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Sonntag, 27. Dezember 2020

Meine Lieblingsmuseen. Die ersten elf


John Soane's Museum
London

Der "Dome" in der Darstellung desSoane-Schülers Joseph Gandy
Der heute immer noch hoachangesehene englische Architekt John Soane (1753-1837) konnte sich von seinen Einkünften aus Architekturprojekten wie der Bank of England, den Ankauf dreier nebeneinander liegender Häuser an Lincoln's Inn Fields leisten. Nach und nach erwarb er seit 1792 die Häuser und gestaltete sie im Inneren tiefgreifend um.
Hinter den schlichten Fassaden verbirgt sich ein labyrinthisches Puppenhaus, das Wohnung, Bildergalerie, Atelier, Studio und Sammlungsgebäude zugleich ist. Sonne bestimmte testamentarisch die Umwandlung in eine Museum, was 1830 auch erfolgte. Sehr zum Unwillen seines Sohnes, der, erfolglos, das Testament anfocht. Seither ist der Häuserkomplex bis auf wenige Eingriffe im Originalzustand erhalten und  - wegen der Enge der Räume jeweils in begrenztem Umfang - öffentlich zugänglich.
Einzigartig ist die Verschachtelung und visuelle Verbindung der unterschiedlichen Räume durch Schaffung raffiniert konzipierter Durchsichten, Anlegen vertikaler Räume, auch in Form von Binnenhöfen, der Verwendung von Verspiegelungen u.a. mit Vexierspiegeln, die Verwendung von mit farbigem Glas bestücktem Oberlicht in manchen Räumen und der exzessiven Ausstattung mit Kunstwerken, Fragmenten, Modellen, Spolien, Kopien.
John Sonne war nicht nur ein bedeutender Architekt und Lehrer, er muß auch den den Engländern zugeschriebenen Spleen im Übermaß besessen haben. Die diversen historisierenden und romantizistischen Räume nutzte er für uns heute verschroben wirkende Geselligkeit und die Philosophie des ganzen lief auf eine Art von Leben in einer durch Ausgrabung wieder teilweise sichtbar und nutzbar gemachte archäologische Stätte hin. So jedenfalls hat es Sonne selbst als Lesart in einer seiner Schriften erläutert.
Das hinderte ihn aber nicht daran, die Wohnräume in elegantem und behaglichem Stil einzurichten, wiewohl auch hier raffinierte Lichtsituationen, exzentrische Lösungen für gewölbte Decken, raffiniert inszenierte Durchblicke, präzise platzierte antike oder zeitgenössische Kunstwerke weit über den bloßen Wohnzweck hinausweisen.
Kernstück des komplexen Inneren ist der sogenannte "Dome", ein vertikaler, von Galerien gesäumter, durch alle Geschosse bis in den Keller reichender Raum der mit zahllosen Antiken und Fragmenten buchstäblich übersät ist. Am Grund des Schachts steht ein ägyptischen Sarkophag, den das British Museum nicht erwerben wollte. Blickfang ist eine Kopie des Apoll von Belvedere. Genau gegenüber hat der Hausherr sich selbst platziert - in Form einer antizipierenden Büste.
Für den Freimaurer Soane waren Haus und Ausstattung eine individuell identitätsverbürgende historisch-archäologische Szenerie, deren metaphorische Ruinosität eine künftige Erfahrbarkeit als archäologische Stätte und Zeugnis vergangenen Lebens evozieren sollte.
Für mich ist es ein einzigartiges Museumskuriosum mit nahezu unerschöpflicher Komplexität und mit dem Charme einer versunkenen exzentrischen englischen Lebensweise.

Musei Capitolini in der Cantrale Montemartini
Rom
























In Hinblick auf das "Heilig Jahr" 2000 wurde die Kapitolinische Antikensammlung, eine der ältesten der Welt, umfassend und beeindruckend renoviert. Im Zuge dieser Renovierung der Museen am Kapitol wurde eine Dependance in einem ehemaligen E-Werk an der Ausfallstraße nach Ostia eingerichtet. Das 1912 eröffnete erste kommunale E-Werk wurde nicht entkernt und zum white cube, sondern man beließ die energieerzeugenden riesigen Anlagen in den Hallen im Zustand eines Industriedenkmals und arrangierte an die vierhundert Antiken mit Hilfe einiger moderner Einbauten um die Anlagen herum.
Zunächst war das als Provisorium während der Renovierung des Museums am Kapitol gedacht, doch 2005 wurde die Centrale in ein dauerhaftes Museum umgewandelt. Als solches beherbergt es keineswegs Werke "zweiter Wahl", sondern ästhetisch, ikonografisch und historisch herausragende Objekte, die einen ziemlich überraschenden Dialog mit den Maschinen, Kesselanlagen und Öfen eingehen. Der historisch und ästhetisch unerwartete Rahmen schärft im Dialog mit ihrer Umgebung - klassische Archäologie trifft auf Industriearchäologie -, den Blick auf völlig ungewohnte Weise. Ich kenne kein anderes Museum, wo ein so schroffer Gegensatz erzeugt wird, allerdings auf einer ausschließlich ästhetischen Ebene.

Musée de la chasse er de la nature
Paris

Das kleine private Museum hält viele Überraschungen für den Besucher bereit. In die Rokoko-Architektur subtil eingefügte Flora und Fauna gleicht eher einer Märchenerzählung, als einem Museum. Es mangelt aber nicht an didaktischer Absicht. Mit nicht wenig Text, der aber den Zauber der Rauminstallationen nicht stört, wird eine Sichtweise auf Natur gepflegt, die ich von keinem anderen Naturmuseum kenne. 
Natur ist keine hier selbstverständliche Größe, die der menschlichen Sphäre erratisch gegenübergestellt wird. Natur ist hier ein von Menschen beeinflußte und von Menschen gesehene und interpretierte Sphäre. Natur im Museum ist immer eine vermittelte, interpretierte.
Die subtile und kluge Ästhetisieren, die das Museum kennzeichnet, ist kein Selbstzweck, sondern bricht mit einem zu naiven Blick auf das herkömmliche Naturverständnis. Das Zusammenspiel von Räumen, Möbeln und Objekten ist bezaubernd, aber es hält uns immer beim Thema - unserem Blick auf Natur die Reflexion über unser Verhältnis zu Natur hinzuzufügen. Das Museum ist ausgesprochen witzig, etwa wenn sich auf eine flüchtigen Blick als in einem Gang installierte Überwachungskamera auf den zweiten Blick als Vogelhäuschen herausstellt. Und nirgendwo wird der Besucher mit einer Serie von Animationen auf eine derart witzige und liebevolle Weise aus dem Museum verabschiedet, wie hier. "Traumhäuser der Vernunft" hat mal jemand, war es Walter Benjamin?, Museen genannt. Hier ist eins davon.

Museo civico di Castelvecchio
Verona
























Das Museum ist in einer hochmittelalterlichen Burganlage untergebracht und wurde vom Ende der 1950er-Jahre bis in die beginnenden 70er-Jahre von Carlo Scarpa in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Museumsleiter umgebaut und eingerichtet. Im Untergeshoß befinden sich Skulpturen, im oberen Geschoss eine Gemäldegalerie. 
Das Museum einschließlich des vorgelagerten gärtnerisch gestalten Hofes wurden von Scarpa bis in die kleinsten Details durchgestaltet. Fensterrahmungen, der Übergang vom Fußboden zur Mauer, die Türen, Leuchtkörper, die Gestaltung der Fußböden, die Material- und Farbwahl, Aus- und Durchblicke - alles wurde gründlichsten Überlegungen unterworfen. 
Scarpa konzipierte einen abwechslungsreichen Parcours durch die vielfältigen Raumsituationen. Höhepunkt des Rundgangs ist eine frei in den Hof ragende Reiterfigur (aus dem 14. Jahrhundert), die auf einer wie ein Origami gefalteter Betonplattform ruht und hoch über dem Erdboden frei in die Luft ragt. Vom Hof aus sieht man zu ihr empor, da ist der Reiter ein Denkmal, aber sie ist im Rundgang so integriert, daß man sie auch aus der Nähe betrachten kann, dann ist das Standbild ein museales Kunstwerk und Exponat.
Ausgeklügelt ist nicht nur die Platzierung der Werke im Raum, ausgeklügelt sind auch die Zeigemöbel, die die Gemälde tragen. Jedes der Gestelle ist eine individuelle Lösung, die einem bestimmten Bild die beste Präsentation verleihen soll.
Selbst das Verlassen des Museums ist inszeniert. Zwei nebeneinanderliegende, aber innen voneinander getrennte Türen dienen einmal dem Betreten, einmal dem Verlassen. Scarpa muß sich den Museumsbesuch wohl als Passageritus gedacht haben, als "Bildungsweg" durch streng inszenierte Kunstwerke und gesteuert mit einer ebenso strengen Blickregie.
Die Kehrseite dieses Konzepts liegt auf der Hand. Das durchkomponierte Gesamtkunstwerk kann man nur erhalten, wie es ist. Jeder Eingriff käme einer Zerstörung gleich.
Scarpa hat, was man vielleicht als Museumsbesucher gar nicht wahrnimmt, bedeutende italienische Museen gestaltet, etwa die Uffizien aber auch die Accademia in Venedig. Man kann in vielen italienischen Museen und historischen Gebäuden auf jene subtilen, zurückhaltenden Intervention treffen, mit denen moderne Interventionen in den Dialog mit historischer Bausubstanz treffen. Scarpas Ausstellungs- und Museumsdesign war dabei bahnbrechend.

Bundesbriefmuseum
Schwyz

Kann man einem einzigen historischen Schriftstück ein Museum errichten? Einen Denkmalbau für ein einziges Pergament? Man kann, wenn man glaubt, daß dieses Schriftstück die Nation symbolisiert. Mann kann, wenn man glaubt, daß dieses Schriftstück in politisch und sozial schwierigen Zeiten den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt. Dann baut man in Zeiten innerer sozialer Unruhen und heraufziehender äußeren Bedrohungen (Machtübernahme des Nationalsozialismus in der Schweiz) 1936 ein Museum. Als "geistige Landesverteidigung". In der Stadt Schwyz, also in einem der Urkantone, nicht in Bern oder Zürich.
Das Dokument galt zu diesem Zeitpunkt als ältestes Indiz für jene zwischen Kantonen ausgehandelte Bündniskultur, die dem politischen und wirtschaftlichen Frieden dienen sollte, und die in gewisser Weise die Schweiz bis heute prägt. Aber lange Zeit war diese erste "Bundesbrief" völlig unbekannt und als er am Beginn der Neuzeit Eingang in die frühe Geschichtsschreibung fand, war er kaum mehr als eine Quelle unter anderen. 
Im späten 19.Jahrhundert "entdeckte" man das Schriftstück als nationales Gründungsdokument und einige Jahrzehnte später zog es in "sein" Museum ein. Nach 1945 verlor es rasant an Bedeutung. Echtheit (zu unrecht) und Datierung (umstritten) wurden angezweifelt und die Bedeutung als einzigartige Gründungsurkunde wurde nicht mehr benötigt. Das Museum änderte mehrmals sein Konzept, aber der Bau, seine Innenausstattung, die Bespielung des Außenraums mit diversen Objekten, die Wegführung von Außen ins Gebäude hinein und durch es durch, lassen noch immer das patriotische, teilweise mehr mythische als historische Selbstverständnis des Landes in den Dreißiger Jahren erkennen. Und der Bundesbrief liegt, zwar flankiert von vielen ähnlichen Dokumenten, immer noch in der "Apsis" dieses "nationalen Tempels" unter einem - ziemlich viril geratenen - Rütlischwur (ein rein mythologisches Ereignis). So kann man das Museum heute vor allem als Palimpsest lesen, das über die Geschichte der Schweiz auf Umwegen über die Gestaltungsgeschichte des Museums Auskunft über die wechselnden identitären Phantasmen des Landes Auskunft gibt.  

Het Dolhuys
Haarlem

Wie kann man die Geschichte der sogenannten Geisteskrankheiten und den medizinischen Umgang mit ihr in einem Museum darstellen? Indem man sachliche aufklärende Information in eine ziemlich erfindungsreiche und kategorial Unsichtbares visuell transportierende Szenografie umsetzt. Und dabei die vielfältige Räume eines mittelalterlichen "Spitals", eines frühen "Dolhuys" nutzt.
Es war das erste Mal, daß ich eine Ausstellungsgestaltung von Kossma/deJong gesehen habe, einer niederländischen Firma, die inzwischen erfolgreich und europaweit agiert. Ihre Szenografie zeichnet sich durch hohe Originalität aus und das bis ins Detail. Nie wieder habe ich z.B. derart witzige Möbel für Videostationen gesehen, wie hier. Lösungen für die schwierige Integration von "Fernsehern/Screens" in Ausstellungen. Statt des öden Plastiks oder Metalls gab es hier aus Altmöbeln zusammengebastelte Gerätschaften. 
Unglaublich interessant waren die in einem zum Hof hin geöffneten Raum platzierten "Models", die die diversen Krankheitsbilder auch wirklich als Bilder und kaum über Texte veranschaulichten. Statt des Kopfs saß auf jeder Figur deren "Krankheitsbild", eine Obsession. Aber es war nicht nur die Gestaltung, die so überaus ansprechend war, es war der Grundton - ein Konzept, das Ängste und Tabus, die unseren Umgang mit psychischen Erkrankungen kontaminieren, aufgriff und sie geschickt, gleich vom Eingang konterkarierte. 

Biologiska Museet
Stockholm

"
Das Biologische Museum (schwedisch Biologiska Museet) liegt auf Djurgården in Stockholm und zeigt skandinavische Säugetiere und Vögel in ihrer natürlichen Umwelt. Alle Tiere sind ausgestopft." So stellt Wikipedia das Museum vor. Das wichtigste wird nicht erwähnt: daß diese ausgestopften Tiere in großen Dioramen gezeigt werden, die auf zwei Ebenen angeordnet sind. Und das in einem Bau, der von außen einer typischen regionalen Stabkirche ähnelt. Ende des 19.Jahrhunderts wurde dieses Museum gegründet und der Bau errichtet und hier zeigt man eben nicht nur schwedische Fauna, sondern die ganz Skandinaviens. Es ist sehr bewußt nicht als nationales Museum ausgelegt, sondern eines, das die Einheit der skandinavischen Länder naturräumlich visualisiert. Dioramen sind dazu natürlich weit besser geeignet, als einzelne Tiere oder kleine Gruppen ohne jedes Environment. Dioramen sind ein effektives und beliebtes Illusionsmittel, das geeignet ist, den Eindruck ganzer realer Landschaften zu erzeugen. Der Rundgang durch das Biologisk Museet wird so zum Rundgang durch Fauna und Flora Skandinaviens in signifikanten Ausschnitten und tut so, als könnte es einem weite Reisen durch den Norden Europas ersparen. 

Smithsonian Institution Building
Washington

Als der reiche Engländer James Smithson seine erhebliches Erbe vermachte, widmete er es den Vereinigten Staaten mit dem Auftrag "to found in Washington, under the name of the Smithsonian Institution, an establishment for the increase and diffusion of knowledge among men". Auf Umwegen über einen früh verstorbenen Erben gelangte das Vermögen schließlich an seinen Bestimmungsort. Der US-Kongreß grübelte ungefähr zehn Jahre, ehe er diesen Auftrag in ein Projekt umsetzte, das von Anfang an museale und wissenschaftliche Aufgaben in sich vereinte. 1847 konnte man das erste Gebäude an der National Mail errichten, ein von europäischer Gotik inspiriertes "Castle", wie das Gebäude auch genannt wird.
Heute ist das "Smithsonian" einer der größten Museumskomplexe der Welt und das "Castle" ist der Sitz der Verwaltung und das Informationszentrum des gesamten an der Wall gelegenen Museumskomplex.
Im Erdgeschoß befinden sich zwei museale Trakte. In einem wird ausführlich ud anschaulich die hochinteressant Geschichte der Smithsonian Institutionen erzählt, im anderen befindet sich eine Art Preview. Hier geben alle Museen die zum Smithsonian-Verbund gehören eine Visitenkarte ab. In jeweils einer raumhohen Vitrine werden signifikante und interessante Objekte gezeigt, Appetizer, die einem die Wahl schwer machen, welches der Museen man denn nun besuchen soll. Insgesamt bieten die dicht an dicht gereihten Vitrinen eine Atmosphäre einer Kunst- und Wunderkammer.
Ganz auffallend gepflegt und einladend ist übrigens das gärtnerische Umfeld des Bauwerks. Hier sitzt man entschieden besser, als in der wenig einladend und karg instrumentierten Cafeteria im Inneren.
Ach ja. Mister Smithson begegnet man hier auch. 1904 hat man ihn exhumiert und per Schiff in die USA gebracht. 1905 wurde er in einem Seitenraum des Eingangsbereichs in einem führ ihn gestalteten Grabmal beigesetzt. Es ist nicht das einzige Gebäude, das die aufschlussreiche Doppelfunktion von Museum und Mausoleum hat, zwei Begriffe, die, wie man bei Adorno lesen kann, nicht nur phonetisch leicht zu verwechseln sind.

Museo Gypsotheca Antonio Canova
Possagno


Possagno ist ein kleiner Ort mit nur etwas mehr als 2000 Bewohnern in der Provinz Treviso, gelegen in den Hügeln, mit denen die Alpen gegen Süden hin in die Ebene auslaufen. Hier wurde der berühmteste italienische Bildhauer des Klassizismus geboren, Antonio Canova.
Und hierher kehrte er zu Ende seines Lebens und seiner Karriere zurück, um im Garten seines bescheidenen Eltern- und Geburtshauses ein Museum zu errichten. Einen klassizistischen Tempel, in dem er Entwürfe seiner Werke ausstellte. Auch solche in originaler und monumentaler Größe aber auch kleine Skizzen in Ton oder Gips. 
Die Ästhetik diese vollkommen weißen Raums mit seine zahllosen weißen, z.T. riesigen Gipsen ist einzigartig, auch ästhetisch, zumal diese Modelle und Entwürfe Male ihres Entstehung- und Reproduktionsprozesses enthalten - winzige schwarze Löcher, die wie ein Grid über die Objekte gelegt erscheinen und das gesamte Ensemble zusätzlich verfremden.
Schriftlich erhält man Informationen zur Zuordnung der Objekte zu den großen ausgeführten und nie realisierten Projekten Canova.
Kleinere Objekte sind in einem kleinen Zubau des ingeniösen Ausstellungsarchitekten Carlo Scarpa untergebracht und im Wohnhaus ist ein Canova gewidmetes Museum untergebracht, wo man weitere kleinere Werke findet und die für Künstlermuseen typischen persönlichen Reliquien.
Doch Canova genügten Tempel und Museum nicht. Er ließ eine lange Achse mit aufsteigender Treppe quer durchs Dorf errichten, die von seinem Geburtshaus auf einen Hügel ansteigt,. Dort steht die im Inneren dem Römischen Pantheon nachempfundene klassizistische Kirche, die man durch eine Vorhalle betritt, die genau der Architektur des Parthenon folgt. Und hier liegt er begraben. Schön selbstbewußt, der Herr Canova. Man sollte nicht versäumen, auf die Kuppel zu steigen um die Aussicht zu genießen.

Staatsgalerie
Stuttgart 

Nirgendwo sonst kann man ein Museum sehen, das sich architektonisch derart selbstironisch geriert. Der Architekt James Sterling läßt Wasserspeier über den Köpfen der Flaneure kreisen, er entwirft Handläufe, die keine menschliche Hand je umfassen kann, er zertrümmert die Wand, sozusagen ruinenästhetisch, zur Tiefgarage und wenn wir das Museum über eine Rampe betreten, passieren wir einen bis aufs Skelett abgemagerten Tempel. Im Inneren sind die Räume überdeutlich durchnummeriert und verheißen so einen ewig gültigen Kanon, der in immer gleicher Ordnung gezeigt werden kann und die Türen sind wie aus dem Anker-Baukasten antikisch dekoriert. Auch farblich wird uns einiges zugemutet, rosarot trifft auf grasgrün, die Farbe, die meiner Erinnerung nach auch genoppte Kunststoffböden im Foyer haben. Alles ist aus schwerstem überdeutlich sichtbar gehaltenem Quadermauerwerk errichtet, als wären wir in einer Burg, einem Wehrbau.
Den Höhe- und Mittelpunkt des Bauwerks bildet der Hof. Das Schema des Grundrisses läßt hier eigentlich eine Rotunde erwarten, etwa wie bei Schinkels Berliner Museum, also einem mit künstlerisch herausragenden Statuen besiedelten überrkuppelten Raum, aber Sterling sprengt die Kuppel weg und macht aus dem Innenraum einen öffentlichen Platz, der auch tatsächlich öffentlich nutzbar ist. Er wird, ohne daß man das Museum betreten muß, mit einer Passage durchquert, der den Stadtraum durchs Museum hindurch erschließt.
Hier stehen bloß ein paar Sessel, keine maßstabsetzenden Antiken mehr, wie bei Schinkel. Der Bewuchs wird nach und nach vom Bau Besitz ergreifen und ihm die Anmutung einer antiken Ruine geben und wenn wir den Lift betreten, durch ein revolutionsklassizistisch gestaltetes Portal, das halb in der Erde versunken ist, haben wir die Wahl uns entweder nach oben oder nach unten zu begeben, in die Zukunft oder in die Vergangenheit...
Sterlings Zubau zur Staatsgalerie und Hans Holleins Museum am Abteiberg in Mönchengladbach markieren übrigens den Beginn einer sehr folgenreichen, oder wenn man will erfolgreichen Entwicklung: die der Bauaufgabe Museum, die Architekten als letzte nicht von Bauträgern völlig abhängige Architekturaufgabe ansehen, die Kunst sein darf und soll. Die unübersehbare Zahl seither weltweit entstandener Museumsbauten in allen nur erdenklichen Variationen und von berühmtesten Architekten geplant - hier hat sie ihren Ausgangspunkt. Und später mal muß ich zur Liste selbstverständlich Holleins Museumsbau hinzufügen.
  
Pitt-Rivers-Museum 
Oxford


























In Oxford findet man eine Reihe sehr alter und interessanter Museen. Das kurioseste ist das Pitt-Rivera-Museum. Sein Gründer war als Militär in Ländern des Commonwealth unterwegs und brachte Objekte nach England, vieles erwarb er auf Auktionen. Seine hunderttausende Objekte umfassende Sammlung wird als ethnologische und archäologische beschrieben, aber erst wenn man das Museum kennenlernt, ermißt man dessen Einzigartigkeit, von der diese Adjektive nicht wirklich eine Vorstellung geben. 
Die Sammlung hat weder eine topografische noch eine chronologische Ordnung, sondern immer noch (und wohlkonserviert) die von Pitt Rivera entwickelte. Er war an Vergleichen und Entwicklungen interessiert und so findet man in Vitrinen Objekte, die in der Luft Geräusche erzeugen, oder Objekte, die dazu benutzt wurden, um den Regen von sich abzuhalten oder Dinge, mit denen man das Vieh des Nachbarn verhexen konnte.
Das Museum ist in einer einzigen riesigen Halle mit Emporen untergebracht und man könnte hier Tage zubringen, um zu stöbern und die mit winziger Schrift verfassten Zettel lesen, die noch von Rivers und den ersten Mitarbeitern des Museums stammen.
Das Museum geht sorgfältig mit der historischen Substanz um - es ist ein Museum im Museum oder als Museum -, das ab und an nur sehr vorsichtig um neuere Objekte und Informationen erweitert wird. Und es ist kein totes Museum, an dem man nur aus museumsgeschichtlicher Perspektive interessiert sein kann. Seine Sammlung dienst bis heute der Forschung.










Montag, 11. März 2019

Das Beethoven-Museum in Wien-Heiligenstadt


„Im Alter, in dem ehedem Kinder die Masern hatten, haben sie jetzt die Symphonien.“ sagte mal Karl Kraus und fügte hinzu: „Ich glaube nicht, daß sie davonkommen werden.“
Ich hatte im Alter, in dem ich eigentlich Masern haben sollte, tatsächlich Symphonien gehabt und dann auch noch gleich welche von Beethoven. Das halte ich für eine absolut ausreichende Grundlage, über das Wiener Beethoven-Museum zu schreiben. (Ob ich - als masernloser kindlicher Sinfonienhörer - davongekommen bin, mögen andere beurteilen).

Erst mal geht das, kaum hat man seinen Obulus an der Kassa entrichtet, schon so los: Wo denn der Tonsetzer in dem weitläufigen, um einen Hof gruppierten Vorstadthaus, denn nun gelebt habe, das wisse man, leider leider! nicht so genau. Und dann haut einem die Kuratorin (Lisa Noggler-Gürtler) einem noch Fundamentalzweifel museologischer Natur und die Ohren: „Wie wichtig ist aber die Authentizität des Ortes und des Erzählten, um Beethovens Musik und deren Nachwirkungen zu verstehen?“ Also bitte! Wozu sind wir denn hier am Ort an dem Beethoven, wo genau auch immer, gelebt und tongesetzt hat. Wenigstens eine Zeit lang. Einige Monate. 1802.

Und wozu hat die Stadt Wien an zahlreichen Häusern Gedenktafeln anbringen lassen und betreibt gleich drei Beethoven-Museen? Das hier, wo wir grade sind, liegt in Heiligenstadt, in der Pobusgasse. Aber es gibt noch das sogenannte Pasqualatihaus und dann noch das Eroica-Haus. Beethoven gilt ja als jemand, der ständig umgezogen ist. Die Vielzahl der Gedenktafeln und-orte, ich habe mal von insgesamt 42 Umzügen gelesen, scheint das zu bestätigen. Hier erweist sich der postmodern-dekonstruktivistische Furor des Ausstellungsteams dankenswerterweise als entmythologisierend: Umziehen war in Wien, namentlich in den Sommermonaten, ein Volkssport. Ein von Pferden gezogener Wagen und kräftige Männer genügten, um für einige Monate mit Sack und Pack „aufs Land“ zu ziehen - und das war Heiligenstadt damals. Dann gings wieder zurück „in die Stadt“. Selige Immobilienzeiten müssen das gewesen sein!




Wir wissen also nicht so ganz genau wo Beethoven im Hause Probusgasse wohnte, aber wie, das wissen wir. Schlampert. Eine dramatisch eine ganz Wandel lang entrollte Rekonstruktion seines Arbeitsraumes zeigt: er war ein Chaot, knapp an der Grenze zum Messie. Aufräumen war nicht. Dafür war war ein großer Esser, einer der die Zubereitung seiner Speisen scharf kontrollierte und mit seinen kulinarischen Obsessionen die Bedienten sekkierte. Da erfahren wir von einer Brotsuppe, die er sich mit zehn Eiern, die er einzeln inspizierte, zubereiten ließ. Was die Frage aufwirft: hatte der Mann keinen Cholesterinspiegel? Möglicherweise hielten ihn die heilenden Wässer am Leben, die es vor Ort gab und noch ein Grund waren, in den Vorort zu ziehen, wo es auch Gelegenheit für weite und erholsame Spaziergänge gab.



Die inspirierenden Umgebung, die heute idyllisch anmutenden Biedermeiergegend führt uns die ohnehin zur vielfältiger Bildhaftigkeit neigende Gestaltung (Peter Karlhuber) verführerisch vor. Da gibt es Veduten auf Mineralwasserflaschen (das Heilwasser…), ein Handtuch, in das eine etwas ambivalente Äußerung Beethovens zu seinen Kuren eingestickt ist, Veduten, Gemälde und eine kleine Bühne mit Landschafts-Kulissen und manch anderes mehr.

Außerdem sehen wir abtransportreif verpackte Bildnisse des Meisters, eine zerbrochene Statuette, eines Adeligen, auf den Beethoven einen Mordszorn hatte (keine Angst, es ist eine Nachbildung, kunstvoll zerschmettert) oder auch das Lieblingskompott im Einweckglas, unmittelbar neben der Totenmaske, als ob es als Grabbeigabe führ die lange Überfahrt gedacht sei, eine Beethoven-Spielzeugfigur, die als Relativierung der grassierenden Verdenkmalung Beethovens herhält. Mithin so manches, was die gewohnten Usancen von Museen unterläuft und gelegentlich zum Nachdenken über die Musealisierung eines „Genies“ anregt.




Dazu passen das ostentative Stehenlassen von Spuren der Vorgängermuseen, das Zeigen von Plänen und Dokumenten oder eines Gemäldes mit dem Interieur der historischen Räume. Kurzum etwas, das etwas zur Geschichte der Beethoven-Verehrung beiträgt aber auch ein Gefühl für den Wandel des Beethoven-Bildes vermittelt. Ja, sowas gefällt mir, mit meinem Faible für Museumsgeschichte, diese Historisierung im Dienste der (Selbst)reflixion.

Die Lust am Kratzen - nicht Demontieren, der Respekt beleibt gewahrt, da sei der hohe Magistrat der Stadt Wien davor! -, des Geniekultes ist spürbar. Das Beethovenbild wird fröhlich über seinen goldenen Rahmen hinausgezerrt. Und das ist nicht mal so modern oder zeitgeistig wie man glauben könnte. Schon Robert Schumann spottete über die Gedenk-Konkurrenz zwischen Wien und Bonn.

Da allerdings droht der Ausstellung das Schicksal so vieler Musikerausstellungen: Das Ersticken im Biografischen und Anekdotischen. Musik entzieht sich nun mal sprachlicher Vermittlung besonders hartnäckig und aus den Kompositionen selbst entwickeltes Wissen und Deuten mag, wie Leonard Bernsteins eindrucksvolle pädagogische Versuche zeigen, unter besonderen Bedingungen möglich sein. Aber eher nur in den des Konzerts selbst, kaum denen des Museums.

Gegengesteuert gegen die bloß biografische Deutung wird zum Beispiel mit Noten, mit denen man akustisch einen Kompositionsvorgang mitvollziehen kann, mit einer Hörinstallation, die einen nachvollziehen läßt, was Taubheit bedeutet und wie sie sich das Ertauben entwickelt haben mag. Unweit davon steht das Klavier, das eine seinen Klang steuernde und verstärkende Vorrichtung erhielt, um das Komponieren trotz der Erkrankung zu ermöglichen.

Ein ganzer Raum ist dem sogenannten Heiligenstädter Testament gewidmet, dessen Abfassung ja durch die Erkrankung ausgelöst wurde. Als Schüler habe ich das aus dem Mittelschullesebuch kennengelernt. Wohl als Dokument der bürgerlichen Vorstellung, daß große Kunst immer mit dem Leiden einer Person erkauft wird. Hier wieder gelesen, machte es auf mich den Eindruck eines einen Suizid ankündigenden Schreibens.

Im letzten Raum ist eine Guckkastenbühne aufgebaut, ein Modell des Uraufführungsortes der Eroica. In das Modell ist ein Bildschirm eingelassen, der einen in England produzierte „Dokumentation" in Spielfilmlänge zeigt: die Uraufführung der Sinfonie im privaten, also Adelskreis. Das auf period instruments spielende Orchester spiegelt spieltechnische und und die Aufführenden irritierende kompositorische Momente, das Publikum spiegelt Befremden, Überraschung, Ablehnung und Faszination. (Den ganzen Film - Simon Clellan: Beethoven’s Eroica. BBC 2003 gibt es auf Youtube hier: https://www.youtube.com/watch?v=UtA7m3viB70).




Ich fand das einen unterhaltsamen Versuch, etwas Unmögliches zu versuchen, nämlich etwas vom Unerhörten des ersten Hörerlebnisses, vom Bruch mit der Tradition zu rekonstruieren. Das läßt sich selbstverständlich nicht mehr machen, wir haben schon viel zu viel gehört, Neues und wiederum Revolutionäres, um den Schock von Beethovens Kompositionen nachvollziehen zu können. Als ich zu Zeiten, da ich eigentlich die Masern hätte haben sollen, aber Beethoven hörte, hatte ich ja auch andere Sinfonien anderer Komponisten, aber auch Gus Backus, Conny Froboess oder Peter Kraus…

In bequemen Sesseln, mit Kopfhörern und vor Monitoren, bin ich zu guter Letzt bei einem der Rasumowski-Streichquartette fasziniert hängengeblieben. Die kannte ich nicht. Zu Hause habe ich das Hörerlebnis dieser Quartette gleich nachgeholt.
In einer Besprechung anläßlich der Eröffnung wurde das Beethoven-Museum als „Erlebnisparcours“ bezeichnet. Das finde ich irreführend. Kuratorin und Gestalter geht es nicht um Kurzweiligkeit, sondern um möglichst sinnliche Anreize, sich mit Inhalten zu beschäftigen. So nebenbei, ohne daß ich das gleich gemerkt habe, nutzten sie ein sehr breites Spektrum von Objekten, eben keineswegs nur originale und „auratische“ Dinge - noch ein Grund, durch die Ausstellung mit Vergnügen zu flanieren.
Daß bei mir das Anregen übers Museum hinaus funktioniert hat, ist ja nun nicht das Schlechteste, was einem im Museum passieren darf und was man von einem Museum sagen kann.



P.S.: Mitten im Suchen und Stöbern überraschte mich das Museum mit einer Mittagspause. Ah was! So etwas gibt es?! Ich war noch nie in meinem Leben in einem Museum, wo es eine Mittagspause gibt. Worin liegt der Sinn dieser Pause? Soll er den Besuchern den Gang zu den berühmten Buschenschanken und Weinproduzenten Heiligenstadts ermöglichen? Oder gar dem Personal? Ist das überhaupt praktisch für die Angestellten? Nur der hohe Magistrat der Stadt Wien wird wissen, welchen Sinn diese Regelung hat.


Sonntag, 26. März 2017

Land – Museum – Identität

Land – Museum – Identität. Das Steiermärkische Landesmuseum als Modellfall

Überarbeiteter und erweiterter Vortrag, Würzburg Universität und Mainfränkisches Museum, Jänner 2017

1 Das Joanneum – Ein Werkzeug der Landeswohlfahrt und des Landesbewußtseins

Alljährlich am 26. November feiert das Steiermärkische Landesmuseum Joanneum, das inzwischen den Namen Universalmuseum Joanneum trägt, den Jahrestag seiner Gründung, den Stiftungstag. Und das kontinuierlich und seit 205 Jahren.
Es gibt weltweit wohl sehr wenige Museen, vielleicht keines, die ein solches Gedächtnisritual begehen können. Als das nach seinem Stifter benannte Joanneum 1811 von Erzherzog Johann, also von einem Mitglied des Kaiserhauses und Angehörigen des Hochadels, gegründet wurde, war die Idee des Museums als einer öffentlichen Institution, die der Sammlung von Kulturgütern und ihrer intellektuellen und ästhetischen Erfahrung diente, nicht einmal 20 Jahre alt.
Das Museum wie wir es kennen entwickelte sich in der Aufklärung und wurde erstmals in vollem Umfang in der Französischen Revolution mit der Gründung des Louvre-Museums 1793 verwirklicht. Neu an diesem Modell war gegenüber allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns und Ausstellens, die Vorstellung, dass der gemeinsame Besitz und Genuss kultureller Überlieferung die Gemeinsamkeit der Gesellschaft und Nation nicht nur ausdrücken und darstellen sondern gewissermaßen auch herstellen konnte.
Während bis dahin Sammlungen, mit wenigen Ausnahmen, privat waren und einem oft nur sehr beschränkten Publikumskreis als Gunsterweis des Besitzers zum Zweck von Bildung, Wissensvermittlung oder Repräsentation zugänglich waren, gehört der Unterhalt und Betrieb von Museen von da an zu den „wohlfahrtsstaatlichen“ Leistungen im Interesse aller Bürger, die in der Regel auch Besitzer der Sammlungen sind. Der Staat finanziert und unterhält Museen treuhänderisch im Interesse aller und auf ihren Besuch hat jedermann ein Recht.
Während wir heute gewohnt sind, den Besuch von Museen als eine Freizeitbeschäftigung anzusehen, in der Unterhaltung, Wissenserwerb, Vergnügen oder Bildung miteinander beliebig gemischt sein können, hatten Museen im 19. Jahrhundert häufig noch sehr praktische Aufgaben. Kunstgewerbliche Museen waren dazu gedacht, die nationalen Produktkulturen zu ‚veredeln’ und damit konkurrenzfähig zu halten, in technische Museen setzte man Hoffnungen auf Sammlung von Erfahrungen und Wissenstransfer und Kunstmuseen hatten über ihre Ausbildungsfunktion noch Einfluß auf die Kunstpraxis.
Bei kaum einem anderen Museum war diese praktische Funktion so wichtig, wie beim Joanneum während der Gründungsjahrzehnte. Es gab zwar Schausammlungen und war für ein breites Publikum zu festgelegten geöffnet, zugleich war es aber eine Lehranstalt mit Lehrkanzeln und kompensierte damit das Fehlen einer Universität in Graz.
Die Sammlungen und Ausstellungen galten in der Frühzeit der Institution überwiegend den naturwissenschaftlichen Fächern, und damit jenem Wissen, das für die Entwicklung von Gewerbe, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie nützlich war. So fand man im Museum eine „Holzbibliothek“ oder - bis heute  erhaltene - Wachsnachbildungen von Obstsorten, Modelle moderner landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen. Im botanischen Garten gediehen „Medicinalpflanzen“, es gab ein Chemielabor, Mineralien, zoologische Präparate, physikalische und astronomische Geräte, aber auch Objekte von historischem, archäologischem und kunstgeschichtlichem Wert.
Mineralien waren nicht, was sie heute für den Besucher meist sind, bunte Steine, sondern Studienobjekte zur Erschließung neuer Rohstoffe und die Pflanzen dienten der Entwicklung neuer landwirtschaftlich verwertbarer Nutzpflanzen oder der Heilkunde.
Es ging um die Entwicklung der Wirtschaft des Landes. Auf Betreiben EH Johanns wurde etwa die Eisenindustrie nach englischem Vorbild modernisiert, der Wein- und Hopfenanbau initiiert oder frühe Experimente mit Kunstdünger gemacht. Er gründete in 900 Meter Seehöhe ein Landgut, wo Versuche gemacht wurden, ob und welche Nutzpflanzen in solcher Höhe anbaufähig wären. Er schuf Versicherungen für die Bauernschaft und die Industriearbeiter, deren medizinische Versorgung er erheblich verbesserte. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus seinen Aktivitäten.
Die Bedeutung des Museums lag darin, die wirtschaftliche Krise überwinden zu helfen, in der sich das Land befand und Handwerk, Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln.
Die Initiativen Erzherzog Johanns, der in der Steiermark als Privatperson agierte und das mit eigenen finanziellen Mitteln, gingen dabei weit über das Museum hinaus. Er schuf ein Netzwerk von Initiativen, Aktivitäten, Institutionen und Vereinen.
1819 wurde die Landwirtschafts Gesellschaft in Steier­mark gegründet, ab 1832 gab es Industrieausstellungen und 1839 wurde der Ver­ein zur Ermunterung und Unterstützung der Industrie und der Gewerbe für Innerösterreich gegründet.
Komplementär zu den wirtschaftsfördernden Initiativen ging es um – heute würden wir sagen – Identitätspolitik. Das war die zweite bedeutende Aufgabe des Joanneums. EH Johann forderte zur Abgabe von historischen Archivalien und Objekten auf, beauftragte die Abfassung einer Landesgeschichte, die 1815 erschien. Ab 1821 konnte die Steyermärkische Zeitschrift erscheinen, die auf die Idee zurückgeht, periodisch wissenschaftliche Literatur zu exzerpieren und daraus eine Art von wissenschaftlichem Lite­ratur-Bericht herauszugeben, ein Volksblatt zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse. 1843 wird von Mitgliedern des Lesevereins – auf den ich gleich zu sprechen komme -, der Historische Verein für Innerösterreich gegründet, der etwas später mit der Herausgabe einer historischen Zeitschrift beginnt.
EH Johann veranlasste sowohl eine statistische Landesaufnahme, als auch eine, ziemlich einmalig, bildliche. Er schickte seine sogenannten Kammermaler durchs Land, die Landschaften, Bauten, Brauchtum, Kleidung, Handwerk, vereinzelt auch industrielle Produktionsstätten dokumentierten. Eine zusammenhängende Geschichte der Steiermark hatte es bis dahin nicht gegeben, geschweige denn eine bildliche Erfassung. Was da vor sich ging war einerseits eine umfassende Landesbeschreibung, eine Dokumentation, die die Grundlage für die Entstehung eines Landesbewußtseins wurde und damit in gewisser Weise für die Konstruktion eines Landes.

2 Österreichische Museumsentwicklung der zwei Geschwindigkeiten

Wenn man sich ein wenig und in groben Zügen mit der Geschichte der Museumsentwicklung vertraut macht, oder wenn man an das denkt, was man an Museen kennengelernt hat, wird man ein Gefühl für die vergleichsweise enorm dichte Bündelung von Initiativen um ein einziges Haus bekommen haben.
Selbst in der hinsichtlich bürgerlicher Gründungen ungleich lebendigeren Museumsentwicklung in den deutschen Staaten wird man Vergleichbares nicht finden. Sicher, Museen hatten fachliche Forschungsaufgaben, z.B. im naturwissenschaftlichen Bereich, aber daß ein Museum so etwas wie eine Agentur der Landesentwicklung und der Formierung von Landesbewußtsein ist, wie es das Joanneum von 1811 bis etwa 1848 war, dafür kenne ich kein vergleichbares zweites Museumsprojekt.
Eine andere Besonderheit wird aber erst vor dem Hintergrund der österreichischen Museumsentwicklung deutlich. Hier dominierten die habsburgischen Sammlungen, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert nach und nach in uneingeschränkt zugängliche Einrichtungen umgewandelt wurden. Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die unter Leopold II. vollkommen erneuerten kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen in Florenz bildeten die Avantgarde der europäischen Museumszene nach 1770. Dann kam es zu einem bis in die heutige Museumsentwicklung stark nachwirkenden Bruch. Die nach 1800 betriebene Neuordnung der kaiserlichen Sammelbestände blieb auf einem vormodernen Zustand stehen. Anders als in vielen europäischen Metropolen kam es in Wien nicht zur Errichtung einer großen, repräsentativen Museumsinstitution.
Gleichzeitig gab es in Wien kaum nennenswerte bürgerliche Initiativen, mit der Ausnahme des kunstgewerblichen Museums, des ersten kontinentalen, das von der Weltausstellung in London 1851 inspiriert war. Dessen Errichtung im Verbund mit den Hofmuseen wurde von den Hofbehörden bezeichnenderweise verhindert und das Museum dann an einer weit weniger prominenten Stelle der Ringstraße errichtet und 1864 eröffnet.
Einen großen musealen Neubau für die kaiserlichen Sammlungen gab es vergleichsweise zur europäischen Entwicklung sehr spät, erst kurz vor der Jahrhundertwende, und dann waren das explizit Hofmuseen, also in erster Linie Museen, die die Sammlungstätigkeit und das Mäzenatentum des Herrscherhauses repräsentativ feierten. Sowohl die Architektur als auch die Lage dieser Museen waren spektakulär. Etwa in der Mitte der Ringstraße liegen die beiden Museen, das kunsthistorische und das naturhistorische, genau gegenüber der Hofburg. Wäre das Gesamtprojekt vollendet worden, das eine Verbindung aller Bauten zu einem Forum vorsah, dann wäre die Längsachse der Anlage vom Thronsaalbau der Residenz dominiert worden und die Beziehung zwischen Macht, Kunst und Wissenschaft und seine Zu- und Unterordnung unter das Herrscherhaus noch sinnfälliger erfahrbar.
Für die Museumsentwicklung in Österreich ist das nach wie vor von großem Belang, weil die aus habsburgischen Sammlungen entstandenen Museen heute die größten staatlichen sind und alle, mit Ausnahme der Ambraser Sammlungen (Teil des Kunsthistorischen Museums), in Wien liegen. Und weil der Versuch, dieses Erbe nach 1918 gleichsam zu republikanisieren gründlich fehlschlug. Der Versuch Hans Tietzes, des bedeutenden Kunsthistorikers, Kunstförderes und Publizisten, in seiner Funktion als höchster Ministerialbeamter die Museen zu transfomieren, scheiterte vollkommen. Bis heute fehlt es an einer staatlichen Museumspolitik, das diesen ungelösten und folgenreichen Erbfall erneut aufgreift und die Museen neu ordnet.

3 Die österreichischen Landesmuseen als Produktionsorte regionaler Identität

Es sind die Landesmuseen, die im 19.Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte, aufklärerische Ideen repräsentieren und bürgerliche Ansprüche im Feld der Kultur verwirklichen. Es gibt somit eine Entwicklung der zwei Geschwindigkeiten. Auf der einen Seite mit den eher konservativen, bescheiden und im Stil fürstlicher Kabinette präsentierten Sammlungen des Kaiserhauses auf der andren Seite die beachtliche Dynamik der Gründungen in den habsburgischen Ländern.
Die ersten Landesmuseen entstanden - nicht einmal zehn Jahre nach der Eröffnung des Louvre –, 1802 in Budapest, im oberschlesischen Teschen und im siebenbürgischen Hermannstadt. 1811 folgten Graz, 1817 Brünn, 1818 Prag, damals schon und heute als Nationalmuseum, 1821 das Krainisch Ständische Museum in Laibach, das heute das Slowenische Nationalmuseum ist, 1823 folgte Innsbruck mit dem Tiroler Landesmuseum. Die letzte Gründung war das Landesmuseum für das Burgenland, das 1921, im Jahr der Entstehung dieses Bundeslandes eröffnet wurde.
Heute hat jedes der neun Bundesländer sein Museum – wenn man den Sonderfall Wien, das ja Stadt und Land zugleich ist, mit seinem Stadtmuseum hinzunimmt.
Für das Reich bildeten die Dynastie, das Haus Österreich, das Gefäß für eine Art von Koexistenz unterschiedlichster Länder, Kulturen und Ethnien. In einem Konzept, das heute oft als vorbildlich im Sinne vereinigter europäischer Staaten gilt. So etwas wie nationale Identität taugte nicht als Form symbolischer Integration für das habsburgische Imperium und es entstand auch kein Nationalmuseum.
So etwas gibt es bis heute nicht, wenngleich zwei derzeit in Planung befindliche zeithistorische Museen wohl so etwas sein werden, bei denen national als Adjektiv aber wohlweislich vermieden wird.
Die Länder hatten im 19. Jahrhundert hingegen sehr wohl die Freiheit moderne Formen kollektiver Identität zu entwickeln. Um zu zu wissen, was ein Land ist, was seine Besonderheiten sind, was es von anderen unterscheidet und was seine Gemeinsamkeit stiftende Eigenschaften sind, muss man es zuallererst ‚erkunden’.
Das war der Sinn des Sammlens von Archivalien und Dokumente in der Steiermark und der sogenannten statistischen Landeserfassung. Beides war wiederum Grundlage der Abfassung einer Landesgeschichte. Es geht um ein making of, um das Arbeiten am Selbstbewußtwerden einer territorial und verwaltungspolitisch gefassten Gemeinschaft.
Die umfassende ‚Landesbeschreibung’ gab dem Land ein Bewusstsein seiner selbst, seiner kulturellen, topografischen, historischen Eigenheiten. Warum ist das so wichtig? Gesellschaften in der Moderne zeichnen sich durch die Freiwilligkeit ihrer Zusammengehörigkeit aus. Sie sind „Solidargemeinschaften“, die sich immer wieder ihrer Zusammengehörigkeit versichern müssen. Ein Weg dazu ist, das Gemeinsame im Kulturellen zu suchen - in einer gemeinsamen Geschichte, im Besitz kultureller Güter und Werte, in der Pflege von Traditionen, in der gemeinsamen Sprache. In der Sprachpflege haben einige der frühesten Museumsgründungen in den Ländern ihre Wurzeln.
Landesbeschreibung bedeutet daher mehr als nur eine auf Grund zusammengetragener Dokumente das Land zu ‚beschreiben’. Mit und durch die Beschreibung entsteht etwas Neues – ein Wissen von der Einheit und Besonderheit des Landes, wie es das vorher so nie gegeben haben konnte. Diese Beschreibung ist ‚Nation Building’ und es interessant, dass zu dieser Zeit für die Steiermark auch der Begriff Nation auftaucht und für das Museum in Graz der Begriff ‚Nationalmuseum’.
Eine identitäre Funktion läßt sich für alle Landesmuseen beobachten. Beim Vorarlberger Landesmuseum zum Beispiel entdeckte man im Prozess der Abnabelung von der kulturpolitischen Hegemonie, die das benachbarte Tirol und das Landesmuseum in Innsbruck ausübten, in archäologischen Grabungen bei Bregenz römische Siedlungsreste und baute darauf eine eigene Landesidentität auf.
Die Landesmuseen werden gelegentlich zu Medien der Selbstbehauptung im Vielvölkerstaat und 1848 sogar zu Katalysatoren der Freiheitsbewegung. Das bereits 1804 gegründete Ungarische Nationalmuseum und das 1818 gegründete Tschechische Nationalmuseum erhielten beide im Jahr 1848 eine überragende nationalpolitische Bedeutung. Während das Prager Museum zeitweilig unter Kuratel der Wiener Behörden gestellt wurde, um zu verhindern, daß es zur Plattform revolutionärer Bestrebungen wurde geschah genau das in Budapest: Von der Freitreppe des Ungarischen Nationalmuseums verkündete der Dichter Sandor Petöfi die Unabhängigkeit der Ungarischen Nation.
Hier spitzte sich die immer schon latent vorhandene dissidente Funktion zu, die Museen vor 1848 haben konnten. Die Museen wurden zu Trägern der Idee der politischen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.
Die Subversivität bürgerlicher Öffentlichkeit als praktisches Instrument der Herrschaftskritik und Sphäre der protodemokratischen Beteiligung der Bürger an den Staatsangelegenheiten explodierte 1848. Mit dem Scheitern der Revolution bricht das rasch zusammen und entmutigt alle bürgerlichen Ambitionen, auch die im Feld des Kulturellen, nachhaltig.

4 Museum und Öffentlichkeit am Beispiel Joanneum

Die erstaunliche politische Rolle einiger Landesmuseen ist in erster Linie nicht ihrer Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit zuzuschreiben. Sie wird von der aktiven Formierung bürgerlicher und liberaler Öffentlichkeit getragen - mit der erwähnten dramatischen Zuspitzung, wie sie an der Rolle der Museen in Prag und Budapest 1848 ablesbar ist.
Während wir heute dazu neigen, in Museen Orte der Bewahrung zu sehen und der Vermittlung ästhetischer und historischer Werte, liegt der Schwerpunkt der frühen Museumsgründung auf einem Diskurs der Bürger. Bürgerliche Öffentlichkeit meint ja, sehr verkürzt formuliert, daß sich tendenziell Gleiche unter Achtung und Anerkennung des Anderen zum Gespräch und zur Beratung zusammenfinden können um ihre Angelegenheiten vernünftig zu regeln. Insofern agieren sie als Staatsbürger, die als solche nicht ihre privaten, sondern die öffentlichen Angelegenheiten erörtern, genau das, was res publica bedeutet: Diese unsere gemeinsame Sache.
Meine weiteren Überlegungen gehen deshalb in zwei Richtungen. Ich möchte einerseits zum Joanneum zurückkehren und genauer an diesem Beispiel die praktische Form von Öffentlichkeit beschreiben, die mit dem Museum bereitgestellt wurde. Und andrerseits später die Frage stellen, was denn aus dieser musealen Öffentlichkeit geworden ist und was sie heute bedeuten könnte.
Wir verständigen uns ja normalerweise schnell und zustimmend über den öffentlichen Charakter von Museen, weil sie als allgemein zugänglich gelten, was uns in den jährlich meist triumphalistisch verkündeten Besuchsstatistiken scheinbar bestätigt wird.
1919 konnte ein ehrenwerter Museumsdirektor wie Gustav Pauli auf einer Konferenz vom Museum als einer der "demokratischesten aller Bildungsinstitute", weil es "jedermann ohne Legitimationsprüfung den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“ Die paternalistische Wendung von der „stummen Belehrung“ lassen wir ihm mal durchgehen, aber das mit dem Zugang für jedermann stimmt nun mal empirisch nicht. Das Museum ist kein Ort der Bildung, es ist ein Ort der Gebildeten, es wirkt sozial distinktiv, es schließt aus. Und zwar etwa die Hälfte der Bevölkerung. Ist es nicht erstaunlich oder gar ein Symptom einer Krise der Institution, daß heute die statistische Messung der Besuche das einzige Kriterium zu sein scheint, das als Maßstab des Erfolgs und des Wertes von Museen gilt?
Also kehre ich später zur Museumsgeschichte zurück, um nach den Spuren des Museums als öffentlicher und demokratischer Institution zu fahnden. Zunächst in der Geschichte des Joanneum, dann in der allgemeinen Geschichte der Institution.
Ich bin auf die Geschichte des Grazer Joanneums schon in meiner Studentenzeit gestoßen. Es war eines der ersten Museen, dessen institutionelle Biografie mich interessierte. Ich war auf der Suche nach Gegenpositionen zu einem elitistischen Verständnis vom Museum als Sammlungs- und Forschungsinstitution, das damals von manchen namhaften Museumsleitern vertreten wurde.
Beim Joanneum fand ich eine Form einer Öffentlichkeit, die sowohl nach innen als nach außen wirkte. Wiewohl von einem Mitglied der kaiserlichen Familie gegründet, hatte das Museum organisatorisch eine modere Form. Es wurde von Vertretern der Stände getragen und vom Sekretär des Kuratoriums geleitet. Einen Direktor erhielt das Joanneum nach über 120 Jahren erst 1936. Das erste, von EH Johann zusammengesetzte Kuratorium bestand maßgeblich aus radikalliberalen, aufklärerischen Bürgerlichen. Manche von ihnen hatten der Jakobinerbewegung angehört, die unter Josef II. als republikanisch und mit der Französischen Revolution sympathisierend barbarisch verfolgt worden war.
Bürgerliche Öffentlichkeit organisierte sich in den vielen Vereinen, die mit dem Joanneum vernetzt waren aber auch im Museum selbst: Es hatte eine allgemein nutzbare Bibliothek, in der auch Bücher und Zeitschriften, die unter Zensur standen, verfügbar waren. Das war nur durch persönliche Intervention von EH Johann bei den Hofbehörden oder beim Kaiser möglich.
Die Bibliothek war auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet, das zugehörige sogenannte Konversationszimmer von 10 – 21 Uhr.
 „In kurzer Zeit“ berichtet der erste Biograf des Museums, „vereinigten diese Lesezimmer die gebildetsten Männer aller Stände und die hoffnungsvollsten Jünglinge in sich (...)“. Ein zweiter Kristallisationspunkt von Öffentlichkeit war die Leseanstalt des Museums, etwas was im Vormärz eigentlich strikt verboten war. Um eine eigene Vereinsgründung zu umgehen, die höchstwahrscheinlich keine Genehmigung bekommen hätte, wurde deshalb 1817 eine sogenannte Erweiterte Leseanstalt als Einrichtung des Museum gegründet. Den bis zu 250 Mitgliedern standen 5 Zimmer zur Verfügung, 3 davon für wissenschaftliche, 2 für politi­sche und Unterhaltungsblätter. Die Leseräume waren täglich von 10-21 Uhr offen. Bis zu 200 in- und ausländische Zeitschriften lagen auf. Ein ‚Wünschebuch’ ermunterte die Mitglieder, Vorschläge für Anschaffungen zu machen. Der Leseverein wurde damals als "bedeutendste Anstalt dieser Art in Deutsch­land"  bezeichnet.
Bürgerliche Öffentlichkeit hatte im Vormärz subversive Qualitäten und wurde entweder unterbunden oder überwacht. EH Johann dazu im Jahr 1812: „Der Wißbegierde der Jugend muß man keine Schranken setzen, nur sie gut leiten (…) Laut darf aber diese Idee nicht werden, sonst streket die Censur ihre lange Hand über uns aus und manch Gutes wird verbothen und das Institut verfällt unter einer Vormundschaft, welcher wir bis izt klug entgiengen.“
Mit dem Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848 zerfiel diese Museumsöffentlichkeit. 1871 wurde der Leseverein aufgelöst. Das Museum kam nach und nach unter stärkeren Einfluß der Landesbehörden. Schon 1850 hatte die Landesverwaltung verlangt, die Kuratoren selbst zu bestellen und 1861 wurde das Museum, ein Jahr nach dem Tod von EH Johanns, der Steiermärkischen Landesvertretung unterstellt.
Seit damals hat sich das Museum schrittweise erweitert, aber nie entlang einer konzeptionellen Leitvorstellung. Gründungen neuer Abteilungen kamen aus höchst unterschiedlichen Gründungen zustande. Das zieht sich bis in die jüngste Vergangenheit. Das 2003 eröffnete Kunsthaus war eigentlich als städtische Einrichtung geplant, erwies sich aber als nicht durch die Stadt finanzierbar.
Als ich 2005 kurz nach der Umwandlung des Joanneums in eine GesmbH, das war 2003, in das Museum eintrat, hatte das Museum eigentlich ein Stück Autonomie zurückgewonnen, aber gleichzeitig wurde gerade der alte Kern seiner Öffentlichkeit, das Kuratorium, auf eine bloße Beratungsfunktion zurückgestutzt und die existierenden Vereine vor allem als Ressource für Einnahmen behandelt. Die größere Unabhängigkeit von der Landespolitik blieb eine Illusion. Die Abhängigkeit von der finanziellen Förderung macht die Organisation auch weiter willfährig gegenüber der Politik. Z.B. in der Personalpolitik aber auch was den Durchgriff der Landespolitik ins Museum bis hin zu Ausstellungswünschen betraf.
Die Umwandlung bedeutete die Durchsetzung einer überwiegend ökonomischen Sichtweise, bei der die Betrieblichkeit der Institution, „überwacht“ von einem genau dazu berufenen Aufsichtsrat, dominierte. Obwohl sich im Kern am Museum als nicht profitabler Einrichtung nichts änderte, stellte sich gewissermaßen performativ eine Wahrnehmung ein, die die Profitabilität überbetonte. Eine Maßzahl wurde dabei, wie inzwischen überall, der „Besucherumsatz“. Trotz der Ausgliederung blieb der Einfluß der Politik – gleichzeitig auf mehreren Ebenen – erhalten. Einmal über die Gewährung der Finanzmittel und der Festlegung ihrer Höhe, über die Gewährung von Sondermitteln für einzelne Projekte, fallweise auch über die Personalpolitik, insbesondere der Berufung der Geschäftsführung, und schließlich über die Besetzung von Aufsichtsrat und Kuratorium im Parteienproporz.
Ein illustrativer Höhepunkt des politischen Einflusses war während meiner Jahre am Joanneum der Wunsch eines Landesrat gewordenen Altachtundsechzigers und Harley-Davidson-Fahrers, der sich eine Woodstock-Ausstellung wünschte, in Graz wohlgemerkt, und sie auch bekam. Teuer, schlecht und kaum besucht. Die Zeiten, da man, man wie EH Johann einst formulierte, jeglicher Vormundschaft klug entging, waren vorbei. Man wollte und will das gar nicht mehr.
Im Jahr 2009 wurde dann das Museum von Landesmuseum Joanneum in Universalmuseum Joanneum umbenannt. Ich hebe dieses Detail hervor, weil es symptomatisch für die jüngste Entwicklung des Hauses ist. Diese Umbenennung erfolgte unter nur noch symbolischer Einbeziehung der leitenden Mitarbeiter. Der Vertreter einer Beraterfirma, der das Gespräch moderierte, das spürbar über eine bereits gefällte Entscheidung geführt wurde, argumentierte, daß das Wort Landesmuseum ohnehin bloß ein verwaltungstechnischer Begriff und daher obsolet sei.
Das provozierte meine historischen Kenntnisse und ich argumentierte damals mit der Frühgeschichte und dem Gründungsstatut von 1811 gegen diese Verkürzung. Ich bin noch immer derselben Überzeugung von damals, daß ein Museum mit einer derart starken historisch-institutionellen Identität seinen Namen nicht hätte abstreifen sollen. Sondern daß man ganz im Gegenteil, auf der Modernität der Gründungsinstitutionen aufbauend, aber das ganz ohne Nostalgie, das Joanneum unter heutigen Bedingungen hätte rekonstruieren und strategisch ausrichten können. Denn das Konzept des Joanneum von 1811 – ich komme gleich darauf zurück -, verfolgte nicht eigensinnige und beliebige Vorstellungen des Gründers, sondern entfaltete Strukturmerkmale der aufklärerischen Museumsidee wie Öffentlichkeit, Wissensvermittlung, gesellschaftliche Verantwortlichkeit und reflexiven Umgang mit kollektiver Identität. Mit der Beibehaltung des alten Namens hätte man ihn gerade durch die Aktualisierung ursprünglicher Bedeutung neu mit Bedeutung füllen und mit ihm die strategische Ausrichtung des Hauses lancieren können.
Während die Leitung beim Namenstausch bei Universalmuseum an die Vielfalt der Sammlungen und Standorte des Museums dachte - das Joanneum ist eins der größten Museen Österreichs mit mehreren Dependancen in Graz und in der Steiermark -, während also mit einer Art Universalität der Repräsentanz durch vielfältige Sammlungen kokettiert wurde, träumte ich damals von einer Wiederbelebung radikaler öffentlicher und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit.
Heute ist das Grazer Museum das einzige der Welt, das sich „universal“ nennt und das sich damit und mit dem impliziten Vergleich mit dem Metropolitan Museum, dem British Museum oder dem Louvre in Museumskreisen ein wenig lächerlich gemacht hat. Aufgrund eines sehr rigiden Sparzwanges bekam es ohnehin kaum Gelegenheit, sich im Glanz dieser Marketing-Idee zu sonnen: der desaströse Landeshaushalt führte zu dramatischen Einschnitten, sogar die Schließungen von Kernsammlungen wurde diskutiert, wie die des Volkskundemuseums. Ganze Sammlungen sind inzwischen im Winter geschlossen und andere werden auch übers Jahr nur eingeschränkt offen gehalten, die Zahl der Ausstellungen wurde reduziert, beim Personal wird auf problematische Weise gespart, indem man Funktionen zusammenlegt und auch Leitungspositionen an sehr junge MitarbeiterInnen vergibt, weil das, noch dazu im Angestelltenstatus, der GmbH billiger kommt.
Nach der Ausgliederung verfolgte die Museumsleitung die Philosophie eines Konzerns mit unabhängigen Teilfirmen, gab also den Aufbau einer inhaltlichen Identität so gut wie auf. Jede Firma, das heißt in diesem Fall Abteilung, jeder Standort sollte seine spezifische Entwicklung nehmen dürfen und zusammengehalten sollte alles letztlich nur durch ein Corpoarate Design werden, das die Vielfalt in der Großstruktur visualisieren sollte. Man strebte institutionelle Identität nahezu nur noch durch Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit an. Das verändert aber grundlegend die Beziehung zum Publikum und zur Öffentlichkeit. Marketing, Vermarktung, betrifft die Bewerbung und Lancierung von Waren an Konsumenten. Ein solches Modell ist der Idee kritischer Öffentlichkeit diametral entgegengesetzt. Zur zentralen Prämisse wurde auch hier der sogenannte Besucherumsatz. Die Museumsleitung träumte auf der Basis von etwas über 300.000 durchaus problematisch erhobener Besuche, von einer Million Besucher im Jahr. Also von der zumindest statistischen Konkurrenzfähigkeit zu den großen Wiener Staatlichen Museen. Dieses Ziel wurde nie auch nur annähernd erreicht.
Obwohl ich während meiner Zeit nicht weniger als drei Anläufe zur Schaffung eines Corporate Design und nicht weniger als vier für die Webseite erlebt habe. Dabei wurde bezeichnenderweise nie entschieden, ob man sich auf das eigene Land konzentrieren sollte oder darüberhinaus auf ganz Österreich oder gar international attraktiv sein wollte. Das heißt, daß der Status als Landesmuseum seither undefiniert ist und daß es derzeit, verschärft durch den jährlich dringlicheren Sparkurs, keine inhaltlich-strategische Linie gibt.
Schwer wiegt, daß die Landespolitik keinerlei Auftrag an das Museum formuliert, daß das dominierende Medium, eine regionale Tageszeitung, weitgehend affirmativ berichtet und daß auch das Publikum keine Möglichkeit hat, sich zu artikulieren. Von keiner Seite wird das Museum gefordert. Es existiert, so kommt mir vor, derzeit in einem luftleeren Raum, unbehelligt von Ansprüchen, Verpflichtungen und Verantwortlichkeit.
Die Zeit seit 2003 wurde genutzt um nahezu alle Dauerausstellungen zu modernisieren und noch 2017 kommt es zu einer schrittweisen thematischen Erweiterung. Die im 19. Jahrhundert gegründete kulturhistorische Sammlung, die nach ihrer Übersiedlung in ein Innenstadtpalais unter dem Titel Museum im Palais an mangelnder Akzeptanz litt, wird als Geschichtsmuseum neu positioniert und es wird ein Science Center entstehen, das 2018 eröffnet werden wird. Damit kommt das Museum dem „Idealplan“ eines umfassend repräsentativen Museums, also dem des „Universalmuseum“ nahe. Im Grunde fehlen nur die Anthropologie und die Technik um ein, nach herkömmlichem Museumsverständnis „komplettes“ Museum zu verwirklichen.
Der „Konzern“ wächst, er diversifiziert sich, aber damit wird er weder globaler noch lokal spezifischer. Was mit dem historischen Auftrag, administrativ-politisch ja noch aufrechten, passiert, ein Landesmuseum zu sein, scheint mir ungewisser denn je.
Ich möchte hier nicht am Fall Joanneum Museumsbashing betreiben. Die Situation des Museums ist schwierig. Es ist groß, es ist teuer und es steht unter einem gewissen Druck, diesen Aufwand – vor allem finanziell -, zu rechtfertigen. Diese Dialektik ist neu und auch ein – wohl unerwünschter – Effekt der Ausgliederung. Denn in dem Maß, in dem man verwaltungstechnisch auf eine eigenständige Betrieblichkeit setzt, wird das Kriterium der wirtschaftlichen Rentabilität zum Erfolgskriterium per se. Wo früher eine zwar kameralistisch enge und gängelnde Finanzierung immerhin die Windstille steter Alimentierung garantierte, in der die Kernaufgaben des Museums von wirtschaftlichen Sorgen und Mühen unbehelligt verrichtet werden konnte, sieht sich jetzt das Museum (keineswegs nur das Joanneum) der Notwendigkeit ausgesetzt zumindest ausgeglichen zu bilanzieren und dazu auch diverse Drittmittel zu akquirieren, die ja selten ohne Erwartungen und Gegenleistungen überwiesen werden. So darf man sich fragen, welchen Effekt es haben wird, daß das Science Center von der Industriellenvereinigung gesponsert wird. Welche Erwartungen hat die, welche Wünsche knüpft sie an ihre Geldspende?
Für die Profilierung von Landesmuseen gibt es eine Grenze, die im Museumstyp eingeschrieben ist. Seine definitorisch exklusive Funktion. Im Wort Landesmuseum wird eine Repräsentationsanspruch für eine auf einem bestimmten Territorium lebende Gemeinschaft ausgedrückt, alles und alle anderen wird sozusagen per Definition ausgeschlossen. Bei einem Technik- oder Naturmuseum existiert ein derartiger Ausschluß nicht. Gerade der regionale Identitäts-Imperativ wirkt hinderlich bei der Entfaltung einer überregionalen Geltung und Wirkung. Warum soll ich als Kärntner ins Steiermärkische, als Salzburger ins Tiroler Landesmuseum gehen und wie soll dieser Museumstyp je gar suprantionale Effekte haben. Meiner Beobachtung nach konnte das Joanneum nur mit Kunstausstellungen, namentlich denen moderner Kunst im auch architektonisch spektakulären Kunsthaus, internationales Echo lukrieren. Und im sich permanent verschärfenden Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, keineswegs nur in dem mit anderen Museen sondern mit vielen kulturellen Einrichtungen und Events, haben bestimmte Museen schlechtere Chancen als andere. Dazu gehören Stadtmuseen und eben auch Landesmuseen.
Dabei hat sich das Joanneum seit 2003 umfassend erneuert: Die meisten Sammlungen erhielten neue Ausstellungen in umfassend sanierten Baulichkeiten und der Neubau der unterirdischen Erschließung und Verbindung der beiden ältesten Standorte und der Titel Museumsviertel, war vielversprechend. Doch gerade dieser Ausbau glückte nur teilweise und es entfaltet sich dort kein urbanes Leben, obwohl die Voraussetzungen günstig gewesen wären. Der architektonischen, ausstellungstechnischen und inszenatorischen Erneuerung korrespondierte keine gleichermaßen beherzte inhaltliche Erneuerung. Und der rigide Sparkurs des Landes nötigt nun schon seit Jahren alles mit gedrosselter Energie zu betreiben.

6 Das Museum – so oder so eine Entscheidung

Damit habe ich den Schnelldurchgang durch die Geschichte des Grazer Joanneums fast beendet. Mir ist diese Kurzgeschichte etwas dramatisch geraten. Der Kontrast zwischen dem bemerkenswerten Auftakt und der problematischen Gegenwart ist hart ausgefallen. Gerade weil in der Geschichte einer einzigen Institution mehrere Möglichkeiten sichtbar werden, gerade weil sichtbar wird, daß es immer wieder Entwicklungsstufen gibt, an denen eine bestimmte Entscheidung getroffen wird, so oder so, bewußt oder unbewußt, wie  und zu welchem Zweck ein Museum zu denken und zu betreiben sei, wird jeder vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und der spezifischen Geschichte „seines“ Museums (in dem er arbeitet), eigene Schlüsse ziehen können.
Worauf es mir ankam, war auf Optionen hinzuweisen, die in der Entwicklung eines bestimmten Museums, des Joanneums, aber strukturell im Museum allgemein angelegt waren. Optionen, von denen manche verschwunden, vergessen, verdrängt oder entstellt worden sind.
Eine Absicht war, zu zeigen, daß in der Geschichte der Institution Museum, nicht nur der des Joanneums, etwas Entscheidendes angelegt ist, die Formulierung von nicht mehr und nicht weniger als eines gesellschaftlichen Sinns des Museums. Auch hier gibt es selbstverständlich eine Wahl, wie man den bestimmt. Man hat aber immer mehrere Optionen. Verantwortliche Politiker, Museumsleiter und Kuratoren haben ihre Freiheit, wie sie ein Museum positionieren. Nur das Publikum und die allgemeine Öffentlichkeit haben keine Wahl. Sie haben keine Stimme, wenn es um die Konzeption und Gründungen von Museen geht. Hier liegt ein Problem – eins, das ich hier nicht weiter verfolge.
So sehr man also die Wahl hat - was ich nicht glaube ist, daß man den „Sinn“ des Museums (man kann von mir aus auch sagen: das Ziel, die mission oder was immer) offen zu lassen. Meist geschieht dies. Museen, die sich nicht darüber im klaren sind, was sie eigentlich tun und wozu, verfehlen ihren Auftrag. Man kann Ideen adaptieren, ändern, modernisieren und daher mehr oder weniger stark in der historischen Idee des Museums angelegte strukturelle Elemente ebenfalls adaptieren und reformulieren. Was man meiner Meinung aber nicht tun kann, sich nicht darüber Rechenschaft abzulegen, wovon man sich bei der bewußten oder unbewußten Positionierung einer Museumsarbeit verabschiedet, was man verwirft und aus welchen Gründen man das tut.
Im letzten Teil meines Vortrages möchte ich deshalb die noch verstreut und unverbunden in meinem Text umhergeisternden Begriffe wie Öffentlichkeit, Identität und Demokratie miteinander in Verbindung setzen. Mit anderen Worten, mich mit der Zukunft einer Idee vom Museum beschäftigen, die neuerdings auch schon mal – nämlich von Walter Grasskamp in seinem Buch über das Kunstmuseum -, eine erfolgreiche Fehlkonstruktion genannt worden ist.

7 Der gesellschaftliche Sinn des Museums

Ich kehre ich ein letztes Mal zur Geschichte des Joanneums zurück, und zwar zum Gründungsstatut, das EH Johann 1811 verfasst hat.
Wegen der altertümlichen und daher gewöhnungsbedürftigen Sprache zerlege ich den kurzen Textausschnitt gleich in kommentierte Einzelteile. Am Beginn steht ein allgemeiner gesellschaftspolitischer Imperativ, wie eine Feststellung einer Tatsache, die Notwendigkeit und Wünschbarkeit von Fortschritt. Ich zitiere: „Stäte Entwickelung, unaufhörliches Fortschreiten ist das Ziel des Einzel­nen, jeden Staatenvereines, der Menschheit“.  (...) „Stillestehen und Zurückblei­ben ist (…) einerley.“
Um einen Stillstand zu vermeiden, bedarf es etwas, was ich heute als kollektive Geistesgegenwart bezeichnen würde, als historischen Tastsinn (Dan Diner), als seismographische Gabe des Museums, auf Gegenwart zu reagieren: „Das Vorbild jener Wachsamkeit, Willenskraft und Er­findungen, wodurch Heere, Regierung, Kunstfleiß musterhaft werden, muß den Geist unaufhörlich emporhalten, um bei jedem Aufrufe des Ver­gangenen würdig, der Gegenwart gewachsen, für die Zukunft wohlthätig zu seyn.“
Hier ist also von einer transgenerationellen Erfahrung die Rede, die die drei Zeitdimensionen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet, also Geschichtsbewußtsein als Basis für zukunftsoffene und zukunftsfähige Entwicklung stiftet.
Dann geht es um „Die Nothwendigkeit, gründliche Kenntnisse an die Stelle hohler Vielwisserei, Kraft und Festigkeit an jene der immer weiter umgreifen­den Frivolität und egoistischen Zurückziehens, reges Leben und uner­schütterliche Fassung an die Stelle dumpfen Hingebens, einer schmähli­chen Gleichgiltigkeit, eines kargen Abfindens mit seinen Pflichten zu set­zen (..)“.
Man mag das mit Wissen, im engeren Sinn mit Wissenschaft oder mit Bildung übersetzen, alles steht hier freilich im Dienst einer überindividuellen Aufgabe der Bewältigung der öffentlichen Angelegenheiten. Deshalb steht nicht wie noch wenige Jahrzehnte zuvor bei Sammlungsinstitutionen die Loyalität zum Herrscher im Mittelpunkt und die Würdigung seines Mäzenatentums, sondern die zum gesellschaftlichen Ganzen. Es geht darum „ (...) mit ganzem Herzen sich anzuschließen ans theure Vaterland, auf die höchste National-Angelegenheit, auf die Erziehung unablässig sein Au­genmerk zu richten (…). Und erst jetzt kommt der Text auf den Gegenstand, den Inhalt des Museums zu sprechen. „Dasselbe soll alle in den  Umkreis der National-Literatur gehörigen Gegenstände in sich begreifen. Alles, was in Innerösterreich die Natur, der Zeitwechsel, der menschliche Fleiß und Be­harrlichkeit hervorgebracht haben, was die Lehrer der verschiedenen öffentlichen Anstalten ihren wißbegierigen Zöglingen vortragen. Es soll dieselben versinnlichen, dadurch das Lernen erleich­tern, die Wißbegierde reitzen, jenes dem Selbstdenken und hiemit der Selbständigkeit so nachtheilige bloße Memoriren, jene schädliche Kluft zwischen dem Begriff und der Anschauung, der Theorie und der Praxis mehr und mehr ausfüllen helfen.
Der Schluß ist das vielleicht Verblüffendste an dem Text, denn er stellt so etwas wie eine medientheoretische Begründung dar, warum denn ausgerechnet ein Museum die Kerntugend von Aufklärung, das „Selbstdenken“ fördern und die großen gesellschaftlichen Aufgaben bewältigen helfen soll. Es ist die Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit, die das Museum auszeichnet, sein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu vielen anderen Medien und Institutionen ist aber nicht als Verdinglichung gedacht wird. Objekte sind hier nicht, wie das oft im Museumsdenken Platz greift, um ihrer selbst willen das Zentrum, sondern als Medien der Kommunikation mit spezifischen Eigenschaften.
Das für mich bis heute Beeindruckende an diesem ausschnittsweise zitierten Statut ist die gesellschaftspolitische Zielsetzung. Welches Museum leistet sich noch eine derart emphatische Selbstvergewisserung in Form einer ausformulierten gesellschaftlichen Verantwortung?
So wie das Joanneum bei seiner Gründung konzipiert wurde, läßt sich manches auf Sammlungspolitiken des späten 18. Jahrhunderts, auf die Praxis mancher Fürstenmuseen zurückführen, die bereits viel stärker das Gemeinwohl als die persönliche Repräsentation verfolgten (wie die erwähnten in Wien oder Florenz). In der betont instrumentellen Rolle des Museums als Katalysator der wirtschaftlichen Entwicklung erkennt man physiokratische Ideen derselben Zeit. Aber die Zwecksetzung im Dienst eines Landes, einer Nation, die in die Hände politisch aktiver Bürger gelegt wird, das ist neu. Und nicht denkbar ohne die großen Museumsgründungen während der Französischen Revolution in den Jahren 1793 und 94.
Das Museum d’Histoire Naturelle knüpfte an die große Wissenschaftstradition des königlichen Naturalienkabinetts an, stellte Forschung und Experiment aber ganz in den Dienst der Gesellschaft wie auch ein neuartiger Museumstyp, das Musée des Arts et des Metiers, das handwerkliche und industrielle Produktion beflügeln sollte, eine Aufgabe der auch die in jenen Jahren im Louvre ausgerichteten Industrieausstellungen hatten. Ehe ich auf das dritte Museum zu sprechen komme, das Kunstmuseum im Louvre, ein Wort zum Stellenwert dieser Gründungen.
In der Museumsgeschichtsschreibungen ist es nur eine Minderheit von Forschern, die diesen Gründungen den Status einer grundsätzlichen neuen praktisch wie theoretischen Auslegung des sehr alten Wortes Museum geben. Museum das ist die latinisierte Fassung von museion, dem Ort, an dem sich in der griechischen Mythologie die Musen, Töchter der Göttin des Gedächtnisses Mnemosyne in Tanz und Gesang zusammenfinden. Meist wird über verschiedene Entwicklungsstationen wie das hellenistische Museion in Alexandria, die Sammlungsgründungen in der italienischen Renaissance und die fürstliche Sammel- und Ausstellungspolitik ein großer kontinuierlicher Bogen bis zur Institution der Gegenwart geschlagen. Andere Forscher sehen in der Zeit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution ein neues Modell vom Museum entstehen. Seit ich mich mit Museumsgeschichte beschäftige, habe ich mich immer auf die Seite dieser Auffassung geschlagen und ich vertraue darauf, daß ich hier, wenn auch nur knapp gerafft, etwas von der Bedeutung dieser Museumsjahre und -gründungen als Zäsur vermitteln kann.
Als genuin französische Entwicklung wurde das Pariser Museumsmodell rasch in die Provinzen Frankreichs verpflanzt, mit über einem Dutzend Gründungen in diversen Departements. Mit den napoleonischen Feldzügen wurde das Museum nach Europa getragen. Meist wird dabei der die Feldzüge begleitende Kunstraub diskutiert, der namentlich dem Louvre zugutekam, diskutiert und die produktive Rolle der Kulturpolitik Frankreichs geflissentlich übersehen. Manche der heute noch bedeutendsten Museen sind Gründungen der napoleonischen Administration, wie z.B. das Rijksmuseum in Amsterdam, der Madrider Prado, das Museum der Schönen Künste in Brüssel, die Brera in Mailand oder die Accademia in Venedig. Kaum eine Museumsgründung der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts konnte sich dem Einfluß des neuen Museumsmodells entziehen, das nahezu augenblicklich auch vom Französischen zum europäischen Exportschlager wird - mit Museumsgründungen noch im ersten Jahrzehnt in allen Kontinenten. Heute gibt es praktisch kein Land der Welt ohne Museum und sie alle folgen mehr oder minder noch immer den im letzten Drittel des 18.Jahrhunderts im Kontext von Revolution und Aufklärung entwickelten Prinzipen.
Welche das sind kann man am besten am Louvre und der Geschichte seiner Entstehung studieren - der wichtigsten Gründung während der Revolution. Als am 10. August 1793 das Museum im Königsschloß eröffnet wurde, ist das der Tag eines großen Festes und Festzuges in Paris, in der Zigtausende auf den Straßen sind um einer Zeremonie beizuwohnen. Vertreter aller Departements ziehen mit der Bevölkerung an ephemeren Denkmäler vorbei um schlußendlich vor der Statue der Weisheit gemeinsam aus einem Brunnen zu trinken (unschwer als Kommunion zu erkennen) und in einem Schwur die Unteilbarkeit der Nation feiern. Die Zusammenlegung der Ereignisse, Fest und Museumsöffnung, erfolgt genau kalkuliert, politisch vom Innenminister Garard, inszenatorisch vom Maler David, dem Vorsitzenden des Museumsausschusses des Parlaments, geplant. Der Historiker Arthur McClellan hat das, was an diesem Tag passierte in seinem Buch über den Louvre so beschrieben: The investiture of the Louvre with the power of a Revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.
Der Tag ist überdeterminiert. Es ist Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien und der Verhaftung des Königs und der, an dem eine neue, die erste republikanische Verfassung Frankreichs deklariert wird.
Er verändert nicht nur das Museumspublikum, wie McClellan schreibt, er verändert das Museum als Ganzes. Museen sind ab nun zivilisierende Rituale, in denen sich Gemeinschaften über sich selbst, ihre Herkunft, ihrer Geschichte und der Grundlagen ihrer Gemeinsamkeit versichern.

8 Das Museum – ein zivilisierendes Ritual des Sich-Sammelns

Museen sind ab nun Medien der Selbstauslegung und Selbstvergewisserung im Rückgriff auf gesammelte Gegenstände. Exponate verstehen wir als Dinge, die Geschichte repräsentieren oder die erlauben, vergangenes Leben und vergangene Ereignisse in die Gegenwart heraufzurufen.
In der Museumspraxis hat man meist die inhaltliche und narrative Seite im Auge, das heißt, die Ausstellung als den kommunikativen Brückenschlag zum Besucher, die Objekte als Medien, die visuelle Erzählung, die ihm erlaubt Wissen zu erwerben und Erfahrungen zu machen. So besehen ist der Museumsbesuch ein eigentümlicher Lernort, der sich, wie uns die Museumssoziologie versichert, eher zerstreute Aufmerksamkeit und selten Lernen im konventionellen Sinn einstellen. Darüber hinaus ist der Museumsbesuch ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischen und in dem der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten reflexiv geprüft und abgewogen werden kann.
Obwohl die ungeschriebene Museumsetikette unverbindlicher zu werden beginnt, „wissen“ wir alle, wie wir uns in Museen zu verhalten haben, dezent, rücksichtsvoll (gegenüber Besuchern), anerkennend (gegenüber den Exponaten). 
Dabei entpuppt sich das Museum mehrfach als Ort der Sammlung: wir sammeln uns im Sinne von „Konzentriert-Sein“, „Empfänglich-Sein“ – ehe wir auf eine Sammlung treffen wo wir die Dinge in ihrer spezifisch erzählerischen oder visuellen Qualität würdigen. Sie bilden eine Sammlung die deponiert, registriert, konserviert und inventarisiert wird. Ab der Revolution ist dieser kulturelle Schatz Gemeinbesitz aller Bürger – das ist ja heute bei den meisten staatlichen Museen so. Das ist also auch neu und neu ist, daß alle das Recht haben, diesen Schatz, ich verwende ein Wort der Revolutionszeit, diesen Schatz zu genießen. Nicht wie bisher, wenn ein privater Sammler aus Gunst den Zutritt gewährte, sondern ab nun als verbrieftes Recht. Die französische Verfassung erhebt damals das Recht auf Bildung in Verfassungsrang – übrigens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Recht auf Arbeit.
Das Gesammelte, dieser museale Schatz, sammelt aber selbst, nämlich das Publikum. Im Museum versammeln wir uns um Dinge wie um ein symbolisches gut, um eine cosa nostra.
Etymologisch läßt sich die Engführung von Sammlung im Sinn von Zusammenstellung von Dingen einerseits und Sich-Sammeln im Sinn von Zusammenkomme um etwas zu sehen und zu erfahren gut nachvollziehen. Das altnordische Wort thing für die periodische Volksversammlung zum Zweck der Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten und für den Ort, an dem diese Versammlung stattfindet, die Thingstätte, wird genau so geschrieben wie das englische Wort thing für Ding, Sache. Die ältere Bedeutung ist heute noch gegenwärtig in vielen Bezeichnungen, etwa in der Bezeichnung Storting für das Schwedische Parlament.
Kaum ein Museumsbau verzichtet auf einen empfangenden Bedeutungsraum, an dem dieses Ritual des Sich-Sammelns zum Ausdruck kommt und sich formieren kann. Häufig finden wir in solchen Räume noch keine Ausstellungsgegenstände, denn das Objekt dieses Raumes ist das sich einfindende Publikum, das sind „wir“.
Was dann in den Schauräumen zu sehen gegeben wird, scheint verstörenderweise unter diesem Gesichtspunkt des rituellen Sich-Sammlens arbiträr zu sein. Archäologische Relikte, kanonische Kunstwerke, technische Apparaturen oder meinethalben ländliche Trachten - nahezu alles scheint geeignet zu sein, als Common object eine einerseits individuelle (jeder Gegenstand ist ein dem Subjekt Gegenständiges) andrerseits aber auch gemeinschaftliche Erfahrung zu stiften.
Um den Prozeß der Herausbildung des common objects, dieses Dings, das sammelt, zu verstehen, gehe ich noch einmal zu den Jahren 1789ff. zurück. Mit dem Beginn der Revolution setzt ein Bildersturm ein, der die Zeichen des Ancien regime beseitigen will. Bücher, Kunstwerke, Archivalien sind betroffen, ganze Kirchen werden abgebrochen, verkauft oder mindestens säkularisiert. Besonderer vandalischer Eifer gilt den Königsdenkmälern, auch die Königsgalerie an der Fassade von Notre Dame wird zerstört und die Königsgräber in Saint Denis geplündert. An den einschlägigen Debatten im Nationalkonvent kann man ablesen, wie sich aus dem Bildersturm heraus die genau gegenteilige Politik des Bewahrens, Sammelns und Deponierens entwickelt und wie für das Ganze der nun pfleglicher behandelten kulturellen Werte ein neues Wort in Umlauf gesetzt wird: Patrimoine, also so viel wie: väterliches Erbe. Etwas, wofür dann in allen Sprachen Äquivalente geschaffen werden: Heritage, kulturelles Erbe oder I beni culturali.
Die Politik der Zerstörung weicht dem Gegenteil, einer der Bewahrung. Diese Entwicklung mündet in die Gründung erster großer Museen, die genau in dem Jahr entstehen, in denen der König verurteilt und hingerichtet wird.
Der Zusammenhang ist auffällig und nicht zufällig. Mit der Verurteilung und Guillotinierung des Herrschers verliert die französische Gesellschaft ihr einigendes Band, ihr Zentrum, ihr zentrales Symbol. Die Versuche, etwas an ihre Stelle zu setzen, die großen politischen Feste, eine Vernunftreligion und anderes, scheinen nicht zu genügen. Es geht ja nicht nur um den König. In der Revolution wird mit der gesamten Herkunftsgeschichte gebrochen, ein Neuanfang gesetzt, wie er sinnfälliger als in der Zerstörung der Uhren in der Stadt kaum zum Ausdruck kommen kann. Eine neue Zeit soll beginnen, alles Alte soll abgestreift werden. Aber keine Gesellschaft kann ohne eine Vorstellung ihrer Herkunft existieren. Die läßt sich nicht abbrechen und zerstören, wie die Denkmäler im Bildersturm. Der Furor des Verschwindens ist ängstigend und bedrohlich.
Es scheint mir legitim, auch die Museumspolitik der Revolution als Versuch zu interpretieren, der drohenden Desintegration der Gesellschaft entgegenzuwirken. Das kulturelle Erbe ist ja etwas, was bis heute eine solche Funktion übernehmen kann, manchmal sind es sogar einzelne Objekte, denen man das zuschreibt, meist genügt die Abstraktion ganz allgemein.
Der Platz, den der Französische König eingenommen hat, wird aber nie wieder besetzt werden können – nicht unter republikanisch-demokratischen Bedingungen. Denn in der Demokratie ist der Platz der Macht leer, darf nicht auf Dauer besetzt werden. Ausübung der Macht unterliegt periodischem, durch Wahl reguliertem Wechsel.

9 Reflexionsort Museum

Demokratische Gesellschaften existieren mit einem permanenten Mangel und einer permanenten Auseinandersetzung um den leeren Platz der Macht. Deshalb kann es unter solchen Bedingungen auch keine kollektive Identität wie etwas Feststellbares, Endgültiges, Essentielles geben. Auch sie ist ständig umkämpft, umstritten und die Postulierung gemeinsamer Werte, führt erneut in Widersprüche, weil auch die umstritten und umkämpft sind. Das muß man in Zeiten wie diesen, wo die Wertedebatte eine so große Rolle spielt, nicht weiter erläutern.
Das macht Demokratien so verletzlich und anfällig für Beschädigungen. Vor allem dann, wenn es an Gelegenheiten und der Entschlossenheit fehlt, sie jederzeit zu verteidigen und lebendig zu halten. Für die nötige und unvermeidliche Auseinandersetzung braucht es Orte und Formen, braucht es Öffentlichkeit.
In den späten 50er-Jahren hat Jürgen Habermas seine große Studie zum Strukturwandel der Öffentlichkeit dieser zentralen politischen Kategorie gewidmet. Was er untersucht ist die liberale, bürgerliche Öffentlichkeit, ohne die Demokratie nicht denkbar und nicht lebbar ist. Nebenbei gesagt identifizierte er ausgerechnet das Museum und die Ausstellung als Geburtsort dieser Öffentlichkeit. Nämlich die Ausstellungen der Königlichen Akademie der Künste in Paris und ihre seit dem späten 17. Jahrhundert periodisch ausgerichteten Kunstausstellungen, die nach ihrem Veranstaltungsraum im Louvre bis weit ins 19. Jahrhundert als Salon bekannt sein werden. Der Zerfall normativer ästhetischer Vorstellungen bewirkt, daß die Geltung und Qualität von Kunst ab nun dem Urteil der öffentlichen Meinung unterworfen ist.
Merkmale bürgerlicher Öffentlichkeit sind die Zusammenkunft unter tendenziell Gleichen, Herrschaftsfreiheit, Zwanglosigkeit, und die Achtung und Anerkennung des Anderen. Allessamt Bedingungen unter denen ein vernünftiges Aushandeln der öffentlichen Angelegenheiten stattfinden kann.
Insofern das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit ist, kommen wir zum erstaunlichen Schluß, das das Museum nicht einfach nur politisch im Sinne einer ideologischen Zuschreibung oder Haltung sein kann, sondern daß es (unter demokratischen Bedingungen wohlgemerkt) ein Ort des Politischen selbst ist. Ein paradoxer Ort, an dem die Integration der Gesellschaft hergestellt werden soll und das im Wissen, daß dies immer auch scheitern wird und muss. Paradox aber noch dazu zweitens, weil das Museum ja selbst ein umkämpfter Ort des Symbolischen ist, als, ich zitiere die Wiener Museologinnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, „... Teil der kulturellen Praktiken, in denen sich Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und kollektive Narrationen sowie gesellschaftliche Wissensformen und Diskurse manifestieren.“
Das Museum neigt als Medium und Institution dazu, die Werte, die es vertritt als unumstößlich auszugeben. Die lange Dauer der Formierung etwa eines Kunstkanons erscheint uns im Museum als objektiv und wahr, als natürlich, obwohl in den Prozeß der Kanonisierung Ausschlüsse, Zuschreibungen, Deutungen usw. eingegangen sind, die aber nun im Museum gleichsam unsichtbar geworden sind. Es gibt so etwas wie eine Macht der Anordnung (im weitesten Sinn), die in jedem Museum wirkt und als Wahrheitsgeschichte erzählt wird. Da die Interessen, die in den Prozess der Auswahl und Deutung eingegangen sind, immer die kleiner gesellschaftlicher Gruppen, Eliten gewesen sind, aber als unumstößlich und allgemein gültige, also im sozialen Sinn auch allgemein verbindlich für jedermann ausgegeben werden, hat das Museum eine hegemoniale Funktion.
Hier liegt ein weiterer Grund, warum das Museum selbst Öffentlichkeit herstellen sollte, weil nur unter dieser Bedingung die Macht der Anordnung, die Macht einer versteckten Autorschaft gebrochen werden und die Unumstößlichkeit von Deutungen relativiert oder auch verworfen und ersetzt werden kann. Öffentlichkeit des Museums besteht ganz und gar nicht in seiner (ohnehin begrenzten) Zugänglichkeit, sondern in der aktiven Teilhabe der Besucher und möglichst der Allgemeinheit. Museen können nicht bloß darauf warten, daß Besucher kommen, sondern müssen selbst Öffentlichkeit aktiv herstellen. Das ist aber eher selten der Fall, die Museen haben dafür und für die Tragweite dieser Frage kein ausreichendes Problembewußtsein. Alles was sie an mehr oder weniger neuen Formen der Zuwendung zum Publikum entwickeln, vom audience development bis zum Kindergeburtstag, von der Seniorenführung bis zum partizipativen Projekt, vom ermäßigten Eintritt für Kinder und Jugendliche bis zur langen Nacht im Museum, ist so lange irrelevant, solange nicht qualitativ eine diskursive und reflexive Öffentlichkeit hergestellt wird. Nur an diesen diskursiven und reflexiven Qualitäten dürfte man all diese Anstrengungen und Maßnahmen messen.
Es gibt noch eine andere Bedeutung von Öffentlichkeit. Sie zu erläutern klärt etwas über das Verhältnis von Gesellschaft, Staat einerseits und Allgemeinheit und Publikum andrerseits auf. Öffentlich ist das Museum als vom Staat im Interesse der Gesellschaft  eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen Institutionen, die wir deswegen öffentlich nennen, einem Gesellschaftsziel dient.
Das Museum ist eine Einrichtung des Wohlfahrtsstaates wie Schulen, Kliniken, Bäder, Verkehrsmittel, Universitäten, Gefängnisse und vieles andere mehr. Deren Sinn erschöpft sich ja auch nicht in ihrer Zugänglichkeit (wir rechnen nicht damit, je freiwillig ein Gefängnis betreten zu „dürfen“), sondern sie heißen allesamt öffentlich insofern sie gesellschaftliche Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten bedienen. Wohlfahrt mag ein Wort sein, das wenig attraktiv klingt. Aber es umfasst weit mehr als das, was wir heute unter Sozialstaat verstehen, also nicht bloß die Transferleistungen, die einen sozialen Ausgleich und ein Minimum an Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten für jedermann garantieren. Wohlfahrt meint das Wohlergehen ausnahmslos aller.
In den ältesten demokratischen Verfassungen, der amerikanischen und der erwähnten französischen von 1793 steht an Stelle des Wortes Wohlfahrt noch ein anderes, das auf einen Schlag klar macht, was auf dem Spiel steht, nämlich das Wort Glück. Und das als höchstes Staatsziel als zentraler Zweck der Gesellschaft.
Seinen gesellschaftlichen Sinn könnte man beim Museum ganz allgemein in der Bereitstellung eines Aushandlungsraumes sehen, an dem in Form eines zivilisierenden Rituals Menschen zum Zweck der Selbstdeutung und Selbstauslegung zusammenkommen. Hier verständigen sie sich über ihre Herkunft und Zukunft, über gemeinsame Werte, über ihr Eingespanntsein in die Dialektik von Eigenem und Fremden oder Natur und Kultur wie über das Verhältnis von Mehrheit und Minderheiten oder die Differenz von biologischem und kulturellem Geschlecht. Jede dieser Funktionen ließ sich an den einschlägigen Museumstypen bis ins Detail der Museumsroutinen beobachten und beschreiben, egal ob wir vom Heimatmuseum oder vom Technikmuseum, vom Kunstmuseum oder vom ethnologischen sprechen. In jedem Museum ließen sich diese Themen wie in homöopathischen Spuren lesen, an einzelnen Objekten und Arrangements, an Texten oder Ensembles. Oft nur wie Symptome, die das Museum, also die MitarbeiterInnen immer dann bilden, wenn sie sich dem Ungewußten in ihrem Tun nicht stellen und allenfalls in Versprechern und Fehlleistungen uns das Unausgesprochene in ihrer Intention indirekt zugänglich wird. Reflexive Öffentlichkeit ist also auch eine Frage der Museumspraxis, sie zwingt dazu, alle Entscheidungen bis in die organisatorischen oder gestalterischen Feingriffe hinein, zu bedenken und zu begründen. Auch davon sind viele Museen weit entfernt.
Reflexivität ist auch gefordert, wo es um das „unmögliche Objekt“ geht. Diese Reflexivität müsste auf der Ahnung beruhen, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, oder besitzen wollen und suchen, es entzieht sich uns ständig.
Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, muß ein Museum, das dieser Problemlage standhält, die Fähigkeit besitzen, reflexiv mit sich selbst umgehen. Es bedarf einer Reflexivität, die sich freilich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer mehrfachen, auf sein Tun gerichteter Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen.  Dazu gehört das Wissen, daß Museen auch repräsentieren „...was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden sollte oder jedenfalls verborgen blieb (...) Die Präsentation wachsender Naturbeherrschung verweist auf die Naturzerstörung, die Musealisierung fremder und vergangener Kulturen auf deren gewalttätige Eroberung und Vernichtung durch eben die gesellschaftlichen Kräfte, die ihnen im Museum ihr Interesse bekunden.“ (Sabine Offe).
Im Ausmaß der Reflexionsfähigkeit und der Fähigkeit Räume zur Reflexion sich selbst und für andere zu schaffen, entscheidet sich, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“,_ wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.