Vorbemerkung
Elsbeth Wallnöfer hat eine Kritik des Grazer Volkskundemuseums zur Veröffentlichung im Blog angeboten. Ihre Kritik bezieht sich auf eine Neuaufstellung der Dauerausstellung, die als Teil der einer vom Universalmuseum Joanneum ausgerichteten Landesausstellung (2021, teilweise 2022) konzipiert wurde und die aus insgesamt vier Teilen bestand: einem Pavillon, der an mehreren Orten aufgestellt wurde, einer Ausstellung im Kunsthaus, einer im Museum für Geschichte und eine im Volkskundemuseum. Nur dort bleibt die Landesausstellung als Dauerausstellung bestehen.
Die drei Teile der Ausstellung die am Universalmuseum gezeigt werden haben ein übergeordnetes Prinzip: die Ausstellung im Museum für Geschichte hat es unter dem Motto „Was war“ mit der Vergangenheit zu tun, das Kunsthaus beschäftigt sich mit dem „Was sein wird“ und schließlich hatte es das Volkskundemuseum mit der Gegenwart zu tun, mit „Wie es ist“.
Die drei Ausstellungsteile bildeten aber keinen narrativen Bogen und die drei Zeitdimensionen wurden auch nicht genutzt um Differenzerfahrung zwischen den Zeiten zu ermöglichen. Denn es gab keinen erkennbaren Versuch, einen Zusammenhang zwischen den drei Teilen zu stiften, um damit übergreifend Geschichtserfahrung zu ermöglichen.
Doch um was für eine Ausstellung handelte es sich denn? Die Steiermark Schau, wie sie hieß, gehörte zweifellos dem Typ Landesaustellung an, wie er in Österreich in vielen Bundesländern jährlich ausgerichtet wird. Diesmal stand aber nicht wie bei diesen Ausstellungen üblich, ein bestimmtes Thema im Mittelpunkt (wie z.B. „Die Römer“, „Wallfahrt“ oder „Peter Rosegger“), sondern das Land selbst. Sozusagen ein Wirtshaus zum Wirtshaus, eine Landes-Landesausstellung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das ganze Land – in topografischer wie zeitlicher Hinsicht. Das ist etwas Neues und wird auch als etwas Neues beworben.
Auftraggeber ist die Politik, das von der ÖVP geführte Kulturressort und die Marketingtexte auf der Webseite der Ausstellung ähneln zum Verwechseln politisch-programmatischen Statements. (https://www.steiermarkschau.at/steiermark-schau)
Von den drei Ausstellungsteilen dient sich ausgerechnet die auf Dauer berechnete im Volkskundemuseum am stärksten einer „Leistungsbilanz“ der Steiermark an. Man darf hier keine nennenswerte Relativierung oder Kritik erwarten. „Das Land“ wird als wohlverwaltet, stabil, weitestgehend konfliktfrei dargestellt. In keiner der bisherigen österreichischen Landesausstellung hat sich ein Land derart selbst zum Thema gemacht und eine überwiegend bejahende und bestätigende Haltung vermittelt.
Es wären auch die beiden anderen Teile der Ausstellung einer näheren Untersuchung wert, vor allem, die, die sich mit der Vergangenheit beschäftigt, aber vielleicht schreibt ja jemand mal auch dazu etwas.
Einer Analyse wert wäre auch der terminologische Wandel. Von der Landesausstellung zu Steiermark-Schau. Wikipedia kennt das deutsche Wort "Schau" gar nicht, nur seine englische Form, show, und da eher als Fernseh- und Medienereignis, dem eher Unterhaltungscharakter als Informationsabsicht zugeschrieben wird.
Ich habe Elsbeth Wallnöfers Text an anderer Stelle um einige Anmerkungen ergänzt und mir dabei mehrere Texte und ein Objekt vorgenommen, die Aufschluss über die Ausstellung geben. Dieser Post findet sich hier.
Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Ihre Kommentare erscheinen u.a. in den Tageszeitungen STANDARD, KURIER und FALTER. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter „Märzveigerl & Suppenbrunzer. 555 Begriffe aus dem echten Österreich“ (Verlag Anton Pustet 2014) sowie „Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten“ (Sankt-Ulrich-Verlag 2011). Bei Haymon erschien ihr Buch „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“, in dem sie den Begriff „Heimat“ durchleuchtet und neu denkt. 2020 folgte das Werk „Tracht macht Politik“. (Hamon Verlag).
Hier nun der Text von Elsbeth Wallnöfer. Mit der Anmerkung, die für alle Gastbeiträge im Blog gilt. Die Meinung der Autorin muß nicht mit der des „Redakteurs“ (des Verantwortlichen des Blogs) ident sein.
Elsbeth Wallnöfer
Wiedereröffnung des Volkskundemuseum Graz, Johanneum.. Von der Verschlimmbesserung einer Neuaufstellung
Überschattet von der Covid-Krise, erfolgte, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Eröffnung der neuen Schausammlung des Volkskundemuseum Graz. Die Chance anlässlich des österreichischen Museumstages zwischen den Lockdowns das Volkskundemuseum zu besuchen, stimmte daher hoffnungsfroh.
Ein Volkskundemuseum im 21. Jahrhundert neu zu gestalten, Erzählung und Objekte von bisherigen wissenschaftshistorischen Mängeln der Vergangenheit zu lösen, diese in die Gegenwart zu überführen, sie mit zeitgemäßen Mitteln der Darstellung zu erzählen, sind in der Tat eine Herausforderung. Leider ist dies nicht nur nicht gelungen, es ist auch noch gehörig schiefgegangen. Wir haben es hier also mit einer umgangssprachlich benamsten Verschlimmbesserung zu tun.
Bei bestem Willen und aufrichtiger Bereitschaft auch nur ein geringes Maß Versöhnung zwischen alter Aufstellung und neuer Präsentation zu finden, es will nicht gelingen. Zu groß sind die Wirrungen, die Irritationen, die Orientierungslosigkeit, die beträchtlichen Textbausteine, die unzählbare Summe der Objekte, Tafeln und Plakate, die gefühlt hunderttausend Schilder, die hauptsächlich Verwirrung stiften, denn Orientierung geben. Versuche, sich die Schausammlung über den Weg einer chronologischen Ordnung zu erschließen, versagen ob mangelnder Orientierungshilfe.
Obwohl der Anspruch Volkskunde/Kulturgeschichte mit zeitgemäßen Begriffen zu erzählen und die Regionalgeschichte aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive darzustellen spürbar wird, verzweifelt man am gestalterischen Wust und der Vielfalt von Begriffen, Objekten, Definitionen, Tafeln. Das grafische (naiv-dekorativ-kitschige) Orientierungssystem tut sein Übriges. Die Raumtexte befinden sich auf dreibeinigen zusammengeklappten Glühweintischen, die derart dominant sind, dass sie eigene Museumsobjekte zu sein vorgeben und die wie zufällig von der Raumpflegerin hingestellt wirken, scheinen sich im Verlauf des Rundganges gefühlt zu vermehren, derart aufdringlich sind sie.
Richtungsweisende Applikationen des Orientierungssystems, die auf das Generalthema „Wie es ist“ (leider ohne Fragezeichen) hinweisen wollen, irritieren mehr, als sie der Aufklärung dienen. Eigentlich hätte ich gewarnt sein sollen, denn das Trauerspiel kündigt sich bereits im Entrée an. Man glaubt in eine Seminartagung sämtlicher österreichischer Regionalbanken hineingeplatzt zu sein. Name und Lageplan des Museums muss man hinter Werbebannern und einem wenig geschmackvollen, lieblos hingestellten Tisch, auf dem sich zahlreiche Folder befinden, erst suchen. Der Weg zum Frontdesk will wie in einem Kaufhaus gesucht werden. Gefunden, bringt die anschließende Empfehlung des Personals auf den Beginn des Rundganges Orientierung, die nicht lange währt.
Die Schwierigkeiten der Neuaufstellung einer Sammlung, die großen Anteil bei der Ausbildung der kulturpolitisch lancierten Identität hatte, ist in der Tat kein leichtes Unterfangen. Bisherige sakrale Aufladung, die wesentlicher Bestandteil regionaler Kulturpolitik ist, gilt es zu brechen, ohne ganz auf sie zu verzichten; Ist sie doch auch Teil der kulturhistorischen Selbstbeschreibung.
Für Graz ist daher auch der Umgang mit dem „legendären“ Trachtensaal ein wichtiges, symbolisches Kriterium bei der Erneuerung der Schausammlung. Der Versuch ist allerdings gehörig fehlgeschlagen. Den Saal einfach zu belassen, wie er war, wäre angesichts der diffusen, nervösen Intervention besser gewesen. Nunmehr ist es nicht mehr möglich, zwischen den einzelnen Glasvitrinen durchzugehen, Figurinen und Details an ihrer Kleidung zu betrachten. Sie sind nämlich von einem mit Begriffen bedruckten Banner abgeschirmt, so als wären die Besucher*innen Demonstrant*innen, die es fernzuhalten gilt. Wo früher zur näheren Betrachtung durchflanieren möglich war, stehen jetzt die braunen, zusammengeklappten Raumtexte-Glühweintische. Die in den Gründungsjahren des Museums aufgestellten Objektbeschriftungen in Frakturschrift innerhalb der Vitrinen behielt man bei, warum eigentlich?
Beleuchtet werden die Figuren unverändert wie eh und je, immer noch. In diesem Saal gipfelt das Desaster, das Volkskundemuseum neu zu erzählen und zu gestalten, zeigt sich deutlicher als in den anderen Räumen, dass die Dissonanz zwischen Ausstellungsarchitektur und Kuratorenschaft großen Anteil gehabt haben muss, möglicherweise gar eine pfiffige Neuerzählung verhinderte. Die Dominanz der Ausstellungsarchitektur ist nicht nur ästhetisch fragwürdig, sie ist auch erzählerisch wie betrachterisch kontraproduktiv. Ein mit beliebig und allerlei Begriffen bedrucktes Absperrband verunmöglicht Betrachtung, wo sie wesentliche Deutung überhaupt erst ermöglichte. Die Betrachterin jedenfalls fühlt sich ausgegrenzt, ein bissl so, als hätte man sich verirrt, einen Saal betreten, der sich gerade in Umbau befindet.
Neu ist also die fast schon chaotische Irritation. Weniger Textfragmente, Texttafeln und Textdeko wäre von Vorteil gewesen. Mit einer ausgefeilten Beleuchtung und Umstellung der Figurinen wäre ganz sicher eine effektvollere Erzählung erreicht worden.
Ein wenig deprimiert und wie auf der Flucht, findet man vom Trachtensaal zurück auf den Parcours der Sammlung und frägt sich hilfesuchend, ob man sich im Augenblick in einer Sonderausstellung oder der ständigen Repräsentation befindet.
Die Hoffnung, ein neues, mit den Mitteln und im Kontext der Zeit präsentiertes Volkskundemuseum eröffnet zu bekommen, ist spätestens an dieser Stelle perdu. Graz ist Beispiel, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Es zeigt anschaulich, dass vorher manchmal das bessere Nachher ist. Dabei scheint es keine Hexenkunst zu sein, einen Wandel herbeizuführen. Dazu hätte genügt, Maß am Tiroler Volkskunstmuseum zu nehmen. Dieses stand vor räumlich-baulichen und strukturell ähnlich komplexen Herausforderungen. Alle Künste und Tricks der Ausstellungsarchitektur (Licht, Ausstattung, Orientierung, Präsentation der Objekte) harmonieren dort mit einer quellenkundlich zeitgemäßen Erzählung. In Innsbruck verlässt man das Museum schlauer als beim Betreten des Hauses, in Graz sucht man unter Drehschwindel den Ausgang, erleichtert wieder draußen zu sein sucht man den Weg in die Neue Galerie, wo es verlässlich feine Ausstellungen hat.