat: Nicolae Ceauşescu. Ich zitiere ausführlich aus der Zusammenfassunbg einer historischen Forschung zu Ceauşescu dem Jäger (Siebenbürgische Zeitung vom 7. Februar 2010):

"Es ist kaum anzunehmen, dass in der Geschichte der Menschheit je ein anderes Individuum innerhalb von 24 Jahren rund 3 900 Bären getötet hat, wie die rumänische Jagdzeitschrift „Diana“ (Nr. 1/1990) meldete. Der dringendste Wunsch Ceauşescus war indes, alle „Weltrekorde“ bei den Hochwildarten der Karpaten Rumäniens zu brechen. Dieses Vorhaben ist ihm beinahe gelungen. (...) Es sei erwähnt, dass Ceauşescu aus dem Drang heraus, den vom Kronstädter Weidmann Hessheimer 1934 erlegten weltstärksten Gamsbock zu überbieten, sogar die Autohochstraße „Transfăgărăşan“ bauen ließ, um in das hochgelegene Gämsenrevier „Cumpăna“ zu gelangen. Da der Weltrekord auf sich warten ließ, ersann er eine unweidmännische Jagdmethode: Dank dieser erlegte der Diktator im Januar 1989 in Gegenwart seiner Frau Elena aus der Gondel der Drahtseilbahn im Revier Buşteni (Butschetsch-Gebirge) 66 Stück Gamswild, darunter zwei Albinos. Die alten, erfahrenen Gebirgsjäger, die einst Könige und Kaiser auf Bär- und Gamswild in den Karpaten führten, prophezeiten das Ende des Jägers innerhalb eines Jahres. Und sie hatten Recht! Nach elf Monaten, am 25. Dezember 1989, wurde das Ehepaar Ceauşescu von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und danach erschossen.

In den uralten Märchen und Sagen Südost-Europas und des östlichen Alpenraumes rankt sich so manche Legende um den weißen Gamsbock. Der Aberglaube der Jäger und Hirten will es wissen: Wer es wagt, den weißen Bock zu erlegen, ist in Jahresfrist ein toter Mann. Dieser Aberglaube fand neue Nahrung, als Kronprinz Rudolf von Österreich, der eine weiße Gams schoss, innerhalb eines Jahres in Mayerling 1889 (genau 100 Jahre vor Ceauşescus Tod!) tragisch aus dem Leben schied.
Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand erlegte am 27. August 1913 eine weiße Gämse und wurde innerhalb der in der Sage bekannten Frist am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet. Der Anlass für den Ersten Weltkrieg war gegeben! Inzwischen wissen es die Karpatenjäger nun mit höchster Gewissheit: Die Sage stimmt, denn sie wurde durch den gewaltsamen Tod Ceauşescus bestätigt. Die rumänische Jägerschaft hätte dem „größten Jäger aller Zeiten“ (wie Ceauşescu sich gern selbst titulierte) dieses Weidmannsheil schon zu Beginn seiner „Polit-Ära“ gewünscht, wie einer rumänischen Jagdzeitschrift 1990 zu entnehmen ist. Der „Zlatorog“, wie der weiße Gamsbock im Aberglauben der Jäger Südosteuropas heißt, ist mit dem Palladion (Verleiher von Schutz in der griechischen Sage) des weißen Königsmantels gefeit, ist also ein Schützling der Berggeister und Bergfeen. Auch der Teufel zeigt sich bisweilen in der Gestalt des weißen Bockes mit goldenen Hörnern, ist also ein „Satanstier“."

Die Auflösung der Fotos im Salzburger Museumskatalog erlaubt nicht, den umfangreichen Text, der die Albino-Gemse (die sich ja vielleicht im Depot des Museums erhalten hat?) zu entziffern. Man kann nur so viel erkennen, daß dort auch der herrscherliche Jagdeifer mit dem Ausbruch des Weltkeiegs in Zusammenhang gebarcht wurde.
Jetzt verstehe ich, warum die Unterschrift zum bild lautet: "Der 'Zlatorog' der Weltgeschichte"...


Die Revision, die Enthmythologisierung vollzieht sich nicht im frontal artikulierten Widerspruch, nicht in der Anstrengung der rationalen Aufklärung. Sie vollzieht sich unauffällig als Unterminierung, als ironische Auflösung.
Zlatorog ist heute - ein slowenisches Bier...

Freitag, 11. Oktober 2013

Das Museum als Haus - Die Welt als Museum




Das Museum als Haus - Die Welt als Museum

Dieser Vortragstext ist 1991 in „Ganz aus dem Häuschen“ erschienen, der Nachlese zu den 12. Museumspädagogischen (Privat-)Gesprächen, die damals in Graz stattgefunden haben. (MuseumspädagogInnen verlassen das Museum. Graz 1991 („...das lebende museum ... STEIERMARK“  im Grazer Stadtmuseum / Kulturvermittlung Steiermark / Kunstpädagogisches Institut Graz). Seite 6-12)

Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung  des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders  alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.

Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes  Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses  von Karl Friedrich Schinkel  entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken  errichtete  Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und  durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.

Mit der offenen, über beide Geschosse reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.

Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und  städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.

Doch nicht nur dies und die selbstbewußte  Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang.  Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle  u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt", wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt. 

Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger,  als zentrale  Einrichtung, auf die sich der preußische  Staat berufen und fundieren möchte,  eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint  hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung  und Bildung.

1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste  Vorschlag für eine lateinische Inschrift  stieß auf Mißfallen:  FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE ET ARTIVUM  LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen  Übersetzung: Friedrich Wilhelm III.   hat  dem  Studium  jeder  Art  Alterthümer und der freien  Künste  diesen Ruheort  gestiftet  1828.

Das Wort Museum, das in der deutschen  Übersetzung merkwürdiger- und bezeich­nenderweise nicht  übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum.  Mit dem  Wort Museum  würden, so der erste  Gutachter, "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals  solche zur" Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß  zu demselben ablehnenden Ergebnis.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen  usw. auch  gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt  werden.

Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.

Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinan­dertreffen. Die eine Tradition,  die die Gutachter und Experten gegen die Verwen­dung des Wortes  Museum  für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts  Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.

Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist of­fensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ur­sprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals in der  doppelten Bedeutung von Hain, Garten  jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung  und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein Sammlungshaus - historisch übrigens  korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.

In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.

In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den  ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.

Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.

Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens  an die konfliktreiche Geschichte  der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit  des von ihnen vorgetragenen  Stücks Gattungsgeschichte.  
                                                            .
Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer.                               .

Als Beschützerinnen der  Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen,  Gymnasien, philosophischen Akademien, wie z. B. der platonischen  Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet  wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.

"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust ver­knüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam  alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen."

So  beschreibt Neickelius Anfang  des 16. Jahrhunderts die  Freuden  des  solipsis­tischen  Gelehrten in seinem privaten  Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu­ erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.

Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und  sammelt  dafür  Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam  archäologisches Unternehmen, in dem  durch  Sammeln, Vergleichen und Ordnen  von Material ein ,Text' gebildet werden kann.

Der Begriff Museum strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen',  ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen  Lernen stattfinden kann.

Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern -, gleichsam mönchische Arkanpraktiken des Wissenserwerbes und der Wissenspflege ihren Platz haben. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. ln der Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch  ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das  arkanhafte, private  Sammeln in eine Krise. Die Integration exotischer Fundstücke in das Sammeln sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Weit wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt  sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.

Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen  Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort  der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer  Wahrnehmung.

Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der  Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung  sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung  - auch unerstützt mit didaktischen Hilfsmitteln -, erfahrbar machen.

Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Welt', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. Jahrhundert und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren.“

Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.

In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.

Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick urid List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub  der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunstwerken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.

Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.

Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue Museen ein.                                                      ·

In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.

Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im­ mer schärfer.

Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.

Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer  Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. ln einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener
Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu. So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche lnventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.

Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt.

Musealisierung  ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession,  immer größere Lebensbereiche,  ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits­ und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.

Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüberstehen ohnmächtig.

Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter -, verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorische Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.

Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet  wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.

Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.

Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk)  und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.


Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück, die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern.

Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsministranten.

Daher: Raus aus dem Museum!



Sonntag, 5. August 2012

Ein inkompententer Dialog? Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum in Wien

Ein Möbelstück in einem Kunstgewerbemuseum, ein Fahrzeug in einem Technischen Museum, ein Totem in einem Völkerkundemuseum können ohne Eingriff in ihre materielle Integrität ein Museumsdasein fristen. Ins Naturmuseum aber kommen Dinge, deren soziales wie semantisches Leben ebenso zu ende gegangen sein muß, wie deren biologisches. Dazu ist aber hoher artifizieller Aufwand nötig, weil dort dem Verfall des Stofflichen Einhalt geboten werden muss, um etwas als Exponat zeigen- und das auf Dauer - oder als Objekt deponieren zu können. So ,lebendig‘, wie es nun einmal war. (1) 

Der Gemeinplatz, daß es das Museum mit dem Tod zu tun hat, der alltagssprachlich in der pejorativen Verwendung von 'museal' ziemlich tief sitzt, der aber ein Gemeinplatz der Theorie und nicht der musealen Praxis ist, die dieses Faktum verdrängt, gilt nirgendwo so sehr, wie in den sogenannten Naturmuseen. (2)

Die Konservierung, deren Techniken biologisches 'Material' zu erhalten, seit der Mitte des 16. Jahrhundert entwickelt wurden - wovon eindrucksvolle Beispiele in den ältesten tradierten Natursammlungen zeugen, etwa denen der Universität Bologna -, ist nur der erste Schritt. Um Naturhaftigkeit zu erzeugen, bedarf es meist einer Rekonstruktion, Ergänzung, Formung oder gar Inszenierung.

Naturmuseen erzeugen daher oft ein mehr oder minder ausgefeiltes Ambiente. Ein Sandboden kann genügen, um die Illusion eines Meeres zu erzeugen und am anderen Ende der Skala der Illusionstechniken (die diesen Museumstyp verwandt macht mit den ältesten und populärsten Schaustellungspraktiken) stehen komplette Szenen, (3) nahezu naturidente Ausschnitte einer Lebenswelt, bei der selbst  die Perspektivität und Räumlichkeit der Wahrnehmung - wie z.B. im Diorama - erzeugt wird.

Das Naturmuseum ist deshalb in gewissem Sinn künstlicher als alle anderen Museumstypen, nicht nur weil es großen Aufwand an Konservierung und Präparation (4) erfordert, sondern weil der Schein ,authentischer‘ Natur aufrecht erhalten werden soll und gleichzeitig der Aufwand der nötig ist, diesen Eindruck zu erzeugen, nicht offensichtlich werden darf.

Dem Naturmuseum hilft dabei, daß wir generell dazu neigen, alles an Gestell, das zum Zeigen, zum Zu-Sehen-Geben im Museum nötig ist, zu 'übersehen'. All die Sockel, Vitrinen, Bühnen, Lichter uvam. blenden wir aus. So dürften wir wie viele Besucher gar nicht recht registrieren, wie groß die Diskrepanz zwischen einer zur 'Familie' zusammengestellten Löwengruppe auf einer angedeuteten Landschaft zur historischen Vitrine aus der Gründerzeit des Museums ist, in der diese Gruppe ihren theatralischen Auftritt hat.

Verschleiert wird der hohe Aufwand im Namen einer ordnenden und klassifizierenden Wissenschaft, die es mit Natur, der sie diese Klassifikation als ihr immanente zu entnehmen glaubt, und mit nichts anderem zu tun haben will.

Eine Konsequenz dieser Spaltung in rationale Ordnungswissenschaft einerseits und ,lebensweltliche‘ Darstellung andrerseits, die selbst ein Museum, das so sehr wie das Wiener von wissenschaftlichen Ordnungssystemen geprägt ist, ist zum Beispiel die Trennung von Sammlung und wissenschaftlicher Arbeit einerseits vom Ausstellen und den nötigen Zurichtungen der Dinge zu Exponaten sowie von der Pädagogik bzw. Vermittlung andrerseits. Daß das Naturhistorische Museum in Wien das erste Bundesmuseum mit einer eigenen Vermittlungsabteilung und einem großen, der Vermittlung reservierten Saal mitten in den Dauerausstellungen war, verstehe ich als Konsequenz der genannten 'Spaltung'.

Bei einem Gang durch das Wiener Museum quert man heute mehrere sehr unterschiedliche Museen, in denen man spürt, wie groß die Versuchung ist, den popularen Schaustellungstechniken im Interesse eines Publikums nachzugeben, das über einschlägige Formate in Kino, TV oder Computeranimationen längst raffinierteste 'Animationstechniken' bzw. im Namen authentischer Bilder die Natur manipulierende Filme gewohnt ist. Wahrscheinlich wird von Besuchern auch erwartet, daß im Museum etwas Adäquates zu sehen ist, während die Verpflichtung auf wissenschaftliche Korrektheit und Kriterien noch bleischwer an den Sammlungen hängt und von den Kuratoren verteidigt wird.

Im Sauriersaal, der jüngst neu gestaltet wurde, kann man den Zwiespalt der Haltungen gut studieren. Es fanden sich hier ohnehin schon, ohne daß einem das bewußt werden musste, Originale Fundstücke, Faksimiles (Abgüsse) und Rekonstruktionen, deren oft sehr hoher spekulativer Anteil nicht so ohne weiteres gewusst werden kann und soll und dementsprechend zurückhaltend kommuniziert wurde und wird. Neu im Saal ist aber nun eine Art Puppe, ein Saurier, der ein wenig den Kopf drehen und brüllen darf, dezent, fast lieb und daher von fragwürdiger Konkurrenzfähigkeit zu Jurrasic Parc.
So geht das Museum mit seinem Widerspruch (5) um, unsicher, unentschlossen, kompromissbereit, notwendgerweise inkonsequent, experimentell.

*


Wenn ein Künstler wie Daniel Spoerri im Naturmuseum auftritt, kann man sicher sein, daß er es partiell wieder in einen Ort des Staunens verwandelt, indem er ihn zu einem Ort des Changierens der Dinge, ihrer Formen und Bedeutungen macht und die Grenze zwischen 'Natur' und Kunst sowie der dem Naturmuseum eigentümlichen Künstlichkeit zwar nicht ignoriert, aber sie verschiebt, thematisiert, bewußt macht, wieder verwischt. Plötzlich tauchen alle stillschweigenden, dem Museum zugrundeliegenden Techniken und Riten, wieder ins Licht der Reflexion, das Sammeln, Auflesen, Zusammenstellen, Benennen, Ordnen, Hierachisieren, Vergleichen. 

Ein ganzes Jahr lang stöberte Spoerri, begleitet von zwei Mitarbeitern des Hauses, Margit Berner und Reinhard Golebiowski, in den Speichern und Depots, in den Arbeitsräumen und Schausälen, er erhielt überall Zugang, aber, mit einer Ausnahme, nie das Recht, Objekte 'anzutasten'. Das Museum, auch das Naturmuseum, das ja so viel beherbergt, was ja ohnehin längst Artfakt ist, wacht dennoch über keinem Tabu strenger als über dem der materiellen Unversehrtheit. Was in Kunstmuseen oder historischen Museen im Namen einer potentiellen kulturellen Bedeutung geschieht, die es offenzuhalten gilt, betreibt das Naturmuseum im Interesse ihrer Erkenntnismöglchkeiten. ,Sachbeweise‘ werden dauerhaft für künftige methodische und heuristische Innovationen zur erneuten Befragung bereitgehalten, nicht unbedingt aber um als kulturelle Bedeutungen im öffentlichen und sozialen Raum Museum kommuniziert zu werden.

Man sieht es der Ausstellung  „Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum“ (Zur Webseite des Naturhistorischen Museums: http://www.nhm-wien.ac.at/presse/daniel_spoerri_im_naturhistorischen_museum) an, daß auf Ihre Vorbereitung so viel Zeit verwendet wurde. Vor allem im Vergleich mit den teilweise problematischen Ausstellungen, die Spoerri in Österreich gemacht hat, seit er hier lebt, ich meine die in Krems („Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/02/alles-war-sehr-gut-und-lustig.html)  und Graz („Grazgeflüster. Ein Musée sentimental, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2011/12/grazgefluster.html) , fällt die ungleich reichere Entfaltung von Ideen, die größere Sorgfalt der Konzeption und Ausführung auf.

Die Ausstellung ist ein Kompositum aus älteren Werken Spoerris, Objekten, die er inspiriert von den Museumssammlungen neu gemacht hat, Arrangemts aus Museumsdingen, an denen sowohl er als auch die genannten Kuratoren beteiligt waren. Die relativ große Ausstellung wurde letztendlich nach der der Museumsordnung zugrundeliegenden fachlichen Gliederung, Zoologie, Mineralogie, Botanik usw., gegliedert, verhält sich aber dazu sowohl experimentell-ästhetisch als auch museologisch-reflexiv.

Die Ausstellung fasziniert mit etwas, was man von Sporrri schon kennt, von der überbordenden Phantasie eines physiognomischen Blicks, der Dingen innewohnende Eigenschaften erkennt und ihr Potential für ein Neuaragement, für eine Art von Reanimation, die nichts mit der musealen des Naturmuseums zu tun hat, aber auch etwas abwirft für das Sichtbarmachen seiner Mechanismen. Spoerri hat sich den unbefangenen und staunenden Blick bewahrt, der Dinge jenseits kodifizierter Bedeutungen wahrzunehmen bereit ist und er versteht es, den Besucher mit demselben Blick zu belehnen.

Spoerris Misch- und Fabelwesen sind in erster Linie ästhetisch faszinierend lassen sich aber in gewissen Grenzen auch im Kontext kultureller Bedeutungen lesen. Ein Teil der Faszination hat wohl auch mit Spoerris Respekt vor den Dingen zu tun und mit der Neugier, mit der er der dahinterstehenden wissenschaftlichen aber auch etwa präparatorischen Arbeit umgeht. Spoerris 'Reanimationen' sind subtil, sie gelten allem, was im Museum Ding geworden ist, dem Meteorit oder der Muschel ebenso wie dem Waffeleisen oder der Möbelzierleiste. Animistisches Denken wie im Märchen läßt die Dinge ein spukhaftes Dasein zurückgewinnen, bedrohlich, schrill, skurril, drollig, rätselhaft. Manchmal zielt das direkt auf die Techniken und Riten des Naturmuseums. Galvanisierte Tiere z.B. erhalten eine vermeintlich ewig haltbare Plastizität aber auch eine unheimliche Lebendigkeit durch ihre das Licht reflektierende metallene Oberfläche.



Seine Arbeit ist die Schaffung einer Art von zweiter Natur, die darin vielleicht im Grundsatz mit der artifiziellen Museumsnatur einer solchen Institution eng verwandt ist, aber er kommt zu ganz anderen Resultaten. Was dabei an Kritik, Analyse der institutionellen Praktiken und Riten abfallen könnte dürfte ihn weit weniger interessieren, als die ästhetische Faszination. Darin unterscheidet er sich prinzipiell von Mark Dion (Siehe „Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum?“. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Dion), dessen 'Naturmuseen' weit über das Museum hinaus den gesellschaftlichen Umgang mit Natur und auch damit die Verfasstheit des Naturmuseums zur Disposition stellt. Diese explizit kritische Haltung ist Spoerri fremd, wenngleich er genauso witzig und ironisch sein kann wie Dion.

Was daran an Kritik dennoch abfällt und die Verunsicherung, die davon dem Selbstverständnis eines Wissenschaftsmuseums drohen könnte, begegnet man mit einer räumlichen Separierung und einer gedanklichen. Die Ausstellung wird als ,Sonderschau‘ in getrennten Räumen und nicht etwa als Intervention in der Dauerausstellung präsentiert - Spoerri ist "Kunst" im und für das Haus und nur unter diesen Bedingungen kann und darf sie Gastrecht bekommen. Die Grenzen, die man Spoerris Arbeit setzte, sichern das Museum vor jeder Art der Kontamonation. Dabei wäre vor allem der Prozess selber und dann auch das Resultat, die Ausstellung, eine Chance der institutionellen Selbstbefragung gewesen.

Statt das anzustreben einigte man sich auf eine Art von Stillhalteabkommen mit dem Untertitel der Ausstellung, „Ein inkompetenter Dialog?“. Das Fragezeichen läßt dem Museum das durch das Fragezeichen diplomatischen gemilderten Vorurteil, daß jeder ein Laie, Dilettant ist, der sich nicht der Kriteriologie der Institution unterwirft, während das Fragezeichen für Spoerri das Schlupfloch ist, durch das er seine Kompetenz als Künstler, Zauberer, Erzähler, Arrangeur, Sachensucher, Sammler dennoch ins Museum schmuggelt. (6)

*


Museen sind extrem geschickt und zäh im Festhalten an den Mißverstandnissen, die sie ihrem eigen Tun entgegenbringen. Das gilt ganz besonders für das Naturmuseum. Naturwissenschafter haben meist wenig Verständnis dafür, daß Ausstellungen (wenn es nicht bloß dienstbare Maschinerien zur Propagierung ihrer Forschungsergebnisse sind) kategorial etwas anderes sind als Wissenschaft im Sinne ihrer eigenen Tätigkeit (7), daß das ,museale Zeigen‘ anderen, komplexen Gesetzen unterworfen ist und auch anderen Zielen dient als nur der ,Darstellung‘ von ,Natur‘ und ihrer Erforschung. Selbst der ohnehin milde und respektvolle ,inkompetente Dialog‘, den Spoerri führt, wird aufmerksam in Schranken gehalten.

Dabei wankt die Bastion Naturmuseum längst und es wird nicht lange dauern, bis sich der jetzt noch teddybärenhafte Museumssaurier nicht nur wie im Youtubevideo auf die Jagd nach kleinen Kindernmacht, sondern auf die nach großen Kuratoren...

Das Buch zur Ausstellung, zweisprachig und bibliophil sowie sehr schön bebildert: Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - ein inkompetenter Dialog? Kerber Art. Bielefeld und New York 2012

Parallel zur Ausstellung zeigt Daniel Spoerri eine von ihm kuratierte in seinem Ausstellungshaus (siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/eat-ab-art-daniel-spoerri-in-hadersdorf.html) in Hadersdorf am Kamp, „Natürlich Natur? Paralipomena“, zu der es eine - ebenfalls sehr schön gestaltete - (gleichnamige) Begleitpublikation gibt.

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1) Jedes Museum hat es mit ,Lazarisation‘ zu tun. Das größte Problem, das glaubwürdig zu inszenieren, hat verständlicherweise das Naturmuseum. Ein spektakulräses Beispiel für die Ambivalenz von musealem Tod und musealer Auferstehung ist der große Zug der Tiere - ins Museum als Arche Noah als letzte Rettung oder aus dem Museum als Bewegung zur Erlösung vom Museum bleibt offen. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/07/der-zug-der-tiere-im-pariser-museum-d.html   
Die Verlebendigung kann freilich in der Übertreibung scheitern, siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/06/spazierganger-museumsphysiognomien.html

2) Es gibt aber auch das Naturmuseum, das einen mit beispielloser Direktheit mit Tod und Sterblichkeit konfrontiert gerade weil es es seine Ordnung wie skelettiert zeigen möchte. Suehe: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/musee-des-mondes-perdu.html

3) Früheste Naturmuseen trieben einen Illusionierungsaufwand, der heutige Inszenierungen in nichts nahesteht, beziehungsweise sie überbietet. Vom Naturalienkabinett, dem Vorläufer des Naturhistorischen Museums in Wien, existiert eine ausführliche Beschreibung, die belegt, daß es schon kurz nach 1800 um die Schaffung ganzheitlicher ,Bilder‘ und ,Biotope‘ ging. Willson Peales Museum in Philadelphia, das als ältestes der USA gilt, wurde von seinem Autor nicht nur mit sorgfältig inszenierten Szenen ausgestattet, zeitgenösische Beschreibungen berichten von erfindungsreichen Maschinerien zu filmähnlicher Bildprojektion, von echtem Wasser und technisch erzeugter Hintergrundmusik. Peales wunderbares Selbstporträt - vor seinem Museum, dessen ,Vorhang er lüftet‘ -, kann man als ingeniöse Auseinandersetzung mit der hier diskutierten Dialektik von Mortifizierung und Lebendigkeit lesen. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Peale

4) Präparatoren haben ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein von ihrer Tätigkeit als Kunstfertigkeit. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/ausgezeichnet-texte-im-museum-000.html

5) Der Widerspruch schlägt sich im Wiener Museum sogar in der Möblierung nieder. Siehe: http://museologien.blogspot.co.at/2012/07/mikromuseum-evolution-des.html

6) „Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden“, schreibt Alberto Manguel in seinem lesenswerten Essay zum Sammeln und Ausstellen, hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/03/dracheneier-und-phonixfedern-das-museum.html

7) In den Worten des derzeitigen Direktors hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/saurier-und-forschung-noch-einmal-wie.html und hier: http://museologien.blogspot.co.at/2010/05/da-bekommt-die-mineralogie-sofort.html








Donnerstag, 28. Februar 2013

Das Museum als Haus - Die Welt als Museum

Der folgende Text ist über 20 Jahre alt. Es war die Grundlage für einen Vortrag der 12. Museumspädagogischen (Privat)Gespräche gewesen, die in Graz 1991 unter dem Titel "Ganz aus dem Häuschen stattfand." Von Taliman Sluga organisiert und überaus souverän und liebenswürdig geleitet.
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).

Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit,  um Zusammenfassung, Ordnung, um Ver­gleichbarkeit und Zugänglichkeit.  Erst durch die Fixierung  des Ortes, die Dauerhaf­tigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum  nicht besonders  alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.

Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes  und errichtetes  Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen  Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses  von Karl Friedrich Schinkel  entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken  errichtete  Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und  durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.

Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigent­lichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutio­neller und  städtischer   Öffentlichkeit vermittelnden Raum,  die  obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.

Doch nicht nur dies und die selbstbewußte  Entgegensetzung der bürgerlich-öffentli­chen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bil­dungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang.  Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle  u.a. das Götter-­ und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitge­nössischen Interpretation heißt. 

Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Hu­manisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger,  als zentrale  Einrichtung, auf die sich der preußische  Staat berufen und fun­dieren möchte,  eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint  hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung  und Bildung.

1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste  Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE ET ARTIVUM  LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen  Übersetzung: Friedrich Wilhelm III.  hat dem  Studium jeder Art Alterthümer und der freien  Künste  diesen Ruheort  gestiftet 1828. (2)

Das Wort Museum, das in der deutschen  Übersetzung merkwürdiger- und bezeich­nenderweise nicht  übersetzt   und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum.  Mit dem  Wort Museum  würden,  so  der  erste  Gutachter (3),  "im  ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet,  aber niemals  solche  zur " Aufbe­wahrung  von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachge­brauch  Museum  der populäre, niemals   aber der klassische  und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutach­ten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß  zu demselben ablehnenden Ergebnis.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Muse­um noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Samm­lungen  usw. auch  gebräuchlich ist, können umgekehrt  museale  Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt  werden.

Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.

Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinan­dertreffen. Die eine Tradition,  die die Gutachter und  Experten gegen die Verwen­dung des Wortes  Museum  für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt,  von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts  Vergangenes,  Historisches aufbewahrt wurde.

Die andere  Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist of­fensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ur­sprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der  doppelten Bedeutung von Hain,  Garten,  jedenfalls  den  Musen  gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung  und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Be­griffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens  korrekt - als unantik  ablehnt, am Begriff  Mu­seum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser  älteren  Tradition zu geben.

In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl  an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang  zurückliegenden, längst verschüt­teten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale,  textgebundene von den  ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.

Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töch­ter der Mnemosyne,  der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus.  Zuerst  ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und le­ben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deu­ten.

Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Ge­schichte und Wissenschaft hatten spezielle  Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen  Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet,  Bilder der Musen aufgestellt und der  Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer.                               .
Als Beschützerinnen der  Künste und  des Geistigen wurden die  Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien,  philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet  wird. Aus dem museion  als mythischem, vage lokalisier­baren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.

"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser  fast mit himmlischer Lust ver­knüpften Betrachtung  der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrück­lich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle  angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber  seine Sinnen und Gedanken  zusammen  ruft,  und  einzig  und allein  zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen  und umgeben  mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sa­chen, über deren Anschauung  seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)

So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsis­tischen Gelehrten in seinem privaten Refugium.  Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu­ erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.

Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und  sammelt  dafür  Material, nun aber  nicht  nur  schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder  Inschriften, sondern  Gegenstände, wie Kleinplastiken, Mün­zen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservie­ren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Verglei­chen und Ordnen von Material  ein ,Text' gebildet werden kann.

Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs  mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Presti­ge', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden  kann.

Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkan­praktiken des  Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt  das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation,  auch durch die dadurch ausgelösten politi­schen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Ent­deckungen gerät das arkanhafte,  private Sammeln in eine  Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke  in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsord­nungen. Das Sammeln  spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, plu­ralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.

Zum  qualitativ  Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die  Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokra­tischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann  das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Samm­lung und ihrer Wahrnehmung.

Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schu­len gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung  - auch un­terstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.

Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen  Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)

Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epo­chen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee be­herrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestat­tete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.

Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.

Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen her­vorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Ex­peditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst­ werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.

Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.

Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müll­halden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, son­dern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein.                                                      ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.

Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Wi­derspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im­mer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Din­gen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.

Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer  Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftli­che Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jähr­lich 4000 Skelettreste anfallen.

Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung  ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtge­lände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits­ und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstands­lose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.

Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftig­keit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber­ stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Muse­umspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Ma­schinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.

Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ih­ren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ih­nen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.

Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bil­det sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erin­nerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänome­ne aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dia­lektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Be­wußtsein verloren ist." (8)

Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könn­ten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9)  und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.

Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohn­macht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ih­nen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)

Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung  glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operie­ren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.

Daher: Raus aus dem Museum!



Anmerkungen:

1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich  Schinkel  als Mensch und als Künstler,  1844,  zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2  Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3  Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia  oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen  zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5  Vgl. dazu und zum Folgenden  Paula Findlen:  The Museum:  Its classical  etymology  and re­naissance  genealogy.  ln: Journal  of the History  of Collections, I no.l 1989
6  Michel Foucault:  Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis.  Wahrnehmung  heute oder Perspektiven einer anderen  Ästhetik.  Leipzig 1991, S.43
7  Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie  der Wissenssoziologie. Frankfurt  1969,  S.94
9  Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition  und Ex­periment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg  1988, S.288ff.
10  Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Muse­ums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7

Sonntag, 26. März 2017

Land – Museum – Identität

Land – Museum – Identität. Das Steiermärkische Landesmuseum als Modellfall

Überarbeiteter und erweiterter Vortrag, Würzburg Universität und Mainfränkisches Museum, Jänner 2017

1 Das Joanneum – Ein Werkzeug der Landeswohlfahrt und des Landesbewußtseins

Alljährlich am 26. November feiert das Steiermärkische Landesmuseum Joanneum, das inzwischen den Namen Universalmuseum Joanneum trägt, den Jahrestag seiner Gründung, den Stiftungstag. Und das kontinuierlich und seit 205 Jahren.
Es gibt weltweit wohl sehr wenige Museen, vielleicht keines, die ein solches Gedächtnisritual begehen können. Als das nach seinem Stifter benannte Joanneum 1811 von Erzherzog Johann, also von einem Mitglied des Kaiserhauses und Angehörigen des Hochadels, gegründet wurde, war die Idee des Museums als einer öffentlichen Institution, die der Sammlung von Kulturgütern und ihrer intellektuellen und ästhetischen Erfahrung diente, nicht einmal 20 Jahre alt.
Das Museum wie wir es kennen entwickelte sich in der Aufklärung und wurde erstmals in vollem Umfang in der Französischen Revolution mit der Gründung des Louvre-Museums 1793 verwirklicht. Neu an diesem Modell war gegenüber allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns und Ausstellens, die Vorstellung, dass der gemeinsame Besitz und Genuss kultureller Überlieferung die Gemeinsamkeit der Gesellschaft und Nation nicht nur ausdrücken und darstellen sondern gewissermaßen auch herstellen konnte.
Während bis dahin Sammlungen, mit wenigen Ausnahmen, privat waren und einem oft nur sehr beschränkten Publikumskreis als Gunsterweis des Besitzers zum Zweck von Bildung, Wissensvermittlung oder Repräsentation zugänglich waren, gehört der Unterhalt und Betrieb von Museen von da an zu den „wohlfahrtsstaatlichen“ Leistungen im Interesse aller Bürger, die in der Regel auch Besitzer der Sammlungen sind. Der Staat finanziert und unterhält Museen treuhänderisch im Interesse aller und auf ihren Besuch hat jedermann ein Recht.
Während wir heute gewohnt sind, den Besuch von Museen als eine Freizeitbeschäftigung anzusehen, in der Unterhaltung, Wissenserwerb, Vergnügen oder Bildung miteinander beliebig gemischt sein können, hatten Museen im 19. Jahrhundert häufig noch sehr praktische Aufgaben. Kunstgewerbliche Museen waren dazu gedacht, die nationalen Produktkulturen zu ‚veredeln’ und damit konkurrenzfähig zu halten, in technische Museen setzte man Hoffnungen auf Sammlung von Erfahrungen und Wissenstransfer und Kunstmuseen hatten über ihre Ausbildungsfunktion noch Einfluß auf die Kunstpraxis.
Bei kaum einem anderen Museum war diese praktische Funktion so wichtig, wie beim Joanneum während der Gründungsjahrzehnte. Es gab zwar Schausammlungen und war für ein breites Publikum zu festgelegten geöffnet, zugleich war es aber eine Lehranstalt mit Lehrkanzeln und kompensierte damit das Fehlen einer Universität in Graz.
Die Sammlungen und Ausstellungen galten in der Frühzeit der Institution überwiegend den naturwissenschaftlichen Fächern, und damit jenem Wissen, das für die Entwicklung von Gewerbe, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie nützlich war. So fand man im Museum eine „Holzbibliothek“ oder - bis heute  erhaltene - Wachsnachbildungen von Obstsorten, Modelle moderner landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen. Im botanischen Garten gediehen „Medicinalpflanzen“, es gab ein Chemielabor, Mineralien, zoologische Präparate, physikalische und astronomische Geräte, aber auch Objekte von historischem, archäologischem und kunstgeschichtlichem Wert.
Mineralien waren nicht, was sie heute für den Besucher meist sind, bunte Steine, sondern Studienobjekte zur Erschließung neuer Rohstoffe und die Pflanzen dienten der Entwicklung neuer landwirtschaftlich verwertbarer Nutzpflanzen oder der Heilkunde.
Es ging um die Entwicklung der Wirtschaft des Landes. Auf Betreiben EH Johanns wurde etwa die Eisenindustrie nach englischem Vorbild modernisiert, der Wein- und Hopfenanbau initiiert oder frühe Experimente mit Kunstdünger gemacht. Er gründete in 900 Meter Seehöhe ein Landgut, wo Versuche gemacht wurden, ob und welche Nutzpflanzen in solcher Höhe anbaufähig wären. Er schuf Versicherungen für die Bauernschaft und die Industriearbeiter, deren medizinische Versorgung er erheblich verbesserte. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus seinen Aktivitäten.
Die Bedeutung des Museums lag darin, die wirtschaftliche Krise überwinden zu helfen, in der sich das Land befand und Handwerk, Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln.
Die Initiativen Erzherzog Johanns, der in der Steiermark als Privatperson agierte und das mit eigenen finanziellen Mitteln, gingen dabei weit über das Museum hinaus. Er schuf ein Netzwerk von Initiativen, Aktivitäten, Institutionen und Vereinen.
1819 wurde die Landwirtschafts Gesellschaft in Steier­mark gegründet, ab 1832 gab es Industrieausstellungen und 1839 wurde der Ver­ein zur Ermunterung und Unterstützung der Industrie und der Gewerbe für Innerösterreich gegründet.
Komplementär zu den wirtschaftsfördernden Initiativen ging es um – heute würden wir sagen – Identitätspolitik. Das war die zweite bedeutende Aufgabe des Joanneums. EH Johann forderte zur Abgabe von historischen Archivalien und Objekten auf, beauftragte die Abfassung einer Landesgeschichte, die 1815 erschien. Ab 1821 konnte die Steyermärkische Zeitschrift erscheinen, die auf die Idee zurückgeht, periodisch wissenschaftliche Literatur zu exzerpieren und daraus eine Art von wissenschaftlichem Lite­ratur-Bericht herauszugeben, ein Volksblatt zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse. 1843 wird von Mitgliedern des Lesevereins – auf den ich gleich zu sprechen komme -, der Historische Verein für Innerösterreich gegründet, der etwas später mit der Herausgabe einer historischen Zeitschrift beginnt.
EH Johann veranlasste sowohl eine statistische Landesaufnahme, als auch eine, ziemlich einmalig, bildliche. Er schickte seine sogenannten Kammermaler durchs Land, die Landschaften, Bauten, Brauchtum, Kleidung, Handwerk, vereinzelt auch industrielle Produktionsstätten dokumentierten. Eine zusammenhängende Geschichte der Steiermark hatte es bis dahin nicht gegeben, geschweige denn eine bildliche Erfassung. Was da vor sich ging war einerseits eine umfassende Landesbeschreibung, eine Dokumentation, die die Grundlage für die Entstehung eines Landesbewußtseins wurde und damit in gewisser Weise für die Konstruktion eines Landes.

2 Österreichische Museumsentwicklung der zwei Geschwindigkeiten

Wenn man sich ein wenig und in groben Zügen mit der Geschichte der Museumsentwicklung vertraut macht, oder wenn man an das denkt, was man an Museen kennengelernt hat, wird man ein Gefühl für die vergleichsweise enorm dichte Bündelung von Initiativen um ein einziges Haus bekommen haben.
Selbst in der hinsichtlich bürgerlicher Gründungen ungleich lebendigeren Museumsentwicklung in den deutschen Staaten wird man Vergleichbares nicht finden. Sicher, Museen hatten fachliche Forschungsaufgaben, z.B. im naturwissenschaftlichen Bereich, aber daß ein Museum so etwas wie eine Agentur der Landesentwicklung und der Formierung von Landesbewußtsein ist, wie es das Joanneum von 1811 bis etwa 1848 war, dafür kenne ich kein vergleichbares zweites Museumsprojekt.
Eine andere Besonderheit wird aber erst vor dem Hintergrund der österreichischen Museumsentwicklung deutlich. Hier dominierten die habsburgischen Sammlungen, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert nach und nach in uneingeschränkt zugängliche Einrichtungen umgewandelt wurden. Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die unter Leopold II. vollkommen erneuerten kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen in Florenz bildeten die Avantgarde der europäischen Museumszene nach 1770. Dann kam es zu einem bis in die heutige Museumsentwicklung stark nachwirkenden Bruch. Die nach 1800 betriebene Neuordnung der kaiserlichen Sammelbestände blieb auf einem vormodernen Zustand stehen. Anders als in vielen europäischen Metropolen kam es in Wien nicht zur Errichtung einer großen, repräsentativen Museumsinstitution.
Gleichzeitig gab es in Wien kaum nennenswerte bürgerliche Initiativen, mit der Ausnahme des kunstgewerblichen Museums, des ersten kontinentalen, das von der Weltausstellung in London 1851 inspiriert war. Dessen Errichtung im Verbund mit den Hofmuseen wurde von den Hofbehörden bezeichnenderweise verhindert und das Museum dann an einer weit weniger prominenten Stelle der Ringstraße errichtet und 1864 eröffnet.
Einen großen musealen Neubau für die kaiserlichen Sammlungen gab es vergleichsweise zur europäischen Entwicklung sehr spät, erst kurz vor der Jahrhundertwende, und dann waren das explizit Hofmuseen, also in erster Linie Museen, die die Sammlungstätigkeit und das Mäzenatentum des Herrscherhauses repräsentativ feierten. Sowohl die Architektur als auch die Lage dieser Museen waren spektakulär. Etwa in der Mitte der Ringstraße liegen die beiden Museen, das kunsthistorische und das naturhistorische, genau gegenüber der Hofburg. Wäre das Gesamtprojekt vollendet worden, das eine Verbindung aller Bauten zu einem Forum vorsah, dann wäre die Längsachse der Anlage vom Thronsaalbau der Residenz dominiert worden und die Beziehung zwischen Macht, Kunst und Wissenschaft und seine Zu- und Unterordnung unter das Herrscherhaus noch sinnfälliger erfahrbar.
Für die Museumsentwicklung in Österreich ist das nach wie vor von großem Belang, weil die aus habsburgischen Sammlungen entstandenen Museen heute die größten staatlichen sind und alle, mit Ausnahme der Ambraser Sammlungen (Teil des Kunsthistorischen Museums), in Wien liegen. Und weil der Versuch, dieses Erbe nach 1918 gleichsam zu republikanisieren gründlich fehlschlug. Der Versuch Hans Tietzes, des bedeutenden Kunsthistorikers, Kunstförderes und Publizisten, in seiner Funktion als höchster Ministerialbeamter die Museen zu transfomieren, scheiterte vollkommen. Bis heute fehlt es an einer staatlichen Museumspolitik, das diesen ungelösten und folgenreichen Erbfall erneut aufgreift und die Museen neu ordnet.

3 Die österreichischen Landesmuseen als Produktionsorte regionaler Identität

Es sind die Landesmuseen, die im 19.Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte, aufklärerische Ideen repräsentieren und bürgerliche Ansprüche im Feld der Kultur verwirklichen. Es gibt somit eine Entwicklung der zwei Geschwindigkeiten. Auf der einen Seite mit den eher konservativen, bescheiden und im Stil fürstlicher Kabinette präsentierten Sammlungen des Kaiserhauses auf der andren Seite die beachtliche Dynamik der Gründungen in den habsburgischen Ländern.
Die ersten Landesmuseen entstanden - nicht einmal zehn Jahre nach der Eröffnung des Louvre –, 1802 in Budapest, im oberschlesischen Teschen und im siebenbürgischen Hermannstadt. 1811 folgten Graz, 1817 Brünn, 1818 Prag, damals schon und heute als Nationalmuseum, 1821 das Krainisch Ständische Museum in Laibach, das heute das Slowenische Nationalmuseum ist, 1823 folgte Innsbruck mit dem Tiroler Landesmuseum. Die letzte Gründung war das Landesmuseum für das Burgenland, das 1921, im Jahr der Entstehung dieses Bundeslandes eröffnet wurde.
Heute hat jedes der neun Bundesländer sein Museum – wenn man den Sonderfall Wien, das ja Stadt und Land zugleich ist, mit seinem Stadtmuseum hinzunimmt.
Für das Reich bildeten die Dynastie, das Haus Österreich, das Gefäß für eine Art von Koexistenz unterschiedlichster Länder, Kulturen und Ethnien. In einem Konzept, das heute oft als vorbildlich im Sinne vereinigter europäischer Staaten gilt. So etwas wie nationale Identität taugte nicht als Form symbolischer Integration für das habsburgische Imperium und es entstand auch kein Nationalmuseum.
So etwas gibt es bis heute nicht, wenngleich zwei derzeit in Planung befindliche zeithistorische Museen wohl so etwas sein werden, bei denen national als Adjektiv aber wohlweislich vermieden wird.
Die Länder hatten im 19. Jahrhundert hingegen sehr wohl die Freiheit moderne Formen kollektiver Identität zu entwickeln. Um zu zu wissen, was ein Land ist, was seine Besonderheiten sind, was es von anderen unterscheidet und was seine Gemeinsamkeit stiftende Eigenschaften sind, muss man es zuallererst ‚erkunden’.
Das war der Sinn des Sammlens von Archivalien und Dokumente in der Steiermark und der sogenannten statistischen Landeserfassung. Beides war wiederum Grundlage der Abfassung einer Landesgeschichte. Es geht um ein making of, um das Arbeiten am Selbstbewußtwerden einer territorial und verwaltungspolitisch gefassten Gemeinschaft.
Die umfassende ‚Landesbeschreibung’ gab dem Land ein Bewusstsein seiner selbst, seiner kulturellen, topografischen, historischen Eigenheiten. Warum ist das so wichtig? Gesellschaften in der Moderne zeichnen sich durch die Freiwilligkeit ihrer Zusammengehörigkeit aus. Sie sind „Solidargemeinschaften“, die sich immer wieder ihrer Zusammengehörigkeit versichern müssen. Ein Weg dazu ist, das Gemeinsame im Kulturellen zu suchen - in einer gemeinsamen Geschichte, im Besitz kultureller Güter und Werte, in der Pflege von Traditionen, in der gemeinsamen Sprache. In der Sprachpflege haben einige der frühesten Museumsgründungen in den Ländern ihre Wurzeln.
Landesbeschreibung bedeutet daher mehr als nur eine auf Grund zusammengetragener Dokumente das Land zu ‚beschreiben’. Mit und durch die Beschreibung entsteht etwas Neues – ein Wissen von der Einheit und Besonderheit des Landes, wie es das vorher so nie gegeben haben konnte. Diese Beschreibung ist ‚Nation Building’ und es interessant, dass zu dieser Zeit für die Steiermark auch der Begriff Nation auftaucht und für das Museum in Graz der Begriff ‚Nationalmuseum’.
Eine identitäre Funktion läßt sich für alle Landesmuseen beobachten. Beim Vorarlberger Landesmuseum zum Beispiel entdeckte man im Prozess der Abnabelung von der kulturpolitischen Hegemonie, die das benachbarte Tirol und das Landesmuseum in Innsbruck ausübten, in archäologischen Grabungen bei Bregenz römische Siedlungsreste und baute darauf eine eigene Landesidentität auf.
Die Landesmuseen werden gelegentlich zu Medien der Selbstbehauptung im Vielvölkerstaat und 1848 sogar zu Katalysatoren der Freiheitsbewegung. Das bereits 1804 gegründete Ungarische Nationalmuseum und das 1818 gegründete Tschechische Nationalmuseum erhielten beide im Jahr 1848 eine überragende nationalpolitische Bedeutung. Während das Prager Museum zeitweilig unter Kuratel der Wiener Behörden gestellt wurde, um zu verhindern, daß es zur Plattform revolutionärer Bestrebungen wurde geschah genau das in Budapest: Von der Freitreppe des Ungarischen Nationalmuseums verkündete der Dichter Sandor Petöfi die Unabhängigkeit der Ungarischen Nation.
Hier spitzte sich die immer schon latent vorhandene dissidente Funktion zu, die Museen vor 1848 haben konnten. Die Museen wurden zu Trägern der Idee der politischen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.
Die Subversivität bürgerlicher Öffentlichkeit als praktisches Instrument der Herrschaftskritik und Sphäre der protodemokratischen Beteiligung der Bürger an den Staatsangelegenheiten explodierte 1848. Mit dem Scheitern der Revolution bricht das rasch zusammen und entmutigt alle bürgerlichen Ambitionen, auch die im Feld des Kulturellen, nachhaltig.

4 Museum und Öffentlichkeit am Beispiel Joanneum

Die erstaunliche politische Rolle einiger Landesmuseen ist in erster Linie nicht ihrer Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit zuzuschreiben. Sie wird von der aktiven Formierung bürgerlicher und liberaler Öffentlichkeit getragen - mit der erwähnten dramatischen Zuspitzung, wie sie an der Rolle der Museen in Prag und Budapest 1848 ablesbar ist.
Während wir heute dazu neigen, in Museen Orte der Bewahrung zu sehen und der Vermittlung ästhetischer und historischer Werte, liegt der Schwerpunkt der frühen Museumsgründung auf einem Diskurs der Bürger. Bürgerliche Öffentlichkeit meint ja, sehr verkürzt formuliert, daß sich tendenziell Gleiche unter Achtung und Anerkennung des Anderen zum Gespräch und zur Beratung zusammenfinden können um ihre Angelegenheiten vernünftig zu regeln. Insofern agieren sie als Staatsbürger, die als solche nicht ihre privaten, sondern die öffentlichen Angelegenheiten erörtern, genau das, was res publica bedeutet: Diese unsere gemeinsame Sache.
Meine weiteren Überlegungen gehen deshalb in zwei Richtungen. Ich möchte einerseits zum Joanneum zurückkehren und genauer an diesem Beispiel die praktische Form von Öffentlichkeit beschreiben, die mit dem Museum bereitgestellt wurde. Und andrerseits später die Frage stellen, was denn aus dieser musealen Öffentlichkeit geworden ist und was sie heute bedeuten könnte.
Wir verständigen uns ja normalerweise schnell und zustimmend über den öffentlichen Charakter von Museen, weil sie als allgemein zugänglich gelten, was uns in den jährlich meist triumphalistisch verkündeten Besuchsstatistiken scheinbar bestätigt wird.
1919 konnte ein ehrenwerter Museumsdirektor wie Gustav Pauli auf einer Konferenz vom Museum als einer der "demokratischesten aller Bildungsinstitute", weil es "jedermann ohne Legitimationsprüfung den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“ Die paternalistische Wendung von der „stummen Belehrung“ lassen wir ihm mal durchgehen, aber das mit dem Zugang für jedermann stimmt nun mal empirisch nicht. Das Museum ist kein Ort der Bildung, es ist ein Ort der Gebildeten, es wirkt sozial distinktiv, es schließt aus. Und zwar etwa die Hälfte der Bevölkerung. Ist es nicht erstaunlich oder gar ein Symptom einer Krise der Institution, daß heute die statistische Messung der Besuche das einzige Kriterium zu sein scheint, das als Maßstab des Erfolgs und des Wertes von Museen gilt?
Also kehre ich später zur Museumsgeschichte zurück, um nach den Spuren des Museums als öffentlicher und demokratischer Institution zu fahnden. Zunächst in der Geschichte des Joanneum, dann in der allgemeinen Geschichte der Institution.
Ich bin auf die Geschichte des Grazer Joanneums schon in meiner Studentenzeit gestoßen. Es war eines der ersten Museen, dessen institutionelle Biografie mich interessierte. Ich war auf der Suche nach Gegenpositionen zu einem elitistischen Verständnis vom Museum als Sammlungs- und Forschungsinstitution, das damals von manchen namhaften Museumsleitern vertreten wurde.
Beim Joanneum fand ich eine Form einer Öffentlichkeit, die sowohl nach innen als nach außen wirkte. Wiewohl von einem Mitglied der kaiserlichen Familie gegründet, hatte das Museum organisatorisch eine modere Form. Es wurde von Vertretern der Stände getragen und vom Sekretär des Kuratoriums geleitet. Einen Direktor erhielt das Joanneum nach über 120 Jahren erst 1936. Das erste, von EH Johann zusammengesetzte Kuratorium bestand maßgeblich aus radikalliberalen, aufklärerischen Bürgerlichen. Manche von ihnen hatten der Jakobinerbewegung angehört, die unter Josef II. als republikanisch und mit der Französischen Revolution sympathisierend barbarisch verfolgt worden war.
Bürgerliche Öffentlichkeit organisierte sich in den vielen Vereinen, die mit dem Joanneum vernetzt waren aber auch im Museum selbst: Es hatte eine allgemein nutzbare Bibliothek, in der auch Bücher und Zeitschriften, die unter Zensur standen, verfügbar waren. Das war nur durch persönliche Intervention von EH Johann bei den Hofbehörden oder beim Kaiser möglich.
Die Bibliothek war auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet, das zugehörige sogenannte Konversationszimmer von 10 – 21 Uhr.
 „In kurzer Zeit“ berichtet der erste Biograf des Museums, „vereinigten diese Lesezimmer die gebildetsten Männer aller Stände und die hoffnungsvollsten Jünglinge in sich (...)“. Ein zweiter Kristallisationspunkt von Öffentlichkeit war die Leseanstalt des Museums, etwas was im Vormärz eigentlich strikt verboten war. Um eine eigene Vereinsgründung zu umgehen, die höchstwahrscheinlich keine Genehmigung bekommen hätte, wurde deshalb 1817 eine sogenannte Erweiterte Leseanstalt als Einrichtung des Museum gegründet. Den bis zu 250 Mitgliedern standen 5 Zimmer zur Verfügung, 3 davon für wissenschaftliche, 2 für politi­sche und Unterhaltungsblätter. Die Leseräume waren täglich von 10-21 Uhr offen. Bis zu 200 in- und ausländische Zeitschriften lagen auf. Ein ‚Wünschebuch’ ermunterte die Mitglieder, Vorschläge für Anschaffungen zu machen. Der Leseverein wurde damals als "bedeutendste Anstalt dieser Art in Deutsch­land"  bezeichnet.
Bürgerliche Öffentlichkeit hatte im Vormärz subversive Qualitäten und wurde entweder unterbunden oder überwacht. EH Johann dazu im Jahr 1812: „Der Wißbegierde der Jugend muß man keine Schranken setzen, nur sie gut leiten (…) Laut darf aber diese Idee nicht werden, sonst streket die Censur ihre lange Hand über uns aus und manch Gutes wird verbothen und das Institut verfällt unter einer Vormundschaft, welcher wir bis izt klug entgiengen.“
Mit dem Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848 zerfiel diese Museumsöffentlichkeit. 1871 wurde der Leseverein aufgelöst. Das Museum kam nach und nach unter stärkeren Einfluß der Landesbehörden. Schon 1850 hatte die Landesverwaltung verlangt, die Kuratoren selbst zu bestellen und 1861 wurde das Museum, ein Jahr nach dem Tod von EH Johanns, der Steiermärkischen Landesvertretung unterstellt.
Seit damals hat sich das Museum schrittweise erweitert, aber nie entlang einer konzeptionellen Leitvorstellung. Gründungen neuer Abteilungen kamen aus höchst unterschiedlichen Gründungen zustande. Das zieht sich bis in die jüngste Vergangenheit. Das 2003 eröffnete Kunsthaus war eigentlich als städtische Einrichtung geplant, erwies sich aber als nicht durch die Stadt finanzierbar.
Als ich 2005 kurz nach der Umwandlung des Joanneums in eine GesmbH, das war 2003, in das Museum eintrat, hatte das Museum eigentlich ein Stück Autonomie zurückgewonnen, aber gleichzeitig wurde gerade der alte Kern seiner Öffentlichkeit, das Kuratorium, auf eine bloße Beratungsfunktion zurückgestutzt und die existierenden Vereine vor allem als Ressource für Einnahmen behandelt. Die größere Unabhängigkeit von der Landespolitik blieb eine Illusion. Die Abhängigkeit von der finanziellen Förderung macht die Organisation auch weiter willfährig gegenüber der Politik. Z.B. in der Personalpolitik aber auch was den Durchgriff der Landespolitik ins Museum bis hin zu Ausstellungswünschen betraf.
Die Umwandlung bedeutete die Durchsetzung einer überwiegend ökonomischen Sichtweise, bei der die Betrieblichkeit der Institution, „überwacht“ von einem genau dazu berufenen Aufsichtsrat, dominierte. Obwohl sich im Kern am Museum als nicht profitabler Einrichtung nichts änderte, stellte sich gewissermaßen performativ eine Wahrnehmung ein, die die Profitabilität überbetonte. Eine Maßzahl wurde dabei, wie inzwischen überall, der „Besucherumsatz“. Trotz der Ausgliederung blieb der Einfluß der Politik – gleichzeitig auf mehreren Ebenen – erhalten. Einmal über die Gewährung der Finanzmittel und der Festlegung ihrer Höhe, über die Gewährung von Sondermitteln für einzelne Projekte, fallweise auch über die Personalpolitik, insbesondere der Berufung der Geschäftsführung, und schließlich über die Besetzung von Aufsichtsrat und Kuratorium im Parteienproporz.
Ein illustrativer Höhepunkt des politischen Einflusses war während meiner Jahre am Joanneum der Wunsch eines Landesrat gewordenen Altachtundsechzigers und Harley-Davidson-Fahrers, der sich eine Woodstock-Ausstellung wünschte, in Graz wohlgemerkt, und sie auch bekam. Teuer, schlecht und kaum besucht. Die Zeiten, da man, man wie EH Johann einst formulierte, jeglicher Vormundschaft klug entging, waren vorbei. Man wollte und will das gar nicht mehr.
Im Jahr 2009 wurde dann das Museum von Landesmuseum Joanneum in Universalmuseum Joanneum umbenannt. Ich hebe dieses Detail hervor, weil es symptomatisch für die jüngste Entwicklung des Hauses ist. Diese Umbenennung erfolgte unter nur noch symbolischer Einbeziehung der leitenden Mitarbeiter. Der Vertreter einer Beraterfirma, der das Gespräch moderierte, das spürbar über eine bereits gefällte Entscheidung geführt wurde, argumentierte, daß das Wort Landesmuseum ohnehin bloß ein verwaltungstechnischer Begriff und daher obsolet sei.
Das provozierte meine historischen Kenntnisse und ich argumentierte damals mit der Frühgeschichte und dem Gründungsstatut von 1811 gegen diese Verkürzung. Ich bin noch immer derselben Überzeugung von damals, daß ein Museum mit einer derart starken historisch-institutionellen Identität seinen Namen nicht hätte abstreifen sollen. Sondern daß man ganz im Gegenteil, auf der Modernität der Gründungsinstitutionen aufbauend, aber das ganz ohne Nostalgie, das Joanneum unter heutigen Bedingungen hätte rekonstruieren und strategisch ausrichten können. Denn das Konzept des Joanneum von 1811 – ich komme gleich darauf zurück -, verfolgte nicht eigensinnige und beliebige Vorstellungen des Gründers, sondern entfaltete Strukturmerkmale der aufklärerischen Museumsidee wie Öffentlichkeit, Wissensvermittlung, gesellschaftliche Verantwortlichkeit und reflexiven Umgang mit kollektiver Identität. Mit der Beibehaltung des alten Namens hätte man ihn gerade durch die Aktualisierung ursprünglicher Bedeutung neu mit Bedeutung füllen und mit ihm die strategische Ausrichtung des Hauses lancieren können.
Während die Leitung beim Namenstausch bei Universalmuseum an die Vielfalt der Sammlungen und Standorte des Museums dachte - das Joanneum ist eins der größten Museen Österreichs mit mehreren Dependancen in Graz und in der Steiermark -, während also mit einer Art Universalität der Repräsentanz durch vielfältige Sammlungen kokettiert wurde, träumte ich damals von einer Wiederbelebung radikaler öffentlicher und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit.
Heute ist das Grazer Museum das einzige der Welt, das sich „universal“ nennt und das sich damit und mit dem impliziten Vergleich mit dem Metropolitan Museum, dem British Museum oder dem Louvre in Museumskreisen ein wenig lächerlich gemacht hat. Aufgrund eines sehr rigiden Sparzwanges bekam es ohnehin kaum Gelegenheit, sich im Glanz dieser Marketing-Idee zu sonnen: der desaströse Landeshaushalt führte zu dramatischen Einschnitten, sogar die Schließungen von Kernsammlungen wurde diskutiert, wie die des Volkskundemuseums. Ganze Sammlungen sind inzwischen im Winter geschlossen und andere werden auch übers Jahr nur eingeschränkt offen gehalten, die Zahl der Ausstellungen wurde reduziert, beim Personal wird auf problematische Weise gespart, indem man Funktionen zusammenlegt und auch Leitungspositionen an sehr junge MitarbeiterInnen vergibt, weil das, noch dazu im Angestelltenstatus, der GmbH billiger kommt.
Nach der Ausgliederung verfolgte die Museumsleitung die Philosophie eines Konzerns mit unabhängigen Teilfirmen, gab also den Aufbau einer inhaltlichen Identität so gut wie auf. Jede Firma, das heißt in diesem Fall Abteilung, jeder Standort sollte seine spezifische Entwicklung nehmen dürfen und zusammengehalten sollte alles letztlich nur durch ein Corpoarate Design werden, das die Vielfalt in der Großstruktur visualisieren sollte. Man strebte institutionelle Identität nahezu nur noch durch Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit an. Das verändert aber grundlegend die Beziehung zum Publikum und zur Öffentlichkeit. Marketing, Vermarktung, betrifft die Bewerbung und Lancierung von Waren an Konsumenten. Ein solches Modell ist der Idee kritischer Öffentlichkeit diametral entgegengesetzt. Zur zentralen Prämisse wurde auch hier der sogenannte Besucherumsatz. Die Museumsleitung träumte auf der Basis von etwas über 300.000 durchaus problematisch erhobener Besuche, von einer Million Besucher im Jahr. Also von der zumindest statistischen Konkurrenzfähigkeit zu den großen Wiener Staatlichen Museen. Dieses Ziel wurde nie auch nur annähernd erreicht.
Obwohl ich während meiner Zeit nicht weniger als drei Anläufe zur Schaffung eines Corporate Design und nicht weniger als vier für die Webseite erlebt habe. Dabei wurde bezeichnenderweise nie entschieden, ob man sich auf das eigene Land konzentrieren sollte oder darüberhinaus auf ganz Österreich oder gar international attraktiv sein wollte. Das heißt, daß der Status als Landesmuseum seither undefiniert ist und daß es derzeit, verschärft durch den jährlich dringlicheren Sparkurs, keine inhaltlich-strategische Linie gibt.
Schwer wiegt, daß die Landespolitik keinerlei Auftrag an das Museum formuliert, daß das dominierende Medium, eine regionale Tageszeitung, weitgehend affirmativ berichtet und daß auch das Publikum keine Möglichkeit hat, sich zu artikulieren. Von keiner Seite wird das Museum gefordert. Es existiert, so kommt mir vor, derzeit in einem luftleeren Raum, unbehelligt von Ansprüchen, Verpflichtungen und Verantwortlichkeit.
Die Zeit seit 2003 wurde genutzt um nahezu alle Dauerausstellungen zu modernisieren und noch 2017 kommt es zu einer schrittweisen thematischen Erweiterung. Die im 19. Jahrhundert gegründete kulturhistorische Sammlung, die nach ihrer Übersiedlung in ein Innenstadtpalais unter dem Titel Museum im Palais an mangelnder Akzeptanz litt, wird als Geschichtsmuseum neu positioniert und es wird ein Science Center entstehen, das 2018 eröffnet werden wird. Damit kommt das Museum dem „Idealplan“ eines umfassend repräsentativen Museums, also dem des „Universalmuseum“ nahe. Im Grunde fehlen nur die Anthropologie und die Technik um ein, nach herkömmlichem Museumsverständnis „komplettes“ Museum zu verwirklichen.
Der „Konzern“ wächst, er diversifiziert sich, aber damit wird er weder globaler noch lokal spezifischer. Was mit dem historischen Auftrag, administrativ-politisch ja noch aufrechten, passiert, ein Landesmuseum zu sein, scheint mir ungewisser denn je.
Ich möchte hier nicht am Fall Joanneum Museumsbashing betreiben. Die Situation des Museums ist schwierig. Es ist groß, es ist teuer und es steht unter einem gewissen Druck, diesen Aufwand – vor allem finanziell -, zu rechtfertigen. Diese Dialektik ist neu und auch ein – wohl unerwünschter – Effekt der Ausgliederung. Denn in dem Maß, in dem man verwaltungstechnisch auf eine eigenständige Betrieblichkeit setzt, wird das Kriterium der wirtschaftlichen Rentabilität zum Erfolgskriterium per se. Wo früher eine zwar kameralistisch enge und gängelnde Finanzierung immerhin die Windstille steter Alimentierung garantierte, in der die Kernaufgaben des Museums von wirtschaftlichen Sorgen und Mühen unbehelligt verrichtet werden konnte, sieht sich jetzt das Museum (keineswegs nur das Joanneum) der Notwendigkeit ausgesetzt zumindest ausgeglichen zu bilanzieren und dazu auch diverse Drittmittel zu akquirieren, die ja selten ohne Erwartungen und Gegenleistungen überwiesen werden. So darf man sich fragen, welchen Effekt es haben wird, daß das Science Center von der Industriellenvereinigung gesponsert wird. Welche Erwartungen hat die, welche Wünsche knüpft sie an ihre Geldspende?
Für die Profilierung von Landesmuseen gibt es eine Grenze, die im Museumstyp eingeschrieben ist. Seine definitorisch exklusive Funktion. Im Wort Landesmuseum wird eine Repräsentationsanspruch für eine auf einem bestimmten Territorium lebende Gemeinschaft ausgedrückt, alles und alle anderen wird sozusagen per Definition ausgeschlossen. Bei einem Technik- oder Naturmuseum existiert ein derartiger Ausschluß nicht. Gerade der regionale Identitäts-Imperativ wirkt hinderlich bei der Entfaltung einer überregionalen Geltung und Wirkung. Warum soll ich als Kärntner ins Steiermärkische, als Salzburger ins Tiroler Landesmuseum gehen und wie soll dieser Museumstyp je gar suprantionale Effekte haben. Meiner Beobachtung nach konnte das Joanneum nur mit Kunstausstellungen, namentlich denen moderner Kunst im auch architektonisch spektakulären Kunsthaus, internationales Echo lukrieren. Und im sich permanent verschärfenden Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, keineswegs nur in dem mit anderen Museen sondern mit vielen kulturellen Einrichtungen und Events, haben bestimmte Museen schlechtere Chancen als andere. Dazu gehören Stadtmuseen und eben auch Landesmuseen.
Dabei hat sich das Joanneum seit 2003 umfassend erneuert: Die meisten Sammlungen erhielten neue Ausstellungen in umfassend sanierten Baulichkeiten und der Neubau der unterirdischen Erschließung und Verbindung der beiden ältesten Standorte und der Titel Museumsviertel, war vielversprechend. Doch gerade dieser Ausbau glückte nur teilweise und es entfaltet sich dort kein urbanes Leben, obwohl die Voraussetzungen günstig gewesen wären. Der architektonischen, ausstellungstechnischen und inszenatorischen Erneuerung korrespondierte keine gleichermaßen beherzte inhaltliche Erneuerung. Und der rigide Sparkurs des Landes nötigt nun schon seit Jahren alles mit gedrosselter Energie zu betreiben.

6 Das Museum – so oder so eine Entscheidung

Damit habe ich den Schnelldurchgang durch die Geschichte des Grazer Joanneums fast beendet. Mir ist diese Kurzgeschichte etwas dramatisch geraten. Der Kontrast zwischen dem bemerkenswerten Auftakt und der problematischen Gegenwart ist hart ausgefallen. Gerade weil in der Geschichte einer einzigen Institution mehrere Möglichkeiten sichtbar werden, gerade weil sichtbar wird, daß es immer wieder Entwicklungsstufen gibt, an denen eine bestimmte Entscheidung getroffen wird, so oder so, bewußt oder unbewußt, wie  und zu welchem Zweck ein Museum zu denken und zu betreiben sei, wird jeder vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und der spezifischen Geschichte „seines“ Museums (in dem er arbeitet), eigene Schlüsse ziehen können.
Worauf es mir ankam, war auf Optionen hinzuweisen, die in der Entwicklung eines bestimmten Museums, des Joanneums, aber strukturell im Museum allgemein angelegt waren. Optionen, von denen manche verschwunden, vergessen, verdrängt oder entstellt worden sind.
Eine Absicht war, zu zeigen, daß in der Geschichte der Institution Museum, nicht nur der des Joanneums, etwas Entscheidendes angelegt ist, die Formulierung von nicht mehr und nicht weniger als eines gesellschaftlichen Sinns des Museums. Auch hier gibt es selbstverständlich eine Wahl, wie man den bestimmt. Man hat aber immer mehrere Optionen. Verantwortliche Politiker, Museumsleiter und Kuratoren haben ihre Freiheit, wie sie ein Museum positionieren. Nur das Publikum und die allgemeine Öffentlichkeit haben keine Wahl. Sie haben keine Stimme, wenn es um die Konzeption und Gründungen von Museen geht. Hier liegt ein Problem – eins, das ich hier nicht weiter verfolge.
So sehr man also die Wahl hat - was ich nicht glaube ist, daß man den „Sinn“ des Museums (man kann von mir aus auch sagen: das Ziel, die mission oder was immer) offen zu lassen. Meist geschieht dies. Museen, die sich nicht darüber im klaren sind, was sie eigentlich tun und wozu, verfehlen ihren Auftrag. Man kann Ideen adaptieren, ändern, modernisieren und daher mehr oder weniger stark in der historischen Idee des Museums angelegte strukturelle Elemente ebenfalls adaptieren und reformulieren. Was man meiner Meinung aber nicht tun kann, sich nicht darüber Rechenschaft abzulegen, wovon man sich bei der bewußten oder unbewußten Positionierung einer Museumsarbeit verabschiedet, was man verwirft und aus welchen Gründen man das tut.
Im letzten Teil meines Vortrages möchte ich deshalb die noch verstreut und unverbunden in meinem Text umhergeisternden Begriffe wie Öffentlichkeit, Identität und Demokratie miteinander in Verbindung setzen. Mit anderen Worten, mich mit der Zukunft einer Idee vom Museum beschäftigen, die neuerdings auch schon mal – nämlich von Walter Grasskamp in seinem Buch über das Kunstmuseum -, eine erfolgreiche Fehlkonstruktion genannt worden ist.

7 Der gesellschaftliche Sinn des Museums

Ich kehre ich ein letztes Mal zur Geschichte des Joanneums zurück, und zwar zum Gründungsstatut, das EH Johann 1811 verfasst hat.
Wegen der altertümlichen und daher gewöhnungsbedürftigen Sprache zerlege ich den kurzen Textausschnitt gleich in kommentierte Einzelteile. Am Beginn steht ein allgemeiner gesellschaftspolitischer Imperativ, wie eine Feststellung einer Tatsache, die Notwendigkeit und Wünschbarkeit von Fortschritt. Ich zitiere: „Stäte Entwickelung, unaufhörliches Fortschreiten ist das Ziel des Einzel­nen, jeden Staatenvereines, der Menschheit“.  (...) „Stillestehen und Zurückblei­ben ist (…) einerley.“
Um einen Stillstand zu vermeiden, bedarf es etwas, was ich heute als kollektive Geistesgegenwart bezeichnen würde, als historischen Tastsinn (Dan Diner), als seismographische Gabe des Museums, auf Gegenwart zu reagieren: „Das Vorbild jener Wachsamkeit, Willenskraft und Er­findungen, wodurch Heere, Regierung, Kunstfleiß musterhaft werden, muß den Geist unaufhörlich emporhalten, um bei jedem Aufrufe des Ver­gangenen würdig, der Gegenwart gewachsen, für die Zukunft wohlthätig zu seyn.“
Hier ist also von einer transgenerationellen Erfahrung die Rede, die die drei Zeitdimensionen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet, also Geschichtsbewußtsein als Basis für zukunftsoffene und zukunftsfähige Entwicklung stiftet.
Dann geht es um „Die Nothwendigkeit, gründliche Kenntnisse an die Stelle hohler Vielwisserei, Kraft und Festigkeit an jene der immer weiter umgreifen­den Frivolität und egoistischen Zurückziehens, reges Leben und uner­schütterliche Fassung an die Stelle dumpfen Hingebens, einer schmähli­chen Gleichgiltigkeit, eines kargen Abfindens mit seinen Pflichten zu set­zen (..)“.
Man mag das mit Wissen, im engeren Sinn mit Wissenschaft oder mit Bildung übersetzen, alles steht hier freilich im Dienst einer überindividuellen Aufgabe der Bewältigung der öffentlichen Angelegenheiten. Deshalb steht nicht wie noch wenige Jahrzehnte zuvor bei Sammlungsinstitutionen die Loyalität zum Herrscher im Mittelpunkt und die Würdigung seines Mäzenatentums, sondern die zum gesellschaftlichen Ganzen. Es geht darum „ (...) mit ganzem Herzen sich anzuschließen ans theure Vaterland, auf die höchste National-Angelegenheit, auf die Erziehung unablässig sein Au­genmerk zu richten (…). Und erst jetzt kommt der Text auf den Gegenstand, den Inhalt des Museums zu sprechen. „Dasselbe soll alle in den  Umkreis der National-Literatur gehörigen Gegenstände in sich begreifen. Alles, was in Innerösterreich die Natur, der Zeitwechsel, der menschliche Fleiß und Be­harrlichkeit hervorgebracht haben, was die Lehrer der verschiedenen öffentlichen Anstalten ihren wißbegierigen Zöglingen vortragen. Es soll dieselben versinnlichen, dadurch das Lernen erleich­tern, die Wißbegierde reitzen, jenes dem Selbstdenken und hiemit der Selbständigkeit so nachtheilige bloße Memoriren, jene schädliche Kluft zwischen dem Begriff und der Anschauung, der Theorie und der Praxis mehr und mehr ausfüllen helfen.
Der Schluß ist das vielleicht Verblüffendste an dem Text, denn er stellt so etwas wie eine medientheoretische Begründung dar, warum denn ausgerechnet ein Museum die Kerntugend von Aufklärung, das „Selbstdenken“ fördern und die großen gesellschaftlichen Aufgaben bewältigen helfen soll. Es ist die Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit, die das Museum auszeichnet, sein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu vielen anderen Medien und Institutionen ist aber nicht als Verdinglichung gedacht wird. Objekte sind hier nicht, wie das oft im Museumsdenken Platz greift, um ihrer selbst willen das Zentrum, sondern als Medien der Kommunikation mit spezifischen Eigenschaften.
Das für mich bis heute Beeindruckende an diesem ausschnittsweise zitierten Statut ist die gesellschaftspolitische Zielsetzung. Welches Museum leistet sich noch eine derart emphatische Selbstvergewisserung in Form einer ausformulierten gesellschaftlichen Verantwortung?
So wie das Joanneum bei seiner Gründung konzipiert wurde, läßt sich manches auf Sammlungspolitiken des späten 18. Jahrhunderts, auf die Praxis mancher Fürstenmuseen zurückführen, die bereits viel stärker das Gemeinwohl als die persönliche Repräsentation verfolgten (wie die erwähnten in Wien oder Florenz). In der betont instrumentellen Rolle des Museums als Katalysator der wirtschaftlichen Entwicklung erkennt man physiokratische Ideen derselben Zeit. Aber die Zwecksetzung im Dienst eines Landes, einer Nation, die in die Hände politisch aktiver Bürger gelegt wird, das ist neu. Und nicht denkbar ohne die großen Museumsgründungen während der Französischen Revolution in den Jahren 1793 und 94.
Das Museum d’Histoire Naturelle knüpfte an die große Wissenschaftstradition des königlichen Naturalienkabinetts an, stellte Forschung und Experiment aber ganz in den Dienst der Gesellschaft wie auch ein neuartiger Museumstyp, das Musée des Arts et des Metiers, das handwerkliche und industrielle Produktion beflügeln sollte, eine Aufgabe der auch die in jenen Jahren im Louvre ausgerichteten Industrieausstellungen hatten. Ehe ich auf das dritte Museum zu sprechen komme, das Kunstmuseum im Louvre, ein Wort zum Stellenwert dieser Gründungen.
In der Museumsgeschichtsschreibungen ist es nur eine Minderheit von Forschern, die diesen Gründungen den Status einer grundsätzlichen neuen praktisch wie theoretischen Auslegung des sehr alten Wortes Museum geben. Museum das ist die latinisierte Fassung von museion, dem Ort, an dem sich in der griechischen Mythologie die Musen, Töchter der Göttin des Gedächtnisses Mnemosyne in Tanz und Gesang zusammenfinden. Meist wird über verschiedene Entwicklungsstationen wie das hellenistische Museion in Alexandria, die Sammlungsgründungen in der italienischen Renaissance und die fürstliche Sammel- und Ausstellungspolitik ein großer kontinuierlicher Bogen bis zur Institution der Gegenwart geschlagen. Andere Forscher sehen in der Zeit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution ein neues Modell vom Museum entstehen. Seit ich mich mit Museumsgeschichte beschäftige, habe ich mich immer auf die Seite dieser Auffassung geschlagen und ich vertraue darauf, daß ich hier, wenn auch nur knapp gerafft, etwas von der Bedeutung dieser Museumsjahre und -gründungen als Zäsur vermitteln kann.
Als genuin französische Entwicklung wurde das Pariser Museumsmodell rasch in die Provinzen Frankreichs verpflanzt, mit über einem Dutzend Gründungen in diversen Departements. Mit den napoleonischen Feldzügen wurde das Museum nach Europa getragen. Meist wird dabei der die Feldzüge begleitende Kunstraub diskutiert, der namentlich dem Louvre zugutekam, diskutiert und die produktive Rolle der Kulturpolitik Frankreichs geflissentlich übersehen. Manche der heute noch bedeutendsten Museen sind Gründungen der napoleonischen Administration, wie z.B. das Rijksmuseum in Amsterdam, der Madrider Prado, das Museum der Schönen Künste in Brüssel, die Brera in Mailand oder die Accademia in Venedig. Kaum eine Museumsgründung der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts konnte sich dem Einfluß des neuen Museumsmodells entziehen, das nahezu augenblicklich auch vom Französischen zum europäischen Exportschlager wird - mit Museumsgründungen noch im ersten Jahrzehnt in allen Kontinenten. Heute gibt es praktisch kein Land der Welt ohne Museum und sie alle folgen mehr oder minder noch immer den im letzten Drittel des 18.Jahrhunderts im Kontext von Revolution und Aufklärung entwickelten Prinzipen.
Welche das sind kann man am besten am Louvre und der Geschichte seiner Entstehung studieren - der wichtigsten Gründung während der Revolution. Als am 10. August 1793 das Museum im Königsschloß eröffnet wurde, ist das der Tag eines großen Festes und Festzuges in Paris, in der Zigtausende auf den Straßen sind um einer Zeremonie beizuwohnen. Vertreter aller Departements ziehen mit der Bevölkerung an ephemeren Denkmäler vorbei um schlußendlich vor der Statue der Weisheit gemeinsam aus einem Brunnen zu trinken (unschwer als Kommunion zu erkennen) und in einem Schwur die Unteilbarkeit der Nation feiern. Die Zusammenlegung der Ereignisse, Fest und Museumsöffnung, erfolgt genau kalkuliert, politisch vom Innenminister Garard, inszenatorisch vom Maler David, dem Vorsitzenden des Museumsausschusses des Parlaments, geplant. Der Historiker Arthur McClellan hat das, was an diesem Tag passierte in seinem Buch über den Louvre so beschrieben: The investiture of the Louvre with the power of a Revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.
Der Tag ist überdeterminiert. Es ist Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien und der Verhaftung des Königs und der, an dem eine neue, die erste republikanische Verfassung Frankreichs deklariert wird.
Er verändert nicht nur das Museumspublikum, wie McClellan schreibt, er verändert das Museum als Ganzes. Museen sind ab nun zivilisierende Rituale, in denen sich Gemeinschaften über sich selbst, ihre Herkunft, ihrer Geschichte und der Grundlagen ihrer Gemeinsamkeit versichern.

8 Das Museum – ein zivilisierendes Ritual des Sich-Sammelns

Museen sind ab nun Medien der Selbstauslegung und Selbstvergewisserung im Rückgriff auf gesammelte Gegenstände. Exponate verstehen wir als Dinge, die Geschichte repräsentieren oder die erlauben, vergangenes Leben und vergangene Ereignisse in die Gegenwart heraufzurufen.
In der Museumspraxis hat man meist die inhaltliche und narrative Seite im Auge, das heißt, die Ausstellung als den kommunikativen Brückenschlag zum Besucher, die Objekte als Medien, die visuelle Erzählung, die ihm erlaubt Wissen zu erwerben und Erfahrungen zu machen. So besehen ist der Museumsbesuch ein eigentümlicher Lernort, der sich, wie uns die Museumssoziologie versichert, eher zerstreute Aufmerksamkeit und selten Lernen im konventionellen Sinn einstellen. Darüber hinaus ist der Museumsbesuch ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischen und in dem der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten reflexiv geprüft und abgewogen werden kann.
Obwohl die ungeschriebene Museumsetikette unverbindlicher zu werden beginnt, „wissen“ wir alle, wie wir uns in Museen zu verhalten haben, dezent, rücksichtsvoll (gegenüber Besuchern), anerkennend (gegenüber den Exponaten). 
Dabei entpuppt sich das Museum mehrfach als Ort der Sammlung: wir sammeln uns im Sinne von „Konzentriert-Sein“, „Empfänglich-Sein“ – ehe wir auf eine Sammlung treffen wo wir die Dinge in ihrer spezifisch erzählerischen oder visuellen Qualität würdigen. Sie bilden eine Sammlung die deponiert, registriert, konserviert und inventarisiert wird. Ab der Revolution ist dieser kulturelle Schatz Gemeinbesitz aller Bürger – das ist ja heute bei den meisten staatlichen Museen so. Das ist also auch neu und neu ist, daß alle das Recht haben, diesen Schatz, ich verwende ein Wort der Revolutionszeit, diesen Schatz zu genießen. Nicht wie bisher, wenn ein privater Sammler aus Gunst den Zutritt gewährte, sondern ab nun als verbrieftes Recht. Die französische Verfassung erhebt damals das Recht auf Bildung in Verfassungsrang – übrigens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Recht auf Arbeit.
Das Gesammelte, dieser museale Schatz, sammelt aber selbst, nämlich das Publikum. Im Museum versammeln wir uns um Dinge wie um ein symbolisches gut, um eine cosa nostra.
Etymologisch läßt sich die Engführung von Sammlung im Sinn von Zusammenstellung von Dingen einerseits und Sich-Sammeln im Sinn von Zusammenkomme um etwas zu sehen und zu erfahren gut nachvollziehen. Das altnordische Wort thing für die periodische Volksversammlung zum Zweck der Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten und für den Ort, an dem diese Versammlung stattfindet, die Thingstätte, wird genau so geschrieben wie das englische Wort thing für Ding, Sache. Die ältere Bedeutung ist heute noch gegenwärtig in vielen Bezeichnungen, etwa in der Bezeichnung Storting für das Schwedische Parlament.
Kaum ein Museumsbau verzichtet auf einen empfangenden Bedeutungsraum, an dem dieses Ritual des Sich-Sammelns zum Ausdruck kommt und sich formieren kann. Häufig finden wir in solchen Räume noch keine Ausstellungsgegenstände, denn das Objekt dieses Raumes ist das sich einfindende Publikum, das sind „wir“.
Was dann in den Schauräumen zu sehen gegeben wird, scheint verstörenderweise unter diesem Gesichtspunkt des rituellen Sich-Sammlens arbiträr zu sein. Archäologische Relikte, kanonische Kunstwerke, technische Apparaturen oder meinethalben ländliche Trachten - nahezu alles scheint geeignet zu sein, als Common object eine einerseits individuelle (jeder Gegenstand ist ein dem Subjekt Gegenständiges) andrerseits aber auch gemeinschaftliche Erfahrung zu stiften.
Um den Prozeß der Herausbildung des common objects, dieses Dings, das sammelt, zu verstehen, gehe ich noch einmal zu den Jahren 1789ff. zurück. Mit dem Beginn der Revolution setzt ein Bildersturm ein, der die Zeichen des Ancien regime beseitigen will. Bücher, Kunstwerke, Archivalien sind betroffen, ganze Kirchen werden abgebrochen, verkauft oder mindestens säkularisiert. Besonderer vandalischer Eifer gilt den Königsdenkmälern, auch die Königsgalerie an der Fassade von Notre Dame wird zerstört und die Königsgräber in Saint Denis geplündert. An den einschlägigen Debatten im Nationalkonvent kann man ablesen, wie sich aus dem Bildersturm heraus die genau gegenteilige Politik des Bewahrens, Sammelns und Deponierens entwickelt und wie für das Ganze der nun pfleglicher behandelten kulturellen Werte ein neues Wort in Umlauf gesetzt wird: Patrimoine, also so viel wie: väterliches Erbe. Etwas, wofür dann in allen Sprachen Äquivalente geschaffen werden: Heritage, kulturelles Erbe oder I beni culturali.
Die Politik der Zerstörung weicht dem Gegenteil, einer der Bewahrung. Diese Entwicklung mündet in die Gründung erster großer Museen, die genau in dem Jahr entstehen, in denen der König verurteilt und hingerichtet wird.
Der Zusammenhang ist auffällig und nicht zufällig. Mit der Verurteilung und Guillotinierung des Herrschers verliert die französische Gesellschaft ihr einigendes Band, ihr Zentrum, ihr zentrales Symbol. Die Versuche, etwas an ihre Stelle zu setzen, die großen politischen Feste, eine Vernunftreligion und anderes, scheinen nicht zu genügen. Es geht ja nicht nur um den König. In der Revolution wird mit der gesamten Herkunftsgeschichte gebrochen, ein Neuanfang gesetzt, wie er sinnfälliger als in der Zerstörung der Uhren in der Stadt kaum zum Ausdruck kommen kann. Eine neue Zeit soll beginnen, alles Alte soll abgestreift werden. Aber keine Gesellschaft kann ohne eine Vorstellung ihrer Herkunft existieren. Die läßt sich nicht abbrechen und zerstören, wie die Denkmäler im Bildersturm. Der Furor des Verschwindens ist ängstigend und bedrohlich.
Es scheint mir legitim, auch die Museumspolitik der Revolution als Versuch zu interpretieren, der drohenden Desintegration der Gesellschaft entgegenzuwirken. Das kulturelle Erbe ist ja etwas, was bis heute eine solche Funktion übernehmen kann, manchmal sind es sogar einzelne Objekte, denen man das zuschreibt, meist genügt die Abstraktion ganz allgemein.
Der Platz, den der Französische König eingenommen hat, wird aber nie wieder besetzt werden können – nicht unter republikanisch-demokratischen Bedingungen. Denn in der Demokratie ist der Platz der Macht leer, darf nicht auf Dauer besetzt werden. Ausübung der Macht unterliegt periodischem, durch Wahl reguliertem Wechsel.

9 Reflexionsort Museum

Demokratische Gesellschaften existieren mit einem permanenten Mangel und einer permanenten Auseinandersetzung um den leeren Platz der Macht. Deshalb kann es unter solchen Bedingungen auch keine kollektive Identität wie etwas Feststellbares, Endgültiges, Essentielles geben. Auch sie ist ständig umkämpft, umstritten und die Postulierung gemeinsamer Werte, führt erneut in Widersprüche, weil auch die umstritten und umkämpft sind. Das muß man in Zeiten wie diesen, wo die Wertedebatte eine so große Rolle spielt, nicht weiter erläutern.
Das macht Demokratien so verletzlich und anfällig für Beschädigungen. Vor allem dann, wenn es an Gelegenheiten und der Entschlossenheit fehlt, sie jederzeit zu verteidigen und lebendig zu halten. Für die nötige und unvermeidliche Auseinandersetzung braucht es Orte und Formen, braucht es Öffentlichkeit.
In den späten 50er-Jahren hat Jürgen Habermas seine große Studie zum Strukturwandel der Öffentlichkeit dieser zentralen politischen Kategorie gewidmet. Was er untersucht ist die liberale, bürgerliche Öffentlichkeit, ohne die Demokratie nicht denkbar und nicht lebbar ist. Nebenbei gesagt identifizierte er ausgerechnet das Museum und die Ausstellung als Geburtsort dieser Öffentlichkeit. Nämlich die Ausstellungen der Königlichen Akademie der Künste in Paris und ihre seit dem späten 17. Jahrhundert periodisch ausgerichteten Kunstausstellungen, die nach ihrem Veranstaltungsraum im Louvre bis weit ins 19. Jahrhundert als Salon bekannt sein werden. Der Zerfall normativer ästhetischer Vorstellungen bewirkt, daß die Geltung und Qualität von Kunst ab nun dem Urteil der öffentlichen Meinung unterworfen ist.
Merkmale bürgerlicher Öffentlichkeit sind die Zusammenkunft unter tendenziell Gleichen, Herrschaftsfreiheit, Zwanglosigkeit, und die Achtung und Anerkennung des Anderen. Allessamt Bedingungen unter denen ein vernünftiges Aushandeln der öffentlichen Angelegenheiten stattfinden kann.
Insofern das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit ist, kommen wir zum erstaunlichen Schluß, das das Museum nicht einfach nur politisch im Sinne einer ideologischen Zuschreibung oder Haltung sein kann, sondern daß es (unter demokratischen Bedingungen wohlgemerkt) ein Ort des Politischen selbst ist. Ein paradoxer Ort, an dem die Integration der Gesellschaft hergestellt werden soll und das im Wissen, daß dies immer auch scheitern wird und muss. Paradox aber noch dazu zweitens, weil das Museum ja selbst ein umkämpfter Ort des Symbolischen ist, als, ich zitiere die Wiener Museologinnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, „... Teil der kulturellen Praktiken, in denen sich Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und kollektive Narrationen sowie gesellschaftliche Wissensformen und Diskurse manifestieren.“
Das Museum neigt als Medium und Institution dazu, die Werte, die es vertritt als unumstößlich auszugeben. Die lange Dauer der Formierung etwa eines Kunstkanons erscheint uns im Museum als objektiv und wahr, als natürlich, obwohl in den Prozeß der Kanonisierung Ausschlüsse, Zuschreibungen, Deutungen usw. eingegangen sind, die aber nun im Museum gleichsam unsichtbar geworden sind. Es gibt so etwas wie eine Macht der Anordnung (im weitesten Sinn), die in jedem Museum wirkt und als Wahrheitsgeschichte erzählt wird. Da die Interessen, die in den Prozess der Auswahl und Deutung eingegangen sind, immer die kleiner gesellschaftlicher Gruppen, Eliten gewesen sind, aber als unumstößlich und allgemein gültige, also im sozialen Sinn auch allgemein verbindlich für jedermann ausgegeben werden, hat das Museum eine hegemoniale Funktion.
Hier liegt ein weiterer Grund, warum das Museum selbst Öffentlichkeit herstellen sollte, weil nur unter dieser Bedingung die Macht der Anordnung, die Macht einer versteckten Autorschaft gebrochen werden und die Unumstößlichkeit von Deutungen relativiert oder auch verworfen und ersetzt werden kann. Öffentlichkeit des Museums besteht ganz und gar nicht in seiner (ohnehin begrenzten) Zugänglichkeit, sondern in der aktiven Teilhabe der Besucher und möglichst der Allgemeinheit. Museen können nicht bloß darauf warten, daß Besucher kommen, sondern müssen selbst Öffentlichkeit aktiv herstellen. Das ist aber eher selten der Fall, die Museen haben dafür und für die Tragweite dieser Frage kein ausreichendes Problembewußtsein. Alles was sie an mehr oder weniger neuen Formen der Zuwendung zum Publikum entwickeln, vom audience development bis zum Kindergeburtstag, von der Seniorenführung bis zum partizipativen Projekt, vom ermäßigten Eintritt für Kinder und Jugendliche bis zur langen Nacht im Museum, ist so lange irrelevant, solange nicht qualitativ eine diskursive und reflexive Öffentlichkeit hergestellt wird. Nur an diesen diskursiven und reflexiven Qualitäten dürfte man all diese Anstrengungen und Maßnahmen messen.
Es gibt noch eine andere Bedeutung von Öffentlichkeit. Sie zu erläutern klärt etwas über das Verhältnis von Gesellschaft, Staat einerseits und Allgemeinheit und Publikum andrerseits auf. Öffentlich ist das Museum als vom Staat im Interesse der Gesellschaft  eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen Institutionen, die wir deswegen öffentlich nennen, einem Gesellschaftsziel dient.
Das Museum ist eine Einrichtung des Wohlfahrtsstaates wie Schulen, Kliniken, Bäder, Verkehrsmittel, Universitäten, Gefängnisse und vieles andere mehr. Deren Sinn erschöpft sich ja auch nicht in ihrer Zugänglichkeit (wir rechnen nicht damit, je freiwillig ein Gefängnis betreten zu „dürfen“), sondern sie heißen allesamt öffentlich insofern sie gesellschaftliche Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten bedienen. Wohlfahrt mag ein Wort sein, das wenig attraktiv klingt. Aber es umfasst weit mehr als das, was wir heute unter Sozialstaat verstehen, also nicht bloß die Transferleistungen, die einen sozialen Ausgleich und ein Minimum an Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten für jedermann garantieren. Wohlfahrt meint das Wohlergehen ausnahmslos aller.
In den ältesten demokratischen Verfassungen, der amerikanischen und der erwähnten französischen von 1793 steht an Stelle des Wortes Wohlfahrt noch ein anderes, das auf einen Schlag klar macht, was auf dem Spiel steht, nämlich das Wort Glück. Und das als höchstes Staatsziel als zentraler Zweck der Gesellschaft.
Seinen gesellschaftlichen Sinn könnte man beim Museum ganz allgemein in der Bereitstellung eines Aushandlungsraumes sehen, an dem in Form eines zivilisierenden Rituals Menschen zum Zweck der Selbstdeutung und Selbstauslegung zusammenkommen. Hier verständigen sie sich über ihre Herkunft und Zukunft, über gemeinsame Werte, über ihr Eingespanntsein in die Dialektik von Eigenem und Fremden oder Natur und Kultur wie über das Verhältnis von Mehrheit und Minderheiten oder die Differenz von biologischem und kulturellem Geschlecht. Jede dieser Funktionen ließ sich an den einschlägigen Museumstypen bis ins Detail der Museumsroutinen beobachten und beschreiben, egal ob wir vom Heimatmuseum oder vom Technikmuseum, vom Kunstmuseum oder vom ethnologischen sprechen. In jedem Museum ließen sich diese Themen wie in homöopathischen Spuren lesen, an einzelnen Objekten und Arrangements, an Texten oder Ensembles. Oft nur wie Symptome, die das Museum, also die MitarbeiterInnen immer dann bilden, wenn sie sich dem Ungewußten in ihrem Tun nicht stellen und allenfalls in Versprechern und Fehlleistungen uns das Unausgesprochene in ihrer Intention indirekt zugänglich wird. Reflexive Öffentlichkeit ist also auch eine Frage der Museumspraxis, sie zwingt dazu, alle Entscheidungen bis in die organisatorischen oder gestalterischen Feingriffe hinein, zu bedenken und zu begründen. Auch davon sind viele Museen weit entfernt.
Reflexivität ist auch gefordert, wo es um das „unmögliche Objekt“ geht. Diese Reflexivität müsste auf der Ahnung beruhen, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, oder besitzen wollen und suchen, es entzieht sich uns ständig.
Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, muß ein Museum, das dieser Problemlage standhält, die Fähigkeit besitzen, reflexiv mit sich selbst umgehen. Es bedarf einer Reflexivität, die sich freilich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer mehrfachen, auf sein Tun gerichteter Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen.  Dazu gehört das Wissen, daß Museen auch repräsentieren „...was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden sollte oder jedenfalls verborgen blieb (...) Die Präsentation wachsender Naturbeherrschung verweist auf die Naturzerstörung, die Musealisierung fremder und vergangener Kulturen auf deren gewalttätige Eroberung und Vernichtung durch eben die gesellschaftlichen Kräfte, die ihnen im Museum ihr Interesse bekunden.“ (Sabine Offe).
Im Ausmaß der Reflexionsfähigkeit und der Fähigkeit Räume zur Reflexion sich selbst und für andere zu schaffen, entscheidet sich, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“,_ wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.